Z E H N

Sie traten hinaus in die Finsternis des Areals. Das Knattern des Hubschrauberrotors kam näher. Rebecca machte die Lichter der Maschine eine knappe halbe Meile nordwestlich von ihnen aus. sah. dass sie in der Luft schwebte und ein Scheinwerfer hinab auf die wüstenartige Ebene leuchtete.

Der Van. Sie haben den Van entdeckt.

Ciaire sah es ebenfalls, David hingegen schaute zu den

lagerhausähnlichen Gebäuden hinter ihnen, während er sein Gewehr von der Schulter nahm und sich mit aufmerksamem

Blick den Grundriss einprägte. Im fahlen Mondlicht konnte Rebecca selbst ihn kaum erkennen.

„Sie werden außerhalb des Zaunes landen müssen", sagte David. „Folgt mir und bleibt dicht bei mir." Er trabte in die Dunkelheit davon. Hinter ihnen nahm das Geräusch des Helikopters stetig zu.

Gott, ich hoffe, er sieht besser als ich, dachte Rebecca. Sie hielt ihre Neunmillimeter fest umklammert. Das Metall Fühlte sich kalt an unter ihren tauben Fingern. Zusammen mit Clairc lief sie David nach, der auf eines der dunklen Gebäude zuhielt, das zweite von links in der Fünferreihe. Warum er es ausgesucht hatte, wusste sie nicht, aber David würde einen Grund haben - den hatte er immer.

Sie rannten in die schwarze Schneise zwischen dem ersten und dem zweiten Gebäude, über hart gebackenen, trockenen Boden, der sich vor ihnen über eine unbestimmbare Strecke hinzog. Die eisige Luft brannte in Rebeccas Lungen und quoll in Dampfwolken hervor, die sie nicht sehen konnte. Das Wa-ckawacka! des Hubschraubers übertönte ihre Schritte und erstickte das meiste von dem, was David sagte, als er stehen blieb. Zu beiden Seiten befand sich je eine Tür.

„... verstecken, bis wir ... können nicht... zurück ..."

Rebecca schüttelte den Kopf, und David gab es auf. Er

wandte sich nach links und richtete seine Waffe auf die Tür des ersten Gebäudes. Rebecca und Ciaire traten hinter ihn, und Rebecca fragte sich, was er vorhatte. Wenn die Leute im Hubschrauber landeten, um sie zu suchen - was sie bestimmt tun würden -, war die kugeldurchsiebte Tür mehr als verräterisch. Sie schien aus einem hochverdichteten Kunststoff gefertigt zu sein, war ansonsten aber nicht weiter auffallig - sie hatte einen Griff und ein Schlüsselloch anstatt eines Kartenle-sers. Das Gebäude selbst bestand aus einer Art Gips, war schmutzig und staubig und von keiner bestimmten Farbe; zumindest konnte Rebecca keine erkennen. Der Bau hinter ihnen sah genauso aus. Und beide hatten keine Fenster.

Der Suchscheinwerfer des Helikopters strich über den Zaun an der Vorderseite des Areals. Die Helligkeit durchbrach das kalte Dunkel wie eine strahlende Flamme. Staubwirbel stiegen im Licht auf, ließen es schmutzig wirken, und Rebecca nahm an, dass ihnen noch etwa eine Minute blieb, bevor es sie fand. Das Gelände war nicht sonderlich groß.

Bamm-bamm-bamm-bamm-bamm!

Der Großteil des Geräusches wurde vom Dröhnen des Hub-

schraubers verschluckt. Selbst in der Dunkelheit konnte Rebecca die Reihe von Löchern erkennen, die sich in der Nähe des Griffes konzentrierten. David machte einen Schritt nach vorne und versetzte der Tür einen kräftigen Tritt, dann einen zweiten und sie flog nach innen; ein schwarz in der Wand klaffendes Loch.

Der Strahl des Suchscheinwerfers bewegte sich über das

Gelände. Der Bauch des Hubschraubers hing fast unmittelbar über ihnen, während das Licht die andere Seite des ersten Ge-bäudes beleuchtete. Der Motor donnerte, wirbelte Staubwolken auf. und Rebecca hatte das Gefühl, dass sich der Tod nä-

herte - nicht einfach nur Tod, sondern der Tod, ein legendäres Ungeheuer von gnadenloser Macht und unbarmherzig in seiner Absicht ...

David drehte sich um. packte sowohl sie als auch Clairc

und schob sie mit festem Griff auf die Tür zu. Sobald sie drinnen waren, bedeutete er ihnen, stehen zu bleiben und zu warten. David zog seine Pistole und sprintete über die offene Fläche, blieb dicht bei dem zweiten Gebäude stehen, drehte sich und ...

... und BAMM/

Das Neunmillimetergcschoss war lauter als das .223er des Gewehrs, aber dennoch kaum hörbar, während der Helikopter anfing, ihre Schneise auszuleuchten. Die Tür knallte nach innen und David sprang durch die Öffnung, gerade als das blendende Licht den Boden zwischen ihnen erreichte. Line halbe Sekunde später und das Licht hätte ihn erlasst. Die leeren Pa-tronenhülsen aus seinen Waffen waren gottlob nicht zu sehen in den wirbelnden Partikeln, die auf- und über sie hinwegge-peitscht wurden und das Atmen erschwerten. Rebecca drehte sich um. sah, dass Clairc ihr schwarzes Swcatshirt vor ihr Gesicht gezogen hatte, und folgte ihrem Beispiel. Das Flecce filterte die kalte, staubige Luft, und trotz des ohrenbetäubenden Lärms konnte Rebecca ihr Herz in den Ohren schlagen

hören, rasend schnell und angstvoll.

Eine Sekunde später war das Licht vorbei. Eine weitere

Sekunde danach schien sich der Staub zu senken; ganz genau war es schwer zu erkennen im Finstern. Die plötzliche Abwe-senheit von Licht bedeutete, dass ihre Augen sich erst umstel-len mussten ...

„Seid ihr in Ordnung.'"

Rebecca schrak zusammen, als David ihr praktisch direkt

ins Gesicht brüllte, nur als Schatten vor ihr erkennbar. Ciaire entfuhr ein leiser Aufschrei.

„Sorry!". rief David. „Kommt mit! Ins andere Gebäude!"

Kaum im Stande, etwas zu sehen, taumelte Rebecca hinaus.

Ciaire war direkt neben ihr. David kam ihnen nach, legte ihnen seine Hände gegen den Rücken und dirigierte sie auf das zweite Gebäude zu. Der Helikopter entfernte sich immer noch von ihnen, von Nord nach Süd, aber bald würde es nichts mehr geben, was die Besatzung in Augenschein nehmen konnte -

und dann würden sie landen und mit der Suche am Boden beginnen. Dass der Hubschrauber zu Umbrella gehörte, lag auf der Hand. Die einzige Frage war. wie viele Gegner damit gekommen waren und ob man sie erst gefangen nehmen oder

einfach töten wollte.

Als sie durch die Tür des zweiten Gebäudes stürzten, dämmerte Rebecca, was David getan hatte. Die Umbrella-Schcrgen würden die erste, von Kugeln durchlöcherte Tür sehen und annehmen, dass ihre Opfer sich dort versteckten.

Und hei der hier hat er nur durch das Schlüsselloch geschossen. Sie werden es zwar herausfinden, aber es verschafft uns etwas mehr Zeit...

Hoffte sie. Die Dunkelheit war fast so kalt wie draußen und roch nach Staub. Ein schwaches Licht flackerte auf. David schirmte seine Taschenlampe mit einer Hand ab und ließ gerade genug Licht durch, damit sie sehen konnten, dass sie von Kisten umgeben waren. Große, kleine, aus Karton und Holz, in Regalen gestapelt und auf dem Boden stehend, teilweise gestapelt bis hinauf unter die schräge Decke. In dem kurzen Moment, da David das Licht durch den weiten Raum wandern ließ, erkannten sie, dass es Tausende sein mussten.

„Ich sehe zu, was ich wegen der Tür und des Lichts machen kann", sagte David. „Sucht uns ein Versteck. Mehr können wir nicht tun, bis wir wissen, wie viele es sind und was sie vorhaben. Sie könnten Nachtsichtgeräte haben, also bringt uns ein Versteck am Boden nichts ein - irgendwo weit oben und in einer Ecke. Regale wären am besten. Verstanden?"

