Acne Conglobata

Nach dem Tod meines Großvaters war es vorbei mit den Besuchen beim Bahnhofsfriseur. Ich pflegte mich von da an aus Kostengründen mit einem Haarschneideapparat für zwanzig D-Mark selbst zu frisieren. Das futuristisch anmutende Gerät, für das unter anderem in der Fernsehzeitung Hör zu geworben wurde, war angeblich für die US-Marines oder gar den Weltraum entwickelt worden. Die Menschen, die es in der Werbung benutzten, sahen danach ganz manierlich aus. Ich dagegen sah aus wie jemand, der kein Geld hat, um zum Friseur zu gehen. Na egal, ich hatte es sowieso nicht so mit schicken Frisuren und modischer Kleidung. In den Jahren meiner geschmacklichen Prägung waren meine Großeltern mit der Verwandtschaft in der Ostzone einen Pakt eingegangen: Meine Oma schickte alle paar Wochen Pakete mit Nahrungsmitteln ins ostzonale Ilsenburg; retour kamen Hosen, Pullover, Hemden und Mäntel. Die Sachen passten mir immer wie angegossen, und so gab es denn auch kein Entrinnen: «Nun stell dich nicht so an, das sieht doch gut aus!» Schon in den Siebzigern lag der Nabel der Modewelt nicht im Osten. Ich weiß gar nicht, wo die Verwandtschaft die ganzen Sachen immer auftrieb, aber der Strom brauner Stoffhosen von drüben schien nie zu versiegen. Ich war der einzige Junge in der ganzen Gegend, der geduldig Kleidung aus dem Einflussgebiet des Warschauer Pakts auftrug. Irgendwann überließ mir meine mitleidige Cousine eine abgetragene Wranglerjeans. Das war der modische Höhepunkt meiner Pubertät. Doch leider hielt die Hose nicht lange, und es hieß für mich wieder ab in die geheimnisvolle Welt der Synthetic-Textilien aus volkseigener Produktion.

Mein größtes Problem war jedoch die Akne, denn ich hatte nicht irgendeine harmlose Teeny-Akne, die ganz normal irgendwann von alleine wieder verschwindet, sondern die Erwachsenen-Akne, Acne Conglobata. Akne, Akne, Akne. Zeitweilig hatte ich das Gefühl, zu ungefähr fünfzig Prozent aus eitriger Masse zu bestehen. Die stolzesten Beulen wurden groß wie Seepocken und hatten eine Halbwertszeit von ungefähr zehn Tagen. Dann bildete sich die Entzündung zurück, und das Biest verschwand. Kurze Zeit hatte ich Ruhe, bis zum nächsten Schub, der bereits in den Startlöchern lauerte.

Nun stand ich schon mein halbes Leben unter dem Regiment der gelben Brüder, und meine Gegenwehr war erlahmt. Ich hatte im Laufe der Jahre natürlich alle einschlägigen Medikamente ausprobiert, vom rezeptfreien Quatsch aus der Fernsehwerbung bis zu richtigen Bomben wie Vitamin-A-Säure, die als unerwünschte Nebenwirkung die Gesichtshaut wegätzt, sodass man aussieht wie ein Verbrennungsopfer mit Akne. Dann gehörten noch Breitband-Antibiotika zum Programm, und der Höhepunkt der fruchtlosen Therapieversuche war eine von Mutter privat finanzierte Eigenblutbehandlung bei einem dürren Heilpraktiker namens Korleis. Einmal die Woche nahm er mir in seiner Praxis große Mengen Blut ab, bereitete sie auf und reinjizierte sie mir beim nächsten Besuch. Nach einem halben Jahr fragte ich den Meister, wann denn wohl erste Behandlungserfolge zu erwarten wären, woraufhin er entgegnete, dass bei solch schweren Fällen wie meinem vieeeel Geduld erforderlich sei. Mutter schmiss dem ätzenden Parasiten noch ein weiteres halbes Jahr das Geld in den Rachen, bevor wir aufgaben. Ich traute mich vor Scham nicht mehr in die Sonne, weshalb ich im Laufe der Jahre auch noch komplett ausblich und aussah wie eine Made oder etwas anderes ekliges Weißes. Einmal trat ich mit entblößtem Oberkörper auf unsere Terrasse, wo Mutter und Großeltern friedlich bei einem Stück Kuchen beieinander saßen. Sie hielten sich die Hände vor Augen, so sehr blendete sie mein kalkweißer Körper im Sonnenschein.

