34. Kapitel
Veronika blieb im Schatten einer Hauswand stehen. Obwohl ihre Lunge schier platzte, hielt sie den Atem an und lauschte. Außer dem Poltern ihres Herzens hörte sie nichts.
Sie war kreuz und quer durch Gassen gelaufen, die sie selbst kaum kannte, und nur der Instinkt ihrer Wölfin hatte sie geführt. Es erschien ihr fast zu einfach, dass sie ihre Verfolger abgeschüttelt haben sollte, als wären die beiden Werwölfe blind und taub wie Menschen.
Rasch machte sie sich zu Michael Szilagyis Haus auf. Sie war ohnehin schon in der Nähe, sogar so nah, dass sie während der Flucht Licht aus einer der Luken der Turmstube hatte blitzen sehen. Nur Michael konnte sich dort aufhalten. Als sie den Platz erreichte und zur Eingangspforte trat, überlegte sie, wie er auf ihren späten Besuch reagieren mochte. Sie hatte sein Haus vor Wochen im Streit verlassen. Dann war sie zum König gezogen, der sich kurz darauf von seinem Onkel distanzierte. Seitdem hatte sie mit Michael nicht mehr gesprochen. Trotz allem, was vorgefallen war, hatte sie Mitleid mit ihm verspürt. Wenn er die Unterstützung des Königs nicht zurückgewann, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis ihn der Reichstag auffordern würde, das Amt des Regenten niederzulegen. Und wenn sie auch jeden Grund hatte, wütend auf ihn zu sein, war er doch immer noch ein Werwolf aus ihrem Rudel.
Sie verstand selbst nicht, warum sie einen Moment zögerte, ehe sie an die Pforte klopfte. Es war die richtige Entscheidung, zu Michael zu gehen. Er würde der Sache mit Drăculeas Werwölfen auf den Grund gehen, schon allein, um damit wieder das Vertrauen seines königlichen Neffen zu gewinnen.
Ein Werwolf öffnete die Tür und musterte sie überrascht.
»Ich muss zu Michael«, verlangte sie, und ehe er etwas sagen konnte, schob sie sich an ihm vorbei, rannte in den Hinterhof und eilte dann zur Stiege, die zum Turm führte. Die Holzstufen knarrten unter ihren Füßen, als sie hinauflief.
»Wartet«, rief der Mann hinter ihr her, doch sie beachtete ihn nicht. Auch wenn sie wusste, dass Michael im Turmzimmer niemals gestört werden wollte, war ihr Anliegen doch wichtig genug, um ihr Eindringen dort zu rechtfertigen. Am oberen Ende der Stiege war es so finster, dass sie kaum die Stufen sah. Sie tastete sich vorwärts, bis sie über sich die Luke zum Turmzimmer fühlte. Zwei Mal klopfte sie dagegen, ehe Michael sie aufriss.
»Wer wagt es …«, brüllte er, dann weiteten sich seine Augen vor Überraschung. »Veronika.« Nur einen Moment später verengte er seine Augen wieder. »Was wollt Ihr?«
Sie sah keinen Sinn darin, groß herumzureden. »Zwei fremde Werwölfe sind in der Stadt«, stieß sie hervor. »Einer von ihnen war bei Drăculea. Ich bin ihnen gerade entwischt.«
»Was?« Michael trat einen Schritt zurück. Sein Gesicht spiegelte blanke Bestürzung. »Kommt herein«, sagte er. »Erzählt mir alles.«
Sie stieg durch die Luke hinauf und sah sich neugierig um. Die Wände waren nicht verputzt, und das grobe Mauerwerk verlieh dem Raum eine düstere Kargheit. Das Lichterspiel der Kerzen ließ unförmige Schatten über die Wände tanzen. Sie sah ein schmales Pult, zwei Hocker und einen einfachen Strohsack. Einige Truhen und ein Kohlebecken, dessen Asche wohl seit dem Winter nicht mehr beseitigt worden war, vervollständigten die Einrichtung.
Und unter dem Rauch der Kerzen und dem trockenen Staub, der den Truhen entstieg, in denen wohl Bücher lagerten, roch sie einen Geruch, den sie schon vergessen geglaubt hatte: Die herbe, etwas saure Duftnote des verstorbenen Grafen Hunyadi. Die unzähligen Stunden in diesem Raum schienen die Mauern mit seiner Gegenwart durchtränkt zu haben. Michael, der unter der niedrigen Decke nur gebeugt stehen konnte, schien ein Fremdkörper in diesem Zimmer zu sein.
Sie lehnte den Wein ab, den er ihr anbot, und begann von den Männern zu erzählen, der Verfolgung durch Buda, die sich bald in eine Flucht verwandelt hatte. Einzig ihr Handgemenge mit dem König erwähnte sie nicht.