Sie nickten beide, und das Licht ging aus und ließ sie in völliger Dunkelheit versinken. Zuvor hatte sie wenigstens Konturen und Schatten ausmachen können, jetzt konnte Rebecca nicht einmal mehr ihre Hand vor Augen sehen.

„Welche Ecke?", flüsterte Ciaire, als verbiete die kühle Schwärze, in der sie dastanden, jedes laute Wort.

Rebecca streckte den Arm aus, fand Claires Hand und führ-te sie zu ihrem Rücken, wo sie sie festhielt. „Links. Wir gehen nach links, bis wir gegen irgendetwas stoßen."

Hinter sich, wo David seine Vorbereitungen traf, hörte sie leise Bewegung. Rebecca atmete tief ein, streckte die Hände aus und begann, sich voranzutasten.

Alle Türen, die von dem langen Korridor wegführten, waren verschlossen, mit Ausnahme einer Gerätekammer hinter dem Aufzug. Darin hatten sie absolut nichts von Interesse gefunden, es sei denn, Regale voller Klopapier und Styropor-kaffeebecher wären interessant gewesen. Sie probierten den Fahrstuhl noch einmal, ohne Glück, und es schien sich kein Sicherungskasten oder Override-Schalter in der Nähe zu befinden. Das war nicht überraschend, aber Leon verspürte

dennoch einen schmerzhaften Stich. Die anderen Drei machten sich wahrscheinlich inzwischen echte Sorgen ...

... und du etwa nicht? Was, wenn dort oben irgendwas schiefgelaufen ist? Vielleicht liegt der .. Test'-Bereich dieser Anlage oberirdisch. Und vielleicht hat Reston dort oben ein paar von Umbrellas Monsterkriegern befreit, und genau in diesem Moment ist Ciaire vielleicht...

„Was meinst du? Wenn wir auf noch eine verschlossene Tür stoßen, benutzen wir unsere Granaten, okay? Ich hab zwei Stück", sagte John. Er sah verärgert aus. Gerade hatten sie die neunte Tür entlang des stillen Korridors probiert und waren fast an der nördlichsten Biegung angelangt. So weit sie wussten, hatten sie Reston bereits passiert, oder den Durchgang, der sie zu ihm geführt hätte.

„Lass uns wenigstens nachsehen, was hinter der Ecke liegt, bevor wir anfangen, Sachen in die Luft zu jagen", meinte Leon, obwohl auch er die Geduld verlor. Es war nicht so, dass es ihm etwas ausmachte. Umbrella-Eigentum zu beschädigen, aber das war einfach nicht vorrangig - Vorrang hatte die Wie-dervereinigung des Teams. Sie hatten bereits beschlossen, dass sie, wenn sie Reston nicht bald fänden, zurück zur Cafeteria gehen und versuchen würden, einen der Arbeiter dazu zu bringen, den Aufzug zu reparieren und auf Reston zu pfeifen.

Die Mission würde ein Fehlschlag sein, aber wenigstens wä-

ren sie alle am Leben und könnten den Kampf ein andermal fortsetzen.

Vorausgesetzt, wir sind noch alle am Leben ...

Sie erreichten die Ecke und blieben stehen. John hob die M-16 und senkte die Stimme. „Ich geb dir Deckung?"

Leon nickte und rückte näher an die Wand. „Auf drei. Eins

... zwei ...drei..."

Er machte einen Ausfallschritt von der Wand weg, ließ sich in die Hocke sinken und richtete seine Halbautomatik in die westliche Abzweigung des Korridors, während John die Gewehrmündung um die Ecke stieß. Der Gang hier war viel kürzer, nicht länger als zwanzig Meter, und endete in einem offenen, türlosen Raum. Auf der linken Seite gab es eine Tür ...

... und jemand bewegte sich an der Öffnung am Gangende

vorbei. Die huschende Gestalt eines Mannes.

Reston.

Leon sah ihn, einen dünnen Kerl, nicht allzu groß. Er trug Jeans und ein blaues Arbeitshemd. Mr. Blue, genau, wie sie gesagt hatten ...

„Stehen bleiben!", rief John, und Reston drehte sich um, erschrocken - und unbewaffnet. Er sah die M-16 und sprang

von der breiten Türöffnung weg, hielt vielleicht auf einen Ausgang zu ...

... und Leon rannte los, mit rudernden Armen um Tempo zu gewinnen, doch John überholte ihn spielerisch leicht in vollem Sprint. Wie der Blitz waren sie im Innern des Raumes, und da war Reston, der verzweifelt gegen eine Tür auf der rechten Seite drückte. Er warf einen entsetzten Blick über die Schulter, als sie in den Raum stürmten, seine Augen waren vor Panik geweitet.

„Sic geht nicht auf!", schrie er. Seine Stimme war am Rand der Hysterie. „ Öffnen Sie die Tür!"

Mit wem redet er?

„Geben Sie auf, Reston", knurrte John ...

... und hinter ihnen krachte eine Metallplatte vor die Öffnung, sperrte sie mit einem heftigen, schweren Klang ein.

Leon schaute nach unten, sah, dass der Boden aus Stahl bestand - und verspürte den ersten Stich von Unruhe.

Reston kreiselte herum. Er hatte die Hände erhoben, seine schmalen Züge waren furchtverzerrt. „Ich bin es nicht, ich bin nicht Reston", sprudelte es aus ihm heraus, sein blasses Gesicht glänzte vor Schweiß.

Und hinter ihnen erschien ein weiteres Gesicht am Fenster der Mctalltür. Es wurde durch das dicke Plexiglas verzerrt, aber das Grinsen war offensichtlich. Ein älterer Mann, in einen dunkelblauen Anzug gekleidet.

O verdammt!

Der Mann sah kurz weg, streckte eine Hand nach oben, um

etwas zu berühren, das Leon nicht sehen konnte - und eine weiche, kultivierte Stimme drang aus einem Deckenlautspre-cher in den Raum.

„Tut mir Leid, Henry", sagte der Mann mit vom Glas ver-zerrten Gesichtsbewegungen. „Und erlauben Sie mir, dass ich mich vorstelle. Ich bin Jay Reston. Und wer immer Sie sind, ich bin sehr erfreut, Sie kennen zu lernen. Willkommen beim Testprogramm des Planeten."

Leon sah John an, der sein Gewehr immer noch auf den beinahe hysterischen Henry gerichtet hielt. John erwiderte den Blick, und Leon sah, wie die Erkenntnis in seinen dunklen Augen heraufdämmerte, gerade als auch er begriff.

Kein Zweifel, sie stecken verdammt tief in der Scheiße.

Ja!

Reston lachte ausgelassen. Die Bewaffneten saßen in der

Falle und die drei an der Oberfläche wurden wahrscheinlich bereits von den Teams eingesammelt - er hatte sich um die Situation gekümmert, und er hatte sie mit Bravur gemeistert.

Natürlich macht es keinen Spaß, wenn niemand da ist. der es zu schätzen weiß ... aber andererseits habe ich ein Pub-likum, das von mir wie gefesselt ist, oder?

„Laut Zeitplan sind es bis zu unserer Betriebsbereitschaft noch dreiundzwanzig Tage", sagte Reston mit breitem Lä-

cheln. und er stellte sich schon den Ausdruck in Sidneys auf-gedunsenem Gesicht vor. „Zu diesem Zeitpunkt wollte ich

den Jungfernlauf unseres sorgfältig ausgearbeiteten Pro-

gramms vor einer Gruppe außerordentlich wichtiger Leute

moderieren. Es sollten nur Züchtungen beteiligt sein, wir hattet) zunächst nicht vor. Menschen durch die Phasen zu schicken, geschweige denn Soldaten. Aber jetzt, dank Ihnen, werde ich in der Lage sein, meiner kleinen Gesellschaft vor-zuführen, wofür unsere Lieblinge erschaffen wurden. Inzwischen werden Ihre Freunde an der Oberfläche abserviert worden sein, bedauerlicherweise - aber ich glaube, Sic drei werden ausreichen. Ja, Sic werden sich ganz prima machen."

