Kapitel 10
Am Morgen, als Griff in die Wache kam und sich auf den Weg zur Dusche machte, war Tommy dort und hantierte mit seinen Klamotten. Griff war seltsamerweise froh, dass der Sanitäter seine Hosen anhatte, auch wenn der Hosenstall in einem weiten Y offenstand und den Blick auf seinen pelzigen Bauch freigab. Volle dreißig Zentimeter kleiner, musste er buchstäblich hinaufblicken, um sich unterhalten zu können.
„Hey, Griff.“ Tommy nickte ihm zu und stellte seinen Fuß auf die Bank, um seine Laufschuhe zubinden zu können.
„Dobsky.“ Griff stellte sicher, dass er zurücklächelte und seine Gesichtszüge unter Kontrolle behielt. „Kommst du gerade?“
„Wohl kaum.“ Tommy lachte und tauschte die Füße.
Griff wurde klar, wie das geklungen haben musste. Scheiße. „Zur Arbeit mein ich.“
„Nee, bin fertig für heute.“ Tommy alberte herum wie immer. Schmutzige Witze waren eine regelmäßige Sache. Er grunzte und wurde mit seinen Schuhen fertig. Seine Füße waren so stummelig und so kompakt wie der Rest von ihm. Er hockte sich vor seinen Spind. Am unteren Ende seiner Wirbelsäule lugte eine kleine Stelle sandfarbenen Pelzes über seinen Hosenbund.
Er ist wie ein Bärenjunges. Griff wurde sich dessen bewusst, dass er Tommys Körper beobachtete und hob schnell seinen Blick. Verdammt! Reiß dich zusammen, Arschloch! Er fühlte sich in keinster Weise zu dem untersetzten Sanitäter hingezogen, aber aufgrund dessen, was er gesehen hatte, fühlte er eine Art beschützende Sympathie; sie hatten gegen den gleichen Drachen zu kämpfen.
Wenigstens schien Tommy die Aufmerksamkeit nicht zu bemerken.
Oh Gott.
Was, wenn Tommy sie bemerkt hatte; was, wenn er dachte Griff würde ihn abchecken, du weißt schon, so.
Sah Tommy den anderen Kerlen hier auf der Wache hinterher? Hatte er jemals Dante so angeblickt? Griff stellte sich vor, dass es schwer war das nicht zu tun. All das hier war so gefährlich. Sag etwas Normales.
Die Stille dehnte sich aus. Griff hätte nicht sagen können, ob sie unangenehm war oder nicht.
Tommy erhob sich, um das Bowlingshirt über seiner harten, haarigen Brust zuzuknöpfen. Seine Haut war von der Dusche gerötet. Er war wirklich klein, aber mit Sicherheit solide gebaut, mit Armen wie ein Hafenarbeiter. „Langweiliger Morgen. Eine dicke Tussi hatte einen Herzinfarkt in der U-Bahn und wir waren die meiste Zeit unten in der Carroll Station. Hast du die Woche was Spannendes erlebt?“
Wie sollte man das beantworten. Ähm, ja, Anastagio und ich haben online für einen Russen in Sheepshead Bay aufeinander abgespritzt. Was ist mit dir? In letzter Zeit in engen Gassen deinen Arsch vergewaltigt bekommen? Er hatte keine Kontrolle über den komischen Ausdruck auf seinem Gesicht.
Tommy hob seinen Kopf und sah ihn merkwürdig an. „Griff?“
„Ja. Ich war zum Abendessen bei den Anastagios.“ Griff setzte sich auf die Bank, zog sich seinen Kapuzenpulli über den Kopf und strich sich anschließend sein leuchtendes Haar wieder glatt.
Er bemerkte die heilenden Kratzer auf Tommys muskulösen Unterarmen und die verblassenden Abschürfungen auf seinem ungepflegten Gesicht. Griff schluckte und errötete, Augen starr auf seinen Spind gerichtet.
Wie oft war er mit Schürfwunden und blauen Flecken erschienen, von denen sie annahmen, er habe sie bei der Ausübung seines Jobs erlitten. Wie oft hatte Tommy seine Frau belogen und den Job als Tarnung benutzt?
Eine verrückte Sekunde lang wollte Griff sich ihm anvertrauen. Nicht alles über Dante und den Porno und so, sondern einfach nur Tommy fragen, was er mit diesen verrückten Gefühlen für einen anderen Kerl anfangen sollte. Mit jemandem sprechen, der die gleiche Sache versteckte, der wusste, mit was er hier auf der Wache und in der Nachbarschaft zu leben hatte. Er wollte wissen, wie er sich verstecken und überleben konnte. Tommy würde es verstehen, ihn verstehen, oder?
Tommy bewegte sich ein paar Schritte, um einen Blick in den Spiegel über dem Waschbecken zu werfen und kämmte sein feuchtes, sandfarbenes Haar.
Griff dachte an den groben Sex in der Gasse, dessen Zeuge er vor zwei Wochen geworden war. Er konnte beinahe das ruhige, glückliche Leuchten vor sich sehen, das Tommy danach mit sich getragen hatte. Er fragte sich, ob Tommy einen festen Freund hatte, ob dieser Araber ihm etwas bedeutete oder ob er nur ein beliebiger Fick war. Vielleicht wollte Tommy gar keine Gefühle für den Typen haben. Vielleicht kannte er nicht einmal seinen Namen. Er war verheiratet und hatte Kinder. Himmel. Vielleicht würde Tommy ihn kein bisschen verstehen.
„Wir seh`n uns später.“ Tommy schlug ihm auf die Schulter und schob sich durch die Tür, auf dem Weg nach Hause. Der Handabdruck verweilte für ein paar Sekunden.
Griff grunzte und war froh seinen Mund gehalten zu haben. Das hätte ein Scheiß-Alptraum werden können. Wenn Griff etwas gesagt hätte, hätte er es nicht zurücknehmen können. Wenn er sein Herz ausgeschüttet hätte, ließ sich der Inhalt nicht einfach wieder einfüllen. Gigantisches Risiko. Könnte er Tommy dazu genug vertrauen? Konnte er irgendwem genug vertrauen? Nun, ja.
Dante.
Tja, vielleicht war das ja die wahre Lösung. Vielleicht, wenn Griff seine Gefühle für seinen Freund dabei einfach ausließ. Vielleicht könnte er einfach die Möglichkeit in den Raum stellen, dass er Kerle mögen könnte, ja, mögen-mögen. Aber was, wenn das die Dinge zwischen ihnen änderte? Was, wenn Dante lachte und zwinkerte und ihm anbot ihm einen Rabatt für eine HotHead Mitgliedschaft zu besorgen? Was, wenn sich Dante danach in seiner Anwesenheit nicht mehr wohl fühlte?
Er fühlte sich wie in einer Falle.
Richtig. Die richtige Sache zu tun, war zu versuchen, über Dante hinwegzukommen. Er musste einen anderen Typen finden und sich an diese Schwulensache gewöhnen und dann weiterziehen. Märchen waren Blödsinn. Happy Ends waren für Versager. Menschen liebten einander nicht für immer.