Während sie redete, fiel ihr erstmals die verwunderliche Form des Zimmers auf. Es war halbrund, wie ein Kreis, der in der Mitte geteilt worden war. Nur an der gewölbten Seite befanden sich schmale Fensterluken, durch die das Licht der Kerzen von der Straße aus sichtbar war. Die andere Seite des Raums war aus hellerem Stein gemauert, und die Wand schien jünger als die anderen Mauern zu sein. Einzig eine massive Tür aus Eisen durchbrach die Steine. Dahinter musste sich die andere Hälfte des runden Turmzimmers verbergen. Außerdem sah sie noch eine Klappe, kaum hüfthoch, die an der gewölbten Seite nach draußen aufs Dach führte.
»Diese Werwölfe müssen einem fremden Rudel angehören«, schloss sie. »Allerdings können sie noch nicht lange dazugehören, sonst hätten sie niemals so schnell meine Spur verloren. Wer weiß, wo sie hinwollten.«
»Wer weiß«, wiederholte Michael. Er hatte die Fäuste geballt und ging im Raum auf und ab. Die Unruhe, die sein massiger Körper ausstrahlte, ließ auch Veronikas Wölfin nervös werden. Doch er hörte ihr zu, und er schien die Bedrohung durch die fremden Werwölfe ernst zu nehmen. Erleichterung durchströmte sie.
»Ich werde mich darum kümmern«, versprach Michael endlich. »Ihr solltet zurück zum König, ehe er Euch vermisst.«
»Ich gehe nicht zurück.« Sie hatte ihm das eigentlich nicht sagen wollen, doch nun war es zu spät. »Ich werde mit Paulo die Stadt verlassen.«
Er hielt in seinem Marsch inne. »Heißt das, Ihr seid schwanger?«, fragte er. Sie sah Erstaunen in seinem Blick, und noch etwas anderes, etwas Lauerndes, das ihr nicht gefiel.
»Nein«, sagte sie und kniff die Augen zusammen. »Ich bin immer noch unberührt. Aber ich weiß nicht, was Euch das angeht.«
»Nichts.« Er hob entschuldigend die Hände. Plötzlich grinste er. »Mich interessiert nur das Glück meines Neffen.«
Skeptisch hob sie die Augenbrauen. »Euer eigenes Glück ist Euch auch nicht ganz unwichtig, nehme ich an«, ergänzte sie. »Haltet Euch aus meinen Belangen heraus, so wie ich mich nicht in Eure Beziehung zum König einmische.«
Plötzlich verfärbten sich seine Augen dunkel. »Beziehung«, grollte er. »So kann man das wohl kaum mehr nennen. Und Ihr wisst genauso gut wie ich, wer schuld daran ist.«
Er meinte Gábor. Ihre Wölfin drängte knurrend nach vorne. Sie würde nicht zulassen, dass er ihren Gefährten erneut beleidigte. Veronika hob die Hände, womit sie sowohl Michael als auch sich selbst besänftigen wollte.
»Lasst uns nicht streiten«, sagte sie. »Wichtig ist für mich nur, dass Ihr Drăculeas wölfische Kumpane findet. Sie sind nicht nur eine Gefahr für den König, sondern auch für uns.«
Ehe Michael etwas erwidern konnte, schlug jemand unten mit lärmender Kraft an die Haustür. Paulo! Er musste endlich angekommen sein. Veronika atmete erleichtert auf.
Michael indes schien erstarrt zu sein. Stimmen erklangen, zu gedämpft, um sie zu verstehen.
»Ihr wartet hier!« Michael stürmte an ihr vorbei, und bevor sie begriff, warum er so aufgeregt tat, zog er schon die Luke hinter sich zu. Ein ratschendes Geräusch erklang, wie … wie von einem Riegel, der vorgeschoben wurde.
Sie eilte hinter ihm her und packte den Eisenring, der in die Luke eingelassen war. Doch die Luke rührte sich nicht.
»Michael«, rief sie, doch sie hörte ihn die Stiege hinunterpoltern. Er konnte sie doch nicht einfach einschließen! Erneut zog sie an dem Ring, konzentrierte all ihre Wut. Glaubte er, er könne ihr Befehle erteilen, als wäre sie ein verschüchtertes Menschenmädchen? Diese Zeit war lange vorbei. Da – das Holz bewegte sich. Sie schloss die Augen. Noch einmal. Mit einem Knirschen gab der Riegel endlich nach. Außer Atem hob sie die Luke an.
Die Stimmen waren lauter geworden. Paulo war nicht darunter. Auf einmal wurde ihr kalt.
Sie raffte ihren Rock und glitt lautlos die Stiege hinunter, folgte dann jedoch nicht dem Gang, der an ihren ehemaligen Gemächern vorbeiführte, sondern nahm die hölzerne Dienstbotentreppe hinab in den Hinterhof. Durch den Hintereingang schlich sie vom Hof ins Haus, folgte dem dunklen Flur zum Saal, wo sie mehrere Personen hörte. Trotz der Mauer, die sie von ihnen trennte, konnte sie jetzt die ersten Worte verstehen.