Reston lachte wieder, er konnte es einfach nicht unterdrü-

cken. „Sic sollten Henry vielleicht umbringen, bevor es los-geht, weil er Sie nur behindern wird - und schließlich hat er Sie in die Falle gelockt, nicht wahr?"

„Du Bastard!"

Henry Cole stemmte sich von der Wand ab, raste auf die Tür zu und trommelte mit den Fäusten dagegen. Das fünf Zentimeter dicke Metall klapperte nicht einmal im Rahmen.

Immer noch grinsend, schüttelte Reston den Kopf. „Es tut mir Leid. Henry. Wir werden Sie schrecklich vermissen. Sic haben die Arbeit am Interkom-System nicht beendet, nicht wahr? Auch die am Audiosystem nicht... aber zumindest haben Sie dieses hier angeschlossen, wofür ich Ihnen nicht genug danken kann. Verstehen Sic mich gut da drinnen? Irgendein statisches Rauschen?"

Was immer für ein Dämon von dem Elektriker Besitz er-

griffen hatte, er ließ von ihm ab. und der Mann brach schwer atmend an der Tür zusammen. Der größere der beiden bewaffneten Männer, der stämmige, dunkelhäutigc mit dem Gewehr, trat mit bedrohlicher Miene auf das Fenster zu.

„Sie werden uns nicht dazu bringen, irgendwelche Tests für Sie zu durchlaufen", sagte er, und seine tiefe Stimme bebte vor Zorn, „Bringen Sie uns ruhig um, wir sind nämlich nicht allein - und Umbrella geht unter, egal ob wir dabei sind, um es mit anzusehen oder nicht!"

Reston seufzte. „Nun, Sie haben Recht, dass Sie nicht dabei sein werden. Aber was den Rest angeht ... Sie gehören zu diesen S.T.A.R.S.-Leuten, nicht wahr? Sie und Ihre armselige Kampagne bedeuten uns nichts - Sie sind Moskitos, ein Är-gernis. Und Sic werden teilnehmen ..."

„Nimm daran teil", spie der andere hervor und fasste sich in den Schritt. Selbst durch das dicke Plexiglas war die obszöne Geste unmissverständlich.

Vulgär. Die jungen Leute heutzutage, keinen Respekt vor den Überlegenen...

„John, warum setzt du nicht eine dieser Splittergranaten ein?", fragte der andere Mann gelassen und Reston seufzte abermals.

„Die Wände bestehen aus verputztem Stahl und die Tür hält sehr viel mehr aus als das, was Sie bei sich haben könnten. Sie würden sich allenfalls selbst in die Luft sprengen. Das wäre zu schade - aber tun Sie, was Sie nicht lassen können."

Darauf schien ihnen keine klugscheißerische Bemerkung

mehr einzufallen. Niemand sprach, doch Reston konnte im-

mer noch Coles krampfhaftes Keuchen hören, das aus der

Sprechanlage drang. Er war es ohnedies müde, sie aufzustacheln. Die Oberflächenteams würden sich bald im Kontrollraum melden, und er sollte dann wirklich dort sein.

„Wenn die Herren mich entschuldigen möchten", sagte er.

„Ich habe mich um andere Angelegenheiten zu kümmern -

zum Beispiel muss ich unsere Schoßticrchcn in ihr neues Zuhause lassen. Aber seien Sie ganz beruhigt, ich werde Ihr De-bül bezeugen. Versuchen Sie, es wenigstens durch zwei der Phasen zu schaffen, wenn Sie können."

Reston trat von dem Fenster weg an die Steuertafel zur Linken und gab den Aktivierungscode ein. Einer der Männer fing an zu brüllen, dass sie nicht mitmachen würden, dass er sie nicht zwingen könne ...

... und dann drückte Reston den großen grünen Knopf, der zugleich die Luke nach Eins öffnete - und entließ Tränengas aus den Luftschächten der hohen Decke in den Vorraum. Er trat wieder ans Fenster, weil es ihn interessierte zu sehen, wie effektiv der Prozess verlaufen würde.

Binnen Sekunden senkte sich ein weißer Nebel von oben

herab und umhüllte die drei Männer. Er hörte Schreie und Husten, und eine Sekunde später vernahm er, wie sich die Luke schloss, was hieß, dass sie hindurch waren. Nachdem die Druckplatten im Boden nun von ihrem Gewicht befreit

waren, gab es ein leises Zischen, weil das Entlüftungssystem sich eingeschaltet hatte, um den Nebel in weniger als einer Minute aus dem Raum zu saugen.

Nett. Er musste daran denken, dem Architekten, der das

empfohlen hatte, zu danken.

„Ich werde es mir notieren", sagte Reston zu sich selbst. Er strich sein Revers glatt, wandte sich wieder der Steuerung zu und war ganz begierig darauf zu sehen, wie gut sich die Männer gegen die neuesten Zuwächse der großen Umbrclla-Familie behaupten würden.

E L F

Cole blieb nichts anderes übrig, als den Killern hinterher zu stolpern. Er würgte, ihm war übel, und in seiner Brust wühlten Angst und Hass. Reston hatte ihn dem Tod überantwortet, der Mann hatte diese Mörder sogar ermuntert, ihn umzubringen - er wusste nicht einmal mehr, ob sie überhaupt Mörder waren, und er wusste nicht, wer diese „Stars" sein sollten - er wusste gar nichts mehr, nur noch, dass seine Augen brannten und er keine Luft bekam.

Lass es wenigstens schnell passieren, mach es schnell und schmerzlos...

Durch die Luke gelangten sie nach Eins, hinter ihnen

schnappte die Tür zu. Cole fiel nach hinten gegen das kühle Metall, rang nach Atem; klebrige Tränen sickerten unter seinen geschlossenen Lidern hervor. Er wollte nicht sehen, wie sie abdrückten, er wollte nicht bangen müssen, bevor er starb.

Nur sterben zu müssen war schon schlimm genug.

Vielleicht lassen sie mich einfach hier.

Die leise Hoffnung, die ihm dieser Gedanke bescherte, wur-de augenblicklich ausgelöscht, als sich eine große, raue Hand um seinen Arm schloss und ihn schüttelte.

„Hey, aufwachen!"

Widerwillig und heftig blinzelnd öffnete Cole seine tränenden Augen. Der große Schwarze starrte auf ihn herab und sah so sauer aus, als wolle er gleich auf ihn einprügeln. Sein Gewehr war auf Coles Brust gerichtet.

„Wollen Sie uns erklären, was es mit diesem verdammten

Ort auf sich hat?"

Cole sackte in sich zusammen. Seine Stimme war nur ein

Stammeln. „Phase eins. W-wald."

Der Mann verdrehte die Augen. „Ja, Wald, das seh ich auch.

Aber warum?"

Jesus, ist der groß.'

Der Kerl hatte noch Muskeln auf den Muskeln. Cole schüttelte den Kopf. Er war sicher, dass er gleich übel zusammen-geschlagen werden würde, wusste aber nicht recht, was der Mann eigentlich von ihm wollte.

Der andere Mann trat einen Schritt auf sie zu. Er sah eher aufgebracht als verärgert aus. „John, Reston hat auch ihn reingelegt. Wie heißen Sie noch mal? Henry?"

Cole nickte, verzweifelt bemüht, niemanden zu provozie-

ren. „Ja, Henry Cole. Reston sagte mir, Sie seien hier, um ihn zu töten, und er trug mir auf, mich da reinzustcllen. Er wollte Sic nur einsperren. Ich schwöre bei Gott, ich wusste nicht, was er wirklich vorhatte ..."

„Langsam", sagte der kleinere Mann. „Ich bin Leon Kennedy, das ist John Andrews. Wir sind nicht hergekommen, um Reston zu töten ..."

„Sollten wir aber", grummclte John und sah sich um.

Leon fuhr fort, als hätte John gar nichts eingeworfen.

„... oder sonst jemanden. Wir wollen nur etwas, das sich an-geblich in Restons Besitz befindet, das ist alles. Also - was können Sic uns über dieses Testprogramm sagen?"

Cole schluckte und wischte sich über das nasse Gesicht.

Leon schien es ehrlich zu meinen ...

