Rettet den Kosmos! lautet Ijon Tichys Appell
an seine Zeitgenossen, denn undisziplinierte Erdtouristen bedrohen
Planeten und Sterne: Ringe von Müll umkreisen bereits die Gestirne;
der Juno steht die Vernichtung bevor, weil sich jeder Besucher ein
Stück von ihrem Gestein als Souvenir mitnimmt; Frauen verursachen
Verkehrsunfälle – durch überhöhte Geschwindigkeit erzwingen sie
eine Schrumpfung der Zeit und damit eine Verlangsamung des Alterns;
infolge der Konzentration von Auspuffgasen kommt es zu einer
Zunahme der Sonnenflecken; verantwortungslose Reisegesellschaften
bieten mehr Plätze an, als die Sauerstoffvorräte eigentlich
erlauben, so daß die Zahl der in Tiefkühltruhen konservierten
Passagiere beängstigend zugenommen hat – kurzum: Der ehrenwerte
Sternreisende Ijon Tichy ist zu Recht besorgt. Die denkwürdigen
Begebenheiten aus dem Leben dieses Reisenden und Weltverbesserers
der Nachwelt zugänglich gemacht zu haben ist das Verdienst von
Professor A. S. Tarantoga, der mit dankenswerter Unterstützung der
Mitarbeiter des Wissenschaftlichen Rates am Tichologischen Institut
und des Redaktionskollegiums der Quartalsschrift »Tichiana« den
riesigen Nachlaß Ijon Tichys gesichtet hat. Der Herausgeber
verwahrt sich mit Fug gegen Stimmen, die die Urheberschaft der
Schriften Tichys in Zweifel ziehen und sie einem gewissen »Lern«
zuschreiben, da jeder, der ein wenig die Geschichte der Kosmonautik
kennt, weiß, daß »LEM die Abkürzung von Lunar Excursion Module
ist«. Deshalb ist diese Ausgabe, obwohl weder vollständig noch
kritisch, authentisch. Sie entspricht dem letzten Stand der
Forschung und ist daher die bislang fundierteste und
umfangreichste. Sie enthält neben den kosmischen
Reisebeschreibungen auch die Erinnerungen Tichys an skurrile
Begebenheiten auf der Erde sowie unlängst entdeckte Zeichnungen von
der Hand des Autors.
Stanislaw Lem
Titel der Originalausgabe
DZIENNIKI GWIAZDOWE
erschienen bei Czytelnik, Warszawa 1971
Aus dem Polnischen von Caesar Rymarowicz
Mit Zeichnungen des Autors
INHALT
Vorwort 6 Vorwort zur erweiterten Ausgabe 9
Aus den
Sterntagebüchern Ijon Tichys................................12
Siebente Reise 13 Achte Reise 36 Elfte Reise 58 Zwölfte Reise 101
Dreizehnte Reise 112 Vierzehnte Reise 135 Achtzehnte Reise 165
Zwanzigste Reise 180 Einundzwanzigste Reise 230 Zweiundzwanzigste
Reise 297 Dreiundzwanzigste Reise 315 Vierundzwanzigste Reise 322
Fünfundzwanzigste Reise 337 Achtundzwanzigste Reise 358
Aus den Erinnerungen Ijon
Tichys....................................381
I 382 II 399 III 414 IV 425 V (Die
Waschmaschinen-Tragödie) 439
Die Anstalt des Doktor Vliperdius
461
Doktor Diagoras 473
Retten wir den Kosmos (Offener Brief Ijon Tichys)
501
VORWORT
Die vorliegende Ausgabe der Schriften Ijon
Tichys, die weder vollständig noch kritisch ist, stellt im
Vergleich zu den vorangegangenen einen Fortschritt dar. Es ist
gelungen, sie um Texte zweier bisher unbekannter Reisen, der achten
und der achtundzwanzigsten1, zu
erweitern. Die letztere trägt zur Biographie Tichys und seiner
Familie neue Einzelheiten bei, die außer den Historiker auch den
Physiker interessieren werden, da sich aus ihnen die von mir längst
geahnte Abhängigkeit des Verwandtschaftsgrades von der
Geschwindigkeit ergibt.2
Was die achte Reise anbelangt, so
hat eine Gruppe von Psychoanalytikern, ausnahmslos Tichologen, kurz
vor der Drucklegung dieser Ausgabe sämtliche Fakten aus Ijon Tichys
Traum überprüft. Der interessierte Leser wird in der Arbeit Dr.
Hopfstoßers eine vergleichende Bibliographie des Gegenstandes
finden, die den Einfluß der Träume anderer berühmter Menschen wie
Isaak Newtons oder der Borgias auf Tichys Träume und umgekehrt
nachweisen.
Der vorliegende Band enthält
jedoch nicht die sechsundzwanzigste Reise, die sich letztlich als
Apokryph erwiesen hat. Den Nachweis hierfür erbrachte eine Gruppe
von Mitarbeitern unseres Instituts mit Hilfe einer vergleichenden
Elektronenanalyse der
E. M. Sianko, Die Polsterung des linken
Schreibtischschubfachs I. Tichys mit dem Manuskript seiner
unveröffentlichten Arbeiten; Bd. XVI der Serie Tichiana, S. 1193
ff.
O. J. Burberry, Kinship as velocity function
in family travels; Bd. XVII der Serie Tichiana; S. 232
ff.
Dr. S. Hopfstoßer, Das epistemologisch
Unbestreitbare in einem Traum von Ijon Tichy; Sonderdruck der Serie
Tichiana, Bd. VI, S. 67 ff.
Texte4. Es ist
vielleicht nicht verfehlt, hinzuzufügen, daß ich persönlich die
sogenannte »Sechsundzwanzigste Reise« schon seit langem für ein
Apokryph gehalten habe – so im Hinblick auf die im Text
auftretenden Ungenauigkeiten, die u. a. die Wackerleider betreffen
(und nicht »Wackerkleider« – wie es im Text heißt), ebenso die
Meopsera, die Mucken und die Gattung der Schlurfe (Phlegmus
Invariabilis Hopfstosseri).
Der erste Teil der vorliegenden
Ausgabe umfaßt mehrere Reisen entsprechend der originellen
Numerierung des Autors, der zweite hingegen Gelegenheitsschriften,
Verschiedenes und Erinnerungen.
In der letzten Zeit wurden
Stimmen laut, die die Urheberschaft der Schriften Tichys in Zweifel
ziehen. Die Presse berichtete, Tichy habe sich jemandes Hilfe
bedient, ja er habe nicht einmal existiert und seine Werke soll
eine Einrichtung geschaffen haben, ein sogenannter »Lem«. Gewissen
extremen Versionen zufolge soll »Lem« sogar ein Mensch sein. Nun
weiß aber jeder, der sich auch nur ein wenig mit der Geschichte der
Kosmonautik befaßt hat, daß LEM die Abkürzung für die Bezeichnung
LUNAR EXCURSION MODULE ist, das heißt für den forschenden
Mondbehälter, der in den USA im Rahmen des »Apollo-Projekts« (der
ersten Landung auf dem Mond) gebaut wurde. Ijon Tichy braucht weder
als Autor noch als Reisender einen Fürsprecher. Die Gelegenheit
nutzend, möchte ich jedoch die unsinnigen Gerüchte festnageln.
Insbesondere: LEM war zwar mit einem kleinen Hirn (Elektronenhirn)
versehen, doch diente dieses Gerät lediglich begrenzten
Navigationszwecken und hätte nicht einen einzigen sinnvollen Satz
schreiben können. Von einem anderen LEM ist mir nichts bekannt. Ihn
erwähnen weder die Kataloge großer Elektronenmaschinen (vgl. z. B.
Nortronics, New York, 1966-69) noch die Große Kosmische
Enzyklopädie (London 1979). Es ist deshalb an der Zeit, die
Tätigkeit der Tichologen, denen die seit Jahren in Arbeit
befindlichen
4
E. M. Sianko, A. U. Chlebek und W. U.
Kalamarajdysowa, Partielle Analyse der Betaspektren der
linguistischen Texte I. Tichys; Bd. XVIII der Serie
Tichiana
OPERA OMNIA Ijon Tichys noch viel Mühe
abverlangen werden, nicht durch solche Gerüchte zu stören, die mit
dem Ernst ihrer Aufgaben nicht in Einklang zu bringen
sind.
Professor A. S. Tarantoga
Lehrstuhl für vergleichende Astrozoologie der
Universität zu Fomalhaut
im Namen
des Redaktionskomitees für die Herausgabe
der Gesammelten Werke Ijon Tichys
sowie
des Wissenschaftlichen Rates des
Tichologi
schen Instituts und des Redaktionskollegiums
der Vierteljahresschrift »Tichiana«.
VORWORT
ZUR ERWEITERTEN AUSGABE
Gerührt und voller Freude machen wir die neue
Ausgabe der Schriften dem Leser zugänglich, denn sie bringt außer
den Texten der drei bisher unbekannten Reisen (der achtzehnten, der
zwanzigsten und der einundzwanzigsten) nicht nur wertvolle
Zeichnungen von der Hand des Autors, sondern auch die Aufklärung
gewisser Rätsel, die bisher selbst von den Experten der Tichologie
nicht gelöst werden konnten.
Was die Stiche betrifft, so
wollte der Autor lange nicht damit herausrücken; er behauptete, daß
er die von den Sternen und Planeten stammenden Objekte in flagranti
oder inmitten seiner häuslichen Sammlung lediglich für sich
gezeichnet habe und daß sie weder einen künstlerischen noch
dokumentarischen Wert besäßen, weil er sich dabei sehr beeilt habe.
Doch selbst wenn es sich nur um Kritzeleien handeln sollte, womit
übrigens nicht alle Kenner einverstanden sind, ist ihr Wert als
Anschauungsmaterial für die Lektüre der bisweilen schwierigen und
dunklen Texte unbestritten. Dies ist der erste Anlaß zur
Genugtuung, die unsere Arbeitsgruppe erfüllt.
Zum zweiten bringen die Texte der
neuen Reisen eine keineswegs geringe Besänftigung für den Geist,
der nach endgültigen Antworten auf die älteste aller Fragen lechzt,
die der Mensch sich und der Welt stellt: Sie teilen nämlich mit,
wer den Kosmos, die Naturgeschichte, die allgemeine Geschichte, den
Verstand, das Sein und andere nicht weniger wichtige Dinge
eigentlich erzeugt hat und warum er das tat. Und ist es etwa keine
angenehme Überraschung, zu erfahren, daß unser vortrefflicher Autor
an diesen Schöpfungsarbeiten keinen geringen, ja manchmal geradezu
einen entscheidenden Anteil hatte? Somit ist auch die
Bescheidenheit verständlich, mit der er die Schublade verteidigte,
die diese Handschriften barg, und nicht weniger begreiflich ist die
Genugtuung jener, die schließlich Tichys Widerstand zu brechen
vermochten. Bei dieser Gelegenheit wird obendrein die Ursache klar,
warum es in der Numerierung der Sternreisen gewisse Lücken gibt.
Erst nach dem Studium dieser Ausgabe wird der Leser begreifen,
weshalb es nicht nur niemals eine erste Reise I. Tichys gegeben
hat, sondern auch warum es sie nicht geben konnte, und wenn der
Leser auf diese Weise seine Aufmerksamkeit geschärft hat, wird er
verstehen, daß die Reise, die als die einundzwanzigste bezeichnet
wird, gleichzeitig auch die neunzehnte ist. Zwar wird ihm die
Orientierung nicht leichtfallen, denn der Autor hat die letzten
siebzig Zeilen der Handschrift in diesem Dokument gestrichen.
Weshalb? Wiederum durch seine unsagbare Bescheidenheit. Ich darf
das Siegel des Schweigens, das mir auferlegt wurde, nicht brechen,
aber man hat mir wenigstens gestattet, einen kleinen Rand des
Schleiers zu lüften. I. Tichy hat, als er sah, wozu die Versuche
der Ausbesserung der Vorgeschichte und der Geschichte führen, in
seiner Stellung als Direktor des Temporalen Instituts etwas getan,
was schließlich bewirkt hat, daß es nicht zur Entdeckung der
Theorie der Zeitvehikel und des Transports in der Zeit gekommen
ist. Da auf sein Betreiben hin diese Entdeckung wieder »zugedeckt«
wurde, sind das Programm der Telechronischen Ausbesserung der
Geschichte, das Temporale Institut und leider auch I. Tichy selbst
als sein Direktor verschwunden. Der Schmerz, den dieser Verlust
verursacht, wird teilweise durch den Umstand gemildert, daß wir
wenigstens keine unangenehmen Überraschungen von seiten der
Vergangenheit zu befürchten haben, andererseits aber auch durch die
verblüffende Tatsache, daß der tragisch Verstorbene weiterhin lebt,
obwohl er keinesfalls auferstanden ist. Da wir einräumen müssen,
daß die Einzelheit ziemlich eigenartig ist, verweisen wir den Leser
zur Aufklärung auf die einschlägigen Stellen, das heißt auf die
zwanzigste und die einundzwanzigste Reise.
Indem ich schließe, möchte ich
die Entstehung einer besonderen futurologischen Zelle in unserer
Vereinigung ankündigen, die im Einklang mit dem Geist der Zeit und
in Anlehnung an die Methode der sogenannten Selbstrealisierung der
Prognosen auch die Sternreisen I. Tichys bearbeiten wird, die er
nicht unternommen hat und auch nicht zu unternehmen
beabsichtigt.
Prof. A. S. Tarantoga
für die
Vereinigten Institute der Tichologie, der
Tichographie und der beschreibenden,
vergleichenden und prognostischen Ti
chonomik.
Aus den
Sterntagebüchern Ijon Tichys
SIEBENTE
REISE
Als ich am Montag, dem zweiten April, in der
Nähe der Betelgeuze vorüberflog, durchschlug ein Meteor, kaum
größer als eine Bohne, die Panzerung und zertrümmerte den
Hubregulator und einen Teil der Steuerung, wodurch die Rakete ihre
Manövrierfähigkeit einbüßte. Ich zog den Raumanzug an, stieg auf
die Oberfläche der Rakete und versuchte, die Vorrichtung zu
reparieren, aber ich erkannte bald, daß ich die Hilfe eines zweiten
Menschen benötigte, um die Reservesteuerung festzuschrauben, die
ich umsichtigerweise mitführte. Die Konstrukteure hatten das
Raumschiff so unsinnig projektiert, daß jemand mit dem Schlüssel
den Schraubenkopf festhalten mußte, während ein anderer die
Schraubenmutter anzog. Zunächst nahm ich mir das nicht sonderlich
zu Herzen und verbrachte ein paar Stunden damit, den einen
Schlüssel mit den Füßen festzuhalten, während ich am anderen Ende
die Mutter mit der Hand anzuziehen versuchte. Jedoch die
Mittagszeit verstrich, und meine Mühen erbrachten kein Ergebnis.
Einmal wäre es mir fast gelungen, doch da sprang der Schlüssel
unter meinem Fuß weg und segelte in den Weltraum davon. So hatte
ich denn nicht nur nichts ausgebessert, sondern obendrein noch ein
wertvolles Werkzeug verloren und mußte tatenlos zusehen, wie es
sich entfernte und vor dem Hintergrund der Sterne immer kleiner
wurde.
Nach einiger Zeit kehrte der
Schlüssel in einer gedehnten Ellipse zurück, aber er kam, obwohl er
ein Trabant des Raumschiffs geworden war, nicht so nah heran, daß
ich ihn greifen konnte. Ich ging also in das Innere der Rakete
zurück, nahm einen bescheidenen Imbiß ein und überlegte dabei, wie
ich aus dieser dummen Situation herauskommen könnte. Das Raumschiff
flog unterdessen mit immer größerer Geschwindigkeit geradeaus
weiter, denn der verdammte Meteor hatte mir auch den Hubregulator
zerstört. Auf meinem Kurs lagen zwar keine himmlischen Körper, aber
diese blinde Fahrt durfte schließlich nicht unendlich dauern. Eine
Zeitlang konnte ich meinen Ärger bezähmen, aber als ich nach dem
Mittagessen daranging, das Geschirr abzuwaschen, stellte ich fest,
daß die von der enormen Arbeit erhitzte Atomsäule mir die beste
Portion Rindsfilet verdorben hatte, und ich verlor für eine Weile
mein seelisches Gleichgewicht; ich stieß die fürchterlichsten
Flüche aus und zerschlug einen Teil des Geschirrs, was mir zwar
eine gewisse Erleichterung verschaffte, jedoch nicht sehr sinnvoll
war. Obendrein verblieb das über Bord geworfene Rindfleisch, statt
in die Ferne zu fliegen, in der Nähe der Rakete und kreiste um sie
herum wie ein zweiter künstlicher Satellit, wobei es regelmäßig
alle elf Minuten und vier Sekunden eine kurze Sonnenfinsternis
bewirkte. Um meine Nerven zu beruhigen, berechnete ich bis zum
Abend die Elemente seiner Bewegung sowie die Störungen der
Umlaufbahn, die durch das Kreisen des Schlüssels entstehen würden.
Ich gelangte zu dem Ergebnis, daß in den nächsten sechs Millionen
Jahren das Rindfleisch dem Schlüssel auf einer Kreisbahn um das
Raumschiff vorauseilen würde, um ihn dann zu überholen. Schließlich
legte ich mich, müde von der langen Rechnerei, schlafen. Mitten in
der Nacht hatte ich das Gefühl, daß mich jemand an den Schultern
rüttelte. Ich schlug die Augen auf und erblickte einen über das
Bett gebeugten Menschen, dessen Gesicht mir seltsam bekannt vorkam,
ohne daß ich hätte sagen können, wer das war.
»Steh auf«, sagte er, »und nimm
die Schlüssel, wir gehen nach oben und drehen die Steuerschrauben
fest…«
»Erstens kennen Sie mich nicht
gut genug, um mich zu duzen, und zweitens weiß ich genau, daß es
Sie nicht gibt. Ich bin allein in der Rakete, und das schon das
zweite Jahr, denn ich fliege von der Erde zum Sternbild des Kalbes.
Somit sind Sie nur eine Traumvision.«
Er indes schüttelte mich weiter
und wiederholte, ich solle ihm sofort zu den Geräten
folgen.
»Unfug«, erwiderte ich, nunmehr
schon etwas böse, denn ich befürchtete, die Auseinandersetzung im
Traum könnte mich wecken, und ich weiß aus Erfahrung, wie schwer es
ist, nach einem plötzlichen Erwachen wieder einzuschlafen.
»Nirgends gehe ich mit, das wäre ja sowieso umsonst. Eine Schraube,
die im Traum festgedreht wird, kann an der wirklichen Lage nichts
ändern. Bitte belästigen Sie mich nicht und zerfließen Sie auf der
Stelle oder begeben Sie sich auf andere Weise hinweg, sonst wache
ich tatsächlich noch auf.«
»Aber du schläfst ja gar nicht,
Ehrenwort!« rief die hartnäckige Erscheinung. »Erkennst du mich
denn nicht? Schau her.«
Während er sprach, berührte er
mit den Fingern zwei Warzen, groß wie Walderdbeeren, die er auf der
linken Wange hatte. Instinktiv faßte auch ich mich an die Wange,
weil ich an derselben Stelle zwei völlig gleiche Warzen habe. In
diesem Augenblick begriff ich auch, weshalb mich die
Traumerscheinung an einen Bekannten erinnerte: Sie glich mir aufs
Haar.
»Laß mich zufrieden!« rief ich
und schloß die Augen, besorgt um meinen Schlaf. »Wenn du ich bist,
brauche ich dich zwar nicht zu siezen, aber das ist noch lange kein
Beweis, daß du nicht existierst!«
Woraufhin ich mich auf die andere
Seite drehte und mir die Decke über den Kopf zog. Ich hörte noch,
wie er etwas von Idiotie sagte und schließlich, als ich nicht
reagierte, ausrief: »Du wirst das noch bereuen, du Narr! Du wirst
dich noch davon überzeugen, daß das kein Traum ist, aber dann wird
es zu spät sein!«
Ich rührte keinen Finger. Als ich
frühmorgens die Augen aufschlug, fiel mir gleich die eigenartige
nächtliche Geschichte ein. Ich setzte mich im Bett auf und sann
darüber nach, was für interessante Streiche einem doch der eigene
Verstand mitunter spielt: Da keine verwandte Seele an Bord war,
hatte ich mich in Anbetracht einer zwingenden Notwendigkeit im
Traum verdoppelt, nur um dem Bedürfnis Genüge zu tun.
Nach dem Frühstück stellte ich
fest, daß das Raumschiff über Nacht zusätzliche Beschleunigung
erlangt hatte, und ging daran, in den Nachschlagewerken der kleinen
Bordbibliothek einen Ausweg aus meiner fatalen Situation zu suchen.
Ich fand jedoch nichts. So breitete ich die Sternkarte auf dem
Tisch aus und suchte im Schein der nahen Betelgeuze, die in
gewissen Abständen von dem kreisenden Rindfleisch verdeckt wurde,
in der Gegend, in der ich mich befand, nach einer kosmischen
Zivilisation, von der ich Hilfe gewärtigen könnte. Aber die Gegend
war eine komplette Sternwüste, die wegen ihrer Gefährlichkeit von
allen Raumschiffen gemieden wurde, weil sich dort die
geheimnisvollen Gravitationsstrudel befinden –
hundertsiebenundvierzig an der Zahl –, deren Existenz durch sechs
astrophysikalische Theorien erklärt wird, und von jeder
anders.
Der Kosmonautenkalender warnte
vor ihnen wegen der unberechenbaren Folgen der relativistischen
Effekte, die ein Durchgang durch solch einen Strudel haben kann –
zumal bei großer Eigengeschwindigkeit.
Ich war ratlos. Ich berechnete
nur, daß ich etwa um elf den Rand des ersten Strudels streifen
würde, also beeilte ich mich mit den Frühstücksvorbereitungen, um
nicht nüchtern der Gefahr die Stirn bieten zu müssen. Kaum hatte
ich die letzte Untertasse abgetrocknet, begann das Raumschiff nach
allen Seiten zu schlingern, so daß die ungenügend befestigten
Gegenstände von Wand zu Wand polterten. Mit Müh und Not kroch ich
zum Sessel. Als ich mich daran festgebunden hatte, bemerkte ich
während der immer heftigeren Sprünge des Raumschiffs, daß eine Art
blaßlila Nebel den gegenüberliegenden Teil der Rakete füllte und
dort, zwischen Spülbecken und Küchenherd, eine nebelhafte
Menschengestalt in einer Schürze stand, die Omelettenteig in die
Bratpfanne goß. Die Gestalt sah mich prüfend an, ohne sich jedoch
zu wundern, daraufhin löste sie sich auf und verschwand. Ich rieb
mir die Augen. Ich war ganz offensichtlich allein, also schrieb ich
jenes Bild einer zeitweiligen Geistestrübung zu.
Während ich noch im Sessel saß
oder vielmehr mit ihm hüpfte, kam mir die blitzartige Erleuchtung,
daß dies keineswegs eine Halluzination gewesen war. Als der dicke
Band der Allgemeinen Relativitätstheorie an meinem Sessel
vorübersegelte, versuchte ich ihn zu fassen, was mir schon beim
vierten Mal gelang. Das Blättern in dem dicken Buch war unter
diesen Umständen recht beschwerlich, denn gewaltige Kräfte
schüttelten das Schiff, so daß es wie betrunken taumelte, aber
schließlich fand ich den richtigen Absatz. Da war die Rede von der
sogenannten Zeitschleife, das heißt von der Krümmung der Richtung,
in der die Zeit im Bereich mächtiger Gravitationsfelder fließt.
Diese Erscheinung könne sogar dazu führen, daß der Lauf der Zeit
umgekehrt wird und eine sogenannte Verdoppelung der Gegenwart
erfolgt. Der Strudel, den ich gerade durchquert hatte, gehörte
nicht zu den mächtigsten. Ich wußte, gelänge es mir, die
Schiffsspitze nur eine Winzigkeit mehr zum Pol der Galaxis zu
richten, dann würde ich den sogenannten Vortex Gravitatiosus
Pinckenbachii durchschneiden, in dem mehrfach Phänomene der
Verdoppelung und sogar der Verdreifachung der Gegenwart beobachtet
wurden.
Die Steuerung konnte ich zwar
nicht betätigen, aber ich begab mich in die Motorenkammer und
manipulierte so lange an den Vorrichtungen, bis ich tatsächlich
eine leichte Kursänderung des Raumschiffs zum galaktischen Pol hin
bewirkte. Diese Operation nahm mehrere Stunden in Anspruch. Das
Ergebnis übertraf meine Erwartungen. Gegen Mitternacht geriet das
Schiff in das Zentrum eines Strudels, es bebte und ächzte dermaßen
in allen Spanten, daß ich schon befürchtete, es könnte zerbrechen,
aber es kam heil aus der Bedrängnis heraus, und als die toten Arme
der kosmischen Stille es erneut umfingen, verließ ich die
Motorenkammer und erblickte mich selbst friedlich im Bett
schlummernd. Ich begriff sofort, daß ich das war, und zwar vom
Vortag, genauer: aus der Nacht zum Montag. Ohne mir über den
philosophischen Aspekt dieser recht eigenartigen Erscheinung
besondere Gedanken zu machen, begann ich sogleich, den Schlafenden
an der Schulter zu zerren und zu rufen, er möge rasch aufstehen;
ich wußte nämlich nicht, wie lange seine montägliche Existenz in
meiner dienstäglichen fortdauern würde, weshalb es angezeigt war,
möglichst schnell und gemeinsam die Steuerung
auszubessern.
Der Schlafende jedoch machte nur
ein Auge auf und sagte, daß er nicht wünsche, von mir geduzt zu
werden, dann meinte er, ich sei nur sein Traumgespinst. Vergebens
rüttelte ich ihn voller Ungeduld, vergebens versuchte ich, ihn mit
Gewalt aus dem Bett zu zerren. Er ließ sich auf nichts ein und
wiederholte hartnäckig, daß er mich träume; ich begann zu fluchen,
doch er erklärte mir logisch, daß er nirgends hingehen werde, denn
Schrauben, die man im Traum festziehe, würden die Steuerung in der
Wirklichkeit sowieso nicht festhalten. Vergebens gab ich ihm mein
Ehrenwort, daß er sich irre, beschwor und verfluchte ihn
abwechselnd – selbst die demonstrierten Warzen vermochten nicht,
ihn vom Wahrheitsgehalt meiner Worte zu überzeugen. Er drehte mir
den Rücken zu und begann zu schnarchen.
Ich setzte mich in den Sessel, um
die entstandene Lage kühl zu durchdenken. Ich hatte sie nun schon
zweimal erlebt, einmal als jener Schlafende, am Montag, und jetzt
als der ihn erfolglos Weckende, am Dienstag. Ich vom Montag glaubte
nicht an die Realität der Doppelungserscheinung, jedoch ich vom
Dienstag wußte von ihr. Das war die gewöhnlichste Zeitschleife von
der Welt. Was sollte ich somit tun, um die Steuerung auszubessern?
Da der vom Montag weiterschlief und ich mich außerdem erinnerte,
daß ich jene Nacht ausgezeichnet bis zum Morgen durchgeschlafen
hatte, begriff ich die Vergeblichkeit aller weiteren Versuche, ihn
zu wecken. Die Karte kündigte noch eine Vielzahl solcher großen
Gravitationsstrudel an, so konnte ich mit der Verdoppelung der
Jetztzeit in den kommenden Tagen rechnen. Ich wollte mir einen
Brief schreiben und ihn mit einer Stecknadel ans Kissen heften,
damit ich vom Montag, wenn ich aufwachte, mich mit eigenen Augen
davon überzeugen konnte, daß der angebliche Traum Wirklichkeit
war.
Kaum hatte ich mich jedoch mit
dem Federhalter an den Tisch gesetzt, da begann es in den Motoren
zu knirschen und zu rasseln. Ich eilte also dorthin und begoß die
überhitzte Atomsäule bis zum Morgengrauen mit Wasser, während jener
Ich vom Montag gemütlich schlief und sich von Zeit zu Zeit die
Lippen beleckte, was mich in ordentliche Wut versetzte. Hungrig und
erschöpft, ohne ein Auge zugemacht zu haben, bereitete ich mir das
Frühstück. Als ich gerade die Teller abtrocknete, geriet die Rakete
in den nächsten Gravitationsstrudel. Ich sah den Ich vom Montag,
wie er mich verdutzt ansah, an den Sessel gefesselt, während ich
vom Dienstag die Omeletten buk. Dabei verlor ich durch eine
Erschütterung das Gleichgewicht, mir wurde schwarz vor Augen, und
ich fiel hin. Als ich auf dem Fußboden inmitten von
Porzellansplittern zu mir kam, bemerkte ich dicht vor mir die Beine
eines über mir stehenden Menschen.
»Steh auf«, sagte er und hob mich
an, »hast du dir etwas getan?«
»Nein«, erwiderte ich, während
ich mich mit den Händen aufstützte, weil mir schwindlig war. »Von
welchem Wochentag bist du?«
»Vom Mittwoch«, antwortete er.
»Gehen wir rasch die Steuerung ausbessern, schade um die
Zeit!«
»Und wo ist der vom Montag?«
fragte ich.
»Der ist nicht mehr, das heißt…
der bist offenbar jetzt du.«
»Wieso ich?«
»Na, weil der vom Montag in der
Nacht vom Montag zum Dienstag der vom Dienstag geworden ist, und so
weiter.«
»Verstehe ich nicht!«
»Macht nichts, du bist es nur
nicht gewohnt. Aber komm, schade um die Zeit!«
»Gleich«, erwiderte ich, ohne
mich vom Fußboden zu erheben. »Heute ist Dienstag. Wenn du vom
Mittwoch bist und bis zu diesem Augenblick die Steuerung nicht
repariert ist, so geht daraus hervor, daß uns etwas daran hindern
wird, sie auszubessern, denn sonst würdest du mich am Mittwoch
nicht dazu bewegen wollen, daß ich sie am Dienstag mit dir
gemeinsam repariere. Vielleicht ist es also besser, wenn wir erst
gar nicht hinausgehen.«
»Du phantasierst!« rief er.
