37. Kapitel

Buda, August 1458

Sie standen zusammengedrängt im Burghof, Soldaten umringten sie mit starren Gesichtern. Nur wenige Worte konnten sie wechseln. Gábor erfuhr, dass Lajos und Bodo, die beiden letzten Werwölfe aus Michaels Rudel, letzte Nacht ebenfalls umgekommen waren. »Sie haben sich widersetzt.« Arpad bleckte die Zähne. »Und allmählich werde ich ungeduldig. Ich hoffe, du weißt, was du hier tust.«

Gábor wollte etwas erwidern, doch der Hauptmann befahl ihm barsch, zu schweigen. So warf er Arpad nur einen scharfen Blick zu.

Die Sonne brannte bereits mit sommerlicher Hitze auf sie herab, als die Soldaten sie endlich in den Schatten der Burgmauern schubsten.

Im großen Saal wartete Mathias auf sie. Über seinen Beinkleidern trug er eine knielange Tunika aus Sommerleinen, das in königlichem Rot gefärbt war. Wortlos verharrte er auf seinem Thron, das Kinn gereckt. Hinter ihm standen fünf Männer seiner Leibwache. Sein Blick war finster, als er das Rudel und Paulo musterte. Gábor sah, wie sich seine Augen verengten, als er Veronika ansah.

Seine Gefährtin neben ihm zitterte vor Anspannung, doch das spürte nur er. Sie war barfuß, aber sie trug ihr einfaches blaues Romakleid mit aufrechten Schultern. Stolz sprach aus ihren Augen, und das Haar fiel ihr in ungebändigten Locken über den Rücken. Sie sah wie eine ungebärdige Kreatur aus, und das war auch richtig so. Es war falsch gewesen, sie jemals in die Mauern von Belgrad und Buda zu zwingen, dieses einzigartige Wesen, das so stark und zerbrechlich zugleich war. Niemals wieder durfte er zulassen, dass jemand sie einsperrte.

»Eure Majestät.« Er senkte den Kopf. »Lasst mich erklären, was vorgefallen ist.«

»Ihr habt meinen Onkel ermordet«, herrschte Mathias ihn an. »Dafür seid Ihr mir in der Tat eine Erklärung schuldig, bevor ich Euch in den Kerker werfe.«

Arpad knurrte. »Ich lasse mich nicht mehr einsperren!« Die Worte stürzten abgehackt aus seinem Mund. Aus dunklen Augen blitzte er Gábor an, ignorierte die königlichen Leibwächter, deren Hände zu ihren Waffen fuhren. »Pfeif auf den König«, knurrte er. »Wir können sie alle töten, wir sind stark genug. Ich bin kein Wolf geworden, um erneut im Kerker zu landen.«

»Schweig!«, rief Gábor. Wenn seine Hände nicht gefesselt wären, hätte er dem Türken auf sein vorlautes Maul geschlagen. »Du hast mir versprochen, meinen Befehlen zu gehorchen«, zischte er. »Beweise, dass es dir ernst damit war.« Sie starrten einander an, bis Arpad endlich den Blick abwandte.

»Majestät!« Gábor richtete sich auf. Er musste es riskieren. »Niemals habe ich Euch bedroht, das wisst Ihr. Schickt Eure Wachen hinaus. Euch wird nichts geschehen. Doch was ich Euch zu erzählen habe, ist nicht für ihre Ohren bestimmt.« Sein Blick bohrte sich in Mathias’ Augen.

Die Zeit verstrich schweigend.

»Geht!«, befahl der König schließlich. Er machte eine Handbewegung, und erst nach einem Augenblick begriff Gábor, dass er tatsächlich die Wachen meinte. »Wartet vor der Tür.« Immer noch sah er Gábor an. In seinen Augen spiegelten sich Wut und Neugier, doch keine Angst. »Und jetzt sprecht«, sagte er, als die Wachen die Türen hinter sich schlossen.

Gábor schenkte Arpad einen letzten wachsamen Blick, doch der Türke hielt mürrisch still. Das reichte Gábor vorläufig. Er wandte sich an den König und berichtete ihm von Michaels Bündnis mit Drăculea und dem Kampf, und auch von Veronikas Gefangenschaft erzählte er.

