V i E R Z E H N
„Hölle!", schnaubte John und wurde sich nicht einmal bewusst. etwas gesagt zu haben, während er die M-16 hochriss und das Feuer eröffnete.
Bamm-Bamm-Bam-Bamm...!
Und dem ersten der Skorpiondinger entwich ein seltsamer, trockener Zischlaut, als die Kugeln in den gekrümmten Körper hämmerten - wie Luft, die aus einem riesigen Reifen gelassen wird. Eine dicke weiße Flüssigkeit platzte aus den Wunden, die in dem insektoiden Gesicht entstanden waren; ein Gesicht mit triefenden Stoßzähnen und Spinnenaugen; ein Gesicht mit einem schwarzen, formlosen Loch als Maul. Sich windend, mit erhobenen Klauen, fiel das Tier auf die Seite, zuckte wild und wühlte sich so sein eigenes Grab in den hei-
ßen Sand.
Auch Leon und Cole schössen. Das Donnern der Pistolen
übertönte jedes weitere Zischen, ließ noch mehr von dem ei-tcrartigen Blut aus dem zweiten und dritten Skorp hervortre-ten. Die gallertartige Flüssigkeit quoll wie Erbrochenes aus den Schusswunden, aber es kamen noch drei weitere dieser Wesen von dort oben herunter ...
... und auch die erste Kreatur, die John mit Kugeln durchsiebt hatte, erhob sich plötzlich w ieder. Unsicher zwar, aber sie tat es. Aus den Öffnungen quoll diese zähe weiße Schmie-rc. und als das Biest den ersten Schritt auf sie zumachte, sah John, dass die Flüssigkeit an der Luft hart wurde. Sie ver-schluss die Wunden so gründlich wie Gips einen Schaden in einer Wand!
„Los, los, los.'", rief John, als die beiden anderen Geschöp-fe, die Leon und Cole erlegt hatten, anfingen, sich ebenfalls zu bewegen; ihre Wunden verkrusteten bereits. Und das zweite Trio war schon halb die Düne herunter, kam unaufhaltsam näher.
Müssen hier raus!
Es gab immer noch zwei „Umwelt-Simulationen", und sie hatten bereits Minimum ein Drittel ihrer Munition verballert.
Dieser Gedanke schoss John in dem Sekundenbruchteil durch den Kopf, den er brauchte, um die Skorps mit einem Kugelhagel einzudecken, während Leon und Cole in östliche Richtung rannten.
John versuchte nicht einmal, auch nur eines der sechs Tiere zu erledigen; er wusste jetzt, dass es keinen Unterschied gemacht hätte. Die Salve sollte sie nur aufhalten, bis die beiden anderen Männer in Sicherheit waren. Johns Verstand suchte fieberhaft nach einem Ausweg, derweil diese unmöglichen
f iere ihre gezahnten Klauen schwenkten, sich durch den Sand bewegten und noch mehr ihres bizarren „Klebers" absonder-ten.
Eine Granate! Aber wie erwische ich sie alle, wie vermeiden wir es, uns selbst Splitter einzufangen?
Der nächste Skorp befand sich vielleicht vier Meter vor
ihm, als John sich umdrehte und losrannte. Er bewegte sich so schnell er konnte durch die sengende Hitze. Sein Adrenalin-spiegel war hoch, es kochte regelrecht in ihm. Leon und Cole waren ihm fünfzig Meter voraus. Sic taumelten durch den
Sand. Leon rannte seitwärts, um das Gelände vor und hinter ihnen im Auge zu behalten, die Pistole schwenkte er dabei stets in Blickrichtung.
John riskierte einen Blick nach hinten und sah, dass die Skorpionkreaturen noch immer näher kamen. Ihre wespen-artigen Leiber wirkten bedrohlich, ihre bizarr langen, auf-und zuschnappenden Klauen hatten sie erhoben. Außerdem
gewannen sie an Tempo, wurden mit jedem hopsenden Schritt schneller; eine Horde untoter Insekten, die Ausschau nach ihrem Mittagsmahl hielten ...
Horde ... Sie bewegen sich in einer Horde ...
Wahrscheinlich würde sich ihnen keine bessere Chance bieten. John ließ das Gewehr los, um die Hände frei zu bekommen. Es baumelte am Riemen um seinen Hals und ging, ob-
wohl er seine Flucht fortsetzte, auf diese Weise nicht verloren.
Er rammte eine Hand in seine Tasche und holte eine der Granaten hervor, riss den Stift heraus, drehte sich um und trabte rückwärts weiter. Er versuchte, die Entfernung abzuschätzen.
Sein fieberhaft arbeitender Verstand spielte den Ablaufeines M68-Wurfs durch. Die Skorps befanden sich zwanzig, fünfundzwanzig Meter hinter ihm.
Impakt-Zünder. Scharf zwei Sekunden nach dem Aufprall -
sechs Sekunden Zeil zum Rückzug...
„Granate!", schrie er und schleuderte den runden Gegen-stand von sich. Er betete, dass sich seine Einschätzung als richtig erweisen würde. Gleichzeitig drehte er sich um und sprang. Die Granate war immer noch in der Luft, als er in den Dünenhang eintauchte.
John schwamm förmlich hinein, schob sich mit all seiner beachtlichen Muskelkraft voran, grub sich blind und atemlos in den heißen Sand. Unter der Oberfläche war der Sand kühler. Er ergoss sich über sein Gesicht, versuchte ihm in Nase, Mund und Ohren zu dringen, aber er konnte an nichts anderes denken als daran, seine Beine anzuziehen - und daran. \v;is die herumirrenden Metallsplitter mit menschlichem Fleisch anzurichten vermochten.
Ein letztes, verzweifeltes Treten und ...
WOAMMMM.'
. .. um ihn herum geriet alles in Bewegung. Ein unglaublicher Druck drosch gegen die sich bewegende Wand, in die er eingebettet lag. Er spürte, wie das auf ihm lastende Gewicht niedergedrückt, wie ihm die Luft aus den Lungen gepresst wurde, und er brauchte alle Kraft, um eine Hand zu seinem Gesicht zu bringen und sie vor seinen Mund zu stülpen. Flach atmend fing er an. sich wieder hervor zu wühlen.
Leon! Ob sie es geschafft haben, sich rechtzeitig in Deckung zu bringen? Ob es geklappt hat, wie ich es mir vorgestellt habe?