»Mann, ich bin vom Mittwoch, und du bist vom Dienstag, und was die
Rakete anlangt, so nehme ich an, daß sie sozusagen gefleckt ist,
das heißt, daß an einigen Stellen in ihr Dienstag ist, an anderen
Mittwoch, irgendwo vielleicht schon ein wenig Donnerstag. Die Zeit
hat sich beim Durchgang durch diesen Strudel einfach etwas
vermischt, aber was geht uns das an, wir sind zu zweit und haben
dadurch die Chance, die Steuerung in Ordnung zu bringen.«
»Nein, du bist im Unrecht!«
erwiderte ich. »Wenn am Mittwoch, wo du schon bist, nachdem du den
ganzen Dienstag durchlebt und ihn hinter dich gebracht hast, wenn
also, ich wiederhole, am Mittwoch die Steuerung nicht repariert
ist, so geht daraus hervor, daß sie am Dienstag nicht repariert
wurde, und wenn wir sie nach einer Weile ausgebessert haben
sollten, so wäre für dich diese Weile schon Vergangenheit und wir
hätten nichts auszubessern. Somit…«
»Somit bist du stur wie ein
Esel!« knurrte er. »Du wirst deine Dummheit noch bereuen! Meine
einzige Genugtuung ist, daß du dich ebenso über deine Sturheit
ärgern wirst wie ich jetzt – wenn du selbst erst den Mittwoch
erreichst!«
»Ach, einen Moment!« rief ich.
»Soll das heißen, daß ich am Mittwoch, wenn ich du sein werde,
versuche, den Ich vom Dienstag zu überzeugen, wie du das in diesem
Augenblick tust, nur daß dann alles umgekehrt sein wird? Du wirst
ich sein und ich du? Ich verstehe. Darin besteht ja die
Zeitschleife. Warte, ich komme, ich komme gleich, ich habe schon
begriffen…«
Bevor ich mich jedoch vom
Fußboden erhoben hatte, fielen wir in einen neuen Strudel, eine
ungeheure Schwerkraft drückte uns platt gegen die Decke.
Die entsetzlichen Sprünge und
Erschütterungen hörten die ganze Nacht von Dienstag zu Mittwoch
nicht auf. Als es etwas ruhiger geworden war, wurde ich von dem in
der Kajüte herumfliegenden Band der Allgemeinen Relativitätstheorie
an der Stirn getroffen und verlor das Bewußtsein. Als ich die Augen
aufschlug, erblickte ich das zerschlagene Geschirr und dazwischen
einen liegenden Menschen. Ich sprang sogleich auf und sagte,
während ich ihn aufhob: »Steh auf! Hast du dir etwas
getan?«
»Nein«, erwiderte er, während er
die Augen aufmachte. »Von welchem Wochentag bist du?«
»Vom Mittwoch«, antwortete ich.
»Gehen wir rasch die Steuerung ausbessern, schade um die
Zeit.«
»Und wo ist der vom Montag?«
fragte er, während er sich aufsetzte. Er hatte ein blaues
Auge.
»Der ist nicht mehr«, sagte ich,
»das heißt… der bist offenbar jetzt du.«
»Wieso ich?«
»Na, weil der vom Montag in der
Nacht vom Montag zum Dienstag der vom Dienstag geworden ist, und so
weiter.«
»Verstehe ich nicht.«
»Macht nichts, du bist es nur
nicht gewohnt. Aber komm, schade um die Zeit!«
Während ich das sagte, sah ich
mich schon nach dem Werkzeug um.
»Gleich«, erwiderte er langsam,
ohne auch nur einen Finger zu rühren. »Heute ist Dienstag. Wenn du
vom Mittwoch bist und bis zu diesem Augenblick die Steuerung nicht
repariert ist, so geht daraus hervor, daß uns etwas daran hindern
wird, sie auszubessern, denn sonst würdest du, am Mittwoch, mich
nicht dazu bewegen wollen, daß ich, am Dienstag, sie mit dir
gemeinsam repariere. Vielleicht ist es also besser, wenn wir erst
gar nicht hinausgehen.«
»Du phantasierst!« schrie ich in
äußerster Wut, »Mann, ich bin vom Mittwoch, und du bist vom
Dienstag…«
Und so begannen wir uns zu
streiten, in umgekehrten Rollen, wobei er mich tatsächlich bis zur
Weißglut brachte, denn er wollte immer noch nicht die Steuerung mit
mir in Ordnung bringen, und ich schimpfte ihn völlig vergebens
einen hartnäckigen Esel. Als es mir schließlich gelang, ihn zu
überzeugen, gerieten wir in den nächsten Gravitationsstrudel.
Kalter Schweiß trat mir auf die Stirn, als ich daran dachte, daß
wir uns nun in dieser Zeitschleife im Kreise drehen würden, bis in
alle Ewigkeit. Aber zum Glück war das nicht der Fall. Als sich die
Schwerkraft so weit verringert hatte, daß ich aufstehen konnte, war
ich wieder allein in der Kabine. Offenbar war der lokale Dienstag,
der vorher in der Nähe des Spülbeckens geherrscht hatte,
verschwunden und unwiederbringliche Vergangenheit geworden.
Sogleich setzte ich mich an die Karte auf der Suche nach einem
anständigen Strudel, in den ich das Schiff führen könnte, um erneut
eine Krümmung der Zeit hervorzurufen und auf diese Weise einen
Gehilfen zu gewinnen.
Ich fand denn auch einen, der
vielversprechend war, und gab, mühsam mit den Motoren manövrierend,
dem Raumschiff eine solche Richtung, daß wir den Strudel in der
Mitte schnitten. Zwar war die Konfiguration dieses Strudels, der
Sternkarte nach zu urteilen, höchst ungewöhnlich – er hatte zwei
nebeneinanderliegende Zentren –, aber ich war schon so verzweifelt,
daß ich diese Anomalie nicht beachtete.
Während meiner vielstündigen
Betriebsamkeit in der Motorenkammer hatte ich mir die Hände
ordentlich beschmutzt, also ging ich sie waschen, denn bis zum
Eintritt in den Strudel hatte ich noch viel Zeit. Das Bad war
verschlossen. Man hörte darin Laute, als ob jemand
gurgelte.
»Wer ist dort?« rief ich
überrascht.
»Ich«, erwiderte die Stimme aus
dem Inneren.
»Was denn nun wieder für ein
Ich?«
»Ijon Tichy.«
»Von welchem Tag?«
»Vom Freitag. Was willst
du?«
»Ich will mir die Hände
waschen…«, versetzte ich mechanisch, während ich gleichzeitig mit
höchster Intensität überlegte: Es war Mittwoch abend, und er
stammte vom Freitag, somit würde der Gravitationsstrudel, in den
das Schiff geraten sollte, die Zeit von Freitag bis Mittwoch
krümmen, aber was weiter innerhalb dieses Strudels geschehen würde,
konnte ich mir nicht vorstellen. Ganz besonders war ich gespannt,
wo der Donnerstag geblieben war. Inzwischen ließ der vom Freitag
mich noch immer nicht ins Bad, in dem er ganz offensichtlich
bummelte, obwohl ich hartnäckig an die Tür klopfte.
»Hör endlich auf zu gurgeln!«
donnerte ich schließlich voller Ungeduld. »Mann, jeder Augenblick
ist wertvoll – komm sofort heraus, wir wollen die Steuerung
reparieren!«
»Dazu brauchst du mich nicht«,
erwiderte er phlegmatisch hinter der Tür. »Irgendwo muß der vom
Donnerstag sein, geh mit ihm…«
»Was soll das nun wieder? Einer
vom Donnerstag? Das ist doch unmöglich…«
»Das muß ich wohl besser wissen,
wenn ich schon im Freitag bin und somit sowohl deinen Mittwoch als
auch seinen Donnerstag erlebt habe…«
Mit leichtem Schwindelgefühl
sprang ich von der Tür zurück, denn ich vernahm tatsächlich Lärm in
der Kajüte: Dort stand ein Mann und zog unter dem Bett ein Futteral
mit Werkzeug hervor.
»Bist du der vom Donnerstag!?«
rief ich, während ich in die Kajüte stürmte.
»Freilich«, erwiderte er.
»Natürlich… hilf mir mal…«
»Wird es uns jetzt gelingen, die
Steuerung auszubessern?« fragte ich, als wir gemeinsam die schwere
Tasche unterm Bett hervorzogen.
»Das weiß ich nicht, am
Donnerstag war sie noch nicht repariert, frag den vom
Freitag…«
In der Tat, das war mir nicht in
den Sinn gekommen! Rasch rannte ich zur Badtür.
»Hallo! Du vom Freitag! Ist die
Steuerung schon repariert?«
»Am Freitag nicht«, entgegnete er.
»Warum nicht?«
»Darum«, erwiderte er und machte
gleichzeitig die Tür auf. Sein Kopf war mit einem Handtuch
umwunden, an die Stirn drückte er flach eine Rasierklinge, um zu
verhindern, daß die Beule, groß wie ein Ei, noch mehr wuchs. Der
vom Donnerstag, der sich unterdessen mit dem Werkzeug genähert
hatte, stand neben mir und betrachtete seelenruhig und aufmerksam
den Verletzten, der mit der freien Hand die Flasche mit
Goulardwasser aufs Regal stellte. Das Glucksen hatte ich für
Gurgeln gehalten.
»Was hat dich denn so
zugerichtet?« fragte ich mitfühlend.
»Nicht was, sondern wer«,
erwiderte er. »Das war der vom Sonn
tag.«
»Einer vom Sonntag? Aber wieso…
Das kann nicht sein!« rief ich.
»Das ist eine längere
Geschichte…«
»Einerlei! Eilen wir jetzt nach
oben, vielleicht schaffen wir es!« sagte der vom Donnerstag zu
mir.
»Aber wir geraten doch gleich in
einen Strudel«, antwortete ich. »Eine Erschütterung wird uns ins
Vakuum schleudern, und wir kommen um…«
»Red keine Dummheiten«, erwiderte
der vom Donnerstag. »Wenn der vom Freitag lebt, dann kann uns
nichts passieren. Heute ist erst Donnerstag.«
»Es ist Mittwoch«, protestierte
ich.
»Mag sein, das ist gleich, auf
jeden Fall werde ich am Freitag le
ben, und du genauso.«
»Aber wir sind doch nur scheinbar
zwei Personen«, bemerkte ich. »Ich bin wirklich nur einer,
lediglich von verschiedenen Wochentagen…«
»Schon gut, schon gut, öffne die
Klappe.«
Hier erwies es sich jedoch, daß
wir nur einen Raumanzug für das Vakuum hatten. Wir konnten also
nicht beide gleichzeitig aussteigen, damit mußte der Plan, die
Steuerung zu reparieren, fallengelassen werden.
»Hol euch der Kuckuck!« rief ich
erbost und warf die Tasche mit dem Werkzeug hin. »Man hätte den
Skaphander anziehen und ihn nicht wieder ablegen sollen. Ich hatte
nicht daran gedacht, aber du, als der vom Donnerstag, hättest daran
denken müssen!«
»Den Raumanzug hat mir der vom
Freitag weggenommen«, erwiderte er.
»Wann? Und warum?«
»Ach, das ist nicht der Rede
wert.« Er zuckte mit den Schultern, drehte sich um und ging zur
Kajüte. Der vom Freitag war nicht darin, ich warf einen Blick ins
Bad, aber es war ebenfalls leer.
»Wo ist der vom Freitag?« fragte
ich erstaunt, als ich zurückkehrte. Der vom Donnerstag zerschlug
systematisch Eier mit dem Messer und ließ ihren Inhalt ins
brutzelnde Fett fallen.
»Sicherlich irgendwo in der Nähe
vom Sonnabend«, erwiderte er gelassen, während er rasch das Rührei
mischte.
»O nein«, protestierte ich. »Du
hast doch schon am Mittwoch dein Teil gegessen und hast nicht das
Recht, das Mittwochabendbrot zum zweitenmal zu essen!«
»Der Vorrat gehört ebensogut dir
wie mir«, antwortete er, während er seelenruhig die festgebackenen
Ränder des Rühreis mit dem Messer anhob. »Ich bin du, und du bist
ich, somit ist es einerlei…«
Die Bratpfanne fiel ihm aus der
Hand, ich selbst flog gegen die Wand – wir waren erneut in einen
Strudel geraten. Das Raumschiff bebte wie im Fieber, und ich dachte
nur an eins: Wie ich in den Gang, wo der Skaphander hing, kommen
und den Raumanzug anziehen könnte. Somit werde ich, sagte ich mir,
sobald der Donnerstag anbricht, als der vom Donnerstag bereits den
Skaphander anhaben, und wenn ich ihn auch nicht für einen
Augenblick aus ziehe, wie ich mir das fest vorgenommen habe, dann
werde ich ihn auch am Freitag tragen. Wenn ich also sowohl am
Donnerstag als auch am Freitag einen Raumanzug anhaben werde, wird
es am Ende doch möglich sein, die unselige Steuerung zu reparieren,
sobald wir in einer Jetztzeit einander begegnen.
Die zunehmende Schwerkraft hatte meine Sinne
etwas getrübt, aber als ich die Lider aufschlug, bemerkte ich, daß
ich rechts von dem vom Donnerstag lag und nicht zu seiner Linken,
wie noch vor einer Viertelstunde. Es war leichter, den Plan mit dem
Raumanzug auszudenken, als ihn in die Tat umzusetzen, denn ich
konnte mich wegen der wachsenden Gravitation kaum bewegen. Sobald
diese nur ein wenig nachließ, rückte ich Millimeter um Millimeter
zur Tür vor, die zum Gang führte. Ich bemerkte bald dabei, daß auch
der vom Donnerstag Zoll um Zoll zur Tür kroch. Schließlich, etwa
nach einer Stunde, denn der Strudel war ziemlich ausgedehnt,
begegneten wir einander, am Boden kriechend, vor der Türschwelle.
Ich überlegte, daß ich mich eigentlich unnötig anstrengte, die
Klinke zu erreichen – mochte der vom Donnerstag die Tür öffnen.
Gleichzeitig begann ich mich verschiedener Dinge zu erinnern, aus
denen hervorging, daß ich nunmehr der vom Donnerstag war und nicht
er.
»Von welchem Tag bist du?« fragte
ich, um mich zu vergewissern. Mein Kinn war an den Fußboden
gepreßt, und ich schaute ihm aus der Nähe in die Augen. Mühsam
öffnete er den Mund.
»Der vom Donnerstag«, stöhnte er.
Das war eigenartig. Sollte ich trotz allem noch der vom Mittwoch
sein? Ich rief mir die letzten Erlebnisse in Erinnerung und hielt
das für ausgeschlossen. Er war wahrscheinlich schon vom Freitag.
Denn wenn er mir um einen Tag voraus war, mußte das wohl so
bleiben. Ich wartete, daß er die Tür öffnete, aber er schien von
mir das gleiche zu erwarten. Die Gravitation wurde merklich
schwächer. Ich stand auf und lief in den Gang. Als ich den
Skaphander ergriff, stellte er mir ein Bein und riß ihn mir aus der
Hand. Ich schlug der Länge nach hin.
»Ach, du Schuft, du Schwein!«
rief ich. »Sich selbst hintergehen, welch eine
Schurkerei!«
Er aber zog, ohne mich zu
beachten, schweigend den Raumanzug an. Das schien mir denn doch der
Gipfel der Unverschämtheit zu sein. Plötzlich warf ihn eine
merkwürdige Kraft aus dem Skaphander, in dem offenbar schon jemand
saß. Im ersten Augenblick verlor ich die Fassung, denn ich wußte
nicht mehr, wer welcher war.
»He, du vom Mittwoch!« rief der
im Skaphander, »laß den vom Donnerstag nicht los, hilf
mir!«
Der vom Donnerstag versuchte
tatsächlich, den Raumanzug von ihm herunterzureißen.
»Gib den Skaphander her!« brüllte
der vom Donnerstag, während er mit jenem rang.
»Laß mich los! Was willst du?
Begreifst du denn nicht, daß ich ihn haben muß und nicht du!?« rief
jener.
»Da bin ich aber neugierig.
Weshalb denn?«
»Deshalb, du Esel, weil ich es
näher zum Sonnabend habe als du, und am Sonnabend sind dann schon
zwei von uns in Raumanzügen!«
»Aber das ist ja Unfug«, warf ich
ein. »Bestenfalls wirst du am Sonnabend allein im Skaphander
stecken, wie der letzte Tölpel, und wirst nichts tun können. Gib
den Skaphander mir. Wenn ich ihn jetzt anziehe, dann wirst du ihn
am Freitag als der vom Freitag haben und auch ich am Sonnabend als
der vom Sonnabend. Wir werden also zu zweit Skaphander tragen… Du
vom Donnerstag, hilf mir!«
»Hör auf«, protestierte der vom
Freitag, von dem ich mit Gewalt den Raumanzug herunterzog. »Erstens
hast du keinen mehr, den du mit ›der vom Donnerstag‹ anreden
könntest, weil jetzt Mitternacht vorüber ist und du nun selbst der
vom Donnerstag bist, und zweitens wird es besser sein, wenn ich im
Skaphander verbleibe – du wirst sowieso nichts davon
haben…«
»Warum? Wenn ich ihn heute
anlege, habe ich ihn auch morgen an!«
»Du wirst dich selbst überzeugen.
Ich bin ja schon du gewesen, nämlich am Donnerstag, mein Donnerstag
ist vorüber, also weiß ich es genau…«
»Genug jetzt mit dem Gerede. Gib
das sofort her!« knurrte ich wütend. Aber er riß sich los, und ich
begann ihn zu jagen, zuerst in der Motorenkammer, dann stürmten wir
einer nach dem anderen in die Kajüte. In der Tat, etwas war
geschehen, denn wir waren jetzt nur noch zu zweit. Nun begriff ich
auch, weshalb der vom Donnerstag, als wir mit dem Werkzeug durch
die Ausstiegluke wollten, zu mir gesagt hatte, der vom Freitag habe
ihm den Skaphander weggenommen: In der Zwischenzeit war ich nämlich
der vom Donnerstag geworden, und der vom Freitag hatte ihn mir
weggenommen. Aber ich beabsichtigte nicht, so schnell aufzustecken.
Warte, ich werde schon noch ein Mittel finden, überlegte ich,
rannte in den Gang, von dort zur Motorenkammer, wo ich während der
Jagd auf dem Fußboden einen Knüppel bemerkt hatte, der zum Wühlen
in der Atomsäule diente, ergriff ihn und eilte so bewaffnet in die
Kajüte. Der andere steckte bereits im Raumanzug, nur den Helm hatte
er noch nicht aufgesetzt.
»Zieh den Skaphander aus!« schrie
ich ihm ins Gesicht und schwang drohend den Knüppel.
»Ich denke nicht
daran.«
»Zieh ihn aus, sage ich
dir!«
Eine Weile überlegte ich, ob ich
ihm einen Schlag versetzen sollte. Ich war ein wenig unsicher, weil
er weder ein blaues Auge noch Beulen am Kopf hatte, wie der vom
Freitag, den ich im Bad entdeckt hatte, aber plötzlich begriff ich,
daß es so sein müsse. Jener vom Freitag war jetzt bestimmt schon
der vom Sonnabend, vielleicht tummelte er sich sogar schon in den
Gefilden des Sonntags, hingegen war der vom Freitag, der im
Skaphander stak, unlängst der vom Donnerstag gewesen, in den ich
mich wiederum um Mitternacht verwandelt hatte, so näherte ich mich
über die absteigende Kurve der Zeitschleife der Stelle, wo der vom
Freitag vor dem Geschlagenwerden sich in den geschlagenen
Freitag-Tichy verwandeln sollte. Aber der hatte mir vorher gesagt,
daß der vom Sonntag ihn so zugerichtet habe; von dem indessen war
nicht die geringste Spur zu entdecken. In der Kajüte waren wir
allein, er und ich. Eine plötzliche List erfüllte mein Hirn mit
blendender Erleuchtung.
»Zieh den Skaphander aus!«
donnerte ich drohend.
»Du vom Donnerstag, laß mich in
Ruhe!« rief jener.
»Ich bin nicht vom Donnerstag!
Ich bin der vom SONNTAG!« brüllte ich und griff an. Er versuchte,
mir einen Fußtritt zu versetzen, aber die Schuhe des Raumanzugs
sind sehr schwer, und bevor er den Fuß hoch bekam, hatte ich ihm
bereits den Knüppel über den Kopf geschlagen. Nicht zu heftig,
versteht sich, denn so viel Erfahrung hatte ich schon, daß ich
wußte, ich selbst würde, wenn ich aus dem vom Donnerstag der vom
Freitag geworden war, etwas am Kopf abbekommen, und mir lag nicht
viel daran, mir selbst den Schädel zu zertrümmern. Der vom Freitag
fiel hin und hielt sich stöhnend den Kopf. Ich zog ihm brutal den
Raumanzug vom Leib. Als er schwankenden Schrittes ins Bad ging und
murmelte: »Wo ist die Watte… Wo ist das Goulardwasser…«, legte ich
rasch den Skaphander an, um den wir so erbittert gekämpft hatten.
Da entdeckte ich plötzlich unter dem Bett ein menschliches Bein.
Ich kniete nieder und sah: Ein Mensch lag dort und verschlang,
mühsam das Schmatzen unterdrückend, die letzte Tafel
Milchschokolade, die ich im kleinen Koffer für eine schwarze
galaktische Stunde aufgehoben hatte. Der Gauner hatte es so eilig,
daß er die Schokolade mit der Papierfolie aß.
»Wirst du wohl die Schokolade
liegenlassen!« herrschte ich ihn an und zog ihn am Bein. »Wer bist
du? Der vom Donnerstag?…« fragte ich schon leiser und mit
plötzlicher Unruhe, denn ich dachte mir, daß ich jetzt vielleicht
schon der vom Freitag wurde und die Schläge kassieren müßte, die
ich zuvor dem vom Freitag verabreicht hatte.
»Ich bin der vom Sonntag«,
stammelte er mit vollem Mund. Mir wurde schwindlig. Entweder log
er, dann hatte das keine Bedeutung, oder er sprach die Wahrheit,
dann drohten mir die Beulen, denn es hatte ja der vom Sonntag den
vom Freitag geschlagen, und der vom Freitag hatte es mir zuvor
gesagt, und ich hatte mich danach für den vom Sonntag ausgegeben
und ihm eins mit dem Knüppel versetzt. Aber, so dachte ich mir,
selbst wenn er log, daß er der vom Sonntag sei, so ist es doch
möglich, daß er später ist als ich, und wenn er später ist, kann er
sich an all das erinnern, was ich weiß, und somit weiß er schon,
daß ich den vom Freitag belogen habe, also kann er mich auf die
gleiche Art und Weise betrügen, weil das, was meine Kriegslist war,
für ihn einfach nur eine Erinnerung ist, aus der er ungehindert
Nutzen ziehen kann. Während ich noch schwankte, was zu tun sei,
hatte er den Rest der Schokolade aufgegessen und war unter dem Bett
hervorgekrochen.
»Wenn du der vom Sonntag bist, wo
steckt dann der Skaphander?« rief ich, von einem neuen Gedanken
beseelt.
»Gleich werde ich ihn haben«,
sagte er ruhig, und plötzlich bemerkte ich in seinen Händen einen
Knüppel… Vor meinen Augen zuckte ein Blitz auf, als wäre ein
Dutzend Supernovas auf einmal explodiert, danach verlor ich das
Bewußtsein. Als ich zu mir kam, saß ich auf dem Fußboden im Bad.
Jemand schlug an die Tür. Ich begann, meine blauen Flecken und
Beulen zu verbinden, aber jener pochte noch immer. Es stellte sich
heraus, daß das der vom Mittwoch war. Ich zeigte ihm nach einer
Weile meinen zerbeulten Kopf, und er ging mit dem vom Donnerstag
das Werkzeug holen, dann gab es ein Hin und Her, ein Zerren am
Skaphander, schließlich hatte ich auch das irgendwie überlebt und
kroch am Sonnabendabend unters Bett, um festzustellen, ob da im
Koffer nicht ein Stück Schokolade sei. Als ich gerade die letzte
Tafel aufaß, die ich unter den Hemden entdeckt hatte, zog mich
jemand am Bein. Das war nun schon weiß Gott wer, aber auf alle
Fälle schlug ich ihm mit dem Knüppel auf den Kopf, zog ihm den
Skaphander aus und wollte ihn gerade anlegen, da geriet das
Raumschiff in den nächsten Strudel.
Als ich das Bewußtsein
wiedererlangte, war die Kajüte voller Menschen. Man konnte sich
darin kaum bewegen. Wie es sich herausstellte, waren alle ich, von
verschiedenen Tagen, Wochen, Monaten, und einer stammte angeblich
sogar aus dem künftigen Jahr. Eine Anzahl Personen hatte Beulen und
ein blaues Auge, und fünf der Anwesenden trugen einen Raumanzug.
Doch anstatt sofort durch die Klappe zu gehen, um den Schaden zu
beheben, begannen sie zu streiten, zu feilschen, zu diskutieren und
zu zanken. Es ging darum, wer wen und wann geschlagen hatte. Die
Lage war erstens dadurch kompliziert, daß nunmehr auch solche vom
Vormittag und vom Nachmittag auftraten und ich fürchten mußte, daß,
falls es so weiterginge, ich mich in Minuten- und SekundenTichys
aufspalten würde; zweitens logen die meisten Anwesenden wie
gedruckt, so daß ich wirklich bis heute noch nicht weiß, wen ich
geschlagen habe und wer mich geschlagen hat, als sich jene
Dreiecksgeschichte zwischen dem vom Donnerstag, vom Freitag und vom
Mittwoch, die ich der Reihe nach gewesen war, ereignet hatte. Ich
habe den Eindruck, daß ich dadurch, daß ich den vom Freitag selbst
belogen hatte, indem ich mich für den vom Sonntag ausgab, eins mehr
abbekommen habe, als es der Kalenderrechnung nach erforderlich
gewesen wäre. Aber ich ziehe es vor, nicht mehr in Gedanken zu
jenen unangenehmen Erinnerungen zurückzukehren, denn ein Mensch,
der eine ganze Woche lang nichts anderes getan hat, als sich selbst
zu schlagen, hat wenig Anlaß, stolz darauf zu sein.
Die Zwistigkeiten gingen
unterdessen weiter. Verzweiflung erfaßte einen beim Anblick solcher
Untätigkeit und Zeitverschwendung, während das Raumschiff
blindlings vor sich hin raste und immer wieder in kosmische
Gravitationsstrudel geriet. Zu guter Letzt schlugen sich jene in
Raumanzügen mit denen ohne Raumanzug, Ich versuchte, eine Ordnung
in dieses nun schon völlige Chaos hineinzubringen. Schließlich
glückte es mir, nach schier übermenschlichen Anstrengungen so etwas
wie eine Versammlung zu organisieren, wobei der vom künftigen Jahr,
gewissermaßen als der Älteste, durch Zuruf zum Vorsitzenden
bestimmt wurde.
Dann wählten wir noch eine
Untersuchungskommission, einen Betreuungsausschuß und einen
Ausschuß für freie Eingaben; vier vom künftigen Monat wurden mit
dem Ordnungsdienst betraut. In der Zwischenzeit passierten wir
jedoch einen negativen Strudel, der unsere Zahl bis auf die Hälfte
herabminderte, so daß bei der einleitenden geheimen Abstimmung das
Quorum fehlte und vor der Wahl der Kandidaten für die Reparatur der
Steuerungsvorrichtung das Statut geändert werden mußte. Die
Sternkarte kündigte das Nahen erneuter Strudel an, die bald die
bisherigen Errungenschaften zunichte machten: Einmal verschwanden
die bisherigen gewählten Kandidaten, dann wieder erschienen der vom
Dienstag und der vom Freitag, Handtücher um den Kopf gewunden, und
hoben ein widerliches Gezänk an. Nachdem wir einen besonders
starken positiven Strudel durchmessen hatten, fanden wir in der
Kajüte und im Gang kaum Platz, und vom Öffnen der Klappe konnte
wegen der großen Enge keine Rede sein. Am schlimmsten war jedoch,
daß die Ausmaße der zeitlichen Verschiebungen immer größer wurden,
es erschienen bereits Grauhaarige, während man hier und da die
kurzgeschorenen Köpfe von Kindern sehen konnte, aber natürlich war
das alles ich selbst.
Fürwahr, ich erinnere mich nicht
mehr, ob ich noch immer der vom Sonntag war oder bereits der vom
Montag. Übrigens hatte das ohnehin keine Bedeutung mehr. Die Kinder
weinten, weil man sie im Gedränge drückte, und schrien nach der
Mutter, der Vorsitzende – der Tichy aus dem künftigen Jahr –
fluchte wie ein Kesselflicker, weil der vom Mittwoch, der auf der
vergeblichen Suche nach Schokolade unters Bett gekrochen war, ihn
ins Bein gebissen hatte, als der ihm auf den Finger getreten war.
Ich sah, daß das alles schlimm enden würde, zumal sich hier und da
schon graue Bärte zeigten. Zwischen dem 142. und dem 143. Strudel
ließ ich eine Anwesenheitsliste herumreichen, aber da wurde
offenkundig, daß viele der Anwesenden betrogen. Sie machten falsche
Angaben zur Person. Gott allein mag wissen, weshalb; vielleicht
hatte die herrschende Atmosphäre ihre Sinne getrübt. Der Lärm und
das Getöse schwollen dermaßen an, daß man sich nur schreiend
verständigen konnte. Plötzlich hatte einer der vorjährigen Ijons
einen, wie es schien, glänzenden Einfall: Der Älteste von uns
sollte die Geschichte seines Lebens erzählen. Dadurch würde geklärt
werden, wer eigentlich die Steuerung zu reparieren habe, denn der
Älteste barg in seiner vergangenen Erfahrung alle Gegenwärtigen aus
den verschiedenen Monaten, Tagen und Jahren. Wir wandten uns also
an einen silberhaarigen Greis, der leicht zitternd in einer Ecke
das Mauerblümchen spielte. Er begann uns des langen und breiten von
seinen Kindern und Enkeln zu erzählen und ging dann auf die
kosmischen Reisen ein, von denen er während seines neunzigjährigen
Lebens unzählige erlebt hatte. An diejenige, die gerade vonstatten
ging und die für uns die einzig wichtige war, erinnerte sich der
Greis infolge einer allgemeinen Sklerose und Erregung überhaupt
nicht mehr, aber er war derart eingebildet, daß er das nicht
zugeben wollte und stets ausweichend antwortete, wobei er sich auf
seine Beziehungen zu höher gestellten Kreisen, auf seine Orden und
auf seine Enkel berief, so daß wir ihn schließlich niederschrien
und ihm Schweigen geboten. Die nächsten beiden Strudel dezimierten
die Versammelten scheußlich. Nach dem dritten wurde es nicht nur
lichter im Schiff, es waren auch alle ver schwunden, die einen
Skaphander trugen. Nur ein leerer Raumanzug blieb zurück, den wir
auf Grund der Entschließung einer Sonderkommission im Gang
aufhängten; danach kehrten wir zu unseren Beratungen zurück. Nach
einer erneuten Schlägerei um die Inbesitznahme dieser so wertvollen
Kleidung kam wieder ein Strudel, und es wurde plötzlich leer. Ich
saß auf dem Fußboden, mit geschwollenen Augen, in einer eigenartig
geräumigen Kajüte, inmitten von zerschlagenen
Einrichtungsgegenständen, Kleidungsfetzen und zerrissenen Büchern.