Mathias schien ihm zu glauben. Er sprang mehrmals auf und setzte sich wieder, sein Gesichtsausdruck schwankte zwischen Verblüffung und Wut. »Wenn Ihr Michael nicht umgebracht hättet«, rief er, »ich schwöre, ich hätte es selbst getan.« Er schlug mit der Hand so fest auf die Armlehne des Throns, dass sein Siegelring gegen das Holz knallte. »Er hat den Tod verdient. Ebenso wie Graf Drăculea und diese beiden Werwölfe!«

»Um die Werwölfe haben wir uns bereits gekümmert«, erwiderte Gábor ruhig. »Doch Drăculea müsst Ihr bestrafen. Entweder mit einem öffentlichen Tod durch das Gericht oder einem leisen Tod in seiner Kerkerzelle.«

»Zu was ratet Ihr mir?«, fragte Mathias.

Gábor schüttelte den Kopf. »Ich habe das Recht verwirkt, Euch Ratschläge zu geben.«

»Das entscheidet nicht Ihr, sondern ich.« Mathias verschränkte die Arme. »Was zwischen uns vorgefallen ist, ist nicht Eure Schuld. Es ist …«

»Es ist meine Schuld.« Veronika trat vor. »Eure Majestät, es tut mir leid.«

Mathias ließ die Schultern fallen und erstarrte. Für einen Augenblick war es still. »Ihr habt Euch bereits mehr als einmal bei mir entschuldigt«, sagte der König langsam. Das erste Mal blickte er Veronika direkt in die Augen. »Trotzdem habt Ihr Euer Versprechen gebrochen.«

»Ich weiß.« Sie hielt seinem Blick stand. Gábor spürte ihren inneren Tumult. Am liebsten hätte er sie berührt. Das hätte ihren Verrat in den Augen des Königs jedoch nur noch schlimmer gemacht.

»Ich hoffe, Ihr könnt mir eines Tages verzeihen«, setzte sie leise hinzu.

»Eines Tages.« Mathias richtete sich auf. »Als Mensch vielleicht. Doch als König nicht. Ihr werdet diesen Hof ohne meine Erlaubnis nicht wieder betreten.«

Veronika senkte den Kopf. Die Worte des Königs trafen sie sichtlich hart. Gábor konnte Mathias jedoch verstehen. Er wusste, wie es war, sie ohne jede Hoffnung zu begehren, wusste, wie ihre Schönheit schmerzte, wenn sie unerreichbar war.

»Ich werde mit Veronika und meinem Rudel von hier fortgehen«, sagte er. Er ignorierte die erstaunten Blicke der anderen Werwölfe. »Ich bitte Euch, mich aus Euren Diensten zu entlassen.«

Mathias schwieg einen Moment nachdenklich. Zu Gábors Verwunderung schien er kaum überrascht von der Bitte zu sein. »Ist es wegen diesem Pavel von Breunen?«, fragte er.

Gábor nickte. »Solange er ein Ältester ist, solange der Bund meine Verbindung zu Veronika nicht akzeptiert, werde ich kein Mitglied des Wolfsbunds mehr sein können.« Erst jetzt, wo er es ausgesprochen hatte, spürte er, wie eine Last von ihm abfiel. Einst war der Bund sein Leben gewesen, doch jetzt wusste er, dass es außerhalb seiner Gemeinschaft etwas viel Erstrebenswerteres gab: Freiheit. Und Liebe.

Er straffte die Schultern und blickte den König an, ohne Reue, doch mit leisem Bedauern. »Glaubt mir, Eure Majestät, die Entscheidung fiel mir nicht leicht. Ich kann verstehen, wenn Ihr mir deshalb Treuebruch vorwerfen wollt.«

Mathias erhob sich vom Thron und trat auf ihn zu. »Ich werfe Euch nichts vor.« Er legte Gábor eine Hand auf den Arm.

Gábor hielt den Atem an. Auf eine solche Geste war er nicht gefasst gewesen.

»Es fällt mir weiß Gott nicht leicht«, sagte Mathias, und sein Gesicht wurde düster, »aber ich lasse Euch gehen. Nicht als Diener, sondern als Freund.«

»Danke.« Gábor nahm die Hand des Königs. »Ich werde Euch immer verpflichtet sein. Als Untertan«, er lächelte, »aber auch als Freund.«

Mathias nickte. Obwohl immer noch ein Schatten auf seinem Gesicht lag, lächelte er nun ebenfalls. »Wisst Ihr denn schon, wohin Ihr wollt?«, fragte er.

Gábor schüttelte den Kopf. »Veronikas Freunde sind so zahlreich wie meine Feinde.« Er blinzelte. »Dazwischen werden wir unseren Weg schon finden.«

»Und Pavel?« Mathias runzelte die Stirn. »Braucht Ihr Unterstützung?«

Gábor zögerte. Der König hatte schon so viel für ihn getan. Doch andererseits … »Ich könnte Eure Hilfe tatsächlich noch gebrauchen«, sagte er langsam.

