24
Catherine hatte eben erst die Katze aus dem Sack gelassen, und Kaylee war vor Erstaunen der Mund offen stehen geblieben. Bevor sie Zeit gehabt hatte, sich von dem Schock zu erholen, war Sams Stimme zu vernehmen gewesen, und sie hatte Bobbys Pistole aus ihrer Handtasche gezogen, ohne auf den Protest von Bobby und Catherine zu achten. Und im nächsten Augenblick stand der Kopfgeldjäger auch schon mitten im Zimmer. Er war groß und machte einen finsteren und furchteinflößenden Eindruck, trotz des großen, etwas deplatziert wirkenden Tulpenstraußes in seiner Hand und des sanften Klangs seiner Stimme, als er nach Catherine rief.
Ihr Herz schlug so heftig, dass sie meinte, es müsste ihr gleich aus der Brust springen, er dagegen schien nicht besonders überrascht zu sein. »Kaylee MacPherson, nehme ich an«, sagte er gedehnt. Er ließ langsam die Hand mit dem Blumenstrauß sinken und sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. »Legen Sie die Pistole weg, bevor Sie noch jemanden verletzen«, befahl er barsch. Ohne weiter auf sie zu achten, so als hielte er es für selbstverständlich, dass sie seiner Aufforderung folgen würde, drehte er sich zu Catherine um und hielt ihr die in Zellophan gewickelten Tulpen hin. »Da«, knurrte er. »Die sind für dich. Tut mir Leid wegen vorhin - ich schätze mal, dass ich mich ziemlich dumm benommen habe.«
Catherine streckte die Hand aus, um das Geschenk entgegenzunehmen, und drückte den Strauß an ihre Brust. Dabei ließ sie keinen Moment die hin- und herwackelnde Waffe in Kaylees Hand aus den Augen. »Kaylee, bitte«, sagte sie in flehendem Ton.
Kaylee war es nicht gewohnt, dass ein Mann sie so völlig links liegen ließ. »Hören Sie, Freundchen«, sagte sie zu Sams abgewandtem Gesicht. »Wir wollen keine Schwierigkeiten. Wir wollen einfach nur Catherine mitnehmen, und dann sind wir auch schon verschwunden. Es muss nicht sein, dass jemand verletzt wird.«
Sam drehte den Kopf zu ihr herum und sah sie an. »Denken Sie sich was anderes aus, Lady. Sie nehmen Catherine nirgendwohin mit.«
Die wilde Entschlossenheit in seinen Augen ließ Kaylee einen Schritt zurücktreten. Gleich darauf hatte sie sich jedoch wieder gefangen, und sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und streckte Kinn und Brust vor. »Mister, ich bin hier diejenige, die eine Waffe hat. Sie brauchen sich nicht einzubilden, dass Sie mir Anweisungen geben können.«
Ehe sie sich's versah, blickte sie in die Mündung seiner Pistole, die er ihr direkt vor die Nase hielt. Du lieber Himmel, wo hatte er die denn auf einmal her? Sie hatte nicht einmal mitbekommen, dass er sie gezogen hatte. »Bobby.« Zu ihrer unendlichen Beschämung musste sie feststellen, dass ihre Stimme mehrere Oktaven höher war als sonst und schon bei der ersten Silbe brach.
Bobby machte Anstalten, sich aus seinem Sessel zu erheben, aber Sams knappe Aufforderung, sich wieder hinzusetzen, und die mit ruhiger Hand auf Kaylee gerichtete Pistole brachten ihn dazu, sich umgehend wieder in das Polster sinken zu lassen.
»Sam!« rief Catherine protestierend, aber er schenkte auch ihr keine Beachtung.
Er musterte Kaylee und fragte sich, wie er sie jemals mit Catherine hatte verwechseln können. Sie sahen sich sehr ähnlich, zweifellos. Aber wenn man eine von ihnen etwas besser kannte, fielen einem die Unterschiede sofort ins Auge. »Beugen Sie sich ganz langsam nach unten und legen Sie die Pistole auf den Boden«, wies er Kaylee an. Und als sie für seinen Geschmack nicht schnell genug reagierte, brüllte er: »Machen Sie schon!«
Sie tat wie ihr geheißen.