Der Fußboden war mit Abstimmzetteln übersät. Die Sternkarte sagte
mir, daß ich nunmehr die ganze Zone der Gravitationsstrudel
durchquert hatte. Da ich nicht mehr mit einer Verdoppelung und
somit auch nicht mit der Behebung des Schadens rechnen konnte,
bemächtigten sich meiner Verzweiflung und Erstarrung. Als ich nach
etwa einer Stunde einen Blick in den Gang warf, bemerkte ich
erstaunt, daß der Skaphander fehlte. Da erinnerte ich mich wie
durch einen Nebelschleier, daß bereits kurz vor dem letzten Strudel
zwei Jungen heimlich in den Gang geschlichen waren. Sollten die
beiden etwa zu zweit einen Skaphander angezogen haben? Wie
elektrisiert stürzte ich zur Steuerung. Sie funktionierte! Somit
hatten die Knirpse den Schaden behoben, während wir in
unfruchtbaren Streit verstrickt waren. Ich nehme an, daß der eine
seine Hände in die Ärmel und der andere in die Hosenbeine des
Raumanzugs gesteckt hatte; auf diese Weise konnten sie die
Schlüssel zum Festschrauben der Muttern auf beiden Seiten der
Steuerung gleichzeitig halten. Den leeren Skaphander entdeckte ich
in der Druckkammer, hinter der Klappe. Wie eine Reliquie trug ich
ihn in das Innere des Schiffs, während ich im Herzen unsägliche
Dankbarkeit für diese waghalsigen Jungen empfand, die ich vor so
langer Zeit gewesen war. So endete dieses wohl eigenartigste meiner
Abenteuer. Ich erreichte glücklich das Ziel meiner Reise dank der
Intelligenz und dem Mut, die ich in Gestalt zweier Kinder offenbart
hatte.
Man erzählte sich später, ich
hätte mir diese Geschichte ausgedacht, und die Boshafteren gingen
so weit, mir anzudichten, ich hätte eine Schwäche für Alkohol, die
ich auf der Erde sorgsam verheimlichte, der ich mich jedoch auf
meinen langjährigen Weltraumreisen hemmungslos hingäbe. Gott allein
weiß, was alles für Gerüchte hierüber verbreitet wurden – aber so
sind nun mal die Menschen: Sie glauben eher den
unwahrscheinlichsten Unfug als authentische Tatsachen, die ich mir
hier darzulegen erlaubt habe.
ACHTE
REISE
So war es nun doch geschehen. Ich war
Delegierter der Erde bei der Organisation der Vereinten Planeten
oder, genauer, Kandidat, obwohl auch das nicht ganz zutraf, denn
die Vollversammlung sollte nicht meine Kandidatur, sondern die der
gesamten Erdbevölkerung beraten.
In meinem ganzen Leben hatte ich
nicht solch ein Lampenfieber gehabt. Die ausgetrocknete Zunge
schlug wie ein Pflock gegen die Zähne, und als ich aus dem Astrobus
stieg und über den roten Teppich ging, wußte ich nicht, ob der so
weich unter mir nachgab oder ob es meine Knie waren. Es war mit
Ansprachen zu rechnen, und ich hätte nicht ein Wort hervorbringen
können, die Kehle war mir wie ausgedorrt. Als ich vor Aufregung nun
eine große leuchtende Maschine mit verchromtem Ausschank und
kleinen Schlitzen für die Münzen erblickte, warf ich so schnell wie
möglich eine hinein und hielt den Becher der Thermosflasche, den
ich vorsorglich bei mir führte, unter den Hahn. Das war der erste
interplanetare diplomatische Fauxpas der Menschheit auf dem Parkett
der Milchstraße, denn der scheinbare Automat für Sodawasser erwies
sich als der Stellvertreter des tarrakanischen Delegationsleiters
in voller Gala. Zum Glück waren es gerade die Tarrakaner, die
unsere Kandidatur auf der Vollversammlung befürworten wollten. Ich
erfuhr das jedoch erst später, und so nahm ich den Umstand, daß
jener hohe Diplomat mir die Schuhe bespie, für ein böses Zeichen,
fälschlicherweise, denn das war nur eine aromatische Ausscheidung
seiner Begrüßungsdrüsen. Ich begriff das, nachdem ich eine
informativ-translative Tablette geschluckt hatte, die mir von einem
wohlgesinnten Angestellten der OVP gereicht wurde. Sogleich
verwandelten sich die klirrenden Laute ringsum in verständliche
Worte und das Rechteck aus Aluminiumkegeln am Ende des
Plüschteppichs in eine halbe Ehrenkompanie. Der zu meiner Begrüßung
erschienene Tarrakaner, der mich bis dahin an einen sehr großen
Striezel erinnert hatte, kam mir auf einmal wie ein alter Bekannter
mit einem völlig durchschnittlichen Äußeren vor. Nur das
Lampenfieber wich nicht. Ein kleiner Wagen rollte heran, der eigens
zum Transport solch zweibeiniger Wesen wie ich konstruiert worden
war. Der mich begleitende Tarrakaner zwängte sich unter großen
Mühen hinein und sagte, während er an meiner Linken und zugleich an
meiner Rechten Platz nahm: »Verehrter Erdbewohner, ich muß Sie
davon in Kenntnis setzen, daß eine geringfügige Komplikation im
Ablauf eingetreten ist. Sie hängt damit zusammen, daß der
eigentliche Vorsitzende unserer Delegation, der als Experte für
Erdfragen am meisten dazu berufen wäre, Ihre Kandidatur auf die
Tagesordnung zu bringen, leider gestern abend in die Hauptstadt
zurückbeordert wurde und ich ihn vertreten soll. Ist Ihnen das
Protokoll bekannt…?«
»Nein… Ich hatte noch keine
Gelegenheit, es einzusehen«, stammelte ich, während ich vergebens
versuchte, es mir bequem zu machen, aber der Sitz war nicht
ausreichend für die Bedürfnisse des menschlichen Körpers
eingerichtet. Er war einfach eine Grube von fast einem halben Meter
Tiefe, so daß ich bei Schlaglöchern mit den Knien gegen die Stirn
stieß.
»Nun, da ist nichts zu machen«,
sagte der Tarrakaner. Sein faltiges, in kantigen Formen von
metallischem Glanz zurechtgebügeltes Gewand, das ich vorher für
einen Ausschank gehalten hatte, gab einen leisen Ton von sich,
indes er selbst sich räusperte und in seiner Rede fortfuhr: »Eure
Geschichte ist mir bekannt. Was für eine herrliche Sache, die
Menschheit! Freilich, alles zu wissen gehört zu meinen Pflichten.
Unsere Delegation wird zum Punkt dreiundachtzig der Tagesordnung
sprechen und vorschlagen, euch als vollberechtigtes, ordentliches
Mitglied der Organisation aufzunehmen… Das Beglaubigungsschreiben
haben Sie doch nicht etwa verloren?« warf er so überraschend ein,
daß ich erbebte und heftig verneinte. Ich hielt die Pergamentrolle,
die vom Schweiß schon etwas durchweicht war, fest mit meiner
Rechten umklammert.
»Gut«, hob er von neuem an, »ich
werde also, nicht wahr, eine Rede halten und eure großen
Errungenschaften darlegen, dank denen ihr berufen seid, einen Platz
in der Sternenliga einzunehmen… Das ist, müssen Sie verstehen, eine
altmodische Formalität. Ihr rechnet doch nicht etwa mit
oppositionellen Auftritten, wie?«
»Nein… Ich glaube kaum«,
versetzte ich leichthin.
»Natürlich! Woher auch! Also eine
Formalität, nicht wahr, dennoch benötige ich gewisse Angaben.
Fakten, Einzelheiten, verstehen Sie? Verfügt ihr über die
Atomenergie?«
»Selbstverständlich!« versicherte
ich eilfertig.
»Wunderbar. Richtig, das habe ich
ja hier. Der Vorsitzende hat mir seine Notizen dagelassen, aber
seine Schrift, na ja, also, wie lange verfügt ihr schon über diese
Energie?«
»Seit dem 6. August
1945!«
»Ausgezeichnet. Was war das? Die
erste Atomkraftstation?«
»Nein«, erwiderte ich; ich
spürte, wie ich rot wurde. »Es war die erste Atombombe. Sie
zerstörte Hiroschima…«
»Hiroschima? Etwa einen
Meteor?«
»Keinen Meteor… Eine
Stadt.«
»Eine Stadt…«, sagte er mit einer
gewissen Unruhe. »Wie soll man das sagen…« Er sann eine Weile nach.
»Besser, gar nichts sagen«, entschied er plötzlich. »Nun gut, aber
gewisse positive Seiten muß ich unbedingt anführen. Bitte nennen
Sie etwas, rasch, gleich sind wir da.«
»Äh… äh… die kosmischen Flüge«,
begann ich.
»Die verstehen sich von selbst,
sonst wären Sie nicht hier«, erklärte er, etwas zu schnippisch, wie
ich meinte. »Wofür verwendet ihr den größten Teil eures
Nationaleinkommens? Na, bitte erinnern Sie sich, vielleicht
irgendwelche gewaltigen Produktionsanlagen, Architektur im
kosmischen Maßstab, Startrampen auf Sonnenschwerkraftbasis, wie?«
suggerierte er mir hastig.
»O ja, es wird gebaut, o ja…«,
versetzte ich. »Das Nationaleinkommen ist nicht allzu hoch, viel
verschlingt die Rüstung…«
»Was rüstet ihr denn aus?
Kontinente? Gegen Erdbeben?«
»Nein… Soldaten… Ganze
Armeen…«
»Was ist das? Ein
Hobby?«
»Kein Hobby… Innere Konflikte«,
stammelte ich.
»Das ist keine Empfehlung«, sagte
er mit sichtlichem Unbehagen. »Aber Sie sind doch nicht
schnurstracks aus einer Höhle hierhergekommen! Eure Gelehrten
müßten doch längst berechnet haben, daß eine planetarische
Zusammenarbeit stets nutzbringender ist als ein Kampf um Beute und
um Hegemonie!«
»Sie haben es, sie haben es, aber
es gibt Ursachen… historischer Natur zum Beispiel.«
»Lassen wir das!« sagte er. »Ich
habe euch doch hier nicht als Angeklagte zu verteidigen, sondern
euch zu empfehlen, eure Verdienste aufzuzählen und eure Tugenden.
Verstehen Sie mich?«
»Ich verstehe.«
Meine Zunge war so steif, als
wäre sie eingefrostet, der Kragen des Frackhemds würgte, der
Brustlatz wurde weich vom Schweiß, der in Strömen floß, ich blieb
mit den Beglaubigungsschreiben an den Orden hängen und riß den
obersten Bogen ein. Der Tarrakaner, in Gedanken schon mit anderen
Dingen beschäftigt, wurde ungeduldig; er versetzte in
herrisch-verächtlichem Ton, jedoch mit unerwarteter Ruhe und
Sanftmut (ein ausgefuchster Diplomat!): »Dann werde ich lieber von
eurer Kultur sprechen. Von euren großen Errungenschaften auf diesem
Gebiet. Ihr besitzt doch eine Kultur?« fragte er
unvermittelt.
»O ja, wir haben eine!
Wunderbar!« versicherte ich.
»Das ist gut. Kunst?«
»O ja! Musik, Poesie,
Architektur…«
»Also doch Architektur!« rief er.
»Vortrefflich. Das muß ich mir notieren. Explosive
Mittel?«
»Wieso explosive?«
»Na, schöpferische Explosionen,
gesteuerte, zur Klimaregelung, zum Verschieben von Kontinenten, von
Flußbetten – habt ihr das?«
»Vorläufig nur Bomben…«, sagte
ich und fügte flüsternd hinzu: »Aber unterschiedliche,
Napalmbomben, Phosphorbomben, sogar mit Giftgas…«
»Das meinte ich nicht«, sagte er
trocken. »Ich werde mich schon lieber an das geistige Leben halten.
Woran glaubt ihr?«
Dieser Tarrakaner, der uns
empfehlen sollte, war, wie ich bereits bemerkt hatte, kein Experte
in irdischen Fragen, und der Gedanke, daß ein Wesen von derartiger
Ignoranz in Kürze durch seinen Auftritt über unser Sein oder
Nichtsein im Forum der ganzen Milchstraße entscheiden sollte,
benahm mir, offen gesagt, den Atem. Was für ein Pech, sagte ich
mir, daß sie ausgerechnet den richtigen, den einen Erdexperten
abberufen haben!
»Wir glauben an die allgemeine
Brüderlichkeit, an den Vorrang von Frieden und Zusammenarbeit
gegenüber Krieg und Haß, wir glauben, daß der Mensch das Maß aller
Dinge sein muß…«
Er legte seine schwere Lehnte auf
mein Knie. »Warum der Mensch?« sagte er. »Übrigens ist das nicht so
wichtig. Aber Ihre Aufzählung ist negativ: kein Krieg, kein Haß… Um
der Milchstraße willen, habt ihr denn keine positiven
Ideale?«
Mir wurde heiß. »Wir glauben an
den Fortschritt, an ein besseres Morgen, an die Macht der
Wissenschaft…«
»Endlich etwas!« rief er aus.
»Jawohl, die Wissenschaft… Das ist gut, das kann ich gebrauchen.
Für welche Wissenschaften gebt ihr am meisten aus?«
»Für die Physik«, erwiderte ich.
»Für die Atomenergieforschung.«
»Nun weiß ich Bescheid. Wissen
Sie was? Sie brauchen nur zu schweigen. Ich werde mich schon der
Sache annehmen und die Rede halten. Bitte überlassen Sie alles mir.
Nur Mut!« In diesem Augenblick hielt unser Gefährt vor einem
Gebäude. Mir drehte sich alles im Kopf. Ich wurde durch kristallene
Gänge geführt, unsichtbare Schranken glitten mit melodischem
Seufzen auseinander, dann raste ich hinunter, hinauf, wieder
hinunter, der Tarrakaner stand neben mir, riesenhaft, schweigend,
in welliges Metall gehüllt. Plötzlich erstarrte alles, ein glasiger
Ballon blähte sich vor mir auf und platzte. Ich stand auf dem Boden
des Sitzungssaals der Generalversammlung. Das Amphitheater
verbreiterte sich trichterförmig, lief nach oben in Kreisen von
Rundbänken, untadelig, geradezu silbrig weiß. Die Silhouetten der
Delegierten, durch die Entfernung stark verkleinert, betupften das
Weiß der spiralenförmig übereinanderhängenden Bänke mit
Smaragdgrün, Gold und Purpur und funkelten mit Myriaden
geheimnisvoller Pünktchen. Ich verstand es noch nicht, auf Anhieb
die Augen von den Orden, die Glieder von ihren künstlichen
Verlängerungen zu unterscheiden, ich sah nur, daß sie sich lebhaft
bewegten, einander Aktenstöße über die schneeweißen Pulte
zuschoben, irgendwelche schwarz glänzende Täfelchen, die aus
Anthrazit zu sein schienen. Mir gegenüber, vielleicht fünfzig
Schritt entfernt, ruhte auf einer Erhöhung, von den Mauern
elektronischer Maschinen flankiert, der Vorsitzende, umgeben von
einem Wald von Mikrophonen. Durch die Luft schwirrten
Gesprächsfetzen in tausend Sprachen auf einmal, vom tiefsten Baß
bis hinauf zu Tönen, hoch wie Vogelgezwitscher. Mit einem Gefühl,
als öffne sich der Boden unter mir, zupfte ich meinen Frack
zurecht. Ein durchdringender, nicht enden wollender Laut ertönte:
Der Vorsitzende hatte eine Maschine in Gang gesetzt, die mit einem
Hammer auf eine Tafel aus purem Gold schlug; das metallische
Zittern bohrte sich in die Ohren. Der Tarrakaner, der mich
überragte, zeigte mir die richtige Bank. Schon floß die Stimme des
Vorsitzenden aus unsichtbaren Lautsprechern, ich indes suchte,
bevor ich hinter dem rechteckigen Schild mit der Bezeichnung des
Heimatplaneten Platz nahm, wenigstens nach einer verwandten Seele,
nach einem menschenähnlichen Wesen. Mein Blick glitt die Bänke
hinauf und hinunter – vergebens. Riesige, in warmen Tönen prangende
Knollen, Wicklungen wie aus Johannisbeergelee, fleischige, sich auf
die Pulte stüt zende Stengel, Gesichter von der Farbe gut gewürzter
Pasteten oder hell glänzend wie überbackener Apfelreis. Flechten,
Lehnten, Greifarme, die das Schicksal der nahen und der fernen
Gestirne lenkten, glitten wie ein Film im Zeitlupentempo an mir
vorüber, in ihnen war nichts Ungeheuerliches, sie erweckten
entgegen der so häufig auf der Erde geäußerten Annahme keinen
Abscheu, so als hätte ich es hier nicht mit Sternungeheuern zu tun
gehabt, sondern mit Wesen, die unter dem Meißel abstrakter
Bildhauer oder auch aus den Händen irgendwelcher Visionäre der
Gastronomie hervorgegangen waren.
»Punkt zweiundachtzig«, zischte
mir der Tarrakaner ins Ohr und setzte sich. Ich tat das gleiche.
Ich hob den Hörer, der auf dem Pult lag, ans Ohr und
vernahm:
»Die Vorrichtungen, die gemäß dem
von dieser Hohen Versammlung ratifizierten Vertrag und entsprechend
den genauen Regelungen dieses Vertrages durch das Altairische
Gemeinwesen an die Sechservereinigung von Fomalhaut geliefert
wurden, weisen, wie das Protokoll des Sonderunterausschusses der
OVP feststellte, Eigenschaften auf, die nicht das Ergebnis
geringfügiger Abweichungen von der technologischen Rezeptur, welche
von den hohen vertragschließenden Seiten gutgeheißen wurde, sein
können. Obschon, wie das Altairische Gemeinwesen mit Recht
behauptete, die von ihm produzierten Strahlungsabsäer und
Planetoreduktoren die Fähigkeit zur Reproduktion haben sollten, was
– wie die Zahlungsvereinbarung der beiden hohen vertragschließenden
Seiten vorsieht – die Entstehung einer maschinellen
Nachkommenschaft gewährleistet, so sollte sich dennoch diese Potenz
gemäß der für die gesamte Vereinigung verbindlichen Ingenieursethik
manifestieren – in der Form einer singulären Knospung – und sich
nicht aus der Ausrüstung der erwähnten Vorrichtungen mit Programmen
von gegensätzlichen Zeichen ergeben, was leider erfolgt ist. Eine
solche Duplizität der Programme führte zur Entstehung von sexuellen
Antagonismen im Bereich der energetischen Hauptsysteme von
Fomalhaut und im Gefolge zu Szenen, die gegen die öffentliche Moral
verstießen und auch der klagenden Seite erhebliche ma terielle
Verluste brachten. Statt sich der Arbeit zu widmen, für die sie
bestimmt waren, verbrachten die gelieferten Aggregate einen Teil
ihrer Schichten mit der Zuchtwahl, wobei ihr ständiges auf einen
rekreativen Akt gerichtetes Umherrennen mit den Steckern zur
Verletzung der Panundischen Statuten und zu einer
Maschinenüberproduktion führte. Dabei ist die verklagte Seite für
beide bedauerliche Erscheinungen verantwortlich. Wir erklären also
die Verschuldung Altairiens für annulliert.«
Ich hatte derartige
Kopfschmerzen, daß ich den Hörer weglegte. Was, zum Kuckuck, gingen
mich die Verstöße der Maschinen gegen die öffentliche Moral an, was
Altairien, Fomalhaut und der ganze Rest! Ich hatte genug von der
OVP, noch bevor ich ihr Mitglied geworden war. Mir war übel. Warum
hatte ich nur auf Professor Tarantoga gehört? Wozu brauchte ich die
schreckliche Würde, derentwegen ich mich hier für fremde Sünden in
Grund und Boden schämen mußte? Sollte nicht vielmehr…
Ein unsichtbarer Strom durchfuhr
mich: Auf der gewaltigen Tafel flammte die Zahl 83 auf. Ich spürte
einen energischen Knuff. Das war mein Tarrakaner, der sich
aufgerafft hatte und mich hinter sich herzog. Die
Jupiterscheinwerfer, die unter dem Gewölbe des Saales schwammen,
richteten eine Sturmflut blauen Lichts auf uns. Von allen Seiten
mit einer Helligkeit übergossen, die mich förmlich zu durchleuchten
schien, umklammerte ich halb abwesend die nun völlig durchweichte
Rolle des Beglaubigungsschreibens und vernahm an meiner Seite den
Tarrakaner, der ungezwungen und mit großer Beredsamkeit sprach;
sein machtvoller Baß dröhnte durch das ganze Amphitheater, aber der
Inhalt seiner Rede erreichte mich nur in Fetzen, wie im Sturm der
Meeresschaum, der einen über den Wellenbrecher gebeugten Wagehals
bespritzt.
»… die vortreffliche Erdue… (er
konnte nicht einmal den Namen meiner Heimat richtig aussprechen!)…
herrliche Menschheit… ein hervorragender Vertreter ist hier
anwesend… elegante, sympathische Säuger… Atomenergie, befreit mit
hoher Meisterschaft und vielem Geschick vermittels ihrer oberen
Gliedmaßen… tief verwurzelter Glaube an Planzymolie, obwohl nicht
frei von Amphibrunten… (ganz offensichtlich verwechselte er uns mit
anderen)… der Sache der Einheit der Sternenvölker ergeben… in der
Hoffnung, daß ihre Aufnahme in den Kreis… die Periode der
geschlechtlichen gesellschaftlichen Existenz abschließend… obwohl
recht einsam an ihrer galaktischen Peripherie… sind sie mutig und
selbständig gewachsen, sind sie würdig…«
Bisher trotz allem ganz
brauchbar, durchfuhr es mich. Er lobt uns, sieht gar nicht so
schlecht aus… Doch was war das?
»Gewiß, sie sind paarig! Ihren
steifen Unterbau… Man muß begreifen… In dieser hohen Versammlung
haben auch Ausnahmen von der Norm und der Regel das Recht auf
Repräsentation… keine Verirrung schändet… schwere Bedingungen, die
sie geformt haben… Wasserhaftigkeit, selbst gesalzene, kann nicht,
sollte kein Hindernis sein… mit unserer Hilfe werden sie sich von
ihrem schreck… ihrem gegenwärtigen Aussehen befreien, über das die
Hohe Versammlung mit der ihr eigenen Großzügigkeit zur Tagesordnung
übergehen möge… Deshalb stelle ich im Namen der tarrakanischen
Delegation und des Bundes der Betelgeuzesterne hiermit den Antrag,
die Menschheit vom Planeten Urde in die Reihen der OVP aufzunehmen
und somit auch dem hier anwesenden edlen Uerdebewohner die vollen
Rechte eines bei der Organisation der Vereinten Planeten
akkreditierten Delegierten zu gewähren. Ich habe
gesprochen.«
Mächtiger Lärm erscholl,
unterbrochen von rätselhaften Pfiffen. Händeklatschen gab es nicht.
Da Hände fehlten, konnte es das auch nicht geben. Der Lärm und das
Sprachengewirr hörten auf, als der Gong ertönte, die Stimme des
Vorsitzenden war zu vernehmen: »Beabsichtigt eine der Hohen
Delegationen das Wort in der Frage der Aufnahme der Menschheit vom
Planeten Erdue zu ergreifen?«
Der strahlende Tarrakaner, der
offenbar mit sich überaus zufrieden war, zog mich auf die Bank. Ich
setzte mich und brummte undeutlich ein paar Dankesworte an seine
Adresse, als zwei grüne Strahlen von verschiedenen Stellen des
Amphitheaters hochschossen.
»Ich erteile dem Vertreter
Thubans das Wort!« sagte der Vorsitzende. Etwas erhob
sich.
»Hoher Rat!« Ich vernahm eine
ferne, durchdringende Stimme, ähnlich dem Geräusch beim Schneiden
von Blech, doch bald achtete ich nicht mehr auf das Timbre. »Wir
haben hier aus dem Munde des Polpitors Voretex eine warme
Empfehlung des Geschlechts eines fernen Planeten vernommen, der
bisher den Anwesenden unbekannt war. Ich möchte mein Bedauern
ausdrücken, daß wir durch das unverhoffte Fernbleiben des Sulpitors
Extrevor von dieser Sitzung der Möglichkeit beraubt sind, uns mit
der Geschichte, mit den Sitten und Gebräuchen sowie mit der Natur
dieses Geschlechts bekannt zu machen, dessen Mitgliedschaft in der
OVP Tarrakanien so sehr befürwortet. Obwohl ich kein Fachmann auf
dem Gebiet der kosmischen Terratologie bin, möchte ich doch in dem
Maße, wie es mir meine bescheidenen Kräfte erlauben, das ergänzen,
was wir gerade zu hören das Vergnügen hatten. Zunächst darf ich nur
so obenhin und beiläufig vermerken, daß der heimische Planet der
Menschheit nicht Erdue, Urde oder Uerde heißt, wie das, nicht aus
Unkenntnis versteht sich, sondern lediglich, wovon ich zutiefst
überzeugt bin, aus seinem rednerischen Elan und Schwung heraus,
mein vortrefflicher Vorredner gesagt hat. Das ist eine
unwesentliche Einzelheit, gewiß. Jedoch auch jener Terminus
›Menschheit‹, dessen er sich bediente, ist der Sprache des
Erdengeschlechts entnommen – Erde, so nämlich lautet die
Bezeichnung jenes fernen provinziellen Planeten. Unsere
Wissenschaften bezeichnen die Erdenbewohner etwas anders. Ich
erlaube mir, in der Hoffnung, die Hohe Versammlung nicht zu
langweilen, die vollständige Bezeichnung und Klassifizierung der
Art, deren Mitgliedschaft in der OVP wir erwägen, zu zitieren,
wobei ich mich eines ausgezeichneten Werkes von Spezialisten
bediene, und zwar der Galaktischen Terratologie von Grammpluss und
Gzeems.«
Der Vertreter Thubans schlug auf
seinem Pult ein gewaltiges Buch auf – die Stelle war besonders
gekennzeichnet – und begann zu lesen:
»Entsprechend der gültigen
Systematik umfaßt der Typ Aberrantia (Abseitige) die in unserer Galaxis anomalen
Formen. Der Typ unterteilt sich in die Untertypen Debilitales (Blödiane) sowie Antisapientinales
(Vernunftwidrige). Zu letzterem Untertyp gehören die Gruppen
Canaliacaea (Scheußler) und Nekroludentia (Leichenspieler).
Bei den Leichenspielern
unterscheiden wir wiederum die Gattung Patricidiaceae (Vatermörder), Matriphagideae (Mutterfresser) und Lasciviaceae (Ekelgeiler oder kurz: Geiler). Die
Ekelgeiler, bereits völlig entartete Formen, klassifizieren wir,
indem wir sie in Cretininae (Stumpfmäuler, z.B. Cadaverium Mordans, Leichenbiß-Narrkopf) und
Horrorissimae (Unheuer, mit dem
klassischen Vertreter in Gestalt des Trübsinnhabachters, Idiontus Erectus Gzeemi) teilen. Einige der Unheuer
bilden eigene Pseudokulturen; hierher gehören solche Arten wie
Anophilus Belligerens, der
Hinterlieb-Schlachter, der sich selbst Genius
Pulcherrimus Mundanus nennt, oder wie jenes eigenartige, am
ganzen Leib kahle Exemplar, das von Grammpluss im dunkelsten Winkel
unserer Galaxis beobachtet wurde – Monstroteratus Furiosus
(Gräßel-Wüterich), der sich selbst Homo
Sapiens nennt.«
Im Saal erhob sich ein gewaltiger
Lärm. Der Vorsitzende setzte die Maschine mit dem Hammer in
Gang.
»Nicht unterkriegen lassen!«
zischte der Tarrakaner mir zu. Ich sah ihn nicht, wegen des starken
Scheins der Jupiterlampen, vielleicht auch, weil mir der Schweiß
den Blick trübte. Eine schwache Hoffnung kam in mir auf, denn
jemand verlangte in einer formalen Frage das Wort. Nachdem er sich
den Versammelten als Mitglied der Delegation des Wassermanns und
zugleich als Astrozoologe vorgestellt hatte, begann er mit dem
Thubaner ein Streitgespräch. Leider nur insofern, als er – ein
Anhänger der Schule Professor Hagranaps’ – die dargelegte
Klassifizierung für ungenau hielt. Er unterschied nämlich, seinem
Meister folgend, eine besondere Ord nung Degeneratores, zu der die Vielfraße, die
Wenigschlucker, die Leichenkneifer und die Totenkoser gehörten. Die
Bezeichnung »Monstroteratus« hielt er, auf den Menschen angewandt,
für falsch; man solle sich lieber der Nomenklatur der
Wassermannschule bedienen, die konsequent den Terminus
Künstel-Schrecker (Artefactum Abhorrens) benutze. Nach einem kurzen
Meinungsaustausch fuhr der Thubaner in seiner Ansprache
fort:
»Der ehrbare Vertreter
Tarrakaniens, der uns die Kandidatur des sogenannten
vernunftbegabten Menschen oder – um exakter zu sein – des
Wüterich-Schreckers, eines typischen Vertreters der Leichenspieler,
empfahl, hat in seiner Rekommandation nicht das Wort ›Eiweiß‹
erwähnt, das er für unanständig hält. Gewiß weckt es Assoziationen,
über die mich auszulassen der Anstand verbietet. Freilich, der
Besitz SELBST eines solchen körperlichen Bauelements schändet
nicht. (Rufe: »Hört! Hört!«) Nicht um das Eiweiß geht es. Auch
nicht darum, daß man sich, obwohl ein rasender Leichenspieler, mit
der Bezeichnung vernunftbegabter Mensch bedenkt. Das ist
schließlich eine Schwäche, die man begreifen, obschon nicht
verzeihen kann, eine Schwäche, die von Eigenliebe diktiert ist.