 

Am nächsten Morgen stand Gábor neben Veronika am offenen Fenster. Sie schauten auf den gepflasterten Platz vor Michaels Haus hinunter. Dort war Paulo. Er schwang sich auf sein Pferd, hob grüßend seine Hand zum Abschied. Sein Gesicht war dunkel, und wie immer blickte er mürrisch, doch Gábor konnte auch die Erleichterung darin sehen.

Veronika winkte Paulo, und ihrem besorgten Gesichtsausdruck entnahm Gábor, dass sie sich nichts mehr wünschte, als ihn bald wieder zu sehen. Ihn und seine Familie, die ihre einzigen Verbündeten in der Wolfswelt geblieben waren. Und er hoffte, dass er ihr das ermöglichen konnte. Dass sie frei sein würde, dorthin zu gehen, wo ihr Herz sie hinzog, gemeinsam mit ihm. Sie hatten so viel nachzuholen. Doch vorher musste er Pavel ein letztes Mal in die Augen sehen. Er war schon nah, sie spürten ihn alle. Vielleicht blieb ihnen weniger als eine Stunde, bis er in Buda ankam.

Veronika schob ihre Hand in Gábors. Er beugte sich über sie, küsste ihre Stirn. Dann hörte er es. Er verengte die Augen. Pferde wieherten, Waffen klirrten, als der Tross königlicher Soldaten kam, um sie abzuholen.

Sie gingen hinunter in den Hinterhof, wo Miklos und Arpad bereits auf sie warteten. Der Hof lag noch in die fahlen Schatten der Morgendämmerung gehüllt, doch die Luft war klar und frisch. In einem der Nachbarhöfe krähte ein Hahn einen verfrühten Morgengruß.

Gábor sah, wie Veronikas Blick versonnen an der Kapelle hängenblieb, dem kleinen weiß getünchten Gebäude, das zwischen Stall und Küchenbau wie ein verirrter Gast wirkte. In dieser Kapelle hatten sie sich auf der Hochzeit von Mathias und Elisabeth Cilli das erste Mal gesehen, und gestern Abend hatten sie dort vor einem eilig gerufenen Priester den Kreis wieder geschlossen. Liebevoll strich er ihr über die Wange. Ein Band aus Goldbrokat schmiegte sich um ihre Stirn und fasste die Haube ein, die züchtig ihr Haar verbarg. Die Kopfbedeckung zeugte von ihrer neuen Frauenwürde, und wie alle Frischverheirateten trug sie die Haube voller Stolz.

Die rasche Hochzeit war unerlässlich gewesen, um Pavel und allen anderen Werwölfen Gábors alleinigen Anspruch auf die Wolfsfrau zu signalisieren. Aber auch für sie beide hätte es nichts Richtigeres geben können. Ich werde immer dein sein. Dieses Versprechen hatte Gábor Veronika gegeben, und nun, da sie seine Frau war, wusste er, dass sie ihm endlich vorbehaltlos glaubte.

Sie schwangen sich auf ihre Pferde und ritten hinaus auf die Gasse. Dort warteten die Soldaten des Königs, um sie zum Hafen zu eskortieren. Zu dieser Zeit waren die Straßen noch leer und sie kamen schnell voran.

Am Hafen stand die Barke des Königs für die Passagiere bereit. Die Werwölfe stiegen von ihren Pferden und näherten sich dem Steg, doch bevor sie ihn erreichten, rief Gábor sein Rudel mit einem leisen Zischen zur Vorsicht auf. Sie zogen sich unter das schützende Vordach einer Hafenscheune zurück, während die Soldaten sich im Schatten der Hafenmauer postierten.

»Dort!« Er hatte die Augen zusammengekniffen. Auf der gegenüberliegenden Seite der Donau, am Anlegesteg des Dorfes Pest, tummelten sich Reiter.

»Pavel.« Miklos legte die Hand auf seinen Dolch.

Auch Arpad hatte sich wachsam aufgerichtet. Er mahlte mit den Zähnen. »Wir sollten gegen ihn kämpfen«, knurrte er.

Doch Gábor schüttelte den Kopf. Gegen einen Ältesten kam keiner von ihnen an.