»Na also, und jetzt schieben Sie sie mit dem Fuß zu mir herüber.«
Verdrossen versetzte sie der Waffe einen Tritt, so dass se über den Teppich rutschte.
Sam hob sie auf und steckte sie zusammen mit seiner eigenen Waffe hinten in den Bund seiner Jeans. Dann straffte er die Schultern und grinste die drei Leute, die vor ihm standen, belustigt an. »Das kann ja spannend werden, was?«
»Spannender, als du es dir vielleicht gedacht hast«, ließ sich jetzt eine Stimme von der Tür her vernehmen, und Sam gab leise eine höchst unflätige Bemerkung von sich und drehte sich langsam um.
Jimmy Chains durchquerte den kleinen Vorraum. Als er in das Zimmer trat, hob er eine Hand und hielt sie sich zum Schutz vor dem grellen Sonnenlicht über die Augen. Doch genau in dem Augenblick, in dem Sam feststellte, dass die Sicht des Mannes beeinträchtigt war, schwang Chains seine Pistole herum und zielte auf ihn.
»Denk nicht mal dran«, bellte er. »An deiner Stelle würd ich es mir sogar zweimal überlegen, bevor ich auch nur tief Atem hol. Selbst wenn ich momentan nur die Hälfte seh, gibst du immer noch ein gutes Ziel ab, und ehrlich gesagt, Arschloch, gehst du mir allmählich auf die Nerven.«
»Das tut mir aber wirklich Leid«, murmelte Sam, aber Chains hörte ihn überhaupt nicht. Er starrte mit offen stehendem Mund an ihm vorbei.
»Zwillinge?«, krächzte er. »Meine Fresse, ihr seid verflixte Zwillinge?«
»Nun ja, ich bin mir nicht sicher, ob das das Adjektiv ist, das ich verwenden würde«, setzte Catherine an und spürte im gleichen Moment den warnenden Druck von Kaylees Hand an ihrem Arm.
Doch Chains achtete gar nicht auf ihre Worte. »Welche von euch beiden ist Kaylee?«, fragte er.
Die Schwestern wechselten rasch einen Blick. Dann drehten sie sich beide gleichzeitig zu Chains um und sagten im Chor: »Ich.«
»Catherine«, sagte Sam scharf, und im selben Augenblick murmelte Bobby »Ach, du Scheiße« vor sich hin.
Chains wandte sich an die beiden Männer. »Also, welche ist welche?«
Als sie ihn nur schweigend ansahen, blaffte er: »Dann erschieß ich sie eben alle beide, verdammt noch mal.«
»Nein, das wirst du nicht tun«, schaltete Bobby sich ein. »Kaylees Schwester hat mit dieser Sache nicht das Geringste zu tun - sie ist da nur zufällig reingeraten. Der Jimmy Chains, den ich kenne, wäre niemals imstande, kaltblütig eine unschuldige Frau zu erschießen.«
»Mag schon sein, aber vielleicht kennst du mich nicht so gut, wie du gedacht hast«, sagte Chains, ohne weiter darauf einzugehen. Er schwenkte seine Pistole vor den beiden Männern. »Steh auf, Bobby. Und du, Arschloch, dreh dich um.« Dann beschrieb er mit dem Lauf der Pistole einen Bogen. »Stellt euch an die Wand, beide.«
Sam und Bobby legten ihre Hände flach gegen die Wand und spreizten die Beine. Sie rührten sich nicht, während Chains sie nach Waffen absuchte. Er zog die beiden Pistolen aus Sams Hosenbund. »Auf die Weise komm ich direkt noch zu einer hübschen kleinen Sammlung«, murmelte er zufrieden vor sich hin, als er sie in seinen Hosenbund steckte und einen Schritt zurücktrat. Dann zog er ein Stück Schnur aus seiner Tasche.