John kämpfte gegen den immer noch nachrutschenden
Strom glatter Körner an. holte noch einmal Luft, bevor er beide Hände benutzte, um den schweren Sand beiseite zu schieben. Binnen weniger Sekunden hatte er sich befreit, der Sand floss wie breite Rinnsale von ihm ab, seine gereizten Augen tränten. Mit einer Hand wischte er sich darüber, dann hob er die M-16 und hielt als Erstes Ausschau nach der Gefahr ...
... die keine mehr war. Die Granate musste direkt vor den Ungeheuern aufgetroffen sein. Von den sechs mutierten Skor-pionen, die sich an ihre Fersen geheftet hatten, waren vier völlig zerfetzt worden. John sah eine immer noch zuckende Klaue in einer weißen Pfütze im Sand liegen: ein Schwanz samt Stachel ragte aus dem Hang der Düne; in der Nähe ein Bein und noch ein weiteres ... Der Rest war nicht mehr zu identifizie-ren, große, feuchte Batzen, über die Umgebung verteilt.
Die beiden Skorps am Ende der Horde waren noch im Gan-
zen erhalten, würden sich aber ganz sicher nicht mehr er-heben. Die Körper waren zwar intakt, doch die Augen und die Mäuler, die seltsamen Mandibeln - kurz: die Gesichter - waren verschwunden.
Buchstäblich weggerissen. Das lässt sich auch mit diesem weißen Teufelszeugs nicht mehr reparieren!
„John!"
Er wandte sich um und sah Leon und Cole, die auf ihn zu-
schritten. Staunen lag auf ihren Gesichtern. John erlaubte sich einen kurzen Augenblick zügellosen Stolzes, während er ihnen entgegensah. Er war genial gewesen - Timing, Zielgenauig-keit, alles hatte gestimmt.
Na ja. Ein wahrer Soldat lässt sich für einen gut gemachten Job nicht loben - es genügt ihm. wenn er selber weiß, was er geleistet hat...
Als sie bei ihm anlangten, hatte er sich wieder im Griff. Au-
ßerdem hatte er genug damit zu tun, sich ihre Lage neu vor Augen zu halten. Sie befanden sich auf einem Testgelände, das von Psychopathen ersonnen worden war, und sie wurden ganz offenkundig von einem verrückten Umbrella-Mitarbeiter auf Herz und Nieren geprüft. Ihr Team war zerschlagen, ihnen stand nur eine begrenzte Munitionsmenge zur Verfügung, und es gab keinen Ausweg - jedenfalls keiner, der einem Spa-ziergang gleich kam.
Wir sind so ziemlich für 'n Arsch. Dir selbst auf die Schulter zu klopfen bringt in etwa so viel, wie einem Toten Aspirin zu verabreichen - es ist völlig sinnlos.
Dennoch tat es gut, die vage Hoffnung in den verschwitzten Gesichter der beiden anderen Männer zu sehen ... Hoffnung konnte täuschen, aber sie war selten etwas Schlechtes.
„Es könnte noch mehr von den Dingern geben", sagte John und wischte Sand von der M-16. „Lasst uns von hier verschwinden ..."
... klickklickklick...
Sie erstarrten ausnahmslos, sahen einander an. Dieses un-verwechselbare Geräusch! Es war nicht sehr nahe, aber irgendwo jenseits der Düne existierte noch mindestens einer der Skorps ...
David hatte ein sich bewegendes Licht ausgemacht, vielleicht eine Viertelmeile südwestlich ihrer Position, aber es war nicht näher gekommen. Wäre die Kälte nicht gewesen, glaubte
Ciaire, hätte sie sich vielleicht erleichtert gefühlt. Die Chance, dass jemand sie in diesen endlosen Meilen aus Dunkelheit fand, lagen nahezu bei Null. Die Umbrella-Typen hatten es verbockt. Selbst mit dem Suchscheinwerfer des Hubschraubers - den sie offenbar nicht einzusetzen gedachten - wäre es reines Glück gewesen, wenn sie das flüchtige Trio aufgespürt hätten ...
... obwohl - vielleicht wäre es ja unser Glück, gestellt zu werden. Vielleicht hätten sie Decken und Kaffee, heiße Scho-kolade, Glühwein ...
„Wie geht's dir, Ciaire?"
Sie bemühte sich, das Klappern ihrer Zähne zu unterdrü-
cken, doch es gelang ihr nicht. Es war jetzt mindestens eine Stunde vergangen, wahrscheinlich mehr. „Ich friere wie verrückt, David, und du?"
„Auch. Gut, dass wir warm angezogen sind, was?"
Wenn es ein Witz sein sollte, konnte sie nicht darüber lachen. Ciaire kuschelte sich enger an Rebecca und fragte sich, wann sie auch noch das letzte Gefühl in ihren Gliedern verlieren würde. Schon jetzt waren ihre Hände taub, und ihr Gesicht fühlte sich an, als gefriere es zu einer Maske, obwohl sie fast unablässig ihre Position wechselte. David befand sich auf Rebeccas anderer Seite: die Drei drängten sich so dicht aneinander wie nur möglieh, in Löffclchenstellung. Rebecca war
nicht wieder aufgewacht, doch ihr Atem ging langsam und
gleichmäßig. Wenigstens sie konnte sich etwas erholen.
Wenigstens eine von uns ...
„Sollte nicht mehr lange dauern", meinte David. „Zwanzig, vielleicht fünfundzwanzig Minuten. Sie werden ein, zwei
Männer postieren und dann abziehen."
„Ja, das hast du schon mal gesagt", erwiderte Ciaire. „Wie kommst du auf diese Zeitschätzung?" Ihre Lippen fühlten sich an wie schockgefrostet.
„Perimetersuche - vielleicht im Umkreis einer Viertelmeile
- und wenn ich davon ausgehe, dass sie im Höchstfall noch sechs einsatzfähige Männer haben, wobei ich eher auf vier tippe..."
„Warum?"
Davids Stimme zitterte vor Kälte. „Drei wurden zur Hinter-tür des Gebäudes geschickt, zwei haben wir drinnen ausgeschaltet - und den Geräuschen nach zu schließen würde ich sagen, dass vorne drei bis sieben waren. Also acht bis zwölf Männer insgesamt. Mehr hätten nicht in den Hubschrauber
gepasst, mit weniger hätten sie nicht beide F.ingänge sichern können."
Ciaire war beeindruckt. „Und warum zwanzig bis fünfund-
zwanzig Minuten?"
„Wie gesagt, sie werden einen bestimmten Umkreis der An-
lage durchkämmen, bevor sie uns aufgeben. Die Größe des
Areals, eine viertel oder halbe Meile dazu, plus die Zeit, die ein durchschnittlicher Mensch braucht, um ein Viertel dieser Strecke zurückzulegen. Wir haben dieses Licht vor ungefähr einer Stunde gesehen, und da höchstwahrscheinlich jeder eine Richtung übernommen und dieses Segment dann abgesucht
hat ... na ja, macht zwanzig bis fünfundzwanzig Minuten.
