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DAS GLÜCK

 

 

 

»In zwei Wochen höre ich an der Schule auf!«, sagte Maria. »Ich fühle mich schwer, mein Bauch wird riesengroß.«

»Du bist schön und ich liebe dich«, entgegnete Pedro und streichelte den runden Bauch seiner Frau.

Wie ein altes Ehepaar saßen sie beide in ihren Schaukelstühlen, auf der Veranda ihres neuen Liebesnestes.

Pedro lief förmlich über vor Glück. Dank einer Ultraschallaufnahme drei Tage zuvor in Havanna, wusste er, dass es ein Mädchen werden würde. Sie sollte Laura heißen, wie Pedro es sich geschworen hatte, als er das schöne gleichnamige Lied auf der Terrasse des Hotel Inglaterra gehört hatte.

Er hatte beschlossen, dass das Kind in Kuba erzogen werden sollte. Zunächst sollte es in Marias Schule gehen. Danach würden sie weitersehen.

Maria wohnte nicht mehr in ihrer Mansarde über der Schule. Pedro brachte sie jeden Morgen mit dem Lastwagen zur Arbeit. NatürHch hätte sie aufhören können zu arbeiten, ihr Gehalt von fünf Dollar im Monat war lächerlich im Vergleich zu Pedros Ersparnissen. Aber sie liebte die Vorstellung, ihr Kind selbst zu unterrichten. So könnten sie in der Illusion völliger Autarkie leben.

Pedro und José hatten die Schule renoviert, die mit ihren hübschen Farben nun aussah wie ein Puppenhaus.

Neben dem Haupthaus hatten sie moderne Toiletten und Duschen gebaut, mit fließendem Wasser, das über ein ausgetüfteltes System mit Solarpumpen direkt vom Wasserfall herübergeleitet wurde. In der alten Mansarde hatten sie einen Schlafsaal eingerichtet. Offiziell für die Kleinen, in Wirklichkeit aber für Laura.

Dank des Stroms, den der Generator am Wasserfall produzierte – er war identisch mit dem hinter Pedros Haus –, konnten die Kinder Musik hören und im Fernsehen Lehrsendungen sehen.

Sie hatten sogar einen Computer, ein Geschenk von Jo, der ihn von der A.O.M. »geliehen« hatte.

Mit einem Wort, diese kleine Landschule war ein wahres Pilotprojekt geworden.

Um Eifersüchteleien und unangenehme Fragen zu seiner überraschenden Großzügigkeit gar nicht erst aufkommen zu lassen, hatte Pedro eine Gesellschaft nach französischem Recht, Typ 1901, gegründet: Franco-Kubanische Freundschaftsgesellschaft mit La Palma. Tatsächlich war Pedro – abgesehen von Jo, der die Rolle des Schatzmeisters innehatte – ganz allein die Gesellschaft. Doch das erlaubte ihm, den Nachbarn zu helfen, ohne damit Verlegenheit hervorzurufen, denn offiziell war es die Gesellschaft, die zahlte.

So konnte er auch der Poliklinik von La Palma eine bedeutende Spende zukommen lassen, ohne dass die Partei die Stirn runzelte.

Die Poliklinik, das einzige Krankenhaus der Region, verfügte über hervorragende Ärzte und Pflegepersonal, doch es fehlte an allem anderen, was für die Gesundheit der Bevölkerung ein unhaltbarer Zustand war. Also hatte Pedro seinen Freund Gilbert, den Arzt der Künstler, aus Frankreich kommen lassen, der eine genaue Liste mit allem Nötigen erstellt hatte.

Und die Gesellschaft hatte den Scheck unterschrieben. Laura sollte also im modernsten Landkrankenhaus Kubas zur Welt kommen.

Natürlich waren Pedros Spenden nicht ganz uneigennützig, denn sie würden vor allem seinem Kind zugute kommen.