»Dabei werdet ihr mir ein bisschen helfen müssen, Mädels.« Er reichte Catherine die Schnur. »Los, ihr beiden«, sagte er zu Sam und Bobby, »legt euch Rücken an Rücken aufs Bett, Hände nach hinten. Und du bind ihnen die Handgelenke zusammen«, wies er Catherine an. »Scheiße, was nehmen wir denn für die Füße? Wenn ich gewusst hätte, dass ihr zu zweit seid, hätte ich eine längere Schnur mitgebracht.« Er sah sich kurz im Zimmer um und ging zum Fenster, wo er mit seinem Taschenmesser ein Stück von der Vorhangschnur abschnitt und Kaylee zuwarf. »Da. Bind ihre Füße zusammen.«
Einige Minuten später waren die beiden Männer gut verschnürt, und Chains stand neben dem Bett und sah mit Genugtuung auf sie hinunter. Ha! Wenn ihn all die Arschlöcher, die ihn jemals als dumm bezeichnet hatten, jetzt sehen könnten.
Grinsend drehte er sich zu Catherine und Kaylee um. »Meine Damen.« Mit einer weit ausholenden Geste bedeutete er den Zwillingen, ihm vorauszugehen. »Nach euch.« Dann folgte er ihnen und schlug mit einem lauten Lachen die Tür des Motelzimmers hinter sich zu.
Eine Stunde später war er bereits sehr viel weniger gut gelaunt. Verdammt noch mal. Er konnte nicht ewige Zeiten durch die Gegend fahren, solange zwei Frauen mit feuerroten Haaren und diesen Wahnsinnskurven auf dem Rücksitz saßen. Sie zogen viel zu viel Aufmerksamkeit auf sich, und darüber hinaus war es gut möglich, dass ihm bereits die Bullen auf den Fersen waren. Er musste erst mal runter von der Straße und sich in aller Ruhe einen Plan überlegen.
Zwillinge. Wer zum Teufel hätte das gedacht? Und was in aller Welt sollte er mit derjenigen anfangen, die nicht Kaylee war? Er hatte sich innerlich gerade damit abgefunden, das zu tun, was mit ihr getan werden musste, und das war weiß Gott nichts, worauf er sich freute. Nach der frustrierenden Verfolgungsjagd quer durchs Land kam ihm der Gedanke zwar nicht mehr ganz so abwegig vor wie zu dem Zeitpunkt, als er von Miami aufgebrochen war, aber er gab sich auch nicht der Illusion hin, dass es leicht werden würde.
Und er legte ganz bestimmt keinen gesteigerten Wert darauf, auch noch die andere aus dem Weg zu schaffen. Also was sollte er machen? Und wie sollte er überhaupt rauskriegen, welche von den beiden welche war?
Er fuhr auf den Parkplatz eines hübschen Motels, das zu einer bekannten Kette gehörte. Wenn er sich schon eine Weile versteckt halten musste, würde er das sicher nicht in einer schäbigen Klitsche irgendwo in der Pampa tun. Er parkte den Wagen so nahe wie möglich bei der Rezeption und drehte sich zu seinen beiden Gefangenen um. »Ich geh rein und erledige das mit der Anmeldung. Ihr rührt ach solange nicht vom Fleck.« Er sah sie mit einem drohenden Blick an. »Und das meine ich so, wie ich es sage, falls ihr abhaut und mich zwingt, hinter euch herzurennen, erschieß ich euch alle beide, aus, fertig. Ich hab die Schnauze voll von diesen Provinzkäffern. Ich will endlich zurück in die Zivilisation, und ich hab nicht die Absicht, ich hier auch nur eine Minute länger aufzuhalten als unbedingt notwendig.« Er stieg aus dem Wagen und knallte die Tür zu.