... und wie sehen deine Alternativen hier aus? Du kannst erschössen oder zurückgelassen werden, oder du arbeitest mit (Ursen Typen zusammen. Sie haben Waffen und Reston sagte, die Test-Viecher wurden gezüchtet, um Menschen zu allackie-ren und... o Scheiße ... wie bin ich bloß in diesen Schlamassel geraten?

Cole schaute sich in Eins um. erstaunt darüber, wie anders es ihm nun vorkam, da er darin eingesperrt war, wie bedrohlich. Die hoch aufragenden künstlichen Bäume, das Unterholz aus Plastik und herumliegendes synthetisches Gehölz - in dem gedämpften Licht und der feuchten Luft, mit den dunklen Wänden und der bemalten Decke vermittelte es einem

fast das Gefühl eines richtigen Waldes bei Dämmerung.

„Ich weiß nicht allzu viel", sagte Cole, den Blick auf Leon gerichtet. „Es gibt vier Phasen - Wald, Wüste, Gebirge. Stadt.

Alle sind sie in etwa so groß wie zwei Eootballfcldcr neben-einander, die genauen Abmessungen habe ich vergessen. Es heißt, sie sollen das künftige Zuhause für diese Versuchstier-kreuzungen sein. Man wird sie sogar mit Lebendfutter ernähren, Mäuse, Kaninchen und so. Umbrella testet irgendwelches Scuchenkontrollzcug, und die Versuchstiere sollen ein ähnliches Kreislaufsystem haben wie Menschen, irgendwas in der Art. Sie seien gutes Studienmaterial ..."

Er verstummte, hatte die Blicke bemerkt, die die beiden

Männer tauschten, als er von den Testkreaturen gesprochen hatte.

„Und das glauben Sic wirklich, Henry?", fragte John. Er sah nicht mehr sauer aus, seine Miene wirkte jetzt ausdruckslos.

„Ich ...", begann Cole. dann schloss er den Mund und dachte nach. Über die unglaubliche Bezahlung und die Kcine-Fra-gcn-Politik. Über die Fragen von den Leuten, die die Aufsicht über die Jobs führten ...

Macht es Ihnen Freude, hier zu arbeiten'.' Ilaben Sie das Gefühl, dass man Ihnen genug dafür bezahlt?'

... und über die Gefängniszellen ... und die Fcsselvorrichtungen.

„Nein", sagte er und verspürte einen Anflug von Scham ob seiner bisherigen Ignoranz. Er hätte es wissen sollen, er hätte es auch gewusst, wenn er nur den Mut besessen hätte, genauer hinzuschauen. „Nein, das tu ich nicht. Nicht mehr."

Beide Männer nickten, und mit Erleichterung nahm Cole

zur Kenntnis, dass John sein Gewehr etwas zur Seite bewegte und anderswo hin richtete.

„Und wissen Sie, wie man hier rauskommt?", fragte John.

Cole nickte. „Ja, sicher. Die Phasen haben Verbindungstü-

ren, jeweils in den sich diagonal gegenüberliegenden Ecken.

Sic sind nur eingeschnappt, keine Schlüssel oder so - bis auf die letzte, die Vier, die ist von außen verriegelt."

„Dann liegt die Tür, zu der wir wollen, also in dieser Richtung?", fragte Leon und deutete nach Südwesten. Sie waren in der Nordostecke. Von ihrem Standort aus war die gegenüberliegende Wand nicht einmal zu sehen, so dicht war der falsche Wald. Cole wusste, dass es zumindest eine Lichtung von nen-nenswerter Größe gab, aber es lag dennoch ein ziemlicher Marsch vor ihnen.

Cole nickte.

„Können Sie uns etwas über diese Versuchstiere sagen? Wie sehen sie aus?", fragte John.

„Ich habe sie nie gesehen, ich war nur hier, um mich um die Elektrik zu kümmern - Kameras, Leitungen und all den

Kram." Hoffnungsvoll sah er von einem zu anderen. „Aber wie schlimm können sie schon sein ... oder?"

Ihre Mienen waren entmutigend. Cole wollte gerade fragen, was sie ihm sagen konnten, da erfüllte ein lautes, metallenes Rasseln die feuchte Luft, als würde ein riesiges Tor hochgezo-gen. Es kam von hinten, von der Westwand her, wo Cole die Tierpferche wusste ...

... und eine Sekunde später schnitt ein schrilles, durchdringendes Kreischen durch die Luft - ein langer, schmetternder Ton. in den bald ein weiterer einfiel, und dann noch einer und dann zu viele, um sie noch unterscheiden zu können.

Es war auch ein schlagendes Geräusch zu hören, so macht-

voll, dass Cole es erst nicht einzuordnen wusste - und als er es endlich konnte, war ihm selbst ein bisschen nach Schreien zumute.

Flügel. Das Geräusch riesiger Flügel, die die Luft teilten.

Sie befanden sich fünf Meter über dem Boden, auf einem

Doppclstapel aus Holzkisten, in einer Ecke des Lagerhauses.

Schon die leiseste Bewegung brachte die Türme leicht ins Schwanken, und das verstärkte Claires Unwohlsein enorm.

Niehl genug, dass John und Leon verschwunden sind und wir uns vor ein paar Umbrella-Gangstern verslecken - nein, wir müssen auch noch auf dem Berge Wackelau wie in einer pechschwarzen Gefriertruhe festsitzen. Wenn einer von uns auch nur zu kräftig niest, fallen wir runter.

„Das ist echt das Letzte", flüsterte sie, sowohl um die angespannte Stille zu durchbrechen, als auch um Dampf abzulassen. Der Hubschrauberlärm war verstummt, aber sie hatten draußen noch niemanden gehört.

Es überraschte Ciaire zu spüren, wie Rebecca neben ihr

zitterte, und dazu ein gedämpftes Kichern zu vernehmen.

Die junge Biochemikerin versuchte es zu unterdrücken und schaffte es nicht ganz. Ciaire grinste, verrückterweise erfreut.

Ein paar Sekunden vergingen, dann schaffte es Rebecca zu sagen: „Ja. Du hast ja so was von Recht." Und dann mussten

„Was?" Eine andere Stimme, ebenfalls im Flüsterton.

„Das Licht funktioniert nicht." Eine Pause, dann: „Na ja, komm weiter. Wahrscheinlich sind sie sowieso im anderen

Gebäude, hier sind sie nicht ganz durchs Schloss gekommen."

Gott sei Dank. Gut gemacht, David.

Die beiden vermuteten nicht, dass die, die sie suchten, hier waren.

Ein zweiter Strahl tauchte auf. und Ciaire konnte hinter den zwei hellen Lichtern ganz vage menschliche Silhouetten ausmachen. Den Stimmen nach zu schließen handelte es sich um zwei Männer. Sic bewegten sich nach vorne, die Lichtstrahlen tanzten über die Stapel aus Kartons und Kisten.

Ruhig bleiben, nicht bewegen, abwarten.

Ciaire schloss die Augen, weil sie nicht wollte, dass sich einer der beiden Männer beobachtet fühlte. Sie hatte einmal gehört, dass dies der Trick beim Verstecken sei - nicht hinzu-sehen.

„Ich nehme mir den Südbereich vor", flüsterte eine der Stimmen, und Clairc fragte sich, ob die Typen ahnten, wie gut offener Raum den Schall trug.

Wir können euch hören, ihr Hohlköpfe.

Ein komischer Gedanke, aber sie hatte Angst. Die Zombies hatten wenigstens keine Schusswaffen gehabt...

Die Lichter trennten sich, eines bewegte sich von ihnen fort, das andere wurde in ihre Richtung gedreht. Zumindest wurde es tief gehalten. Wer immer die Lampe auch führte, ihm war offenbar nicht klar, dass Menschen auf Kisten klettern konnten.

Ist mir nur recht, beeilt euch und macht, dass ihr hier rauskommt. Lasst uns hier verschwinden, ohne kämpfen zu müssen!

David hatte gesagt, dass sie zurückkommen würden, um

John und Leon zu holen, wenn Umbrella verschwunden war.

Er hatte gesagt, dass man wahrscheinlich eine Wache aufstellen würde, vielleicht zwei, aber dass es wesentlich einfacher wäre, eine Wache auszuschalten als einen ganzen Trupp ...