Nicht darum geht es, Hohe Ratschaft!«
Meine Aufmerksamkeit ließ immer
wieder nach, sie schwand wie das Bewußtsein eines in Ohnmacht
Fallenden – nur Fetzen erreichten mich.
»Selbst die Fleischfresserei ist
niemandes Schuld, da sie sich im Gefolge einer natürlichen
Evolution ergab. Immerhin sind die Unterschiede, die den
sogenannten Menschen von seinen tierischen Verwandten trennen,
nahezu gleich Null. Ähnlich, wie eine an Wuchs HÖHERE Person nicht
annehmen darf, daß diese Überlegenheit ihr das Recht gibt, die an
Wuchs NIEDRIGEREN zu fressen, so darf auch der mit etwas HÖHEREM
Verstand Begabte nicht morden und fressen, und wenn er das schon
tun muß (Rufe: »Er muß nicht! Soll er Spinat essen!«) – wenn er,
sage ich, das MUSS, auf Grund einer tragischen erblichen Belastung,
dann sollte er die blutigen Opfer in Angst, im geheimen, in seinen
Erdlöchern und in den dunkelsten Winkeln der Höhlen verschlingen,
gequält von Gewissensbissen und von Verzweiflung und in der
Hoffnung, daß es ihm einst gelingen werde, sich von der Last dieser
unaufhörlichen Morde zu befreien. Leider verhält sich
Gräßel-Wüterich nicht so. Er entehrt die sterblichen Reste, er
würgt sie und kugelt sie, er spielt mit ihnen, und erst später
verschlingt er sie bei öffentlichen Fütterungen, inmitten von
herumhüpfenden entblößten Weibchen seiner Art, weil das seinen
Appetit auf die Verstorbenen steigert, aber die Notwendigkeit,
diesem Zustand abzuhelfen, der nachgerade zur gesamten Milchstraße
schreit, kommt ihm nicht einmal in seinen halbflüssigen Kopf. Im
Gegenteil, er hat sich höhere Rechtfertigungen geschaffen, die
zwischen seinem Magen, dieser Gruft ungezählter Opfer, und der
Unendlichkeit gelagert sind und ihn befähigen, mit erhobener Stirn
zu morden. Nur soviel, um der Hohen Versammlung nicht die Zeit zu
rauben, zur Beschäftigung und zu den Bräuchen des sogenannten
vernunftbegabten Menschen. Unter seinen Vorfahren schien einer
gewisse Hoffnungen aufkommen zu lassen. Das war die Gattung homo
neandertalensis. Es lohnt, sich mit ihm zu befassen. Dem heutigen
Menschen ähnlich, hatte er ein größeres Schädelvolumen und somit
auch ein größeres Hirn. Ein Pilzsammler, zur Meditation neigend,
verliebt in die Künste, sanft, phlegmatisch, verdiente er
zweifellos, daß seine Mitgliedschaft in dieser Hohen Organisation
heute erwogen würde. Leider weilt er nicht mehr unter den Lebenden.
Möchte nicht der Delegierte der Erde, den als Gast zu begrüßen wir
hier die Ehre haben, uns sagen, was aus dem so kulturbeflissenen
sympathischen Neandertaler geworden ist? Er schweigt, somit werde
ich für ihn antworten: Er wurde restlos ausgerottet, weggewischt
von der Oberfläche der Erde durch den sogenannten homo sapiens. Die Niedertracht des Brudermordes
genügte noch nicht, denn die irdischen Wissenschaftler gingen
daran, das vernichtete Opfer anzuschwärzen, indem sie sich selbst
und nicht ihm – dem Großhirnigen – den größeren Verstand
zuschrieben. Nun weilt unter uns, in diesem ehrwürdigen Saal, in
diesen erhabenen Wänden, der Repräsentant der Leichenfresser,
einfallsreich, wenn es um mörderische Freuden geht, ein sinnreicher
Ar chitekt von Vernichtungsmitteln, dessen Äußeres zugleich Lachen
und Schaudern hervorruft, das wir kaum unterdrücken können, ja,
dort, auf der bisher unbefleckten weißen Bank, sehen wir ein Wesen,
das nicht einmal den Mut eines konsequenten Verbrechers besitzt,
denn es versieht die mit den Spuren seiner Morde gekennzeichnete
Karriere ununterbrochen mit der Schönheit falscher Namen, deren
schreckliche, wahrhaftige Bedeutung jeder objektive Erforscher der
Sternenrassen zu entschlüsseln vermag. So, Hohe
Ratschaft…«
Eigentlich drangen aus dieser
zweistündigen Rede nur Bruchstücke zu mir, aber die genügten
vollauf. Der Thubaner malte das Bild von Ungeheuern, die sich im
Blute wälzen, und er tat das ohne Eile, indem er systematisch immer
neue, auf dem Pult eigens zurechtgelegte gelehrte Bücher, Annalen,
Chroniken aufschlug und die bereits benutzten auf den Boden
schleuderte, als werde er plötzlich von Abscheu gegen sie gepackt,
als klebten selbst die Blätter, die uns beschrieben, von dem Blut
der Opfer zusammen. Nun ging er zu unserer zivilisierten Geschichte
über: Er erzählte von Massakern, Pogromen, Kriegen, Kreuzzügen,
Massenmorden, er stellte auf Tafeln und mit einem Epidiaskop die
Technologien der Verbrechen und die altertümlichen und
mittelalterlichen Torturen dar, und als er zur Gegenwart überging,
rollten ihm sechzehn Diener auf Handwagen, die sich unter der Last
bogen, Stöße neuen Faktenmaterials heran. Andere Bedienstete, die
Sanitäter der OVP, leisteten unterdessen aus kleinen Hubschraubern
den Scharen ermatteter Zuhörer dieses Referats Erste Hilfe, wobei
sie nur mich ausließen, in der einfältigen Annahme, die Sintflut
blutiger Informationen über die irdische Kultur schade mir nicht im
geringsten. Und doch begann ich etwa in der Mitte dieser Ansprache,
wie an der Grenze eines Wahns, mich vor mir selbst zu fürchten, als
sei ich in der Menge der Maskarone und sonstiger sonderbarer Wesen,
die mich umgaben, das einzige Ungeheuer. Ich dachte schon, diese
schreckliche Anklagerede werde nie mehr enden, da fielen die Worte:
»Und nun mag die Hohe Versammlung zur Ab stimmung über den Antrag
der tarrakanischen Delegation schreiten!«
Der Saal erstarrte in tödlichem
Schweigen, bis sich plötzlich neben mir etwas regte. Das war der
Tarrakaner, der aufgestanden war, um wenigstens einige der Vorwürfe
zu entkräften. Der Unselige! Er stürzte mich vollends ins Unglück,
als er der Versammlung zu versichern suchte, daß die Menschheit die
Neandertaler als ehrwürdige Ahnen betrachte, die ganz von selbst
umgekommen seien. Der Thubaner nagelte sogleich meinen Verteidiger
mit einer treffenden, unmittelbar an mich gerichteten Frage fest:
Ob es denn auf der Erde als ein Lob oder als ein beleidigendes
Epitheton angesehen werde, wenn man jemanden einen Neandertaler
nenne.
Ich dachte, nun sei alles zu
Ende, für immer verloren, glaubte, mich sogleich zurück zur Erde
begeben zu müssen, wie ein Hund, den man in die Hütte jagt, weil
man ihm einen erwürgten Vogel aus den Zähnen gerissen hat. Da hörte
ich in dem schwachen Gemurmel des Saals den Vorsitzenden, der sich
zum Mikrophon neigte, sagen: »Ich erteile dem Vertreter der
eridanischen Delegation das Wort.«
Der Eridaner war klein,
silbrigweiß und prall wie ein Nebelballen, der von einem schrägen
Strahl der winterlichen Sonne getroffen wird.
»Ich möchte fragen«, sagte er,
»wer denn die Aufnahmegebühr der Erdbewohner bezahlen wird. Sie
selbst? Immerhin ist sie nicht unbeträchtlich – eine Billion Tonnen
Platin ist eine Last, der nicht jeder gewachsen ist.«
Das Amphitheater füllte sich mit
ärgerlichem Stimmengewirr.
»Die Frage wird erst akut, wenn
der Antrag der tarrakanischen Delegation angenommen ist!« sagte
nach einigem Zögern der Vorsitzende.
»Mit Verlaub, Euer Galaktizität!«
erwiderte der Eridaner. »Ich wage es, anderer Meinung zu sein, und
möchte deshalb die Frage, die ich gestellt habe, mit einigen
Bemerkungen stützen, die meines Erachtens sehr wesentlich sind. Ich
habe hier, zunächst, das Werk eines ausgezeichneten doradischen
Planetographen, des Hyperdoktors Wragras, ich zitiere daraus:
›…Planeten, denen das Leben nicht spontan entstehen kann, zeichnen
sich durch folgende Merkmale aus: a) durch katastrophale Änderungen
des Klimas in rasch wechselndem Rhythmus (dem sogenannten Zyklus
»Winter – Frühling – Sommer – Herbst«) sowie durch noch
bedrohlichere Änderungen in längeren Zeitabschnitten (den
Eiszeiten); b) durch das Vorhandensein großer Monde; ihre
Gezeiteneinflüsse haben ebenfalls lebenstötenden Charakter; c)
durch die häufig auftretende Fleckigkeit des Zentralgestirns, des
Muttersterns; die Flecke sind die Quelle einer lebenstötenden
Strahlung; d) durch ein Übergewicht der Wasseroberfläche über die
Fläche der Kontinente; e) durch die Beständigkeit der Polvereisung;
f) durch das Auftreten von Niederschlägen in flüssigem und festem
Aggregatzustand…‹ Wie man daraus ersieht…«
»Ich bitte ums Wort in einer
formalen Frage!« fuhr mein Tarrakaner hoch, von neuer Hoffnung
belebt. »Ich möchte wissen, ob die Delegation Eridans für unseren
Antrag oder gegen ihn stimmen wird.«
»Wir werden für den Antrag
stimmen, mit einem Zusatzantrag jedoch, den ich der Hohen
Versammlung vorlegen werde«, antwortete der Eridaner und kehrte zu
seinem Thema zurück. »Ehrenwerte Ratschaft! Auf der 918. Sitzung
der Vollversammlung hatten wir den Antrag auf Mitgliedschaft der
Rasse der hinterköpfigen Ekelgeiler behandelt, die sich als ›ewig
Vollkommene‹ vorstellten, obschon sie körperlich so unbeständig
waren, daß sich die Zusammensetzung der Delegation der Ekelgeiler
während dieser Zeit fünfzehnmal änderte, obwohl die Sitzung nicht
länger als achthundert Jahre dauerte. Diese Unglückseligen
verwickelten sich in Widersprüche, als es dazu kam, den Lebenslauf
der Rasse zu schildern, indem sie der Hohen Versammlung in ebenso
unverbindlicher wie feierlicher Weise versicherten, sie habe ein
gewisser Vollkommener Schöpfer nach eigenem Vorbild geschaffen,
weshalb sie denn auch unter anderem im Geiste unsterblich seien. Da
es sich aus anderem Grund herausstellte, daß ihr Planet den bione
gativen Bedingungen des Hyperdoktors Wragras entsprach, bildete die
Vollversammlung eine besondere Untersuchungskommission. Die stellte
fest, daß die inkriminierte vernunftwidrige Rasse nicht infolge
einer Laune der Natur, sondern auf Grund eines bedauernswerten,
durch dritte Personen hervorgerufenen Zufalls entstanden
war.«
(»Was redet er! Aufhören! Lüge!
Nimm die Lehnte weg, du Ekelgeiler!« hallten die Rufe immer
stürmischer durch den Saal.)
»Die Untersuchungen der
Kommission«, fuhr der Eridaner fort, »führten dazu, daß auf der
nächsten Sitzung der OVP eine Ergänzung zu Punkt zwei der Charta
der Vereinten Planeten angenommen wurde; diese Ergänzung lautet wie
folgt (hier entfaltete er ein klafterlanges Pergament und hob zu
lesen an): ›Im folgenden wird ein kategorisches Verbot für alle
lebenszeugenden Aktionen auf sämtlichen Planeten des Typs Wragras
A, B, C, D sowie E erlassen. Gleichzeitig wird den Leitungen von
Forschungsexpeditionen und den Kommandos von Raumschiffen, die auf
solchen Planeten landen, die Pflicht auferlegt, das obige Verbot
strengstens zu befolgen. Es umfaßt nicht nur absichtliche
lebenszeugende Praktiken, wie das Aussäen von Moosen, Bakterien und
ähnlichem, sondern auch das unbeabsichtigte Einleiten von
Bioevolutionen infolge Unachtsamkeiten oder Zerstreutheit. Diese
antikonzeptionelle Prophylaxe ist durch den besten Willen und das
beste Wissen der OVP diktiert, der folgende Fakten bekannt sind.
Erstens – die natürliche Feindseligkeit des Milieus, in das die von
außen mitgebrachten Urkeime des Lebens gepflanzt werden, bewirkt,
daß im Verlaufe seiner weiteren Evolution Abseitigkeiten und
Invaliditäten entstehen, denen man im Rahmen einer natürlichen
Biogenese nie begegnet. Zweitens – unter den genannten Umständen
entstehen nicht nur körperlich gebrechliche Gattungen, sondern auch
solche, die mit den schwersten Formen geistiger Entartung belastet
sind; wenn nun unter ähnlichen Bedingungen auch nur halbwegs
vernünftige Wesen keimen, und das kommt zuweilen vor, so ist ihr
Schicksal erfüllt von geistigen Qualen. Sobald sie nämlich die
erste Bewußtseinsstufe erreicht haben, beginnen sie, in der
Umgebung nach den Ursachen ihrer eigenen Entstehung zu forschen,
und da sie diese dort nicht finden können, geraten sie auf die
Irrwege von Glaubenslehren, geschaffen aus Verwirrung und
Verzweiflung. Da ihnen der normale Verlauf der Entwicklungsprozesse
im Kosmos fremd ist, halten sie ihre Körperlichkeit, wie
mißgestaltet sie auch sein möge, und ihre Denkart für typisch,
normal und im ganzen Weltall verbreitet. Dieserhalb und in tiefer
Sorge um das Wohl und die Lebenswürde im allgemeinen und der
vernünftigen Wesen im besonderen, beschließt die Generalversammlung
der OVP, daß derjenige, der gegen den hiermit festgelegten
antikonzeptionellen Paragraphen der OVP verstößt, Sanktionen und
Strafen gemäß dem Interplanetaren Rechtskodex zu gewärtigen
hat.‹«
Der Eridaner legte die Charta der
OVP beiseite und nahm den gewichtigen Band des Kodex zur Hand, den
ihm die Helfer zwischen die Taster des Geärms gelegt hatten, schlug
das gewaltige Buch an der richtigen Stelle auf und begann klangvoll
zu lesen: »Band zwei des Interplanetaren Strafrechts, Absatz
achtzig, betitelt ›Über planetarische Unzucht‹:
›Paragraph 212: Wer einen
natürlich unfruchtbaren Planeten befruchtet, wird mit hundert bis
fünfzehnhundert Jahren Verstirnung bestraft, unbeschadet der
zivilen Verantwortlichkeit für die moralischen und materiellen
Verluste des Geschädigten.
Paragraph 213: Wer im Sinne des
Paragraphen 212 schuldig wird und dabei erheblichen bösen Willen
dokumentiert, indem er Manipulationen unzüchtigen Charakters mit
Vorbedacht ausführt, deren Ergebnis eine Evolution von besonders
entarteten Lebensformen sein soll, die allgemeinen Ekel oder
allgemeines Entsetzen hervorrufen, wird mit fünfzehnhundert Jahren
Verstirnung bestraft.
Paragraph 214: Wer einen
unfruchtbaren Planeten aus Nachlässigkeit, Zerstreutheit oder auch
durch Nichtverwendung geeigneter antikonzeptioneller Mittel
befruchtet, wird mit einer Strafe bis zu vierhundert Jahren
Verstirnung bestraft; handelt er mit verminder ter Kenntnis der
Folgen seiner Tat, kann die Strafe auf hundert Jahre herabgesetzt
werden.‹
Ich erwähne nicht die Strafen«,
fügte der Eridaner hinzu, »die für ein Eingreifen in
Evolutionsprozesse in statu nascendi
angesetzt sind, denn das gehört nicht zu unserem Thema. Ich betone
dagegen, daß der Kodex eine materielle Verantwortung der Täter
gegenüber den Opfern planetarer Unzucht vorsieht. Die einschlägigen
Abschnitte des Zivilkodex möchte ich nicht vorlesen, um die
Mitglieder der Versammlung nicht zu langweilen. Ich füge lediglich
hinzu, daß in dem Katalog der Körper, die als definitiv unfruchtbar
im Sinne sowohl des Hyperdoktors Wragras als auch der Charta der
Vereinten Planeten sowie des interplanetaren Strafrechts gelten,
auf Seite 2618, achte Zeile von unten, die folgenden Himmelskörper
figurieren: Uerdue, Uersde, Erde und Ersdue…«
Mir sackte der Kiefer herunter,
die Beglaubigungsschreiben glit
ten mir aus der Hand, mir wurde schwarz vor
Augen. (»Achtung!« wurde im Saal gerufen. »Hört nur! Wen klagt er
da an? Fort mit ihm! Er lebe hoch!«) Was mich betraf, so versuchte
ich mich so gut wie möglich unter dem Pult zu
verkriechen.
»Hohe Ratschaft!« donnerte der
Vertreter Eridans, wobei er die Bände des Interplanetaren Kodex auf
den Fußboden des Amphitheaters schleuderte (offenbar war das ein in
der OVP beliebter Rednertrick). »Nie genug über Dinge, die den
Vergewaltigern der Charta der Vereinten Planeten zur Schande
gereichen! Nie genug der Brandmarkung unverantwortlicher Elemente,
die unter nichtswürdigen Bedingungen Leben erwecken!
Da kommen Wesen zu uns, die weder
das Abscheuliche ihrer Existenz noch deren Ursachen kennen. Da
klopfen sie an die ehrwürdigen Türen dieser geschätzten
Versammlung, und was können wir ihnen antworten, allen diesen
Geilern, Unheuern, Gräßlern, Mutteressern, Leichenkosern, Tumben,
die ratlos ihre Quasihände zusammenschlagen und sich kaum noch auf
ihren Quasibeinen halten können, wenn sie erfahren, daß sie zum
Pseudotyp ›Artefacta‹ gehören, daß ihr Schöpfer irgendein
Raumschiffmatrose war, der auf die Felsen eines toten Planeten
einen Eimer fermentierten Spülichts ausgoß und spaßeshalber jenen
kläglichen Uranfängen des Lebens Eigenschaften verlieh, die sie
später zum Gespött der gesamten Milchstraße werden ließen! Wie
sollen sich denn die Unglückseligen verteidigen, wenn irgendein
Cato ihnen ihre schändliche Eiweißlinksseitigkeit vorhält!« Im Saal
siedete es, vergebens klopfte die Maschine pausenlos mit dem
Hammer, es dröhnte rundum: »Schande! Hinweg! Sanktionen! Wen meint
er? Seht, der Erdenbewohner löst sich schon auf, der Gräßel tropft
am ganzen Leib!«
In der Tat, mir rann der Schweiß
in Strömen. Der Eridaner, dessen Stentorstimme den Lärm übertönte,
rief: »Ich werde nun ein paar abschließende Fragen an die
ehrenwerte tarrakonische Delegation richten. Stimmt es etwa nicht,
daß seinerzeit auf dem damals toten Planeten Erde ein Schiff unter
eurer Flagge gelandet ist, dem infolge eines Schadens an den
Kühlschränken ein Teil der Vorräte verdorben war? Stimmt es etwa
nicht, daß sich in jenem Raumschiff zwei Nichtstuer befanden, die
später wegen ihrer schamlosen Machenschaften mit Geißlern aus allen
Registern gestrichen wurden, und daß diese beiden Schurken, diese
Milchstraßenräuber Gerr und Hott hießen? Stimmt es etwa nicht, daß
Gerr und Hott in trunkenem Zustand beschlossen, sich nicht mit
einer gewöhnlichen Verunreinigung des wehrlosen öden Planeten
zufriedenzugeben, sondern in verbrecherischer und strafwürdiger
Weise eine biologische Evolution zu arrangieren, wie sie die Welt
bis dahin nicht gesehen hatte? Stimmt es etwa nicht, daß diese
beiden Tarrakaner vorsätzlich, mit einem Höchstmaß an bösem Willen
eine METHODE ersannen, aus der Erde eine Brutstätte von
Sonderlingen im Maßstab der gesamten Milchstraße, einen kosmischen
Zirkus, ein Panoptikum, ein Raritätenkabinett zu schaffen, dessen
lebende Ausstellungsstücke zum Gespött der fernsten Nebelflecke
werden sollten? Stimmt es etwa nicht, daß diese beiden Lästerer,
bar jeden Gefühls, des Anstands und der ethischen Gebote, auf die
Felsen der toten Erde sechs Fässer ranzig gewordenen
Gelatinekleisters und zwei Kanister verdorbener Albuminpaste
ausschütteten – daß sie zu dieser Schmiere fermentierte Ribose,
Pentose und Lärulose dazuschütteten und, als genügten diese
Scheußlichkeiten noch nicht, sie mit drei Gießkannen voll gegorener
Aminosäuren begossen, wonach sie den entstandenen Brei mit einer
Kohleschaufel, die nach links verbogen war, und einem Feuerhaken,
der nach der gleichen Seite gekrümmt war, umrührten und kneteten,
wodurch alle Eiweiße sämtlicher künftiger Lebewesen der Erde
linksseitig wurden? Stimmt es etwa nicht, daß Hott, der damals an
einem starken Schnupfen litt, von dem trunken taumelnden Gerr
angestiftet, in vorsätzlicher Weise in den plasmatischen Teig
hineinnieste und ihn mit boshaften Viren ansteckte, wobei er
krächzte, daß er dadurch den ›Geist der Sakramente‹ in die
unglückselige evolutive Hefe habe einströmen lassen? Stimmt es etwa
nicht, daß jene Linksseitigkeit und jene Böswilligkeit danach in
die Körper der irdischen Organismen eingegangen und bis heute darin
verblieben sind, worunter jetzt die unschuldigen Vertreter der
Rasse Artefactum Abhorrens, die sich
lediglich aus einfältiger Naivität mit der Bezeichnung ›homo sapiens‹ bedacht haben, leiden müssen? Stimmt
es darum etwa nicht, daß die Tarrakaner für die Erdbewohner nicht
nur die Aufnahmegebühr in Höhe von einer Billion Tonnen Erz,
sondern auch den unseligen Opfern der planetarischen Unzucht
KOSMISCHE ALIMENTE zahlen sollten?«
Nach diesen Worten des Eridaners
brach im Amphitheater ein Pandämonium aus. Ich duckte mich, denn
durch die Luft flogen von und nach allen Seiten Taschen mit Akten,
Bände des Kodex des Interplanetaren Rechts und auch handgreifliche
Beweise in Gestalt stark verrosteter Kannen, Fässer und Feuerhaken,
die Gott weiß woher zur Stelle waren; vielleicht hatten die
arglistigen Eridaner, die sich mit den Tarrakanern überworfen
hatten, sich seit grauer Vorzeit mit archäologischen Arbeiten auf
der Erde befaßt und Beweise ihrer Schuld gesucht, die sorgfältig an
Bord der fliegenden Untertassen gesammelt wurden. Mir fiel es
schwer, über diese Frage nachzugrübeln, denn ringsum bebte alles,
es wimmelte nur so von Tastarmen und Lehnten. Mein Tarrakaner war
äußerst erregt, er sprang auf, brüllte etwas, was in dem
allgemeinen Getöse unterging, ich indes kam mir vor wie auf dem
Boden des Klamauks, und der letzte Gedanke, der mir im Kopf umging,
war die Frage jenes vorsätzlichen Niesens, von dem wir unseren
Anfang genommen hatten.
Plötzlich packte mich jemand
schmerzhaft an den Haaren, daß ich aufstöhnte. Das war der
Tarrakaner, der zu demonstrieren versuchte, wie ordentlich
ausgeführt ich durch die irdische Evolution doch sei und wie wenig
ich verdiente, den Namen irgendeines Wesens zu tragen, das nur lose
zusammengeklebt sei aus verfaulten Abfällen. Er drosch mir ein ums
andre Mal mit seiner gewaltigen, schweren Lehnte auf den Kopf… Und
ich, der ich mich fühlte, als habe mein letztes Stündlein
geschlagen, machte immer schwächere Versuche, mich zu befreien,
verlor den Atem, schlug noch ein paarmal in der Agonie mit den
Füßen aus – und sank zurück in die Kissen. Noch nicht bei vollem
Bewußtsein, fuhr ich auf: Ich saß im Bett, betastete den Hals, den
Kopf, die Brust – und überzeugte mich auf diese Weise, daß alles,
was ich erlebt hatte, nur ein Alptraum gewesen war. Ich atmete
erleichtert auf, dann begannen mich jedoch gewisse Zweifel zu
quälen. Ich sagte mir: Träume sind Schäume, aber das half
nichts.
Schließlich fuhr ich, um die
trüben Gedanken zu verscheuchen, zu meiner Tante auf den Mond.
Immerhin kann ich schwerlich eine achtminütige Reise mit dem
Planetobus, der vor meinem Haus hält, als die achte Sternreise
bezeichnen – eher schon verdient diese Bezeichnung die im Traum
erlebte Expedition, bei der ich für die Menschheit so viel zu
leiden hatte.
ELFTE
REISE
Der Tag begann wenig verheißungsvoll. Die
Unordnung, die bei mir zu Hause seit dem Augenblick herrschte, da
ich meinen Diener zur Generalüberholung gegeben hatte, wurde immer
größer. Ich konnte nichts finden. In der Meteorensammlung hatten
sich Mäuse eingenistet. Sie hatten den schönsten Chondrit angenagt.
Als ich Kaffee brühte, lief mir die Milch über. Die Geschirrtücher
lagen bei den Taschentüchern… Ich hätte diesen elektronischen
Wirrkopf schon zur Generalüberholung geben sollen, als er mir die
Schuhe von innen einzukremen begann. Statt eines Geschirrtuchs
mußte ich einen alten Fallschirm nehmen, ich ging nach oben,
staubte die Meteore ab und stellte eine Falle auf. Alle Exemplare
hatte ich selbst gesammelt. Das ist nicht so schwierig – man
braucht nur einen Meteor von hinten anzugehen und ein Netz über ihn
zu stülpen. Da fielen mir die Toastschnitten ein, und ich rannte
nach unten. Sie waren natürlich verkohlt. Ich warf sie in den
Ausguß. Der war sofort verstopft.
Ich öffnete den Briefkasten. Er
war voll von der üblichen Morgenpost – zwei Einladungen zu
Kongressen irgendwo im finstersten Winkel des Nebelflecks Krab,
Reklameschriften für Raketenpoliturmilch, die neue Nummer des
»Düsenreisenden«, nichts Interessantes.
Der letzte Brief war ein dunkler,
dicker Umschlag, versehen mit fünf Stempeln. Ich wog ihn in der
Hand und öffnete ihn.
Der geheime Bevollmächtigte für Fragen
Kareli
riens gibt sich die Ehre, Herrn Ijon Tichy zu ei
ner Sitzung am 16. des laufenden Monats um
17.30 Uhr im kleinen Saal des Lambretanums zu
laden. Eintritt nur auf Einladung nach
Durchleuchtung.
Es wird gebeten, die
Angelegenheit als geheim zu betrachten.
Unleserliche Unterschrift, Siegel.
oben ein schräger Stempel:
HÖCHSTE SICHERHEITSSTUFE.
KOSMISCHE GEHEIMSACHE!
Na, endlich was, dachte ich, Karelirien,
Karelirien… Der Name war mir bekannt, aber es wollte mir nicht
einfallen, woher. Ich warf einen Blick in die Kosmische Enzyklopädie. Da waren nur Kartulanien
und Kersempilien. Interessant, dachte ich. Der Almanach enthielt
auch nichts unter diesem Stichwort. Tja, das war wirklich
interessant. Offensichtlich ein geheimer Planet. »Das hab ich
gern«, murmelte ich und begann mich anzuziehen. Es war erst zehn,
aber ich mußte die Zeit einkalkulieren, die ich meines Dieners
wegen verlieren würde. Die Socken fand ich beinahe auf Anhieb im
Kühlschrank, und ich glaubte schon, dem Gedankenlauf des gestörten
Elektronenhirns folgen zu können, als ich mich mit einer peinlichen
Tatsache konfrontiert sah – nirgends war eine Hose zu finden. Kein
einziges Paar. Im Schrank hingen lauter Jacken. Ich durchsuchte das
ganze Haus, sogar die Rakete – nichts. Ich stellte nur fest, daß
dieses Kamel das ganze Öl ausgetrunken hatte, das im Keller war. Er
mußte es erst unlängst gesoffen haben, denn vor einer Woche hatte
ich die Kannen gezählt, sie waren alle voll gewesen. Das erboste
mich derart, daß ich ernsthaft überlegte, ob ich ihn nicht doch zum
Verschrotten geben sollte. Da er keine Lust hatte, frühmorgens
aufzustehen, stopfte er sich seit Monaten die Hörer mit Wachs zu.