»Verschwindet«, zischte Michael so durchdringend, dass sie zusammenzuckte. »Sie darf euch hier nicht sehen.«
Empört stieß sie eine Seitentür zum Saal auf. »Wen darf ich nicht sehen?«
Alle weiteren Worte blieben ihr in der Kehle stecken. Fünf Männer befanden sich im Saal. Michael war da, flankiert von zwei seiner Rudelmitglieder. Doch es waren die anderen beiden Werwölfe, die sie mit aufgerissenem Mund anstarrte. Sie wollte, sie konnte es nicht glauben.
»Veronika.« Michael trat einen Schritt auf sie zu. Es war sein Gesichtsausdruck, während er nach einer Ausrede suchte, der ihre letzten Zweifel beseitigte.
»Verräter!«, keuchte sie. Sie hielt sich am Türrahmen fest, als die Wölfin in ihrem Inneren zu toben begann. Michael steckte dahinter, ausgerechnet er. Sie hatte ihm vertraut, sie hatte ihn einst ihren Freund genannt. Enttäuschung durchströmte sie, verwandelte sich in wütenden Hass. »Sie gehören zu Euch, nicht wahr? Ihr seid es, der mit Drăculea im Bunde steht!«, schrie sie. Ihre Wut trieb sie nach vorne, auf ihn zu. Sie hob die Fäuste. »Ich werde dem König davon erzählen. Ich werde …«
»Du wirst gar nichts tun«, sagte er grob. Seine Augen waren dunkel geworden. Der Wolf sprach aus ihnen.
Jetzt erst erkannte sie, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Ihr Zorn zerstob wie ein Schwarm Vögel unter dem Ansturm der Furcht. Michael war stärker als sie, und er hatte ein Rudel. Sie senkte den Kopf, hob einen Fuß, um ihn vorsichtig nach hinten zu setzen. Sie wollte die Männer nicht reizen. Ein zu rascher Rückzug würde sofort deren Jagdinstinkt auslösen.
»Packt sie«, brüllte Michael.
Veronika fuhr herum und stürzte zur Tür. Ihre nackten Füße berührten bereits die Schwelle, als einer der Männer ihren bauschenden Rock zu fassen bekam. Der Stoff riss, doch der Ruck brachte sie ins Stolpern. Im nächsten Augenblick fasste ein anderer Mann sie um die Hüfte. Sie schrie auf und fuhr ihm mit den Fingernägeln durchs Gesicht. Sie roch sein Blut, und als er vor Schmerz brüllte, steigerte das ihre Angst und Wut zur Raserei. Sie trat mit den Beinen um sich. Einer ihrer nackten Füße knallte gegen den Türrahmen, an dem scharfkantigen Holz riss sie sich die Haut auf. Sie spürte den Schmerz nicht. Keuchend und knurrend warf sie sich im Gefängnis der Arme herum. Blut, heulte die Wölfin. Heller Pelz spross aus ihren Armen, bedeckte rasch ihren ganzen Körper. Plötzlich packte jemand ihr Haar und riss ihren Kopf zurück.
»Genug, Wildfang.« Michaels Gesicht war ganz nah vor ihr. Sie schnappte nach ihm und jaulte dann vor Schmerz auf, als er brutal ihren Kiefer packte. Seine Augen waren immer noch dunkel. »Das wollte ich eigentlich vermeiden«, knurrte er.
Doch sie wusste, dass das nicht stimmte. Sie roch seine Erregung, als er auf ihren Mund starrte, auf ihre Brust, die sich unter ihrem raschen Atem hob und senkte. Jetzt roch sie auch die Gier der anderen Männer. Überall waren ihre Hände an ihr, ihre Hitze, ihr Schweiß. Ihr Herz raste vor Angst, und sie wusste, sie konnten es hören. Sie strampelte verzweifelt, doch sie spürte, wie ihre Gegenwehr die Wolfstriebe der Männer nur noch verstärkte. Gegen jeden Instinkt zwang sie ihren Körper dazu, zu erschlaffen.
»Lasst. Mich. Gehen«, stieß sie zwischen den Zähnen hervor.
»Tut mir leid.« In Michaels Augen tanzten helle Flecken. Er hielt immer noch ihr Gesicht fest, schob sich näher an sie heran. Er fletschte die Zähne, und für einen Moment glaubte sie, er wolle sie beißen. Stattdessen verharrte er, ließ seinen heißen Atem über ihr Gesicht streifen.
»Schade«, murmelte er und strich mit dem Daumen grob über ihre Lippen. »Ich sollte dich erst einmal aufsparen.« Er wandte sich abrupt ab, und Veronika konnte ein erleichtertes Japsen nicht unterdrücken. Seine Männer stießen ein enttäuschtes Winseln aus, bevor auch sie wie durch ein unsichtbares Kommando ein Stück zurückwichen. Plötzlich ohne Halt, brach Veronika in die Knie.