Vielleicht war alles was er brauchte, um von seiner Fixierung wegzukommen, ein heißer Muskelmann, den er in einer Seitenstraße vernaschen konnte. Ja. Das war keine Liebe; das war Lust, schlicht und einfach. Es war nicht Dante, der ihn dazu brachte diese Dinge zu fühlen; Dante war lediglich verführerisch und sie waren so oft zusammen.
Es gab noch andere Italiener auf der Welt. Scheiße, sie wuchsen wild an dem Efeu hier in seinem Viertel. Er musste, Hölle nochmal, über diese blödsinnige Schwärmerei hinwegkommen und jemand anderen finden, der Dante ähnlich genug war, damit sein Herz, sein Kopf und sein Schwanz es nicht bemerkten.
Ja klar. Guter Witz.
Griff schob sich seine Jeans vom Körper, legte sie in seinen Spind und zog seine Flip Flops an. Er duschte sich mechanisch und berührte sich unter der Gürtellinie nicht häufiger als unbedingt nötig.
Seit er angefangen hatte, sich den Monte-Clip auf HotHead anzusehen, war sein verräterischer Penis im Bereich der Feuerwache extrem leicht reizbar gewesen – absolut entwürdigend.
Dantes Porn-formance hatte die Feuerschutzkleidung für Griff zu einem Fetisch werden lassen; die Stiefel, die Hosenträger, selbst seine eigene feuerfeste Hose. In diesen letzten zwei Wochen hatte er auf den Fahrten zurück zur Wache, schmutzig und verrußt wie er war, tatsächlich ein Rohr bekommen, einfach nur vom Gewicht der Kleidung gegen seine Haut und der Erinnerung an Dantes schmutzige Worte für die HotHead Mitglieder. Inzwischen kannte er jede Sekunde davon auswendig.
Zwei Kabinen weiter schaltete sich eine Dusche mit einem Zischen ein. Ein weiterer ihrer Jungs war für ihre Tour eingetroffen.
Für alle Fälle spülte sich Griff unter eiskaltem Wasser ab. Gott, ist das kalt. Er blieb darunter stehen, bis seine Eier die Größe von Kichererbsen hatten und sein Schwanz nicht mehr als ein gummiartiger Stummel war.
Er griff aus der Kabine heraus nach seinem alten Handtuch. Er rieb es grob über seine, mit Gänsehaut übersäte Haut und seinen Kopf und knotete es dann fest um seine Hüften. Als er zu seinem Spind zurückkehrte, zog er frische Boxershorts und ein Thermoshirt hervor. Das kalte Wasser hatte seine Nippel zu harten, blassen Steinchen werden lassen. Er machte das Handtuch los und rieb es erneut über seine feuerroten Haare und über seine Achselhöhlen. Er stellte einen großen Fuß hoch auf die Bank, danach den anderen und beugte sich hinunter, um seine Beine abzutrocknen.
Bumm. Die Tür der Umkleide öffnete sich. Griff zuckte unbeabsichtigt zusammen. Hinter ihm pfiff jemand anerkennend.
„Arsch!“ Die bekannte Stimme war rau und amüsiert.
„Ähm, hi.“ Griff wirbelte herum und hielt sich das Handtuch vor seine Vorderseite.
Dante stand vor ihm und kicherte über seinen Anstand. „Passt schon, G. Wenn ich einen Körper wie du hätte, würde ich mich nie anziehen.“
Griff verdrehte die Augen. „Du bleibst auch so kaum angezogen.“
Dante setzte sich auf die Bank neben Griffs Unterwäsche. Sein süßer männlicher Duft füllte den schäbigen Raum. „Gehst du heute in den Fitnessraum? Ich muss bereit sein, falls Alek –“
Griff schüttelte den Kopf und verzog sein Gesicht, um Dante dazu zu bringen die Klappe zu halten. Nicht hier. Er nickte mit seinem Kopf in Richtung des gekachelten Durchgangs. Im nächsten Raum ging die Dusche mit einem Klonk aus.
Dante nickte. Mit einem Ruck zog sich Griff seine Unterwäsche über seine Familienjuwelen und schlüpfte in seine Jeans, bevor sie ein Publikum bekommen würden.
„Was los, ihr faulen Säcke?“ Briggs trat aus der Dusche und trocknete seinen Bierbauch mit einem ausgeblichenen Handtuch ab. „Geht ihr beiden nachher noch trainieren? Meine Frau reißt mir den Arsch auf.“
Urgh. Briggs.
Falls Griff jemals den Beweis brauchte, dass er die meisten Männer nicht attraktiv fand... Er rammte seine Füße in die Stiefel.
Dante sah zu Griffin hinüber, um ihm zu verstehen zu geben, dass er für sie beide antworten solle.
Griff warf einen Blick zur Tür; er wollte nicht aus nächster Nähe dabei sein, wenn Dante sich auszog. „Jepp. Nein. Ich muss“ – zum Teufel nochmal, von meinem besten Freund wegkommen – „mit meiner Schulter langsam machen. Hab mich verlegt.“
„Haha. Eher sowas wie verwichst. Tennisarm.“ Dante zwinkerte Briggs zu und zog seinen eigenen Spind auf.
Oh Gott. Wenn auch nur einer von beiden die gesamte Geschichte kennen würde...
Briggs schnaufte und trocknete sich extra ausführlich die Eier ab. Idiot. Er nahm sich einen Rasierer aus seinem Spind und wedelte damit in ihre Richtung. „Weißt du Anastagio, du solltest es nächsten Frühling nochmal mit den Baseball Tryouts versuchen. Wir könnten dich echt gebrauchen.“
Nach dem 11. September hatte Dante drei Jahre lang für das FDNY Baseballteam gespielt, bis die Renovierungsarbeiten anfingen seine Zeit und Aufmerksamkeit zu beanspruchen. Dante spielte immer zu hundert Prozent, lächelte schüchtern mit seinen großen Hundeaugen und schob sich mit einer Hand sein Haar zurück hinter sein Ohr, was ihn gleichzeitig so liebenswert und sexy wirken ließ, dass die Fans aus voller Kehle brüllten. Er spielte so, wie er alles tat - als hinge sein Leben davon ab; sprang nach Bällen, die er unmöglich fangen konnte, warf wie ein Blitz, schlug Bälle in die Tribünen, so dass er gemütlich um das Spielfeld schlendern konnte. Seine Geschwindigkeit und Beweglichkeit und Anmut waren atemberaubend.
Eigentlich hasste Griff Baseball; alles schien aus Mathe und Herumsitzen zu bestehen. Urgh. Er hatte eher einen Körper für Football und Hockey, wo seine Masse den größten Schaden anrichten konnte. Er hatte keine Lust, ein ganzes Spiel herum zu sitzen und anderen Typen dabei zuzusehen wie sie herum saßen. Wo lag der Sinn?