Er sah prüfend zum Himmel. Der Wind war auf ihrer Seite. Wie Pavel kam er von Pest, so dass der Älteste sie wohl noch nicht riechen konnte. Jedenfalls schien er nicht zu zögern. Pferde wieherten, Kommandos wurden gerufen. Sie beobachteten, wie ein knappes Dutzend Männer auf der gegenüberliegenden Seite in ein Fährboot stiegen. Das Wasser schwappte gurgelnd und gleichgültig, während sie herüberruderten. Gábor duckte sich tiefer, während das Boot endlich am Hafen von Buda anlegte.

»Im Namen des Königs! Anhalten!« Plötzlich gellte der Befehl des Hauptmanns durch die Luft. Soldaten sprangen über die Mauer, griffen nach Schwertern und Lanzen, Bogenschützen richteten ihre Pfeile auf die Männer, die gerade ans Ufer stiegen.

»Was soll das?« Pavel brüllte vor überraschtem Zorn. Hinter ihm drängten sich fluchend seine Männer. Sie griffen nach ihren Waffen. Doch Gábor sah, wie der Älteste die Hand hob. Der Blick des Feldherrn glitt stechend über die menschlichen Soldaten, über das königliche Emblem auf ihren Mänteln, dann zurück zum Fährboot, das jedoch niemals schnell genug wäre, um den Pfeilen der Menschen zu entkommen. Plötzlich heftete Pavel seinen Blick auf den Schatten, in dem Gábor stand. Seine Augen glühten gelb. »Gábor.« Er knurrte. »Du steckst dahinter.« Obwohl er leise sprach, hörte Gábor seine Stimme so deutlich, als stünde er neben ihm.

Während mehr als fünfzig Soldaten das Rudel des Ältesten umringten, trat Gábor gesenkten Blickes vor. Er würde Pavel nicht damit provozieren, ihm direkt in die Augen zu sehen. Er bemühte sich, ruhig zu bleiben. Die menschlichen Soldaten könnten Pavel nicht wirklich zurückhalten, könnten trotz ihrer Übermacht gegen die wölfischen Kräfte seines Rudels nur Minuten bestehen. Doch Pavel war nicht dumm. Ihm musste das Aufsehen bewusst sein, das er mit einem Gemetzel mitten in Buda erregen würde, er musste wissen, dass er mit einem Blutbad unter königlichen Soldaten einen Krieg zwischen Böhmen und Ungarn riskierte.

Obwohl Gábor einen Steinwurf entfernt war, brandete Pavels Wut wie ein Wintersturm über ihn hinweg. Er ballte die Fäuste, kämpfte mit einem tiefen Atemzug gegen den Instinkt seines Wolfs an, sich zu ducken.

»Zurück«, zischte er, als Arpad nach vorne drängen wollte. Sie durften Pavel nicht näher kommen, durften ihm nicht die Macht geben, ihre Wölfe zu unterwerfen. Stattdessen bewegte er sich langsam seitwärts, auf die Barke des Königs zu. Sein Rudel folgte seinen Bewegungen wie ein Schatten.

Pavel trat einen Schritt nach vorne, doch sofort schnitten ihm die Soldaten den Weg ab.

»Feigling, versteckst dich hinter dem König«, schrie er. Er knurrte und belferte. »Gib mir das Weib!« Anscheinend hatte er Veronika hinter Gábors Rücken erblickt.

»Sie gehört zu mir.« Gábor erhob seine Stimme nicht und die Worte kamen nur zäh über seine Lippen. Sein Wolf jaulte vor Angst. Doch niemals würde er Veronika hergeben! »Du siehst ihre Haube und den Ring an ihrem Finger. Niemand kann trennen, was der Herr zusammengefügt hat.«

»Mit deinem Türkenblut schändest du die Prophezeiung«, Pavel spuckte auf den Boden. »Euer Kind wird verflucht sein!«

Gábor spürte, wie Veronika hinter ihm erzitterte. Er blieb stehen. Er wusste, es war ein Fehler, doch er blickte auf, sah Pavel in die Augen. »Ich bin, wer ich bin«, rief er. »Und unser Kind wird zu Großem bestimmt sein.« Er atmete tief durch. »Ich bin hier, um dir das zu sagen: Wir werden keinem Bund angehören, der unsere Verbindung nicht akzeptiert!«

»Pah!« Pavel lachte bellend auf. »Glaubst du, mich interessiert, was du willst? Du wirst das Weib nicht mehr anrühren. Du wirst«, seine Augen blitzten zu Arpad hinüber, »den Türken töten. Danach werden wir weiterreden.«

»Nein!« Gábors Ruf gellte wie ein Vogelschrei über die Köpfe hinweg. Hell und fremd zitterte er in seinen Ohren. Er hielt den Atem an. Keiner der Männer im Hafen regte sich. Selbst der Wind schien zu verstummen.

