Drei einfache Regeln

Regel Nr. 1: Sag »Ja«. Nicht immer, aber immer öfter

So, nun stehen Sie also tatsächlich vor der Tür, an der Sie bisher auf dem Weg zu Ihrem Lieblingssofa immer vorbeigegangen sind. Noch zögern Sie. Sollen Sie die Tür jetzt wirklich öffnen und durchgehen? Was wird dahinter auf Sie warten? Ein ebenso gemütliches Sofa? Vielleicht eines, das viel bequemer ist? Oder nur ein Sessel? Vielleicht gar keine Sitzgelegenheit? Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden, und Sie kennen ihn bereits.
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Sie möchten spontaner durch die Welt gehen und sich selbst überraschen. Sie wollen unerwartete Situationen meistern, sogar, wenn Ihnen niemand vorher Bescheid gesagt hat. Überraschungen nehmen Sie als Herausforderung, als Chance, etwas Neues zu erleben, nicht als Bedrohung.
Halt, halt, das haben Sie so gar nicht gesagt? Sie denken, das hätten wir Ihnen in den Mund gelegt? Also gut, noch einmal von vorne. Vielleicht wird es so stimmiger: Sie müssen spontaner durch die Welt gehen und sich selbst überraschen. Unerwartete Situationen müssen Sie meistern, sogar, wenn Ihnen niemand vorher Bescheid gesagt hat. Überraschungen müssen Sie als Herausforderungen nehmen, als Chance, etwas Neues zu erleben, nicht als Bedrohung. Sie haben keine andere Wahl.
Die einfachste Möglichkeit wäre natürlich, ein paar Standardsätze aus dem Spontaneitäts-Repertoire auswendig zu lernen. Oder Situationen einzustudieren, um spontaner oder schlagfertiger zu wirken. Das hatten wir schon: Ist leider nicht möglich. Spontane Menschen haben im Gegensatz zu allen nicht spontanen ihre Grundhaltung gegenüber allem Unerwarteten geändert. Sie sind spontan. Spontane Menschen trainieren sich selbst immer wieder, indem sie »Ja« sagen. Bereichern auch Sie Ihr Leben um diese wertvolle Fähigkeit, die Sie nur wieder aktivieren müssen. Wenn Sie das möchten, dann sagen Sie jetzt laut und deutlich »Ja!«.
Und?
Haben Sie »Ja!« gesagt?
Okay, ist auch ein schwieriges Wort, mehr als ein Buchstabe. Ein Konsonant und ein Vokal. Voll schwierig. Schon klar. Versuchen wir’s noch mal:
Jetzt!
Laut!
Wieder nichts?
Sie haben das »Ja« nur gedacht?
Wahrscheinlich haben Sie etwas gedacht, was mit »Ja, aber …« beginnt. Zum Beispiel: »Ja, aber ich will erst mal weiterlesen.« Und sollten Sie »Nein« gedacht haben, dann schlagen Sie das Buch besser zu, nehmen Sie Ihre Katzen-und Pudelkissen zur Hand und schauen aus dem Fenster.
Warum haben Sie nicht laut »Ja« gesagt? Sind Sie sich ein wenig albern vorgekommen? So alleine im Raum und einfach »Ja« sagen? Wo war Ihr Teampartner? Oder haben Sie es nicht gesagt, weil andere Menschen um Sie herumsitzen? Womöglich befinden Sie sich gerade im Bus oder in der S-Bahn? Ganz ehrlich - wären wir an Ihrer Stelle gewesen, wir hätten das früher auch nicht gemacht.
Und noch ehrlicher: Solche Übungen aus einem Buch macht doch sowieso keiner. Die denkt man doch nur durch. Wir gehen mit Ihnen sogar noch einen Schritt weiter und geben Ihnen die Aufgabe, die Übungen in einem Buch zu dokumentieren. Erinnern Sie sich an Ihr Ja-Buch. Jetzt wäre noch eine Gelegenheit, eines zu besorgen, falls Sie immer noch keins haben. Eine Übung dazu hatten wir schon. Jetzt wollen wir Sie dazu kriegen mitzumachen. Auch wenn Sie sonst nie bei so was mitmachen …

Wir geben trotzdem noch nicht auf. Probieren Sie es doch wenigstens mal aus. Heimlich. Testen Sie, welche Kraft und Entschiedenheit hinter einem einfachen »Ja« stehen. Sagen Sie »Ja« und spüren Sie dabei diesem Gefühl nach. Welche Kraft dieses eine Wort doch hat, welche Verbindlichkeit dahintersteckt, welche Handlungen es auslöst. Denn Spontaneität hat auf jeden Fall auch damit zu tun, dass wir handeln. Und der erste Schritt dahin ist ein »Ja«.
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Sollten Sie zu den Menschen gehören, die »Ja, aber« gesagt oder gedacht haben, sind Sie in guter Gesellschaft. Wir alle leben in einer »Ja, aber«-Welt. Nur leider stellen wir uns damit ganz nah zu den »Nein«-Sagern, und das sind diejenigen, die dem Unerwarteten weiterhin aus dem Weg gehen wollen. Wenn Sie das Unerwartete dann doch erwischt, kriegen Sie das Kaninchen-Feeling. Sie starren in die Scheinwerfer des Autos und: Whoooom! Bang! Splatter! Licht aus! Und wir meinen nicht die Scheinwerfer!
Sollten Sie sich entschließen mitzumachen, werden Sie im Verlauf der Lektüre mindestens einmal am Tag in einer Situation »Ja« sagen, in der Sie lieber »Nein« sagen wollten. Das bedeutet auch, dass Sie sich einmal am Tag in einer Situation wiederfinden, die so nicht vorhersehbar war und voller unerwarteter Abenteuer steckt. Denn egal, was passiert: Keiner wird Ihnen vorher Bescheid sagen.
Würden wir auf der Bühne nicht »Ja« sagen, gäbe es keine Vorführung und auch keine Vorträge. Wir vertrauen darauf, dass die Ideen und Vorschläge unseres Partners genauso gut sind wie unsere eigenen. Wir sagen »Ja« zu dem, was kommt.
Eines Tages bekamen wir einen Anruf von einem Teamleiter eines großen Haarkosmetik-Unternehmens, das Friseure mit speziellen Shampoos beliefert. Sein Team betreute die Salons und verkaufte dort auch die hauseigenen Produkte. Im vergangenen Jahr hatte der Umsatz einer bestimmten Mitarbeiterin sich so deutlich gesteigert, dass er stutzig geworden war. Er bat sie zu einem Gespräch, bei dem sich herausstellte, dass sie in ihrer Freizeit einen Improtheater-Kurs besucht hatte. Die drei Spontaneitäts-Regeln hatten sie so sehr begeistert, dass sie diese sogar im Berufsalltag anwendete. Sie sagte »Ja« zu ihren Kunden und »Ja« zu ihrer Tätigkeit. Die Salon-Inhaber schätzten sie für ihre Aufmerksamkeit und Verlässlichkeit. Mit dem Anruf engagierte uns der Teamleiter für ein dreitägiges Seminar.
»Ja« zu sagen« bedeutet, eine Situation anzunehmen und die eigenen Ideen wie auch die der anderen anzunehmen. Und genau darum geht es, wenn wir spontan sind: Wir nehmen eine Situation an, wie sie in dem Moment gerade ist. Nur so sind wir in der Lage, etwas aktiv zu gestalten, weiterzuführen und zu verändern. Lassen Sie sich darauf ein, in unerwarteten Momenten etwas zu verändern und voranzutreiben, ohne vorher genau zu wissen, wohin die Reise führt.
Ein Name wie ein »Nein«!
Versuchen Sie mal bitte, Ihren Namen so zu sagen, als würden Sie zu jemandem ganz entschieden »Nein« sagen. Legen Sie all Ihre Energie hinein, die ausdrücken soll: »Bleiben Sie mir bloß vom Leib! Ich will meine Ruhe haben!«
Allein mit der Betonung Ihres Namens können Sie also schon ein »Ja«- oder ein »Nein«-Signal senden. Achten Sie mal auf sich und andere: Welche Signale senden Sie aus, ohne überhaupt die Wörtchen »Ja« oder »Nein« benutzt zu haben?
Wie melden Sie sich am Telefon? Mit einem netten Hallo? Oder blaffen Sie Ihren Namen kurz und knapp in die Leitung und meinen eigentlich »Nein, niemand da!«? Die Menschen, die uns am Telefon auf diese Weise ihren Namen entgegenschmettern, sind für uns »Nein«-Sager, die eigentlich gar nicht mit uns telefonieren wollen.
Nur ein ernst gemeintes »Ja« ist auch echtes »Ja«. Klingt selbstverständlich? Dann schauen wir uns das doch mal genauer an: Viele Menschen versuchen alles Mögliche, um sich vor diesem »Ja« zu drücken. Es fällt ihnen so schwer, »Ja« zu sagen, dass sie sich immer wieder in Mutationen von »Ja« flüchten. Die beiden bekanntesten »Ja«-Zombies sind:
»Ja, aber …« und »Ja, oder …«
»Ja, aber …« ist der Klassiker und nichts anderes als ein verstecktes »Nein«. Probieren Sie es mal aus. Was denken Sie, wenn jemand zu Ihnen »Ja, aber …« sagt bzw. was meinen Sie tatsächlich, wenn Sie jemandem mit »Ja, aber …« antworten?
Sie gehen spazieren, es ist ein herrlicher Frühsommertag. 20 Grad, die Sonne scheint. Bei Ihrem Spaziergang kommen Sie durch einen Kleingartenverein. In einem der Gärten sehen Sie eine alte Dame und ein siebenjähriges Mädchen. Offensichtlich eine Oma mit ihrer Enkelin. Für die Oma ist der Garten ihr Ein und Alles, und das kleine Mädchen freut sich, bei der Gartenarbeit helfen zu dürfen. Sie gehen näher ran und schnappen ein paar Gesprächsfetzen auf.
Enkelin: »Oma, guck mal. Hier direkt neben den Johannisbeeren pflanze ich jetzt die Tulpen ein!«
Oma: »Ja, aber …«
Wir schreiben das Jahr 1992. Sie holen gerade Ihre neue EC-Karte in Ihrer Bank ab. Leider müssen Sie am Schalter warten. Ganz in der Nähe findet an einem Schreibtisch offensichtlich ein Beratungsgespräch statt. Ein junger Mann - ein Student - versucht mit strahlenden Augen einen Bankangestellten zu überzeugen.
Student: »Wir haben eine großartige Erfindung gemacht. Zur Vermarktung benötigen wir den Kredit. Wir können Musik so komprimieren, dass Sie Ihre gesamte Musiksammlung auf kleinen tragbaren Festplatten immer bei sich haben können. Wir wollen die Erfindung MP3-Player nennen.«
Bankmitarbeiter »Ja, aber …«
Es ist der schönste Tag in Ihrem Leben. Ihr Hochzeitstag. Sie haben ein traumhaftes Kleid an, sehen aus wie eine Prinzessin. Das haben Sie sich gewünscht, seit Sie ein kleines Mädchen waren. Ihre gesamte Verwandtschaft und all Ihre Freunde sind dabei. Ihr Vater führt Sie zum Traualtar. Ihr zukünftiger Mann steht neben Ihnen. Sie haben Herzklopfen.
Pastor: »Möchten Sie die hier anwesende Wiebke Katharina Glossner zu Ihrer Frau nehmen?«
Ihr Zukünftiger: »Ja, aber …«
Was meinen Sie, wird das eine glückliche Ehe? Der MP3-Player ist vom technischen Prinzip her zwar in Deutschland erfunden, aber nicht vermarktet worden. Da hat doch jemand »Ja, aber …« gesagt! Und wird die Enkelin zukünftig wieder mit ihrer Oma im Garten arbeiten wollen?
»Ja, aber …« ist immer der Versuch, charmant »Nein« zu sagen. Das gleiche gilt für »Ja, oder …« Klingt irgendwie netter, aber bedeutet genauso »Nein«.
Es gibt noch weitere Varianten von »Nein« (mit leichtem Zweifel in der Stimme zu sprechen):
067 »Hmm …«
068 »Klar, wenn …«
069 »Na ja …«
070 »Kann ich mir vielleicht vorstellen.«
071 »Wenn du meinst.«
072 »Muss ja.«
073 »Meinetwegen.«
Hinter all diesen Formulierungen verbirgt sich ein Mensch, der zu feige ist, »Nein« zu sagen, oder sich nicht traut, sich auf etwas Neues einzulassen. Nichts fühlt sich so verbindlich an wie ein klar ausgesprochenes »Ja« oder eben ein klares »Nein«. Uns geht es beim Thema Spontaneität aber um Ihr entschlossenes »Ja«. Bei einem »Ja« gibt es keinen Weg mehr zurück, vor allem, wenn es mehrere Menschen gehört haben. Deswegen drücken wir uns auch so gerne davor. Wenn Sie laut und deutlich »Ja« sagen, dann nehmen Sie sich selber in die Pflicht für Ihre Entscheidung und müssen handeln. Die Verantwortung für Ihre Entscheidung liegt bei Ihnen. Mit so einem »Ja« begeben Sie sich in Situationen, aus denen es kein Zurück mehr gibt. Keine Ausreden, keine Ausflüchte.
»Ja! Ja!« ist keine Alternative
Nicht vergessen wollen wir die Variante »Ja, ja!«, die meistens nichts anderes bedeutet als »Du kannst mich mal!«, »Leck mich am Arsch!«, »Ist mir doch egal!« oder »Lass mich jetzt in Ruhe!«.
In manchen Situationen lässt sich das klare, unmissverständliche »Ja« auch noch mit einer körperlichen Geste unterstützen, um die eigene Entscheidung zu bekräftigen. Hamburger Kaufleute tun dies, indem sie sich bei Vertragsabschluss die Hand reichen. Mafiosi umarmen sich und frisch Getraute küssen sich, sie haben sich im wahrsten Sinne des Wortes getraut, ein bedingungsloses »Ja« auszusprechen - falls nicht einer von beiden vor dem Altar »Ja, aber …« gesagt hat.
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Übung 4:

Der Nein-Kollege

Sie brauchen dazu:
• sich selbst
• einen Kollegen
• eine Tür
Und so geht’s:
Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie sitzen im Büro an Ihrem Schreibtisch. Die Tür geht auf, Ihr Kollege kommt rein. Und ohne dass er etwas gesagt hat, denken Sie schon Nein. Einfach so: Nein!
Das ist Ihr Nein-Kollege. Selbst wenn er mit einer Idee kommt, die Ihnen eigentlich gefällt, antworten Sie immer mit »Nein«.
»Soll ich dir einen Kaffee mitbringen?« - »Nein.«
»Hast du noch Schmierpapier für mich?« - »Nein.«
»Soll ich dir Arbeit abnehmen? - »Nein.«
Identifizieren Sie, wer Ihr Nein-Kollege ist. Das muss nicht unbedingt ein echter Kollege im Büro sein. Es ist vielleicht ein Bekannter oder ein Freund, bei dem Sie schon »Nein« denken, sobald er in Ihr Bewusstsein tritt.
Versuchen Sie doch bei der nächsten Gelegenheit, einfach mal »Ja« zu antworten, wenn dieser Nein-Kollege etwas fragt. Wir garantieren Ihnen, der Kollege wird einen Mordsschreck bekommen, und wenn es gut läuft, bekommen Sie sogar noch einen Kaffee spendiert.

Was soll das?
Oft machen wir uns das Leben schwer, weil wir Angst haben, unseren Status zu verlieren. Wenn der Nein-Kollege das gut findet, dann darf ich das nicht gut finden. Und schon machen wir uns unglaublich viele Probleme, da wir rechtfertigen müssen, warum wir etwas nicht möchten, was wir eigentlich möchten. Wir stehen uns in solchen Momenten selber im Weg und verhindern selbst, spontan zu sein. Das liegt daran, dass wir in unserem eigenen Schubladendenken gefangen sind. Der Kollege hat uns sicherlich einmal einen guten Grund gegeben, zukünftig lieber »Nein« zu seinen Ideen zu sagen, und an dieser Erfahrung halten wir fest, komme, was wolle. Wir trauen uns nicht, unseren Blick auf diesen Kollegen zu überprüfen, und fühlen uns stattdessen wohl dabei, lieber nur »Nein« zu ihm zu sagen. Diese Gewohnheit wollen wir nicht verändern. Es kann aber auch einfach sein, dass uns dieser Mensch unsympathisch ist - ganz normal. Doch im Leben man muss nun mal auch mit solchen Menschen auskommen, und das gelingt besser, wenn man sich an der einen oder anderen Stelle ein kleines »Ja« zutraut. 075

Mal ehrlich: Haben Sie das alles, was bisher zur Sprache kam, bereits umgesetzt oder nur gelesen? Haben Sie irgendeine der Übungen ausprobiert oder nicht? - Wenn Sie mitspielen wollen, müssen Sie »Ja« sagen. Das nur noch einmal fürs Protokoll.
Sie wollen spontan sein, ohne dass Ihnen jemand vorher Bescheid sagt. Gut. Dann trainieren Sie gefälligst ungeplante Situationen. Wir garantieren Ihnen, dass ein ernst gemeintes »Ja« Sie in genau solche Situationen führen wird. Erst wenn Sie diese Situationen akzeptieren, lassen Sie zu, dass überhaupt etwas passiert. Sie werden überrascht sein, wie oft man sich sogar in harmlosen Situationen dem »Ja« verweigert.

Ein kurzer Test. Was antworten Sie?
076 Normalerweise essen Sie in Ihrer Mittagspause immer nur eine Kleinigkeit am Schreibtisch, um die eingesparte Zeit zu nutzen, eher nach Hause zu gehen. Da fragen Ihre Kollegen Sie: »Kommst du heute mal mit zum Chinesen? Wir wollen eine ausgedehnte Mittagspause machen und ein bisschen quatschen.«
077 Ihre beste Freundin ist berufsbedingt weggezogen. Nun ist sie seit Langem mal wieder zu Besuch in der Stadt. Sie freuen sich schon auf eine ausgedehnte Shoppingtour und wollen ihr all die neuen Geschäfte zeigen. Das verspricht, ein hervorragender Nachmittag zu werden. Ihr Telefon klingelt, die Freundin ist dran: »Ich habe eine super Idee. Wir gehen heute Nachmittag ins Museum und schauen und gemeinsam die neue Pop-Art-Austellung an? Okay?«
078 Endlich ist es wieder so weit, Sie treffen sich mit Ihren alten Schulfreunden und wollen zeigen, wie weit Sie es gebracht haben. Sie freuen sich schon auf die Gesichter der anderen, wenn Sie mit Ihrem neuen Dienstwagen, einem teuren Mercedes Cabriolet vorfahren. Doch Sie bekommen einen Anruf von einem der Freunde:»Wir haben beschlossen, gemeinsam eine Radtour zu machen und anschließend Minigolf zu spielen. Kommst du mit?«
079 Sonntagabend, 20.10 Uhr. Gleich beginnt der Tatort, und Ihre Frau fragt Sie: »Bringst du die Kinder heute ins Bett?«
080 Ihre Freundin fragt: »Massierst du mir die Füße?«
Haben Sie alle Fragen mit »Ja, sehr gerne« beantwortet, dann haben Sie alles richtig gemacht. Fünf Situationen, in denen Sie den Verlauf anders geplant hatten. Durch Ihre Antwort »Ja, sehr gerne« ist Raum für Unerwartetes entstanden.
In der Mittagspause mit den Kollegen beim Chinesen erfahren Sie, dass noch jemand für ein spannendes Projekt in der Firma gesucht wird - und Sie könnten genau der oder die Richtige dafür sein. Sie haben sich auf den Museumsbesuch mit Ihrer Freundin eingelassen und wussten gar nicht, dass es in dem Museum auch einen Design-Shop gibt. Sie haben einzigartige Regale für Ihre Wohnung gefunden. Lange haben Sie nicht mehr so viel gelacht wie beim Minigolfspielen mit den Schulfreunden. Ihre Kinder machen Ihnen beim Ins-Bett-Gehen eine Liebeserklärung. »Du bist der tollste Papa auf der Welt.« Und aus der Fußmassage wird der romantischste Abend, den Sie seit Langem gemeinsam hatten.
Mit alledem haben Sie nicht gerechnet. Aus den scheinbar banalsten Situationen kann etwas entstehen, das vorher nicht absehbar war. Bereits Ihr Alltag bietet unzählige Möglichkeiten, das Unerwartete zu trainieren und die Gehirnteile, die für Spontaneität zuständig sind, aufzuwecken und ins Fitness-Studio zu schicken.
Wäre es nicht wunderbar, wenn wir diese Situationen nicht nur akzeptieren und zulassen, sondern sie auch ein Stück weit kontrollieren und gestalten könnten? Denn das wollen Sie ja: Das Unerwartete unter Kontrolle bekommen. Das geht, indem Sie dem Wörtchen »Ja« noch etwas hinzufügen. Werden Sie zum Designer des Unerwarteten. Das klappt, wenn Sie sich voller Elan in das Unerwartete werfen statt davonzulaufen. Es kommt Ihnen nämlich hinterher und wird immer schneller sein als Sie.
Um etwas zu erschaffen und neue Erlebnisse nicht nur zuzulassen, sondern dabei auch noch etwas zu entdecken, muss man »Ja, und …« sagen. So fügen Sie immer noch etwas Eigenes hinzu. Wenn wir auf der Bühne eine Geschichte erzählen wollen, dann hilft uns das einfache »Ja« nicht weiter. Denn damit passiert noch nichts. Wenn Sie auf der Bühne Ihres Lebens eine Geschichte erzählen wollen - also Ihr Leben leben - geht es mit einem »Ja« auch noch nicht weiter. Sie sind dem Unerwarteten gar nicht so hilflos ausgeliefert, wie Sie vielleicht denken. Mit einem »Ja« akzeptieren Sie unerwartete Situationen. Mit einem »Ja, und …« beginnen Sie, das Unerwartete zu gestalten.
Ein Esstisch in einer schön eingerichteten Wohnung. Ein Paar, Annika und Markus, beide etwa 35 Jahre alt, sitzt nach dem Essen bei einem Glas Rotwein zusammen. Sie kennen sich seit zehn Jahren. Der nächste Sommerurlaub wird geplant:

Variante 1
Markus: »Wie sieht es denn dieses Jahr mit unserem Sommerurlaub aus? Wozu hättest du denn Lust? Ich denke, wir fahren wieder nach Mallorca.«
Annika: »Ich habe neulich in so einer Wohnzeitschrift einen tollen Artikel über Ferienhäuser in Schweden gelesen. Darauf hätte ich mal richtig Lust. Lass uns dieses Jahr doch nach Schweden fahren. Ich miete uns dort ein kleines Haus am Meer.«
Markus: »Ja, aber in Mallorca hat es uns doch die letzten Jahre so gut gefallen.«
Annika: »Ja, aber in Mallorca war es immer so heiß, du mit deiner empfindlichen Haut verträgst das doch nicht so gut.«
Markus: »Ja, aber weißt du, wie viele Mücken es in Schweden gibt? Und die Haut kann ich mit Sonnencreme immer ganz gut schützen. Wir fahren nach Mallorca. Ich habe letztes Jahr schon zugesagt.«
Kommt Ihnen das bekannt vor? Eine Idee kommt ins Spiel und wird gleich beiseitegeschoben mit einem schnellen »Ja, aber«. Vermutlich werden die beiden wieder nach Mallorca fahren oder jeder alleine Urlaub machen - für immer. Sie in Schweden und er auf Mallorca. Alles entstanden aus der Angst vor Veränderung. Es soll lieber alles so bleiben wie immer, genau so wie die Unzufriedenheit zwischen den beiden. Dabei könnte das Ganze auch anders laufen:

Variante 2
Markus: »Wie sieht es denn dieses Jahr mit unserem Sommerurlaub aus? Wozu hättest du denn Lust? Ich denke, wir fahren wieder nach Mallorca.«
Annika: »Ich habe neulich in so einer Wohnzeitschrift einen tollen Artikel über Ferienhäuser in Schweden gelesen. Darauf hätte ich mal richtig Lust. Lass uns dieses Jahr doch nach Schweden fahren. Ich miete uns dort ein kleines Haus am Meer.«
Markus: »Ja, und ich habe neulich so ein Plakat für einen Dia-Vortrag über Schweden gesehen. Weißt du, so eine Multimedia-Show.«
Annika: »Ja, und ich geh morgen mal in die Buchhandlung und hol ein paar Reiseführer. Sag mal, war Gabi nicht auch letztes Jahr in Schweden?«
Markus: »Ja, und ich frage mal Jörg und Maria, vielleicht kommen sie auch mit zum Vortrag.«
Annika: »Ja, und danach essen wir bei uns Köttbullar. Ich habe bei IKEA einen ganzen Beutel gekauft.«
Ihre Aufgabe: Kreisen Sie jedes »Ja, und« mit einem Stift farbig ein. Welcher Dialog fühlt sich besser an? In welcher dieser beiden Szenen würden Sie lieber mitspielen? Das »Ja, und« eröffnet neue Wege. Wenn Markus wirklich »Ja« sagt zu der Idee, erweitern die beiden den Rahmen ihrer Möglichkeiten. Sie fahren nach Schweden, und wir haben die Gelegenheit zu sehen, wie es weitergeht. Film ab für einen kleinen Zeitraffer der Möglichkeiten:

Take 1
Beide fliegen nach Stockholm. Genießen ihren Urlaub in einem wunderschönen Ferienhaus auf dem Land. Angetan von dem Urlaub beschließen sie, aufs Land zu ziehen. Die Suche nach einem geeigneten Objekt wird ein neues gemeinsames Ziel. Er ist Grafiker und bekommt einen Auftrag, eine Werbekampagne für Milch zu gestalten. Die Fotos von Kühen, die er in Schweden gemacht hat, passen perfekt. Er verdient mit dem »Milch-Job« so viel Geld, dass sie sich das Haus auf dem Land leisten können.
»Es könnte alles so einfach sein, ist es aber nicht …«
Die Fantastischen Vier
Take 2
Der Flug nach Schweden startet mit fünf Stunden Verspätung. Bei der Mietwagenfirma am Flughafen in Stockholm weiß niemand etwas von einer Buchung - und alle Wagen sind vergeben. Endlich beim Ferienhaus angekommen, regnet es die nächsten 14 Tage durchgehend. Trotz 12 Grad Außentemperatur sind im Sommer die Heizungen abgestellt. Nur den Mücken ist die Kälte egal. Markus wird total zerstochen und lernt dabei, dass er allergisch auf die schwedischen Mücken reagiert. Die letzten Tage verbringen die beiden in Stockholm im Krankenhaus, da sein rechtes Handgelenk durch einen Stich unglaublich angeschwollen ist. Für die nächsten Wochen ist er als Grafiker erst mal arbeitsunfähig. Seitdem fahren sie immer nach Mallorca. Aber wenigstens wird Annika nie das Gefühl haben, dass sie in ihrem Leben einen Urlaub in Schweden verpasst hat. Von da an ist sie zufrieden mit jedem Sommerurlaub auf Mallorca.
In jedem Moment, in dem Sie »Ja, und« sagen, entsteht eine neue Geschichte, die Sie selbst mitgestalten. Und Sie werden vorher nie wissen, wohin die Reise geht. Was denken Sie? Wie könnte die Geschichte von Markus und Annika noch verlaufen?
Lola rennt
Kennen Sie den »Schmetterlingseffekt«? Dieser Begriff wurde von dem Meteorologen Edward N. Lorenz geschaffen. Er besagt, dass der Lufthauch, der durch den Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien entsteht, dazu führen kann, dass in Texas ein Tornado ausbricht. Genauso kann jedes noch so kleine »Ja« Ihr Leben in eine ganz andere, unerwartete Richtung lenken. In dem Film »Lola rennt« entsteht aus der Idee des Schmetterlingseffekts ein preisgekrönter Filmplot. Lola muss für ihren Freund Manni innerhalb von 20 Minuten 100.000 Mark auftreiben, die er einem Dealer schuldet. Wir erleben dreimal, wie Lola versucht, das Geld zu besorgen. Jede der drei Geschichten verändert sich durch ein kleines Detail, so dass das Geschehen einen anderen Verlauf nimmt. In kurzen Standbildern sehen wir außerdem, was alles im Leben der Nebenfiguren passiert, denen Lola begegnet.
In der Realität haben wir diese Möglichkeit leider nicht.
Spielen wir ein bisschen weiter: 10.30 Uhr, Sie machen gerade Frühstückspause und nutzen die Zeit für ein Telefonat. Etwas, das Sie im Internet bestellt haben, ist nicht bei Ihnen angekommen. Anruf bei der Kundenhotline:

Variante 1
Telefonstimme: »Bestellhotline, Firma Schnappke. Mein Name ist Jahnke.«
Kunde: »Guten Tag, mein Name ist Brand. Ich wollte mich mal nach dem Verbleib meiner Bestellung erkundigen. Als Lieferzeit war Montag angegeben, und heute ist ja schon Freitag.«
Telefonstimme: »Ja, aber das Paket müsste schon längst bei Ihnen sein. Sind Sie sicher, dass es nicht da ist?«
Kunde: »Ja, ganz sicher. Sonst würde ich ja nicht anrufen. Es ist leider nicht angekommen.
Könnten Sie mir da mal helfen und nachsehen...«
Könnten Sie mir da mal helfen und nach sehen …«
Telefonstimme (unterbricht den Kunden):
Kunde: »Ja, aber was denken Sie, was ich da tun kann?«
»Vielleicht könnten Sie mal nachsehen, wann es rausgeschickt worden ist?«
Telefonstimme: »Ja, aber das ist alles in einem anderen System gespeichert, da habe ich keinen Zugriff drauf. Das machen die Kollegen. Hier sind Sie in der Bestellhotline.«
Kunde: »Könnten Sie mich dann bitte zu einem Kollegen durchstellen?«
Telefonstimme: »Ja, aber ich kann Sie nicht durchstellen, weil grade besetzt ist.«
Kunde: »Gut, dann geben Sie mir die Nummer.«
Telefonstimme: »Ja, aber ich habe gerade keine Telefonliste hier. Rufen Sie doch später noch mal an.«
Sie finden, das sei übertrieben? Wir finden, dass dies das reale Leben ist. Uns beiden ist so etwas schon mehrmals passiert - und Ihnen vermutlich ebenso. Doch das geht auch anders:

Variante 2
Telefonstimme: »Bestellhotline, Firma Schnell und Gut. Mein Name ist Huber.«
Kunde: »Guten Tag, mein Name ist Brand. Ich wollte mich mal nach dem Verbleib meiner Bestellung erkundigen. Als Lieferzeit war Montag angegeben, und heute ist ja schon Freitag.«
Telefonstimme: »Das ist ja merkwürdig. Ich werde dem mal nachgehen. Kann ich Sie unter der Nummer, die mein Display anzeigt, zurückrufen?«
Kunde: »Ja, das ist die Nummer.«
Telefonstimme: »Ja gut, und sicherheitshalber gebe ich Ihnen noch einmal meine direkte Durchwahl: 089/123 456 …«
Kunde: »Ihre direkte Durchwahl?«
Telefonstimme: »Ja, und falls Sie mit einem Kollegen sprechen, ich habe den Vorgang hier bei mir notiert, er stellt Sie dann durch. Passen Sie auf: Ich mache Ihnen die gleiche Lieferung noch mal fertig, wenn das Päckchen doppelt ankommen sollte, rufen Sie mich noch mal an und schicken eines zurück.«
Wow, fühlt sich das gut an, das ist einem von uns tatsächlich schon einmal passiert. Es geht gar nicht darum, dieses »Ja, und« wortwörtlich zu nehmen. Eigentlich reicht schon die innere »Ja-und«-Haltung, um eine Atmosphäre zu schaffen, in der es vorangeht und Kooperation entsteht. Nun raten Sie mal, bei welcher Firma wir neuerdings besonders gerne bestellen?

Die Yes-Company

Wo kaufen Sie gerne ein? In Läden, in denen Sie eine »Ja«-Kultur spüren oder woanders, wo Sie weniger willkommen sind? Einige Firmen haben das »Ja«-Sagen tatsächlich in ihren Leitlinien zum Umgang mit den Kunden festgeschrieben. Aus dem amerikanischen Sprachgebrauch möchten wir den wunderbaren Begriff der »Yes-Company« übernehmen. Was ist damit gemeint? Yes-Companys sind Firmen, in denen die Mitarbeiter »Ja« zum Kunden sagen dürfen, und zwar jenseits von vorgefertigten Gesprächsleitfäden. Dabei sollen sie sich auf ihren gesunden Menschenverstand verlassen. Entscheidungen von Kollegen werden jeweils mitgetragen und akzeptiert, sie müssen sich dafür nicht rechtfertigen.
Aufgrund unserer Arbeit sind wir sehr sensibel für Firmen geworden, die das »Ja«-Sagen schon leben. Vielleicht haben Sie zusammen mit einem Ihrer Kollegen die Möglichkeit, Ihren Arbeitsplatz ein Stück weit in eine Yes-Company zu verwandeln. Oder Sie werden ein Yes-Man, eine Yes-Woman oder eine Yes-Family.
Das Gegenteil sind »No-Companys«. Wir haben mit dem Beispiel der Bestellhotline eine solche Firma skizziert. No-Companys erkennen Sie sofort an Sätzen wie:

»Oh, da bin ich nicht für zuständig.«
»Das kann gar nicht sein.«
»Das sieht unser System gar nicht vor.«
»Rufen Sie morgen noch mal an.«
»Das ist nicht unser Fehler.«

Welche Sätze kommen Ihnen bekannt vor? Welche kennen Sie noch?
Yes-Companys hingegen zeichnen sich durch Zustimmung aus. Als Kunde wird man positiv überrascht.

Die Mitarbeiter eines großen Outdoor-Geshcäfts dürfen »Ja« zu den Reklamationswünschen der Kunden sagen. Dort wollte ich bei einer Jacke nach eineinhalb Jahren den kaputten Reisverschluss ersetzen lassen. Ich hätte auch dafür gezahlt. Der Verkäufer sah die Jacke, ging zum Regal drückte mir eine neue in die Hand und sagte, das laufe noch auf Garantie. Ich hatte keinen Kassenbon dabei. Für mich als Kunde ein super Erlebnis, auf Nachfrage erzählte mir der Verkäufer, dass er sofort gesehen habe, dass eine solche Jacke in seinem Laden verkauft werde, und er wusste, das er sie reklamieren darf. Deshalb konnte er meinem Reklamationswunsch sofort mit »Ja« begegnen.
081
Seit Kurzem fahre ich eine neue Automarke und habe seitdem auch eine neue Werkstatt. Welch ein Genuss. BEi meinem alten Händler musste ich mich immer bei einer Empfangsdame melden die mir durch eine Betonfrisur und ihr eingefrorenes Lächeln in Erinnerung geblieben ist. Erst nach Nennung meines Namens, Abgabe der Fahrzeugpapiere und Abgleich der Daten in ihrem Rechner hatte ich die Chance, einen Meister auch nur anzuschauen. Das hieß, ich durfte darauf warten, dass jemand zu mir kam. Das hat mal fünf Minuten, aber gern auch mal 25 Minuten gedauert. Erinnert such noch jemand an Grenzkontrollen an der deutschen Grenze? In dieser neuen Werkstatt hatte ich eine Frage und wollte am Telefon erst einmal abklären, wann jemand für mich Zeit hätte. Die Antwort: »Kommen Sie doch einfach vorbei.« Aus mainer bisherigen Erfahrung dachte ich, ich sollte vorbeikommen, um das Problem erst mal zu begutachten, und dann einen Termin machen, um den Schaden zu beheben. Nein, wurde mir am Telefon gesagt, ich solle vorbeikommen und dann hätte er - Herr Lohner - Zeit für mich. Er wäre heute und morgen den ganzen Tag da. Hingefahren und - Herr Lohner hatte Zeit, kam sofort mit ans Auto, begutachtete den Schaden, holte einen Schraubenzieher und reparierte das wackelige Teil. Und all das, ohne Namen und Fahrzeugpapiere zu verlangen. Als ich nach dem Preis fragte, antwortete er, das sei doch Pipifax und er freue sich, wenn ich zur Inspektion zu ihm käme. Herr Lohner durfte »Ja« sagen. Er hat mich sofort als Stammkunden gewonnen.
082
Für einen Auftritt war ich von unserem Kunden un einem sehr guten Hotel untergebracht worden. Erst um Mitternacht kam ich ins Hotel zurück. Hungrig wollte ich noch etwas zu essen bestellen, doch die Bedienung an der Bar sagte, dass es die kleinen Speisen leider nur bis 23 Uhr gäbe. Ohne meine Reaktion weiter abzuwarten, schlug sie vor: »Aber es wäre doch gelacht, wenn ich hier im Haus nichts mehr zu essen für Sie finde.« Kurze Zeit später kam sie mit geschmierten Salami-Broten zurück,dekoriert mit Kartoffelchips und Tomaten. Eine Mitarbeitern, die »Ja« zum Hunger der Gäste sagen darf.

Was haben diese Geschichten gemeinsam? Die Menschen, von denen hier die Rede ist, sagen erst mal »Ja« und wagen sich damit in eine ungeplante Situation. Sie haben keine Angst vor Fehlern und Misserfolgen, da sie von den Kollegen, der Firma oder einfach nur durch ihr Vertrauen in sich selbst unterstützt werden.
Spielen wir ein bisschen weiter. Diesmal zuhause. Es ist Freitag, 18 Uhr. Er ist gerade von einer dreitägigen Dienstreise zurückgekommen. Sie sitzt im Wohnzimmer und sieht fern. Nach dem Duschen ruft er aus dem Bad.

Variante 1
Mann: »Sag mal, da sind Barthaare im Waschbecken. Hattest du einen anderen Mann hier, während ich auf Dienstreise war?«
Frau: »Ja, aber das war nur mein Cousin Stevie.«
Mann: »Ja, aber deinen Cousin habe ich unterwegs zufällig getroffen.«
Frau: »Oh Gott, wer war dann der Mann, der hier war?«
An dieser Stelle empfehlen wir, ausnahmsweise auf das »Ja, und« zu verzichten, sonst geht es womöglich so aus:
Variante 2
Mann: »Sag mal, da sind Barthaare im Waschbecken. Hattest du einen anderen Mann hier, während ich auf Dienstreise war?«
Frau: »Ja, und wir hatten es sehr nett.«
Mann: »Ja, und wollen wir dann mal zu dritt oder noch besser zu viert? Ich habe auf meiner Dienstreise auch eine nette Schwedin kennen gelernt.«
Frau: »Ja, und dann koche ich für alle was Leckeres …«
Sagen Sie »Ja, und« und Sie gelangen ein Stück näher an Ihre Mitmenschen, Kollegen und Kunden heran. Mit all den unerwarteten - und oft beglückenden - Konsequenzen.
Hätte uns jemand vor zehn Jahren gesagt, dass wir von unserer Theaterarbeit leben können, mit Vorträgen und Shows durch Europa reisen und ein Buch veröffentlichen, wir hätten ihm einen Vogel gezeigt. Dennoch haben wir in jedem Moment »Ja, und« gesagt, eins ergab das andere, und der jeweilige nächste logische Schritt folgte automatisch. Mal sehen, wo wir in zehn Jahren landen.
Erst wenn Sie »Ja, und« sagen, können Sie etwas verändern, das Unerwartete gestalten und vorantreiben. Fangen Sie jetzt sofort an, schalten Sie Ihre Sensoren ein und überprüfen Sie Ihre Bereitschaft, »Ja« zu sagen. Wo sind Sie bereits ein »Ja-Mensch«? Oder blicken Sie zurück: Wann haben Sie in Ihrem Leben schon »Ja, und« gesagt? Und wohin hat Sie diese Entscheidung gebracht? Welche Weichen haben Sie gestellt? Nehmen Sie sich ein bisschen Zeit und denken Sie darüber nach. Es lohnt sich.
Spontaneität lässt sich nicht einstudieren, man muss sie erleben und als Lebenshaltung verinnerlichen. Das simple Wort »Ja« hilft Ihnen dabei. »Ja, aber ich kann doch jetzt nicht einfach anfangen …«, hören wir Sie jetzt vielleicht sagen. Merken Sie was? Nehmen Sie einen Buntstift und kreisen sie das »Ja, aber« in Ihren Gedanken ein.
Bono, der Sänger der Band U2, hat einmal über den unvorhersehbaren großen Erfolg seiner Band sinngemäß Folgendes gesagt: »Wenn du den Wahnsinn nicht mehr kontrollieren kannst, dann surfe auf ihm.« Auch eine Form »Ja, und …« zu sagen.
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Übung 5:

Der innere »Ja-Checker«

Sie brauchen dazu:
• sich selbst
• Fragen, die Ihnen gestellt werden
• einen Tag Zeit
• Ihr Ja-Buch
Und so geht’s:
Den Nein-Kollegen haben Sie bereits kennen gelernt und sich mit ihm auseinandergesetzt. Aber seien Sie mal ehrlich, nicht nur bei dieser einen Person sagen Sie »Nein«. In dieser Übung geht es um alle Situationen, von morgens bis abends, egal wo und mit wem, in denen Sie »Nein« sagen. Beobachten Sie sich einen Tag lang dabei, wie viele Fragen Sie reflexartig erst mal mit »Nein« oder »Ja, aber« beantworten. Versuchen Sie, den ganzen Tag lang immer kurz innezuhalten, bevor Sie eine Frage beantworten. Zählen Sie in Gedanken langsam bis drei und überprüfen Sie sich, ob Sie vielleicht nur aus Sicherheit »Nein« sagen wollten. Wenn dem so sein sollte, antworten Sie mit »Ja« oder besser noch mit »Ja, und …« Lassen Sie die Veränderungen Revue passieren, indem Sie die positiven Erfahrungen in Ihrem Ja-Buch aufschreiben. Was ist an dem Tag Spontanes passiert? Was haben Sie erlebt?

Variante für Fortgeschrittene:
Halten Sie nicht inne, sondern antworten Sie sofort »Ja, und …« auf jede Frage, die Ihnen an diesem Tag gestellt wird, egal, um was es geht. Dann müssen Sie allerdings auch dementsprechend handeln.