Das schließt die Zeit mit ein, die man brauchte, um auch den Van zu durchsuchen. Das ist jedenfalls meine Schätzung."
Ciaire spürte, wie ihre eisigen Lippen ein Lächeln probten.
„Du verarschst mich, oder? Das saugst du dir doch aus den Fingern."
David klang schockiert. „Tu ich nicht. Ich habe es mehrere Male durchgespielt, und ich glaube ..."
„Ich hab nur Spaß gemacht", sagte Clairc. „Echt."
Line Weile herrschte Stille, dann kicherte David; das leise Geräusch drang mühelos durch das kalte Dunkel. „Natürlich.
Entschuldige. Ich glaube, die Temperatur beeinträchtigt meinen Sinn für Humor."
Ciaire zog die rechte Hand unter Rebeccas Hüfte hervor
und schob stattdessen die linke darunter. „Nein, es tut mir Leid. Ich hätte dich nicht unterbrechen dürfen. Sprich weiter, das ist wirklich interessant."
„Da gibt es nicht mehr viel zu sagen", meinte David, und sie hörte das leise, aber heftige Klappern seiner Zähne. „Sie werden ihre Verletzten in ärztliche Obhut schaffen wollen, und Umbrella möchte sicher nicht, dass man einen ihrer Hubschrauber bei Tageslicht über den Salzebenen herumfliegen sieht. Sie werden also eine Wache zurücklassen und abziehen."
Sie hörte, wie er seine Lage veränderte, und spürte, wie sich dabei auch Rebeccas Körper bewegte. „Das wird jedenfalls der Moment sein, da auch wir losziehen. Erst zurück auf das Gelände, ein wenig Sabotage betreiben - und dann sehen wir schon, was passiert..."
Die Art und Weise, in der seine Stimme verklang, der ge-
zwungen lockere Humor in seinem Tonfall, der die Verzweiflung kaum zu übertünchen vermochte - beides verriet ihr genau, was er dachte.
Was wir beide denken.
„Und Rebecca?", fragte sie leise. Sie konnten sie nicht hier lassen, sie würde erfrieren, und mit einer bewusstlosen Frau im Schlepp zu versuchen, wieder auf das Gelände vorzudrin-gen und ein paar bewaffnete Männer zu überwältigen ...
„Ich weiß es nicht", antwortete David. „Vorhin hat sie ...
nun, sie sagte, dass sie sich womöglich innerhalb von ein paar Stunden erholen würde, wenn sie sich ausruhen könnte."
Clairc sparte sich eine Antwort darauf. Das Offensichtliche festzustellen brachte nichts ein.
Sie verfielen in Schweigen. Ciaire lauschte auf Rebeccas leisen Atem und dachte an Chris. Davids Zuneigung für Rebecca war einfach - es war wie die Liebe zwischen Vater und Tochter. Oder zwischen Bruder und Schwester. An Chris zu denken war jedenfalls eine Möglichkeit, sich die Zeit zu ver-treiben.
Was tust du in diesem Augenblick. Chris? Trent sagte, du seiest in Sicherheit, aber fiir wie lange? Gott, ich wünschte, du wärst nicht zu dem Einsatz in der Spencer- Villa abkom-mandiert worden. Oder für Raccoon überhaupt. Für Wahrheit und Gerechtigkeit zu kämpfen ist ziemlich krass, Bruder...
„Du schläfst doch nicht ein, oder?", fragte David. Er hatte sie das jedes Mal gefragt, wenn sie für mehr als eine Minute nicht miteinander geredet hatten.
„Nein, ich denke an Chris", sagte sie. Die Worte zu formu-lieren fiel ihr schwer, aber sie dachte, es sei zumindest besser, als ihre Lippen zusammenfricren zu lassen. „Und ich wette, du wünschst allmählich, wir wären doch nach Europa geflogen."
„Ich schon", meldete sich Rebecca mit schwacher Stimme.
„Ich hasse dieses Wetter..."
Rebecca!
Clairc grinste, wobei sie nicht wirklich in der Lage war, es auch zu spüren, aber das war ihr in diesem Moment egal. Sie umarmte das Mädchen, während David sich aufsetzte und
nach der Taschenlampe tastete - und obwohl sie fror, obwohl sie von ihren Freunden, von jeder Fluchtmöglichkeit abgeschnitten waren und einer ungewissen Zukunft entgegensa-
hen, hatte Ciaire doch das Gefühl, dass es nun definitiv berg-auf ging.
Der Anruf kam unmittelbar nachdem John sechs der Ar 12er in die Luft gesprengt hatte.
Bis dahin hatte Reston sich Popcorn gewünscht. Das Vertei-digungssystem der Skorps funktionierte genau wie die vor-hergesagten Werte es erwarten ließen. Die Schäden des Exo-skeletts wurden sogar schneller behoben, als sie es gehofft hatten. Womit sie aber nicht gerechnet hatten, war die Emp-findlichkeit des Bindegewebes zwischen den Arachnidscg-
menten!
Eine Granate. Eine gottverdammte Granate!
Der Wunsch nach Popcorn war gestorben wie die Ar 12er.
Es waren noch zwei übrig, die in der Südwestecke herumwu-selten, aber Reston setzte nicht mehr viel Vertrauen in sie -
und wenngleich es sich hierbei um wichtige Informationen handelte, war er doch nicht sicher, ob Jackson erfreut gewesen wäre, wenn er sie ihm übermittelt hätte.
Er würde wissen wollen, warum ich ihnen nicht erst ihre Sprengsätze abgenommen habe. Warum ich alle Spezies befreit habe. Warum ich Sidney nicht angerufen habe, um ihn wenigstens um Rat zu fragen. Und keine Antwort, die ich ihm geben könnte, würde ihm gefallen ...
Als das Handy klingelte, zuckte Reston auf seinem Stuhl
zusammen - er war ganz sicher, dass es Jackson war. Dieses absurde Gefühl verging, als er das Telefon ergriff, aber es hatte ihm einen Moment Zeit verschafft - und seine Vorfreude darauf geweckt, dass seine Testobjekte Phase drei nicht überleben würden.
„Reston."
„Mister Reston. hier ist Sergeant Hawkinson, White Ground Team eins-sicben-null ..."
„Ja, ja", seufzte Reston, während er zusah, wie Cole und die beiden S.T. A.R.S.-Mitglieder sich neu formierten. „Was
passiert da oben?"