Wenn ihm jemand Eis und einen Puck oder Protektoren und einen ovalen Lederball gab, würde er spielen, bis er aus seinen Ohren blutete und seine Wimpern eingefroren waren. Es ergab Sinn gegen andere Kerle zu rennen, um etwas zu kämpfen, auf ein Ziel zuzusteuern. Nein. Baseball war Dantes Spiel; seine schlanke, harte Gestalt war dafür wie geschaffen; er hatte einen Killer-Wurfarm. „Vom vielen Wichsen“, sagte er immer.
Trotzdem, so sehr Griff das Spiel auch verabscheute, ließ er doch keine Gelegenheit aus, Dante in dieser Uniform sehen zu können. Mist, selbst die größten Frauenhelden der Einheit zogen Anastagio damit auf, wie knackig sein Arsch in diesen Hosen sei. Mädchen (und ein paar mutige Jungs) standen Schlange, um sich bei ihm zu bedanken und um Fotos zu bitten. Zur Zeit versuchte Dante, wenigstens zu ein paar Spielen im Jahr zu gehen.
Dante schüttelte seinen Kopf. „Nee. Ich weiß nicht. Mit den Renovierungen und so... Ich hab nicht wirklich Zeit, Briggs.“
Bevor er fertig mit Reden war, hatte sich Briggs schon ein Handtuch über die Schulter geworfen und sich auf den Weg zurück zu den Waschbecken gemacht, wobei er ein leuchtend grünes irisches Kleeblatt zur Schau stellte, dass er auf eine Arschbacke tätowiert hatte.
Ekelhaft.
Dann schob Dante sein T-Shirt nach oben, um eine frische Ladung Deo über seine Achselhöhlen zu rollen. Seine Bauchmuskeln spannten sich an und der feine Pfad an Haaren, der dort entlang nach unten führte, glänzte.
Griff leckte nicht wirklich über seine Lippen, aber er hätte gerne. „Hey, ähm...“ Er suchte in seiner Tasche nach einem Umschlag mit 1400 Dollar in Fünfzigern und legte ihn in Dantes warme, schwielige Hand.
Auf der anderen Seite des Raums pfiff Briggs am Waschbecken.
„Was ist das?“ Dante blickte verwirrt auf das Geld.
„Geld von... dieser Sache. Du weißt schon. Ich hab's vorher vergessen und wollte nicht, dass du danach fragen musst.“ Griff nickte, als sei das selbstverständlich. „Sieh mal, ich muss mit dem Chief reden.“
Dante schüttelte seinen Kopf und hielt ihm den Umschlag hin. „Das ist deins, G.“
Doch bevor Dante es ihm zurückgeben konnte, war Griff schon auf dem Weg zur Tür, zog sich ein Shirt über den Kopf und dachte über einen Platz in diesem Haus nach, an dem er sich für die nächsten zwölf Stunden vor seinem besten Freund verstecken könnte.
Das Jaulen des Alarms weckte Griff in einer Ecke des Pausenraums auf, wo er sich zusammengekauert hatte, um sich zu verstecken.
„Engine... Ladder...“ Die blecherne Stimme schallte durch das Haus. „Engine... Ladder...“ Griff konnte das Stampfen der Stiefel durch das Haus hören, als die Jungs sich auf den Weg zu den Fahrzeugen machten und sich über die späte Stunde beschwerten. Griff schüttelte sich und machte sich zur Tür.
Die halbe Nacht hatte er es geschafft, sich jeglicher Zeit alleine mit Dante zu entziehen. Der Pausenraum war das einzige Zimmer, in dem Dante ihn nie alleine erwischen würde. Das permanente Publikum bedeutete, dass Unterhaltungen sich ausschließlich um Pussys oder Sport drehen konnten. Gruppen waren in Ordnung, aber wenn es nur um sie beide ging, hatte Dante diese Art, ihm so nahe zu kommen, dass Griff dachte, er würde wahnsinnig werden. Er wusste, dass Dante es bemerkte, aber es gab nichts, das er tun konnte.
Die Anastagios haben ihre Zuneigung schon immer auch physisch zum Ausdruck gebracht, aber gepaart mit allem anderen, kam Griff mit dem körperlichen Kontakt nicht mehr klar. Dante, der ihn tätschelte, ihn schubste und seine Schulter drückte, gab ihm das Gefühl, als würde er jeden Moment explodieren. Ein paar Wochen länger „Monte“ auf dem Laptop und gemeinsames Arbeiten und sie würden ihn von den Wänden und der Decke kratzen können.
„Engine... Ladder...“
Unten im Erdgeschoss stiegen die Jungs in den Truck. Dante war schon drin; er zeigte auf den Platz neben seinem. „Na los, Gorilla. Wir haben uns schon Sorgen gemacht, du würdest es einfach verschlafen.“
Griff nickte und schloss seine Jacke als er sich setzte. Er konnte Dante riechen und die Lust machte ihn nervös. „Ja. Hab letzte Nacht mies geschlafen.“
Der Rest der Crew quetschte sich in das Löschfahrzeug. Briggs und Watson zickten herum wegen nichts. Tarlton machte den Chauffeur. Siluski fuhr auf dem Beifahrersitz und schrie über seine Schulter, als sie mit schallenden Sirenen und Rotlicht auf die Straße fuhren.
Der Truck rumpelte unsanft über die Straßen, bremste und bog abrupt ab, wenn sie um parkende Autos, betrunkene Fahrer und ungeduldige Taxis herumfahren mussten. Tarlton hätte das Fahrzeug blind durch die kleinen Straßen navigieren können.
Sie hielten vor einem großen Warenhaus – es sah nach Elektrogeräten aus. Die hohen Fenster, die Richtung Bürgersteig zeigten, waren zersplittert; Plünderer hatten schon Beute gemacht. Prima. Ein paar Aasgeier zogen schon ihre Kreise um die Möglichkeit einer nervenaufreibenden Tragödie.
Als die Männer aus dem Wagen auf den Asphalt stapften, biss der scharfe Gestank in ihren Augen. Selbst hier unten fiel das Atmen schwer. Griffs Lungen brannten.
„Plastik.“ Siluski schnüffelte, als er den Helm auf seinem Kopf zurechtrückte. „Eine Menge davon brennt. Himmel. Ich würde den Geruch überall erkennen.“
„Und richtig scheiß krebserregend.“ Watsons Augen waren bereits rot und tränten.
Sie kletterten hinunter auf die Straße und starrten hinauf zu der Säule aus öligem Rauch über ihnen. Der Chief war bereits damit beschäftigt, einen Schlachtplan auf den Weg zu schicken. Die Jungs von der Engine waren bereits an einem Hydranten und ihr Azubi hatte damit begonnen, den Schlauch auszurollen. Feuer war in den Fenstern vom dritten Stock aufwärts sichtbar. Die ganze Sache war fürchterlich schnell, fürchterlich heiß geworden.
Griff konnte die Stimme seines Vaters beinahe in seinem Kopf hören: „Vermutliche Brandstiftung.“ Sie mussten hier vorsichtig vorgehen. Alles Mögliche könnte sie erwarten.