Die Schwestern wandten sich sofort einander zu. »Alles in Ordnung?«, fragten sie gleichzeitig, und Kaylee fügte hinzu: »Mein Gott, Cat, es tut mir so Leid. Das ist alles so furchtbar.«
»Wir müssen uns schleunigst etwas überlegen. Ich habe Sams Handschellen. Ich habe sie an mich genommen, als Chains mit der Vorhangschnur beschäftigt war.« Catherine steckte einen Finger in ihrem Ausschnitt und zog sie einen Zentimeter heraus, um sie ihrer Schwester zu zeigen und schob sie sie wieder zurück. »Den Schlüssel dazu habe ich allerdings nicht, das heißt, wenn er sie in die Hände kriegt, sind wir verloren. Aber wenn wir die Chance haben, ihn damit zu fesseln, dann ...«
»Ich habe Bobby meine Nagelschere zugesteckt«, sagt Kaylee. »Sie werden vermutlich eine Weile brauchen, um die Schnüre durchzuschneiden, aber dann werden sie sofort hinter uns herfahren.«
»Und wie sollen sie uns finden?«
Kaylee erzählte ihr von Scott, dem Computercrack.
»Das ist ja alles schön und gut«, meinte Catherine. »Aber es bringt nur dann was, wenn Chains eine Kreditkarte benutzt, um das Zimmer zu bezahlen. Und er müsste schon ein ziemlicher Dummkopf sein...« Sie sah, dass Kaylee eine Augenbraue hob, und ihr Mund verzog sich langsam zu einem Lächeln. »Okay. Es ist mehr als dumm, sich einzubilden, so viele Zeugen zurücklassen zu können und trotzdem ungeschoren davonzukommen, ich vermute also, es ist auch nicht völlig abwegig, dass er eine Kreditkarte verwendet. Er ist nicht der Hellste, oder?«
»Er ist dumm wie Bohnenstroh, aber sag ihm das bloß niemals ins Gesicht.« Kaylee streckte eine Hand aus und umklammerte Catherines Oberschenkel, als wolle sie ihr klar machen, wie ernst ihre Warnung gemeint war. »Ich glaube eigentlich nicht, dass er von Natur aus bösartig ist, aber ich habe schon erlebt, dass er Typen von der Statur eines Arnold Schwarzenegger alle Knochen im Leib gebrochen hat, weil sie sich über seine Dummheit lustig gemacht haben.«
»Na, dann ist es ja nur gut, dass ich ihm weisgemacht habe, er sei klüger als Sanchez. Und er hat gesagt, er hätte dich immer gemocht, Kaylee. Vielleicht können wir das zu unserem Vorteil nutzen.«
»Das und die Tatsache, dass er glaubt, die zivilisierte Welt würde an der Staatsgrenze von Florida enden. Damit muss sich doch irgendetwas anfangen lassen.«
Sie schwiegen, sobald sie Chains aus dem Büro kommen sahen. Einen Augenblick später stieg er in den Wagen und fuhr mit ihnen auf die Rückseite des Motels, wo ihr Zimmer lag. »Aussteigen«, kommandierte er barsch.
Sie hatten das Zimmer kaum betreten, als er sie mit einem ausgesprochen selbstzufriedenen Grinsen ansah. »Hey, mir ist gerade eingefallen, wie ich euch voneinander unterscheiden kann«, erklärte er. »Runter mit euren Höschen.«
»Wie bitte?«, sagte Catherine in eisigem Ton.
»Höschen runter, Süße. Kaylee hat eine Tätowierung auf dem Hintern.«
»Wir haben beide eine Tätowierung auf dem Hintern.«
»Ja, klar doch«, knurrte er. »Los, runter damit.«
Catherine verdrehte die Augen, aber sie folgte seiner Aufforderung und zog ihre Shorts über eine Pobacke nach unten. Mehr war nicht nötig, da Kaylee ausschließlich Strings besaß. Chains' Miene hellte sich auf, wie sie bei einem Blick über die Schulter feststellen konnte.
»Na, hab ich's nicht gewusst?«
»Äh, Jimmy?«, sagte Kaylee. Während er damit beschäftigt gewesen war, Catherine zu betrachten, hatte sie ebenfalls eine Pobacke entblößt. Er hörte gerade lange genug damit auf, sich im Geiste auf die Schulter zu klopfen, um einen Blick auf sie zu werfen.
»Scheiße!«
»Wir sind Zwillinge, Jimmy«, sagte Catherine sanft, während sie und Kaylee ihre Kleidung in Ordnung brachten.