»Du wagst es, mir zu widersprechen?« Pavels Brüllen durchschnitt unbarmherzig die Stille. »Komm her und unterwirf dich mir und dem Bund, ich befehle es dir!«

Gábor verschränkte die Arme, unterdrückte damit das Beben seines Wolfs. Trotz der Distanz fegte Pavels Dominanz wie ein Sturm über ihn hinweg. Er presste die Lippen zusammen. Er durfte dem uralten Instinkt nicht nachgeben, durfte nicht zerstören, was ihm wichtiger war als selbst das Wolfsblut. Ein Schritt, ein Schritt nur, um den Bann zu brechen. Doch als er den Fuß hob, führte er ihn nicht zur königlichen Barke hin, sondern auf Pavel zu. Er hörte Miklos und Arpad keuchen. Für einen Moment schien alles in der Schwebe.

»Glaubst du wirklich, du kannst Gábor noch dazu zwingen?« Plötzlich trat Veronika vor ihn. Sie hatte den Kopf hoch erhoben. Die Auserwählte, als Einzige widerstand sie Pavels Wut. »Der Bund ist doch nur eine Farce! Du glaubst selbst nicht mehr an ihn. Oder wissen die anderen Ältesten, was Ladislaus in Prag wirklich zugestoßen ist?«

Pavel verengte die Augen. »Was soll das?«, brüllte er. Sie hatte ihn abgelenkt, seine Wut war nicht mehr länger auf Gábor gerichtet. Er schnappte erleichtert nach Luft und setzte sich in Bewegung. Auf die königliche Barke zu. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Miklos und Arpad ihm folgten.

»Treib keine Spielchen mit mir, dummes Weib«, rief Pavel.

Veronika schüttelte den Kopf. »Die Zeit für Spiele ist vorbei«, entgegnete sie. »Keiner von uns wird jemals mehr den Kopf vor dir beugen.«

Sie fuhr herum und war mit wenigen Sätzen im Boot, wo ihr Rudel bereits auf sie wartete. Ihre grauen Augen blitzten. »Ihr Hunde«, brüllte Pavel ihnen hinterher. »Vermaledeite Türken!«

Seine Werwölfe griffen zu ihren Waffen, brüllten und knurrten die Soldaten an, die ihren Kreis erstickend eng um die Männer gezogen hatten. Schwerter und Kettenhemden glitzerten in den ersten Strahlen der Morgensonne. Doch sie kämpften nicht. Und Pavel verstummte. Gábor warf ihm einen letzten wachsamen Blick zu, als ihr Boot ablegte.

In den gelben Augen des Ältesten schimmerte nichts als Hass. Ich werde euch kriegen.

 

Veronika fühlte Gábors kräftige Hand in der ihren, während sie aus dem Boot stiegen und auf den Pester Wald zuliefen. Über ihnen stand warm und verheißungsvoll die Morgensonne. Dann tauchten sie ein in den Schatten der Bäume. Blätter raschelten unter ihren Füßen, Vögel ließen aufgeschreckte Rufe ertönen. Im Laufschritt überquerten sie den verwaisten Lagerplatz der Roma. Miklos lächelte ihr zu, während er über einen Bachlauf sprang und sich bereits seine Tunika am Kragen aufriss. Selbst das so grimmige Gesicht des Janitscharen, der mit seinem roten Haar so irritierend wenig türkisch wirkte, sah erleichtert aus. Ob sie ihm trauen konnte, hatte Veronika noch nicht entschieden. Doch ihre Wölfin wusste es bereits. Unser Rudel, flüsterte sie.

Sie blickte zu Gábor auf, der neben ihr stehen geblieben war. In seinen dunklen Augen stand es geschrieben: Sie waren frei, heute, jetzt. Selbst wenn es nur eine Atempause war, bis Pavel sich an ihre Fersen heftete. Aber wenn sie weit genug rannten, würde auch ihr Kind frei sein. Es würde selbst entscheiden können, ob es der Prophezeiung folgen wollte.

Gábor grollte und knurrte, legte den Kopf in den Nacken, während sein Wolf nach vorne kam. Und auch sie überließ sich nun der wilden Kraft ihrer Wölfin, heulte ihre Freude in die Sommerluft hinaus.

Es war vorbei. Es konnte beginnen.