Der Rettungswagen fuhr vor und Tommy sprang mit seiner großen Ausrüstung heraus.
„Ich kenne das Gebäude. Slick Willie ist im Erdgeschoss. Ausstellungsraum und Büros. Versand auch.“ Briggs stöhnte auf. „Elektrowaren- Kette.“
„Perfekt. Ich hab sowieso nach einem neuen Großbildfernseher für den Super Bowl gesucht.“ Dante grinste, als er seine Jacke über seiner muskulösen Brust schloss.
Watson war um das Feuerwehrauto herum gekommen, das Rotlicht flackerte über sein Gesicht.
Die Hitze von den Plexiglasfenstern grillte Griffs Gesicht und die ohnehin schon tränenden Augen. „Was ist mit den oberen Stockwerken?“
Briggs schwang sich seine Feueraxt auf den Rücken. „Ich glaube, die oberen Stockwerke sind als Lagerräume vermietet. Ich bin einmal durch den Boden gekracht. Hab mir mein Schienbein und mein Schlüsselbein gebrochen. Nichts entspricht den Bauvorschriften.“
Siluski grunzte: „Fantastisch. Das wird da drin wie auf einem Flohmarkt sein.“
„Räumungsverkauf!“ Dante lachte. „Vielleicht finde ich ein paar passende Lautsprecher.“
„Masken anziehen, Ladies.“ Siluski machte keine Witze. „Fürchterlich heiß da drin.“
„Soll ich mit dem Azubi die Laderampe nehmen?“ Briggs zeigte mit dem Finger. Es gab eine Auffahrt an der Seite des Gebäudes entlang, breit genug für einen LKW. Er griff sich das jüngste Mitglied des Teams und drehte sich um, um seine Untersuchung anzufangen, ohne auf eine Antwort zu warten.
Der Chief grunzte und drehte sich zum Rest seiner Männer. „Muir! Du und Siluski nehmt die Haupttreppe in den dritten Stock. Ich hab da ein mieses Gefühl.“
Griff und Siluski schnallten sich ihre Äxte, Masken und Helme an.
„Anastagio!“ der Chief winkte Dante mit einer Geste zu sich. „Nimm Watson und durchkämmt den vierten und fünften Stock. Der Typ aus der Imbissbude, der angerufen hat meinte, da oben könnten Obdachlose campen.“
Watson joggte zur Tür und zog sie auf; Dante folgte. Das Licht spiegelte sich in ihren Nachnamen, die in reflektierenden Buchstaben auf dem Rücken ihrer Feuerschutzmäntel standen.
„Ich hoffe, niemand hat so spät noch gearbeitet.“ Siluski schlug Griff auf den Rücken, als sie zum Eingang stapften. Griff sah zu wie die nachtleuchtenden ANASTAGIO Buchstaben in dem stinkenden Rauch vor ihnen versshwanden.
Vor ihm grinste Dante und ließ seinen Nacken knacken wie ein Boxer. „Na los, lasst die Party beginnen, hm?“
Siluski und Griff waren mit dem Ausstellungsraum schnell fertig. Das Erdgeschoss schien zwar verqualmt, aber nicht in unmittelbarer Gefahr. Schmutziges Wasser tropfte aus den Leitungen über ihnen. Ihre Stiefel platschten durch eineinhalb Zentimeter Wasser, das sich auf dem unebenen Linoleum angesammelt hatte.
„Was ist mit dem Sprinkler-System?“ Griff lief von einem Regalgang zum nächsten und suchte mit den Augen die Reihen von Elektrokrempel und Fernsehern ab. „ Keine Zivilisten, kein Feuer.“
Siluski erstattete dem Chief übers Funkgerät Bericht. „Im Erd- und Zwischengeschoss Rauch, aber kein Feuer. Machen uns auf in den Dritten.“
Griff konnte das Feuer über ihnen hören, aber die Sprinkler waren im größten Teil des Geschäftes tot. „Was ist mit den Sprinklern?“
Sie schoben sich durch die Nottür ins Treppenhaus.
„Erste Suche ergibt kein Feuer im Fünften.“ Dantes Stimme schallte von drei Stockwerken über ihm, als er ins Funkgerät bellte, dann brummte seine Stimme Watson etwas zu, als sie hinunter in den vierten Stock stampften.
Siluski runzelte die Stirn als sie emporstiegen. „Vielleicht wollte jemand einen Streich spielen? Scheint wie ein Scherzanruf, mit dem ganzen Wasser.“
Oben im Dritten war es heiß und deutlich rauchiger; auch wenn sie es noch nicht gefunden hatten, irgendetwas brannte noch immer. Der gesamte Flur war vollgepackt mit unbenutzten Verpackungen und tausender zusammengefalteter Wellpappe-Kisten in Stapeln. Sie verminderten die Bewegungsfreiheit und waren somit absolut nicht sicher. An einem Ende des sauerstofflosen Flurs trafen sie auf eine verschlossene Tür, glühend heiß, wenn man sie berührte.
Griff stieß Siluski an und blickte zu den Deckenplatten über ihnen. „Für was, hatte Briggs gesagt, nutzen sie die oberen Stockwerke?“
„Weiß nicht. Leere Kisten überall, verflucht nochmal. Ich schätze hauptsächlich als Lager. Ich muss das hier aufbrechen.“ Siluski tat wie angekündigt. Ein Hitzeschwall rollte ihnen entgegen, und dieser fürchterliche schmierige Rauch – gegrilltes Plastik.
Sie betraten einen großen Raum, der mit hohen Regalen und tiefen Tischen und einem dichten Vorhang aus rollender Schwärze gefüllt war. Auf der gegenüberliegenden Seite zeigten die Fenster in Richtung Straße. Das Rotlicht war unter ihnen, gerade eben außer Sicht.
„Ähm, Siluski...“ Griff hockte sich hin und deutete zur Decke. Über ihnen waren Rohre gebrochen und die Balken um sie herum wiesen Beulen und heftige Spuren eines Vorschlaghammers auf. Niemals war das hier ein Unfall. Über den demolierten Leitungen wand sich das Feuer die Decke entlang, langsam und golden wie eine Masse aus fließendem Öl.
Siluski hatte das Funkgerät schon hervorgeholt. „Chief, ich hab hier Hitze von drei Seiten. In den Wänden im Dritten. Wir brauchen eine Leitung hier oben, aber flott. Jemand hat die Sprinkler demoliert.“
„Verstanden.“
Von oben waren laute Rufe zu hören. Ein pop – pop – pop , als oben durch die Hitze ein paar Fenster heraus flogen.
„10-45! Ich hab einen“, bellte Watson von oben; es klang so, als würde der Depp seine Maske nicht tragen.
Über ihnen war ein leichtes Krachen zu hören. Ein paar Deckenteile fielen in einem Schauer aus Splittern hinunter.