„Wir ...", Hawkinson holte tief Luft, „... Sir, ich bedaure, Ihnen mitteilen zu müssen, dass es eine Auseinandersetzung mit den Eindringlingen gab und sie vom Gelände fliehen
konnten." Er sprach hastig, es war ihm hörbar unangenehm.
.. Was? " Reston stand auf und stieß beinahe seinen Stuhl um. „Wie konnte das passieren?"
„Sir, sie saßen im Lagerhaus in der Falle, aber es gab eine Explosion, zwei meiner Männer wurden erschossen und drei weitere schwer..."
„Das interessiert mich nicht!" Reston tobte, konnte nicht fassen, dass derart unfähige Leute für ihn arbeiteten. „Ich will hören, dass Sie nicht gerade elend versagt haben, dass Ihre Eliteteams nicht gerade drei Leute haben entkommen lassen und dass Sic mich nicht angerufen haben, um mir zu sagen, dass Sie sie nicht finden können!"
Einen Moment lang war es still am anderen Ende, und Rest-on hoffte, dass dieser Versager ihm widersprechen würde, um ihm noch mehr Grund zu geben, ihm das Leben zur Hölle zu machen.
Stattdessen klang Hawkinson angemessen zerknirscht. „Na-
türlich. Sir. Es tut mir Leid, Sir. Ich werde mit dem Hubschrauber nach SLC zurückfliegen und ein paar unserer neuen Rekruten herbringen, um unsere Suchparameter auszuweiten.
Ich lasse meine letzten drei Männer als Wachen hier, je einen auf der Ost- und Westseite des Geländes, den dritten beim Fluchtfahrzeug. Ich bin in in neunzig Minuten zurück, Sir, und wir werden Sie finden. Sir?"
Reston kräuselte die Lippen. „Sorgen Sie dafür, Sergeant.
Wenn nicht, kostet es Sie Ihren wertlosen Arsch."
Er unterbrach die Verbindung und warf das Telefon zurück auf die Konsole. Wenigstens hatte er das Gefühl, etwas getan zu haben, um die Sache voranzutreiben. Ein kräftiger Griff an die Eier wirkte Wunder. Hawkinson würde von nun an über
Glasscherben kriechen, um mit Ergebnissen aufwarten zu
können, und genau so sollte es sein.
Reston nahm wieder Platz und schaute den Testobjekten dabei zu, wie sie sich über die Sanddüne schleppten. Cole hatte jetzt eine Schusswaffe und führte die Gruppe auf die Verbindungstür zu. Reston fragte sich, ob John und Red eine Ahnung hatten, wie nutzlos Cole war. Wahrscheinlich nicht, wo sie ihm doch eine Waffe gegeben hatten ...
Als sie den Kamm der Düne erreichten und sich auf der anderen Seite an den Abstieg machten, rückten die beiden
Skorps endlich an. Entgegen seines zuvor gefassten Vorsatzes sah Reston doch wieder aufmerksam zu, hielt sich an einem winzigen Hoffnungsfetzen fest - der Hoffnung, dass es hier enden möge, dass die Männer gestoppt würden. Es war nicht so. dass er an den Caöern in Drei gezweifelt hätte, sie würden die Männer ganz bestimmt nicht davonkommen lassen ...
... aber was, wenn doch, hmm? Was, wenn sie überleben und es nach Vier schaffen und einen Weg hinaus finden? Was wirst du Jackson dann sagen, was wirst du auf deiner Tour erzählen, wenn keine Spezies mehr übrig sind, die man beobachten kann? Dann wird es dich deinen Arsch kosten, nicht wahr?
Reston ignorierte das flüsternde Stimmchen und konzen-
trierte sich stattdessen auf den Bildschirm. Die beiden Skorps bewegten sich schnell voran, ihre Klauen und Stacheln erhoben, ihre leichten, insektoiden Leiber zum Angriff bereit...
... und die drei Männer eröffneten das Feuer, eine lautlose Schlacht! Die 12er duckten sich und fintierten, dann fielen sie im Kugelhagel. Restons Hände waren zu Fäusten geballt,
doch er merkte es nicht einmal. Seine Aufmerksamkeit galt einzig den beiden niedergestreckten Skorps, er wollte sehen, ob sie wieder angriffsbereit waren, bevor die Männer die Tür erreichten ...
... doch John und Red bewegten sich überraschend auf die Tiere zw, statt von ihnen weg, zielten mit ihren Waffen ...
... und schössen ihnen die Augen aus. Sie taten es schnell und effizient. Und obwohl sich die beiden Skorps bereits wieder bewegten, als die Männer auf die Tür zuhielten, konnten die geblendeten Wesen nur noch wild um sich schlagen. Eines der beiden fand ein Ziel - mit einer gelenkigen Bewegung stieß es seinen außerordentlich giftigen Stachel in den Rücken des anderen. Der vergiftete 12er fuhr herum und rammte dem anderen eine seiner gezackten Klauen in den Bauch, pfählte ihn. Das Tier wand sich kraftlos, lebte noch, war jedoch nicht mehr in der Lage, sich wirklich zu bewegen oder etwas zu sehen - sterbend war es mit seinem toten Artgenossen verbunden.
Reston schüttelte langsam den Kopf, angewidert von der
Zeit- und Geldverschwendung, von den Millionen von Dol-
lars und Arbeitsstunden, die man in die Entwicklung der Bewohner der Phasen eins und zwei investiert hatte.
Und diese Information wird Jackson wollen. Aber wenn die Testobjekte erst einmal tot und ihre Freunde geschnappt sind, werde ich die Dinge ins rechte Licht setzen können. Da einige unserer Geldgeber kommen werden, könnte eine derart armselige Vorstellung unserer „preiswürdigen" Spezies teuer werden. Besse?; es schon jetzt herausgefunden zu haben ...
Ja, er würde die Sache schaukeln können. Red entriegelte gerade die Verbindungstür, hinter der Drei lag. Wenn sie keine Kiste voll Granaten bei sich hatten, würden sie in ein paar Minuten tot sein.
Reston atmete tief ein und rief sich in Erinnerung, wer die Kontrolle besaß, wer hier die Fäden zog. Hawkinson würde sich um die Situation an der Oberfläche kümmern, und Jackson würde zufriedengestellt sein. Die drei Musketiere standen unmittelbar davor, geblendet, niedergetrampelt und aufgefres-sen zu werden. Es gab keinen Grund zur Sorge.