»Ihr bringt sie nach oben«, befahl Michael den beiden fremden Werwölfen. »Ins zweite Turmzimmer. Hinter den doppelten Wänden wird sie keiner hören.«
»Was habt Ihr vor?«, rief sie. »Und wer sind die?« Voller Hass starrte sie die beiden Walachen an, als sie mit groben Händen nach ihr griffen. In ihren tumben Gesichtern stand immer noch Gier, doch mehr noch der Eifer, Michael zu gehorchen. Ihr Körper versteifte sich unter den Händen der Männer, erneut fletschte sie die Zähne.
Erst glaubte sie nicht, dass er ihr antworten würde, doch dann ließ er sich doch dazu herab. »Zwei von Drăculeas Leibwachen.« Als er sie ansah, waren seine Augen wieder menschlich, leblos und blau. »Es gehört zu unserem Abkommen, dass ich sie gebissen habe. Jetzt dienen sie uns beiden.«
»Abkommen.« Sie sprach das Wort voller Abscheu. »Was ist nur in dich gefahren, Mathias so zu verraten?«
Er musterte sie, und in seinem Blick lag nicht das geringste bisschen Wärme. »Ich habe mich von Anfang an für Mathias eingesetzt. Nur dank mir ist er überhaupt König geworden.« Sein Mund war ein harter, dünner Strich. »Und wie dankt er es mir, seinem eigenen Onkel? Er lässt sich von Gábor gegen mich aufhetzen. Bevor er mir alle Macht entzieht, musste ich mich anderweitig absichern.«
»Absichern?«, rief sie. »Ist dir denn nichts heilig? Drăculea hat deinen Ältesten getötet, und er ist mit den Türken im Bunde.«
»Die Türken, die Türken.« Er verengte die Augen. »Aus dir spricht nur Gábors Erziehung, Kleine. Kriege wird es immer geben. Wer schlau ist, verwettet nicht sein Leben auf die eine oder die andere Seite. Und Viktor hat dieses Leben schon vor langer Zeit verlassen, als er beschlossen hat, sich wie ein geprügelter Hund zu verstecken. Ich bin ein Wolf.« Er hob seine Stimme. »Gábor und Viktor haben niemals verstanden, was das bedeutet. Drăculea schon. Und es gibt andere Wölfe dort draußen, wusstest du das?« Er blitzte sie an. »Wölfe, die sich einen Dreck um den Wolfsbund scheren. Der Bund, pah!« Er spuckte aus. »Wenn der bedeutet, dass ich den Rücken weiter vor undankbarem Menschenpack krümmen muss, dann pfeife ich darauf. Und jetzt schafft sie aus meinen Augen, ehe ich mich doch noch vergesse.«
»Wird er durchhalten?«, fragte Miklos leise.
Arpad wirkte selbst im rötlichen Schein des Lagerfeuers leichenbleich. Er warf sich unruhig hin und her, und unter den geschlossenen Lidern zuckten seine Augen. Die Hitze seines Fiebers drang bis zu Gábor herüber.
Gábor runzelte die Stirn, dann nickte er. »Er hält sich sogar besser, als ich gedacht habe.«
Seit drei Tagen waren sie nun unterwegs, und Arpads Zustand hatte sich stetig verschlechtert. Sie waren Tag und Nacht geritten, und Gábor und Miklos hatten den Türken abwechselnd vor sich auf ihre Pferde gesetzt, während er zwischen Bewusstlosigkeit und fiebrigen Dämmerzuständen schwankte. Doch Gábor wusste, dass das Fieber zuerst tagelang anstieg, um dann plötzlich abzuklingen, und die Wunden, die ihm Pavel zugefügt hatte, waren fast verheilt. Arpads Körper verströmte inzwischen sogar schon das dunkle Aroma eines Wolfs. Bald würde er aufwachen.
Und dann würde Gábor wissen, wie groß der Fehler gewesen war, ihn zu beißen.
Er seufzte und legte sich auf seine Decke. Dunkle Wolken verdeckten über ihnen den Nachthimmel. Er starrte in die zuckenden Flammen des Feuers, auf die Schatten, die dahinter über die Felsen geisterten. Pavels Männer folgten ihnen sicherlich, doch ihr Lagerplatz war auf allen Seiten von Felsen umstanden, so dass der Lichtschein ihres Feuers nicht hinausdrang. Nur brauchten Pavels Werwölfe kein Licht, um sie zu finden. Wie lange hatten sie wohl noch, bis sie eingeholt wurden? Er dachte an Marko. Er hatte ihn gestern fortgeschickt, in der Hoffnung, dass ihm alleine niemand folgen würde.
Der Roma hatte Einfallsreichtum bewiesen, als er die schnellsten Pferde gestohlen und alle anderen durch die Pforte in den Sumpf gejagt hatte. Bestimmt hatte er damit ihren Vorsprung um einige Stunden vergrößert. Doch wenn es zu einem Kampf mit den Werwölfen kam, hatte der Roma neben Arpad die geringsten Aussichten zu überleben. Genau genommen war es unwahrscheinlich, dass überhaupt einer von ihnen einen Kampf mit Pavels Rudel überstand, und so war es am besten gewesen, ihn wegzuschicken.