»Ich weiß, dass ihr Zwillinge seid«, knurrte er. »Aber warum zum Teufel musstet ihr euch auch noch die gleiche bescheuerte Tätowierung machen lassen?«
Sie zuckte die Achseln. »Das war ein Akt der Auflehnung gegen unsere Mutter, als wir Teenager waren.«
Er stieß erneut einen Fluch aus und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. »Ich hab gehofft, dass es sich vermeiden lässt, aber jetzt muss ich wohl doch den Boss anrufen.«
»Jimmy.« Kaylee sah ihn kopfschüttelnd an. »Das halte ich für gar keine gute Idee.«
»Und warum nicht?«
»Weil das nun wirklich nicht in deinem Interesse sein kann. Hector hat die ganze Sache so eingefädelt, dass es an dir hängen bleibt, wenn irgendetwas schief geht.«
»So was würde Hector niemals tun - er ist mein Freund.«
»Zumindest will er, dass du das glaubst.« Sie streckte die Hand aus und tätschelte ihm freundschaftlich den Arm. »Aber der einzige Freund von Hector ist Hector.«
»Sieht so aus, als würde die Sache allmählich ein bisschen aus dem Ruder laufen, Jimmy«, mischte sich Catherine jetzt in mitfühlendem Ton ein, und er wirbelte herum und starrte sie an. Sie entfernte sich ein kleines Stück weiter von Kaylee. »Bist du bereit, uns alle beide umzubringen?«
»Wenn es sein muss.«
»Hier, in diesem Zimmer? Der Angestellte am Empfang hat dich gesehen. Meinst du nicht, dass er dich mit dem Mord in Verbindung bringen würde?«
»Äh ...«
»Und was ist mit Bobby und Sam?«, fragte Kaylee, und Chains wandte sich wieder ihr zu. »Sie sind ebenfalls Zeugen. Du kannst nicht alle umbringen. Und dir ist doch klar, was Hector dazu sagen wird? Er wird behaupten, dass er von der ganzen Sache nicht das Geringste weiß. Er wird dich ohne mit der Wimper zu zucken im Regen stehen lassen, während du dein Bestes getan hast, um ihm aus der Klemme zu helfen. Und was noch schlimmer ist, er wird irgendeine gemeine Bemerkung über deine Intelligenz machen.«
»Einen Teufel wird er tun! Ihr wollt mir nur irgendeinen Schwachsinn einreden, und das werd ich euch auf der Stelle beweisen!« Er ging zum Telefon und nahm den Hörer ab. Er bedachte sie abwechselnd mit einem finsteren Blick, während er die Nummer des Tropicana Club wählte.
»Verdammt noch mal, LaBon, können Sie nicht ein bisschen aufpassen? Das war jetzt schon das zehnte Mal, dass Sie mich gestochen haben.«
»Hey, tut mir Leid, aber wie Sie vielleicht gemerkt haben, arbeite ich nicht gerade unter optimalen Bedingungen. Ich tue wirklich mein Bestes.«
»Gut, dann versuchen Sie doch mal, Ihr Bestes zu tun, ohne dass dabei mein Blut fließt, okay?«
»Ob Sie es glauben oder nicht, McKade, genau das habe ich vor. Solange Sie hier weiter alles voll bluten, werde ich es nämlich nie schaffen, diese glitschige kleine Schere richtig zu packen.«
Sam ließ ein Schnauben hören. Das war nun allerdings nicht seine größte Sorge gewesen.
Er und Bobby hatten sich darangemacht, ihre Fesseln zu lösen, sobald die Tür hinter Chains und den Zwillingen ins Schloss gefallen war. Die Schnur, mit der ihre Füße gefesselt waren, hatte ihnen keine großen Schwierigkeiten bereitet. Es war ihnen gelungen, ihre Füße in einem verhältnismäßig großen Abstand voneinander zu halten, als Kaylee sie gefesselt hatte; hinzu kam, dass sie nicht sehr viel von Knoten verstand, und Chains hatte ihr Machwerk nicht mehr begutachtet. Was die Fessel um ihre Handgelenke anging, sah die Sache allerdings etwas anders aus. Catherine hatte die Fessel so locker gelassen, wie sie es wagte, aber es reichte nicht aus, um ihre Hände zu befreien. Deshalb hatten sie sich mit vereinten Kräften aufgerichtet und saßen jetzt Rücken an Rücken auf dem Bett, während Bobby blind mit der Schere hantierte und ungeschickt an der Schnur herumschnippelte, mit der ihre Hände zusammengebunden waren.