... und da leuchtete ein Licht in Claircs Gesicht - der blendende Strahl traf ihre Augen.

„Hey!" Ein überraschter Ausruf von unten und dann ...

BAMM!

Ein Schuss fiel, und sie hörte und spürte, wie unter ihr etwas nachgab, und Rebecca keuchte, als der Kistenturm sich nach hinten neigte.

Clairc schlug mit dem Rücken gegen die Wand, und sie

langte nach der schwankenden Kiste, auf der sie gelegen hatten. Von draußen drang ein Chor von Schreien herein. Davids Waffe spie donnernd orangefarbenes Mündungsfeuer ...

... und mit einem Krachen stürzte der ganze Kistenstapel ein. Ciaire fiel haltlos ins Dunkel.

Als er das machtvolle Schlagen von Flügeln und das Krei-

schen hörte, spürte John, wie seine Haut kalt wurde. Er mochte Vögel nicht, hatte sie nie gemocht, und auf einen Schwärm von Umbrella-Vögdn zu treffen, in einem sterilen, surrealen Wald, das...

„Das darf ja wohl nicht wahr sein!", brummte er und hob die M-16. den Kunststoffkolben fest gegen seine Schulter ge-drückt. Leons Waffe war ebenfalls nach oben gerichtet. Die Decke lag hoch über ihnen. Dort endeten die höchsten Bäume und schufen ein tiefes Dämmerblau. Die Höhe der Bäume

reichte von drei bis etwa acht oder zehn Meter - und John sah, dass ganz oben „Sitzäste" angebracht waren, jeder vom Um-fang eines Basketballs.

Der Vogel muss aber verdammt große Füße haben, wenn er das zum Landen braucht...

„Was?" Eine andere Stimme, ebenfalls im Flüsterton.

„Das Licht funktioniert nicht." Eine Pause, dann: „Na ja, komm weiter. Wahrscheinlich sind sie sowieso im anderen

Gebäude, hier sind sie nicht ganz durchs Schloss gekommen."

Gott sei Dank. Gut gemacht. David.

Die beiden vermuteten nicht, dass die, die sie suchten, hier waren.

Ein zweiter Strahl tauchte auf. und Ciaire konnte hinter den zwei hellen Lichtern ganz vage menschliche Silhouetten ausmachen. Den Stimmen nach zu schließen handelte es sich um zwei Männer. Sic bewegten sich nach vorne, die Lichtstrahlen tanzten über die Stapel aus Kartons und Kisten.

Ruhig bleiben, nicht bewegen, abwarten.

Ciaire schloss die Augen, weil sie nicht wollte, dass sich einer der beiden Männer beobachtet fühlte. Sie hatte einmal gehört, dass dies der Trick beim Verstecken sei - nicht hinzu-sehen.

„Ich nehme mir den Südbereich vor", flüsterte eine der Stimmen, und Clairc fragte sich, ob die Typen ahnten, wie gut offener Raum den Schall trug.

Wir können euch hören, ihr Hohlköpfe.

Ein komischer Gedanke, aber sie hatte Angst. Die Zombies hatten wenigstens keine Schusswaffen gehabt...

Die Lichter trennten sich, eines bewegte sich von ihnen fort, das andere wurde in ihre Richtung gedreht. Zumindest wurde es tief gehalten. Wer immer die Lampe auch führte, ihm war offenbar nicht klar, dass Menschen auf Kisten klettern konnten.

Ist mir nur recht, beeilt euch und macht, dass ihr hier rauskommt. Lasst uns hier verschwinden, ohne kämpfen zu müssen!

David hatte gesagt, dass sie zurückkommen würden, um

John und Leon zu holen, wenn Umbrella verschwunden war.

Er hatte gesagt, dass man wahrscheinlich eine Wache aufstellen würde, vielleicht zwei, aber dass es wesentlich einfacher wäre, eine Wache auszuschalten als einen ganzen Trupp ...

... und da leuchtete ein Licht in Claires Gesicht - der blendende Strahl traf ihre Augen.

„Hey!" Ein überraschter Ausruf von unten und dann ...

BAMM!

Ein Schuss fiel, und sie hörte und spürte, wie unter ihr etwas nachgab, und Rebecca keuchte, als der Kistenturm sich nach hinten neigte.

Clairc schlug mit dem Rücken gegen die Wand, und sie

langte nach der schwankenden Kiste, auf der sie gelegen hatten. Von draußen drang ein Chor von Schreien herein. Davids Waffe spie donnernd orangefarbenes Mündungsfeuer ...

... und mit einem Krachen stürzte der ganze Kistenstapel ein. Ciaire fiel haltlos ins Dunkel.

Als er das machtvolle Schlagen von Flügeln und das Krei-

schen hörte, spürte John, wie seine Haut kalt wurde. Er mochte Vögel nicht, hatte sie nie gemocht, und auf einen Schwann von Umbrella-Vögdn zu treffen, in einem sterilen, surrealen Wald, das...

„Das darf ja wohl nicht wahr sein!", brummte er und hob die M-16. den Kunststoffkolben fest gegen seine Schulter ge-drückt. Leons Waffe war ebenfalls nach oben gerichtet. Die Decke lag hoch über ihnen. Dort endeten die höchsten Bäume und schufen ein tiefes Dämmerblau. Die Höhe der Bäume

reichte von drei bis etwa acht oder zehn Meter - und John sah, dass ganz oben „Sitzäste" angebracht waren, jeder vom Um-fang eines Basketballs.

Der Vogel muss aber verdammt große Füße haben, wenn er das zum Landen braucht...

Die schrillen Schreie harten aufgehört, und John hörte auch den Flügelschlag nicht mehr - aber er fragte sich, wie lange es dauern würde, bis die Vögel beschlossen, nach Beute Ausschau zu halten.

„Müssen Pterotaktylen sein", flüsterte Cole mit krächzender Stimme. „Daks."

„Soll das ein Witz sein?", schnaufte John und sah am Rande seines Gesichtsfeldes, wie der magere Umbrella-Arbeitcr den Kopf schüttelte.

„Vielleicht keine echten, es ist nur ein Spitzname, den ich aufgeschnappt habe." Cole klang eindeutig entsetzt.

„Lasst uns diese Tür suchen", meinte Leon und drang bereits in den falschen, düsteren Wald vor.

Amen.

John setzte ihm nach, vier, fünf Meter, versuchte nach oben zu schauen und zugleich darauf zu achten, wo er hintrat. Er stolperte fast umgehend, trat mit einem Stiefel gegen einen Plastikstein und schaffte es nur mit Mühe und Not, eine

Bauchlandung zu vermeiden.

„So wird das nichts", sagte er. „Cole - Henry."

Er warf einen Blick nach hinten und sah, dass Cole noch

immer vor der Luke kauerte, das blasse, wieselartige Gesicht zum Himmel gerichtet.

Zur Decke, verdammt!

Leon war stehen geblieben, wartete und spähte zu den aus-ladenden Ästen empor. „Ich geb euch Deckung", sagte er.

John ging zurück, wütend und frustriert und von ernstli-

chem Unbehagen erfüllt. Sie steckten in der Klemme. David und die Mädchen konnten oben gerade um ihr Leben kämpfen, und er würde keine Zeit damit verplempern, einen ver-

ängstigten Umbrella-Saftsack aufzumuntern. Dennoch konn-

ten sie ihn nicht zurücklassen, zumindest nicht einfach so.

„Henry. Hey, Cole." John streckte die Hand aus und tippte ihm gegen den Arm. und endlich sah Cole ihn an. Seine hellbraunen Augen waren glasig vor Angst.

John seufzte und empfand etwas Mitleid mit dem Kerl. Er

war ein Elektriker, Teufel noch mal, und es schien, als sei Ignoranz das einzige Verbrechen gewesen, dessen er sich schuldig gemacht hatte.

„Hören Sie, ich verstehe ja, dass Sie sich Fürchten, aber wenn Sie hier bleiben, werden Sie umgebracht. Leon und ich.

wir hatten beide schon mit solchen Umbrella-Schoßtierchen zu tun. Ihre beste Chance besteht darin, mit uns zu kommen -

und außerdem könnten wir Ihre Hilfe gebrauchen. Sie wissen mehr über diesen Ort als wir. Okay?"