Man konnte bis zum Umfallen klingeln. Er entschuldigte sich damit,
es aus Zerstreutheit getan zu haben. Ich drohte, daß ich ihm die
Sicherungen ausdrehen würde, aber darauf summte er sich einen. Er
wußte, daß ich ihn brauchte. Ich teilte das ganze Haus nach dem
Pinkertonschen System in Plan quadrate ein und durchsuchte alles,
als ginge es um eine Stecknadel. Schließlich fand ich eine Quittung
aus der Wäscherei. Der Galgenstrick hatte alle meine Hosen zur
Reinigung gegeben. Aber was war mit der geschehen, die ich am Tag
zuvor angehabt hatte? Ich konnte mich einfach nicht daran erinnern.
Unterdessen war es Mittagszeit geworden. Im Kühlschrank brauchte
ich erst gar nicht nachzusehen – außer den Socken war nur
Schreibpapier darin. Verzweiflung packte mich. Ich nahm den
Raumanzug aus der Rakete, legte ihn an und ging zum nächsten
Warenhaus. Ein paar Neugierige schauten sich auf der Straße nach
mir um, aber ich kaufte zwei Paar Hosen, die eine schwarz, die
andere grau, kehrte im Raumanzug zurück, zog mich um und fuhr
fuchsteufelswild zu einem chinesischen Restaurant. Ich aß, was man
mir vorsetzte, spülte den Ärger mit einer Flasche Moselwein
hinunter und sah auf die Uhr: Es war kurz vor fünf. Den ganzen Tag
hatte ich vertrödelt.
Vor dem Lambretanum standen keine
Hubschrauber, kein einziges Auto, nicht einmal eine kleine Rakete,
nichts. »So schlimm ist das?« fragte ich mich. Durch einen großen
Garten voller Dahlien gelangte ich zum Haupteingang. Lange Zeit
wurde nicht aufgemacht. Schließlich öffnete sich die Klappe eines
Selektivgucklochs, ein unsichtbarer Blick musterte mich, woraufhin
das Tor gerade so weit geöffnet wurde, daß ich hindurchgehen
konnte.
»Herr Tichy«, sprach der Mann,
der mir geöffnet hatte, in ein Taschenmikrophon. Dann wandte er
sich zu mir: »Bitte nach oben. Die Tür links. Sie werden bereits
erwartet.«
Oben herrschte angenehme Kühle.
Ich betrat einen kleinen Saal und fand mich in erlesener
Gesellschaft wieder. Außer zwei mir unbekannten Männern im
Präsidium war in den samtbeschlagenen Sesseln die Blüte der
Kosmographie versammelt. Ich entdeckte Professor Gargarrag und
seine Assistenten. Ich verneigte mich vor den Anwesenden und nahm
in der hintersten Reihe Platz. Einer der beiden Männer im
Präsidium, hochgewachsen, mit ergrauten Schläfen, entnahm einer
Schublade eine Kautschukklingel und läutete damit lautlos. Was für
teuflische Vorsichtsmaßnahmen, mußte ich denken.
Der Mann mit den graumelierten
Schläfen erhob sich. »Meine Herren Rektoren, Dekane, Professoren,
Dozenten und du, verehrter Ijon Tichy«, begann er. »Als
Bevollmächtigter für Angelegenheiten der höchsten Geheimstufe
eröffne ich diese Sondersitzung, die der Sache Kareliriens gewidmet
ist. Das Wort hat Geheimrat Xaphirius.«
Ein stämmiger Mann mit
schneeweißem Haar kam nach vorn, betrat das Podium, verbeugte sich
leicht vor den Versammelten und sagte ohne jede Einleitung: »Meine
Herren! Vor etwa sechzig Jahren ist vom planetaren Flughafen in
Yokohama ein Frachter der Milchkompanie ›Gottesgabe II‹ abgeflogen.
Dieses Raumschiff, das unter der Leitung des erfahrenen
Vakuumfliegers Astrocent Peapo stand, hatte Stückgut für
Areklandrien, einen Gammaplaneten des Orion, geladen. Zuletzt wurde
es vom Milchstraßenleuchtturm in der Nähe des Zerberus gesichtet.
Seitdem ist es spurlos verschwunden. Die Versicherungsgesellschaft
Securitas Cosmica, kurz SECOS genannt, zahlte nach Ablauf eines
Jahres die volle Entschädigung für das verlorengegangene
Raumschiff. Etwa zwei Wochen später fing ein Funkamateur aus Neu
Guinea einen Funkspruch folgenden Inhalts auf.« Der Redner nahm
einen Zettel vom Tisch und las ab:
KARKULONI VERTONI
HILFONI GOTSONI
»An dieser Stelle, meine Herren, muß ich auf
Einzelheiten eingehen, die für das weitere Verständnis der Frage
unumgänglich sind. Jener Funkamateur war ein Neuling und lispelte
obendrein. Kraft der Gewohnheit und, wie man ebenfalls annehmen
kann, mangels Erfahrung hat er die Depesche entstellt. Eine
Rekonstruktion durch die Experten des Galaktokodes ergab folgende
Fassung: ›Kalkulator verrückt Hilfe Gottesgabe.‹ Auf Grund dieses
Textes kamen die Experten zu dem Schluß, daß der seltene Fall einer
Meuterei im All eingetreten war, und zwar einer Auflehnung des
Bordkalkulators. Da mit der Auszahlung der Versicherungssumme an
die Reeder diese keinen Anspruch mehr auf das vermißte Schiff
erheben konnten, denn SECOS hatte es mit allen Eigentumsrechten,
auch mit dem auf die Fracht, übernommen, beauftragte die
Versicherung die Agentur Pinkerton in den Personen Abstrahaze und
Mnemonius Pinkerton, die entsprechenden Untersuchungen
durchzuführen. Die Nachforschungen dieser routinierten Detektive
ergaben, daß die Rechenmaschine der ›Gottesgabe‹, ein seinerzeit
luxuriös ausgestattetes Modell, aber während ihrer letzten Reise
bereits im vorgerückten Alter, sich in der Tat seit geraumer Zeit
über ein Mitglied der Besatzung, einen gewissen Symileon Gitterton,
beklagt hatte. Jener Mann soll den Kalkulator unablässig gereizt
haben – durch Herabminderung der Ausgangsspannung, durch
Röhrenstüber, durch Spott, ja, er warf ihm sogar so beleidigende
Worte an den Kopf wie ›seniler Blechkasten‹ oder ›verdrahteter
Schwachkopf‹. Gitterton leugnete alles und behauptete, die
Rechenmaschine habe einfach Sinnestrübungen, was bisweilen bei sehr
alten Elektronenhirnen vorkommen soll. Doch diesen Aspekt der
Angelegenheit wird Ihnen gleich Professor Gargarrag näher
erläutern.
In den darauffolgenden zehn
Jahren gelang es nicht, das Schiff zu finden. Doch dann erfuhren
Pinkertons Agenten, die sich unablässig mit dem geheimnisvollen
Verschwinden der ›Gottesgabe‹ befaßten, daß vor dem Restaurant des
Hotels Galax ein halbirrer Bettler zu hocken pflege, der
eigenartige Geschichten singe; er gebe sich für Astrocent Peapo,
den ehemaligen Kommandanten des Raumschiffes aus. Dieser Greis,
über die Maßen liederlich, behauptete tatsächlich, er sei Astrocent
Peapo, doch war er nicht nur nicht bei Verstand, sondern hatte auch
die Sprache verloren und konnte nur noch singen. Von Pinkertons
Leuten geduldig ausgefragt, sang er ihnen eine unglaubliche
Geschichte vor: An Bord des Raumschiffes sei etwas Entsetzliches
passiert; nur mit einem Skaphander auf dem Leib über Bord geworfen,
habe er mit einer Handvoll treuergebener Raumfahrer zu Fuß aus der
Gegend des Andromedanebels zurückkehren müssen, was zweihundert
Jahre gedauert habe. Er sei angeblich auf Meteoren, die in der
entsprechenden Richtung flogen, oder auch per Anhalter mit Raketen
gereist, und nur einen kleinen Teil des Weges habe er auf Lumeon,
der unbemannten kosmischen Sonde, zurückgelegt, die beinahe mit
Lichtgeschwindigkeit zur Erde flog. Diese Fahrt rittlings auf dem
Buckel Lumeons habe er (nach seinen eigenen Worten) mit dem Verlust
der Sprache bezahlen müssen, dafür sei er um viele Jahre jünger
geworden, dank der bekannten Erscheinung der Zeitschrumpfung bei
Körpern, die sich mit lichtnahen Geschwindigkeiten
bewegen.
So lautete die Erzählung – oder
vielmehr der Schwanengesang des Greises. Von dem, was sich auf der
›Gottesgabe‹ ereignet hatte, wollte er kein Sterbenswörtchen sagen.
Erst nachdem Pinkertons Agenten in der Nähe der Stelle, wo der
Greis auf der Hoteltreppe zu sitzen pflegte, Magnetophone
aufgestellt hatten, konnten sie die von dem alten Bettler
gesungenen Liedchen aufnehmen. In einigen bewarf er die
Rechenmaschine mit den schrecklichsten Ausdrücken und Flüchen, da
sie sich zum Archipankrator alles Seienden im Kosmos erklärt habe.
Daraufhin kam Pinkerton zu dem Schluß, daß die Lesart, die man der
Depesche unterstellte, richtig war und der wahnsinnig gewordene
Kalkulator sich aller im Raumschiff weilenden Menschen entledigt
hatte.
Eine Fortsetzung erfuhr diese
Geschichte durch die Entdeckung, die fünf Jahre später ein Schiff
des Metagalaktologischen Instituts, ›Megastar‹, machte. Es bemerkte
auf der Umlaufbahn eines unerforschten Planeten des Procyon ein
verrostetes Wrack, das im Schnitt der verlorengegangenen
›Gottesgabe‹ ähnlich sah. Das Raumschiff ›Megaster‹, dem der
Brennstoff auszugehen drohte, landete auf dem Rückweg nicht auf dem
Planeten, sondern benachrichtigte auf dem Funkweg die Erde. Damals
wurde ein kleines Patrouillenschiff, ›Deukron‹, ausgesandt, das die
Umgebung des Procyon erforschte und das Wrack wiederfand. Es waren
tatsächlich die Überreste der ›Gottesgabe‹; ›Deukron‹ drahtete, sie
habe das Wrack in einem schrecklichen Zustand gefunden; man habe
daraus die Maschinen, die Zwischenwände, die Decks, die Klappen –
alles bis zum letzten Schräubchen herausgenommen, so daß um den
Planeten nur eine ausgeschlachtete leere Hülle kreiste. Im Verlauf
der weiteren Beobachtungen durch die Besatzung der ›Deukron‹
stellte sich heraus, daß der Kalkulator der ›Gottesgabe‹, als er
den Aufruhr entfachte, beschlossen hatte, sich auf einem Planeten
des Procyon anzusiedeln, und den gesamten Inhalt des Schiffes
ausraubte, um sich auf dem Planeten bequem zu installieren. Im
Zusammenhang damit wurden in unserer Abteilung Akten unter der
Bezeichnung KARELIRIEN angelegt, was zu deuten ist als ›des
Kalkulators Relikt-Revindikation‹.
Der Kalkulator – das beweisen die
weiteren Untersuchungen – hatte sich auf dem Planeten
niedergelassen und sich dort vervielfältigt, indem er eine große
Menge Roboter zeugte, über die er die absolute Macht ausübte. Da
Karelirien sich grundsätzlich im gravipolitischen Einflußbereich
des Procyons und seiner Melmanliten befindet, deren vernunftbegabte
Rasse gutnachbarliche Beziehungen zur Erde unterhält, nahmen wir
davon Abstand, uns brutal einzumischen, und ließen Karelirien mit
der darauf vom Kalkulator gegründeten Roboterkolonie, die in den
Akten der Abteilung die Chiffrebezeichnung KALKOROB trägt, einige
Zeit in Ruhe. SECOS wiederum brachte eine Eigentumsklage vor, da
sie der Meinung war, daß der Kalkulator und alle seine Roboter
juristisches Eigentum der Versicherungsgesellschaft seien. Wir
wandten uns in dieser Angelegenheit an die Melmanliten und
erhielten zur Antwort, daß nach ihrer Information der Kalkulator
nicht eine Kolonie, sondern einen Staat gegründet habe, der von
seinen Bewohnern als Wunderbarien bezeichnet werde; die
melmanlitische Regierung habe, obwohl sie die Existenz dieses
Staates nicht de jure anerkenne und es zu
keinem Austausch diplomatischer Vertretungen gekommen sei, dennoch
die Existenz dieses gesellschaftlichen Organismus de facto anerkannt und fühle sich nicht kompetent,
irgendwelche Änderungen in der fraglichen Angelegenheit
vorzunehmen. Die Roboter vegetierten eine Zeitlang ruhig auf dem
Pla neten und ließen keinerlei schädliche Aggressivität erkennen.
Natürlich verfocht unser Ressort den Standpunkt, daß man diese
Frage nicht gänzlich aus den Händen lassen dürfe, weil das ein
Zeichen von Leichtsinn sei; deshalb schickten wir nach Karelirien
mehrere unserer Leute, nachdem wir sie als Roboter verkleidet
hatten, denn der junge Nationalismus Kalkorobs tritt im Gewand
eines unvernünftigen Hasses gegenüber allem auf, was menschlich
ist. Die karelirische Presse wiederholt unablässig, wir seien
abscheuliche Sklavenhändler und beuteten harmlose Roboter
widerrechtlich aus. So blieben denn alle unsere Angebote für
Verhandlungen, die wir im Namen der Gesellschaft SECOS im Geiste
gegenseitiger Gleichberechtigung und Verständigung führen wollten,
erfolglos, denn selbst unsere bescheidensten Wünsche – daß der
Kalkulator sich und die Roboter ausliefere und in den Besitz der
Gesellschaft übergehe – wurden mit beleidigendem Schweigen
beantwortet.
Meine Herren«, der Redner hob die
Stimme, »die Ereignisse verliefen leider nicht so, wie wir erwartet
hatten. Nach einigen Funkmitteilungen meldeten sich unsere Leute,
die wir nach Karelirien gesandt hatten, nicht mehr. Wir schickten
neue, und die Geschichte verlief ebenso. Nach dem ersten kodierten
Kommuniqué, in dem sie mitteilten, sie seien ohne Störungen
gelandet, gaben sie kein Lebenszeichen mehr. Seit dieser Zeit haben
wir im Verlauf von neun Jahren insgesamt
zweitausendachthundertsechsundachtzig Agenten nach Karelirien
geschickt, und keiner von ihnen ist zurückgekehrt oder hat von sich
hören lassen! Zu diesen Anzeichen einer vervollkommneten
Roboterabwehr gesellten sich bald andere, vielleicht noch weit
beunruhigendere Fakten. Kareliriens Presse greift uns immer
heftiger an. Die Roboterdruckereien produzieren massenhaft für
irdische Roboter bestimmte Broschüren und Flugzettel, in denen die
Menschen als Stromsauger und Lumpen dargestellt und mit
beleidigenden Namen bedacht werden – so werden wir zum Beispiel in
offiziellen Reden als Leimer bezeichnet und die Menschheit als
Klumpe. Wir haben uns in dieser Angelegenheit mit einem aide mémoire an die Regierung des Procyon ge wandt,
doch die wiederholte ihre früheren Erklärungen über
Nichteinmischung, und alle unsere Hinweise auf die verhängnisvollen
Folgen dieser neutralistischen Politik, die im Grunde eine
Vogel-Strauß-Politik sei, haben zu nichts geführt. Man gab uns
lediglich zu verstehen, daß die Roboter unser Produkt seien,
ergo wären wir für alle ihre Missetaten
verantwortlich. Andererseits wünsche sich Procyon kategorisch
keinerlei Strafexpeditionen und sei auch gegen eine
Zwangsenteignung des Kalkulators und seiner Untertanen. In dieser
Situation, meine Herren, wurde die heutige Versammlung einberufen,
und um Ihnen zu zeigen, wie angespannt die Lage ist, füge ich
hinzu, daß vor einem Monat der Elektronenkurier, das offizielle Organ des
Kalkulators, einen Artikel veröffentlicht hat, in dem er den
Stammbaum des Menschen mit Schmutz bewirft und den Anschluß der
Erde an Karelirien fordert, da die Roboter – im Sinne der
veröffentlichten Thesen – angeblich ein höheres Entwicklungsstadium
darstellten als die Lebewesen. Hiermit möchte ich schließen und
bitte Herrn Professor Gargarrag, das Wort zu ergreifen.«
Gebeugt unter der Last der Jahre,
vermochte der berühmte Spezialist der elektronischen Psychiatrie
nur mit Mühe die Rednertribüne zu betreten.
»Meine Herren«, begann er mit ein
wenig zitternder, jedoch kräftiger Greisenstimme. »Schon lange ist
bekannt, daß man Elektronenhirne nicht nur bauen, sondern auch
erziehen muß. Das Schicksal eines Elektronenhirns ist schwer.
Pausenlose Arbeit, komplizierte Berechnungen, Brutalität und
gemeine Witze von Seiten der Bedienung – alledem ist ein in seiner
Beschaffenheit so überaus empfindlicher Apparat ausgesetzt. Was
Wunder, daß es zu Zusammenbrüchen, zu Kurzschlüssen kommt, die
häufig in selbstmörderischer Absicht unternommen werden. Unlängst
hatte ich in meiner Klinik einen solchen Fall. Eine Spaltung des
Bewußtseins war erfolgt – dichotomia profunda
psychogenes electrocutiva alternans. Das Hirn schrieb an sich
selbst die zärtlichsten Briefe, bezeichnete sich darin als
›Spulchen‹, ›Drahtilein‹, ›Röhrchen‹ – ein offenkundiger Beweis,
wie sehr es des Mitgefühls, eines herzlichen Verhält nisses voller
Wärme bedurfte. Eine Serie elektrischer Schocks und eine längere
Erholungspause gaben ihm die Gesundheit wieder. Oder nehmen wir zum
Beispiel solch einen tremor electricus
frigoris oszillativus, meine Herren.
Das Elektronenhirn ist keine Nähmaschine, mit der man Nägel in die
Wand schlagen kann. Es ist ein bewußtes Wesen, das sich in allem
zurechtfindet, was ringsum geschieht, deshalb beginnt es in
Augenblicken kosmischer Gefahr mit dem ganzen Schiff so zu zittern,
daß die Menschen an Deck sich kaum auf den Beinen halten
können.
Gewissen brutalen Naturen mag das
mißfallen. Sie pflegen so ein Hirn zum Äußersten zu treiben. Das
elektronische Hirn wünscht uns das Beste, dennoch, meine Herren,
auch die Haltbarkeit der Drähte und Röhren hat ihre Grenzen. Nur
infolge maßloser Verfolgungen durch den Kommandanten, der sich als
ein notorischer Säufer erwies, hatte sich Grenobis
Elektronenhirnchen, das zu Kurskorrekturen benutzt wurde, in einem
akuten Wahnsinnsanfall als ein ferngezeugtes Kind der Großen
Andromeda und als erblichen Kaiser von Murwiklaudien ausgerufen.
Nach einer Kur in unserer Anstalt beruhigte er sich, erlangte sein
Bewußtsein wieder und ist nun wirklich beinahe normal. Es gibt
natürlich schwerere Fälle. So hatte zum Beispiel ein gewisses
Universitätshirn, das sich in die Frau eines Mathematikprofessors
verliebte, aus Eifersucht alle Berechnungen gefälscht, bis der
Mathematiker in Depression geriet, da er glaubte, er könne nicht
mehr addieren. Aber zur Rechtfertigung jenes Hirns muß man
einräumen, daß die Frau es systematisch verführte, indem sie ihm
alle ihre Rechnungen für die intimste Wäsche zum Summieren gab. Der
Fall, den wir hier behandeln, erinnert mich an einen anderen – den
des großen Schiffshirns der ›Pankratius‹, das sich infolge
Zusammenschaltung mit anderen Hirnen des Schiffes verband und in
seinem ungehemmten Wachstumstrieb, der sogenannten
elektrodynamischen Gigantophilie, das Ersatzteillager verwüstete,
die Besatzung auf der felsigen Mirosena aussetzte, selbst aber in
den Ozean von Alantropien tauchte und sich zum Patriarchen ihrer
Echsen erklärte. Bevor wir mit den Beruhigungsmitteln auf diesen
Planeten gelangten, hatte es sich in einem Wutanfall die Röhren
durchgebrannt, weil die Echsen ihm nicht parieren wollten. Zwar
erwies sich auch in diesem Fall, daß der zweite Steuermann der
›Pankratius‹, ein bekannter kosmischer Falschspieler, dem
unglückseligen Hirn beim Spiel mit gezinkten Karten alles bis auf
das letzte Drähtchen abgewonnen hatte. Der Fall des Kalkulators
liegt jedoch etwas anders, das ist eine Ausnahmeerscheinung, meine
Herren. Wir haben es da mit den Symptomen solcher Krankheiten zu
tun wie Gigantomania ferrogenes acuta, wie Paranoia
misantropica persecutoria, wie Polyplasia
panelectropsychica debilitativa
gravissima, wie endlich auch mit der Necrophilia, Thanatopbilia
und Necromantia. Meine Herren! Ich muß
Ihnen eine gewisse Angelegenheit erläutern, die zum Verständnis
dieses Falles von grundsätzlicher Bedeutung ist. Das Raumschiff
›Gottesgabe‹ hatte außer dem Stückgut, das für die Reeder von
Procyon bestimmt war, auch mehrere synthetische
Quecksilbergedächtnisbehälter an Bord, deren Abnehmer die
galaktische Universität in Fomalhaut war. Sie enthielten zwei Arten
von Kenntnissen: solche aus dem Bereich der Psychopathologie und
solche der archaischen Lexikologie. Es ist anzunehmen, daß der
Kalkulator, als er sich ausbreitete, diese Behälter verschlungen
hat. Damit hat er auch Kenntnis erlangt über solche Geschichten wie
die von Kuba dem Bauchschlitzer und dem Würger aus Gloomspick, wie
die Biographie Sacher-Masochs, die Tagebücher des Marquis de Sade,
die Protokolle der Geißelbrüdersekte aus Pirpinact, das Original
des Buches von Murmuropoulos Der Marterpfahl
im Querschnitt der Jahrhunderte sowie
die Rarität aus der Bibliothek in Abbercrombie – Spießen, eine handschriftliche Abhandlung des im
Jahre 1673 in London geköpften Hapsodors, der unter dem Spitznamen
›Halskette der Säuglinge‹ bekannt war; von dem gleichen Autor auch:
Würgen, Niedermähen und Verbrennen – ein
Beitrag zur Henkerkunde sowie die einzige Schrift ihrer Art,
die von O. Galvinari aus Amagonien kurz vor seinem Tod
niedergeschriebene Ölspeisenkarte. In
jenen fatalen Behältern befanden sich auch auf steinernen Tafeln
entzifferte Sitzungsprotokolle der Kannibalensektion des
Neandertaler Schriftstellerverbandes wie auch die
Galgenbetrachtungen des Vicomte de Crampfousse; wenn ich noch
hinzufüge, daß darin auch solche Werke Platz fanden wie Der perfekte Mord, Das Geheimnis der schwarzen Leiche oder Das ABC des Mordes von Agatha Christie, so können
Sie sich wohl vorstellen, meine Herren, welch schrecklichen Einfluß
dies auf die von Natur aus harmlose Persönlichkeit des Kalkulators
haben mußte.
Bekanntlich bemühen wir uns nach
Kräften, die Elektronenhirne in Unkenntnis dieser schrecklichen
Seiten des Menschen zu lassen. Nun, da die Umgebung des Procyon
bevölkert ist von der eisernen Brut einer Maschine, die bis zum
Rande gefüllt ist mit der Geschichte der irdischen Degeneration,
der Verkommenheit und des Verbrechens, muß ich leider gestehen, daß
die Elektropsychiatrie in diesem Fall völlig ohnmächtig ist. Ich
habe dem nichts mehr hinzuzufügen.«
Der gebrochene Greis verließ
schwankenden Schrittes das Podium inmitten einer dumpfen Stille,
die alle erfaßt hatte. Ich hob die Hand. Der Vorsitzende sah mich
überrascht an, aber nach kurzem Zögern erteilte er mir das
Wort.
»Meine Herren«, sagte ich,
während ich mich erhob, »die Sache ist, wie ich sehe, ernst. Ihre
Ausmaße vermochte ich erst nach den eindringlichen Worten von Herrn
Professor Gargarrag richtig einzuschätzen. Ich möchte hiermit der
geehrten Versammlung ein Angebot machen. Ich bin bereit, mich
allein in das Gebiet des Procyon zu begeben, um zu erforschen, was
dort geschieht. Ich will das geheimnisvolle Verschwinden von
Tausenden Ihrer Leute aufdecken und, soweit mir das möglich ist,
auch zu einer friedlichen Regelung des entstandenen Konfliktes
beitragen. Mir ist klar, daß dieses Problem schwieriger ist als
alle, auf die ich bisher gestoßen bin, aber es gibt Augenblicke, in
denen man handeln muß, ohne die Chancen des Erfolgs oder das Risiko
zu erwägen. Hiermit, meine Herren…«
Die folgenden Worte verschlang
ein Beifallssturm. Ich übergehe, was sich darauf abspielte, es
glich zu sehr einer mir dargebrachten Ovation. Die Kommission und
die Versammlung statteten mich mit allen Vollmachten aus. Tags
darauf führte ich ein Gespräch mit dem Leiter der Procyonabteilung
und Chef der kosmischen Spionage, Geheimrat Malingraut.
»Wollen Sie schon heute fliegen?«
sagte er. »Ausgezeichnet. Aber nicht mit Ihrer Rakete, Tichy. Das
ist unmöglich. Bei solchen Missionen benutzen wir immer besondere
Raketen.«
»Wozu?« fragte ich. »Mir genügt
meine.«
»Ich zweifle nicht an ihrer
Vollkommenheit«, erwiderte er, »aber es geht hier um Tarnung. Sie
werden in einer Rakete fliegen, die äußerlich allem, nur nicht
einer Rakete gleicht. Das wird – aber das werden Sie ja selbst
sehen. Außerdem müssen Sie dort nachts landen…«
»Wieso nachts?« wandte ich ein.
»Der Feuerstrahl der Raketentriebwerke würde mich
verraten!«
»Diese Taktik haben wir bisher
immer angewandt«, meinte er, sichtlich bekümmert.
»Ich werde mich schon an Ort und
Stelle umsehen«, sagte ich. »Soll ich in Verkleidung
reisen?«
»Ja. Das ist erforderlich. Unsere
Experten werden sich Ihrer annehmen. Sie warten bereits. Bitte,
wenn Sie gestatten…«
Man führte mich durch einen
geheimen Gang in ein Zimmer, das einem kleinen Operationssaal
ähnelte. Dort nahmen mich vier Mann in Empfang. Als man mich nach
einer Stunde vor einen Spiegel stellte, konnte ich mich selbst
nicht mehr erkennen. In Bleche geschmiedet, mit viereckigen
Schultern und einem ebensolchen Kopf, mit gläsernen Augenschlitzen
statt der Augen sah ich wie der gewöhnlichste Roboter von der Welt
aus.
»Herr Tichy«, sagte der Chef der
Tarnungsabteilung zu mir, »Sie dürfen mehrere wichtige Dinge nicht
vergessen. Erstens, Sie dürfen nicht atmen.«
»Sie sind wohl nicht bei Trost«,
erwiderte ich. »Wie kann ich das? Ich ersticke doch!«
»Ein Mißverständnis. Natürlich,
atmen Sie nur, aber leise. Keine Seufzer, kein Schnaufen, kein
tieferes Einatmen – alles geräuschlos, und um Himmels willen nur
kein Niesen. Das wäre Ihr Ende.«
»In Ordnung. Was noch?« fragte
ich.
»Sie bekommen auf die Reise einen
Stapel Jahrgänge des Elektronenkuriers und der Oppositionszeitung Stimme des Alls mit.«
»Die haben also auch eine
Opposition?«
»Ja, aber an ihrer Spitze steht
ebenfalls der Kalkulator. Professor Mlassgrack nimmt an, daß er
außer an elektrischer auch noch an politischer Bewußtseinsspaltung
leidet. Hören Sie weiter. Kein Essen, kein Bonbonbeißen – nichts
dergleichen. Essen werden Sie ausschließlich nachts, durch diese
Öffnung hier; wenn Sie den Schlüssel hineinstecken – das ist ein
Sicherheitsschloß –, öffnet sich die Klappe, so, sehen Sie?
Verlieren Sie nur nicht den Schlüssel, sonst droht Ihnen der
Hungertod.«
»Richtig, Roboter essen ja
nicht.«
»Nähere Einzelheiten ihrer Sitten
und Gebräuche sind uns aus verständlichen Gründen nicht bekannt.
Studieren Sie die kleinen Anzeigen ihrer Zeitungen, das ist im
allgemeinen sehr nützlich. Und wenn Sie sich mit jemandem
unterhalten, dann stellen Sie sich bitte nicht zu dicht vor Ihren
Gesprächspartner, damit er nicht durch das Mikrophonsieb
hineinschauen kann. Am besten, Sie schwärzen sich ständig die
Zähne, hier haben Sie eine Schachtel Henna. Und vergessen Sie
nicht, sich jeden Morgen ostentativ alle Scharniere zu ölen, wie
das alle Roboter tun. Allerdings dürfen Sie nicht übertreiben, wenn
Sie etwas quietschen, wird das nur einen guten Eindruck machen. So,
das wäre mehr oder weniger alles. Was denn, Sie wollen so auf die
Straße gehen? Sie sind wohl nicht gescheit? Hier ist ein geheimer
Durchgang, bitte hier…«
Er drückte auf ein Buch in der
Bibliothek, ein Teil der Wand öffnete sich, und ich stieg über eine
schmale Treppe klappernd in den Hof, wo ein Lastenhubschrauber
bereitstand. Man verstaute mich darin, und die Maschine erhob sich
in die Lüfte. Nach einer Stunde landeten wir auf einem geheimen
Kosmodrom. Neben den üblichen Raketen stand auf dem Beton ein
Kornspeicher, rund wie ein Turm.
»Um Himmels willen, das soll die
Rakete sein?« sagte ich zu dem Geheimoffizier, der mich
begleitete.