Reston atmete vernehmlich aus, brachte ein etwas unbehagliches Grinsen zustande und zwang sich, endlich zu entspannen. Dabei wählte er die Bildschirme an, die ihm das Ca6-Habitat zeigen sollten.
„Sagt der Welt Lebwohl!", zischte er und schenkte sich noch einen Brandy ein.
F Ü N F Z E H N
Aus der fürchterlichen Backofenhitze der gleißenden Skor-pionwüste traten sie in den kalten Schatten eines Berggipfels.
Sie blieben an der Tür stehen, verschafften sich einen ersten Eindruck ihrer neuesten Feuerprobe, und Leon fragte sich, ob sie es in diesem durch und durch grauen Raum mit Jägern
oder Spuckern zu tun bekommen würden.
Grau war der verwinkelte Berg, der vor ihnen aufragte.
Grau waren auch die Wände und die Decke sowie der gewun-
dene Pfad, der sich westwärts schlängelte und den „Gipfel"
der Erhebung säumte. Selbst das struppige Gras zwischen den unförmigen Felsblöcken war grau. Der Berg sah ziemlich echt aus, grob bchauenc Granitbrocken mit Beton vermischt, passend gefärbt und zu gezackten Klippen und Spitzen geformt.
Der Gesamteindruck entsprach dem eines einsamen, kahlen, windgepeitschten Gebirgskamms.
Nur, dass es hier keinen Wind gibt - und keine Gerüche.
Genau wie in den anderen beiden Räumen, absolut keine Ge-rüche.
„Vielleicht ziehst du lieber dein Sweatshirt wieder über", meinte John, doch Leon war schon dabei, den Knoten um seine Hüften zu lösen. Die Temperatur war um mindestens fünfzehn Grad gefallen, und der Schweiß, der ihm in Phase zwei aus den Poren getreten war. gefror ihm fast auf der Haut.
„Wohin gehen wir?", fragte Cole. In seinen geweiteten Augen flackerte Nervosität.
John deutete schräg durch den Raum, in südwestliche Richtung. „Wie'war's mit der Tür?"
„Ich glaube, er meinte, auf welchem Weg", sagte Leon. Er sprach leise, wie die anderen auch. Es musste nicht sein, dass sie die Bewohner auf sich aufmerksam machten. Wahrscheinlich würden sie früh genug aufeinander treffen.
Die Drei wägten ihre Alternativen ab: Sollten sie den grauen Pfad nehmen oder den grauen Berg ersteigen?
Jäger oder Spucker ... Leon seufzte lautlos. Sein Magen verkrampfte sich, und er fürchtete schon jetzt, was ihnen auch als Nächstes begegnen würde. Wenn sie es schafften, hinaus-zukommen, und wenn sie Reston fanden, würde er dem guten Mr. Blue kräftig in den Arsch treten. Das widersprach zwar der I laltung, die ihn dazu veranlasst hatte, Polizist zu werden, aber da hatte er auch noch nicht Umbrella auf der Rechnung gehabt.
„Hinsichtlich der besseren Verteidigungsmöglichkeit würde ich sagen, wir nehmen den Pfad", meinte John, den Blick auf die raue Oberfläche des Hanges gerichtet. „Wenn wir da rauf-klettern, könnten wir uns in eine Falle manövrieren."
„Ich glaube, es gibt eine Brücke", sagte Cole. „Ich habe nur an einer der Kameras hier drinnen gearbeitet, an dieser dort..."
Er zeigte nach rechts oben, in die Ecke. Leon konnte sie nicht einmal sehen - die Wände waren über fünfzehn Meter hoch und ihre eintönige Farbe verschmolz mit der Decke. So entstand eine Art optischer Täuschung, die den Raum endlos weit erscheinen ließ.
„Ich stand auf einer Leiter, von der aus ich ein bisschen hi-nüberschauen konnte", fuhr Cole fort. „Auf der anderen Seite gibt es eine Schlucht, über die eine Hängebrücke führt."
Während Cole sprach, öffnete Leon seine Tasche und sah
nach, wie viel Munition er noch hatte. „Wie sieht's mit der M-16 aus?"
„Noch etwa fünfzehn drin", antwortete John, auf das gebogene Magazin klopfend. „Außerdem hab ich noch zwei volle Magazine mit je dreißig Schuss ... zwei Clips für die H&K
und noch eine Granate. Und du?"
„Sieben Schuss in der Waffe, drei Clips, eine Granale. Henry, hast du mitgezählt?"
Der Umbrella-Arbeiter nickte. „Ich denke schon - fünf
Schüsse, ich hab fünfmal abgedrückt."
Er sah aus, als wollte er noch etwas hinzufügen, sein Blick pendelte zwischen Leon und John hin und her, und schließlich senkte er ihn hinab auf seine schmutzigen Arbeitsstiefel, .lohn sah Leon an, der mit den Achseln zuckte. Sie wussten eigentlich nichts über Henry Cole, außer dass er so wenig hierher gehörte wie sie selbst.
„Hört mal ... ich weiß, dass das weder die rechte Zeit noch der rechte Ort ist. aber ich möchte euch nur sagen, dass es mir Leid tut. Ich meine, mir war klar, dass hier irgendwas faul ist.
Mit Umbrella. Und ich wusste, dass Reston ein totales Arschloch ist, aber wenn ich nicht so gierig oder dumm gewesen wäre, hätte ich euch nie in diese Lage gebracht."
„Henry", sagte Leon, „du hast es nicht gewusst, okay? Und glaub mir, du bist nicht der Erste, der reingelegt wurde ..."
„Ganz richtig", unterbrach John. „Ernsthaft. Die Schlipsträ-
ger sind hier das Problem, nicht Leute wie du."
Cole sah nicht auf. aber er nickte. Seine mageren Schultern sackten wie vor Erleichterung nach unten. John reichte ihm noch ein Magazin und nickte in Richtung des Pfades, während Cole den Clip in seine Gesäßtasche schob.
„Auf geht's", sagte John, womit er zwar beide meinte, doch er sprach an Cole gewandt. Leon bemerkte in seiner tiefen Stimme einen aufmunternden Ton. der vermuten ließ, dass er anfing, den Umbrella-Arbeiter zu mögen. „Wenn alle Stricke reißen, können wir uns nach Zwei zurückziehen. Bleibt dicht zusammen, verhaltet euch still und versucht, auf die Köpfe oder Augen zu schießen - vorausgesetzt, sie haben Augen."
Cole lächelte schwach.
„Ich bilde die Nachhut", sagte Leon, und John nickte, che er von der Luke weg trat und sich nach links wandte. Die kühle Lutl war so still wie vorhin, als sie hereingekommen waren; es gab keine Geräusche außer denen, die sie selbst verursachten. Leon bildete das Schlusslicht. Cole trottete langsam vor ihm her.