Cole nickte zitternd. „Ja, okay. Sorry. Ich - ich hab nur Angst."

„Willkommen im Club. Vögel sind mir nicht geheuer. Das

Fliegen ist ja cool, aber sie sind so seltsam, haben diese Per-lenaugen und diese schuppigen Füße und haben Sie schon

mal 'nen Bussard gesehen? Die haben Köpfe wie 'n Hoden-

sack." John schauderte gespielt und sah. wie Cole sich ein bisschen entspannte und sogar ein zittriges Lächeln versuchte.

„Okay", sagte Cole noch einmal, fester diesmal. Sie gingen dorthin zurück, wo Leon stand und immer noch die Luft über ihnen im Auge behielt.

„Henry, da wir die Waffen haben, wie war's. wenn Sie vor-ausgingen?'*, schlug John vor. „Leon und ich werden aufpassen, und wir brauchen freie Bahn, damit wir nicht über irgendwas stolpern. Glauben Sie, das schaffen Sie?"

Cole nickte, und obwohl er immer noch ungesund blass

wirkte, konnte John doch sehen, dass er sich zusammenreißen würde. Für eine Weile jedenfalls.

Ihr Führer setzte sich vor Leon, hielt in grob südwestliche Richtung und schlug einen ungeraden Weg durch den merkwürdigen Wald ein. Sie folgten ihm, und John wurde rasch klar, dass Coles Führung keinen großen Unterschied machte.

Wenn ich nicht schaue, wo ich hintrete, werd ich stolpern, dachte John müde, als er zum sechsten Mal gegen einen abge-brochenen „Ast" trat. Da führt kein Weg dran vorbei.

Die Daks, wie Cole sie nannte, hatten sich weder gezeigt noch einen weiteren Laut von sich gegeben. Auch recht, dachte John - durch einen Plastikwald zu latschen erforderte schon genug Aufmerksamkeit. Es war ein bizarres Gefühl, die echt wirkenden Bäume und das Unterholz zu sehen, die Luft-feuchtigkeit zu spüren - aber zugleich festzustellen, dass es keine Gerüche nach Erde oder Pflanzen gab, keinen Wind und keine winzigen Geräusche von Bewegung, keine Insekten. Es war ein traumhaftes Erlebnis - und ein sehr nervös Machen-des.

John bewegte sich weiter vorwärts, den Blick auf das Ge-

wirr von Ästen über ihnen fixiert. Dann blieb Cole stehen.

„Wir sind ... nun, da ist so eine Art Lichtung", sagte er.

Leon wandte sich um und sah John mit gerunzelter Stirn an.

„Sollen wir sie umgehen?"

John trat vor und spähte durch die scheinbar zufällig ange-ordneten Bäume auf die vor ihnen liegende Lichtung. Ihr

Durchmesser betrug mindestens fünfzehn Meter, aber John

wollte doch lieber einen Umweg in Kauf nehmen - von einem im Sturzflug befindlichen Pterodaktylus attackiert zu werden klang überhaupt nicht spaßig.

„Ja. Henry, nach rechts. Wir werden ..."

Der Rest seiner Worte ging unter, als jenes hohe Kreischen von neuem durch den künstlichen Wald schmetterte und ein braungrauer Schemen in die Lichtung nieder stieß, auf sie zu-flog, mit ausgefahrenen, fußlangen Klauen.

John sah eine Flügelspannweite von drei oder dreieinhalb Metern, die ledrigen Schwingen mit gekrümmten Haken besetzt. Er sah einen kreischenden, zahnbewehrten Schnabel und einen schlanken, länglichen Schädel, sah flache, schwarze Augen glänzen, groß wie Untertassen ...

... und er und Leon eröffneten das Feuer, als das Wesen die Linie der Kunstbäume vor ihnen erreichte und seine gewaltigen Klauen in das Hartplastik hieb. Es hielt sich fest, breitete seine riesigen, membranartigen Schwingen aus und rang um sein Gleichgewicht...

... und Bamm-bamm-bamm! wurden Löcher in dünne Haut gestanzt. Bäche wässrigen Blutes rannen aus den Wunden.

Das Tier schrie, und das in solcher Nähe, dass John die Schüs-se nicht mehr hörte, gar nichts mehr hören konnte, weil sie von dem trillernden, hohen Kreischen zugedeckt wurden -

und dann fiel die Kreatur, landete auf dem dunklen Boden, zog ihre Flügel an ...

... und näherte sich ihnen auf den Ellbogen! Wie eine Fle-dermaus, bewegte sich das Wesen ruckartig durch die zerfetzten Bäume, quetschte sein Kreischen in kurzen, scharfen Stö-

ßen hervor. Hinter der Kreatur stieß eine zweite auf die Lichtung herab, peitschte geruchlosen Wind zu ihnen herüber, als sie ihre breiten Schwingen schloss. Ihr langer, spitzer Schnabel öffnete sich und enthüllte Zähne.

Das ist übel, übel, übel...

Das Tier, das auf sie zukam, war kaum noch anderthalb Meter entfernt, als John auf den zuckenden Kopf zielte, auf das glänzende runde Auge, und abdrückte.

Z W Ö L F

Der Größere, John, richtete sein Schnellfeuergewehr auf den Avl und entfesselte ein wahres Inferno. Wie ein Strom der Vernichtung trafen die Geschosse den gebogenen Schädel des Daks und sprengten die andere Seite gleichsam heraus. Dunkle Flüssigkeit spritzte über die frisch gestrichenen Bäume.

Beide Augen zerplatzten wie Wasserballons.

Verdammt. Niedriger Schwellenwert. Liegt an den Hohlkno-chen ...

Reston beobachtete, wie der andere Mann seine Waffe auf

einen zweiten Dak richtete, der auf der Lichtung gelandet war.

Selbst ohne Klanguntcrmalung bekam Reston mit, wie die

Pistole drei-, viermal ruckte und das Spezimen in die schmale Brust traf. Der schlanke Hals des Daks bog sich unkontrolliert vor und zurück, ein schlangenartigcr Totentanz, ehe er blutend zu Boden ging.

Reston sah keine weiteren Tiere niedergehen, doch die drei Männer zogen sich zurück, tauchten wieder in den Wald ein.

Der arme Cole wirkte völlig fertig, sein Mund war zu einein stummen Heulen geöffnet. Das strähnige braune Haar klebte ihm schweißnass am Kopf, seine Glieder zitterten.

Geschieht ihm recht, weil er das Audiosystem nicht angeschlossen hat! Der fehlende Ton war ärgerlich, aber Reston glaubte nicht, dass die Aufzeichnungen darunter leiden würden. Die Leute wussten ja, wie sich Schüsse und Schreie an-hörten.

Die Drei bewegten sich in westlicher Richtung aus dem

Erfassungsbereich der Kamera. Reston schaltete um auf eine andere, von der im Baum befindlichen zu einer an der Nord-wand. Klar, dass Cole versuchte, sie zu der Verbindungstür zu führen - obwohl er sich offenbar nicht erinnerte, dass jetzt eine zweite, größere Lichtung auf ihrem Weg lag. Für den Augenblick allerdings hatten sich auch die Daks zurückgezogen.

Im Allgemeinen wurden sie von offenen Flächen angelockt.

Die bewaffneten Männer hatten nur zwei getötet, was bedeutete, dass noch sechs gesunde Geschöpfe sie auf der „Wiese"

willkommen heißen würden.

Reston hatte sämtliche Kreaturen in ihre Habitate entlassen, gleich nachdem der Anruf von Sergeant Steven Hawkinson.

dem Mann, der die Aktion an der Oberfläche leitete, hereingekommen war. Hawkinson hatte Reston nur darüber informiert, dass zwei Umbrella-Teams - neun Männer, er selbst mitge-rechnet - das Gelände durchkämmten, und dass das Fahrzeug der Flüchtigen entdeckt worden sei. Die Drei befanden sich immer noch auf dem Areal, es sei denn, sie verfügten über ein zweites Fahrzeug, was jedoch höchst unwahrscheinlich war.