„Was, zur Hölle, ist da oben los?!“ Siluskis Stimme war durch seine Maske gedämpft. „Geh runter.“
Der donnernde Wasserstrahl gegen die Fenster wurde weniger. Das fauchende Brüllen des Feuers hatte die Lage verändert und die Decke war nun heißer, das Feuer blauer. Füße trampelten über ihnen hinweg und Dante rief weit entfernt Anweisungen.
Etwas Schweres krachte hinter ihnen nieder und schlug durch den Boden hindurch nach unten. Ein riesiges Loch in der Decke zwischen zwei Balken zog Luft, stachelte das Feuer an und leitete den Sauerstoff nach oben weiter. Durch den unbeabsichtigten Schornstein konnten sie laut und deutlich hören, wie Dante im vierten Stock seine Anweisungen schrie.
Auch keine Maske, dieser Scheißidiot.
„Was, zur Hölle, war das?“ Die grimmige Verwirrung des Chiefs war greifbar.
Flammen leckten die Wände der westlichen Seite des Flurs im dritten Stockwerk hinunter. Plastikteile knallten und brutzelten um sie herum, liefen zu stinkenden, geschmolzenen Bächen zusammen, die an ihren Schuhen klebten.
Die Stimme des Chiefs kam knackend durch das Funkgerät. „Ihr Jungs kommt da raus! Es ist zu heiß und wir haben einen toten Hydranten. Macht euch vom Acker!“
„Lieutenant?“ Griffs Magen kribbelte mit Bestimmtheit. „Hey! Siluski?“
„Verstanden. Schon dabei.“ Siluski nickte Griff zu und deutete den Weg, den sie gekommen waren, zurück. Sie gingen auf die Knie und beeilten sich zur Tür zu kommen.
Draußen war der Flur ein einziges Durcheinander aus Papier und Rigips. Die Luft begann zu kochen. Geräusche aus dem nicht erreichbaren Treppenhaus drangen zu ihnen. Glas brach über ihnen und jemand brüllte Dante und Watson an.
Siluski gab Griff mit einer Kopfbewegung ein Zeichen, ein Stück zurückzubleiben.
Durch den verrauchten Flur zu navigieren, war wie durch siedenden Matsch zu schwimmen. Griffs Atem zischte hinter dem Beatmungsgerät. Selbst mit den Strahlern auf ihrer Brust und den Flammen an der westlichen Wand, mühten sie sich blind ab. Siluski versuchte mit seinem Brecheisen ein wandgroßes Regal aus ihrem Weg zu ziehen; es fiel mit einem lauten Knall und spuckte eine Wolke aus Funken aus. Seine Schubladen leerten Akten auf die brennende Wand. Keine Chance, dass sie auf dem gleichen Weg, auf dem sie gekommen waren, auch wieder herauskommen würden.
„Hintertreppe.“ Griff gestikulierte und sie machten kehrt und stürmten Richtung Tür am anderen Ende, zusammengekauert und Kisten und Teile der Rigipswände zur Seite tretend. Griff benutzte seine Masse, um durch den Schutt Richtung Hinterausgang zu brechen. Und dann nahmen sie die Stufen nach unten, immer drei Stufen gleichzeitig. Die Gefahr verfolgte sie und nahm dabei Geschwindigkeit auf.
Der Chief sprach in ruhigem Ton auf Siluski ein. „... irgendein Brandbeschleuniger. Sie haben wohl versucht, Fernseher abzufackeln, um die Versicherung zu kassieren. Ich werde keine guten Männer wegen so einer Scheiße verlieren.“
Die Jungs vom Löschfahrzeug konnten ohne genügend Wasser, das sie auf den Großbrand halten konnten, nicht viel ausrichten. Briggs und der Neue standen auf der Rückseite des Leiterwagens. Die Leiter war ausgefahren, ein leerer Schlauch hing schlaff über ihr. Der Gestank von versengtem Plastik hing ihnen allen in der Nase.
Wo, zur Hölle, war Dante?
Siluski spuckte eine schwarze Masse auf den Boden. „Chief, da drin ist niemand zum Rausholen! So eine Hitze und wir sollen rein, um ein paar Pappkartons zu retten? Scheiß drauf. Da ist nichts weiter als überschüssiger Mist und du kannst sicher sein, dass das Zeug versichert ist.“
Griff zog sich die Maske vom Gesicht und begann, auf und ab zu gehen. Er fühlte sich wie ein machtloses Tier in der Falle. Schweiß rann über sein Gesicht und seinen Hals, als er nach oben blickte, um die hohen Fenster anzustarren. Dante und Watson schlugen sich noch immer nach unten durch und ließen sich dabei viel zu viel Zeit.
Dann ertönte ein lauter Ruf und Siluski stolperte Richtung Tür. Briggs folgte ihm und der Chief drehte sich um, um nachzusehen was geschehen war.
Im verrauchten Eingangsbereich des Geschäfts war Watson zu erkennen, der jemanden mit sich schleppte und dessen Gewicht auf seine Hüfte stützte. Sein Rufen klang gedämpft, bis er sich die Sauerstoffmaske vom Gesicht riss. „Kann mir jemand mal 'ne Hand borgen?“ Ein angesengter Penner hing an ihm, sein Bart halb vom Gesicht gebrannt.
Erleichtert begann Griff auf ihn zuzugehen und wollte jemanden anschreien. Dante war noch immer nicht zu sehen.
Der Chief rief bereits die 10 – 45, bevor Watson es überhaupt bis nach draußen geschafft hatte: Brandverletzung.
Die Sanitäter hatten ihre Ausrüstung bereits zur Hand; Tommy stürmte Richtung Watson, um zu übernehmen.
Der Obdachlose hatte über seine eigene Vorderseite und Teile von Watson gekotzt.
„Ich hab Anastagio verloren!“ Watsons Augen waren unter dem Ruß blutunterlaufen. „Hab versucht, dieses Genie hier zur Treppe zu schaffen.“
Griffs Herz zog sich zusammen. „Was meinst du mit verloren?“
Watson lehnte sich nach vorne und stützte sich am Truck ab. Die Männer scharten sich in einer Gruppe um ihn. „Er war hinter mir. So scheiße heiß da oben. Ich hab die ganze Zeit mit ihm geredet. Dann nichts. Vielleicht hat er noch jemanden gefunden?“
„Ohne seine Maske.“ Griffs Stimme klang in seinen eigenen Ohren leise.
„Dante, Position?“ Siluski fragte in sein Walkie Talkie und bekam keine Antwort. „Watson, vierter Stock?“
„Leiterwagen! Vierter Stock.“ Der Chief sah zu den qualmenden Fenstern hinauf. „Brennt die Scheiße da oben immer noch?“
Die anderen Jungs um das Fahrzeug waren alle nur wenige Meter von Griff entfernt, doch sie hätten auch auf dem Mars sein können. Das Sirenenlicht tanzte auf ihren rußigen Gesichtern, rot-blau-rot-blau. Siluski sah so angepisst aus, dass es nur bedeuten konnte, dass er eine Scheißangst hatte.