Der Pfad war gefurcht, als hätte jemand einen Rechen durch den Beton gezogen, bevor er getrocknet war. Rechts lag der
..Gipfel". Der Weg erstreckte sich über fast fünfundzwanzig Meter und bog dann scharf nach Süden ab, wo er hinter einem zerklüfteten Hügel verschwand.
Sie waren etwa fünfzehn Meter weit gegangen, als Leon
hinter ihnen das Kullern von Geröll hörte, das den Abhang herunterkam.
Überrascht drehte er sich um und sah das Tier nahe der Gip-felspitze, zehn Meter über ihnen. Er sah es und war nicht sicher, was er sah. nur dass es sich bewegte, auf seinen vier kräftigen Beinen die Hügelflanke hcrabhüpfte wie eine Bergziege.
Wie eine gehäutete Ziege. Wie... wie...
... wie nichts, was er je gesehen hatte! Und dieses Etwas hatte den Boden fast schon erreicht, als sie ein feuchtes, rasselndes Geräusch auffingen, das irgendwo vor ihnen erklang; ein Geräusch, das an einen verschleimten Rachen erinnerte, den sich jemand frciräuspertc - oder an einen Hund, der mit dem Maul voll Blut knurrte.
Sie saßen in der Falle. Der Fluchtweg war ihnen abgeschnitten, und die Schreckenslaute kamen von beiden Seiten auf sie zu.
Auf das Gelände zurückzugelangen war bemerkenswert ein-
fach. Rebecca brauchte Hilfe, um über den Zaun zu steigen, aber mit jeder verstreichenden Minute schien es ihr besser zu gehen. Gleichgewichts- und Koordinationssinn schienen wieder ins Lot zu kommen. Davids Erleichterung war größer, als er zugegeben hätte, und im gleichen Maße freute er sich über Umbrellas Wache. Drei Männer, zwei am Zaun und ein weiterer beim Van - das war lächerlich.
Sie hatten sich auf den Rückweg gemacht, kaum dass der
Hubschrauber gestartet war, und sich dabei Richtung Süden gehalten. Leise bewegten sie sich seither durch die Dunkelheit und dehnten ihre eingefrorenen Muskeln. Als sie bis auf ein paar hundert Meter heran gewesen waren, hatte David die anderen kurz verlassen, um die Lage zu sondieren. Dann war er zurückgekommen und hatte die beiden zitternden Frauen über den Zaun und auf das Areal geführt. David wusste, dass sie, bevor sie daran denken konnten, die Wachen auszuschalten, der Kälte entkommen und an einen sicheren Ort gelangen
mussten. Dort würden sie ihr Vorgehen besprechen und Re-
beccas Verfassung neu einschätzen. Er wählte dafür das au-genfälligste der Gebäude aus, das mittlere. Es war mit zwei Satelliten schusseln und einer Reihe von Antennen ausgestattet und an einer Seite verlief eine isolierte Leitung nach unten.
Wenn er Recht hatte und es sich um die Funkzentrale handelte, war das genau der Platz, den sie sich wünschten.
Und wenn ich mich irre, gibt es noch zwei andere Bauten, die wir uns ansehen können. Der eine wird ein Generatorraum sein, der irgendeine Art von Wärmeregulierung haben muss. Ich kann sie dort zurücklassen und die Sabotage allein vornehmen...
Sie überkletterten den Zaun von Süden her. David war er-
staunt, wie dürftig Umbrella auf ihre Rückkehr vorbereitet war. Die beiden Männer, die das Gelände bewachten, waren an der Vorder- und der Rückseite des Gebäudes postiert, als bestünde keinerlei Gefahr, dass jemand aus einer anderen Richtung anrücken könnte. Als sie den Zaun überwunden hatten, führte David sein Team zur Rückwand des letzten Gebäudes in der Reihe, dann bedeutete er ihnen, die Köpfe zusam-menzustecken.
„Mittleres Gebäude", flüsterte er. „Sollte unverschlossen sein, wenn es das ist, wofür ich es halte. Aber die Lampen werden eingeschaltet sein. Ich werde hineingehen und euch dann ein Zeichen geben, mir zu folgen. Wenn ihr Schüsse
hört, kommt so schnell rein, wie ihr könnt. Haltet euch dicht an den Gebäuden und geduckt, wenn wir die freie Fläche
überqueren. Alles klar?"
Ciaire und Rebecca nickten. Rebecca stützte sich auf Ciai-re. Von einem Humpeln abgesehen, schien es ihr gut zu gehen. Sie hatte gesagt, dass ihr noch schwindlig sei und dass ihr der Kopf schmerze, aber die wirren und sprunghaften Gedanken, die David zuvor so beunruhigt hatten, schienen aufgehört zu haben.
David drehte sich um und schob sich an der Wand des Bau-
es entlang, der dem Zaun am nächsten lag. Er hielt sich in den Schatten und warf regelmäßige Blicke nach hinten, um sich zu vergewissern, dass die beiden Frauen den Anschluss nicht verloren. Sie erreichten das Ende, das nach Westen wies, und schlüpften um die Ecke; David zuerst, um nachzusehen, wo die Westwache stand. Es war fast zu dunkel, um etwas zu erkennen, aber vor den Mctallmaschen des Gitters waren die Schatten an einer Stelle dichter - dort musste sich der Wach-posten aufhalten. David hob die M-16 und richtete sie auf ihn, bereit zu schießen, falls sie entdeckt würden.
Zu dumm, dass wir ihn nicht gleich erschießen können ...
Aber ein Schuss würde die anderen alarmieren, und wäh-
rend die Wächter am Zaun David keine Sorgen bereiteten,
konnte der am Van postierte zu einem Problem werden -
er war weit genug entfernt und in der Lage, eine Funkwarnung abzusetzen, ehe er herkam, um nach dem Rechten zu sehen.
Bei den beiden hier wird es leicht sein, aber wie sollen wir uns an ihn heranpirschen?
Es gab keine Deckung, und wenn der Kerl am Van sie kom-
men sah ...
Das konnte warten - sie hatten noch genug zu erledigen, bevor sie sich Sorgen wegen der Wachen machen mussten. Da-
vid hielt sich geduckt und schickte Ciaire und Rebecca mit einer Geste hinüber, die M-16 auf die schemenhafte Gestalt am Zaun gerichtet. Er hielt die Luft an, als sie über die offene Flä-
che huschten, aber sie schafften es, fast ohne ein Geräusch zu verursachen.