Reston hatte Hawkinson mitgeteilt, dass die Kamera am Eingang zugeklebt worden war, und ihn um Meldung gebeten,

sobald sich etwas Neues ergab. Dann hatte er es sich bequem gemacht, um die Show zu genießen.

Er schenkte sich einen weiteren Brandy ein, während er zusah, wie sich die Drei langsam zwischen den Bäumen hin-

durch bewegten, John mit nach oben gerichteter Waffe, der andere die Schatten um sie herum durchforstend ...

Er braucht auch einen Namen. Wir haben Henry, John und -

Red? Sein Haar ist leicht rötlich.

Wie dem auch sei. es würde genügen, genau wie „Dak" als für die Avlcr taugte. Es bestand natürlich keine Verbindung zu Pterodaktylen - und das „Av" stand für „Aves", das lateini-sche Wort für Vögel -, aber tatsächlich ähnelten die Daks noch am ehesten Fledermäusen. Es gab nur schon zu viele in der Säugetierreihe. Auf Jacksons persönliche Aufforderung hin hatten die Spezies-Züchter ein paar neue Klassifizierun-gen hinzugefügt, um für Klarheit zu sorgen. Dabei hatten sie auf einige der sekundären Spender des Genpools dieser Reihe zurückgegriffen. Wie die Spucken die eher Schlangen ähnelten als Ziegen, aber als Caöer bezeichnet wurden, abgeleitet von „Capra", weil sie paarhufig waren ...

... und die Daks sehen nun mal aus wie Pterodaktylen oder zumindest wie das moderne Bild, das wir von ihnen haben, dachte Reston. den Blick auf den Bildschirm gerichtet, der den Käfigzugang zeigte. Zwei der Tiere befanden sich noch darin. Der stromlinienförmige, muskulöse Körper und der

schmale Schnabel, der Knochenkamm auf dem Kopf, die seh-

nigen Flügel ... Sie wirkten in der Tat auf archaische Weise höchst elegant. Die beiden in der ..Hinter-den-Kulissen"-Höh-le waren unübersehbar erregt, aufgescheucht von all dem Tu-mult. Sie krochen auf ihren zusammengefalteten Flügeln vor und zurück und pendelten mit ihren Köpfen hin und her. Reston wusste nicht sein; viel über den biologischen Aspekt, aber er wusste. dass sie sich bei der Jagd von Bewegung und Geruch leiten ließen, und dass es nur zwei dieser Tiere bedurfte, um ein Pferd in weniger als fünf Minuten zu töten.

Wenn man auf sie schießt, verlieren sie jedoch viel von ihrer Effizienz.

Aber das war nicht wirklich von Belang, denn die Avier

waren für Dritte-Wclt-Szenarien erschallen worden, für Länder, in denen es immer noch mehr Macheten als Gewehre gab.

Bedauerlich war nur. dass sie so rasch starben; die Betreuer würden enttäuscht sein über die Verluste - aber letztendlich wären sie ohnehin irgendwann Waffentests unterzogen worden.

Apropos...

Die drei Männer gerieten aus dem Erfassungsbereich der

Nordkamera und näherten sich der Lichtung. Dort würden

die Daks ins Spiel kommen. Reston lehnte sich vor, um dabei zuzusehen, und ihm wurde bewusst, dass die Szenen, die er hier aufzeichnete, seinen Aufstieg bedeuteten aber auch un-geachtet dieser Tatsache hätte er sich geradezu königlich amü-

siert.

David eröffnete das Feuer, als der Lichtstrahl des Verfolgers sie fand. Ein Schuss ...

... und links von ihm regnete es Holzsplitter, die gegen seinen Arm prasselten. Zunächst war er nur darauf bedacht, den Schützen auszuschalten, damit der Beschuss aulhörte, aber dann wurde ihm siedend heiß bewusst, dass sie drauf und dran waren abzustürzen - dass die beiden jungen Frauen mit voller Wucht auf dem Beton zerschmettert werden würden, wenn er nicht sofort etwas unternahm*.

Und dann geschah es auch schon wie befürchtet, die Holz-

latten unter ihm verschwanden urplötzlich und ließen ihn ins kalte Dunkel stürzen.

David hielt seine Waffe fest, drückte die Arme durch und beugte die Knie in der halben Sekunde des blinden freien Falls, bevor seine Knie auf Karton trafen, auf eine unsichtbare Schachtel, die unter seinem Gewicht zerdrückt wurde, seinem Sturz aber die ärgste Wucht nahm.

Sofort kam er auf die Beine, wandte sich dem anderen Ta-

schenlampenstrahl zu. der in der geschätzten Mitte des Lagerhauses aufflammte. Der erste Mann war bereits ausgeschaltet.

Keine Zeit, nach Rebecca zu sehen, nach Ciaire - die lauten Rufe von draußen hatten sie schon fast erreicht.

Der Mann mit der Taschenlampe ging unter der kurzen Sal-

ve zu Boden, die David aus der M-16 abfeuerte. Die flachen Echos der Schüsse dröhnten durch die Gassen zwischen den Kisten, und als die Taschenlampe fiel, ging ein einzelnes schmerzvolles und zugleich überraschtes Grunzen damit einher. David richtete die Waffe auf die offene Tür.

Na, dann zeigt euch mal!, dachte er.

Dann zerstoben seine Gedanken in einem ohrenbetäuben-

den Krachen.

Maschinenpistolenfeucr von draußen!

Er vollführte einen Schwenk mit der eigenen Waffe über die Tür ... aber niemand kam herein.

David bewegte sich nach links und jagte einen Feuerstoß

aus seiner Waffe, ohne damit zu rechnen, jemanden zu treffen.

Die Kugeln schlugen nutzlos in den Türrahmen. Er musste

seinen Freunden Zeit verschaffen und wenn es nur ein paar Sekunden waren.

„Uuuh." Leises Stöhnen einer weiblichen Stimme, hinter ihm.

„Rebecca! Ciaire! Gebt mir ein Lebenszeichen!" Er legte alle Eindringlichkeit, zu der er fähig war, in sein Flüstern und ließ dabei das fahle, leere Rechteck der offenen Tür keine Sekunde aus den Augen.

,/Hier! Ciaire, meine ich ... Bin okay, aber ich glaube, Rebecca ist verletzt..."

Verdammt!

David spürte, wie sein Herz einen Takt übersprang, und er wich einen Schritt nach hinten. Seine Gedanken rasten,

Furcht krampfte ihm den Magen zusammen. Seit dem ersten

Schuss war noch keine halbe Minute vergangen, aber das Umbrella-Team würde, wenn es etwas taugte, das Gebäude inzwischen umstellt haben. Sie mussten hier raus, bevor sich die Angreifer endgültig organisiert hatten.

„Ciaire, komm her zu mir, folge meiner Stimme - du musst die Tür sichern. Wenn du jemanden siehst, und wenn's nur ein Schatten ist, schieß. Hast du das verstanden?"

Während er sprach, hörte er, wie sie sich raschelnd bewegte.

Als sie näher kam, streckte er die Hand nach ihr aus und be-rührte ihren Arm.

„Warte", sagte er und feuerte noch eine Garbe ab, die in die Wand neben der Tür drosch. Dann, während der Kugelhagel

aus Maschinenpistolen erwidert wurde, reichte er Ciaire die M-16. Eine Salve peitschte ziellos ins Dunkel.

„Kannst du damit umgehen?"

„Ja ..." Ihre Stimme klang ängstlich, aber doch halbwegs gefasst.

„Gut. Wenn ich sage, dass wir uns in Richtung der Westtür bewegen, gibst du uns Deckung."

Er wandte sich bereits der Ecke zu, in der Rebecca lag, hör-te ein weiteres gedämpftes Murmeln, das von großen Schmerzen kündete, und konzentrierte sich darauf. Er bewegte sich schnell, fiel auf die Knie und tastete nach der Verletzten. Er spürte etwas Seidiges, Rebeccas Haar, dann strich er mit beiden Händen über ihren Kopf, suchte nach der klebrigen Wär-me von Blut.

„Rebecca, kannst du sprechen? Weißt du, wo du verletzt

bist?"

Ein Husten - und dann spürte er ihre Finger an seinem Arm und wusste, noch bevor sie antwortete, dass sie leidlich in Ordnung war.