Was soll das?
Beim Nein-Kollegen haben wir entsprechende Erfahrungen mit einem Menschen gesammelt, die uns dazu veranlassen, »Nein« zu ihm zu sagen. Wir sagen aber auch »Nein« zu Menschen, mit denen wir noch keine solchen Erfahrungen gemacht haben, und vermeiden damit eine gemeinsame neue Erfahrung. Mit einem »Nein« wiegen wir uns in Sicherheit. Ein »Nein« verändert nichts. Alles bleibt so wie immer, und wir brauchen uns nicht auf neue Situationen einzustellen. Ein »Nein« ist ein Showstopper, ein »Nein« blockiert neue Ideen. Die Welt würde sich nicht verändern, würden wir dauernd »Nein« sagen. Sie werden feststellen, dass in vielen Situationen das »Ja« gar nicht so gefährlich wird, wie man denkt. 084
Bis hierhin war doch alles ganz simpel und einfach. Ganz simpel? Ganz einfach? Fangen Sie einfach an. Einfach anfangen, so etwas kann auch nur in Ratgebern stehen. Und das »Ja« sagen liest sich ja auch ganz einfach. Eigentlich eine simple Regel, die man sich bloß merken muss. Aber warum fällt es einem dennoch so schwer?
Auch für uns ist nicht immer alles einfach. In manchen Situationen sträubt sich alles dagegen, einfach loszulegen. Da fallen auch uns viele Ausreden einem ein. Zum Beispiel: »Wo kommen wir denn hin, wenn alle nur noch ›Ja‹-Sager wären?« Oder: »Ich kann doch auch erst mal abwarten und dann entscheiden.« Kurz: Allen Menschen fällt es immer wieder mal unglaublich schwer, diese Regel zu befolgen.
Warum ist das so? Wir haben das Bedürfnis, die Kontrolle zu behalten, wir möchten uns selbst vor dem Unerwarteten schützen. Und wir möchten auch keine Fehler machen. Vielleicht ist dieses Verlangen nach Kontrolle tatsächlich ein Überbleibsel aus der Urzeit. Erinnern Sie sich an die Fight-or-Flight-Reaktion? Lieber kämpfen mit »Ja, aber« oder flüchten mit »Ja, oder«, uns schützen mit »Nein«, dann behalten wir die Kontrolle, und alles bleibt, wie es war.
Wir müssen uns nicht unbedingt auf etwas Neues oder Unerwartetes einstellen. Allerdings sind wir dann zugleich gefangen in unseren Anti-Spontaneitäts-Welten, über die unser innerer Zensor wacht. Das ist ein kleiner Mann mit dunklem Anzug und Brille, insgesamt sieht er ein wenig konservativ aus. Er macht es sich gerne mit unserem inneren Schweinehund auf dem Sofa bequem. Wenn der innere Schweinehund es nicht mehr schafft, Sie mit Gedanken wie »Wenn du jetzt ›Ja‹ sagst, hast du bestimmt viel Arbeit vor dir, mach mal lieber gar nichts« manipulieren, tritt der Zensor in Aktion: »Gestatten, ich bin Ihr innerer Zensor.« Sein Wunsch nach Kontrolle beherrscht uns stärker als nötig. Er macht es sich vor allem in der linken Gehirnhälfte bequem. Der innere Zensor ist die innere Stimme in uns, die unsere gesellschaftlichen Werte- und Moralvorstellungen vertritt, was zum Teil ja auch ganz vernünftig sein mag. Leider ist der innere Zensor oft etwas zu rigide und bequem geworden, und wenn er nicht weiterweiß, dann zensiert er auch da, wo es gar nicht notwendig wäre. Damit blockiert er uns und versperrt den Weg in ein Leben voller Spontaneität. Er nimmt auch gern getarnte »Nein«-Sätze in den Mund:
085 »Das kann man doch nicht machen.«
086 »Haben wir alles schon mal ausprobiert.«
087 »Damit mache ich mich doch lächerlich.«
088 »Das funktioniert nie.«
089 »Was sollen denn die Nachbarn denken?«
»Tstststststs«, sagt er kopfschüttelnd und schaut dabei über den Rand seiner Brille, wie Omas das tun, wenn sie ihre Enkelkinder beim Stibitzen von Schokolade erwischen.
Ein spontaner Mensch weist seinen inneren Zensor in seine Schranken. Sobald Sie herausgefunden haben, wie Ihr innerer Zensor tickt, wird Ihnen das »Ja«-Sagen leichter fallen. Sobald Ihr innerer Zensor das merkt, wird er klein beigeben.
090

Übung 6:

Den inneren Zensor in seine Schranken weisen

Sie brauchen dazu:
• sich selbst
• Ihre innere Stimme, sprich, den inneren Zensor
• eine Situation, in der etwas entschieden werden muss
• Ihr Ja-Buch
Und so geht’s:
Lernen Sie Ihren inneren Zensor kennen. Er ist die Stimme Ihrer Gedanken, die Ihnen viele Argumente liefert, warum Sie etwas nicht versuchen oder anfangen sollten. Antworten Sie das nächste Mal: »Ja, ja, ich habe deine Bedenken gehört. Aber an dieser Stelle entscheide ich!« Malen Sie ein Bild von Ihrem inneren Zensor in Ihr Ja-Buch und sagen Sie bloß nicht, Sie könnten nicht malen.

Was soll das?
Der innere Zensor ist nicht immer ein Störenfried. In vielen Situationen schützt er uns und lässt uns mit gesundem Menschenverstand handeln. Man sollte ihn deshalb ernst nehmen. Manchmal aber schießt er über sein Ziel hinaus und blockiert uns, etwas Neues auszuprobieren oder zu wagen. Die Vorschläge und Zensur-Sätze des inneren Zensors haben sich über all die Jahre Ihres Lebens entwickelt und verfestigt. Das können übernommene Sätze von Lehrern, Eltern, Vorgesetzten, Partnern sein ebenso wie Sätze, mit denen der innere Zensor Sie mal beschützte, als Sie noch klein waren. Und nun flüstert er Ihnen diese Sätze wieder ein, hat aber gar nicht gemerkt, dass Sie kein kleines Kind mehr sind, sondern ein erwachsener Mensch, und dass seine Ratschläge alles andere als hilfreich sind.
Indem wir mit dem inneren Zensor in Dialog treten, erkennen wir ihn an und übernehmen gleichzeitig die Kontrolle über die Entscheidung. Dieser Dialog hilft, die Vermischung aus realer Situation und erlernten Zensursätzen klar zu trennen und in einer neuen Situation angemessen zu handeln. 091

Eigentlich klingt es doch ganz vernünftig, in einer geschützten Zone bleiben zu wollen. Warum sollte man daran etwas ändern? Sicherheit ist wie gesagt nur eine Illusion - es gibt sie nicht oder nur in einem begrenzten Rahmen. Und dann stehen wir da mit der Veränderung, die auf uns einstürmt. Kaninchen-Feeling! Fangen Sie also lieber jetzt an zu trainieren, mit unerwarteten Situationen umzugehen. Lassen Sie sich davon überraschen, was alles Wunderbares passieren wird. Sehen Sie das »Ja« und die damit verbundenen Ereignisse nicht als etwas Bedrohliches, das Sie nicht kontrollieren können, sondern als Chance für Neues.
Wir spielen regelmäßig in kleinen Kulturzentren. Zwei Scheinwerfer, 50 Zuschauer. Back to the Roots. Bei einem solchen Auftritt baten wir die Zuschauer um Anregungen für eine Beziehungsszene zwischen zwei Personen. Normalerweise kommen dann immer Vorschläge wie »Vater - Sohn«, »Schüler - Lehrer« oder »Schornsteinfeger - Zimmermann«. Von diesen Vorgaben lassen wir uns inspirieren und entwickeln eine Szene. Diesmal saßen in der letzten Reihe zwei etwa 16-jährige Jungs, die halblaut, wohl um zu provozieren, »Auf die Fresse hauen!« riefen. Während ein Raunen durch das Publikum ging, huschte über unsere Gesichter ein Strahlen. Innerhalb von Sekunden entstand ein Musical über einen Türsteher, der es satthat, nur »auf die Fresse zu hauen«, und dessen Traumberuf Leuchtturmwärter ist. Am Ende gab es großen Applaus, auch aus der letzten Reihe. »Ja« gesagt im richtigen Moment.
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Übung 7:

»Ja«, ohne Wenn und Aber

Sie brauchen dazu:
• sich selbst
• einen festgelegten Zeitraum
Und so geht’s:
Beantworten Sie in einem festgelegten Zeitraum, der mindestens 60 Minuten dauern sollte (je länger, desto besser), alle Fragen, die Ihnen gestellt werden, mit »Ja, und …«. Sie fügen dem »Ja« also immer noch einen weiteren Vorschlag hinzu.
Beobachten Sie sich dabei: Wie hat sich Ihr Verhalten während dieser Zeit verändert? Was ist passiert? Ist etwas geschehen, das Sie nicht erwartet haben? Hat sich Ihr Kontakt zu anderen Menschen womöglich verbessert?

Variante für Fortgeschrittene:
Vermutlich haben Sie sich für die Übungen eine Situation gesucht, in der es einfach ist, 60 Minuten »Ja, und …« zu sagen. Wenn Sie diese Übung in diesem Rahmen gut beherrschen, können Sie sie erweitern, indem Sie »Ja, und …« auch dann sagen, wenn es auf dem ersten Blick kein Sicherheitsnetz gibt, z.B. immer die ersten 30 Minuten im Büro, bei allen Kundenanrufen zwischen 10 und 11 Uhr …

Was soll das?
Bei dieser Übung geht es darum, Ihre Konzentration ausschließlich auf das »Ja, und …« zu legen und die Konsequenzen dieser Entscheidung zu tragen. An ein »Nein« darf gar nicht mehr gedacht werden. Darüber hinaus üben Sie sich darin, eine Frage oder Idee, die man an Sie heranträgt, weiterzuentwickeln. Vielleicht ist es am Ende leichter, »Ja, und …« zu sagen, als Sie anfangs dachten. Selbstverständlich sollen Sie während der Übung keine Fragen mit »Ja« beantworten, die Sie in Gefahr bringen könnten. 093

Wackeldackel

Ist es wirklich ratsam, immer und überall »Ja« zu sagen? Alles abzunicken wie ein Wackeldackel auf der Hutablage eines alten Opel Kadett? Zum Opportunisten zu werden, zu einem Menschen, der sein Fähnchen nach dem Wind hängt?
Die Antwort lautet: Natürlich nicht! Es gibt genug Fragen, die Sie nicht mit »Ja« antworten werden und auch nicht sollten. Leiden Sie beispielsweise unter einer Nahrungsmittelallergie gegen Nüsse, werden Sie den Nusskuchen, den man Ihnen anbietet, ablehnen. Es geht ja schließlich um Ihr Leben. Wenn Ihnen jemand etwas verkaufen will, was Sie nicht brauchen, werden Sie bewusst »Nein« sagen. Kurz: Es geht nicht darum, zum bedingungslosen »Ja«-Sager zu werden und wie ein Wackeldackel alles abzunicken. Es geht vielmehr darum, nicht zu allem reflexartig »Nein« zu sagen. Übernehmen Sie Verantwortung für die Entscheidungen, bei denen Sie »Ja« sagen. Ihre Intuition - Ihr Bauchgefühl - wird Ihnen dabei helfen, die richtige Entscheidung zu treffen.
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Wenn Sie »Ja« sagen, achten Sie darauf, dass Sie es auch wirklich meinen. Eine Freundin erzählte uns während der Arbeit an diesem Buch, dass sie manchmal spontan »Ja« sage, wenn Freunde sie einlüden, beim Italiener um die Ecke einen Kaffee zu trinken. Dann würde sie jedoch dort sitzen und sich ärgern, weil sie ihrem eigentlichen Plan (aufräumen, einkaufen etc.) nicht nachging und ihr gesamter Zeitplan noch enger und hektischer würde. Sie kam zu dem Schluss, in solchen Situationen »falsch spontan« zu sein. Wir kennen diese Situationen, Sie bestimmt auch. In der Regel sagt man in solchen Momenten »Ja«, weil man das Gefühl hat, nett zu jemandem sein oder jemandem einen Gefallen tun zu müssen. Das »Ja« kommt dann nicht wirklich aus einem inneren Impuls heraus. Wenn Sie mehr auf Ihren Bauch hören (siehe Navituition), werden Sie relativ schnell spüren, an welchen Stellen Sie sich vor einem »Ja« drücken, um keine neuen Wege zu gehen, und wo Sie ein »Nein« scheuen, um sich nicht unbeliebt zu machen. Dabei wissen Sie gar nicht, welche Folgen ein »Nein« tatsächlich nach sich ziehen würde.
Aus einer ganz anderen Perspektive hat sich der großartige Kabarettist Horst Schroth mit »Ja«- und »Nein«-Sagen in seinem Programm »Herrenabend« beschäftigt. Es geht darum, warum Männer in Standardsituationen innerhalb einer Beziehung immer gleich reagieren sollten. Als Mann sollte man immer mit »Ja« antworten, wenn die Frau fragt: »Liebst du mich noch?« Auf keinen Fall entgegnen: »Liebe? Wie meinst du das denn jetzt?« Oder: »Warum fragst du?« Die Antwort lautet immer »Ja«. Wir empfehlen darüber hinaus, in einem solchen Moment nicht mit »Ja, aber …« zu antworten. Fragt die Frau jedoch: »Findest du mich zu dick?«, muss ein Mann immer ein klares »Nein« verlauten lassen und danach sofort den Raum verlassen. Bei aller Spontaneität rät Horst Schroth dringend, sich an diese Regeln zu halten.
Doch nicht nur im Kabarett, auch im echten Leben gilt: Jedes »Ja« macht Sie präsenter und verantwortlicher für Ihr Wort, das Sie gegeben haben. Mit einem klaren »Ja« sind Sie ein verlässlicher Partner. Überraschend, unerwartet, inspirierend. Ihre Kollegen und Freunde werden das bald merken und im besten Fall sogar ebenfalls spontaner reagieren.
In unerwarteten Situationen fürchten wir am meisten den Kontrollverlust. Nicht zu wissen, was kommt: Wir stehen vor der Tür und wissen nicht, ob uns das Sofa hinter der Tür gefallen wird, geschweige denn, ob es überhaupt ein gemütliches Sofa gibt. An dem Unerwarteten selbst können wir nichts ändern, auch wenn scheinbar alles sicher und dreimal geplant ist, gibt es keine Garantie dafür, dass der Plan auch so durchläuft, wie er aufgesetzt worden ist. Wenn Sie daran schon nichts ändern können, dann ändern Sie Ihr Verhalten in solchen Situationen. Akzeptieren Sie die Situation so, wie sie ist. Lassen Sie sich nicht fremdbestimmen, weder von anderen noch von Ihrem inneren Zensor.
Wie wir alle müssen Sie das üben, üben, üben. Nutzen Sie die Chancen, die Ihnen das »Ja«-Sagen bietet. Mit der Zeit gewöhnen Sie sich daran, dass es Situationen gibt, die sich nicht vorausplanen lassen. Weil Sie das Risiko eingegangen sind und sich in neue ungewohnte Situationen gebracht haben, werden Sie versierter. Also, lassen Sie uns weiterüben.
095

Übung 8:

Das »Nein«-Roulette

Sie brauchen dazu:
• sich selbst
• sch lechte Laune
• sch lechtes Wetter
• einen nervigen Partner, wahlweise geht auch ein ebensolcher Kollege, Elternteil, Verwandter, Nachbar …
Und so geht’s:
Achtung: Wenn Sie diese Übung lesen, dann hat es eine feindliche Übernahme gegeben und irgendjemand will Sie auf die böse Seite der Macht ziehen … Sollten Sie die Nase voll vom »Ja«-Sagen haben, haben wir eine Auswahl an Sätzen zusammengestellt, mit denen Sie ein »Nein« ebenso gekonnt wie versteckt umgehen können.

»Weiss nicht.«
»Bist du dir sicher?«
»Da möchte ich noch mal drüber nachdenken.«
»Was haben die anderen denn gesagt?«
»Ja, oder wir machen es doch ganz anders.«
»Das sieht mein Mann/meine Frau/mein Chef/mein Arzt nicht so gerne.«
»Das klappt sicher nicht.«
»So haben wir das noch nie gemacht.«
»Laut Anleitung darf man das nicht.«
»Das kann man nicht einfach machen.«
»Das habe ich schon mal ausprobiert, das klappt nicht.«
»Da mache ich mich doch lächerlich.«
»Das funktioniert nie.«
»Dafür bin ich nicht zuständig.«
»Ich habe für solche Themen gerade keine Sprechzeit.«
»Meinst du wirklich?«
»Ja, aber noch besser wäre doch …«
»Solange du die Füße unter meinen Tisch stellst …«
»Dagegen sind wir nicht versichert.«
»Das erlaubt mein Arzt mir nicht.«
»Das wird nicht so gerne gesehen.«
»Besser nicht.«
»Das ist bestimmt aufwändiger.«
»Wenn das schiefgeht …«

Was soll das?
Das können wir Ihnen leider nicht sagen. Sie haben die oben stehenden Sätze hoffentlich nicht von sich gegeben und werden es auch nie tun. Wie schon erwähnt, hat es an dieser Stelle eine feindliche Übernahme gegeben. Vermutlich ist dieses Buch gehackt worden oder ein Trojaner hat sich eingeschlichen. Sie dürfen die Sätze auf keinen Fall verwenden, um das Virus nicht weiterzuverbreiten. Sollten Sie es doch getan haben, schalten Sie auf Reset und beginnen Sie die Lektüre des Buches von vorn. 096

Payback for your life

Ihr Name ist Claire Redfield, Sie sind Mitglied einer Spezialeinheit und leben in Raccoon City. Endzeitstimmung. Sie kämpfen sich mit unterschiedlichen Waffen durch die verschiedenen Gegenden Ihrer Stadt. Sie stehen immer wieder Monstern und Zombies gegenüber, gleichzeitig finden Sie auch Gegenstände auf Ihrem Weg, die Sie mitnehmen können. Sie packen sie ein, auch wenn Ihnen, Claire Redfield, in der augenblicklichen Situation nicht klar ist, wofür all das mal gut sein könnte.
Wir befinden uns in einer virtuellen Welt. Sie sind die Heldin eines Videospiels, und das heißt »Resident Evil«. Sie sind ein Wesen, das aus Nullen und Einsen besteht, und leben in einer Playstation. Als erfahrene Heldin eines Videospiels wissen Sie, dass Sie die Gegenstände, die Sie finden, später - auf einem höheren Level - brauchen werden.
Als Held eines spontanen Lebens machen Sie es bitte genauso. Sammeln Sie Erlebnisse und Erfahrungen, von denen Sie im Moment noch nicht wissen, wofür sie gut sein könnten. Es sind Ihre eigenen Bonuspunkte, die Sie irgendwann einlösen werden.
Steve Jobs, Mitbegründer und Mastermind von Apple Inc., nannte das in einer Rede vor Studenten, die gerade ihren Abschluss gemacht hatten, mal »die Punkte verbinden«. Es ist nicht absehbar, wofür wir unsere gesammelten Erfahrungen später einmal benötigen. Steve Jobs beispielsweise hat an seinem College aus reiner Lust ein Kalligrafie-Seminar belegt. Er wusste zu dem Zeitpunkt noch nicht, ob und wozu er dieses Wissen gebrauchen könnte. Erst Jahre später stellte sich heraus, wie wichtig diese Erfahrung für die Entwicklung des ersten Macintosh-Computers war. Der Apple Macintosh war der erste Computer, der verschiedene Schriftarten am Bildschirm anzeigen konnte und über eine sogenannte grafische Benutzeroberfläche mit »Fenstern«, »Papierkorb« und Menüs verfügte, die sich anklicken ließen. Alles, was heute normal ist, war damals revolutionär.
Das »Verbinden der Punkte« ist immer erst im Rückblick möglich. Wir sammeln also vorausschauend, auch wenn wir den direkten Nutzen noch nicht kennen. Sammeln Sie ab sofort auch jenseits Ihrer Komfortzone Erfahrungen und Bonuspunkte.
097

Übung 9:

Selektive Wahrnehmung

Sie brauchen dazu:
• Sich selbst
• ein beliebiges Thema
• eine Woche Zeit
• Ihr Ja-Buch
Und so geht’s:
Wählen Sie ein beliebiges Thema, es muss Sie noch nicht mal sonderlich interessieren: Bäume, Schweden, Bücher, Fotografie, Spontaneität, Architektur, Essen etc.
Schlagen sie in Ihrem Ja-Buch eine neue Seite auf und schreiben Sie das Thema groß auf eine Seite. In der folgenden Woche verbringen Sie ganz normal Ihren Alltag, mit dem einzigen Unterschied, dass Sie einmal am Tag, am besten morgens, in Ihr Ja-Buch schauen, um sich an Ihr Thema zu erinnern. Im Alltag schärfen Sie ab jetzt Ihren Blick für z.B. das Thema Spontaneität.
Sie werden überrascht sein, wo Ihnen Ihr Thema überall entgegenspringt. Welche Werbung möchte Sie verleiten, spontan in den Urlaub zu fliegen? Welche Versicherung möchte Sie vor Unerwartetem schützen? Welcher Politiker verlangt von den Bürgern mehr Spontaneität und Flexibilität? Notieren Sie in Ihrem Ja-Buch Situationen, in denen Sie überrascht waren, Ihrem Thema zu begegnen.