„Anastagio!“ Siluski brüllte ein weiteres Mal in sein Funkgerät. „Hör auf, dir da oben einen runterzuholen!“
Griff fühlte wie ihm ein Loch in den Magen gerissen wurde. Irgendetwas hatte ein Stück aus seinem Innersten gebissen und ließ einen ausgefransten, leeren Raum zurück. Vielleicht ein Hai; die ganze Welt war schließlich am untergehen.
Watson hatte sich inzwischen seiner Maske entledigt, schüttelte seinen Kopf und spuckte. Keine Antwort aus dem Walkie.
Die Zeit verlangsamte sich so sehr, dass Griff seinen Herzschlag als zwei völlig unterschiedliche Geräusche warnahm.
– Lub... dub... --
Die Crew starrte den Chief an. Die Zeit, die sie auf den nächsten Befehl des Chiefs warteten, schien wie eine ganze Stunde.
– Lub ...dub... –
Griff wartete nicht. Er hätte nicht wirklich sagen können, was als nächstes geschah.
Er dachte nicht einmal nach; er sah nur wie es geschah, denn er war plötzlich wie eine andere Person, die ihm lediglich zusah. Plötzlich bewegten sich die Beine unter ihm in unglaublicher Geschwindigkeit. Aber es waren die Beine von jemand anderem. Aus der Entfernung eines Falken sah er zu, wie ein großer, blasser Fremder in Brandschutzausrüstung durch die brennende Tür und zurück zur Hintertreppe sprintete, die er eben erst verlassen hatte.
– Lub ...dub... –
Der Atem von jemand anderem rauschte in Ohren, die ihm nicht gehörten. Er fühlte, wie sich die Muskeln seiner gestohlenen Beine anspannten, als sie sich zu seinem besten Freund arbeiteten, der irgendwo da oben gerade erstickte, oder schlimmer. Als wäre die Luft keine heiße grau-orange Suppe. Als ob sich kein beißender Qualm vor seiner Maske sammelte.
– Lub … dub... –
Erst als er wieder allein war, zwang sich Griff in seine eigene Haut zurück und hinein in das Feuer. Alles um ihn herum bewegte sich in Zeitlupe. Denk nach, Idiot. Sie waren im Vierten gewesen, als Watson den Kerl gefunden hatte. Er kletterte die Stufen hinauf in das Inferno. Asche wirbelte in der Luft um ihn herum.
Oben angekommen, machte er sich so klein wie möglich und auf den Weg durch den verrauchten Flur.
Bitte.
„Dante?“ Unter dem Wispern des Feuers lauschte er nach Dantes Funkgerät. „Na los, du verfluchter Idiot.“ Nichts als das Summen des Feuers, dass auf die vielen Pappkisten und das Plastik losgelassen wurde, das Ploppen und Fallen der Rigips-Einrichtung, das Brechen von Glas. Metallstreben, die über ihm stöhnten. Dante war nirgendwo zu sehen.
Blanke Panik stieg in Griff auf, lähmte ihn, als er sich auf der Stelle drehte, in der verzweifelten Hoffnung nach einem Zeichen, einem Geräusch, einem Hinweis in der grölenden Dunkelheit.
– Lub... dub... –
Endlich hörte er am nördlichen Ende ein elektronisches Pfeifen von der anderen Seite der Wand. Er legte seine Hand gegen den heißen Rigips und versuchte mehr zu hören.
Siluskis Stimme klang schwach und statisch, aber nah. „Anastagio!“
Griff zögerte keinen Moment. Er nahm seine Axt in die Hände und hackte eine mannsgroße Öffnung zwischen die Streben. Die heiße Luft schlug ihm ins Gesicht und versengte ihm seine Wimpern. Er schlug immer und immer wieder mit aller Macht zu und erkämpfte sich so seinen Weg ins Innere, half mit seinen Schultern nach. Football aus der Hölle. Die Hitze rollte auf ihn zu und kochte die Luft in seinen Lungen. Auf seiner Jagd nach Dante, musste er den 11. September ein weiteres Mal ertragen.
Atemmaske. Es war dämlich, dass er sie nicht trug, aber er würde jetzt keine weitere Zeit mehr verlieren. Dante trug seine ebenfalls nicht, was noch deutlich schlimmer war. Im Zimmer war ein Tisch umgefallen. Dantes Helm lag auf dem Boden und er hob ihn im Vorbeigehen auf. Er lief auf kaputtem Plastik und verkohlter Pappe. Ein weiteres Mal hörte er auf dem Funkgerät, wie Siluski Dantes Namen rief und er wuchtete den Tisch aus dem Weg.
Da! Ein Reflexionsstreifen an der Wand fing den Strahl von seiner Brust auf und warf ihn zurück. – STAGIO. Er war noch niemals glücklicher gewesen, den fluoreszierenden Streifen auf dieser Jacke zu sehen.
Dantes Vater hatte ihm einmal erklärt, dass ihr Familienname, Anastagio, „göttlich“ oder „Wiedergeburt“ bedeutete. In diesem glühend heißen Zimmer, den Blick auf die reflektierenden Buchstaben gerichtet, die schützend über seinem Freund lagen, klangen diese Worte richtig.
Besser als der 11. September; wenigstens sind wir hier zusammen.
Griff ließ den Helm fallen und durchquerte den brennenden Raum.
Ich würde lieber mit ihm sterben. Diesmal wird er nicht alleine sein.
An der Wand lag Dante zusammengesackt gegen einen Stapel zerschlissener Kisten, halb begraben unter Mauerwerk und Teilen der Decke. Ein Pfeiler hatte ihn erwischt und ihn lange genug eingeklemmt, dass seine Lungen sich mit dem erstickenden Rauch füllen konnten. Er hatte eine heftig blutende Kopfwunde, schien allerdings keine Verbrennungen oder ernsthafte Knochenbrüche erlitten zu haben. Seine Nase war mit verschmortem Dämmstoff und Asche verkrustet, doch sein Atem ging gleichmäßig, wenn auch flach. Lebendig.
Dante stöhnte und rührte sich; seine Hände ballten sich zu Fäusten. Gott sei Dank, die Wirbelsäule war in Ordnung.
„Dante?“ Griff kroch unterhalb des Qualms, rollte Dantes Körper herum und zog sich einen Handschuh aus, um ihn zu untersuchen – keine Schnittwunden, starker Puls. Irgendeine Kopfwunde, aber keine Zeit für eine Halskrause oder gar eine Trage. Sie mussten, auf Teufel komm raus, weg aus dieser Hitze, die das Zimmer um sie herum auffraß, bevor sie beide erstickten.
Schnipsel brennenden Papiers schwebten wie wütende Motten auf sie nieder. Griff tastete nach seinem Beatmungsgerät und hielt die süße, metallische Luft für einen Moment über Dantes Mund und Nase. Griff blieb dicht neben ihm am Boden, ihre Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Er sah, wie sich Dantes Auge unter dem dünnen Lid bewegte.