Sobald sie drüben waren, folgte ihnen David. Sein jahrelanges Training ermöglichte es ihm, sich so lautlos wie ein Phan-tom zu bewegen. Als sie vom Schatten des Gebäudes ge-
schluckt wurden, entspannte sich David ein klein wenig; das Schlimmste war vorbei. Zum mittleren Gebäude konnten sie durch die dichte Finsternis des Korridors zwischen den Bauten gelangen.
Binnen weniger als einer Minute erreichten sie den Kreu-
zungspunkt. David bedeutete den Frauen, zurückzubleiben, ging selbst weiter und blieb vor der geschlossenen Tür ihres Ziels stehen. Er berührte das eisige Metall des Griffs, drehte ihn und nickte sich selbst zu, als er das leise Klick des unversperrten Schlosses hörte.
Dann ist es die Funkzentrale. Der Teamßihrer hat die Türför die postierten Männer offen gelassen, damit sie auf eine Satel-litenverbindung zugreifen können, falls wir zurückkommen.
Nur eine Vermutung, aber wohl zutreffend.
Es war Zeit, für ein bisschen Glück zu beten. Wenn drinnen das Licht brannte, würde das Öffnen der Tür wie ein Leucht-feuer auf jeden wirken, der auch nur zufallig in ihre Richtung blickte. Die Wachen hatten durch den Zaun nach draußen gesehen, als David die Lage checkte, aber das musstc nicht viel zu sagen haben.
Er holte tief Luft und drückte die Tür auf, bemerkte, dass das Licht drinnen schwach war - dann war er auch schon hi-ncingeschlüpft und hatte die Tür hinter sich geschlossen. Er lehnte sich dagegen und zählte bis zehn, dann entspannte er sich, atmete dankbar die warme Luft, während er den Blick durch das Innere schweifen ließ.
Man hatte das lagerhausähnliche Gebäude offenbar in ein-
zelne Zellen unterteilt, und der Raum, den er betreten hatte, war vollgepackt mit Computer-Equipment. Dicke Kabel liefen über Boden und Wände; Verbindungen zu den Schüsseln
oben auf dem Dach.
Das ist alles, was diese Einrichtung mit der Außenwelt ver-bindet ...
David drückte den Wandschalter. Das Deckenlicht erlosch.
Dann öffnete er grinsend die Tür, damit Rebecca und Ciaire zu ihm hereinkommen konnten.
..Zurück, an die Wand!", rief Leon, und Cole gehorchte, noch ehe er wusste, warum. Die träge rasselnden Geräusche schienen von irgendwo über ihnen zu kommen.
Und dann sah er die Kreatur langsam von hinten auf sie zukommen, wodurch ihnen der Rückweg abgeschnitten wurde.
Mit Mühe unierdrückte er einen Schrei. Das Tier blieb fünf oder sechs Meter entfernt stehen, und Cole schien es immer noch nicht richtig wahrzunehmen - es war einfach zu bizarr.
Großer Gott, was ist das?
Es war vierbeinig, paarhufig, wie ein Widder oder eine Ziege, und es hatte in etwa dieselbe Größe, aber es besaß kein Fell, keine Horner, nichts, was auch nur vage einer natürlich gezeugten Kreatur geähnelt hätte. Der schlanke Leib war mit winzigen, rötlich braunen Schuppen überzogen - wie Schlan-genhaut, aber stumpf statt glänzend. Auf den ersten Blick sah es aus, als sei das Ding mit getrocknetem Blut überzogen. Der Kopf war irgendwie amphibisch, glich dem eines Frosches.
Ein ohrenloses, flaches Gesicht, kleine dunkle Augen, die an den Seiten hervorquollen, ein zu breit geratenes Maul. Aus dem vorstehenden Unterkiefer, dem Kiefer einer Bulldogge, ragten spitze Zähne hervor, und der Schädel war ebenfalls mit schuppenförmigen Krusten aus getrocknetem Blut bedeckt.
Das Ding öffnete sein Maul, entblößte oben und unten
scharfe Zähne, alle im hinteren Teil des Mauls - und jenes schreckliche ölige Rasseln drang aus der Finsternis seines Rachens. Andere fielen in diesen bizarren Laut ein, irgendwo auf der anderen Seite des künstlichen Berggipfels, als erwiderten sie einen Ruf.
Und dieser Ruf schwoll an, wurde lauter und tiefer, als das Ding den Kopf hob und seine abscheuliche Fratze der Decke zuwandte ...
... und in einer plötzlichen, ruckartigen Bewegung ließ es den Kopf wieder sinken und spuckte in ihre Richtung. Ein dicker, teerähnlicher Klumpen aus rötlichem, zähflüssigem
Zeug flog über die weite offene Fläche auf sie zu, auf Leon ...
... und Leon riss den Arm nach oben, um es abzublocken,
während John zu schießen begann, von der Wand wegtrat und das Ungeheuer - den Spucker - mit Kugeln eindeckte.
Der Schleim traf Leons Arm. Der Batzen wäre genau in sein Gesicht geklatscht, wenn er es nicht rechtzeitig abgeschirmt hätte. Als Reaktion auf den Kugelhagel, drehte sich der Spucker um und sprang den Berg hinauf - in langen, mühelosen Sätzen, die das Tier binnen Sekunden zum Gipfel brachten. Es zeigte weder Panik noch Schmerz oder sonst eine Regung, lief etwa sechs Meter zurück, sprang dann flink wieder zu Boden und blieb vor der Verbindungsluke stehen. Als wüsste es, dass es damit ihren Fluchtweg verstellte.
Und es hat nicht mal gezuckt, heilige Scheiße!
Das vielfältige Geschrei, das außerhalb ihres Blickfelds er-tönte, wurde zwar nicht lauter, es entfernte sich aber auch nicht. Die gurgelnden Stimmen verstummten, eine nach der anderen. Vielleicht beruhigten sich die Wesen, weil sie kein Ziel vor Augen hatten. Plötzlich war es wieder still, so ruhig wie in dem Moment, als sie hereingekommen waren.
„Was war denn das, verflucht und zugenäht?", fragte John und zerrte ein neues Magazin aus seiner Tasche. Seine Miene drückte vollkommene Fassungslosigkeit aus.
„War nicht mal verletzt", flüsterte Cole. Er hielt die Neunmillimeter so fest, dass seine Finger taub zu werden begannen. Er bemerkte es kaum, sah nur zu, wie Leon den dicken, nassen, kastanienbraunen Schleimbatzen an seinem Ärmel
berührte ...
... und vor Schmerz stöhnte, seine Hand so schnell zurück-zog, als hätte er sie sich gerade verbrannt.