Mein erster Hautarzt hatte Dr. von Trotha geheißen. Der Mittfünfziger war nur ungefähr einen Meter vierzig groß und außerdem bucklig. Ein richtiger Zwerg, wie aus dem Märchen! Dr. von Trotha galt als Koryphäe, obwohl ich mir nicht recht erklären konnte, warum; mir hat die mehrjährige Behandlung bei ihm überhaupt nicht geholfen, und das bei einer vermeintlichen Allerweltserkrankung. Bei meinem allerersten Besuch verordnete er mir unter anderem, mein fettiges Gesicht in Geschirrspülwasser zu baden, um die Akne auszutrocknen. Wieder zu Hause, tunkte ich meinen Talgkopf mehrere Minuten in eine Schüssel mit Pril, was lediglich zur Folge hatte, dass mir die Haut später in Fetzen herunterhing und sich die Akne in den folgenden Tagen noch verschlimmerte.

In der Praxis von Dr. von Trotha gab es ein normales Sprechzimmer und etwa fünfzehn winzige Zellen, in denen die Patienten meist halb entkleidet mit ihren offenen Geschwüren, Flechten und Ekzemen darauf warteten, dass der Winzling anrückte und sie abfrühstückte. Er kam mit seinem aus zumeist überirdisch schönen, jungen Arzthelferinnen bestehenden Hofstaat herangehuscht, schaute auf die Karteikarte und begutachtete, ohne mich zu begrüßen oder mir gar die Hand zu geben, mein Gesicht. Dann wandte sich der Hautspezialist an die Runde. «Der arme Junge!» Na bravo! Das saß. Endlich spricht das mal jemand aus. Nachschlag gefällig? Er instruierte die Schönste der blutjungen Schönheiten mit nur einem Wort: «Sticheln!» Und weiter ging’s zur nächsten Kabine. Zeit ist Geld. Die vielleicht siebzehnjährige Prinzessin blieb und stach mir, ohne ein Wort zu sagen, mit einer Spezialnadel in die größten Pusteln, dass das Blut nur so herausspritzte. Aua, aua, das tat weh. Trotz der Schmerzen musste ich mich beherrschen, um nicht ihre wunderschönen Brüste zu küssen, die sie mir ins Gesicht hielt. Danach klebte sie mich mit Pflastern zu, die bereits auf dem Weg zur Bushaltestelle durchsuppten. Dann saß ich im Bus, blutete aus allen Rohren und starrte verzweifelt wahlweise aus dem Fenster oder auf den Boden. Ein jugendlicher Schwerverbrecher, der gerade eine mehrstündige Schlägerei hinter sich hat. Es kam, wie es kommen musste.

«Mami, der Mann da, warum blutet der so?» Der Mann! Ich war vierzehn.

«Das weiß ich auch nicht, nun starr da nicht so hin.»

Der ganze Bus guckte verstohlen in meine Richtung. Überflüssig zu erwähnen, dass die Stichelei überhaupt nichts brachte. Im Gegenteil, die Hörner entzündeten sich nur noch mehr. Irgendwann gab ich den Kampf gegen die Akne auf und schmierte mich nur noch mit einer Abdeckcreme ein. Das sah zwar unnatürlich aus, aber besser als die roten Pusteln. Im Hochsommer hatte ich einen Grund mehr, drinnen zu bleiben, da mir die nach Chemie riechende Tunke in der Sonne immer in dünnen Rinnsalen aus dem Gesicht pullerte.