Was soll das?
Oft glauben wir, dass wir alles um uns herum genau wahrnehmen. Um spontan kreative Ideen zu entwickeln, müssen wir mit wachsamem Auge alles, was uns zur Verfügung steht, nutzen. Diese Übung trainiert unsere Wahrnehmung. Wir erleben, dass es in unserer unmittelbaren Umwelt mehr Informationen zu einem Thema gibt, als wir gedacht hätten. Um spontan reagieren zu können, müssen wir schnell auf Informationen zurückgreifen können. Und das können nur Informationen sein, die für Sie jetzt verfügbar sind, die Sie also beispielsweise schon im Kopf haben. 098

Erinnern wir uns noch mal an Annika und Markus, das Paar, das seinen Sommerurlaub plant. Markus hatte ein Plakat zu einem Dia-Vortrag über Schweden gesehen und konnte in dem Gespräch mit Annika auf diesen Eindruck zurückgreifen. Obwohl er vorher nie über Schweden nachgedacht hat, hatte er das Plakat wahrgenommen und konnte seine gesammelten »Bonuspunkte« bei Annika einlösen.
Da wir auf Unerwartetes reagieren wollen, wissen wir vorher nicht, welche Informationen wir gebrauchen können und welche nicht. Also heißt es, Erlebnisse sammeln. Dabei stellt sich noch ein anderes Phänomen ein, das auch als selektive Wahrnehmung bezeichnet wird. Sie kennen das sicher: Sie beschäftigen sich gerade mit einem Thema und auf einmal begegnen Ihnen im Fernsehen, in der Zeitung, in Ihrem Stadtteil thematisch passende Puzzleteile. Kaum ist bei Annika und Markus das Thema Schweden im Kopf verankert, springt es Markus überall ins Auge. Im Supermarkt gibt es schwedische Kekse, seine Jacke hat eine kleine schwedische Flagge aufgenäht, beim Abfahrtslauf im Fernsehen starten überdurchschnittlich viele Schweden, in jedem Reisebüro scheint es neuerdings Angebote für Reisen nach Schweden zu geben. Das neue Besteck ist in Schweden entworfen worden. Und selbst in seiner Pornosammlung findet er acht schwedische Filme.
Uns ging es so, als wir Väter wurden. Kaum schoben wir mit dem Kinderwagen durch den Stadtteil, schien der von Kinderwagen überzuquellen, überall waren über Nacht Kinderbekleidungsgeschäfte aus dem Boden geschossen. Und wo kamen auf einmal die ganzen Spielplätze, Kindergärten und Schulen her? Sie waren schon immer da. Unsere selektive Wahrnehmung hat sie vor uns versteckt.
Probieren Sie mal, Ihre selektive Wahrnehmung zu beeinflussen. Sie können den Spieß nämlich auch umdrehen und selbst aktiv werden. Suchen Sie sich ein Thema und seien Sie offen dafür. Sie werden überrascht sein, wie reichhaltig Sie Ihre Umwelt mit Anregungen zu diesem Thema versorgt.
Sagen Sie »Ja« zu den Erlebnissen und Eindrücken. Füllen Sie Ihr Erlebnispunkte-Konto, um in unerwarteten Situationen darauf zurückgreifen zu können.
099

Übung 10:

Das Konto »Erlebnispunkte« auffüllen

Sie brauchen dazu:
• Sich selbst
• einen Zeitungskiosk
• einen Fußweg
• einen Fernseher
• eine Kantine/ein Restaurant
• fünf bis zehn Minuten Lebenszeit
Und so geht’s:
Diese Übung gibt es in verschiedenen Varianten. Wählen Sie eine, die Ihnen zusagt, oder spielen Sie - wenn Sie richtig hart trainieren wollen - alle vier durch.

Variante 1: Am Zeitungskiosk
Wenn Sie das nächste Mal an einem Bahnhof warten und noch ein bisschen Zeit haben, gehen Sie an den Kiosk und nehmen sich eine Zeitung, von der Sie bislang nicht wussten, dass sie existiert. Schlagen Sie das Heft an einer beliebigen Stelle auf und lesen Sie eine Seite, gern auch mehrere, wenn ein Thema Sie packt. Wir haben mit folgenden Zeitschriften interessante Erfahrungen gemacht: »Kaninchenzeitung«, »Traktor Power«, »Fliegerrevue«, »LOK-Magazin«.
Bei unseren Vorträgen und Trainings raten wir ebenfalls dazu, Zeitschriften durchzublättern, die man sonst nie liest. Einen unserer Kunden haben wir eine Woche nach einem Training zufällig noch einmal getroffen. Er erzählte uns begeistert, dass er schon lange mit dem Gedanken spielte, sich selbstständig zu machen. Als er von dem Vortrag nach Hause ging, hätte er im Kiosk eine Zeitschrift in die Hand genommen, die er sonst nie anschauen würde. Der Themenaufmacher war »Wege in die Selbstständigkeit«.

Variante 2: Den Standardweg verlassen
Wir haben Sie ja schon aufgefordert, Ihre Anti-SpontaneitätsWege zu verlassen, im übertragenen Sinn verstanden. Jetzt geht es darum, tatsächlich neue Wege zu gehen. Sie nehmen immer den gleichen Weg: zur Arbeit, zum Einkaufen, zu Freunden. Verlassen Sie ab jetzt diese eingefahrenen Routen. Gehen Sie mal woanders lang. Vielleicht eine Straße, von der Sie nicht sicher sind, wohin sie führt. Meistens braucht man dafür, sollte es ein Umweg sein, gerade mal fünf Minuten mehr Zeit.

Variante 3: Im Fernsehsessel
Sie sitzen abends öfter mal vor dem Fernseher und zappen sich durch die Programme auf der Suche nach Unterhaltung. Dabei schalten Sie einige Programme besonders schnell weg, die Sie nicht interessieren. Diesmal bleiben Sie mindestens eine Minute lang dabei und schauen sich dieses Programm an, bevor Sie weiterschalten. Uns ist in Erinnerung geblieben: eine Verkaufsshow in einem Home-Shopping-Kanal mit »Bauch-weg-Unterhemden«, demonstriert an einem Übergrößenmodel, diverse Sumo-Kämpfe, ein Wasserballett, verschiedene tragische Dialoge in Verfilmungen von Rosamunde-Pilcher-Romanen.

Variante 4: Beim Essen
Falls Sie mittags immer in der Kantine essen gehen, setzen Sie sich möglicherweise immer mit den gleichen Menschen an den gleichen Tisch und essen auch immer das Gleiche. Sollte dem so sein, nehmen Sie ab jetzt einen Tisch, an dem Sie noch nie gesessen haben, und essen ein Gericht, das Sie noch nie probiert haben. Falls Sie regelmäßig mittags ins Restaurant gehen, können Sie auch dort einen anderen Tisch wählen. Bei einer Freundin von uns ist es in der Firma Tradition, einmal in der Woche mit einem bis dato unbekanntem Kollegen essen zu gehen. Man sucht sich den »Unbekannten« aus dem Firmenintranet aus und macht einen Terminvorschlag. Besagte Freundin erzählt uns seither dauernd, wie viele tolle und spannende neue Kollegen sie seitdem kennen gelernt hat.

Was soll das?
Das Unerwartete soll Sie in Ihrem Alltag nicht mehr überraschen. Also überraschen Sie sich selber mit neuen Erfahrungen. Trainieren Sie, Dinge zu sehen, die Sie vorher noch nie gesehen haben. Sammeln Sie neue Erfahrungen, Sie werden feststellen, dass sie Ihnen eines Tages nützlich sein können. In spontanen Situationen müssen Sie auf Wissen zurückgreifen, von dem Sie vorher nicht einmal ahnten, dass Sie es einmal brauchen werden. Außerdem werden Sie staunen, was um Sie herum noch alles passiert, ohne dass Sie es bislang gesehen, geschmeckt oder gerochen haben. Genau diese Übung hatten wir einem Unternehmensberater vorgeschlagen. Obwohl er nicht wirklich davon überzeugt war, besuchte er bei seinem nächsten Aufenthalt an einem Bahnhof die Bahnhofsbuchhandlung und blätterte im »WP-Magazin«, in dem es nur um Wellensittiche und Papageien geht. Schnell hatte er eine Seite über eine Papageienkrankheit gelesen, ohne recht zu wissen, wozu das gut sein sollte. Wochen später hatte er einen Termin bei einer Pharmafirma, die auf Tiermedizin spezialisiert war. Im Vorgespräch griff er auf seine mit dem »WP-Magazin« gesammelten »Punkte« zurück und fragte, ob die Firma auch Medikamente für Papageien anbiete. Die Mitarbeiter waren positiv überrascht vom Interesse des Unternehmensberaters. Kurz: Er bekam den Beratungsauftrag. 100
Monty Python, ein Beatle und ein starkes »Ja«
Nachdem die englische Comedy-Gruppe Monty Python »Die Ritter der Kokosnuss« abgedreht und erfolgreich in die Kinos gebracht hatte, gingen sie an ihr nächstes Werk: »Das Leben des Brian«. Sie waren sich sicher, jemanden zu finden, der den Film finanzierte. Zwei Tage vor Drehbeginn in Tunesien sprang der Investor ab. Durch Zufall erfuhr Ex-Beatle George Harrison davon und sprang als Investor mit einem Millionenbetrag ein, einfach nur, weil er diesen Film sehen wollte, und dafür musste er gedreht werden. Das ist ein starkes persönliches und finanzkräftiges »Ja«. Erst nach Ende der Dreharbeiten wurde den Pythons klar, das George Harrison für den Film einen Großteil seines Besitzes beliehen hatte.

Das ganze Buch für Schnellleser. Teil 1:

Sag »Ja«.
Nicht immer, aber immer öfter.
Lesen Sie weiter auf Seite 204.

Regel Nr. 2: Mach Fehler und genieße es

Ein Hollywoodfilm, Action-Genre, »Stirb langsam«, Teil 8. Sie sind der Held des Films, befinden sich in Manhattan, sitzen vor einer Bombe und müssen sich zwischen dem roten und dem grünen Draht entscheiden. Machen Sie jetzt einen Fehler, wird die Bombe hochgehen. Sie und tausende von unschuldigen Menschen werden sterben. Sie werden Ihre Familie nie wiedersehen, Ihre Kinder werden ohne Vater aufwachsen. Die Explosion löst eine Kettenreaktion: aus, wodurch eine von der US-Regierung bislang geheim gehaltene Zeitmaschine aktiviert wird. Dadurch kommen George W. Bush und sein Vater wieder an die Macht. Diesmal zusammen. Als erste Amtshandlung der beiden wird Fahrradfahren sofort verboten und Autofahren zur Pflicht, um die nationalen Ölkonzerne zu unterstützen. Deshalb entwickelt sich die Klimakatastrophe noch gravierender als erwartet, und am schmelzenden Nordpol richtet Al Kaida ihre neue Zentrale ein, weil die Temperatur dort inzwischen wie zu Hause ist.
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Das war die Version für die Männer. Die weibliche Version unserer Geschichte hört sich etwas anders an:
Ein Hollywoodfilm, Genre: Komödie für Frauen, »Sex and the City«, Teil 9. Sie sitzen in einer schicken New Yorker Bar und werden von zwei Männern angesprochen: Mr. Right und Mr. Big. Es läuft gut. Der eine trägt eine rote und der andere eine grüne Krawatte. Was machen Sie? Sind es wirklich Mr. Big und Mr. Right? Oder ist einer vielleicht eine absolute Niete? Entscheiden Sie sich für den einen, wäre der andere bestimmt die bessere Wahl gewesen oder andersrum. Einer kann kochen, liebt Kinder, ist gut im Bett und romantisch veranlagt. Wenn Sie den anderen wählen, wird Ihr Leben den Bach runtergehen. Er entpuppt sich als passiver Sofa-Sportfan, sitzt also nur vorm Fernseher und lässt sich von Ihnen die Bierchen anreichen. Leider verliert er seinen lukrativen Job und schlägt vor, dass Ihr Einkommen eigentlich für Sie beide reichen müsste. Um Geld zu sparen, verbringen Sie ab sofort alle Urlaube im Wohnwagen auf einem Zeltplatz. Der Höhepunkt des Urlaubs ist das örtliche Feuerwehrfest. Und alles nur, weil Sie sich in diesem Moment für den Falschen entschieden haben. Hätten Sie doch den anderen genommen, oder noch besser, beide.
Wer die Option, beide zu nehmen, in Betracht gezogen hat: Glückwunsch, Sie sind auf dem richtigen Weg, ganz spontan Spaß zu haben. Aber das wäre ein anderes Buch. Leider muss man sich im realen Leben immer für eine Sache entscheiden. Mr. Big oder Mr. Right. Traummann oder Albtraum-Kandidat. Roter oder grüner Draht. Weltretter oder Rettungsversager. Und leider wissen wir in dem Moment nicht, welche Entscheidung die richtige ist. Beides geht nicht. Deshalb schwingt bei jeder Entscheidung die Angst mit, einen Fehler zu machen. Und wir können uns nicht entscheiden und sind deshalb nicht spontan. Aber spontane Menschen müssen Entscheidungen fällen und Fehler machen.
Aebr die meeitsn Felehr, die wir mcaehn, snid nciht so gvriaenerd. Ein gssorer Tiel uesernr Lsrscheaft snid kniee Bmboenetnräschrfer und hbaen kiene Dteas in New Yroekr Bras. Und sblest dsieen Txet knönen sie lseen, obwohl er ein enziiger Felehr ist.
Was ist denn eigentlich ein Fehler? Wir haben mal nach anderen Begriffen dafür gesucht: Problem, Störung, Zwischenruf, Stau, Benzinpreis, Freundin, Freund, Idiot, Kollege, Chef, Staat, Wetter, Depp, Nachbarn, falscher Job, Auto-Werkstatt, Ehemann, Bahn, Ehefrau, Affäre …
Irgendwer ist ja immer schuld. Man merkt schnell, dass es ziemlich viele Fehler in unserem Umfeld gibt. Und die Fehler liegen immer bei den Anderen - klar. Sie machen keine Fehler, oder? Und darum sind Sie auch nicht spontan.
Der Begriff »Fehler« müsste sich also weiter fassen lassen, um damit besser zu arbeiten, oder, wie wir sagen würden, spielen zu können. Zoomen wir uns mal näher an das Thema heran, indem wir uns noch einmal den Vulkanausbruch auf Island in Erinnerung rufen:
Eine Woche lang legt der speiende Vulkan den kompletten europäischen Flugverkehr lahm. An die 180.000 Flüge werden gestrichen. Weltweit sitzen Menschen an Flughäfen fest. Niemand kann etwas für den Fehler, aber alle müssen ihn ausbügeln. Er behindert uns, unserem Tagesablauf zu folgen, und verschlechtert scheinbar unsere Lebensqualität. Tausende von Menschen müssen spontan sein und improvisieren. Sie haben keine andere Wahl. Es bilden sich Fahrgemeinschaften von Lissabon nach Frankfurt. Urlaube werden verlängert. Die Zeitungen schreiben erstaunt von diesem spontanen Verhalten der Betroffenen. Ein einziger großer »Fehler« der Natur, möchte man ausrufen, und merkt dabei gar nicht, dass die Natur einfach nur sie selbst ist. Keiner der Betroffenen hatte vorher die Möglichkeit zu überlegen, ob sich das spontane Handeln als ein Fehler erweisen würde. Denn der Ausgangsfehler (Vulkanausbruch) ist so gravierend, dass alle anderen potenziellen Fehler dagegen harmlos erscheinen. Unter dieser Voraussetzung trauen sich anscheinend viele Menschen, spontan zu handeln und Fehler zuzulassen. Wenn etwas schiefgeht, dann kann ich es ja auf die Aschewolke schieben. Wenn der Zwang groß genug ist, wird spontan gehandelt, und dann spielen Fehler eine untergeordnete Rolle.
Okay. Aschewolken kommen nicht so oft vor. Hoffen wir jedenfalls. Aber was ist mit den Fehlern, die wir selbst verursachen? Die Angst davor, Fehler zu machen, hindert uns daran, mehr Spontaneität zu entwickeln. Weil ich Angst habe, einen Fehler zu machen, mache ich lieber gar nichts. Kaninchen-Feeling, besser alles so wie immer. Unsere zweite Regel lautet deshalb: Vergessen Sie Ihre Angst vor Fehlern, oder noch deutlicher ausgedrückt: Mach Fehler und genieße es.

»Wenn ich mein Leben noch mal leben könnte, würde ich die gleichen Fehler machen. Aber ein bisschen früher, damit ich mehr davon habe.«
Marlene Dietrich

Ein neuer entspannter Umgang mit Fehlern ermöglicht Spontaneität. Fehler passieren. Shit happens. Würden wir andauernd versuchen, Fehler zu vermeiden oder zu verstecken, würde das unsere Spontaneität blockieren. Wir gehen anders, spielerischer, lockerer mit Fehlern um. Wir sehen den Fehler nicht als Störung, der unseren Plan durcheinanderbringt, sondern als Herausforderung an unsere Spontaneität. Deshalb machen wir uns den Fehler zum Freund. Er ist eine willkommene Gelegenheit, Spontaneität zu trainieren. Wenn wir »Ja« zu Fehlern sagen, sind sie nicht mehr so gravierend. Wenn wir die Angst davor verlieren, sind wir offen für spontane Entscheidungen. Die Gehirnhälfte, die bislang beschäftigt war, Fehler zu vermeiden und zu verstecken, kann jetzt trainieren, spontaner zu sein. Wir haben wieder unseren kompletten Arbeitsspeicher frei, um flexibel zu handeln.
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Gehen Sie mit uns durch die Tür. Egal was dahinter auf Sie wartet. Machen Sie sie ganz weit auf und betreten Sie eine neue Welt. Was hindert Sie daran, die Tür zu öffnen? Sie haben Angst, dass es ein Fehler sein könnte? Ich bleibe lieber stehen und nehme die Tür, die ich schon kenne, die Tür, die zurück in mein gemütliches Wohnzimmer führt - das Sofa wartet schon.