Gábor schloss die Augen. Dies alles wegen eines verlogenen Türken, der ihm in seiner Erinnerung viel eindrucksvoller erschienen war als in Wirklichkeit. In den letzten Tagen war ihm klargeworden, dass sein Hass auf Arpad vor allem auf Angst beruht hatte. Er hatte den Mann gefürchtet, der das darstellte, was aus Gábor hätte werden können. Sein dunkles Spiegelbild. Er atmete tief ein, roch den dunklen Duft seines eigenen Wolfs. Er erschien ihm fremd.
Finde heraus, wer du bist, hatte Veronika zu ihm gesagt. Doch die Reise nach Isaccea hatte genau das Gegenteil bewirkt. Er wusste kaum noch, wer er war. Nie hätte er gedacht, dass er dazu imstande war, in einem Moment der höchsten Spannung und Frustration all das beiseitezustoßen, woran er glaubte. Doch er hatte es getan. Er hatte Miklos’ Urteil vertraut und den Türken gebissen.
»Gábor.« Miklos’ Stimme unterbrach seine Gedanken. »Er wacht auf.«
Er richtete sich auf und sah hinüber. Tatsächlich, Arpads Augenlider flatterten. »Su«, krächzte er. »Su.«
Gábor starrte Arpad an, sein rotes, verfilztes Haar, den verschleierten Blick.
»Gábor?«, drang Miklos’ Stimme fragend an sein Ohr.
Er schüttelte den Kopf und antwortete: »Wasser. Er will etwas trinken.«
Miklos sprang auf, um einen Lederschlauch mit Wasser zu holen und ihn dann an Arpads Mund zu halten. Gierig schluckte der Türke, leckte sich über die aufgerissenen Lippen. Endlich klärte sich sein Blick.
»Sein Fieber ist zurückgegangen«, rief Miklos ungläubig. Und auch Gábor spürte es: Die Hitze, die von Arpad ausging, war wesentlich geringer geworden.
»Du!« Arpad blinzelte Gábor verwundert an. Er klang heiser. »Du hast mich tatsächlich gebissen.«
Gábor nickte kühl. »Wir haben eine Vereinbarung.«
Wenn Arpad ihm alles erzählt hatte, konnte er immer noch entscheiden, ob er ihn am Leben lassen wollte.
Arpad schien ihn nicht gehört zu haben. Mit aufgerissenen Augen starrte er in die Dunkelheit außerhalb des Feuers, auf die kargen Felsen, die sich um sie erhoben. »Verdamm’ mich, ich seh jeden einzelnen Stein.« Er fuhr sich über die Augen. »Jede Ritze. Und da …« Er beugte den Kopf. »Ein Karnickel dort draußen, das riecht wie Fastenbrechen nach Ramadān.«
Er wurde still und schaute weiter um sich, mit großen Augen und halboffenem Mund. Er schien die ganzen Eindrücke erst verdauen zu müssen.
Miklos grinste, doch Gábor schüttelte den Kopf. Der Türke spielte doch nur den harmlosen Bauernburschen.
»Miklos.« Arpad räusperte sich. »Hast du was zu essen für mich?«
Der Junge nickte und reichte ihm rasch einige Streifen Trockenfleisch. Arpad seufzte behaglich, als er seine Zähne darin versenkte.
»Erzähl es mir«, forderte Gábor ihn auf, als er den ersten Bissen runtergeschluckt hatte. Er wollte nicht mehr länger warten. »Wer will mich umbringen?«
Arpad musterte ihn. In seinen hellbraunen Augen spiegelte sich das Feuer. Gábor wusste nicht, was er darin las. Es war kein Hass, keine Angst, so viel stand fest. War es – Mitgefühl?
»Ich fang lieber am Anfang an.« Arpad leckte sich einige Fasern Fleisch von den rissigen Lippen und nahm noch einen Bissen, bevor er zu erzählen begann. »Damals, als du fortgelaufen bist, hab ich dich nicht verpfiffen. Zwei Stunden hat es gedauert, bis sie bemerkt haben, dass du weg warst. Allah weiß, unser Ausbilder war stinksauer. Aber keiner hat dich wiedergesehen, und so dachte er, dass du tot bist. Nachdem wir Semendria geplündert haben, ließ mich plötzlich einer der Yayabaşı von seiner Leibwache abholen. Sie brachten mich ins Heerlager, in eines der prächtigsten Zelte. Dort wartete der Yayabaşı mit einem Wesir, einem alten Mann mit kalten Augen. Sein Blick war so finster, dass ich mir fast in meine Pluderhosen gemacht hätte. Der Wesir fragte mich, ob ich sicher bin, dass du es warst, der abgehauen ist. Er nannte deinen Namen und beschrieb, wie du aussahst. Es kam mir so vor, als ob er alles über dich wüsste. Als ich ihn fragte, warum er das wissen wollte, gab er mir eine Ohrfeige.« Er knurrte, und Gábor fragte sich, ob Arpad bemerkte, welch wölfisches Geräusch das war. »Ich sagte ihm, was er hören wollte, und dann jagte er mich hinaus. Allerdings«, Arpads Augen blitzten auf, »hab ich mich an den Wachen vorbeigedrückt und bin an der Rückseite wieder unters Zelt geschlüpft. Ich wollte doch hören, worum es bei der Geschichte wirklich ging.«
Gábor verschränkte die Arme. »Was hast du gehört?«, fragte er barsch, als der Türke nicht sofort weiterredete.