„Das Zeug ist toxisch", sagte er. Hastig wischte er sich seine Finger am Sweatshirt ab und hielt sie hoch. Die Spitzen seines linken Zeige- und seines Mittelfingers hatten sich rot verfärbt, wie entzündet. Umgehend steckte er seine Pistole in den Gürtel und zog das schwarze Shirt aus. Dabei vermied er jede Berührung mit dem ätzenden Glibber. und ließ das Klei-dungsstück auf den Boden fallen.
Cole war übel. Wenn Leon den Arm nicht instinktiv hochgerissen hätte ...
„Okay-okay-okay!", schnaufte John mit gefurchter Stirn.
„Das ist übel, wir müssen so schnell wie möglich hier raus ...
Du sagtest, es gibt eine Brücke?"
„Ja, sie führt über den, äh, Graben", sagte Cole rasch. „Er ist so um die sechs, sieben Meter breit wie tief, hab ich nicht gesehen."
„Kommt", sagte John. Er ging mit schnellen Schritten in die Richtung, wo der Pfad eine Biegung machte und sich ihren Blicken entzog. Cole folgte, Leon war unmittelbar hinter ihm.
John blieb etwa drei Meter vor der Biegung stehen, drückte sich wieder gegen die Wand und sah Leon an.
„Willst du Deckung geben oder soll ich?", fragte Leon leise.
„Ich", sagte John. „Ich gehe zuerst und lenke ihre Aufmerksamkeit auf mich. Du, Henry, hältst dich direkt hinter Leon -
und Kopf runter, kapiert? Lauft hinüber zur Tür - und. wenn ihr könnt, helft mir ..."
Johns Miene war düster. „... wenn ihr nicht könnt, dann
eben nicht."
Cole fühlte einen mittlerweile nur zu vertrauten Anflug von Scham. Sie beschützen mich, sie kennen mich nicht einmal und ich habe sie in diese Lage gebracht ... Wenn er etwas tun konnte, um sich für ihr Vertrauen und ihre Unterstützung zu revanchieren, würde er es tun, aber er war mit einem Mal ganz sicher, dass es ihm nie gelingen würde, die Sache wirklich wieder gutzumachen. Er verdankte diesen Männern sein Leben, inzwischen sogar mehr als nur einmal.
„Bereit?", fragte John.
„Warte ..." Leon machte kehrte und lief dorthin zurück, wo er das Sweatshirt hingeworfen hatte. Der Spucker an der Luke stand reglos wie eine Statue, beobachtete sie. Leon nahm das Shirt auf. eilte zurück und zog ein Taschenmesser aus seinem Hüftpack. Er schnitt den besudelten Ärmel ab, ließ ihn fallen, dann reichte er den Rest an John.
„Wenn du still stehst, halte dein Gesicht bedeckt", sagte Leon. „Da Kugeln ihnen olTcnbar nichts anhaben können,
brauchst du nichts zu sehen, wenn du schießt. Wenn wir
drüben sind, schreie ich. Und wenn es nicht sicher ist, werde ich ..."
Die rasselnden, gebieterischen Rufe hoben wieder an und
ließen Cole aus irgendeinem Grund an Grillen denken - an das beinahe mechanisch klingende Rii-rii-rii von Zikaden in einer heißen Sommernacht. Er schluckte hart und versuchte sich einzureden, dass er bereit war.
„Die Zeit ist um", sagte John. „Macht euch bereit ..."
Er hielt das Sweatshirt hoch, dann grinste er Leon zu dessen Erstaunen an. „Mein Bester, du solltest dir ein wirksameres Deodorant leisten - du stinkst ja wie toter Hund!"
Ohne eine Antwort abzuwarten, streifte John das Shirt über den Kopf und hielt es unten hoch, sodass er den Boden sehen konnte. Er rannte, das Gesicht nach unten gewandt, hinaus in den offenen Raum, während die Anspannung von Cole und
Leon Besitz ergriff.
Und dann erklang auch schon ein hektisches Patpatpatpat!
und plötzlich troffen lange Fäden des giftigen roten Rotzes von dem schwarzen Stoff vor Johns Gesicht. Er gab ihnen ein Handzeichen, und Leon rief: „Jetzt!"
Cole rannte, den Kopf nach unten geneigt, sodass er im
Rennen nur die Stiefel von Leon sah. der vor ihm lief, ver-schwommenen grauen Felsboden und seine eigenen dürren
Beine.
Zu seiner Linken vernahm er einen gurgelnden Schrei und
duckte sich entsetzt noch tiefer.Und dann war er auf der Brü-
cke. Flache Holzleisten bewegten sich unter seinen Füßen, mit dünnen Seilen aneinander gebunden. Er sah die V-fÖrmigc
Schlucht darunter, sah. dass sie tief war, dass sie sich fünfzehn, zwanzig Meter unter dem Planeten in den Erdboden ge-graben hatte ...
... und schon stand er wieder auf grauem Boden, noch be-
vor ihm etwas wie Höhenangst überhaupt in den Sinn kom-
men konnte. Er rannte, dachte, wie wunderbar es doch war, dass alles, woran er zu denken brauchte, Leons Stiefel waren, und sein Herz hämmerte gegen sein Brustbein.
Sekunden oder Minuten später, er wusste es nicht, wie viel Zeit verstrich, wurden die vorauseilenden Stiefel langsamer, und Cole wagte es aufzusehen. Die Wand - da war die Wand, und dort war die Luke! Sie hatten es geschafft!
„John, los!", schrie Leon, rannte ein paar Schritte zurück, die Pistole erhoben und schussbercil. „Los!"
Cole drehte sich um, sah, wie John sich die schwarze Kapu-ze vom Kopf riss, sah, wie sich die Horde Spucker lose vor ihm formierte, und hörte sechs, sieben von ihnen wieder ihre Schreie ausstoßen.
John stürmte durch ihre Reihen und mindestens zwei der
Biester spuckten, aber er war schnell, schnell genug, dass ihn nur ein klein wenig von dem aggressiven Schleim an der
Schulter erwischte - jedenfalls so weit Cole es sehen konnte.
Die monströsen Kreaturen setzten ihm hüpfend hinterher,
nicht ganz so schnell wie er, aber beinahe.
Lauf, lauf lauf.
Cole richtete die Neunmillimcter auf die Spucker, bereit abzudrücken, sobald er der Auffassung war. einen sicheren
Schuss ansetzen zu können.
John erreichte die Brücke ...
... und verschwand.
Denn die Brücke stürzte ein und riss John mit in die Tiefe!