Wir wollen keine Fehler machen

Warum haben wir eigentlich Angst vor Fehlern? Wir haben einen Plan, wie unser Leben verlaufen soll. Oder vielleicht auch nur einen Plan, wie sich ein Abend mit Freunden oder die nächsten 15 Minuten gestalten sollen. Und auf einmal passiert ein Fehler, und der bringt uns von unserem ursprünglichen Plan ab.
Erinnern wir uns an den sogenannten »Torfall von Madrid« im Jahr 1998. Beim Halbfinalspiel der UEFA Champions League zwischen Real Madrid und Borussia Dortmund fiel eine Minute vor dem Anpfiff des Spiels eines der beiden Tore um. Es dauerte 76 Minuten, bis ein Ersatztor aufgebaut werden konnte. Diese Zeit mussten die Sportmoderatoren Marcel Reif und Günther Jauch live im Fernsehen überbrücken. In diesen 76 Minuten haben die beiden unter anderem mit einem Maßband und einem Stuhl die Höhe eines Tors vor laufenden Kameras demonstriert und alles, was im Stadion passierte, kommentiert. So auch, als ein paar Männer mit Zettel und Papier bewaffnet von links nach rechts durchs Bild gingen, ob diese nun wichtig oder unwichtig seien. Man hatte den Eindruck, zwei guten Freunden zuzuhören, die gemütlich auf dem Sofa sitzen, ein Bier in der Hand, und ungläubig das Geschehen im Stadion diskutieren. Einige der spontanen Kommentare haben sogar Kultstatus erreicht: »Noch nie hätte ein Tor einem Spiel so gutgetan.« (Reif) Oder: »Für alle, die nicht rechtzeitig zugeschaltet haben …, das erste Tor ist schon gefallen.« (Jauch)
Hätte man die beiden vorher gefragt, ob sie bereit wären, so eine Sendung zu moderieren, sie hätten vermutlich abgelehnt, aus Sorge, durch eine schlechte Moderation ihre berufliche Laufbahn zu gefährden. Beide hatten aber keine Zeit, sich zu entscheiden bzw. sich Gedanken darüber zu machen. Während der Sendung kam ihnen dieser Gedanke auch: »Wir haben sie ja nicht alle, was wir hier reden, ist ja hanebüchen …«, so Marcel Reif später in einem Interview. Am nächsten Tag teilte ihnen der Programmchef mit: »Sie wissen schon, es haben mehr Leute den Quatsch vorher gesehen als das Spiel.« Genauer gesagt haben den Quatsch über zwölf Millionen Zuschauer angeschaut, das Spiel selbst lediglich sechs Millionen. Diese spontane Arbeit wurde schließlich mit dem Bayerischen Fernsehpreis belohnt und für den Adolf-Grimme-Preis nominiert.
Eine klassische unerwartete Situation, auf die man spontan reagieren muss. Beide haben sich an unsere erste Regel gehalten, »Ja« gesagt zu der Situation und sie so akzeptiert, wie sie war.
Fehler, die wir selber verursachen, jagen uns jedoch noch viel mehr Angst ein. Und genau diese Angst blockiert uns in unserer Spontaneität. Aber mal der Reihe nach. Jetzt haben wir schon so viel über Fehler geschrieben, ohne überhaupt eine Definition des Begriffs zu liefern. Schauen wir mal, was Wikipedia dazu sagt:
»Ein Fehler ist eine Abweichung von einem optimalen oder normierten Zustand oder Verfahren in einem bezüglich seiner Funktionen determinierten System.
Unter einem Fehler verstand man lange Zeit die Abweichung von einer Norm. Zwischenzeitlich wurde jedoch die Definition modifiziert. Auch das Deutsche Institut für Normung (DIN) definiert Fehler nun als einen ›Merkmalswert, der die vorgegebenen Forderungen nicht erfüllt‹ und als ›Nichterfüllung einer Forderung‹.«
Hä? Wie bitte? Das versteht ja kein Mensch, lassen Sie uns das mal übersetzen: Ein Fehler ist eine Störung unseres geplanten Ablaufs. Etwas stellt sich uns in den Weg, es läuft nicht so, wie es soll. Ich habe einen Plan, und die Welt hat einen anderen. Geben Sie Fehlern einfach mal einen Namen. Wir haben Fehler in folgende Kategorien eingeteilt:
Fehlerkategorie Nummer 1: Shit happens
Das sind Fehler, die Sie nicht selbst verursacht habe. Wir verbuchen sie unter »höhere Gewalt« oder »Shit happens«. Sie behindern Ihr Leben und sind kurzfristig nicht lösbar. Wenn Sie auf einem gesperrten Autobahnabschnitt vier Stunden lang mit Ihrem Auto festsitzen und zu einer bestimmten Uhrzeit 150 Kilometer weit entfernt einen Termin haben, können Sie an dem Stau nichts ändern. Marcel Reif und Günther Jauch konnten nichts für den Torfall von Madrid, mussten aber 76 Minuten überbrücken, spontan.
Fehlerkategorie Nummer 2: Reine Schikane
Bei diesem Fehler gehen wir davon aus, dass ein Anderer Ihren Plan stört. Das kann beabsichtigt sein, wenn Ihr Nachbar wie jeden Samstag, wenn Sie etwas länger schlafen wollen, um Punkt 7.02 Uhr mit dem Rasenmähen beginnt, aber nur, wenn er sieht, dass Sie zuhause sind. Oder Sie halten eine Präsentation und ein Kollege stört Sie bewusst die ganze Zeit. Bei einer Störung möchte Sie jemand bewusst schwächen, Ihnen Probleme bereiten, Sie von Ihrem Plan abbringen. Natürlich kann der Fehler auch unbeabsichtigt passieren: Sie sind mit Ihrem Partner essen und Ihre Reservierung ist leider nicht aufgenommen worden. Ärgerlich bleibt das allemal. Sie müssen spontan reagieren. Wie in Kategorie Nummer eins wird der Fehler durch Fremdeinwirkung verursacht.
Fehlerkategorie Nummer 3: Ich hab’s vergeigt
Dabei handelt es sich um selbstverschuldete Fehler, die wir zulassen sollten. Wir sagen dazu: »Ich hab’s vergeigt.« Ein typischer »Ich hab’s vergeigt«-Fehler kann Ihnen beim Einkaufen passieren. Ihr Partner diktiert Ihnen Nudeln auf den Einkaufszettel. Im Supermarkt können Sie Ihre eigene Handschrift nicht lesen und kaufen stattdessen Nutella. Jetzt heißt es beim nächsten Sonntagsessen: »Schatz, es gibt Schokolade zum Mittag.« Sie haben es vergeigt.
Bei allen drei Kategorien von Fehlern sind spontane Lösungen gefragt. Und um spontan reagieren zu können, müssen Sie die Fehler gelassen sehen. Flippen Sie ruhig einmal kurz aus und lassen Sie Ihren Emotionen freien Lauf, schreien Sie rum, schlagen Sie auf das Sofakissen ein, aber betrachten Sie die Sache anschließend wieder gelassen. Den Ärger in sich reinzufressen und mit der Situation lange zu hadern, kostet zu viel Energie, die Sie lieber darauf verwenden sollten, eine spontane Lösung zu finden.
Wir haben Angst vor Fehlern, weil sie nicht unserem Selbstbild entsprechen. Jeder möchte gerne perfekt, attraktiv und eloquent sein. Wenn wir uns nun aber in die spontane Welt stürzen, können wir nicht garantieren, dass immer alles perfekt läuft. Wir werden vielleicht auch schwach, hässlich und sprachlos sein. Sie denken jetzt bestimmt: Ich möchte aber gerade durch meine Spontaneität glänzen und andere beeindrucken. Wir sagen: Ja, das können Sie gern, aber stellen Sie sich darauf ein, dass auf dem Weg immer wieder Fehler passieren werden. Ob von Anderen oder von Ihnen verursacht. Wir beide handeln nach unseren Spontaneitäts-Prinzipien und trotzdem oder gerade deswegen trauen wir uns auch, Fehler zuzulassen. Oder anders ausgedrückt: Wir machen genauso viele Fehler wie alle anderen, wir versuchen nur nicht, sie zu verstecken.
In der Zusammenarbeit mit einem Teamleiter, dessen Team aus Softwareprogrammieren bestand, besprachen wir das Thema Fehler. Er erzählte, dass bei der Weiterentwicklung von Software in seinem Team natürlich auch Fehler entstehen. Selbst wenn die Programmierer die Fehler entdecken, würden sie aus Zeitnot einen kleinen »Workaround« - eine behelfsmäßige Notlösung - programmieren, die den Fehler nicht ursächlich entfernt, sondern nur dafür sorgt, dass das Programm einigermaßen läuft. Der nächste Programmierer, der daran weiterarbeitet, schreibt dann in seinem Bereich einen vollkommen fehlerfreien Code für die Software, aber aufgrund des versteckten Workarounds funktionierte sein Code nicht korrekt, und er denkt, dass er einen Fehler gemacht hat, wo gar keiner war. Er baut den nächsten Workaround ein, und das Programm wird immer unstabiler und stürzt immer wieder ab. Erst nachdem der Teamleiter das Thema Fehler mit seinen Programmierern diskutierte und alle im Team offen zu ihren Fehlern standen, verbesserte sich die Stabilität der Programme, da sich die Fehler leichter finden und beheben ließen. Häufig waren die gleichen Fehler auch schon anderen Programmierern passiert, und so konnten die Kollegen von den Fehlern der anderen profitieren.
Und so verhält es sich in vielen Situationen. Wenn wir über unsere Fehler sprechen, merken wir oft, dass andere die gleichen Fehler gemacht haben oder dass es gar keine Fehler sind. Fehler, so haben wir es schon in der Schule, in der Ausbildung oder im Elternhaus gelernt, sind etwas Schlechtes. Doch wer sich nicht traut, Fehler zu machen, kann leider nicht spontan sein.

»Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.«
Johannes-Evangelium, 8,7

»If you’re not prepared to be wrong, you’ll never come up with anything original.« Dieser Satz stammt von Sir Ken Robinson, einem britischen Autor und international geachteten Berater in Fragen der Gesellschaftsentwicklung. Wir haben das mal mit »Wenn du nicht vorbereitet bist, Fehler zu machen, wirst du nie was Originelles entwickeln« übersetzt. Robinson kritisiert unter anderem, dass fast jedes Bildungssystem der Welt die vorhandene Kreativität von Kindern abziehe. Lesen Sie selbst, was er im Rahmen des Vortrags »School Kills Creativity« auf einer TED-Konferenz im Februar 2006 sagte:
»Ich habe vor Kurzem eine tolle Geschichte gehört - ich erzähle sie zu gern - über ein kleines Mädchen, das in einer Schulstunde malte. Sie war sechs Jahre alt und sie malte hinten in der letzten Reihe und die Lehrerin sagte, dass dieses kleine Mädchen fast nie aufpasste, außer in der Zeichenstunde. Die Lehrerin war fasziniert, ging zu ihr herüber und fragte: ›Was malst du denn da?‹ Und das Mädchen sagte: ›Ich zeichne ein Bild von Gott.‹ Und die Lehrerin sagte: ›Aber niemand weiß, wie Gott aussieht.‹ Und das Mädchen antwortete: ›Gleich wissen Sie es.‹
Diese Beispiele zeigen, dass Kinder bereit sind, etwas zu riskieren. Wenn sie es nicht wissen, probieren sie es einfach. Nicht wahr? Sie haben keine Angst, etwas falsch zu machen. Ich will damit nicht sagen, dass etwas falsch zu machen bedeutet, kreativ zu sein. Wir wissen aber, dass, wer nicht bereit ist, einen Fehler zu machen, nie etwas wirklich Originelles schaffen wird. Und wenn sie erst erwachsen sind, haben die meisten Kinder diese Fähigkeit verloren. Sie haben Angst, Fehler zu machen. Und, nebenbei, wir machen das in Firmen genauso. Wir stigmatisieren Fehler. Wir haben heute nationale Bildungssysteme, in denen Fehler das Schlimmste sind, was man machen kann. Und das Ergebnis ist, dass wir den Menschen ihre kreativen Fähigkeiten weg-unterrichten. Picasso hat mal gesagt: ›Alle Kinder werden als Künstler geboren‹. Das Problem ist, ein Künstler zu bleiben, während man aufwächst. Ich bin nun überzeugt, dass wir nicht in die Kreativität hineinwachsen, sondern aus ihr heraus. Oder wir werden vielmehr heraus-unterrichtet.«
Viele Menschen haben Angst davor, etwas nicht gleich richtig zu machen, und vergeben sich damit die Chance, Neues zu entdecken. Das erleben wir bei unseren Trainings immer wieder. Unsere Kunden wären so gerne spontan und kreativ, aber sie trauen es sich nicht. Häufig verstecken sie sich hinter dem Satz:«Ich würde ja so gerne spontan sein, aber ich habe überhaupt kein lustiges Talent und bin kein bisschen kreativ und spontan.« Dabei haben sie es noch nicht mal ausprobiert.
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Wenn ich Angst hätte, einen Fehler zu machen, dann könnte ich nicht mehr auf die Bühne gehen. Ich würde mir ständig sebst im Wege stehen und bei jedem Auftritt denken: Mein Gott, heute bist du total spontan, heute muss alles klappen, heute darf nichts schiefgehen, meine Kollegen dürfen nicht merken, dass ich einen Fehler gemacht habe. Würde ich das tun, dann würde ich bis zum Ende der Show weinend verzweifeln.
In einer improvisierten Shakespeare-Szene finde ich nicht den richtigen Reim, das Publikum fordert von mir, ein Lied als gregorianischen Gesang zu singen. Das kann ich nun wirklich nicht und mache es trotzdem. Ich fange zum Beispiel an, eine Szene zu spielen, und bin sicher, dass wirklich jeder erkennt, dass ich Michael Schumacher bei seinen Rennvorberetungen darstellen will. Da kommt mein Kollege plötzlich auf die Bühne und will rote Rosen von mir kaufen. Er dachte, ich spiele einen Blumenhändler. Das Publikum liebt es, uns bei solchen »Fehlern« zu ertappen. Ima Team lösen wir die Problem auf der Bühne spontan. Meine Lollegin vollendet meinen Shakespeare-Reim und gibt der Szene damit eine neue Wendung. Ich versuch mich am gregoreianischen Gesan, doch es klingtwirklich schlimm. Meine Kollegin sagt »Ja« zu der Situation und macht daraus eine Szene, in der ein Mönch aus dem Kloster entlassen wird, da er nicht singen kann. Bei uns geht dauernd etwas schief, meist merken wir es gar nicht, da wir nach vorne schauen, die Szene weiterspielen une jeden Fehler einbauen.

Sie kennen das vielleicht auch: Sie haben Erwartungen an sich selbst, z.B. dass ein Vorstellungsgespräch erfolgreich läuft, der Besuch beim Kunden Ihnen einen neuen Auftrag bringt, Ihr Date Sie beeindruckend findet und der Abend mit Freunden perfekt wird. Sie haben einen fehlerlosen Plan aufgestellt, um alles zu bewerkstelligen. Und dann geht dieser Plan nicht auf. Was also machen Sie beim nächsten Mal? Werden Sie sich einfach nicht mehr vorstellen? Werden Sie keine Freunde mehr treffen und auch nicht mehr zu Kunden fahren?
Geht nicht, sagen Sie? Stimmt. Geht nicht. Doch es gibt eine Alternative. Sie lassen Fehler zu und müssen trotzdem nicht gleich Ihre Erwartungen an sich senken. Geben Sie weiterhin alles, aber rechnen Sie mit Ihren eigenen Fehlern. Wir möchten Ihnen die Angst vor Fehlern nehmen. Fehler sind normal und menschlich. Sehen Sie den Fehler als Chance, denn die Angst vor dem Fehler blockiert Ihre Spontaneität. Wenn Sie lernen, mit Ihren Fehlern umzugehen, werden Sie für andere Menschen menschlicher.

Hilfe, haben Sie meinen Status gefunden?

Was hindert uns also daran, einen Fehler zu machen? Wir möchten für einen Erklärungsversuch das »Statusmodell« von Keith Johnstone heranziehen. Keith Johnstone ist ein englischer Regisseur und Schauspiellehrer. Ihm war im Training mit seinen Schauspielern aufgefallen, dass sie beim Improvisieren oft sehr langweilige Szenen spielten. Sie trauten sich nicht, einen bestimmten Status einer anderen Person gegenüber einzunehmen. Sein Statusmodell entstand aus seiner Beobachtung der Realität, also unseres Alltags. Auch wir nehmen, je nachdem, mit wem wir zusammen sind, einen unterschiedlichen Status ein. Da wir aber Angst haben, den einmal gewonnenen Status zu verlieren, scheuen wir uns davor, Fehler zu machen, und sind somit auch nicht spontan.
»Im Alltagsleben«, so Johnstone, »stellen Menschen unbewusst immer ein Statusverhältnis her, indem jeder sich in eine bestimmte Position bringt (hoch oder niedrig), bis sie zu einer ›Verständigung‹ kommen - wenn sie das nicht erreichen, werden sie sich nie zusammen wohlfühlen. (…) Ohne Status könnten wir im Flur nicht aneinander vorbeigehen, ohne Schläge auszutauschen. Da dies körperliche Verletzungen mit sich bringen könnte, suchen wir einander nach Statussignalen ab, und derjenige, der Tiefstatus akzeptiert, weicht aus. Wenn wir uns über den Status nicht einigen können, entsteht eine unangenehme Situation, wenn wir nur zur gleichen Zeit durch die Tür gehen wollen. (…) Freunde lösen das Problem, indem sie Status zu einem Spiel machen; sie beleidigen einander, ohne es ernst zu meinen, oder verneigen sich im Spaß voreinander. Dadurch erklärt sich, warum wir oft jahrelang mit Bekannten zusammenkommen können und sie doch fremd bleiben, währen wir mit spielerischen Menschen fast sofort Freundschaft schließen. Einige der wichtigsten Statussignale werden durch die Augen vermittelt; wir halten den Blickkontakt, wenn wir dominieren möchten (oder wenn wir verliebt sind); wenn wir den Blickkontakt abbrechen und dann zurückschielen, verhalten wir uns unterwürfig. (…) Wenn unser Status nie gefährdet wäre, wären wir alle gelassen und ausgeglichen. (…) Die meisten von uns sind Statusspezialisten - wir spielen besser Hochstatus oder besser Tiefstatus. Beides ist defensiv: Tiefstatus vermittelt die Botschaft ›Ich bin’s nicht wert, getreten zu werden‹, Hochstatus vermittelt die Botschaft ›Bleib mir vom Leibe, ich beiße!‹«
Diese Beobachtungen helfen unserer Meinung nach nicht nur Schauspielern bei der Rollenfindung, sondern auch Ihnen in Bezug auf Spontaneität. Nach Keith Johnstone haben wir alle einen Status, der uns besser liegt. Hoch- oder Tiefstatus. Welcher Status uns eher entspricht, hängt von der jeweiligen Situation ab. In unserer Familie leben wir vielleicht im Tiefstatus und im Arbeitsleben im Hochstatus. Aber egal, welcher Status unsere Schokoladenseite ist, er dient dazu, uns zu schützen. Für unser persönliches Wohlbefinden ist ein Status nicht besser als der andere, vielmehr ist es uns wichtig, dass keiner uns den Status nimmt. Unter Status verstehen wir »das, was wir tun, nicht das, was wir sind«. Das heißt, ein Chef kann gegenüber einem Angestellten Tiefstatus haben und der Angestellte nimmt gegenüber dem Chef einen Hochstatus ein. Der Chef aus dem folgenden Dialog ist wohlhabend, kann sich jeden Tag zwischen zwei Dienstwagen der Top-Kategorie entscheiden und besitzt eine Villa am Stadtrand mit Gästehaus und Tennisplatz, ach ja, und einem Schwimmbad. Und dennoch …
Chef: »Herr Schnelling, könnten Sie bitte mal schnell ein paar Kopien von diesen Dokumenten machen und mir ins Büro reinreichen?«
Angestellter: »Nein kann ich nicht, ich habe einen Termin mit den Kollegen.«
Chef: »Aber Sie sind doch als Bürohilfe für solche Aufgaben von mir eingestellt worden, oder?«
Angestellter: »Sie wissen gar nicht, wie man diesen Laden hier richtig leitet. Ich hätte da ein paar Ideen, die ich gleich mit den anderen Kollegen besprechen werde.«
Chef: »Äh, kann ich da mitkommen?«
Angestellter: »Nein!«
Dieser Beispiel-Dialog soll deutlich machen, dass unser gesellschaftlicher Status (Chef, Kanzlerin, König) nicht automatisch dem Status entspricht, den wir auf der Bühne des Lebens spielen. Viele Menschen glauben aber fälschlicherweise, dass sie über ihre gesellschaftliche Stellung (berufliche Position, Titel, finanzieller Background etc.) automatisch über einen Hochstatus verfügen. Sie umgeben sich mit Statussymbolen, um diesen Stand zu festigen. Mein Haus, mein Boot, mein Pferd. Sie glauben, jeder Fehler könnte sie ihren Status kosten.
Seitdem wir beide verstanden haben, dass Status nicht das ist, was wir sind, sondern was wir tun, fällt es uns leichter, mit unseren Fehlern umzugehen. Wenn wir einen Fehler machen, dann werden wir in einem bestimmten Bereich vielleicht kurzfristig in einen Tiefstatus gelangen, unsere gesellschaftliche Position ist damit aber nicht notwendigerweise gefährdet. Ein Beispiel: Selbst nach seiner außerehelichen Affäre ist Bill Clinton Präsident geblieben und auch heute noch ein anerkannter Berater in Wirtschaft und Politik.
Die meisten Menschen glauben, ein Fehler könne das, was sie sind, also ihren gesellschaftlichen Status, sofort negativ beeinträchtigen. Wir sind womöglich nicht mehr so angesehen, wenn wir einen Fehler machen. Als Vorgesetzter befürchten Sie, dass Ihre Mitarbeiter Sie nicht mehr ernst nehmen, wenn Sie eingestehen, etwas nicht zu wissen. Nur wenn wir erkennen, dass wir sowieso ständig auf der Bühne des Lebens unseren Status spielerisch wechseln und ihn sogar gezielt an die jeweiligen Situationen anpassen können, ohne unsere gesellschaftliche Position sofort zu ruinieren, können wir uns von der Angst befreien, die ein spontanes Verhalten bremst.
Testen wir das einmal in einer realen Situation: Mal angenommen, jemand fragt Sie, ob es Ihren Anzug auch für Männer gibt. Sie erinnern sich an das Thema Schlagfertigkeit? Und Ihnen fällt nicht sofort eine Antwort ein, sondern erst die berühmten 15 Minuten später? Nun können Sie sich grämen, ob Sie das Ihre gesellschaftliche Anerkennung kostet. Sollten Sie Moderator einer Veranstaltung sein, könnten Sie sich auch fragen, ob man Sie weiterhin ernst nehmen wird. Die Alternative: Sie wissen, dass es kein Problem ist, in diesem Fall den Statusfahrstuhl zu nehmen, runter ins Tiefgeschoss zu fahren mit dem Wissen, dass es nur so funktioniert: ein anderer ist grade im Hochstatus, Sie sind im Tiefstatus. Würden Sie beide im Hochstatus bleiben, käme es früher oder später zu einer Schlägerei. Ein Fehler ist passiert. Normal, kommt in den besten Familien vor. Im nächsten Moment, am nächsten Tag, in einer anderen Situation kann das für Sie schon wieder ganz anders aussehen.
Oder stellen Sie sich folgendes Setting vor: Sie sind mit Ihren Freunden unterwegs und wollen gemeinsam essen gehen. Aus einem Bauchgefühl heraus schlagen Sie vor, diesmal nicht zum angesagten Italiener in einem Szeneviertel zu gehen, sondern zum Griechen in einem nicht so hippen Stadtteil. Was kann passieren?
Sie gehen zum Griechen, das Essen ist schlecht, und wenn es darum geht, das nächste Mal ein Restaurant auszusuchen, haben Sie Ihren Status bei Ihren Freunden verloren. Dennoch werden Sie nach wie vor von ihnen geschätzt. Oder aber Sie haben das beste griechische Restaurant der ganzen Stadt ausgewählt, haben Ihren Status erhöht und gelten von nun an bei ihren Freunden als der neue Szeneguru.

Die »Show des Scheiterns«

Einen hervorragenden Umgang mit Fehlern haben wir bei der »Show des Scheiterns« entdeckt, die vor einigen Jahren erst in Berlin, dann auch in vielen anderen Städten Deutschlands zu sehen war. Die Veranstalter luden jeweils drei »Referenten« ein, die zunächst zehn Minuten lang von einem Erlebnis erzählten, in dem sie scheiterten, um anschließend in einem 20-minütigen Podiumsgespräch mit den Zuschauern ihr Scheitern zu diskutieren. Am Ende jedes einzelnen Referats gab es eine feierliche Vernichtung, bei der ein symbolischer Gegenstand zerstört wurde. Wenn Sie jetzt denken, dass das ein frustrierender Abend gewesen sein musste, dann haben Sie sich getäuscht. Pustekuchen. Es gab wunderschöne, emotionale, ergreifende und witzige Geschichten. Verliebte, die vom Scheitern einer großen Liebe oder Beziehung erzählten, Manager, die ihre schlimmsten Projekte rekapitulierten und bekannten, was sie alles falsch gemacht hatten. Juristen enthüllten verlorene Prozesse und Autoren gescheiterte Buchprojekte. Das Publikum liebte es, all diese Menschen mit Fehlern auf der Bühne zu sehen. Wir finden diese Showidee super, die sich auch ins normale Leben übertragen lässt.
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An Heiligabend treffe ich mich immer mit meinen besten Freunden in einer kleinen Kneipe meiner Heimatstadt zum traditionell bayrischen Frühschoppen mit WeiBwürsten une WeiBbier. Wir sprechen dann meist über das vergangene Jahr, rühmen uns für unsere Erfolge, schwelgen in Erinnerungen aus unserer gemeinsamen Schulzeit und erzählen uns gegenseitig unsere persönlichen und beruflichen Niederlagen. Was ist im letzten Jahr alles schiefgelaufen? Was hatte nicht so geklappt wie geplant? Diese Misserfiolgs-Geschichten sind für uns immer die lustigsten, die spannendsten und die persönlichsten Momente des Zusammenseins. Warum können wir bei diesen Treffen so offen mit unseren Fehlern umgehen? Wir befinden an und keiner muss dem Anderen etwas beweisen. Wir schätze uns. Die Fehler, die uns passieren, sind nicht lebensbedrohlich. Keiner von uns ist Pilot und für viele Passagiere verantwartlich oder baut Atomkraftwerke. Es geht uns um die kleinen Fehlentscheidungen im Leben, die es zugleich spanned und spantan machen.
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Übung 11:

Wer wird Fehler-Millionär?