Aber wie er zu Maria so oft sagte: »Ich bin ein alter Papa, also möchte ich, dass Lauras erste Jahre so schön wie möglich werden. Sie wird noch früh genug den Ernst des Lebens kennenlernen!«

Maria mochte es nicht, wenn Pedro über sein Alter sprach. Jedes Mal, wenn er das Thema anschnitt, zog sie ihn ins Bett und sie liebten sich.

Das war ihre Art, ihn vergessen zu lassen. Überdies verfügte Pedro über eine außergewöhnliche Manneskraft.

»Ein Glück, dass ich dich nicht als jungen Mann kennengelernt habe! Du hättest mich bestimmt umgebracht!«

»Nein, ich hätte dich betrogen, wie ich es mit allen meinen Frauen getan habe, mein Leben lang. Endlich ist es anders, so ist es viel besser«, sagte Pedro, bevor er sich mit Maria in die schwimmbadähnliche Badewanne fallen ließ.

 

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»Jetzt fehlt uns nur noch Jo zu unserem Glück. Ich sehe, dass du an ihn denkst und dass du dir Sorgen machst.«

Sie hatten nichts von Jo gehört, aber Pedro versuchte, beruhigend zu klingen.

»Das ist normal, Liebling, er hat gesagt, er wolle wegbleiben, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Er ist noch nicht lange weg. Ich rufe morgen bei der A.O.M. an. Bestimmt hat er sich von Florida aus bei ihnen gemeldet.«

Wie fast jeden Tag zur gleichen Zeit ging ein sintflutartiger Regen über dem Tal nieder. Es war ein warmer, tropischer Regen.

Oben, auf ihrer eigenen Veranda, saßen auch der alte José und seine Frau. Aurora verschlang Die Straße der Ölsardinen von Steinbeck, José las zum fünfzigsten Mal Der Graf von Bragelonne von Dumas. Das Einzige, was ihm an dem Buch missfiel, war, dass Porthos von Felsblöcken erschlagen wurde. Er wollte nicht, dass sein Porthos starb. Aber schließlich sagte er an langen Regennachmittagen, wenn sie auf der Veranda gemeinsam lasen, gern zu Aurora: »Man sollte Romane nicht mit dem Leben verwechseln.«

 

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Der Regen hatte aufgehört und aus dem Tal drangen wieder Tausende Geräusche herauf: Hunde bellten, Vögel ließen ihr Schweigen hinter sich und streckten sich, ebenso die Kinder, die sich von einem Haus zum nächsten zuriefen.

»Bald wird es Laura sein, die ruft«, sagte Maria gerührt. Pedro legte Laura von Gerry Mulligan in den Ghettoblaster ein.

»Komm, Liebling, lass uns tanzen. Das wird unserer Tochter in deinem Bauch gefallen.«

Sie stand auf und schmiegte sich an ihn.

»Du machst mich immer noch so nervös wie am ersten Tag«, sagte Pedro, »und du rührst auch etwas in mir. Hoffentlich bleibt das so.«

Durch die blaue Baumwollhose hindurch streichelte sie beim Tanzen mit den Fingerspitzen sein Glied.

Dann schob sie die Hand in seine vordere Hosentasche, wobei sie die ohnehin ausgeleierte Naht zerriss.

»So spüre ich dich besser. Ich mag keine Hindernisse«, und lachend fügte sie hinzu: »Ich nähe deine Hose morgen.«

Pedro küsste sie lange. Sie schmeckte nach Gewürzen.

»Du bist die sinnlichste Frau, die ich je kennengelernt habe.«

»Ist ja nicht so, als wäre ich keine Frau mehr, bloß weil ich schwanger bin.«

»Pedro!«, rief Aurora vom Hügel herunter. »Da ist Besuch für dich!«

»Scheiße!«, fluchte Pedro. »Was soll ich jetzt machen, ich hab einen Riesenständer.«

»Tanz weiter und lass den Besucher reinkommen.«

Unter dem mit warmen Nebelschleiern bedeckten Flammenbaum zeichnete sich die zarte Silhouette einer blonden Frau ab.

Es war Anne.