Sam hatte Mühe, seine Ungeduld zu zügeln. Doch obwohl er am liebsten seine Wut hinausgebrüllt und Schuldzuweisungen verteilt hätte, gelang es ihm mit einiger Mühe, still zu sitzen und den Mund zu halten. Selbst dann, als die kleine Schere ein weiteres Mal abrutschte und sich die Spitze in sein Handgelenk bohrte, biss er nur die Zähne aufeinander und behielt seine Klagen für sich.
»Geschafft!«
Das zu sagen wäre gar nicht nötig gewesen, da Sam spürte, wie sich die Fessel lockerte und über seine und Bobbys Handgelenke rutschte. Die beiden Männer streiften die losen Schlingen ab und lehnten sich dann einen kurzen Augenblick aneinander, um ihre verspannten, schmerzenden Schultern in den Gelenken kreisen zu lassen und ihre Arme wieder in eine etwas natürlichere Haltung zu bringen.
Obwohl er endlich wieder frei war, fühlte Sam sich wie gelähmt. Er blickte auf seine Handgelenke, an denen die Schnur tiefe Einkerbungen hinterlassen hatte. »Wird er sie umbringen?«, fragte er.
»Nicht, wenn sie vorsichtig sind, denke ich.«
»Na toll.« Ein heiseres Lachen löste sich aus Sams Kehle. »Catherine ist niemals vorsichtig.«
Bobby drehte den Kopf zu ihm herum. »Nach dem, was Kaylee erzählt hat, ist sie es. Und außerdem klug.«
»Ja, sie ist verdammt klug.«
»Kaylee auch, aber von Chains kann man das nicht behaupten. Ihnen wird bestimmt nichts passieren.« Bobby setzte sich aufrecht hin, wodurch sich ihre Rücken voneinander lösten. »Ich rufe Scott an.« Er kletterte vom Bett und drehte sich dann noch einmal zu Sam um. »Sie sollten die Schnitte besser säubern. Bis Sie damit fertig sind, habe ich mein Telefongespräch erledigt, und Sie können die Polizei benachrichtigen.«
Sam verspürte den heftigen Drang, sofort loszustürmen, um Catherine zu retten. Er kämpfte jedoch dagegen an und erhob sich, um Bobbys Rat zu befolgen. Auf Bobbys Hilfe und die der Polizei zu verzichten wäre schlicht und ergreifend verantwortungslos.
Allmählich begann ihm zu dämmern, dass sein Bedürfnis, sich stets verantwortungsbewusst zu zeigen und an die Regeln zu halten, gelegentlich etwas zwanghaft war, doch jetzt war es von entscheidender Bedeutung. Es war wirklich nicht der richtige Augenblick, um wie ein hirnloser Muskelprotz durch die Gegend zu rennen und einfach draufloszuschlagen.
Außerdem war es ja nicht sein Verantwortungsbewusstsein an sich, das Catherine in Frage gestellt hatte - der Punkt war, dass er stets die ganze Verantwortung auf sich nahm, wenn irgendetwas schief ging. Aber dieses Mal würde nichts schief gehen.
Das durfte nicht passieren.
Lieber Gott, bitte, bitte, lass das nicht zu.
Denn eine quälende innere Stimme sagte ihm, dass er niemals verwinden würde, wenn Catherine etwas zustieß
Während Chains die Telefonnummer eintippte, sucht Catherine Kaylees Blick. Mit Hilfe der Gebärdensprache erklärte sie ihr rasch die Grundzüge von Sams Flankenmanöver und wie sie es vielleicht für ihre Zwecke nutzen konnten.