Sie brauchen dazu:
• gute Freunde, denen Sie vertrauen
• viele Fehler, die Sie und Ihre Freunde gemacht haben
• Zettel
Und so geht’s:
Veranstalten Sie Ihre private Show des Scheiterns. Jeder schreibt anonym mindestens vier Fehler auf jeweils einen Zettel, die er in seinem Leben begangen hat. Dann werden die Zettel gemischt, und abwechselnd zieht jeder Spieler einen Zettel und liest den Fehler vor. Anschließend geben alle Teilnehmer einen Tipp ab, wer diesen Fehler gemacht hat. Wer richtig rät, erhält einen Punkt. Geben Sie dem Scheitern einen Namen und spielen Sie »Wer wird Fehler-Millionär«.

Was soll das?
Falls Sie es tatsächlich machen sollten, werden Sie ziemlich viel mit Ihren Freunden zu lachen haben und dabei feststellen, dass Fehler zum guten Ton gehören. Beim Fehlerraten wird es Sie vielleicht überraschen, wem die anderen Ihren Fehler noch zugeordnet hätten. Das entspannt ungemein. 106

Fehler bringen Spaß

Wir lieben Outtakes, also das oft witzige Bildmaterial, das aufgrund eines Fehlers noch einmal gedreht werden muss. Viele Film- und Comedyproduktionen haben erkannt, dass Outtakes ihre sonst unnahbaren Stars menschlicher machen. Warum eine Szene neu gedreht werden muss, kann eine ganz banale technische Ursache haben, sei es, dass ein Tonmikrofon im Bild zu sehen ist oder gerade ein Flugzeug durch einen Historienfilm fliegt. Deutlich witziger hingegen ist, wenn einer der Hauptdarsteller sich verspricht oder ein Stunt danebengeht. Die Outtakes von Jackie-Chan-Filmen, etwa bei »Rush Hour«, sind ein wunderbares Beispiel dafür. Sie sind so etwas wie ein Markenzeichen von Jackie Chan geworden. Ein Hollywoodstar ist sich nicht zu schade dafür, seine Fehler als Filmabspann laufen zu lassen. Auch Michael »Bully« Herbig, Schöpfer der »Bullyparade«, von »Der Schuh des Manitu« und »(T)Raumschiff Surprise - Periode 1«, hat das Potenzial von Outtakes erkannt und sogar eine DVD veröffentlicht, auf der ausschließlich Outtakes aus seinen Produktionen zu sehen sind. Fehler werden dabei zum Produkt und können somit quasi als eigenes Genre betrachtet werden. Einige Animationsfilm-Studios haben das noch auf die Spitze getrieben und für computeranimierte Kinofilme Outtakes produziert, um die virtuellen Hauptdarsteller noch lebendiger und sympathischer zu machen. Dabei kann es in einem Animationsfilm wie »Monster AG« eigentlich gar keine Drehpannen, Versprecher und Fehler der Figuren geben, da sie ja nicht real sind. Outtakes werden in diesem Film zur Kunstform erklärt. Es gibt einen fünfminütigen Abspann mit Bloopers. Die Produktionskosten für den Film betrugen 115 Millionen Dollar, und der Film dauerte 94 Minuten. Rechnet man das Gesamtbudget des Films auf die fünf Minuten Outtakes um, wurden über sechs Millionen Dollar alleine dafür investiert. Hier werden keine Fehler versteckt, sondern für Geld produziert.
Outtakes gibt es nicht nur bei großen Hollywoodfilmen und Comedyshows, sondern auch von den Nachrichtensendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Mit dem einzigen Unterschied, dass diese Sendungen live ausgestrahlt werden, die Fehler sind also genau so zu sehen gewesen. Pleiten, Pech und Pannen im »heute journal« des ZDF - live und in Farbe. Wie gehen Moderatoren, die vor einem Millionenpublikum sprechen, mit Pannen und Versprechern um? Klaus Kleber versprach sich beispielsweise einmal bei dem Wort »durchschnittlich« und baute den Fehler charmant in seine weitere Moderation ein. Er versteckte seinen Versprecher nicht, sondern hob ihn noch hervor:
»Zweitausend Meldungen produzieren die Agenturen an einem durchschlichtigem Nachrichtentag. (Kurze Pause.) Ein durchschnittlicher Moderator produziert einen Versprecher pro Ansage …«
Einen weiteren Fehler, den wir hier vorstellen möchten, haben wir ebenfalls dem »heute journal« zu verdanken. Die Moderatorin Marietta Slomka verheddert sich dabei immer tiefer in ein anscheinend unglaublich kompliziertes Zahlenkonstrukt:
»… Spenden von insgesamt 39 - Pause - 400 - Pause - 39 Millionen - Pause - 409 - Pause - 851 Millionen Euro eingegangen. Was für eine Zahl.«
Wir haben den Ausschnitt jetzt schon so oft gesehen, können aber immer noch nicht genau sagen, welche Zahl sie eigentlich meint.
Wie gehen die beiden Moderatoren mit ihren Versprechern um? Beide bauen ihren Fehler sofort in die Moderation ein, thematisieren ihn und lächeln. Es wird kein Fehler versteckt. Outtakes live und ungeschnitten. Wenn ab jetzt irgendetwas schiefgeht, dann sagen Sie einfach: »Ich drehe gerade Outtakes für meinen Lebensfilm.«
Eine weitere Möglichkeit, mit Fehlern umzugehen, zeigt uns ein Beispiel der »Tagesschau«. Man nehme eine Liveübertragung um 5 Uhr morgens. Die Sprecherin beginnt die Sendung mit den Worten: »Guten Morgen.« Genau in diesem Augenblick kommt ein Herr des Reinigungsteams ins Bild und antwortet freundlich, wie er ist, ebenfalls mit »Guten Morgen«. Die Sprecherin guckt ein wenig irritiert, beginnt dann aber, die Nachrichten zu lesen. Der Putzmann geht offensichtlich davon aus, dass es sich um eine Probe handelt und leert - mitten im Fernsehbild - den Mülleimer neben der Sprecherin. Er wechselt den vollen Beutel und geht in aller Seelenruhe seiner Aufgabe nach. Die Moderatorin macht unbeirrt weiter, ignoriert den Putzmann und die gesamte fehlerhafte Situation. Der Zuschauer bemerkt aber, dass Sie immer wieder kurz davor ist, zu lachen. Nach etwa 20 Sekunden - und 20 Sekunden können lang sein - bemerkt der Putzmann seinen Fehler, er läuft wieder durch das Bild und verschwindet aus dem Studio.
Auch wenn so etwas höchst selten im normalen Leben vorkommt, was lernen wir daraus? Erstens: Man kann Fehler auch einfach komplett ignorieren. Zweitens: Auch bei der »Tagesschau« steht ein Mülleimer unter dem Tisch, der darüber hinaus geleert wird. Uns würde mal interessieren, was man während der Sendung so wegwirft. Schlechte Nachrichten?
Was zu beweisen war: Man kann auch in den schlimmsten Situationen spontan sein. Nachzuschauen bei YouTube: »Putzmann und Tagesschau«.

»Menschen, an denen nichts auszusetzen ist, haben nur einen Fehler. Sie sind uninteressant.«
Zsa Zsa Gabor
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Übung 12:

Gute Freunde

Sie brauchen dazu:
• wahlweise: Freunde, die Sie mögen/Freunde, die Sie nicht mögen/Kollegen/Ihren Partner/Ihre Partnerin
• 5 bis 15 Minuten Zeit
• Ihr Ja-Buch
Und so geht’s:
Eine Denkaufgabe: Welche Menschen in Ihrem Umfeld schätzen Sie besonders? Welche Menschen finden Sie spannend und interessant? Mit wem verbringen Sie gerne Zeit? Sind Ihre besten Freunde und Kollegen perfekt? Oder schätzen Sie die am meisten, die kleine Fehler haben? Notieren Sie die kleinen Fehler Ihrer Freunde und Bekannten in Ihrem Ja-Buch.

Was soll das?
Sie verlieren die Angst vor eigenen Fehlern. Wir sind sicher, dass Sie einige Fehler von guten Freunden schätzen und amüsant finden. Wer sich das vor Augen führt, verändert auch seine Einstellung zu eigenen Fehlern. Sie werden Ihre Fehler vielleicht nicht mehr nur verstecken wollen.
»Menschen die keine Fehler haben, wissen nicht, wo Gott wohnt.« Mit diesem Satz überraschte uns einmal ein Kollege. Sein Schauspiellehrer sagte diesen Satz immer, wenn er jungen Kollegen zusah, die zwar perfekt aussahen und spielten, aber keine Ecken und Kanten hatten.
Menschen mit Fehlern sind interessanter. Kultivieren Sie Ihre Fehler. Es war doch schon in der Schule so: Die Streber konnte man nicht leiden. Menschen, die zu perfekt sind, machen uns Angst. Oder gehörten Sie zu den Strebern?
Fehler machen uns menschlicher, Fehler machen uns spontaner und Fehler bringen Spaß. Hier noch zwei Fehler-Geschichten, an denen wir in leitender Position dabei waren. Viel Spaß …108
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Wir spielten einmal im Finanzministerium am Tag der offenen Tür und gaben dort stündlich eine Show zum Thema Konjunkturpaket. Am zweiten Tag sollte der damalige Finanzminister zu Gast sein, deshalb hatten wir ihn in die Show mit eingebaut. Natürlich wurde alles vorher genau abgesprochen. Wir wollten den Finanzminister, sobald er mit seiner Entourage um die Ecke bog, begrüBen. Es waren ziemlich viele Kameras auf uns gerichtet, die Agentur war aufgeregt, der Betreuerstab des Ministers war aufgeregt, wir waren aufgeregt; Als der Finanzminister schlieBlich auf ans zukam, begrüßte ich ihn mit den Worten: »Sehr geehrter Herr Wirtschaftsminister« Er blieb entspannt und antwortete shclagfertig: »Den Job übernehme ich auch noch.« Im Anschluss an die Show wurde iche gefragt, wie ich auf die mutige Idee gekommen sei, den Finanzminister so aus der Reserve zu locken. Alle waren sichtlich enttäuscht, als sie hörten, dass es »nur« ein Fehler war.
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Moderation auf einer Firmenveranstaltung einer großen Baumarktkette. 400 Zuschauer im Saal. Ich war als Moderator einer Podiumsdiskussion in den einzelnen Reihen unterwegs, um Gespräche mit den Mitarbeitenr zu führen oder das Mikro an sie weiterzureichen. Nach etwa einer Stunde meldete sich eine jüngere, attraktive Mitarbeiterin, die mitten im Publikum ihren Platz hatte. Sie wartete nicht, bis ich mit dem Mikrofon bei ihr war, sondern begann sofort, ihre Frage zu stellen. Da ich mich mit dem Mikrofon erst zu ihrer Sitzreihe durchkämpften musste, rief ich ihr zu: »Warten Sie kurz auf mich, bei Ihnen kommt man immer so schwer rein...« kurze Pause - dann schallendes Gelächter im ganzen Saal. Und ich merkte meinin Versprecher noch nicht mal. Aber gerade mein verstörtes Gesicht - mein Statusverlust - machte die Situation noch komischer und trug zu einer entspannten Diskussion bei.

»Wir mögen Menschen wegen ihrer Qualitäten, doch lieben wir sie wegen ihrer Fehler.«
Grey’s Anatomy, Arztserie, ProSieben

Warum sollten Sie Fehler haben? Und wenn doch, wieso sollten Sie darüber reden? Sie möchten schließlich ernst genommen werden. Sie sind doch kein Schauspieler, über den die Kollegen lachen. Figuren aus berühmten Sitcoms wie Al Bundy, Mr. Bean oder Dr. House leben von ihren Fehlern und Macken. Sie mögen ein klein wenig verschroben wirken, aber gerade diese Macken machen sie uns sympathisch. Um mit einem guten Beispiel voranzugehen, möchten wir Ihnen mal unsere Fehler und Macken präsentieren:
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Diese Liste ließe sich natürlich noch beliebig ergänzen, würden Sie unsere Frauen fragen. Als Team stehen wir für Navituition. Einer von uns hat mehr den Plan im Kopf und der Andere folgt stärker seinem Bauch, der Intuition. Wir ergänzen uns deshalb als Spontaneitätsduo. Und jeder lernt vom Anderen und wächst an ihm.
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Übung 13:

Finden Sie die Macke

Sie brauchen dazu:
• sich selbst
• ein Foto von sich
• einen Zettel
• einen Stift
• Klebstoff
• Ihr Ja-Buch
• etwas Mut
Und so geht’s:
Nehmen Sie Ihr Foto und kleben Sie es in Ihr Ja-Buch. Listen Sie daneben alle Ihre Macken und Fehler auf, die Sie an sich kennen. So wie wir es oben vorgemacht haben. Danach ziehen Sie eine Linie vom Fehler/von der Macke zu einem Körperteil, der damit in Verbindung steht. Zum Beispiel: chaotisch - die Linie führt zum Kopf. Unpünktlich - die Linie verweist auf die Uhr am Handgelenk.

Variante für Ehrliche:
Schreiben Sie wirklich alles auf. Alles, auch wenn es wehtut.

Was soll das?
Wir geben Ihnen die Möglichkeit, den Blick auf Ihre Fehler zu überdenken: Welche davon machen mich sympathisch, welche vielleicht sogar einzigartig? Und an welchen möchte ich doch lieber arbeiten? Sie werden feststellen, dass es sich bei der überwiegenden Zahl um Macken handelt, mit denen Sie Anderen vielleicht manchmal auf die Nerven gehen, aber die auf der anderen Seite auch Ihren Charakter ausmachen. Erst wenn Sie Ihre Macken kennen und akzeptieren, können Sie dazu stehen. Eben noch dachten Sie, es sei ein Fehler, und jetzt wissen Sie, dass es sich um eine Macke handelt, die Ihre Persönlichkeit ausmacht. »Selbst-Ehrlichkeit« heißt das Zauberwort - ein wichtiger Schritt auf dem Weg in ein spontaneres Leben. 114
Wir punkten mit unseren Fehlern, wenn wir auf der Bühne die sichere Showplattform verlassen. Die Zuschauer schätzen, was wir tun, weil wir uns für sie aufs Glatteis begeben. Wir bekommen Vorgaben von ihnen, die wir nicht kennen. Den Zuschauern macht es Spaß, uns scheitern zu sehen, sie lieben es, wenn wir während der Show unsicher sind. Jede Show wird so zu einer einmaligen Uraufführung.
Jetzt wenden Sie möglicherweise ein, dass wir das ja können, schließlich verdienen wir doch unser Geld damit. Sie hingegen würden sofort Ihren Job verlieren. Sie könnten an Ihrem Arbeitsplatz keine Unsicherheit zeigen. Und genau das ist der Punkt: Wirken Sie nicht unsicher oder unvorbereitet, aber seinen Sie offen für Fehler. Machen Sie es wie wir. Machen Sie Ihre Macke zur Marke.
Die Fantastischen Vier. Eine einzige Macke?
»Sie sind nicht gut in dem, was sie können, vielmehr sind sie in den Dingen perfekt, die sie nicht können. Wenn sie vernünftig rappen würden, interessant wären, man sie in Hip-Hop-Kreisen ernst nähme, wenn sie versuchten, mehr zu sein, als sie sind - es würde die Fantastischen Vier längst nicht mehr geben. Die Summe ihrer Makel ist das Geheimnis ihres Erfolgs.«
»Die Welt«, 19.5.2010
Am Ende unserer Show fragen uns die Zuschauer oft, ob wir denn nie Fehler machten. »Doch, andauernd«, entgegnen wir dann. Aber meist werden diese Fehler gar nicht bemerkt. Sie wiegen in unserem Kopf viel schwerer als für das Publikum, das in der Regel gar nicht mitkriegt, dass wir einen anderen Plan hatten. Niemand achtet darauf, dass einer von uns eine fiktive Tür nach links öffnet, wenn er auf die Bühne kommt, und der andere nach rechts. Den Mitspielern fällt das natürlich auf, dem Publikum nicht. Im richtigen Leben, abseits vom Rampenlicht, ist das nicht anders. Sie merken vielleicht, dass die Dinge anders laufen, als Sie es geplant hatten. Sie vergessen beim Kochen einer leckeren Spaghettisauce eine Zutat, doch nur Sie wissen das. Alle anderen sind trotzdem begeistert.
Und wenn doch alle merken, dass was schiefgelaufen ist? Für solche Fälle empfehlen wir den Woopaa-Trick.
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Übung 14:

Woopaaaaaaaaaaaaaaaaaa

Sie brauchen dazu:
• einen Fehler, den Sie gerade gemacht haben
• Ihre Stimme
• Mut
Und so geht’s:
Ab sofort feiern Sie Ihre Fehler. Als Kind waren Sie bestimmt mal im Zirkus. Wir haben noch eine lebhafte Erinnerung daran: Selbst wenn ein Kunststück misslang, die Artisten stellten sich in ihren glitzernden Trikots vor das Publikum, die Arme ausgebreitet, und riefen laut »Woopaa!!!«, während sie über das ganze Gesicht strahlten. Sie hatten gerade einen Fehler gemacht und ihn gefeiert. Das geht auch auf der Bühne des Lebens.
Wenn Sie das nächste Mal einen Fehler machen, den Topkunden in der Telefonanlage verlieren oder die Espressomaschine zur Reinigung in ihre Einzelteile zerlegen und nicht mehr zusammengebaut bekommen, dann machen Sie ihn öffentlich. Ob Sie dabei auch »Woopaa!!!« rufen, sei Ihnen überlassen.

Variante für Filmfans:
Sie kennen das vom Film: Misslingt eine gedrehte Szene, wird sie so lange wiederholt, bis sie perfekt im Kasten ist. Der Regisseur ruft: »Alles auf Anfang! Action!«, und die Szene wird noch mal gedreht. Auch Sie haben diese Möglichkeit: Sollten Sie ein Gespräch mit einem Kollegen oder Kunden von Anfang an in den Sand setzen, den Namen Ihres Ansprechpartners vergessen haben oder sich unangenehm versprochen haben, was auch immer, sagen Sie: »Vergessen Sie alles, was Sie eben gehört und gesehen haben, ich komme noch mal rein.« Dann drehen Sie sich um, verlassen das Zimmer, kommen wieder rein und machen diesmal alles richtig. Auch hier bleibt es Ihnen überlassen, ob Sie »Woopaa!!!« ausrufen oder zumindest leise in sich hineinsagen …

Variante für Geldgierige:
Führen Sie in Ihrer Firma, Ihrer Abteilung oder in Ihrem privaten Umfeld eine Fehlerkasse ein. Jedes Mal, wenn irgendwer, Sie inklusive, einen Fehler macht, kommt ein Euro in die Kasse. Und je nachdem, wie Sie sich gemeinsam schlagen, kommt am Endes des Jahres vielleicht eine Menge Geld zusammen, um gemeinsam eine Fehler-Party zu veranstalten und auf die Fehler des Jahres mit einem Lächeln zurückzublicken.