Griff hörte, wie am anderen Ende des Raums ein Fenster aufgrund der Hitze explodierte. Seine eigenen Lungen standen in Flammen. Unten auf der Straße Sirenen und schreiende Menschen. Er nahm einen weiteren Atemzug Instant-Sauerstoff und befestigte die Maske über dem blutigen Gesicht seines Freundes. Dante, so dicht vor dem Tod, war ein Deja Vu für ihn; er hatte es schon einmal erlebt.
Zeit zu gehen.
Griffin schüttelte den Kopf. „Halt durch, Kumpel.“ Wie auf Autopilot lehnte er sich hinunter, senkte eine Schulter und hob Dante hoch, während er sich mit seinen starken Beinen gegen das Gewicht stemmte.
Kein totes Gewicht. Kein totes Gewicht.
Mit einem Aufschrei drückte Griff Dante in einen sicheren Halt, und beeilte sich, zielsicher tretend und Dinge aus dem Weg schiebend, zu dem Spalt zu kommen, den er zuvor in die Wand geschlagen hatte.
– Lub... –
Er drehte sich zur Feuerschutztür und versuchte nicht einzuatmen.
– Dub... –
Seine Brust verkrampfte sich und seine Arme brannten von Dantes Gewicht.
Bitte – bitte – bitte, Gott. Ich tue alles, was du willst.
Im Treppenhaus wurde alles einfacher; mit der Gravitation auf seiner Seite, war er in der Lage, sich einige Male gegen die Wand zu stützen, während er seinen Weg nach unten auf die Straße stolperte. Das Feuer begann die Wände nach unten zu kriechen.
– Lub... –
Als Griff sich seinen Weg die Treppe hinunter suchte und versuchte seine wertvolle Last nicht fallen zu lassen, suchte ihn eine Erinnerung heim: Sie beide, wie sie sich in dem Sommer, bevor sie in der Fire Academy auf Randall Island angefangen hatten, mit Jägermeister vollgedröhnt hatten. Sie hatten auf das Haus der Anastagios „aufgepasst“. Dante war mit drei Mädels abgestürzt und hatte ein paar Stunden ziemlich abgefahrenen Sex, während Griff auf der Couch eingeschlafen war.
Aus irgendeinem Grund, den er später selbst nicht erklären konnte, hatte Dante das Trio mit Filzstiften auf seinem gesamten, langen Körper herumkritzeln lassen, bevor es ihn ausgeknockt hatte. Als er aufgewacht war, war die Farbe getrocknet und jeder Zentimeter seines Körpers war von blauer und roter Farbe übersät, die nicht ohne heftiges Schrubben wieder abgegangen war.
Am Morgen hatte Griff nicht zweimal darüber nachdenken müssen, sondern hatte sich einfach ausgezogen, sich seinen besten Freund geschnappt und war mit ihm unter die Dusche geklettert. Beide hatten gelacht, als er ihn mit einer harten Bürste buchstäblich von Kopf bis Fuß abgeschrubbt hatte, damit sie es pünktlich in die Kirche und zur Taufe eines Cousins schafften. Das war das einzige andere Mal in ihrem Leben, dass er Dante getragen hatte.
– Dub... –
Jetzt könnte ich das nicht mehr tun. Ihn nackt tragen. Auf der anderen Seite, würde Dante so etwas heute auch nicht mehr bringen, oder?
Griff konnte den Fuß der Treppe sehen, konnte den ersten Hauch frischer Luft schmecken. Seine Wimpern brannten. Mit dem letzten Rest an Kraft, die er noch aufbringen konnte, drückte er Dante an seine Brust und stürzte zur Tür hinaus.
Dann waren sie auf der Straße, er konnte atmen und so ziemlich jeder schrie ihn an. Er war durch den Rauch beinahe blind und die ganze Welt war kaum mehr, als ein stechendes, verschwommenes Etwas. Seine Nase war von Asche verkrustet und seine Augenbrauen waren versengt.
„Runter! Leg ihn hin!“ Die Sanitäter lösten seinen Griff und legten Dante auf eine Trage. Tommy lehnte sich über ihn, checkte seinen Puls und gab seinen Kollegen leise Anweisungen. Eine kräftige, schwarze Frau versuchte seine Atemwege frei zu bekommen und murmelte vor sich hin.
Dante nahm einen lauten, zischenden Atemzug. Wiedergeburt. Und Griff erkannte die genaue Melodie seines Atems. Ich danke Dir, Gott.
Griff versuchte einen Blick auf ihn zu erhaschen, sank jedoch erschöpft zu Boden und würgte. Der schwarze Speichel rann in langen, giftigen Fäden von seinem Mund auf den Asphalt.
Jetzt weiß ich, nach was geschmorte Fernseher schmecken.
Weit über ihnen platzten weitere Fenster und anscheinend brach ein riesiges Stück Decke von den oberen Stockwerken ein, denn Millionen Funken glühender Asche wirbelten durch die Luft. Die gigantische Welle einer Flamme schoss in den Himmel.
Das hätte er sein können.
„Was, zur Hölle, sollte das, Muir?“ Jemand war neben ihm und brüllte ihn von oben an. Briggs. „Dir hat's fast deinen fetten Arsch gegrillt.“
Fick dich. Griff spuckte wieder. Er bekam den Geschmack nicht aus seinem Mund, oder das Bild wie Dante an der Wand zusammengesackt da lag. Was, zur Hölle, hatte Dante da gemacht?
Ähm, seinen Job? Auch er ist ein Feuerwehrmann.
Dante keuchte und hustete, als Tommy einen Schlauch mit Sauerstoff unter seine Nase legte und ihn mit vorsichtigen Händen untersuchte.
Danke, Tommy.
Ein sommersprossiger Sanitäter schob ein Augenlid nach oben und leuchtete mit einer kleinen Lampe in seine Pupillen, während er den anderen etwas zumurmelte. Tommy nickte und sah zu Griff... und nickte. Alles würde gut werden.
Die nächste Runde im Pipe Room geht auf mich.
Briggs war stinksauer. „Die Leiter war schon unterwegs, du Flachwichser. Hättest du nicht drei verfluchte Minuten auf deine Scheißfreundin warten können?“
Ohne darüber nachzudenken, war Griff auf seinen Füßen, die Faust zum Schlag ausgeholt und bereit dazu, Briggs Gesicht zu Brei zu schlagen, als Siluski ihn am Arm packte und ihn wie einen Rottweiler zurückzog.
Der Chief trat vor Briggs und hob eine Hand. „Lass gut sein, Briggs! Das ist sein Bruder.“
„Wenn du das sagst –“ Briggs ging einen weiteren Schritt und Watson platzierte eine Hand auf seiner Brust.