Kaylee bewegte ihre rechte Hand mit nach oben gerichteter Handfläche und gekrümmten Fingern in einem Bogen nach links und berührte mit den Fingerspitzen die Handfläche ihrer anderen Hand. Noch mal.
Catherine wiederholte den Plan.
»Warum zum Teufel wedelst du denn dauernd mit den Händen in der Gegend rum?«, fragte Chains plötzlich und hob den Blick vom Telefon.
»Tut mir Leid, ich bin ziemlich nervös«, erwiderte sie rund schüttelte ihre Arme, anschließend hob sie eine Hand und rieb sich den Nacken. »Es beruhigt mich.« Dabei ließ sie Kaylee nicht aus den Augen, die es sich zunutze machte, dass Chains abgelenkt war, und ihr signalisierte, dass sie verstanden hatte. Doch dann fügte sie einen alternativen Vorschlag hinzu.
Catherine formte mit den Lippen ein Nein! und zwang sich, ihren Mund zu einem leichten Lächeln zu verziehen, als sie merkte, dass Chains sie mit gerunzelter Stirn ansah.
»Hör endlich auf damit, es geht mir nämlich auf die Nerven. Hallo, Hector?« Jimmy wandte seine Aufmerksamkeit von den beiden Frauen ab und wieder dem Telefon zu. »Ich bin´s, Chains.«
»Ich hoffe doch, dass du anrufst, weil du gute Nachrichten für mich hast, was die Sache mit Kaylee angeht?«, war die kühle Erwiderung.
»Na ja, was das betrifft, Boss« - er räusperte sich - »hab ich da ein kleines Problem.«
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen am anderen Ende der Leitung. »Was für ein Problem?«, erkundigte sich Hector dann mit eisiger Stimme.
»Haben Sie gewusst, dass sie eine Zwillingsschwester hat?«
»Was?«
»Eine Zwillingsschwester. Und die ist auch hier.«
»Ja und wo liegt das Problem?«, raunzte Hector. »Dann musst du dich eben um beide kümmern.«
Jimmy Chains stieß sich von der Wand ab, gegen die er sich gelehnt hatte. »Ich kann doch nicht einfach eine unschuldige Frau umbringen«, protestierte er. »Außerdem gibt's da auch noch LaBon und den Kopfgeldjäger. Die wissen, dass ich die beiden Mädels mitgenommen habe, Boss. Wenn ich anfange, jeden umzubringen, der irgendwie was mit der Sache zu tun hat, stapeln sich die Leichen ja bald um mich herum. Allmählich wird das alles ein bisschen kompliziert.«
»Hör zu, du Idiot, ich habe dich losgeschickt, damit du -«
»Wie haben Sie mich gerade genannt?«, unterbrach ihn Chains, und die Wut, die in ihm aufstieg, schien alles um ihn herum in einem roten Nebel verschwimmen zu lassen.
»Einen Idioten«, brüllte Hector. »Ich habe dir einen Auftrag erteilt, den ein Fünfjähriger hätte erledigen können, und was machst du? Du machst einen Wahnsinnszirkus darum! Jetzt hör mir mal gut zu, Chains, weil ich nämlich nicht die Absicht habe, mir -«
Chains knallte den Hörer auf die Gabel und stand dann stocksteif da. Seine Brust hob und senkte sich heftig, während er ins Leere starrte und mühsam nach Atem rang.
»Tut mir Leid, Jimmy«, sagte Kaylee leise. Es dauerte eine Weile, bis er sie klar erkennen konnte, und dann musste er feststellen, dass sie ihn mit einem Blick ansah, in dem eindeutig Mitleid lag. »Er versucht dir den schwarzen Peter zuzuschieben, stimmt's?«
Er trat einen Schritt auf sie zu. Gleichzeitig zog er seine Pistole und zielte damit direkt auf ihr Herz. »Nicht, wenn ich die Angelegenheit auf die Art und Weise erledige, wie er es von mir erwartet.«
»Das würde Sanchez natürlich hervorragend in den Kram passen«, sagte Catherine, und er wirbelte herum und richtete den Lauf der Pistole auf sie. »Man wird dich unweigerlich mit einer der Leichen in Verbindung bringen, und dann wird er einfach behaupten, dass du durchgedreht bist.«
»Und dabei wird er betrübt den Kopf schütteln, dass einer seiner Angestellten zu einer solch schrecklichen Tat fähig ist«, fügte Kaylee hinzu. Als Chains erneut herumschwang, um sie in Schach zu halten, schien sie etwas weiter rechts von ihm zu stehen als noch einen Moment zuvor.