Was soll das?
Sie verlieren die Angst vor Fehlern, gehen spielerischer mit Ihren Fehlern um und stürzen sich damit in neue Abenteuer. Sie lernen, Ihre Einstellung zu Fehlern zu verändern. Sie leben eine andere, neue Fehlerkultur. Manche Fehler sind letztendlich nur eine sympathische Macke. Und bei den anderen Fehlern lohnt es meist nicht, sie zu verstecken, sie werden ohnehin ans Tageslicht kommen. Thematisieren Sie Ihre Fehler, damit sie das werden, was sie sind: Selbstverständlich. Haben Sie Respekt vor Fehlern, aber keine Angst. Feiern Sie Ihre Fehler, und Sie werden mit mehr Spontaneität belohnt. 116
Während der Deutschen Meisterschaft der deutschen Improtheater-Ensembles gab es einen legendäres Match zwischen der Improgruppe »Fast Food« aus München und Gruppe »Drama Light« aus Mannheim. Bei so einem Match spielen beide Ensembles zusammen auf der Bühne, und das Publikum darf darüber abstimmen, welches ihnen besser gefallen hat. Einer der Schauspieler von »Fast Food« wollte in einer römisch angehauchten Szene sagen: »Nimm diesen spitzen Dolch.« Er verhaspelte sich jedoch und sagte stattdessen: »Nimm diesen Stolch.« Sein Gegenspieler übernahm den Fehler umgehend, ohne ihn zu verbessern, und entgegnete: »Mit diesem Stolch willst du mich ermorden?« Es entstand eine wunderbare Szene, die von einem Fehler, dem Stolch, getragen wurde.
Wenn uns jemand fragt, warum die Zuschauer über uns lachen, dann antworten wir immer: »Wir stehen zu unseren Fehlern und wir haben keine Angst vor ihnen.« Wir verlassen die sichere Plattform, gehen ins Risiko und zelebrieren unsere Fehler, so dass die Zuschauer darüber lachen. Wir würden nicht über uns sagen, wir seien witzig. Keiner von uns hat ein Stand-up-Programm parat oder kann mit auswendig gelernten Witzen punkten. Wir haben lediglich erkannt, dass Fehler Spaß machen und dadurch etwas Neues entsteht und haben das für die Bühne perfektioniert. Das funktioniert aber genauso im Alltags- und Berufsleben.
Also los: Geben Sie Ihren Fehlern und Macken einen Namen. Fangen Sie an, mit ihnen zu trainieren. Wo können Sie Fehler zulassen? Wir schlagen vor, sich ein Umfeld zu suchen, das Fehler zulässt. Wenn Ihnen kein Bereich einfällt, dann legen Sie sich ein Hobby zu, von dem Sie überhaupt keine Ahnung haben. Also auch nicht ein bisschen Ahnung. Für uns würde da Curling, Töpfern, Seidenmalerei, Kamasutra oder Tontaubenschießen in Betracht kommen. Eine andere Möglichkeit ist, sich in der örtlichen Volkshochschule zu einem Wochenendkurs für ein Thema anzumelden, von dem Sie wiederum keine Ahnung haben. Und dann stürzen Sie sich in dieses Fehler-Abenteuer. Es gibt vieles, was Sie dabei lernen können. Am ersten Tag kennt Sie keiner, am zweiten Tag kennen Sie alle. Sie sind der Mensch, der sich traut, Fehler zu machen. Hallo Fehler, hier bin ich!
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Übung 15:

VHS-Roulette

Sie brauchen dazu:
• sich selbst
• ein aktuelles Programm Ihrer örtlichen Volkshochschule (VHS)
Und so geht’s:
Melden Sie sich nach dem Keine-Ahnung-wie-der-Kurs-ausgesprochen-wird-Prinzip zu einem Wochenendkurs in Ihrer örtlichen Volkshochschule an. Oder nehmen Sie einfach den Kurs, der Sie am wenigsten interessiert oder sich am langweiligsten anhört. Sie können auch eine beliebige Seite aufblättern und per Fingersuchsystem einen Kurs orakeln. Besuchen Sie den Kurs und verabschieden Sie sich von der Erwartung an sich selbst, alles richtig zu machen. In diesem Kurs ist jeder Fehler erlaubt.

Was soll das?
Da Sie nichts erwarten, können Sie in einem sicheren Rahmen Fehler machen. Das Beste daran ist: Sie wissen nicht, was auf Sie zukommt. Sie haben keinen Plan von diesem Kurs und verlassen sich nur auf Ihre Intuition. 118

Auch andere Menschen machen Fehler. Wir haben ein paar herausragende Pannen-Anekdoten für Sie zusammengestellt. Allen ist eines gemeinsam: Die Menschen, von denen hier die Rede ist, haben zwar Fehler gemacht, sahen darin aber letztlich eine Chance, erfolgreich zu sein.
Wir schreiben das Jahr 2004. Unzählige Laptops und Notebooks gehen kaputt, weil Benutzer über Stromkabel stolpern und das schöne Gerät auf den Boden fällt. Kleine Kinder ziehen an spannenden Kabeln, weil Papa oder Mama den Laptop auf dem Küchentisch zum Aufladen abgestellt hat. So oder ähnlich wird es auch Mitarbeitern von Apple gegangen sein, als sie auf die Idee kamen, die Stromverbindung bei den MacBooks auf magnetische Stecker umzustellen. Sobald man am Kabel zieht, löst sich der Stecker einfach ab. Wie viele Computer wurden dadurch gerettet? Und wie viele Kinder, weil ihnen der Laptop nicht auf den Kopf fiel? Jemand rechnet mit dem Fehler des Benutzers, und eine neue Erfindung entsteht daraus. Perfekt.
Im September 1928 entdeckte der schottische Bakteriologe Sir Alexander Fleming das Penizillin. Doch eigentlich war ein Fehler für diese Entdeckung verantwortlich. Alexander Fleming experimentierte in seinem Labor am St. Mary’s Hospital in London. Er verschloss eine Probe nicht richtig und nach der Rückkehr aus den Sommerferien entdeckte er, dass eine seiner Bakterienkulturen von den Sporen eines Schimmelpilzes befallen worden war. Anstatt seinen Fehler zu vertuschen und die Proben zu entsorgen, beschäftigte er sich eingehender mit seinem Fehler und bemerkte, dass überall, wo der Pilz sich ausgebreitet hatte, keine Bakterien angesiedelt waren, und dort, wo welche gewesen waren, diese sogar eingegangen waren. Alexander Fleming legte damit den Grundstein für das heutige Antibiotikum. Fleming wurde 1944 geadelt und durfte sich fortan »Sir Alexander Fleming« nennen. 1945 erhielt er zusammen mit H. W. Florey und E. B. Chain den Nobelpreis für Medizin »für die Entdeckung des Penizillins und seiner heilenden Wirkung bei verschiedenen Infektionskrankheiten«.
Jeder Mensch macht Fehler, auch die Götter in Weiß. Wir haben im Netz einen spannenden Medizinerblog mit dem Titel: www.jeder-fehler-zaehlt.de gefunden. Der Untertitel macht die Seite für uns Laien klarer. »Fehlerberichts- und Lernsystem für Hausarztpraxen.« In diesem Blog schreiben Ärzte und Angestellte von Arztpraxen anonym über Fehler, die ihnen bei ihrer täglichen Arbeit passiert sind. Es gibt den Fehler des Monates statt den Mitarbeiter des Monats. Wesentlich ist auch hier: Fehler werden grundsätzlich akzeptiert. Es gibt sie, aber man lernt aus ihnen.
Showmaster und Entertainer Stefan Raab hat einen ziemlich guten Ansatz, mit Fehlern umzugehen. »Stern Online« hat das in einem Artikel treffend formuliert: »Er hat eine Idee. Er probiert sie aus. Sie gelingt - wunderbar, machen wir eine Show draus. Sie gelingt nicht - gut, dass wir das wissen, weiter geht’s. Niemand sonst im deutschen Fernsehen steckt so viel Energie und Kreativität in das Medium, das in diesem Lande am liebsten auf Bewährtes setzt.« Stefan Raab arbeitet nach dem Prinzip von Trial and Error. Er probiert aus und rechnet mit Fehlern. Die sehr erfolgreiche »WOK-WM«, in der Prominente mit einem modifizierten asiatischen WOK statt mit einem Bob durch einen Eiskanal fahren, entstand zum Beispiel aus einer Wette bei »Wetten, dass …?!«
Fehler sind etwas, womit Sie immer rechnen müssen. Bei unseren Shows sind Fehler Geschenke, die uns helfen, spontan zu reagieren. Inzwischen handeln wir auch im täglichen Leben nach dem gleichen Prinzip. Wir sind offen für eigene und fremde Fehler. Dabei halten wir uns an das folgende Zitat.

»Jeder Plan ›muss‹ falsch sein, da nie alle Faktoren bekannt sein können.«
Ruth Cohn, Psychologin

Für uns ergibt sich daraus der Leitspruch: »Wir machen jeden Tag Fehler, und wenn nicht, ist etwas schiefgelaufen.« Dieser Satz hat uns von dem Druck befreit, immer perfekt sein zu müssen. Wir werden nicht spontan handeln, wenn wir Angst davor haben, einen Fehler zu machen. Wer spontan handelt, macht Fehler und übernimmt Verantwortung dafür, egal ob daraus eine großartige Erfindung entsteht oder etwas für die Mülltonne. Sie müssen den Umgang mit Fehlern für sich neu definieren.
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Übung 16:

Geben Sie uns Ihre Fehler

Sie brauchen dazu:
• sich selbst
• einen oder mehrere Fehler
• einen Computer mit Internetanschluss
• Ihr Ja-Buch
Und so geht’s:
Schreiben Sie Ihre Fehler in Ihr Ja-Buch, die schönsten und die schlimmsten, in den schillerndsten Farben … Oder schicken Sie uns Ihre Fehlergeschichten (Adresse auf www.total-spontan.de).

Variante für Blogger:
Verkünden Sie Ihre Fehler in Ihrem Internetblog, auf Facebook, bei XING, Linkedln, studiVZ oder in welcher Community Sie auch immer sind. Machen Sie es wie die Vögel auf dem Dach, twittern Sie Ihre Fehler in die Welt. Das Feedback wird Sie erstaunen.

Was soll das?
Sie werden merken, dass Ihre Fehler gar nicht so schlimm sind, wie sie im Moment erscheinen, wenn sie erst einmal aufgeschrieben sind. Sie werden über Ihre Fehler lachen. Vielleicht nicht sofort, aber mindestens ein bisschen später. Die eigenen Fehler zu reflektieren, sorgt außerdem dafür, sie in Zukunft zu vermeiden. 120

Die Angst vor Fehlern führt dazu, dass Sie alles ganz genau abwägen möchten und sich schließlich vor Entscheidungen drücken. Frei nach der Devise: »Bevor ich mit meiner Entscheidung eine eventuelle Katastrophe auslöse, mache ich mal lieber gar nichts.« Aber gar nichts machen ist nicht sehr spontan. Vielleicht kennen Sie das: Sie sitzen im Auto, möchten Freunde besuchen und können sich nicht entscheiden, welche Route Sie nehmen. An der nächsten Kreuzung müssen Sie sich entscheiden. Die Kreuzung kommt auf Sie zu. Sie werden immer langsamer, hinter Ihnen staut sich eine Autoschlange, Sie fahren fast Schrittgeschwindigkeit, um Zeit für Ihre Entscheidung zu schinden. Die ersten Autos hupen. Der Druck wird größer, aber Sie können sich einfach nicht entscheiden. Wenn wir aus Angst vor der falschen Entscheidung die Entscheidung hinausschieben, wird der Druck - wie die Autoschlange hinter Ihnen - immer größer. Wir verschwenden dann viel Energie damit, den Druck auszuhalten, statt die Entscheidung zu fällen. Je eher Sie sich entscheiden und auf Ihren Bauch hören, desto mehr Energie und Stress ersparen Sie sich. Spontane Entscheidungen lösen die Lähmung und bringen Sie weiter.
Fazit: Sie müssen sich entscheiden und wenn Sie das getan haben, dann hören Sie auf zu grübeln, ob das jetzt ein Fehler war oder die Alternative doch die bessere Entscheidung gewesen wäre. Es macht Sie nur unglücklich, belastet Sie, frisst Ihre Ressourcen. Sie haben es getan, Sie haben »Ja« gesagt. Sie können es im Augenblick nicht rückgängig machen. Trainieren Sie Ihre spontanen Entscheidungen in nicht so wichtigen Situationen. Kaufe ich dieses Kleid oder das andere, stelle ich mich im Supermarkt in der Schlange an Kasse 1, 6 oder 7 an, wohin gehe ich essen, welchen Film schaue ich mir im Kino an? Diese Alltagssituationen bereiten Sie auf größere Entscheidungen vor. Irgendwann müssen Sie reagieren, und meistens wissen Sie genau, wann der Moment für die Entscheidung gekommen ist. Zögern Sie ihn nicht hinaus. Stehen Sie zu dem potenziellen Fehler und übernehmen Sie Verantwortung. Entscheiden Sie sich.
Viele Fehler existieren oft nur in unserem Kopf, ohne dass irgendwer etwas davon bemerkt. Unser eigenes Kopfkino steht uns im Weg. Dort werden aus kleinen Fehlern Riesenprobleme, wie es eben so ist im Kino. Paul Watzlawick beschreibt in seinem Buch »Anleitung zum Unglücklichsein«, wie ein solcher Film in unserem Kopf abläuft:
»Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommen ihm Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Vielleicht hat er die Eile nur vorgeschützt, und er hat was gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts getan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht’s mir wirklich. - Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch bevor er ›Guten Tag‹ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: ›Behalten Sie Ihren Hammer.‹«
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Ich hatte neulich auch so eine Kopfkino-Situation. In einem Hamburger Thai-Imbiss sprach mich eine Frau an. Ich konnte mich aber beim besten Willen nicht daran erinnern, woher ich sie kannte. Ich wusste nur, dass ich sie kenne. Sie fragte fröhlich, wie es mir ginge, ich aber stand total verkrampft vor ihr und stammelte vor mich hin. Wir unterhielten uns über belanglose Dinge. Ich wollte nicht zugeben, dass ich keine Ahnung hatte, wer sie war. Und gleichzeitig ging, während ich so redete, in meinem Kopf ein schlechter Film los: Was denkt die jetzt von mir? Ist das eine Bekannte meiner Frau oder war sie mal in einim Workshop? Nein, das war es auch nicht. Die hält mich jetzt bestimmt für den totalen Vollhonk. Gleich fällt es mir ein. Mann, bin ich verkrampftK Ich muss mich zusammenreißen. Die ist bestimmt von einer Agentur und bucht mich nie wieder. Hatte ich mal was mit ihr?
Ich werde wahrscheinlich nie erfahren, wer sie war. Und hätte sie mich für einen Job buchen wollen, dann habe ich das gründlich vermasselt. Nur weil ich Angst hatte, meinen Fehler zuzugeben, und mit jedem Wort, das ich zu ihr sagte, noch mehr Fehler zu machen. So viel zu meiner eigenen Spontaneität. Sollte mir das noch mal passieren, frage ich sofort nach dem Namen und erspare mir da Kopfkino.

»In Fehler führt uns die Flucht vor Fehlern.«
Horaz, römischer Dichter

Spielen Sie eine solche Situation einmal für sich selbst durch. Wann startet Ihr persönlicher Film im Kopf? Der Auslöser ist immer die Angst, einen Fehler zu begehen, sei er auch noch so klein. Der Film blockiert Ihre Spontaneität. Sie sind nur noch mit Ihrer eigenen negativen Selbstwahrnehmung beschäftigt. Der Film belegt Ihren kompletten Spontaneitätsarbeitsspeicher. Da ist es wieder, das Kaninchen, und die Schweinwerfer kommen auf Sie zu. Entscheiden Sie sich. Springen Sie nach links oder rechts. Stehen bleiben ist auf jeden Fall die falsche Lösung. Wenn Sie im Kleinen beginnen, spontan zu entscheiden, und Fehler zulassen, werden Sie das über kurz oder lang auch bei großen Entscheidungen tun. Wir wissen, wovon wir sprechen. Wir beide haben die Grübelphase mittlerweile auch bei schwer wiegenden Entscheidungen dramatisch verkürzt. Wir übernehmen die Verantwortung für mögliche Fehler. Wenn unsere Entscheidung am Ende doch ein Fehler gewesen sein sollte, hadern wir nicht mehr mit der getroffenen Entscheidung und verschwenden eine Menge Energie, sondern prüfen mit voller Kraft, wie sich die Situation optimieren ließe. Wir treffen - wenn notwendig - eine neue Entscheidung mit oder ohne Fehlerpotenzial. Statt in der Situation handlungsunfähig zu sein, versuchen wir mit etwas Abstand, einen Blick zurück auf unsere Entscheidungen zu werfen und sie zu analysieren. Das trainiert unsere Intuition und unser Bauchgefühl.
Wenn wir durch die Tür gehen und kein Sofa im Raum entdecken, schauen wir, was der Raum noch alles zu bieten hat. Wir nutzen alles, was wir finden können, und gestalten daraus eine neue Komfortzone. Auf jeden Fall gehen wir nicht wieder zurück. Wir nehmen den Raum, wie er ist. Rechnen Sie mit Ihren eigenen Fehlern, mit den Fehlern Ihrer Kollegen, Freunde und Partner. Das Leben macht deutlich mehr Spaß, wenn Sie sich und anderen Fehler erlauben.
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Übung 17:

Spielen Sie Risiko

Sie brauchen dazu:
• sich selbst
• einen Kollegen
• einen Kunden
• eine Präsentationssituation
Und so geht’s:
Machen Sie doch mal ganz bewusst Fehler in einem Vortrag oder einer Präsentation. Bauen Sie zum Beispiel eine Seite in Ihre Unterlagen ein, die da gar nicht hingehört, und zwar so, als seien Sie selbst davon überrascht. Freuen Sie sich, wenn jemand den Fehler entdeckt, und achten Sie mal darauf, wie derjenige sich darüber freut. Oder wundern Sie sich, falls keiner ihn bemerkt.
Bei so manchem langweiligen Vortrag hat ein Fehler letztendlich alle Zuhörer wieder aufwachen lassen. Einer unserer Kollegen hat bei Kundenpräsentationen seinen Bildschirmschoner immer so eingestellt, dass nach einiger Zeit Bilder von seinem Urlaub erscheinen. Dieser scheinbare Fehler erlaubt ihm, mit dem Kunden auf einer privaten Ebene zu kommunizieren und damit die persönliche Bindung zu stärken.

Was soll das?
Diese Übung ist ein wunderbares Training, um mit Fehlern umgehen zu lernen. Lassen Sie sich von Ihren selbst programmierten Fehler-Zeitbomben überraschen. Sie müssen spontan reagieren und Sie werden spontan reagieren, denn eine Störung befördert Sie von einer Sekunde auf die andere in die Welt der Spontaneität. Es bleibt Ihnen gar nichts anderes übrig. Sie gehen aufmerksamer und wacher in Ihre Präsentation, da Sie das Unerwartete erwarten. Schließlich wissen Sie nicht, wann der Fehler bemerkt wird und was danach geschieht. Fehler können eine Chance sein. 123

Treten Sie mit uns in Fettnäpfchen, lernen Sie, Ihre Fehler zu genießen. Fehler werden ab jetzt Ihr ständiger Begleiter sein. Starten Sie Ihre persönliche Fehlerkampagne, denken Sie daran, dass jeder Fehler Sie noch spontaner macht. Und wenn etwas schiefgeht, geben Sie uns die Schuld. Dann war es eben ein Fehler, unser Buch zu kaufen. Und damit Sie auch noch etwas dazugelernt haben: In Zukunft einfach keine Bücher mehr kaufen.
Die tun ja gerade so, als seien Fehler nicht schlimm und als könnte man ab sofort jeden Tag so viele Fehler machen, wie man will … Das ist natürlich Quatsch. Wir geben Ihnen keinen Fehler-Freibrief. Sie können nicht einfach losziehen, nur noch Mist bauen und alles auf uns schieben: »Ich habe das Buch von Ralf Schmitt und Torsten Voller gelesen. Ich darf das.« Nein, nein und nochmals nein. Sie dürfen ab sofort entspannter mit Ihren Fehlern umgehen. Aber einfach nur Fehler machen und anderen damit auf die Nerven gehen oder jemanden gefährden, ist verboten. Vor allem, wenn Sie der Pilot des Flugzeugs sein sollten, in dem wir demnächst sitzen.
Bis hierher haben Sie hoffentlich auf uns gehört und sagen mittlerweile »Ja« zu unerwarteten Situationen. Sie entscheiden aus dem Bauch heraus und haben sich sogar darauf eingelassen, dass Ihre spontane Entscheidung womöglich ein Fehler sein könnte. Sie haben aber beim besten Willen kein neues Penizillin entdecken können und auch keine neue TV-Show entwickelt. Sie haben einfach nur etwas verbockt und stehen nun vor einer neuen unerwarteten Situation, auf die Sie reagieren müssen. Perfekt. Dieser Fehler trainiert Ihre Spontaneität. Wenn Sie Lust bekommen haben, dann gehen Sie jetzt raus, sind spontan und machen Fehler. Sie können natürlich auch gerne noch ein wenig weiterlesen. Viel Spaß beim nächsten Kapitel!

Das ganze Buch für Schnellleser: Teil 2

»Mach Fehler und genieße es.«
Lesen Sie weiter auf Seite 241.

Regel Nr. 3: Hör auf zu planen und sei offen für jeden Moment

Sie haben »Ja« gesagt und die Tür in die Welt der Spontaneität geöffnet. Sie sind todesmutig durch die offene Tür gegangen, ohne zu wissen, ob hinter der Tür ein Sofa, King Kong oder irgendein anderes Monster auf Sie wartet. Sie lassen sich überraschen, und das sogar freiwillig. Sie haben in Kauf genommen, keinen blassen Schimmer zu haben, was hinter der Tür auf Sie wartet. Wird es ein Fehler sein, wird es kein Fehler sein? Wie auch immer. Sie sagen »Ja« zu der Situation, die Sie vorfinden. Hadern und Zaudern macht in dem Moment sowieso keinen Sinn mehr, denn Spontaneität ist ja das, was jetzt passiert. Das heißt, Sie müssen auch jetzt reagieren und spontan sein. Nur eins haben wir bislang nicht geklärt: Wie finden Sie die Tür eigentlich?
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Die ersten beiden Regeln ermöglichten Ihnen, »Ja« zu sagen und Fehler zuzulassen. Mithilfe der dritten Regel »Hör auf zu planen und sei offen für jeden Moment« werden Sie erkennen, dass es auch noch andere Optionen gibt als die ausgetretenen Anti-Spontaneitäts-Wege. Sie nehmen die Türen, an denen Sie bisher vorbeigelaufen sind, bewusst wahr. Im Moment zu sein bedeutet, unerwartete Situationen selbst zu entdecken und zu trainieren.
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Douglas Adams, britischer Science-Ficion-Autor und Verfasser der satirischen Trilogie in sechs Teilen »Per Anhalter durch die Galaxis«, hat neben vielen verrückten Geschichten auch einige bedenkenswerte Wahrheiten und Weisheiten in seinen Büchern formuliert. So beschäftigt er sich unter anderem damit, wie man Dinge unsichtbar macht. Man müsse um sie herum nur ein sogenanntes »PAL-Feld« aufbauen. Ein »Problem-Anderer-Leute-Feld«. Er stützt sich dabei auf den Hang vieler Menschen, in allem ein Problem anderer Leute zu sehen. Wir sehen die Dinge nicht, die wir nicht sehen wollen, nicht enwarfet haben oder nicht erklären können. Ich kenne dieses Phänomen sehr gut. Es gelingt mir zuhause hervorragend, meine herumliegenden Socken und Hosen unsichtbar zu machen. Da die abgelegten Kleidungsstücke auf dem Fußboden für mich kein Problem darstellen, sehe ich sie auch nicht mehr. Es ist ein Problem anderer Leute, in diesem Fall von meiner Frau. Leider ist es mir noch nicht gelungen, mein PAL-Feld auch auf meine Frau auszuweiten, daher sieht sie meine hingeworfenen Klamotten immer.