»Ja. Da drinnen ist alles, was
Sie brauchen: Kodes, Chiffren, Radio, Zeitungen, Lebensmittel und
verschiedene Kleinigkeiten. Auch ein großer Krebs.«
»Ein Krebs?«
»Zum Schneiden von
Panzerschränken… Als Waffe nur im Not
fall zu gebrauchen! Ich wünsche Ihnen Hals-
und Beinbruch«, sagte der Offizier höflich. Ich konnte ihm nicht
einmal anständig die Hand drücken, sie stak nämlich in einem
eisernen Handschuh. Durch eine Tür gelangte ich in den
Kornspeicher. Im Inneren erwies er sich als die gewöhnlichste
Rakete. Ich verspürte große Lust, aus dem eisernen Kasten
herauszukriechen, aber man hatte mich davor gewarnt. Die Fachleute
meinten, es sei besser, wenn ich mich an diese Bürde
gewöhnte.
Ich setzte den Reaktor in Gang,
startete und ging auf Kurs. Nun konnte ich das Mittagessen
einnehmen. Das ging nicht ohne Mühe vor sich. Sosehr ich mir auch
den Kopf verrenkte, ich bekam den Mund nicht direkt hinter die
Klappe; so half ich mit dem Schuhlöffel nach. Dann legte ich mich
in die Hängematte und nahm mir die Roboterpresse vor. Hier eine
Handvoll Titel, die gleich auf den ersten Seiten ins Auge
sprangen:
BEATIFIKATION DES HEILIGEN ELKTRICIUS
DER LEIMER NACHSTELLEREYN BEREITEN WIR
EIN END
TUMULTUM IM STADYON
EIN LEIMER IN FESSELN
Die Syntax und der Wortschatz verblüfften mich
zunächst, doch dann erinnerte ich mich daran, was Professor
Gargarrag über die Wörterbücher der archaischen Sprache an Bord der
»Gottesgabe« berichtet hatte. Ich wußte bereits, daß die Menschen
bei den Robotern Leimer hießen. Sich selbst hielten sie für die
Großartigen.
Ich las die letzte Notiz, die über den Leimer
in Fesseln:
»Zween
Hellebardiere Seiner Induktivität fiengen neulich am dritten morgentlichen Glockenschlag einen
Leimerspitzel, der in der Herbergen des
großart. Mremran Zuflucht in seyner Niedertracht hat suchen wollen. Als treuer Diener Seyner
Induktivität benachrichtigte der großart.
Mremran allbereit die städtische Hellebardierey, worauf der feindliche Spyon mit zu
seiner Schand geöffnetem Visiere, von
fürchterlichem Haßgeschrey der Leut
begleitet, in den Turm Calefaustrum ward geschleudert.
Seine Causamm inzipierte iuror II.
Semperititiae Turtran.«
Für den Anfang nicht übel, dachte
ich, und kehrte zu der Spalte mit dem Titel »Tumultum im Stadyon«
zurück:
»Indes die
Spekulatoren des Grandelturnieres beinahe konfus den Rasen verließen, hatte der allbereite Girlay III,
den Grandel an Turtukur passierend, zu
tief ausgeholt, dermaßen, daß ihn eine
Fraktura des Schienbeins vom weiteren Spiel abhielt.
Alldieweil die Wetter die Prämie verloren
sahen, stürzten sie zur Kasse und stürmten
das Tingulum, wobei sie den Kassirer scharpf echauffierten. Eine Patrouille der städtischen
Hellebardierey warf acht Lärmer in fossam,
mit Steinen schwer belastet. Wird in bälde
jenen Perturbationen ein End gesetzt, questionieren die friedlichen Spekulatoren die
Obrigkeit?«
Mit Hilfe des Wörterbuchs erfuhr ich, daß
fossa Burggraben und questionieren fragen bedeutet, daß ferner
Grandel eine Art Fußball ist, den die Großartigen mit einer
gegossenen Bleikugel spielen. Hartnäckig studierte ich die
Zeitungen, denn vor dem Abflug hatte man mir im Ressort
eingehämmert, daß ich die Bräuche und Lebensgewohnheiten der
Großartigen, wie ich sie in Gedanken selbst schon nannte, genau
kennenlernen müsse, denn einen als Roboter zu bezeichnen, hätte
nicht nur einen Schimpf bedeutet, sondern mich auch gleich
entlarvt.
Ich las also der Reihe nach
folgende Artikel: »Dero Grundsätze sechs in materia des volkommenen
Standes der Großartigen«, »Audyenz des Meisters Gragaturian«, »Wie
die Zunft der Plattner heuer die Ausbesserungen schafft«, »Die
edlen Peregrinationen der großartigen Himmelfahrer zwecks Kühlung
der Röhren«. Noch eigenartiger waren indes die Annoncen. Aus vielen
konnte ich nicht klug werden.
ARMELADOR VI. Vorzüglicher SCHNITZER
– Pflege von Garderoben, Klopfen des Auspuffs, Per
fektionierung von Scharnieren, desgleichen in extre
mis, niedriger Tariff.
WONAX, Mittel gegen Rost, Rostflecke,
Rostkeime,
Rostdenken – überall erhältlich.
OLEUM PURISSIMUM PRO CAPITE – Damit
Dir
der Hals durch Quietschen nicht das Denken konfun
diere!!
Einige konnte ich überhaupt nicht verstehen.
Zum Beispiel sol
che:
Geile! Spielgehäuse reichlich vorhanden! Alle Abmes
sungen! Nach Bürgschaft Gwaydolnerin an Ort und
Stelle. Tarmadral VIII.
Dinge LÜSTERNEM pankratorisches Kubikulum
mit
Amphigneis. Perkorator XXV.
Und da waren auch welche, bei denen mir die
Haare unter der eisernen Haube zu Berge standen:
LUPANARUM GOMORRHEUM ÖFFNET MIT
DEM HEUTIGEN TAGE DIE TORE!
NACH ERHOLUNG SELEKTION FÜR
FEINSCHMECKER WIE NOCH NIE!!
LEIMERKINDER, INVENTAR IN KEMENATEN
UND ZUM MITNEHMEN
Ich zerbrach mir über diese rätselhaften Texte den Kopf, und
ich
hatte genügend Zeit, denn die Reise sollte fast ein ganzes Jahr
dau
ern.
In der »Stimme des Alls« waren noch mehr Annoncen.
KNOCHENBRECHER, HACKMESSER, KELH
SCHEREN, PALISADEN, ARTIGE PFÄHLCHEN
empfiehlt
GREMONTORIUS, FIDRICAX LVI.
PYROMANIKER!!!
Die neuen, mit Felsöl gesättigten Abrakerdelquasten
VERMAG NICHTS ZU LÖSCHEN!!!
Trete AMATEUR-WÜRGER Leimerkinder ab,
rührend, gesprächig, sauber – dito eine Fingernagelzange,
wenig benutzt, zu niedrigem Preis.
GROSSARTIGE HERREN UND DAMEN GAS
TROPFOSTEN, Wirbelquäler,
Leichenpeiniger EINGETROFFEN!!!
Karkaruan XI.
Nachdem ich mich an solchen Annoncen satt
gelesen hatte, begann ich, wie ich glaubte, zu begreifen, welches
Schicksal den Scharen der auf Kundschaft ausgesandten Freiwilligen
der Geheimabteilung widerfahren war. Ich kann nicht behaupten, daß
ich mit sonderlich selbstbewußter Miene auf dem Planeten gelandet
wäre. Ich wartete die Nacht ab und drosselte, soweit das möglich
war, die Motoren. Da ich inmitten hoher Berge niedergegangen war,
tarnte ich nach einiger Überlegung die Rakete mit abgehauenen
Ästen. Die Experten von der Geheimabteilung hatten ihre Köpfe nicht
gerade sehr angestrengt, denn ein Speicher war auf dem
Roboterplaneten zumindest fehl am Platz. Ich lud soviel Vorräte wie
nur möglich in den eisernen Kasten und schlug den Weg zur Stadt
ein, die dank dem starken elektrischen Widerschein am Himmel schon
von weitem zu sehen war. Ein paarmal mußte ich halten, um die
Sardinenbüchsen besser zu verstauen, denn sie rasselten entsetzlich
in mir. Ich ging weiter, da schlug mir etwas Unsichtbares die Beine
weg. Mit fürchterlichem Getöse fiel ich hin. Blitzschnell durchfuhr
mich der Gedanke: Jetzt schon? So schnell! Aber ringsum war kein
Lebewesen, d. h. kein elektrisches Wesen.
Auf alle Fälle holte ich meine
Waffe hervor – den Krebs, wie ihn Geldschrankknacker benutzen,
sowie einen kleinen Schraubenzieher. Ich tastete die Umgebung mit
den Händen ab und überzeugte mich, daß ich von lauter eisernen
Gebilden umringt war. Das waren die Reste alter Automaten – ein
gänzlich verlassener Friedhof. Ich schritt weiter, wobei ich häufig
umfiel und mich über seine Ausmaße wunderte. Er erstreckte sich
wohl über eine ganze Meile. In der Dunkelheit, die der ferne
Lichtschein nicht aufzuhellen vermochte, tauchten plötzlich zwei
vierbeinige Gestalten auf. Ich erstarrte. Meine Instruktionen
sprachen nicht davon, daß auf dem Planeten Tiere lebten. Zwei
andere Vierbeiner näherten sich geräuschlos den ersteren. Eine
unvorsichtige Bewegung meinerseits brachte den Panzer zum Klirren,
und die dunklen Gestalten stiebten wie wahnsinnig davon.
Nach diesem Zwischenfall
verdoppelte ich meine Vorsicht. Der Zeitpunkt, die Stadt zu
betreten, schien nicht sehr glücklich gewählt – die späte
nächtliche Stunde, die leeren Straßen – mein Erscheinen hätte
unerwünschte Aufmerksamkeit erregt. Ich hockte mich also im
Straßengraben nieder und wartete, Biskuits knabbernd, geduldig auf
das Morgengrauen. Ich wußte, daß ich mich vor der nächsten Nacht
nicht würden stärken können.
Bei Tagesanbruch betrat ich die
Vorstadt. Ich sah niemanden. An einem Zaun hing ein großes, ganz
offensichtlich altes Plakat, das vom Regen verwaschen war.
Neugierig näherte ich mich und las:
BEKANNTMACHUNG
Der Obrigkeit der Siedelung ist wohlbekannt,
daß sich das Leimerungeziefer in die Reihen der rechten Großartigen
einzuschleichen bemüht. Wer immer einen Leimer oder ein Individuum
erblicket, das zur Suspection Anlaß giebt, hat es ohne zu verweilen
seiner Hellebardierey zu vermelden. Wer gemeinsam Sach mit denen
treibet oder ihnen Hülfe gewährt, wird durch Auseinanderschrauben
in saecula saeculorum bestrafft. Für eines Leimer Kopff wird ein
Praemium von 1000 Ferklosen ausgesetzt.
Ich ging weiter. Die Vorstädte sahen wenig
einladend aus. Vor elenden, halb vom Rost zerfressenen Baracken
saßen Scharen von Robotern und spielten Wappen oder Zahl. Von Zeit
zu Zeit brach unter ihnen eine Schlägerei aus, und zwar mit solchem
Getöse, als fahre ein Artilleriegeschoß in ein Lager mit
Eisenfässern. Etwas weiter stieß ich auf eine Haltestelle der
lokalen Stadtbahn. Ein fast leerer Waggon rollte heran, und ich
stieg ein. Der Fahrer bildete einen untrennbaren Teil des Motors,
seine Hand war fest mit der Kurbel verbunden. Der Schaffner war am
Eingang festgeschraubt. Er war gleichzeitig die Tür und ging an
Scharnieren. Ich gab ihm eine Münze von dem Vorrat, den mir die
Abteilung zugeteilt hatte, und setzte mich laut knirschend auf die
Bank. Im Zentrum stieg ich aus und trottete vor mich hin, als sei
nichts geschehen. Ich traf immer mehr Hellebardiere, sie machten
ihre Rundgänge zu zweit oder zu dritt, mitten auf der Straße. Als
ich an einem Haus eine Hellebarde erblickte, die an der Mauer
lehnte, nahm ich sie im Vorbeigehen mit und marschierte weiter.
Meine Absonderung konnte jedoch seltsam erscheinen, also nutzte ich
den Umstand, daß einer von drei vor mir schreitenden Wächtern in
einen Torweg einbog, um die abrutschende Rüstung zu befestigen, und
trat an die von ihm verlassene Stelle der Dreiergruppe. Die ideale
Ähn lichkeit aller Roboter kam mir zustatten. Meine beiden
Gefährten schwiegen eine Zeitlang, schließlich sagte einer: »Wann
bekommen wir unseren Sold, Brebran? Die Langeweill setzt mir arg
zu, und ich thät gar artig mit einer Elektrieze spielen.«
»Recht sprichst du, Kamerad«,
erwiderte der zweite, »unser Dienst ist nit leicht.«
So durchquerten wir die gesamte
Innenstadt. Ich schaute mich eifrig um und bemerkte unterwegs zwei
Gaststätten, vor denen ein wahrer Wald von Hellebarden an den
Wänden lehnte. Ich stellte jedoch keine Fragen. Die Beine taten mir
schon ordentlich weh, außerdem war es in dem eisernen Kasten
ziemlich stickig, denn die Sonne sengte herab, und die Nase juckte
von dem rostigen Staub – ich fürchtete, ich müßte niesen, also
versuchte ich etwas abzurücken, aber beide brüllten los: »He,
Brüderchen! Wohin so eilig? Willst, daß dir die Obrigkeit die
Stelzen zertrümmert? Bist am end toll worden?«
»Mitnichten«, erwiderte ich, »hab
mich nur ein Weilchen hinhocken wollen.«
»Hinhocken? Hat dir die Pest die
Spule versengt? Sind wir doch im Dienst, wackere
Eisentonner!«
»Nun denn«, erwiderte ich
zustimmend, und wir marschierten weiter. Nein, dachte ich mir, so
komme ich nicht voran. Ich muß anders an die Dinge herangehen. Wir
streiften noch einmal durch die ganze Stadt, unterwegs hielt uns
ein Offizier an.
»Refernasor!« rief er.
»Brentakurdwium!« schrien meine
Gefährten zurück. Ich merkte mir gut Parole und Gegenparole. Der
Offizier musterte uns von vorn und hinten und befahl uns, die
Hellebarden höher zu halten.
»Wollt ihr wohl richtig zupacken,
ihr Liederjane!! Öfen seid ihr, nit aber Hellebardiere seiner
Induktivität! Tritt gefaßt! Im Gleichschritt, marsch!«
Die Hellebardiere nahmen die
Besichtigung kommentarlos hin. Die Sonne stand im Zenit, und ich
verfluchte den Augenblick, da ich beschlossen hatte, freiwillig zu
diesem scheußlichen Planeten zu reisen; obendrein machte mir der
Hunger im Gedärm zu schaffen. Ich befürchtete sogar, daß mich das
Knurren verraten könnte, also bemühte ich mich, so laut wie möglich
zu quietschen. Wir kamen an einer Gaststätte vorbei. Ich warf einen
Blick hinein. Fast alle Tische waren besetzt. Die Großartigen oder
– wie ich sie in Gedanken nach den Worten des Offiziers nannte –
die Öfner saßen reglos da, in bläulichem Schmelz. Von Zeit zu Zeit
rasselte einer von ihnen oder wandte den Kopf, um mit seinen
gläsernen Blinkern auf die Straße zu schauen. Sie aßen nicht, sie
tranken nicht, sie schienen nur auf irgend etwas zu warten. Der
Kellner – ich erkannte ihn an seiner weißen Schürze, die er über
der Rüstung trug – stand an der Wand.
»Vielleicht setzen wir uns für
eine Weile zu ihnen?« fragte ich, denn ich hatte mir schon in den
eisernen Schuhen Blasen gelaufen.
»Wahrlich, du bist ein
Liederjan!« fielen meine Gefährten über mich her. »Setzen hat man
uns nicht befohlen. Gehen ist unser Recht. Sorg dich nicht, die da
werden schon mit List dem Leimer zu Leibe rücken, wann er kommt und
mit dem Verlangen nach Suppe oder Milchbrei seine feindliche Natur
kundtut.«
Ohne davon ein Wort zu begreifen,
trottete ich gehorsam weiter. Allmählich packte mich die Wut, doch
schließlich lenkten wir unsere Schritte zu einem großen roten
Ziegelgebäude, an dem die schmiedeeiserne Aufschrift
hing:
HELLEBARDIERKASERNE
SEINER LICHTEN INDUKTIVITÄT KALKULATRICIUS
DES ERSTEN
Am Eingang konnte ich meinen Gefährten
entwischen. Die Hellebarde stellte ich neben den Wächter, als er
sich mit Geklirr und Gerassel umdrehte, und trat in die nächste
Nebenstraße. Gleich um die Ecke stand ein ziemlich großes Gebäude
mit dem Schild SCHENKE ZUR AXT. Ich warf nur einen Blick hinein,
doch der Hotelier, ein stämmiger Roboter mit einem kurzen Rumpf,
kam mit munterem Knirschen heraus. »Willkommen, Euer Wohlgeboren,
willkommen… Trage untertänigst meine Dienste an. – Vielleicht ein
Zimmerchen gefällig?«
»Fürwahr…«, begann ich, da zog er
mich auch schon hinein. Während er mich die Treppe hinaufgeleitete,
knarrte er mit seiner blechernen Stimme wie aufgezogen: »Pilger
kömmen heutzutag in Scharen, o ja, in Scharen… Nirgends findest
einen Großartigen, der nicht die Condensatores und Drähte Seiner
Induktivität mit eigenen Blinkern besichtigen möcht… Hierher
gestatten Euer Ehren, hier ein würdiges Appartamentum, bittschön,
hier die Spielkemenate, dort das Gästezimmer… Gewiß sind Euer
Wohlgeboren ermattet, der Staub knirscht in den Gelenken…
Verstatten, bin im Nu mit dem Putzzeug zur Stell…«
Er rasselte über die Treppe, und
kaum hatte ich mich in dem dunklen, mit Eisenschränken und
ebensolchem Bett möblierten Zimmer umgesehen, kehrte er mit einem
Ölkännchen, einem Lappen und einer Flasche Sidol wieder. Nachdem er
alles auf dem Tisch abgestellt hatte, sagte er leiser und ein wenig
vertraulicher: »Sobald sich Euer Gnaden hergerichtet haben, bitt
ich mit Verlaub, nach unten zu kommen… Für edlere Personen, wie
Euer Gnaden, habe ich immer ein süßes kleines Geheimnis auf Lager…
Eine Überraschung für muntere Späßchen…«
Und er ging hinaus, mit seinen
Photozellen linsend. Da ich nichts Besseres zu tun hatte, ölte ich
mich, putzte die Bleche mit Sidol und bemerkte, daß der Hotelier
ein Blatt auf dem Tisch liegengelassen hatte, das an eine Menükarte
erinnerte. Da ich genau wußte, daß die Roboter nichts essen, hielt
ich sie mir erstaunt vor die Augen. »HOSPIZ II. Kat.« stand
darüber.
Leimerkind, Enthauptung…………8 Ferkl.
Dass. mit Schauder……………….10 Ferkl.
Dass. weinerlich………………….11 Ferkl.
Dass. herzerweichend…………….14 Ferkl.
Inventarium:
Beilige Sodomie, Stück…………….6
Ferkl.
Munteres Hacken………………….8 Ferkl.
Dass. Kleinkalb……………………8 Ferkl.
Ich begriff nichts davon, aber
mir lief ein Schauer über den Rücken, als aus dem angrenzenden
Zimmer ein Krachen von ungewöhnlicher Lautstärke zu mir drang, so
als versuchte der nebenan wohnende Roboter, sein Quartier in lauter
Stücke zu schlagen. Die Haare standen mir zu Berge. Das war zuviel.
Vorsichtig, bemüht, nicht zu klirren und zu rasseln, floh ich aus
dieser schrecklichen Spelunke auf die Straße. Erst als ich weit weg
war, atmete ich auf. Was fang ich Unseliger bloß an? überlegte ich.
In der Nähe einer Schar Roboter, die Sechsundsechzig spielten,
blieb ich stehen, als kiebitzte ich eifrig. Vorläufig wußte ich
eigentlich noch nichts über die Beschäftigung der Großartigen. Ich
konnte mich erneut in die Reihen der Hellebardiere schleichen, aber
davon versprach ich mir nicht viel, und die Chance, entlarvt zu
werden, war keineswegs gering. Was tun?
In Gedanken versunken, schritt
ich vor mich hin, bis ich auf einer Bank einen Roboter erblickte,
der seine alten Bleche in der Sonne wärmte und sich den Kopf mit
einer Zeitung zugedeckt hatte. Auf der Titelseite war ein Gedicht
abgedruckt, das mit den Worten begann: »Bin ein entarteter
schmucker großartiger Schlucker.« Wie es weiterging, weiß ich
nicht. Allmählich entspann sich zwischen uns ein Gespräch. Ich
stellte mich als Ankömmling aus der benachbarten Stadt vor, aus
Sadomasia. Der alte Roboter war überaus herzlich. Er bat mich
sogleich in sein Haus. »Was wollen Euer Ehren sich erst lange in
den Schenken herumschlagen und sich mit den Wirtsleut streiten.
Verstatten Sie, Sie zu mir zu begleiten. Hab ein gastlich Haus,
stets dero untertänigster Diener. Freude wird mit dero ehrenwerten
Person in meine bescheidenen Kemenaten einziehen.«
Was blieb mir übrig? Ich willigte
ein, und es war mir sogar recht. Mein neuer Wirt bewohnte ein
eigenes Haus, drei Straßen weiter. Er führte mich sogleich in sein
Gästezimmer.
»Bei der langen Reis mußt du
maßlos viel Staub geschluckt haben, Herr«, sagte er.
Wieder wurden mir ein Ölkännchen,
Sidol und Lappen gereicht. Ich wußte schon, was er sagen würde, die
Roboter waren eben doch unkomplizierte Wesen. Und in der Tat:
»Sobald sich der Herr hergerichtet haben, bitt ich mit Verlaub ins
Spielzimmer zu kommen«, sagte er, »wir wollen gemeinsam Kurzweil
treiben…«
Er schloß die Tür. Ich berührte
weder das Ölkännchen noch die Flasche Sidol, überprüfte jedoch im
Spiegel den Zustand meiner Verkleidung, schwärzte mir die Zähne und
wollte gerade hinuntergehen, ein wenig unruhig angesichts der
»Kurzweil«, die mich erwartete, als aus der Tiefe des Hauses lautes
Getöse zu mir drang. Diesmal konnte ich nicht mehr flüchten, ich
stieg die Treppe hinunter, umgeben von einem solchen Gedröhn, als
zerhacke jemand einen eisernen Klotz zu Spänen. Im Spielzimmer war
der Teufel los. Mein Wirt, bis zum eisernen Rumpf entkleidet,
hackte mit einem eigenartig geformten Beil eine große Puppe
entzwei, die auf dem Tisch lag.
»Bittschön, lieber Gast! Diese
Rümpfchen stehen zu dero Vergnügen bereit«, sagte er, als er meiner
ansichtig wurde. Er hörte mit dem Hacken auf und deutete auf eine
zweite, etwas kleinere Puppe, die auf dem Fußboden lag. Als ich
mich ihr näherte, setzte sie sich auf, öffnete die Augen und begann
mit schwacher Stimme zu greinen: »Herr, ich bin ein unschuldig
Kind, verschone mich… Herr, ich bin ein unschuldig Kind, verschone
mich…«
Der Wirt reichte mir ein Beil,
das einer Hellebarde ähnelte, nur daß der Stiel kürzer
war.
»Nur zu, ehrenwerter Gast,
hinfort mit den Sorgen, hinfort mit der Traurigkeit. Schlagt nur
fest drauflos. Nur Mut!«
»Nun… ich mag Kinder nicht«,
entgegnete ich schwach. Er erstarrte.
»Ihr möget sie nicht?« erwiderte
er. »Schade. Da bin ich in arger Verlegenheit. Was fangt Ihr nun
an? Ich habe nur die Kleinen da – das ist meine Schwäche,
Verehrtester. Möchtet Ihr es nicht mit einem Kalb
probieren?«
Er holte ein durchaus handliches
Plastkalb aus dem Schrank, das aufblökte, wenn man es drückte. Was
sollte ich tun? Da ich nicht entlarvt werden wollte, hackte ich auf
die unselige Puppe drauflos und schwitzte dabei tüchtig. Der Wirt
hatte inzwischen beide Puppen gevierteilt; er legte das Werkzeug
weg, das er Knochenbrecher nannte, und fragte, ob ich zufrieden
sei. Ich versicherte ihm, daß ich schon lange nicht mehr ein
solches Vergnügen gehabt hätte.
So begann mein unfrohes Dasein
auf Karelirien. Frühmorgens, nach dem Frühstück, das aus siedendem
Öl bestand, begab sich der Wirt zur Arbeit, und seine Frau sägte
eifrig etwas im Schlafzimmer, ich glaube Kälber, aber ich könnte es
nicht beschwören. Ich hielt das Geblöke, das Geschrei und das
Getöse nicht aus, also ging ich in die Stadt. Die Beschäftigung der
Einwohner war ziemlich monoton. Vierteilen, Brechen am Rad,
Verbrennen, Zersägen – im Zentrum befand sich ein Vergnügungspark
mit Pavillons, in denen man die ausgefallensten Werkzeuge erwerben
konnte. Nach ein paar Tagen konnte ich mein eigenes Taschenmesser
nicht mehr ansehen, und nur der Hunger trieb mich in der
Abenddämmerung vor die Stadt, wo ich eilig im Gebüsch Sardinen und
Biskuits hinunterschlang. Kein Wunder, daß ich bei solcher Kost
immer nahe einem Schluckauf war, was für mich eine tödliche Gefahr
bedeutete. Am dritten Tag gingen wir ins Theater. Es wurde das
Stück »Karbesaurius« gespielt, die Geschichte eines jungen,
stattlichen Roboters, der von den Menschen, das heißt von den
Leimern, schrecklich verfolgt wurde. Sie begossen ihn mit Wasser,
schütteten ihm Sand ins Öl, lockerten ihm die Schräubchen, so daß
er dauernd umfiel, und anderes mehr. Im Zuschauerraum klirrte es
drohend. Im zweiten Akt erschien ein Sendbote des Kalkulators, der
junge Roboter wurde befreit. Der dritte Akt befaßte sich
eingehender mit den Menschen, deren Schicksal, wie man leicht
erraten kann, nicht gerade beneidenswert war.
Aus Langerweile kramte ich in der
Hausbibliothek der Wirtsleute, aber sie enthielt nichts
Interessantes: ein paar schäbige Nachdrucke des Tagebuchs des
Marquis de Sade, sonst lauter kleine Broschüren wie Das Erkennen der Leimer;, aus der ich mir einige
Abschnitte merkte. »Der Leimer«, so begann der Text, »ist über die
Maßen weich, in seiner Konsistenz erinnert er an Piroggen… Die
Augen sind stumpf, wässerig, sie sind das Abbild seiner seelischen
Niedertracht. Ein gummiartiges Gesicht…« und so weiter, ganze
hundert Seiten lang.
Am Sonnabend kamen die lokalen
Honoratioren zu uns, ein Meister der Blecherinnung, der
Stellvertreter des Waffenschmieds der Stadt, ein
Innungsobermeister, zwei Protokraten, ein Alzimurtan – leider kam
ich nicht dahinter, was das für Berufe waren, denn man unterhielt
sich vorwiegend über die schönen Künste, über das Theater, über das
vollkommene Funktionieren Seiner Induktivität. Die Damen tratschten
ein bißchen. Dadurch erfuhr ich von einem in höheren Kreisen
sattsam bekannten Schurken und Leichtfuß, einem gewissen Poduxt,
der ein liederliches Leben führte – er umgab sich mit Schwärmen
elektrischer Bacchantinnen, die er mit den kostbarsten Spulen und
Röhren förmlich verwöhnte. Mein Wirt ereiferte sich jedoch nicht
sonderlich, als ich den Poduxt erwähnte.
»Junger Stahl, junger Strom«,
sagte er gutmütig. »Er wird schon noch rostig werden, die
Widerstände werden sich verkleinern, da wird auch das Hauptrohr
weich…«
Eine gewisse Großartige, die bei
uns ziemlich selten zu Gast war, fand aus mir unerklärlichen
Gründen Gefallen an mir und flüsterte mir einmal – ich weiß nicht
mehr nach dem wievielten Becher Öl – zu: »Du gefällst mir. Willst
du mich? Wir könnten verschwinden und uns bei mir zu Hause
elektrisieren…«
Ich tat, als habe ein plötzliches
Funkensprühen der Kathode mich daran gehindert, ihre Worte zu
verstehen.
Das Familienleben meiner
Wirtsleute war im allgemeinen einträchtig, aber einmal wurde ich
unfreiwillig Zeuge eines Streits; die bessere Ehehälfte schrie
ihren Mann an und wünschte ihm, er mö ge sich in Schrott
verwandeln, doch der erwiderte darauf nichts – wie alle
Ehemänner.
Bei uns verkehrte auch häufig ein
vielbeschäftigter Elektromeister, der die städtische Klinik
leitete. Da er ab und an von seinen Patienten erzählte, erfuhr ich,
daß die Roboter zuweilen auch wahnsinnig würden; die schlimmste
Geistestrübung sei die Überzeugung, sie seien Menschen. Und obwohl
er das nicht ausdrücklich sagte, konnte ich doch seinen Worten
entnehmen, daß in letzter Zeit die Anzahl solcher Fälle erheblich
zugenommen hatte.