Arpad schnaubte, verkniff sich davon abgesehen aber jeden weiteren Kommentar. »Der Yayabaşı und der Wesir sprachen über dich. Und über deinen Vater. Ich dachte, ich spinne.« Er hob den Blick und sah Gábor direkt in die Augen. »Vielleicht glaubst du es mir nicht, aber dein Vater war der damalige Sultan Murad II., Murad der Große.«
Die Zeit schien stillzustehen. Nur das Feuer knackte, sprühte Funken in einem plötzlichen Windstoß, als wollte es über ihn lachen. Warum warnte ihn sein Instinkt nicht vor einer Lüge? Doch in Arpads offenem Blick hatte nicht die geringste Täuschung gelegen. Gábor wurde schwindelig, als hätte die Welt plötzlich ihren Halt verloren. Es konnte doch nicht wahr sein. Aber irgendetwas in ihm, vielleicht sein Wolf, schien dem Türken tatsächlich zu glauben. »Erklär es mir«, forderte er tonlos.
»Es hat Jahre gedauert, bis ich alle Details zusammenhatte, aber es hat sich wohl so zugetragen«, begann Arpad. »Murad war damals noch jung, als er dich zeugte. Zwar war er schon Sultan, doch in Kämpfe mit seinem Bruder verstrickt, der ihn nicht anerkennen wollte. Es gab einen Feldzug Richtung Ungarn, eine kleinere Sache, mit der er seinen Mut beweisen wollte. Ein Janitscharenführer plünderte unterwegs ein Dorf und raubte ein Mädchen namens Rósza, die wohl wirklich wie eine Rose unter den Bauernweibern blühte.«
Gábor biss sich so fest auf die Lippen, dass ihn der Schmerz wie ein Blitz durchzuckte. Rósza, das war der Name seiner Mutter gewesen, obwohl die Nachbarn sie meist nur abfällig Tüske genannt hatten, Dorn einer Rose.
»Im Heerlager sah Murad sie«, fuhr Arpad unterdessen fort. »Sie war nur eine Sklavin, doch sie erregte seine Aufmerksamkeit. Er kriegte natürlich, was er wollte, und ob es ihr gefiel oder nicht, ein paar Wochen lang durfte sie unter ihm liegen. Irgendwann fand er eine neue Rose, doch da hatte er ihr schon seinen Samen eingepflanzt. Du weißt, dass jedem Herzchen des Sultans die Kinder weggenommen werden. Ob Prinzessin oder Prinz, sie müssen alle im Harem des Sultans in Bursa aufwachsen.« Er grinste. »Anscheinend wollte Rósza dich aber behalten, und deshalb haute sie ab. Nur fiel ihr nichts Besseres ein, als in ihr Heimatdorf zurückzukehren. Sie verschwieg dort die Wahrheit, wahrscheinlich um dich zu schützen.«
Gábor blickte zur Seite, in die Dunkelheit jenseits des Feuers. Er sah dort das Gesicht seiner Mutter, ihren sanften Blick, wenn sie ihm übers Haar strich. All das Leid, das sie ertragen musste, hatte es nicht vermocht, ihre Liebe zu ihm zu schmälern.
»Für die Männer des Sultans war’s nicht schwer, sie zu finden«, fuhr Arpad fort. »Aber sie hielten sich versteckt, sonst wäre sie wohl erneut geflohen. Murad hatte beschlossen, dich in dem Dorf zu lassen, wo er dich in Sicherheit wähnte, solange er sich mit seinem Bruder stritt. Zwei Kinder von ihm waren nämlich bereits gestorben, man munkelte, an Gift. Nur wollte er auch nicht, dass du ein dummer christlicher Bauernjunge bleibst. Deshalb schickte er einen seiner Yayabaşı. Der sollte dich entführen und erst mal zum Janitschar machen. Dann starb Murads Bruder. Nach der Schlacht von Semendria wollte Murad dich zu seinen anderen beiden Söhnen an den Hof holen. Aber in Semendria bist du verschwunden …«, Arpad blies mit theatralischer Geste in die Hände, »wie ein Sandkorn im Wind. Tja, die ganze Zeit hast du gegen deine Familie gekämpft, erst gegen deinen Vater, und als der starb, gegen deinen jüngeren Halbbruder Mehmet.« Arpad zuckte mit den Schultern und biss dann wieder kräftig in das Trockenfleisch.