»Dann erzähl ich allen, wie es wirklich gewesen ist, verdammt noch mal!«
»Wer wird dir schon glauben, Jimmy, wenn dein Wort gegen seins steht? Er ist in Miami ein angesehener Geschäftsmann, und du bist bloß Rausschmeißer. Ich bin die Einzige, die deine Geschichte bestätigen könnte, aber ich werde dann ja tot sein, nicht wahr?« Sie trat einen Schritt auf ihn zu. »Und weißt du, was das Schlimmste dabei ist? Sie werden dich hier in Palookaville ins Gefängnis stecken, und du wirst Miami niemals mehr in deinem Leben zu Gesicht kriegen.«
Chains wurde blass.
»Du könntest dich allerdings dem Staatsanwalt als Kronzeuge anbieten«, erklärte Catherine, und er ließ die Hand mit der Pistole sinken und drehte sich ein weiteres Mal um, nur um festzustellen, dass sie es inzwischen irgendwie geschafft hatte, hinter ihn zu treten. »Wenn du dich freiwillig stellst, könntest du als Gegenleistung für deine Aussage einen Deal abschließen.«
»Selbst wenn du dann ins Gefängnis müsstest, wäre das in Florida, Jimmy«, sagte Kaylee. Als er sich dieses Mal zu ihr umdrehte, stand sie direkt vor ihm. »Du bist doch ein intelligenter Mann. Denk darüber nach. Ich gehe jede Wette ein, dass es praktisch auf einen Freispruch hinauslaufen wird, wenn du mit den Behörden zusammenarbeitest.«
»Meinst du?«
»Oh ja, ich bin ganz sicher. Und warum sollte Hector ungeschoren davonkommen, während du hinter Gitter wanderst?«
»Ja«, stimmte Chains ihr mit grimmiger Miene zu. »Das war nicht fair.«
»Das wäre es auch nicht.« Sie streckte die Hand aus. »Gibst du mir die Pistole, Chains?«
Er versteifte sich. »Hey, ich bin doch nicht blöd.«
»Schade, ich hatte nämlich gehofft, dass wir das hier mit Anstand über die Bühne bringen. Aber jetzt sieht es danach aus, als müssten wir es doch wie Bud Spencer und Terence Hill machen.«
Jimmys Mund verzog sich zu einem Grinsen. Die Filme der beiden hatte er immer besonders gern gesehen. »Was meinst du denn damit?«
»Das.«
Noch während sie es sagte, stieß sie die Hand, in der er die Pistole hielt, weg von seinem Körper und versetzte ihm gleichzeitig einen Stoß. Im selben Moment trat Catherine seine Beine unter ihm weg. Er stürzte um wie ein gefällter Baum, und die Pistole flog quer durchs Zimmer, als er im Fallen mit der Hand gegen ein Stuhlbein knallte.
Er stieß ein wütendes Gebrüll aus und versuchte sich auf die Seite zu rollen, um an eine der anderen Waffen heranzukommen, die er hinten in seinem Hosenbund stecken hatte. Ein hochhackiger Schuh landete in seinem Schritt. Die Sohle drückte sich fest gegen seinen Schwanz, und der spitze Absatz schwebte bedrohlich nur einen Millimeter über seinen Eiern.
Chains erstarrte mitten in der Bewegung und sah an dem schlanken Bein und dem üppigen Busen vorbei in das Gesicht von Kaylee, die seinen Blick ernst erwiderte. Er wagte nicht einmal mehr, laut zu atmen, weil er wusste, dass sich dieser Absatz beim leisesten Druck tief in seine kostbarsten Teile bohren würde.
Und dann würde er für den Rest seines Lebens Sopran singen.