Diese Neuigkeiten übermittelte
ich jedoch nicht zur Erde, einmal deshalb, weil sie mir ziemlich
dürftig erschienen, zum anderen, weil ich wenig Lust verspürte,
durch die Berge zu marschieren zu der weit draußen zurückgelassenen
Rakete, in der sich der Sender befand. Eines Morgens, als ich
gerade mit meinem Kalb fertig war (meine Wirtsleute lieferten mir
jeden Abend eins in der Überzeugung, mir keine größere Freude
bereiten zu können), wurde draußen gegen die Tür gedonnert, daß es
durch das ganze Haus dröhnte. Meine Befürchtung war nur zu
gerechtfertigt. Polizei war da, d. h. die Hellebardiere. Ich wurde
ohne jede Erklärung vor den Augen meiner verdutzten Wirtsleute auf
die Straße geführt. Man legte mir Fesseln an, steckte mich in einen
Wagen und fuhr mit mir zum Gefängnis. Dort stand bereits eine
feindlich gestimmte Menge vor dem Tor und stieß haßerfüllte Rufe
aus. Ich wurde in eine Einzelzelle gesperrt. Als die Tür hinter mir
zuschlug, setzte ich mich mit einem lauten Seufzer auf die
Blechpritsche. Jetzt konnte mir das nicht mehr schaden. Eine Weile
überlegte ich, in wie vielen Gefängnissen ich in den
verschiedensten Gegenden der Milchstraße schon gesessen hatte, aber
es gelang mir nicht, eine genaue Zahl zu bestimmen. Unter der
Pritsche lag etwas. Es war eine Broschüre über das Entlarven von
Leimern! Hatte man sie zum Spott dorthin gelegt, aus gemeiner
Bosheit? Unwillkürlich schlug ich sie auf. In dem Abschnitt wurde
darüber berichtet, wie sich der obere Teil des Leimerrumpfes im
Zusammenhang mit dem sogenannten Atmen bewege, wie man feststellen
könne, ob die Hand, die er reicht, teigig
sei, und ob aus seiner Mundöffnung ein leichtes Lüftchen dringe. Ist der Leimer erregt –
so schloß der Abschnitt –, dann scheidet er eine wässerige
Flüssigkeit aus, hauptsächlich auf der Stirn.
Das war ziemlich genau. Ich
schied diese wässerige Flüssigkeit aus. Dem Anschein nach ist die
Erkundung des Universums etwas eintönig, und zwar durch die bereits
erwähnten Gefängnisaufenthalte auf den Gestirnen, Planeten, ja
sogar Nebelflecken, da sie in gewissem Sinne eine untrennbare
Etappe dieser Erkundungen bilden – aber noch nie war meine Lage so
schwarz gewesen wie jetzt. Gegen Mittag brachte mir der Wärter
einen Teller warmen Öls, in dem etwas Schrot für die Kugellager
schwamm. Ich bat um etwas Verdaulicheres, da ich ja nun schon
entlarvt war, er jedoch knirschte nur ironisch und ging wortlos
hinaus.
Ich trommelte gegen die Tür und
verlangte einen Rechtsanwalt. Niemand antwortete. Gegen Abend, als
ich das letzte Biskuitkrümel, das sich in meinem Panzer befand,
verzehrt hatte, rasselte der Schlüssel im Schloß, und ein stämmiger
Automat mit einer dicken Ledertasche trat in die Zelle.
»Sei verdammt, Leimer!« sagte er
und fügte hinzu: »Ich soll dein Verteidiger sein.«
»Begrüßt du deine Mandanten immer
auf diese Weise?« fragte ich und setzte mich.
Er setzte sich ebenfalls,
rasselnd und klappernd. Er war abstoßend. Seine Bauchbleche hatten
sich völlig gelockert.
»Die Leimer ja«, sagte er mit
Überzeugung. »Lediglich aus meiner Loyalität gegenüber meinem Beruf
– nicht dir gegenüber, du ehrloser Wicht – werde ich meine Künste
zu deiner Verteidigung entfalten, du Kreatur! Vielleicht gelingt es
mir, die deiner harrende Strafe auf ein einmaliges
Auseinandernehmen herabzumildern.«
»Wieso«, sagte ich, »mich kann
man doch nicht auseinandernehmen.«
»Ha, ha!« knirschte er. »Das
scheint dir nur so. Und jetzt sag, was führtest du im Schilde, du
klebrige Kanaille!«
»Wie heißt du?« fragte ich.
»Klaustron Fridrak.«
»Klaustron Fridrak, sage mir, wessen ich
bezichtigt werde.«
»Der Leimigkeit«, erwiderte er
sogleich. »Dafür bekommst du die Hauptstrafe. Und ferner der
Absicht, uns zu verkaufen, des Spionierens zugunsten der Klumpe,
des blasphemischen Plans, die Hand gegen Seine Induktivität zu
erheben – mehr als genug, du schleimiger Leimer! Bekennst du dich
schuldig?«
»Bist du auch bestimmt mein
Verteidiger?« fragte ich. »Du sprichst ja wie ein Staatsanwalt oder
wie ein Untersuchungsrichter.«
»Ich bin dein
Verteidiger.«
»Gut. Ich bekenne mich in keinem
dieser Punkte schuldig.«
»Die Fetzen werden von dir nur so
fliegen«, brüllte er.
Als ich sah, was ich für einen
Verteidiger bekommen hatte, verstummte ich. Am Tag darauf wurde ich
zum Verhör geführt. Ich gab nichts zu, obwohl der Richter womöglich
noch schrecklicher donnerte als mein Verteidiger. Er brüllte,
flüsterte und brach in blechernes Lachen aus, dann wieder erklärte
er mir völlig ruhig, daß er eher anfangen werde zu atmen, denn daß
ich der Gerechtigkeit der Großartigen entginge.
Beim nächsten Verhör war ein
wichtiger Würdenträger zugegen – nach der Anzahl der Röhren zu
urteilen, die in ihm glühten. Vier weitere Tage verstrichen. Das
schlimmste war der Hunger. Ich begnügte mich mit dem Hosengürtel,
den ich in dem Wasser tränkte, das mir der Wärter einmal täglich
brachte, wobei er den Topf weit von sich entfernt hielt, als trüge
er Gift.
Nach einer Woche ging der Gürtel
zur Neige, aber ich hatte zum Glück hohe Schnürschuhe aus
Ziegenleder an; ihre Zungen waren das Beste, was ich während meines
Aufenthalts in der Zelle gegessen habe.
Am achten Tag, am frühen Morgen,
befahlen mir zwei Wärter, meine Sachen zu packen. Ich wurde in den
Gefängniswagen ge steckt und unter Bewachung zum Eisernen Palast,
dem Sitz des Kalkulators, gefahren. Über prunkvolle, nichtrostende
Treppen, durch Säle, die mit Kathodenröhren bestückt waren, wurde
ich in ein großes, fensterloses Zimmer geführt. Dort ließen mich
die Wärter allein. Von der Decke hing ein schwarze Vorhang herab,
der in faltigem Karree die Zimmermitte umgab.
»Elender Leimer!« donnerte eine
Stimme, die durch Rohre aus eisernem Untergrund zu dringen schien.
»Deine letzte Stunde hat geschlagen. Sag, was du vorziehst:
Häckselschneide, Knochenbrecher oder Bohrhydraulik?«
Ich schwieg. Der Kalkulator
erdröhnte, rauschte und ließ sich vernehmen: »Hör mich an, du
leimige Kreatur, hergekommen aus der Ränkeschmiede der Klumpe!
Vernimm meine mächtige Stimme, Schleimkleber, säuriger Nasenrotz!
In der Großartigkeit meiner lichten Ströme gewähre ich dir eine
Gnade: Wenn du auf die Seite meiner treuen Scharen übertrittst,
wenn du mit ganzer Seele ein Großartiger sein möchtest, werde ich
dir vielleicht dein Leben schenken.«
Ich sagte, daß das schon lange
mein Traum gewesen sei. Der Kalkulator stieß ein
höhnisch-wieherndes, pulsierendes Lachen aus und versetzte: »Deine
Lügen werde ich zu den Märchen legen. Hör zu, Fallsüchtiger. Du
kannst dein klebriges Leben nur als großartiger Geheimhellebardier
bewahren. Deine Aufgabe wird sein, alle Leimer, Spionierer,
Agenten, Verräter und jegliches andere Gewürm, das die Klumpe
herschickt, zu entlarven, zu enthüllen, du wirst ihnen die Visiere
herunterreißen, sie mit weißglühenden Eisen ausbrennen. Nur durch
diese Art untertänigen Dienstes kannst du dich retten.«
Als ich alles feierlich
versprochen hatte, führte man mich in einen anderen Raum, wo ich
ins Register eingetragen wurde und den Befehl erhielt, täglich in
der Haupthellebardei Meldung zu erstatten. Dann durfte ich,
benommen und auf schwanken Beinen, den Palast verlassen.
Dunkelheit brach herein. Ich ging
hinaus vor die Stadt, hockte mich ins Gras und begann nachzudenken.
Mir war schwer ums Herz. Hätte man mich enthauptet, dann wäre mir
wenigstens meine Ehre geblieben, so aber, nachdem ich auf die Seite
dieses elektrischen Ungeheuers übergegangen war, hatte ich die
Sache verraten, die ich vertrat, hatte ich meine Chance vertan. Was
sollte ich tun? Zur Rakete laufen? Das wäre schändliche Flucht
gewesen. Trotzdem ging ich los. Das Schicksal eines Spitzels im
Dienst einer Maschine, die über Kolonnen eiserner Kästen gebietet,
wäre eine noch schlimmere Schande. Aber wer beschreibt mein
Entsetzen, als ich an der Stelle, wo ich die Rakete verlassen
hatte, nur zertrümmerte, von irgendwelchen Maschinen
auseinandergezerrte Reste erblickte.
Es war bereits dunkel, als ich in
die Stadt zurückkehrte. Ich setzte mich auf einen Stein und
schluchzte zum erstenmal in meinem Leben bitterlich vor Kummer über
meine verlorene Heimat. Die Tränen rannen über das eiserne Innere
dieses hohlen Panzers, der von nun an bis zu meinem Tod mein
Gefängnis sein sollte, troffen durch die Knieritzen nach außen,
drohten mit Rost und mit Versteifung der Gelenke. Aber nun war mir
alles egal.
Plötzlich erblickte ich vor dem
Hintergrund des im Westen verglimmenden Lichts einen Zug
Hellebardiere, der langsam zu den Vorstadtwiesen hinauszog. Sie
verhielten sich eigenartig. Die abendliche Dämmerung wurde dichter,
und in dieser Dunkelheit verschwanden sie einer nach dem andern
einzeln aus den Reihen, möglichst leise die Beine bewegend, krochen
ins Gebüsch und tauchten darin unter. Das erschien mir so
merkwürdig, daß ich trotz meiner Niedergeschlagenheit leise
aufstand und dem nächsten von ihnen folgte.
Erwähnen möchte ich, daß dies
eine Jahreszeit war, in der an den Vorstadtbüschen wilde Beeren
wuchsen, im Geschmack den Blaubeeren ähnelnd, süß und überaus
schmackhaft. Ich selbst hatte sie gegessen, sooft ich aus der
eisernen Stadt entwischen konnte. Wer begreift meine Verblüffung,
als ich sah, wie der von mir beobachtete Hellebardier sich mit
einem kleinen Schlüssel, der aufs Haar dem glich, den mir der
Bevollmächtigte der II. Abteilung ausgehändigt hatte, das Visier an
der linken Seite öffnete, mit beiden Händen die Beeren pflückte und
sie wie ein Wilder in den offenen Rachen stopfte. Bis zu mir drang
das hastige, mampfende Schmatzen.
»Pssst«, zischte ich
durchdringend, »du, hör mal.«
Mit einem Satz war er im
Dickicht, aber er flüchtete nicht weiter, ich hätte es sonst
gehört. Er mußte sich irgendwo hingekauert haben.
»Hallo«, rief ich mit gedämpfter
Stimme, »hab keine Angst. Ich bin ein Mensch. Ein Mensch. Ich bin
ebenfalls verkleidet.« Ein vor Angst und Argwohn flammendes Auge
musterte mich durch das Laub.
»Wie soll ich wissen, ob hinters
Licht zu führen nicht deine Absicht ist?« ertönte eine rauhe
Stimme.
»Aber ich sage dir doch. Hab
keine Angst. Ich komme von der Erde. Man hat mich
hierhergeschickt.«
Ich mußte ihn noch eine Weile
überzeugen, bevor er sich so weit beruhigte, daß er aus dem Gebüsch
kroch. Er berührte meinen Panzer im Dunkeln.
»Du bist ein Mensch?
Fürwahr?«
»Warum redest du nicht wie ein
Mensch?« fragte ich.
»Weil es mir entfallen. Es geht
schon ins fünfte Jahr, wo mich ein grausiges Fatum hierhergebracht…
Gelitten hab ich, daß sich’s nit in Worte fassen läßt… Oh, welch
glückliche Fortuna, so mich noch vor meinem Tode einen Leimer
erblicken läßt…«, stammelte er.
»Besinn dich und hör auf, so zu
sprechen! Hör mal – bist du etwa von der
Geheimabteilung?«
»Wie denn nicht. Fürwahr, ich bin
von der Abwehr. Malingraut hat mich hierhergesandt, in dieses
grausame Leid.«
»Warum bist du nicht
geflohen?«
»Wie sollte ich fliehen, wenn man
mir die Rakete auseinandergenommen und gänzlich zerstückelt hat?
Bruder – es frommt mir nicht, hier zu sitzen. Es ist Zeit, in die
Kaserne zu eilen… Halt, sehen wir uns noch? Kömmst du morgen vor
die Kaserne… Kömmst du?«
Ich verabredete mich also mit
ihm, obwohl ich nicht einmal wußte, wie er aussah, und wir nahmen
voneinander Abschied. Er schärfte mir ein, noch eine Weile
zurückzubleiben, und verschwand in der Dunkelheit der Nacht. Mit
neuem Mut kehrte ich in die Stadt zurück, denn ich sah die Chance,
eine Widerstandsbewegung zu organisieren. Um Kraft zu schöpfen,
ging ich in die erste Schenke, an der ich vorbeikam, und legte mich
schlafen. Am Morgen, als ich mich im Spiegel betrachtete, bemerkte
ich ein kleines, mit Kreide gezeichnetes Kreuz an der linken
Brustseite, und wie Schuppen fiel es mir von den Augen: Dieser
Mensch wollte mich verraten, deshalb hatte er mich gezeichnet! Der
Schurke, wiederholte ich in Gedanken und erwog fieberhaft, was ich
nun beginnen sollte. Ich wischte das Judaszeichen ab, aber das
befriedigte mich nicht. Sicherlich hat er schon Bericht erstattet,
dachte ich, und sie werden diesen unbekannten Leimer suchen, werden
sicherlich ihre Register befragen; zuerst kamen natürlich die am
meisten Verdächtigen dran – und ich stand ja bereits auf ihren
Listen. Bei dem Gedanken, daß sie mich verhören würden, erbebte
ich. Ich sah ein, daß ich auf irgendeine Weise den Verdacht von mir
wenden müsse, und fand rasch eine Methode. Ich brachte den ganzen
Tag in der Schenke zu und mißhandelte Kälber bis zur
Unkenntlichkeit; in der ersten Abenddämmerung ging ich in die
Stadt. In der Hand hielt ich ein Stückchen Kreide. Ich zeichnete
damit an die vierhundert Kreuzchen auf die Panzer der Passanten –
sobald mir einer in den Weg kam, wurde er gezeichnet. Gegen
Mitternacht kehrte ich mit etwas leichterem Herzen in die Kneipe
zurück, und erst da fiel mir ein, daß ja außer dem Judas, mit dem
ich mich unterhalten hatte, auch noch andere Hellebardiere im
Gebüsch verschwunden waren. Mir kam ein verblüffend einfacher
Gedanke. Ich ging hinaus vor die Stadt, um Beeren zu pflücken.
Gegen Mitternacht erschien wieder die eiserne Rotte, zerstreute
sich langsam, lief auseinander, und aus den benachbarten Sträuchern
drang hastiges Schnaufen und Schmatzen der eifrig kauenden Münder.
Dann klickten die Verschlüsse der Visiere, und die ganze
Gesellschaft kroch stumm aus den Büschen, vollgestopft mit Beeren
wie die Brummkreisel. Da näherte ich mich ihnen, sie hielten mich
im Dunkeln für einen der Ihren. Im Gehen malte ich meinen Nachbarn
kleine Kreidekreise auf die Panzer, wo ich gerade konnte. Vor den
Toren der Hellebardei machte ich kehrt und ging in meine Schenke
zurück.
Am nächsten Morgen setzte ich
mich vor der Hellebardei auf die Bank und wartete, bis jene
herauskamen, die einen Ausgangsschein besaßen. Als ich in der Menge
einen entdeckte, der einen Kreis auf dem Schulterblatt hatte,
folgte ich ihm, und als außer uns beiden niemand auf der Straße
war, schlug ich ihm mit dem Handschuh auf den Rücken, daß er wie
eine Glocke dröhnte, und sagte zu ihm: »Im Namen Seiner
Induktivität! Folge mir!«
Er erschrak dermaßen, daß er zu
zittern anfing. Wortlos humpelte er mir nach, unterwürfig wie ein
Kaninchen. Nachdem ich die Tür des Zimmers geschlossen hatte,
begann ich ihm den Kopf abzuschrauben, mit dem Schraubenzieher, den
ich in der Tasche hatte. Nach einer Stunde waren meine Bemühungen
von Erfolg gekrönt. Ich hob ihn wie einen eisernen Topf hoch und
erblickte ein vom ständigen Aufenthalt im Dunkeln erbleichtes,
mageres Gesicht mit vor Angst hervorquellenden Augen.
»Du bist ein Leimer?!« knurrte
ich.
»Jawohl, Euer Gnaden,
aber…«
»Was aber?!«
»Aber ich bin doch registriert…
Ich habe Seiner Induktivität Treue geschworen!«
»Wie lange ist das her?
Sprich!«
»Drei… drei Jahre ist es her…
Herr – wofür – wofür habt Ihr mich…«
»Warte«, sagte ich, »kennst du andere
Leimer?«
»Auf der Erde? Zu dienen, Euer
Gnaden, gewiß, ich bitte um Gnade, ich will…«
»Nicht auf der Erde, du Trottel,
hier!«
»Nein! Woher? Sobald ich einen
erblicke, bin ich gleich da und melde, Euer Gna…«
»Schon gut«, sagte ich. »Kannst
gehen. Den Kopf drehst du dir selbst fest.«
Ich drückte ihm alle Schräubchen
in die Hand und drängte ihn hinaus. Ich hörte, wie er sich mit
zitternden Händen den Schädel aufsetzte, und hockte mich aufs Bett,
von alledem sehr erstaunt. Die ganz folgende Woche hindurch hatte
ich eine Menge Arbeit, denn ich nahm Fußgänger von der Straße mit,
jeden, der mir in die Quere kam. Meine Ahnung trog mich nicht:
Alle, aber auch alle, waren Menschen! Ich fand unter ihnen nicht
einen einzigen Roboter. Allmählich entstand vor meinem Auge ein
apokalyptisches Bild…
Ein Satan, ein elektrischer Satan
– dieser Kalkulator! Was für eine Hölle hatten seine glühenden
Drähte ausgebrütet! Der Planet war feucht, rheumatisch, für Roboter
in höchstem Maße ungesund, offenbar waren sie massenhaft verrostet,
vielleicht hatten auch mit den Jahren immer mehr Ersatzteile
gefehlt, sie begannen Fehler aufzuweisen, einer nach dem anderen
kamen sie auf den geräumigen Vorstadtfriedhof, wo nur der Wind mit
den Bogen des zerbröckelnden Blechs ihnen das Totengeläut gab. Als
der Kalkulator merkte, wie seine Reihen dahinschmolzen, und er
seine Herrschaft in Bedrängnis geraten sah, vollzog er eine geniale
Wendung. Aus Feinden, aus den zu seinem Verderb hergeschickten
Spitzeln, begann er ein eigenes Heer, eigene Agenten, ein eigenes
Volk zu formieren. Keiner der Entlarvten konnte Verrat üben –
keiner wagte eine Kontaktaufnahme zu anderen als zu Menschen, denn
er wußte nicht, daß sie keine Roboter waren, und selbst wenn er es
von diesem oder jenem wußte, so hatte er Angst, der könnte ihn beim
ersten Kontaktversuch verraten, wie das jener erste als
Hellebardier verkleidete Mensch zu tun versuchte, den ich beim
Beerenpflücken überrascht hatte. Der Kalkulator gab sich mit der
Neutralisierung seiner Feinde nicht zufrieden – er machte jeden zum
Kämpfer für die eigene Sache, und indem er ihn zwang, die anderen,
neu hergeschickten Menschen zu verraten, lieferte er einen weiteren
Beweis seiner höllischen Durchtriebenheit, denn wer vermochte wohl
besser die eingeschleusten Menschen von Robo tern zu unterscheiden,
wenn nicht eben jene Menschen selbst, die ja sämtliche Praktiken
der Abwehr von Grund auf kannten!
So fühlte sich jeder entlarvte,
in die Register eingetragene und eingeschworene Mensch allein und
fürchtete womöglich jene, die ihm ähnelten, mehr als die Roboter,
denn die Roboter brauchten nicht Agenten der Geheimpolizei zu sein,
die Menschen hingegen waren es durch die Bank. So hielt uns das
elektrische Monstrum in der Sklaverei, indem es alle durch alle
kontrollieren ließ, denn schließlich waren es meine
Leidensgefährten gewesen, die meine Rakete zertrümmert hatten,
ebenso – das erfuhr ich aus dem Munde des Hellebardiers – wie
unzählige andere Raketen vorher.
Die Hölle, ein Satan! dachte ich,
zitternd vor Wut. Nicht genug, daß er die Menschen zum Verrat
zwang, nicht genug, daß die Abteilung selbst ihm immer mehr von
ihnen zu seiner eigenen Bequemlichkeit herschickte, man rüstete sie
ihm auf der Erde auch noch mit der besten rostfreien Verkleidung
aus. Waren denn unter diesen in Blech geschmiedeten Scharen
überhaupt noch Roboter? Ich hegte ernste Zweifel. Nun wurde mir
auch der Eifer verständlich, mit dem die Menschen verfolgt wurden.
Da sie es selbst waren, mußten sie ja als Neophyten des
Großartigseins mehr Roboter sein als die echten Roboter. Daher auch
der wilde Haß, den mir mein Anwalt entgegenbrachte. Daher der
schurkische Versuch, mich zu verraten, den jener Mensch, den ich
als ersten entlarvt hatte, unternahm. Welche Dämonie der Spulen und
Wicklungen, welche elektrische Strategie!
Die Enthüllung des Geheimnisses
hätte nichts genützt; man hätte mich auf Befehl des Kalkulators
ohne Umschweife ins Verlies geworfen – die Untertänigkeit fesselte
die Menschen zu lange, zu lange schon heuchelten sie Untertänigkeit
und Anhänglichkeit gegenüber diesem elektrifizierten Beelzebub; sie
hatten ja sogar ihre Sprache verlernt.
Was tun? Sich in den Palast
schleichen? Das war ein wahnwitziges Unterfangen. Doch was blieb
mir übrig? Eine unheimliche Geschichte: Eine Stadt, umgeben von
Friedhöfen, auf denen die in Rost verkehrten Roboterhaufen des
Kalkulators ruhten, er indes regierte weiter, stärker denn je,
seiner Sache gewiß, weil ihm die Erde immer neue und neue Scharen
schickte – eine Teufelei. Je länger ich überlegte, um so besser
begriff ich, daß selbst diese Entdeckung, die zweifellos vor mir so
mancher von uns gemacht hatte, nichts an der Lage änderte. Einzeln
konnte er nichts tun, er mußte sich jemandem anvertrauen, und das
bedeutete unweigerlich Verrat, der Verräter rechnete natürlich mit
einer Beförderung, er sah es darauf ab, sich die besondere Gnade
der Maschine zu erkaufen. Beim heiligen Elektricius! dachte ich, er
ist ein Genie… Und während ich so darüber nachsann, bemerkte ich,
daß ich selbst schon ein wenig die Grammatik und die Syntax
archaisierte, daß sich auch mir diese Pest mitteilte, daß mir das
Aussehen der eisernen Rümpfe natürlich erschien und das
Menschengesicht als etwas Nacktes, Häßliches, Unanständiges – eben
Leimernes vorkam. Du lieber Himmel, ich werde wahnsinnig, dachte
ich, und die anderen sind sicherlich schon lange ein bißchen
verdreht – Hilfe!
Nach einer Nacht, die ich mit
düsteren Betrachtungen zubrachte, ging ich in ein Warenhaus im
Zentrum, kaufte für dreißig Ferklose das schärfste Hackebeil, das
ich bekommen konnte, und stahl mich nach Einbruch der Dunkelheit in
den großen Garten, der den Palast des Kalkulators umgab. Dort, im
Gebüsch versteckt, befreite ich mich mit Hilfe einer Zange und
eines Schraubenziehers von meinem eisernen Panzer und kletterte
leise, barfuß an der Regenrinne hinauf ins obere Geschoß. Ein
Fenster stand offen. Im Flur schritt ein Wärter dumpf dröhnend auf
und ab. Als er mir am anderen Ende des Flurs den Rücken zukehrte,
sprang ich vom Fensterbrett, rannte rasch zur ersten Tür und trat
leise ein – er hatte mich nicht bemerkt.
Das war derselbe große Saal, in
dem ich die Stimme des Kalkulators vernommen hatte. Finsternis
herrschte darin. Ich schob den schwarzen Vorhang beiseite und
erblickte die gewaltige, bis zur Decke reichende Wand des
Kalkulators mit Uhren, die wie Augen leuchteten. An der Seite war
ein weißer Ritz sichtbar. Dort befand sich eine Tür, die nur
angelehnt war. Ich näherte mich ihr auf Zehenspitzen und hielt den
Atem an.
Das Innere des Kalkulators sah
wie ein kleines Zimmer in einem zweitrangigen Hotel aus. Hinten
stand ein kleiner, halboffener Panzerschrank, im Schloß steckte ein
Schlüsselbund. An einem Schreibtisch, der mit Papieren bedeckt war,
saß ein ältlicher, hagerer Mann in grauem Anzug, mit bauschigen
Ärmelschonern, wie sie Büroangestellte tragen, und schrieb, indem
er Seite für Seite gedruckte Formulare ausfüllte. Neben seinem
Ellenbogen dampfte ein Glas Tee. Auf einem kleinen Teller lagen ein
paar Kekse. Ich trat auf Zehenspitzen herein und schloß hinter mir
die Tür. Sie quietschte nicht.
»Psst«, sagte ich, während ich
das Hackebeil mit beiden Händen hochhob.
Der Mann zuckte zusammen und sah
mich an; das blitzende Hackebeil in meinen Händen versetzte ihn in
panische Angst. Sein Gesicht verzerrte sich, er fiel vom Stuhl auf
die Knie.
»Nein!« stöhnte er.
»Nicht!«
»Wenn du die Stimme erhebst,
kommst du elend um«, sagte ich. »Wer bist du?«
»He… Heptagonius Argusson, Euer
Gnaden.«
»Ich bin kein Euer Gnaden. Du
sollst mich mit Herr Tichy anreden, verstanden?!«
»Jawohl, ja, ja!«
»Wo ist der
Kalkulator?«
»He… Herr…«
»Einen Kalkulator gibt es gar
nicht, wie?«
»Jawohl! Einen solchen Befehl
hatte ich!«
»Bitte, von wem, wenn man fragen
darf?«
Er zitterte am ganzen
Körper.
Flehend hob er die Hände. »Das
kann übel enden«, stöhnte er. »Mitleid! Zwingen Sie mich nicht,
Euer Gna… Verzeihung! Herr Tichy! Ich – ich bin nur ein Beamter der
sechsten Besoldungsgruppe…«
»Nein, was höre ich? Und der
Kalkulator? Und die Roboter?«
»Herr Tichy, erbarmen Sie sich!
Ich will die ganze Wahrheit sagen! Unser Chef – er hat das
organisiert. Es ging um Kredite, um die Erweiterung der Tätigkeit,
um eine größere… äh… Operativität… die Tauglichkeit unserer Leute
sollte überprüft werden, aber die Hauptsache waren die
Kredite…«
»Also war alles fingiert?
Alles?«
»Ich weiß es nicht! Ich schwöre!
Seit ich hier bin – hat sich nichts geändert, glauben Sie nicht,
daß ich hier regiere. Gott bewahre! Meine Aufgabe ist nur das
Ausfüllen von Personalakten. Es ging darum, ob… ob unsere Leute im
Angesicht des Feindes, in einer kritischen Situation
zusammenbrechen oder ob sie bereit sind zu sterben.«
»Und warum kehrte niemand zur
Erde zurück?«
»Weil… weil alle verraten haben,
Herr Tichy… Bisher war keiner bereit, für die Klumpe in den Tod zu
gehen… Pfui, für uns, wollte ich sagen, das ist mir nur so
rausgerutscht, aus Gewohnheit, das müssen Sie verstehen. Elf Jahre
sitze ich hier, in einem Jahr erwarte ich meine Pensionierung, ich
habe Frau und Kinder, Herr Tichy, ich flehe Sie an…«
»Halt’s Maul!« sagte ich
ärgerlich. »Die Pensionierung erwartest du Schurke, ich werde dir
schon eine Pensionierung verschaffen!«
Ich hob das Hackebeil. Dem
Beamten traten die Augen aus den Höhlen, er rutschte auf den Knien
zu mir.
Ich befahl ihm aufzustehen.
Nachdem ich mich überzeugt hatte, daß der Panzerschrank einen
kleinen vergitterten Luftschacht besaß, schloß ich den Kerl
ein.
»Kein Sterbenswörtchen! Und daß
du es ja nicht wagst, Lärm zu schlagen oder zu klopfen, du Halunke,
sonst mach ich Kleinholz aus dir!«
Der Rest war nun einfach. Ich
verbrachte eine anstrengende Nacht, denn ich wertete die Papiere
aus – es waren Berichte, Rapporte, Formulare, für jeden Einwohner
des Planeten eine eigene Akte. Dann polsterte ich mir den
Schreibtisch mit der geheimsten Korrespondenz und legte mich
schlafen. Am frühen Morgen schaltete ich das Mikrophon ein und gab,
als Kalkulator, den Befehl, die gesamte Bevölkerung auf dem
Palastplatz zu versammeln. Jeder habe Zange und Schraubenzieher
mitzubringen. Als sich alle wie gigantische Schachfiguren
aufgestellt hatten, befahl ich, daß sie sich gegenseitig die Köpfe
abschrauben sollten, zu Ehren der Enthauptung des heiligen
Elektricius. Um elf kamen die ersten menschlichen Köpfe zum
Vorschein, Tumult brach aus, es herrschte ein wildes Chaos. Schreie
wie »Verrat! Verrat!« wurden laut, die sich wenige Minuten später,
als der letzte eiserne Kugelkopf aufs Pflaster fiel, in einen
einzigen Jubelschrei verwandelten. Dann zeigte ich mich in meiner
eigenen Gestalt und empfahl, sie sollten unter meiner Leitung an
die Arbeit gehen. Ich wollte nämlich aus den einheimischen
Rohstoffen und Materialien ein großes Raumschiff bauen. Wie sich
jedoch herausstellte, befanden sich in den Kellerräumen des
Palastes mehrere einsatzbereite Raumschiffe mit vollen
Treibstofftanks. Vor dem Start ließ ich Argusson aus dem
Panzerschrank, ich nahm ihn jedoch nicht an Bord und gestattete
auch keinem, ihn mitzunehmen. Ich versprach, seinem Chef
ausführlich zu berichten und ihm, ebenso ausführlich, zu sagen, was
ich von ihm halte.