»Nenn sie nicht meine Familie«, presste Gábor zwischen den Zähnen hervor. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte Arpad ins Gesicht geschlagen, doch er bezweifelte, dass seine Knie ihn tragen würden.
»Und das Mordkomplott?«, fragte Miklos. Seine Stimme hörte sich zittrig an, er schien fast ebenso aufgewühlt wie Gábor zu sein.
»Ach das.« Arpad zögerte. Er sah einen Moment unsicher zur Seite, bevor er die Schultern straffte und Gábor wieder direkt in die Augen blickte. »Ich hab dich in Belgrad wiedererkannt, das weißt du. Du wolltest mich umbringen. Nach meiner Flucht bin ich zum alten Yayabaşı, der damals mit dem Wesir gesprochen hatte, und hab ihm von dir erzählt. Er gab mir guten Lohn dafür, denn er ist inzwischen selbst zum Wesir aufgestiegen. Er hat den Sultan informiert. Sultan Mehmet ist ein hitziger junger Mann mit einem Hang zu Verschwörungstheorien. Er ist es, der dahintersteckt.« Arpad atmete tief durch.
Gábor starrte ihn an, ohne ihn zu sehen. Der Sultan also. Sein … Bruder. Warum nicht gleich der Papst oder der deutsche Kaiser? Er spürte den irrwitzigen Drang zu lachen. Er hatte für dieses Wissen Pavels tödlichen Zorn riskiert. Aber ein mächtiger Feind mehr oder weniger, das spielte kaum mehr eine Rolle. Jetzt konnte er sich aussuchen, ob er es lieber mit dem ganzen türkischen Heer oder einem Ältesten und dessen Rudel aufnehmen wollte. Es machte nicht viel Unterschied.
»Solange du lebst, wird Mehmet wenig Ruhe haben«, fuhr Arpad fort. »Schließlich bist du der älteste männliche Nachkomme seines Vaters. Obwohl wahrscheinlich kein Türke einen Christ und Janitscharentöter wie dich als Sultan akzeptieren würde. Mehmets Spione meldeten, dass du dich nach Hunyadis Tod seinem Sohn Laszlo angeschlossen hattest. Doch dann wurde Laszlo von eurem König hingerichtet. Und du warst erneut verschwunden.« Arpad schnaubte. »Mehmet tobte vor Wut. Dann fiel ihm sein neuer Bündnispartner ein. Drăculea. Der hatte mehr Möglichkeiten, dich aufzuspüren. Ich wurde zu ihm geschickt und sollte seine Aktionen überwachen, als Mann des Sultans am walachischen Hof. Drăculea fiel fast aus seinen Holzschuhen, als er deinen Namen hörte. Er wusste, wer du warst, redete was von Werwölfen und seinem Erzfeind Viktor. Er bat mich, erst mal diesen Viktor zu töten. Ich stimmte zu. Auch wenn ich den Grafen für verrückt hielt, war ich doch neugierig. Nach Viktors Tod wusste ich Bescheid. Drăculea hatte recht gehabt. Und ich …« Er zögerte einen Moment. »Ich hatte langsam genug von überheblichen Sultanen und Grafen. Ich überlegte, dich auf eigene Faust zu suchen, doch dann kamen die Ungarn. Ihr Heer war zu groß und zu stark für Drăculea. Ich bin mit meinen Männern vorher abgehauen, schließlich hatte ich sicher nicht vor, mich für den Walachen zu opfern. Ich dachte eh nur noch an die Werwölfe, die ich gesehen hatte. Und an …« Er keuchte auf.
Gábor runzelte die Stirn, dann wurde ihm klar, was Arpad abgelenkt hatte. Er sah nach oben. Die Wolken hatten sich verzogen, und das Licht des Mondes tauchte das Gebirge in ein fahles Grau. Noch war der Mond hinter den Felsen verborgen, doch Arpad spürte bereits seine Kraft.
»Du wirst dich verwandeln«, sagte Gábor ruhig. »Noch heute Nacht.« Zumindest, wenn er es zuließ, doch das sagte er nicht laut.
Arpads Augen wurden groß. »Das ist verrückter als alles, was ich bisher erlebt habe«, flüsterte er. Dann grinste er. »So lange hab ich unter den Dächern der Türken gehaust, doch eigentlich bedeuten sie mir nichts. Das, was du bist, wollte ich sein. Stark genug, um kein Diener mehr sein zu müssen, der fremden Herren den Arsch abwischt.« Seine Augen blitzten, und er versuchte, sich aufzurichten. Wie schwach er auch gewesen sein mochte, das Wolfsblut schien ihm neue Kraft zu verleihen.