„Hab ich gerade. Deshalb bin ich derjenige, der hier das weiße Hemd trägt, Idiot.“ Der Chief trat nach vorne. „Deshalb habe ich die Officer-Streifen auf meiner Brust. Beruhig dich.“
Griff wusste, dass er zu schnell atmete und versuchte nicht ganz so hektisch nach Luft zu schnappen, um nicht Gefahr zu laufen, zu hyperventilieren und umzukippen. Als die Jungs vom Krankenwagen Dante aus seiner Ausrüstung schnitten, konnte Griff die Buchstaben auf Dantes dunkelblauem T-Shirt erkennen: „ BLEIB 200 FUSS ZURÜCK.“
Versuch mich dazu zu zwingen.
Siluski legte eine Hand auf seinen Arm und zog ihn zurück auf den Bürgersteig vor dem rauchenden Gebäude. „Beruhig dich, Kleiner. Sie kümmern sich um ihn.“
Griff blickte hinunter auf die Hand auf seinem Ärmel und fühlte sich dabei, als gehöre sein gigantischer Arm gar nicht wirklich zu ihm. Die Muskeln krampften und zuckten noch immer. „Ja, Sir.“
Griff ließ sich von einer ehrenamtlichen Krankenwagen-Tussi neben den Rettungswagen führen, ließ dort überflüssige erste Hilfe über sich ergehen, um nicht in Versuchung zu geraten, Briggs auf einem öffentlichen Platz zu ermorden und anschließend zu zerstückeln.
Nachdem sie mit den Doktorspielchen fertig waren, bewegte sich Griff automatisch Richtung Truck. Er musste Dantes Eltern anrufen. Über ihnen qualmte das Gebäude unter dem einen, funktionierenden Schlauch.
Scheiß Stadt. Scheiß Republikaner. Scheiß Budgetkürzungen.
Der Chief drückte ihm Dantes Helm in die Hand. „Gidwitz hat ihn gefunden.“
„Danke.“ Griff drückte ihn an seine Brust wie ein Neugeborenes.
„Was, zur Hölle, hast du da getrieben?!“
„Das war nicht wirklich ich. Ich meine, ich hab nicht nachgedacht.“ Griff hustete. Himmel, stank es hier. „Ich hab nicht...“ Er fühlte sich machtlos, ohne Grund wütend. Er wollte Briggs den Schädel dafür einschlagen, dass er Dante seine Freundin genannt hatte, dafür, dass er sich gerade diesen Moment dafür ausgesucht hatte, ein Arschloch zu sein, dafür, dass er versucht hatte, ihn zu beschämen.
„Nein. Du hast deine Sache gut gemacht. Er hätte da oben sterben können.“ Der Chief nickte. „Ich schreib trotzdem 'ne Abmahnung, aber unter uns? Du hast das Richtige getan.“
Griff drückte den Helm an sich und atmete. Blinzeln fühlte sich seltsam an; ihm wurde klar, dass seine Wimpern zu kurzen Stummeln versengt waren.
Der Krankenwagen mit Dante darin fuhr mit Höchstgeschwindigkeit davon und Griff fühlte, wie sein Herz mit ihm fuhr, sich von seiner Brust in einem langen Faden abrollte und abrollte und einfach nicht reißen würde.
Das Feuer bei Slick Willie gab sich nach etwa drei Stunden geschlagen. Schließlich fuhr die Engine 361 von der anderen Red Hook-Wache vor und Gott sei Dank bekamen sie das Ganze dann in den Griff. Sie zapften einen Hydranten an, der nicht Vandalen zum Opfer gefallen war und die anderen Männer gingen zurück hinein. Der Löschwagen durchweichte die Fassade mit Wasser und eine andere Leitung führte ins Innere, um die heftigsten Brände zu bekämpfen.
Nachdem er seinen Arsch aufgerissen bekommen hatte, saß Griff den Rest aus, blieb unten auf der Straße und versuchte Luft in seine verbrühten Lungen zu ziehen. Sie konnten sich alle verpissen. Absolut nichts hätte er anders gemacht. Die Sanitäter hatten ihm gesagt, dass er wahrscheinlich erstickt wäre, wenn er ein Raucher wäre. Zum millionsten Mal war er froh darüber, dass Dante Tabak in seinem Haus verabscheute.
Nachdem das Inferno verebbt war, gingen die anderen Jungs zurück, um Stockwerk für Stockwerk die suppige Asche, die verschmorten Geräte und die versengten Pappschachteln zu durchsuchen. Nachdem alles freigegeben wurde, waren alle mehr als glücklich, von diesem Scheißhaufen wegzukommen.
Am Ende gab es keine „Verkohlten“; niemand war in dem Gebäude gestorben. Die Brandermittler würden am Morgen ihre Runde machen, denn „mehrfache Brandherde“ waren praktisch ein Neonsignal für „Versicherungsbetrug“. Bösartige Idioten.
Es stellte sich heraus, dass Dante der einzige ernsthafte medizinische Notfall war und es war seine eigene verdammte Schuld. Tommy war ziemlich sicher, dass er eine Kopfverletzung hatte, aber seine Vitalfunktionen waren in Ordnung und somit hatte Griff keine gute Ausrede, um ihn ins Krankenhaus zu begleiten.
Im Wagen sprach keiner ein Wort. Sie hatten Glück gehabt und Griff war dämlich. Genug zum Thema. Niemand würde ihm vorwerfen, ein Leben gerettet zu haben, besonders wenn es um einen der ihren ging.
Griff fuhr mit dem Rücken zur Fahrtrichtung und wurde aufgrund der unebenen Straße hin und her geworfen, als er die anderen Gesichter betrachtete. Sah ihn jemand seltsam an? Hatten sie auf Briggs Bullshit geachtet? Nein. Sie alle wussten, dass er ein Ehren-Anastagio war. Sie ließen ihn in Ruhe in Panik verfallen.
Wo war Dante jetzt?
„Ich werde zu alt für diese Scheiße.“ Griff versuchte zu schlucken. Seine Hände zitterten. Unter seiner Ausrüstung war er klatschnass. Er war noch immer nicht sicher, ob er sich nicht in die Hosen gepinkelt hatte, als er Dante bewusstlos und brennend gefunden hatte.
Siluski schüttelte seinen Kopf und wischte sich über den Mund. „Nee. Mir scheint es so, als wärst du gerade eben alt genug, Kleiner.“
Griff schloss seine Augen und versuchte in dem schaukelnden Fahrzeug zur Ruhe zu kommen und alle anderen zu ignorieren. Rückwärts zu fahren – nicht zu sehen wohin es ging, machte ihn ein wenig nervös. Seine Augen brannten und er weinte ein wenig vor Erleichterung, aber wer würde das unter dem verkohlten Dreck schon bemerken. Er wollte eine Dusche, einen Drink und sich aufs Ohr hauen. Er brauchte es, sich hinzusetzen und über Alles und Nichts mit dem einzigen Menschen zu reden, der, ohne es auch nur zu versuchen, sein Innerstes nach außen kehren konnte.
Und einfach so, wusste er eines mit fürchterlicher Gewissheit: Er würde sich nicht für immer verstecken können.
Auch wenn es ihn zerstören würde, nichts machte ihm mehr Angst, als die Chance zu verlieren, dem Mann, den er liebte, die Wahrheit zu sagen.