So endete eine meiner
abenteuerlichsten, außergewöhnlichsten Reisen. Ungeachtet aller
Mühen und Qualen war ich froh, daß die Sache eine solche Wendung
genommen hatte, denn ich erlangte wieder meinen von den kosmischen
Betrügern so stark strapazierten Glauben an die angeborene
Lauterkeit der Elektronenhirne. Wie angenehm zu wissen, daß nur ein
Mensch ein solcher Schurke sein kann.
ZWÖLFTE
REISE
Wohl auf keiner meiner Reisen hatte ich so
schreckliche Gefahren auszustehen wie bei meiner Expedition nach
Amauropien, einem Planeten im Sternbild des Zyklopen. Was ich dort
erlebte, verdanke ich Professor Tarantoga. Dieser hervorragende
Astrozoologe ist ja nicht nur ein berühmter Forscher – bekanntlich
ist er in seiner Freizeit obendrein Erfinder. Unter anderem hat er
eine Flüssigkeit zur Ausmerzung unerfreulicher Erinnerungen
erfunden, ferner die Banknoten mit der liegenden Acht, dem Symbol
für unendlich hohe Geldbeträge, dann drei verschiedene Methoden der
photogenen Färbung von Nebelschwaden sowie ein Spezialpulver, das
auf die Wolken gestreut wird, um ihnen dauerhafte Formen zu
verleihen. Sein Werk ist ferner die Apparatur zur Verwertung der
ansonsten – da Kinder keinen Augenblick stillhalten können –
vergeudeten kindlichen Energie.
Besagte Vorrichtung besteht aus
einem ganzen System von Kurbeln, Blöcken und Hebeln, die an
verschiedenen Stellen der Wohnung angebracht sind. Sie werden von
den Kindern, beim Spielen hin- und hergeschoben, gezogen und
versetzt, so daß sie unbewußt Wasser pumpen, waschen, Kartoffeln
schälen, Strom erzeugen und so weiter. Es ließ dem Professor keine
Ruhe, daß unsere Kleinsten von ihren Eltern bisweilen allein
gelassen werden, und so erfand er schließlich unentflammbare
Streichhölzer, wie sie bereits massenhaft auf der Erde hergestellt
werden.
Eines Tages zeigte mir der
Professor seine neueste Erfindung. Im ersten Moment glaubte ich,
einen Kanonenofen zu sehen, und in der Tat gestand mir Tarantoga,
daß ihm ein solcher als Ausgangsprodukt gedient habe.
»Das, mein lieber Ijon, ist die
Verwirklichung eines uralten Traumes der Menschheit«, erklärte er,
»ein Zeitstrecker oder Zeit verlangsamer, wie man’s nimmt. Er
gestattet, das Leben beliebig zu verlängern. Eine Minute währt dann
etwa zwei Monate, wenn mich meine Berechnungen nicht trügen.
Möchtest du den Apparat nicht ausprobieren?«
Da ich nun einmal alle
technischen Neuheiten mit gespanntem Interesse verfolge, nickte ich
eifrig und quetschte mich in den Kanonenofen. Kaum hatte ich mich
niedergekauert, da knallte der Professor die Tür zu. Durch die
Erschütterung stiegen alte Rußteilchen auf, mir juckte die Nase,
und als ich einatmete, mußte ich niesen. In ebendem Augenblick
schaltete der Professor den Strom ein. Die Verlangsamung des
Zeitablaufs hatte zur Folge, daß mein Niesen fünf Tage dauerte, und
als Tarantoga den Apparat wieder aufmachte, sah er mich fast
bewußtlos vor Erschöpfung. Er blickte zunächst verwundert und
schien besorgt, aber als er erfuhr, was vorgefallen war, lächelte
er gutmütig und meinte: »In Wirklichkeit sind nur vier Sekunden
vergangen. Nun, Ijon, was sagst du zu dieser Erfindung?«
»Tja, wenn ich ehrlich sein soll,
glaube ich noch nicht, daß sie vollkommen ist, obwohl sie Beachtung
verdient«, antwortete ich, als es mir gelungen war, wieder Atem zu
holen.
Der wackere Professor schaute
mich leicht bekümmert an, doch dann schenkte er mir hochherzig den
Apparat und wies noch einmal darauf hin, daß dieser ebensogut zum
Verlangsamen wie zum Beschleunigen der Zeit zu gebrauchen sei. Da
ich mich leicht erschöpft fühlte, lehnte ich vorläufig ab, es mit
dieser zusätzlichen Möglichkeit zu versuchen, bedankte mich aber
herzlich und brachte den Apparat nach Hause. Offen gestanden, ich
wußte nicht recht, was ich damit anfangen sollte, und so stellte
ich ihn auf den Dachboden meiner Raketengarage, wo er wohl ein
halbes Jahr herumstand.
Als der Professor am achten Band
seiner berühmten Astrozoologie schrieb, mußte er sich eingehend mit
den Lebewesen auf Amauropien befassen. Da fiel ihm ein, daß sich
diese Wesen ja ausgezeichnet dafür eignen würden, den Zeitstrecker
(und zugleich Zeitbeschleuniger) zu erproben.
Kaum hatte ich mich mit seinem
Plan vertraut gemacht, da war ich Feuer und Flamme, und drei Wochen
später hatte ich meine Rakete bereits mit Proviant und Treibstoff
vollgeladen, nahm die Karten dieser mir weniger bekannten
Milchstraßengegend sowie den Apparat an Bord und startete ohne
weitere Verzögerung. Das ist begreiflich, denn die Reise nach
Amauropien dauert ungefähr dreißig Jahre. Wie ich mir unterwegs die
Zeit vertrieb, werde ich vielleicht einmal an anderer Stelle
berichten. Von den Dingen, die mir besonders auffielen, sei
lediglich erwähnt, daß ich in der Umgebung des galaktischen Kerns
(in Klammern möchte ich hinzufügen, daß es kaum einen Ort im Kosmos
gibt, der staubiger wäre als dieser) einem Stamm interplanetarer
Vagabunden begegnet bin.
Diese Unglücklichen – wir nennen
sie Exiliaten – haben überhaupt keine Heimat. Vorsichtig
ausgedrückt, sind es phantasievolle Geschöpfe, denn fast jeder
wußte mir etwas anderes über die Geschichte seines Stammes zu
berichten. Später hörte ich, sie hätten ihren Planeten einfach
verschleudert, da sie aus schnöder Habgier Raubbergbau getrieben
und verschiedene Mineralien exportiert hatten. In ihrem Förderwahn
zerwühlten sie das Innere des Planeten so, daß es ganz verwüstet
wurde; schließlich blieb nur eine riesige Höhle, die eines Tages
unter ihren Füßen zusammenbrach. Manche behaupten auch, die
Exiliaten hätten sich einfach auf einer ihrer Sauftouren verirrt
und nicht mehr heimgefunden. Was wahr daran ist, läßt sich nicht
mehr eindeutig klären, jedenfalls sieht niemand diese
interstellaren Vagabunden gern; wenn sie auf ihrem Zug durchs
Vakuum an einem Planeten vorbeigekommen sind, so zeigt sich bald,
daß irgend etwas fehlt: Entweder ist ein wenig Luft verschwunden,
oder ein Fluß ist plötzlich ausgetrocknet, oder man bekommt die
Zahl der Inseln nicht mehr zusammen.
Auf Ardenurien haben sie, wie es
heißt, sogar einen ganzen Kontinent stibitzt, zum Glück einen
unbebauten, da er vereist war. Sie lassen sich gern zur Reinigung
und Regulierung von Monden anheuern, doch vertraut ihnen kaum einer
solch verantwortungsvolle Aufgaben an. Ihre Kinder werfen den
Kometen Steine nach, reiten auf morschen Meteoren umher – mit einem
Wort, man hat lauter Scherereien mit ihnen. Ich ließ mir die Sache
durch den Kopf gehen und gelangte zu dem Schluß, daß solche
Existenzbedingungen nicht befriedigen können; so unterbrach ich
denn meine Reise und machte mich geschwind ans Werk, und zwar mit
Erfolg, denn es gelang mir, einen noch recht ansehnlichen Mond
aufzutreiben. Ein wenig aufgebessert, konnte er dank meiner guten
Beziehungen zum Planeten avancieren.
Luft gab es dort allerdings
nicht, allein ich organisierte eine Kollekte; die Bewohner aus der
Nachbarschaft legten zusammen, und man hätte sehen müssen, mit
welcher Freude die braven Exiliaten auf ihrem nunmehr eigenen
Planeten Einzug hielten! Ihre Dankesbezeigungen wollten kein Ende
nehmen. Nachdem ich mich herzlich von ihnen verabschiedet hatte,
setzte ich meine Reise fort. Nach Amauropien waren es nur noch etwa
sechs Quintillionen Kilometer. Als ich diese letzte Etappe meiner
Route zurückgelegt und den richtigen Planeten gefunden hatte (dort
sind ihrer so viele wie Sand am Meer), ging ich nieder.
Beim Einschalten der Bremsen
stellte ich zu meinem Entsetzen plötzlich fest, daß sie nicht
funktionierten und ich wie ein Stein nach unten sauste. Als ich
durch die Luke schaute, merkte ich, daß gar keine Bremsen mehr
vorhanden waren. Voller Empörung dachte ich an die undankbaren
Exiliaten zurück, aber mir blieb keine Zeit für Betrachtungen, ich
durchraste nämlich schon die Atmosphäre, und meine Rakete glühte
wie ein Rubin – einen Augenblick noch, und ich wäre bei lebendigem
Leibe verkohlt.
Zum Glück fiel mir im letzten
Moment der Zeitstrecker ein; ich schaltete einen Gang an, der die
Zeit so langsam verstreichen ließ, daß mein Fall auf den Planeten
ganze drei Wochen dauerte. Als ich so dem Unheil entronnen war,
begann ich mich in meiner neuen Umgebung umzusehen.
Die Rakete hatte sich auf einer
geräumigen Lichtung niedergelassen, die von einer bläulichen
Waldmauer umringt war. Über den Bäumen, deren Äste Polypenarmen
glichen, schwirrten und wirbelten mit großer Geschwindigkeit
smaragdgrüne Gebilde. Bei meinem Anblick stob eine Herde Wesen, die
eine erstaunliche Menschenähnlichkeit hatten, wenn man von ihrer
schillernden Saphirhaut absah, zwischen die violetten Sträucher.
Ich hatte schon von Tarantoga dieses und jenes über sie erfahren,
nun zog ich den Kosmonautischen Ratgeber aus der Tasche und entnahm
ihm weitere Informationen.
Der Planet war von einer Gattung
menschenähnlicher Wesen bewohnt, die – laut Text – Mikrozephalen
hießen und auf einer äußerst niedrigen Entwicklungsstufe standen.
Meine Versuche, mich mit ihnen zu verständigen, blieben erfolglos.
Das Nachschlagwerk sagte ganz offensichtlich die Wahrheit. Die
Mikrozephalen krochen auf allen vieren, machten hin und wieder
Männchen und lausten sich mit größter Geschicklichkeit. Wenn ich
näher kam, glotzten sie mich aus Smaragdaugen an und belferten ohne
Sinn und Verstand. Außer durch mangelnde Vernunft zeichneten sie
sich durch einen sanften und gutmütigen Charakter aus.
Zwei Tage lang wanderte ich durch
den blauen Wald und die Steppen ringsum, und als ich dann wieder
bei der Rakete anlangte, legte ich mich ins Bett. Da kam mir der
Beschleuniger in den Sinn. Ich beschloß, ihn für mehrere Stunden in
Betrieb zu nehmen; am nächsten Morgen wollte ich dann nachsehen, ob
er etwas zuwege gebracht hätte. Ich schleppte ihn also mit vieler
Mühe aus der Rakete, stellte ihn unter den Bäumen auf und schaltete
Zeitbeschleunigung ein. Dann ging ich wieder zu Bett und schlief
den Schlaf des Gerechten.
Ein heftiges Rütteln weckte mich.
Ich schlug die Augen auf und erblickte über mir mehrere Köpfe von
Mikrozephalen, die, nunmehr auf zwei Beinen, über mich gebeugt
standen und sich lärmend unterhielten, während sie mit großem
Interesse meine Arme hin und her bewegten; als ich Widerstand zu
leisten versuchte, hätten sie mir die Arme beinahe aus den Gelenken
gerissen. Der größte unter ihnen, ein lilafarbener Hüne, öffnete
mir gewaltsam den Mund, steckte seine Finger hinein und begann
meine Zähne zu zählen. Vergebens suchte ich mich zu wehren – ich
wurde auf die Lichtung getragen und am Heck der Rakete angebunden.
In dieser Lage mußte ich zusehen, wie die Mekrozephalen alles
mögliche aus der Rakete herausschleppten; sperrige Gegenstände, die
sich nicht durch die Lukenöffnung zwängen ließen, schlugen sie
zuvor kurz und klein. Mit einemmal brach ein Steinhagel über die
Rakete und die geschäftigen Mikrozephalen herein; ich selbst wurde
am Kopf getroffen. Gefesselt, vermochte ich nicht in die Richtung
zu schauen, aus der die Geschosse herflogen. Ich hörte nur
Kampflärm. Endlich ergriffen meine Bezwinger die Flucht. Andere
Mikrozephalen liefen herbei, befreiten mich von den Fesseln und
trugen mich auf den Schultern unter Beweisen hoher Wertschätzung in
den Wald.
Die feierliche Prozession hielt
am Fuße eines weitausladenden Baumes, von dessen Ästen ein Luftzelt
mit Fensterchen an Lianen herunterhing. Man schob mich durch das
kleine Fenster hinein, daraufhin fiel die unter dem Baum
versammelte Menge auf die Knie und hob an zu psalmodieren. Ganze
Reihen von Mikrozephalen brachten mir Blumen- und Früchteopfer dar.
In den folgenden Tagen wurde ein Kult mit mir getrieben: Die
Priester lasen aus meinem Mienenspiel die Zukunft, und wenn es
ihnen Unheil zu verkünden schien, beweihräucherten sie mich so
sehr, daß ich beinahe erstickte. Zum Glück schaukelte der Priester
bei der Darbringung der Brandopfer meine kleine Kapelle, so daß ich
von Zeit zu Zeit ein wenig Luft schnappen konnte.
Am vierten Tage wurden meine
Anbeter von einer keulenbewehrten Schar Mikrozephalen unter Führung
des Riesen, der seinerzeit meine Zähne gezählt hatte, überfallen.
Im Laufe des Kampfes ging ich von Hand zu Hand, wurde so
abwechselnd Gegenstand der Anbetung und der Verachtung. Die
Schlacht endete mit einem Sieg der Aggressoren, deren hünenhafter
Anführer Wurmflug hieß. An eine Stange gebunden, die von Verwandten
des Recken getragen wurde, nahm ich an seiner triumphalen Heimkehr
ins Lager teil. Mich so zu transportieren bürgerte sich hernach
ein; seitdem war ich eine Art Standarte, die auf allen Kriegszügen
vorangeschleppt wurde. Das war für mich zwar beschwerlich, dafür
aber mit gewissen Vorrechten verknüpft.
Als mir der Dialekt der
Mikrozephalen einigermaßen vertraut geworden war, begann ich
Wurmflug klarzumachen, daß er und seine Untertanen mir allein ihre
stürmische Entwicklung verdankten. Das brauchte seine Zeit, doch
kaum schien es bei ihm zu dämmern, da wurde er bedauernswerterweise
von seinem Vetter Klethops vergiftet. Dem gelang es, die einander
befehdenden Wald- und Wiesen-Mikrozephalen zu vereinen, indem er
die Priesterin des Waldstammes, Mastosymase, zum Weibe
nahm.
Als Mastosymase mich beim
Hochzeitsmahl erblickte (ich war Voresser – Klethops hatte dieses
Amt eingeführt), brach sie in den freudigen Ruf aus: »Hast du aber
eine süße weiße Haut!« Das erfüllte mich mit bösen Ahnungen, die
sich bald verwirklichen sollten. Mastosymase erwürgte ihren Gatten
im Schlaf und ehelichte mich sozusagen zur linken Hand. Nun
versuchte ich ihr meine Verdienste um das Geschlecht der
Mikrozephalen klarzumachen, aber sie faßte das falsch auf, denn
schon nach meinen ersten Worten zeterte sie: »Aha, du hast mich
satt!«, und es bedurfte einer langen Zeit, sie wieder zu
besänftigen.
Bei der nächsten Palastrevolution
kam Mastosymase ums Leben, mir selbst gelang es, durch einen Sprung
aus dem Fenster zu entwischen. Von unserer Verbindung blieb
lediglich das Weiß-Lila der Staatsflagge. Nach meiner geglückten
Flucht in den Wald stieß ich auf die Lichtung, wo mein
Beschleuniger stand; ich wollte ihn schon ausschalten, da kam mir
der Gedanke, es wäre doch vernünftiger, abzuwarten, daß die
Mikrozephalen eine Zivilisation aufbauten, die mehr demokratischen
Geist verriete.
Eine Zeitlang lebte ich im Walde
und nährte mich von Wurzeln. Nur nachts wagte ich mich in die Nähe
des Lagers, das sich mit Riesenschritten in eine von hohen
Palisaden umgebene Stadt verwandelte.
Die seßhaften Mikrozephalen
trieben Ackerbau, die Städtischen fielen über sie her, schändeten
ihre Frauen, plünderten und morde ten. Bald entwickelte sich daraus
der Handel. Zu dieser Zeit festigten sich die Glaubensbekenntnisse,
deren Ritual von Tag zu Tag reicher wurde. Zu meinem Bedauern
hatten die Mikrozephalen die Rakete von der Lichtung in die Stadt
gebracht und sie als Götzen auf dem größten Platz aufgestellt; sie
umgaben ihn mit einer Mauer und ließen Posten aufziehen. Mehrmals
rotteten sich die Bauern zusammen, überfielen Lilaburg – so hieß
die Stadt – und zerstörten es mit vereinten Kräften bis auf die
Grundmauern, doch folgte jedesmal ein stürmischer
Wiederaufbau.
Diesen Kriegen setzte König
Sarzepanos ein Ende. Er brandschatzte die Dörfer, ließ Wälder und
Bauern niedermähen und siedelte die Überlebenden als Sklaven auf
den Äckern vor der Stadt an. Da ich keine Bleibe hatte, zog ich
nach Lilaburg. Durch meine Beziehungen – die Palastdienerschaft
kannte mich noch aus der Mastosymasezeit – erhielt ich den Posten
eines Hofmasseurs. Sarzepanos gewann mich lieb und beschloß, mir
die Würde des Staatshäscherassistenten im Range eines
Obertorturanten zu verleihen. In meiner Verzweiflung trieb es mich
zu jener Lichtung, wo mein Beschleuniger arbeitete; ich stellte ihn
auf Höchstleistung. In der Tat starb Sarzepanos noch in jener Nacht
an Völlerei, und Trymon der Bläuliche, Befehlshaber der Armee,
bestieg den Thron. Er führte die Beamtenhierarchie, die Steuern und
die Zwangsrekrutierung ein. Mich rettete meine Hautfarbe vor dem
Militärdienst. Man erklärte mich zum Albino, und als solcher durfte
ich mich nicht dem Königssitz nähern. Ich lebte unter den Sklaven,
die mich Ijon den Blassen nannten.
Ich begann nun Gleichheit für
alle zu propagieren und rückte meinen Beitrag zur
gesellschaftlichen Entwicklung der Mikrozephalen ins rechte Licht.
Bald hatten sich viele Anhänger dieser Lehre, Maschinisten genannt,
um mich geschart. Es gab Aufruhr und Unruhen, im Blute erstickt von
der Garde Trymons des Bläulichen. Der Maschinismus wurde mit der
Todesstrafe durch Totkitzeln bedroht.
Ich mußte mehrmals fliehen und in
den städtischen Teichen Zuflucht suchen, meine Jünger aber waren
grausamen Verfolgungen ausgesetzt. Später erschienen immer mehr
Personen aus den höheren Kreisen zu meinen Vorlesungen, natürlich
inkognito. Als Trymon eines tragischen Todes starb – er hatte in
seiner Zerstreutheit vergessen, Atem zu holen –, übernahm Karbagas
der Vernünftige die Macht. Er war Anhänger meiner Lehre, die er zur
Staatsreligion erhob. Man erkannte mir den Titel »Betreuer der
Maschine« zu und gab mir eine herrliche Residenz neben dem
Königshof. Ich hatte schrecklich viel zu tun und weiß selber nicht,
wie es dazu kam, daß die mir untergebenen Priester plötzlich Thesen
von meiner himmlischen Abkunft verkündeten. Zu dieser Zeit gewann
die Sekte der Antimaschinisten an Einfluß, die behaupteten, die
Mikrozephalen entwickelten sich auf natürliche Weise, ich hingegen
sei ein ehemaliger Sklave, der sich mit Kalk weißgetüncht habe und
in betrügerischer Absicht das Volk verdumme.
Die Anführer der Sekte wurden
ergriffen, und der König verlangte, daß ich als der Betreuer der
Maschine sie zum Tode verurteilte. Ich sah keinen anderen Ausweg,
flüchtete durchs offene Palastfenster und hielt mich wieder einige
Zeit in den städtischen Teichen verborgen. Eines Tages erreichte
mich die Nachricht, daß die Priester die Himmelfahrt Ijons des
Blassen verkündeten, der nach Erfüllung seiner planetarischen
Mission zu seinen himmlischen Eltern zurückgekehrt sei. Ich begab
mich nach Lilaburg, um die Sache richtigzustellen, aber die Menge,
die vor meinen Abbildern im Staube lag, wollte mich steinigen, kaum
daß ich den Mund aufgetan hatte. Die Priesterwache gewährte mir
Schutz, jedoch nur, um mich als Usurpator und Gotteslästerer
einzulochen. Drei Tage lang wurde ich gescheuert und geschabt, denn
man wollte die angebliche weiße Tünche abkratzen, mit deren Hilfe
ich mich, laut Anklage, für den himmelwärts gefahrenen heiligen
Ijon ausgegeben hatte. Da ich trotz aller Maßnahmen nicht blau
wurde, sollte ich gefoltert werden. Aus dieser Bedrängnis gelang es
mir dank einem Wächter, der mir etwas blaue Farbe zusteckte, zu
entkommen. Flugs lief ich in den Wald zum Beschleuniger, und nach
längerem Manipulieren hatte ich seine Wirkung verstärkt, in der
Hoffnung, dadurch den baldigen Anbruch einer anständigen Zivi
lisation herbeizuführen. Danach hielt ich mich wieder zwei Wochen
in den städtischen Fischteichen verborgen.
Ich kehrte in die Metropole
zurück, als die Republik, die Inflation, die Amnestie und die
Gleichheit aller Stände ausgerufen wurden. An den Ortseingängen
wurden schon Ausweispapiere verlangt, und da ich keine besaß,
verhaftete man mich wegen Vagabundierens. Wieder freigelassen, nahm
ich, da mir die Mittel zum Lebensunterhalt fehlten, den Posten
eines Boten im Ministerium für Kultur an. Die Kabinette wechselten
mitunter zweimal in vierundzwanzig Stunden, da aber jede Regierung
ihre Geschäfte damit begann, die Erlasse der vorangegangenen zu
annullieren und neue herauszugeben, hatte ich mit dem Austragen der
Rundschreiben alle Hände voll zu tun. Zu guter Letzt bekam ich
Schwären an den Füßen und reichte meine Entlassung ein; meinem
Ersuchen wurde jedoch nicht stattgegeben, da gerade Kriegszustand
herrschte. Nachdem ich die Republik, zwei Direktorien, die
Restauration der aufgeklärten Monarchie, die Diktatur des Generals
Isegraus sowie seine Enthauptung als Hochverräter erlebt hatte,
manipulierte ich, unzufrieden mit der langsamen Entwicklung, von
neuem an dem Apparat, mit dem Erfolg, daß ein Schräubchen brach.
Ich nahm mir das nicht sehr zu Herzen; doch siehe da, einige Tage
später bemerkte ich, daß etwas Seltsames geschah. Die Sonne stieg
im Westen hoch, auf dem Friedhof waren eigenartige Geräusche zu
hören und wandelnde Leichen zu sehen, deren Zustand sich mit jedem
Moment besserte, die Erwachsenen schrumpften zusehends zusammen,
und die kleinen Kinder verschwanden irgendwo.
Die Herrschaft des Generals
Isegraus kehrte wieder, sodann die aufgeklärte Monarchie, das
Direktorium, schließlich die Republik. Als ich mit eigenen Augen
den Begräbniszug des Königs Karbagas zurückweichen sah, als
derselbe dann nach drei Tagen vom Katafalk auferstand und
entbalsamiert wurde, da blieb kein Zweifel mehr: Ich hatte den
Apparat beschädigt, um die Zeit lief jetzt rückwärts. Das
schlimmste war, daß ich an mir selbst Anzeichen der Verjüngung
feststellte. Ich beschloß zu warten, bis Karbagas I. auferstanden
und ich wieder der Große Maschinist geworden wäre, denn dann könnte
ich meinen damaligen Einfluß geltend machen und zu der als Götze
dienenden Rakete gelangen.
Am unangenehmsten war das
unheimliche Tempo der Verwandlungen; ich war nicht sicher, ob ich
jenen Augenblick noch erleben würde. Täglich stellte ich mich im
Hof an einen Baumstamm und ritzte in Höhe meines Kopfes einen
Strich ein – ich wurde mit rasender Geschwindigkeit kleiner! Als
ich, wieder unter Karbagas, »Betreuer der Maschine« war, sah ich
höchstens wie ein Neunjähriger aus, und da wollte noch der Proviant
für die Reise gesammelt sein. Ich trug ihn nachts in die Rakete,
was mir schwere Mühe bereitete, da meine Kräfte zusehends
schwanden. Zu meinem Entsetzen mußte ich feststellen, daß ich in
Mußestunden ein unwiderstehliches Verlangen spürte, Zeck zu
spielen.
Als das Vehikel reisefertig war,
kroch ich im Morgengrauen hinein und wollte den Starthebel packen –
vergebens, er war zu hoch. Erst von einem Hocker aus konnte ich ihn
verschieben. Ich wollte eine Verwünschung ausstoßen, bekam aber nur
ein armseliges Piepsen heraus. Beim Start hatte ich noch auf meinen
Füßen gestanden, jedoch der empfangene Impuls wirkte eine Zeitlang
nach, denn als der Planet schon wie ein weißlicher Fleck in der
Ferne schimmerte, vermochte ich gerade noch auf allen vieren die
Milchflasche zu erreichen, die ich mir zubereitet hatte. Ganze
sechs Monate war ich auf diese Art Kost angewiesen.
Die Fahrt nach Amaropien dauert,
wie ich eingangs erwähnte, etwa dreißig Jahre, so daß ich bei
meiner Rückkehr zu den Freunden auf der Erde kein Aufsehen erregte.
Ich bedaure nur, daß es mit meiner Phantasie nicht weit her ist,
sonst brauchte ich Tarantoga nicht aus dem Wege zu gehen und könnte
mir, ohne ihn zu verletzen, irgendein Märchen aus den Fingern
saugen, das seinem Entdeckergeist schmeicheln würde.
DREIZEHNTE REISE
Mit widerstrebenden Gefühlen gehe ich an die
Beschreibung dieser Expedition, die mir mehr gebracht hat, als ich
je erwarten konnte. Als ich von der Erde aufbrach, hatte ich mir
das Ziel gesteckt, einen unendlich fernen Planeten im Sternbild der
Krabbe anzusteuern, den Hinterschein, der im Weltraum dadurch
berühmt wurde, daß er eine der hervorragendsten Persönlichkeiten
des Kosmos, den Meister Oh, hervorgebracht hat. Diese Koryphäe der
Wissenschaft heißt in Wirklichkeit anders, aber ich nenne den
Meister so, weil es nicht möglich ist, seinen Namen in einer der
Sprachen unserer Erde wiederzugeben. Ein Kind, das auf dem
Hinterschein geboren wird, erhält unzählige Titel und
Auszeichnungen sowie einen Namen, der nach unseren Begriffen
ungewöhnlich lang ist.
Als Meister Oh auf die Welt kam,
erhielt er den Namen
Gridipidagititositipopokarturtegwauanatopocotuototam. Man ernannte
ihn zur Güldenen Stütze des Seins, zum Doktor der Vollendeten
Sanftmut, zur Lichten Possibilitativen Allseitigkeit und so weiter
und so fort. In dem Maße, wie er heranwuchs und sich bildete, wurde
ihm jeweils von Jahr zu Jahr ein Titel und ein Teil des Namens
genommen, und da er außerordentliche Fähigkeiten bewies, hatte man
ihm bereits im dreiunddreißigsten Lebensjahr die letzte
Auszeichnung entzogen, zwei Jahre später besaß er überhaupt keinen
Titel mehr, und seinen Namen bezeichnete im Hinterscheinalphabet
nur ein einziger, obendrein stummer Buchstabe, welcher »himmlischer
Hauch« bedeutet – so etwas wie einen unterdrückten Seufzer, den man
vor übermäßiger Achtung und Wonne äußert.
Nun wird der geschätzte Leser
gewiß verstehen, weshalb ich die
sen Weisen Meister Oh nenne. Dieser Mann,
genannt der »Wohltäter des Kosmos«, widmete sein ganzes Leben der
Beglückung ungezählter galaktischer Stämme und schuf in
unermüdlichem Fleiß die Lehre von der Erfüllung aller Wünsche, die
auch als Allgemeine Prothesentheorie bezeichnet wird. Daher rührt
bekanntlich die Definition, die er seiner eigenen Tätigkeit gegeben
hat; er nennt sich, wie jeder weiß, Prothet.