„Am Hinterkopf, sagte sie leise, aber deutlich. „Mög-

licherweise eine Gehirnerschütterung. Hab mir höllisch

das Steißbein geprellt. Arme und Beine scheinen okay zu

sein ..."

„Ich helfe dir auf. Wenn du nicht laufen kannst, werde ich dich tragen. Aber wir müssen jetzt los ..."

Wie um Davids Worten Nachdruck zu verleihen, gab der

Schütze draußen eine weitere Salve ab.

Und dann ein Ruf, der ihn zum Aufbruch mahnte.

„Feuer im Loch!"

David sprang aus der Hocke in den Stand, wirbelte herum, warf sich von hinten auf Ciaire und zischte: „Mach die Augen zu!" Gleichzeitig schloss er seine eigenen Lider für den Fall, dass sie eine Brandbombe hercinwarfen, und betete, dass es kein Schrapnell sein würde ...

Das dumpfe Krachen eines Granatwerfers, gefolgt von

einem lauten Knall und einem fauchenden Geräusch, verriet ihm, dass sie nun mit Gas gegen sie vorgingen. Er rutschte von Ciaire weg, spürte, wie sie sich neben ihm aufsetzte, und hörte ihren keuchenden, schweren, angsterfüllten Atem.

Gott! Lass es kein Sarin oder Soman sein! Mach, dass sie uns lebend haben wollen!

Binnen Sekunden fing Davids Nase an zu laufen, seine Au-

gen tränten heftig, und er wurde von einer Woge der Erleichterung überrollt. Kein Nervengas. Sie hatten CN- oder CS-Tränengas eingesetzt. Das Umbrella-Team wollte sie lediglich ausräuchern.

„Zur Westtür!", schnappte David, und Clairc keuchte eine Bestätigung. Die chemische Mischung verbreitete sich rasch in der kalten Luft, eine effektive, aber gottlob nicht tödliche Waffe.

David drehte sich wieder um und spürte eine Hand über seinen Brustkorb streichen.

„Ich kann laufen", versicherte Rebecca hustend, doch David warf sich trotzdem ihren Arm über die Schultern und marschierte los in Richtung der Tür. Er bewegte sich so schnell er konnte durch die Schwärze. Ciaire keuchte zunehmend lauter, aber sie schaffte es und hielt mit ihnen mit.

David eilte vorwärts, plante im Gehen, versuchte nicht zu tief einzuatmen. Vor beiden Türen würden Leute warten.

Aber wie nahe? Bestimmt stehen sie direkt davor, warten darauf, ihre um Luft ringenden Opfer zu überwältigen!

Er hatte eine Idee. Als sie die Wand erreichten, angelte er sich aus seinem Hüftpack die glatte, runde Splittergranate heraus und zog den Stift.

„Ciaire. Rebecca - hinter mich!"

Im Dunkeln ohnehin schon blind, waren die Tränen ein zu-

sätzliches Handicap. Er zog seine Neunmillimeter, schwenkte die Waffe - und fand die Tür.

BAMM.'

Er stanzte ein Loch seitlich in die Tür, entriegelte sie damit und hörte draußen die überraschten Aufschreie von Männern.

Ohne innezuhalten riss David die Tür auf...

Wie weit ist es bis zum Zaun? Fünfzig Meter? Sechzig?

... und schleuderte die Granate ins Freie.

Dann schloss er sie so schnell wieder, wie er konnte, presste sich mit seinem Gewicht dagegen und dankte Gott, dass sie so überaus massiv war.

Und dann ...

Die Tür kämpfte förmlich mit ihm, als die Explosionsgc-

walt dagegen schmetterte; Dreck und Splitter hämmerten wie ein tollwütiges Tier dagegen, das mit seinen Klauen Einlass begehrte. David hielt stand, der Kampf währte, bei aller Brutalität, nur eine Sekunde. Das Donnern der M68 wich

schmerzvollem Stöhnen und Heulen, kaum vernehmbar über

dem Klingeln in seinen Ohren und dem Orgeln seiner nach

Atem schnappenden Lungen.

„Nach rechts sichern - und ab nach links!", rief David, zerrte die Tür auf und beschrieb mit der H&K einen waagrechten Bogen. Im fahlen Mondlicht sah er durch den Tränenschleier nur drei Männer - alle am Boden, alle verletzt und schreiend und noch am Leben.

Kevlar. Vielleicht sogar Ganzkörperschutz...

Sie würden damit rechnen, dass sie zur Vorderseite flohen, zu ihrem Fluchtfahrzeug, daher wandte sich David nach links.

Er fixierte seinen tränenverschleicrten Blick auf den dunklen Zaun, während hinter ihm Ciaire und Rebecca hustend he-raustaumclten.

„Zaun!", sagte er so laut, wie er es wagen konnte, griff nach hinten und legte den Arm um Rebeccas Hüfte. Sic stolperten über einen der gefallenen Männer, der sein blutendes Gesicht in den Händen barg, und wandten sich torkelnd zur Flucht, Ciaire unmittelbar hinter ihnen. Sie schloss schnell zu ihnen auf, die M-16 auf die Front des Gebäudes gerichtet.

Gutes Mädchen! Wir könnten es schaffen - über den Zaun und in einem Bogen weg vom Van, hinaus in die Wüste ...

Sie rannten, verringerten die Distanz viel schneller, als David es gehofft hatte. Der Zaun lag nur zehn Meter von der Rückseite des Gebäudes entfernt, in dem sie gewesen waren; aus genau diesem Grund hatte er sich für dieses entschieden.

Die anderen lagen zur Vorderseite hin, zu weit entfernt, und das Erste wäre zu offensichtlich gewesen.

Sie hatten den Zaun beinahe erreicht, als hinter ihnen im Dunkeln jemand eine Maschinenpistole abfeuerte, aus der

Deckung der anderen Gebäudeseite heraus.

Zumindest eines der Umbrella-Teams war also logisch vor-

gegangen und näherte sich von dort.

Ciaire hatte die Sache im Griff. Sie erwiderte das Feuer. Das Rattern zweier Schnellfeuerwaffen vermengte sich zu einem explosiven Duett. Der unsichtbare Schütze war entweder getroffen oder duckte sich, als das donnernde Lied wieder zum Solo wurde.

Ciaire durchlöcherte die Finsternis mit .223-Geschossen.

Rebecca wird Hilfe brauchen.

„Ciaire! Rauf und rüber!", rief David, während er die Hand nach der M-16 ausstreckte. Sie überließ sie ihm, drehte sich um und erklomm den Zaun mit verblüffender Leichtigkeit.

„Rebecca, los!" David zog den Stecher durch und hielt ihn gedrückt, jagte Kugel um Kugel durch die kalte Nacht, hörte, wie das Feuer von scheinbar überall her und umgehend erwidert wurde - von drei, vielleicht vier Schützen ...

... und hinter ihm ertönte ein gellender Schrei. Er kam von Rebecca, die das Metallgitter noch nicht überwunden hatte.

Ein paar warme Tropfen spritzten in Davids Gesicht, und er hörte auf zu schießen, sprang vor, um Rebecca aufzufangen, bevor ihre Hände loslassen konnten.

„Ich übernehme!", rief Ciaire auf der anderen Seite. Sie schoss durch den Maschendrahtzaun, die Neunmillimeterge-schosse dröhnten laut, doch Davids Puls schien sie noch zu übertönen. Rebecca war blass. Sie keuchte heiser, litt offensichtlich unter großen Schmerzen - aber sie schaffte es, sich am Zaun festzuhalten und sogar noch ein wenig höher zu klettern, als David sie nach oben schob.

Er hob sie über das obere Ende, und als Ciaire die Hände ausstreckte, um zu helfen, drehte David sich um und schoss wieder auf die Angreifer, die sich immer noch in den Schatten verbargen. Sein Zorn trocknete auch die letzten der chemisch verursachten Tränen.

Verdammte Bastarde - sie ist noch ein halbes Kind!

Der M-16 ging die Munition aus. David sprang, und dann

war Rebecca endlich zwischen ihnen. Sie lehnte sich schwer gegen seine Schulter, und gemeinsam taumelten sie hinaus in die eisige, finstere Wüstennacht.