»Halt.« Gábor hob die Hand. »Erzähl erst zu Ende.«
Arpad seufzte, doch er ließ sich wieder sinken. »Als wir uns den Weg aus der belagerten Burg freikämpften, stolperte ich über die Roma«, sagte er. »Ich vergesse nie ein Gesicht. Also nahm ich sie mit und versuchte, mehr über die Wölfe herauszufinden. Sie schwiegen eisern, deshalb versuchte ich es anders. Ich mästete sie mit Informationen wie zwei Hammel vor dem Opferfest. Eigentlich wollte ich sie laufenlassen, damit sie dir alles brav weitererzählen und du dich auf die Suche nach mir machst. Doch dann kamen mir Miklos und seine Kumpane in die Quere. Den Rest kennst du.«
Gábor schwieg. Für eine Ewigkeit lauschte er dem Knistern der Flammen, dem Schrei einer Eule. Arpads Geschichte zog in dunklen Bildern an ihm vorüber. Er wusste, dass der Türke die Wahrheit erzählt hatte. Türke? Seinem Blut nach war Gábor mehr Türke als er. Und zuallererst war Arpad nun Werwolf, wie Miklos und Gábor auch. Er zögerte. Doch er musste eine Entscheidung treffen.
»Gábor«, flüsterte Miklos da.
Er fuhr zu ihm herum.
Miklos sah ihn mit großen Augen an. Unsicherheit stand darin. »Wenn Viktor und Pavel von deinem Vater erfahren haben, warum haben sie dir nichts von ihm erzählt?«
Gábor atmete tief ein. Diese sturen alten Männer. Vor allem Viktor. Er spürte keine Wut, nur Enttäuschung. So viele Jahre, in denen er sein Leben für ihn gegeben hätte. Ein Rudel, eine Familie. Daran hatte er geglaubt. Stattdessen war er nur Viktors Werkzeug gewesen, mehr Hund als Wolf und niemals Mensch genug, um ihm das Wissen über seine Herkunft anzuvertrauen. Hatte Viktor gedacht, dass Gábor dieses Wissen nutzen würde, um zurück zu den Türken zu gehen? Dass er bereit sei, für seinen fremden Erzeuger alles zu verraten, was Viktor ihn gelehrt hatte?
»Gábor«, keuchte Arpad plötzlich, doch er ignorierte ihn.
»Die Ältesten trauten mir nicht«, murmelte er.
»Wahrscheinlich.« Miklos starrte ihn immer noch an, die Augen aufgerissen. »Und als du dich der Prophezeiung verpflichtet hast, war der Punkt überschritten, an dem sie dir jemals die Wahrheit hätten sagen können.«
»Wie meinst du das?« Gábor runzelte die Stirn. Miklos’ Aufregung irritierte ihn. Als hätte der Junge etwas erkannt, was ihm verborgen blieb.
»Denk an das Königsblut«, rief Miklos ungeduldig aus. Er schüttelte den Kopf angesichts Gábors offensichtlicher Verständnislosigkeit. »Königsblut, Sultansblut. Das Kind aus der Prophezeiung, ein unheiliges Türkenbalg!«
Als der Mond das Rund der Felsen überschritt und die Lichtung in silbriges Licht tauchte, als Arpad sich aufrichtete und zu knurren begann, flüsterte Miklos eine einziges weiteres Wort: »Veronika!«
Und Gábor begriff. Er keuchte auf.
Die Welt schien sich zu verlangsamen, Farben und Gerüche sich zu einer neuen Intensität zu verdichten. Die warme Luft des Feuers strich wie ein trockener Kuss über sein Gesicht. Niemals, so schien es ihm, hatte er sich wacher gefühlt.
Er sprang auf, sah zum Mond hinauf, zu seiner immerwährenden Stärke. »Sie hat es gewusst, sie hat es immer schon gewusst«, flüsterte er zu ihm empor.
Arpad grollte, warf die Decke von seinem Körper und rollte sich auf alle viere. Rotes Fell spross auf seinen Armen, seinen Beinen, und er heulte auf, das Gesicht ebenfalls dem Mond zugewandt.
Gábor traf seine Entscheidung ohne jedes Zögern. Er griff an den Kragen seiner Tunika und riss ihn auseinander. Jeder Zentimeter seiner Haut schien zu bersten, als die Kraft seines Wolfs hervorbrach. Fell spross auch auf seinen Schultern, seinen Wangen, zwischen seinen Fingern. Die Gelenke streckten sich, als er in die Knie ging. Der Schmerz war nur ein schwaches Echo.
»Wir müssen zurück nach Buda!«, rief er Miklos zu. Seine Stimme war kaum noch menschlich.
Er warf den Kopf zurück. Sein Ruf wuchs an zu einem dunklen Geheul, als er sich in den Wolf verwandelte. Erzählte es von Triumph oder Schmerz? Er wusste es nicht. Auch Arpad galt sein Ruf, seinem neuen Bruder, an dessen menschliche Seite er keinen Gedanken mehr verschwendete.
Neben einem roten und einem goldenen Wolf brach er durchs Gebüsch, ein schwarzer Rüde mit Kohleaugen. Es zog ihn nach Westen, dort wo der Mond hing und seine Gefährtin auf ihn wartete.