Genau so ein »PAL-Feld« scheinen viele Menschen um sich herum aufgebaut zu haben, wenn es darum geht, sich auf Neues einzulassen. Kommen Ihnen Standardsätze wie diese bekannt vor: »Das machen wir doch immer so!« Oder: »Den Weg bin ich noch nie gegangen, dann mache ich es heute auch nicht!« Oder auch: »Das ist nicht mein Problem. Sehe ich nicht. Mache ich nicht.«
Schalten Sie Ihr eigenes »PAL-Feld« ab und richten Sie Ihren Blick auf die Türen, hinter denen sich vielleicht etwas Unerwartetes verbirgt. Die Auseinandersetzung mit dem Unerwarteten trainiert Sie und macht Sie spontan. Im Moment zu sein bedeutet, alles um sich herum in genau diesem einen Moment wahrzunehmen. Saugen Sie wie ein Schwamm alles in sich auf. Damit trainieren Sie, schnellstmöglich herauszufinden, was Ihnen in einer spontanen Situation zur Verfügung steht.
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Übung 18:

Entdeckertour

Sie brauchen dazu:
• sic h selbst
• Ihre Augen
• einen altbekannten Weg
Und so geht’s:
Diese Übung ist eine Variation der Übung 10 »Das Konto ›Erlebnispunkte‹ auffüllen«. Es geht jetzt darum, neue Wege entdecken zu wollen (auch für den Fall, dass Sie noch immer auf Ihren Anti-Spontaneitäts-Wegen unterwegs sind). Versuchen Sie auf einem Weg, den Sie regelmäßig gehen und sehr gut kennen, jedes Mal etwas Neues zu entdecken, etwas, das Sie vorher noch nie gesehen haben. Je öfter Sie die Strecke gehen, desto schwieriger wird das. Alles ist erlaubt: Eine neue Auslage in einem Schaufenster, ein Baum, der sich mit den Jahreszeiten verändert, ein Auto, das in einer Einfahrt parkt …

Variante für Fortgeschrittene:
Besonders viel lässt sich entdecken, wenn man seinen Blickwinkel ändert. Schauen Sie sich mal einen Tag lang nur Dächer an und an einem anderen nur Haustüren.

Was soll das?
Im Moment zu sein ist so verdammt schwer. Wir gehen immer die gleichen Wege und wissen meist, was gleich kommt. Aus diesem Grund fangen wir automatisch an zu planen: »Hm, da vorn der Bäcker, ich muss Brötchen holen, und da der Zeitungskiosk, hoffentlich haben die noch meine Tageszeitung, und da parkt der VW-Bus von meinem Freund, er ist also schon zuhause, ob er den Tisch schon gedeckt hat? …
Mit unserer Wahrnehmung verhält es sich wie mit dem nachfolgenden Bild. Wir sehen ein weißes Dreieck, das aber gar nicht da ist. Wenn wir im Moment sind und genau hinschauen, erkennen wir drei angeschnittene Kreise und drei Winkel, aber kein Dreieck. 127
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Wir müssen unser Gehirn aktiv trainieren, wieder im Moment zu sein und neue Dinge wahrzunehmen, statt den alten Anti-Spontaneitäts-Sichtweisen zu vertrauen. Erweitern Sie Ihre Wahrnehmung, um irgendwann in unerwarteten Situationen alles, was JETZT da ist, nutzen zu können.
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Übung 19:

Assoziations-Alarm

Was sehen Sie? Kreise oder einen Menschen?
»Die Mitglieder der Gastmannschaft müssen immer dick sein, sonst dürfen sie nicht mitspielen.«
(Gefunden an der Tür zum Umkleideraum einer alten Schulturnhalle) 130
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In der Regel nehmen wir alles um uns herum nur begrenzt wahr, da wir den Kopf voller Pläne für die nächsten 30 Minuten haben.
Ah, da vorne ist der Supermarkt, da muss ich gleich noch was einkaufen. Die hervorragende neue Bäckerei auf dem Weg zum Supermarkt haben Sie nicht bemerkt.
Im Supermarkt: Gleich hinter den Saftkartons sind immer die Sonderangebote, mal sehen, was die heute anbieten. Und Sie bemerken gar nicht, dass es neuerdings Ihren Lieblingssaft, den Sie sonst ganz woanders kaufen müssen, im Sortiment gibt.
An der Kasse wird weiter geplant: Ich muss gleich noch das Auto volltanken. Und es fällt Ihnen gar nicht auf, dass Ihr Nein-Kollege auf dem Parkplatz mit Ihrer Frau knutscht.
Und wenn ich gut durch den Berufsverkehr komme, kann ich beim Blumenladen vor Ladenschluss für meine Frau noch schnell ein paar rote Rosen kaufen. Und Sie merken nicht, dass es dafür schon zu spät ist.
Bei all dem Planen und Vorbereiten übersehen wir so viele Dinge, die uns genau in dem Moment zur Verfügung stehen. Vielleicht hätten Sie in der Bäckerei die entzückende Verkäuferin kennen gelernt, hätten Ihre Frau auf dem Parkplatz erwischt, wären trotzdem zum Blumenladen gefahren, hätten rote Rosen gekauft, um sie der entzückenden Verkäuferin in der Bäckerei zu schenken. Happy End.
Unsere eigenen Pläne und das, was wir von unserer Umwelt erwarten, hindern uns daran, die spontane Seite in uns zu entdecken. Es ist ja auch wirklich gemein. Da hält sich doch einfach das Leben, die Welt, das Universum, Gott oder wer auch immer hinter allem steckt, nicht an die schönen Pläne, die wir uns im Kopf so perfekt zurechtgelegt haben. Was fällt der Welt ein, nach Jahren, in denen es nur Monate im Matsch ohne echtes Winter-Feeling gab, plötzlich wieder einen echten Winter zu veranstalten mit - »Überraschung, Überraschung« - viel Neuschnee und vereisten Straßen? Und dabei hatten Sie doch dieses Jahr geplant, sich keine Winterreifen zu kaufen. Oder gerade, wenn Sie Ihre Verwandtschaft in Italien besuchen wollen, zieht über Europa eine riesige Aschewolke. Wen können Sie jetzt für den ausgefallenen Flug verklagen? Gott? Die Erde? Island? Den Vulkan?
Was, wenn Sie planen, im Frühsommer nach Mallorca zu reisen, um die Sonne zu genießen, und als Sie dort ankommen regnet es die ganze Zeit? Dann hätte man doch gleich nach Schweden fahren können und eine ganze Menge Beziehungsstreit vermieden.
Das Ganze kann natürlich auch umgekehrt passieren, also nicht nur in der negativen Version, sondern in der positiven. Gerade wenn man denkt, die Angebetete ruft nicht mehr an, steht sie plötzlich vor der Tür. In dem Moment, wo man alle seine Bewerbungsmappen verschickt und nur Absagen bekommen hat, führt ein kleines Gespräch mit einem fast vergessenen Freund dazu, dass man einen neuen Job bekommt. Und das Verrückte: Genau über diesen Freund hat man am Tag zuvor noch mit jemand anderem gesprochen. Und dann trifft man genau diesen alten Freund in der Fußgängerzone zwischen Buchladen und Elektromarkt. Erkannt hat man sich aber nur, weil jeder mit offenem und neugierigem Blick durch die Stadt gegangen ist.
Wann immer Ihnen das so geht, sind Sie einfach im Moment gewesen und haben Ihren eigentlichen Plan mal kurz vergessen. Der Moment steckt voller Chancen! Aber leider sind all diese Chancen nicht planbar, denn es wird Ihnen niemand vorher Bescheid sagen.
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Übung 20:

Biografien für Passanten ausdenken

Sie brauchen dazu:
• sich selbst
• Sommer
• ein Café oder eine Bank in einem Park
Und so geht’s:
Sie setzen sich gemütlich auf die Terrasse eines Cafés oder auf eine Parkbank, wo viele Menschen vorbeigehen. Sie suchen sich einen Passanten Ihrer Wahl aus, der gerade vorbeikommt, und überlegen sich eine Kurzbiografie. Die folgende Fragenliste, die Sie gern erweitern können, dient Ihnen als Hilfestellung:
Wie heißt der Mensch?
Wo kommt er her?
Wo geht er hin?
Was ist er von Beruf?
Was ist sein Geheimnis?
Variante für Paare:
Wenn Sie zu zweit sind, können Sie sich auch Paare aussuchen und für beide eine Biografie erfinden. Oder Sie entscheiden sich beide für dieselbe Person und vergleichen Ihre Ergebnisse. Was stimmt überein? Wo haben Sie ein völlig anderes Leben skizziert?

Was soll das?
Nicht vergessen: Diese Übung soll - wie alle anderen auch - Spaß machen. Trauen Sie sich einfach mal, wildfremde Menschen ganz schnell in Schubladen zu packen. Sie können sie ja aus der Schublade wieder rausholen, sollten Sie sie persönlich kennen lernen. Mit dieser Übung trainieren Sie, genau hinzuschauen, und alles, was in diesem Moment an Informationen zur Verfügung steht, zu nutzen. Welche Indizien geben Aufschluss über ein Geheimnis? Ist die Kleidung vielleicht ein Hinweis auf den Beruf? Sie üben in sehr kurzer Zeit, schnell und spontan zu einer Einschätzung zu kommen. Bei diesem Spiel ist es darüber hinaus vollkommen belanglos, ob Sie einen Fehler machen. Sie haben wenig Zeit, sich zu entscheiden. Entwickeln Sie ruhig absurde Biografien, vielleicht gibt es in Ihrer unmittelbaren Nähe ja Atomforscher oder Geheimagenten. 133

Ungeplant, aber nicht planlos

Es könnte der Eindruck entstehen, dass spontane Menschen planlos durch die Welt spazieren und ihr Leben etwas chaotisch und anarchisch nach spontanen Ideen ausrichten. Als lebten sie immer und überall nur im Moment, vielleicht sogar von der Hand in den Mund. Eine interessante Vorstellung, aber falsch, denn in der Welt, in der wir leben, ist das nicht immer umsetzbar. Wir haben Verpflichtungen, müssen Geld verdienen und uns an Regeln halten. Andere Menschen haben Erwartungen an uns, die wir zumindest teilweise erfüllen sollten. Damit es gelingen kann, im Moment zu sein, ist es wichtig, die richtige Balance zwischen Ihrem »Masterplan« und Ihrer Fähigkeit, den Augenblick zu leben, zu behalten.
Unter dem Masterplan verstehen wir Ihre gesammelten Ziele, Wünsche und Gewohnheiten. Ein Teil Ihres Masterplans könnten zum Beispiel Ihre beruflichen Karriereabsichten sein. Möchten Sie die Abteilung, in der Sie arbeiten, irgendwann leiten oder sogar der Chef der Firma werden? Oder sind Sie mit Ihrem augenblicklichen Arbeitsplatz ganz zufrieden? Wie stellen Sie es an, Ihre Karriere voranzutreiben oder aber Ihre derzeitige Position zu festigen? Sie werden sich dazu Gedanken gemacht haben und entsprechend handeln. Der Masterplan ist eine auf einen längeren Zeitraum angelegte Leitlinie, deren Umsetzung Sie sich genau überlegt haben.
Ein anderer Masterplan könnte beinhalten, dass Sie in den nächsten fünf Jahren in eine größere Wohnung ziehen möchten, die Sie mieten oder sogar kaufen. Vielleicht möchten Sie einmal drei Kinder haben oder wollen, weil Sie sehr sportlich sind, vor Ihrem 30. Geburtstag mit einem Freund Deutschland auf Inline-Skates von Flensburg bis Friedrichshafen durchqueren. Wie auch immer Ihr Masterplan aussieht, verlieren Sie ihn nie aus dem Auge. Um Ihr Ziel zu erreichen, werden Sie sich viele kleine Teilziele stecken und bewältigen. Spielen wir mal den Wunsch durch, dass Sie drei Kinder haben wollen. Stellen wir uns das bildlich vor: Was müssen Sie alles dafür tun? Also, zuerst brauchen Sie den richtigen Partner, in den Sie sich hoffentlich verlieben, idealerweise beruht das auf Gegenseitigkeit. Anschließend gehen Sie mit Ihrem Partner ins Bett … Oh, jetzt wird uns das zu heiß. Wir erklären Ihnen das gerne unter vier Augen.
Nehmen wir lieber das Beispiel »gemeinsam mit einem Freund Deutschland auf Inline-Skates durchqueren«. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein. Wir wollen mal drei wesentliche herausgreifen:
134Sie müssen Inline-Skates fahren können.
135Sie müssen über die nötige Zeit verfügen.
136Sie müssen einen Freund haben.
Diese drei Voraussetzungen müssen auf jeden Fall erfüllt sein, damit Sie Ihren Masterplan ohne Kompromisse umsetzen können.
Nachdem wir so viel über das Unerwartete philosophiert haben, sind Sie ja schon vorgewarnt und wissen … Ja, genau! Richtig! Es könnte etwas Unerwartetes passieren. Und das Unerwartete hält sich leider nicht an Ihren Masterplan. Was könnte also passieren?
137Vollkommen unerwartet verstauchen Sie sich den Knöchel. Sechs Monate werden Sie nicht skaten können.
138Eigentlich haben Sie genug Zeit eingeplant. Zwischen Studienabschluss und Berufsstart liegen drei Monate freie Zeit. Doch nun ruft Ihr zukünftiger Arbeitgeber an und bittet Sie, den Job schon einen Monat früher anzutreten. Es stehen Ihnen also nur noch zwei Monate zur Verfügung.
139Ihr Freund, ein Sportpartner seit zehn Jahren, beschließt kurzfristig, doch lieber auf Schlittschuhen die Arktis zu durchqueren. Skaten ist für ihn nicht mehr so interessant. Sie stehen alleine da.
Nun heißt es, im Moment zu sein und zu überprüfen, welche Möglichkeiten Sie unter den gegebenen Umständen noch haben.
140Ihr Knöchel ist kaputt? Sie verschieben Ihre Reise um sechs Monate.
141Sie haben einen neuen Job? Sie durchqueren Deutschland nicht in einem Rutsch, sondern verteilt auf Ihre nächsten Urlaube. Oder Sie starten erst mal in Flensburg und schauen, wie weit Sie in zwei Monaten kommen.
142Ihr Freund lässt Sie im Stich? Verabschieden Sie sich von dem Plan, mit einem Freund zu fahren, und freuen Sie sich darauf, ganz allein unterwegs viele andere interessante Menschen kennen zu lernen.
Wichtig ist nur, dass Sie sich nicht, sobald etwas Unerwartetes passiert, an den Plan klammern, sondern die einzelnen Planschritte ändern. Was haben Sie auch für eine andere Wahl? Wir erinnern uns noch einmal an den »Torfall von Madrid«. Auch Marcel Reif fiel es bei der Moderation schwer, seinen Plan loszulassen: »Ich weiß, dass ich die ersten fünf Minuten irgendeinen Stuss dahergeredet habe, weil ich nicht wahrhaben wollte, dass das Tor umfällt. Ich wollte überhaupt nicht, dass da irgendsowas passiert, weil … Ich hatte mich richtig auf dieses Fußballspiel gefreut.«

Wir stellen uns einen Masterplan immer wie ein großes Segel an einem Schiff vor. Wenn der Wind von hinten kommt, können wir auf dem kürzesten Weg unser Ziel erreichen. Wenn der Wind aber von der Seite oder sogar von vorne kommt, dann müssen Sie Ihren Plan ändern, die Segel an die neue Situation anpassen oder kreuzen, damit der Wind Sie nicht in die falsche Richtung treibt. Halten Sie Ihr Masterplan-Segel aber immer bereit, falls sich der Wind wieder dreht.
143
Einer meiner Masterpläne war es, Schauspieler zu werden. Mein Leben lang stehe ich schon auf der Bühne, ich war nur immer zu feige, das professionell zu machen. Deswegen habe ich eine Lehre in der Bank gemacht, habe studiert und als Projektmanager gearbeitet. Parallel dazu stand ich nach wie vor auf der Bühne, die Segel aber immer nur auf Halbmast. Erst mit dem Platzen der Dotcom-Blase gelang es mir, im Moment zu bleiben une all meinen Mut zusammenzunehmen. Ich holte meinen Masterplan wieder aus der Schublade und setzte die Segel. Es war die richtige zeit gekommen, um die Fahrt aufzunehmen.

Für ein spontanes Leben müssen Sie bereit sein, sich in jedem Moment von Ihrem Plan verabschieden zu können - ohne Ihren Masterplan jedoch aus den Augen zu verlieren. Überprüfen Sie regelmäßig, ob der Wind für Sie noch richtig steht oder ob es an der Zeit ist, den Plan vorübergehend einzurollen. Wenn Sie dazu nicht bereit sind, dann wird Sie jede unerwartete Situation vom Weg abbringen.
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Übung 21:

Schmeiß deinen Plan über den Haufen

Sie brauchen dazu:
• sich selbst
• eine Stunde Ihrer Freizeit
Und so geht’s:
Nehmen Sie sich eine Stunde Zeit und machen Sie in dieser Stunde genau das nicht, was Sie sich eine eigentlich vorgenommen haben. Wenn Sie gerade ein Eis essen wollten, dann gehen Sie Kuchen essen. Wenn Sie sich eine neue Hose kaufen wollten, gehen Sie in einen Fahrradladen. Wenn Sie einen Freund oder eine Freundin anrufen wollten, rufen Sie Ihre Mutter an. Wenn Sie gerade E-Mails lesen wollten, schreiben Sie einen Brief. Einige kennen dieses Verhalten vielleicht unter einem anderen Namen, nämlich »Etwas Wichtiges erledigen«. Man müsste eigentlich am Computer sitzen, dabei fallen einem aber viel wichtigere Dinge ein, wie z.B. Wohnung putzen, bügeln etc.

Was soll das?
In dieser Übung trainieren Sie, dass sich manches, was geplant war, eben nicht durchführen lässt. Den Plan selbst über den Haufen zu schmeißen, ist der erste Schritt, um in Situationen, in denen von Ihnen verlangt wird, spontan zu sein und Ihren Plan zu vergessen, locker zu bleiben. 145

Sie haben es selbst in der Hand. Unsere Erwartungen an andere und vor allem an uns selbst sind auch nichts Anderes als Pläne, die wir nicht loslassen können, obwohl wir uns manchmal lieber davon verabschieden sollten. Es ist schwer, einen Plan aufzugeben und mit einer neuen Situation klarzukommen, wenn etwas nicht so eintritt, wie wir es erwartet haben. Gerne schieben wir dann die Schuld auf Andere.
Zu welch absurden Situationen es führen kann, wenn man seinen Plan, seine Erwartungen nicht loslassen kann, hat eine Freundin von uns mal in Norwegen erlebt. Sie war als Reiseleiterin auf einem Kreuzfahrtschiff unterwegs, das Nordeuropa bereiste: u.a. Island, Dänemark und eben auch Norwegen. Als das Schiff in Norwegen in der Stadt Bergen anlegte - laut Reiseprospekt die regenreichste Stadt Europas - schien die Sonne, der Himmel war blau, kurz, traumhaftes Wetter. Daraufhin beschwerte sich eine der Reisenden, dass es nicht regnete. Sie hätte im Reiseprospekt gelesen, dass Bergen die regenreichste Stadt Europas sei, und nun regnete es gar nicht. Eine absolute Frechheit, die Reisenden so zu belügen …
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In den letzten Jahren machte ich warm-ups für verschiedene Formate bei ARD, ZDF, Sat.1 und ProSieben. Warm-upper sind die Menschen, die sich vor und während der Sendung um eine entspannte Stimmung kümmern, um den Zuschauern die Nervosität vor der Aufzeichnung zu nehmen. Beim Warm-up arbeitete ich mit Navituition und war stets im Moment. Ich bekam einen Ablaufplan, der detailgenau den Verlauf der Sendung wiedergab und an den ich mich halten musste. Der Ablaufplan einer Fernseh-Kochshow enthielt übrigens einmal den Punkt »Ungeplantes«, gedacht als Zeitpuffer. Eine hervorragende Möglichkeit, Moment-Entscheidungen bereits im Voraus zu berücksichtigen. Zurück zum Warm-up: Zu meinen Aufgaben gehörte es, die Zuschauer auf die Sendung einzustimmen, die Flutwege zu erklären, den Ablauf der Sendung zu besprechen und schließlich den Moderator anzukündigen. Das sind die »Navi-Aufgaben«. Und dann gab es noch die »Tuition-Aufgaben«, bei denen ich mich auf meine Intuition, auf den Bauch, verlassen musste. Jedes Publikum ist anders. Jedes Mal musste mich aufs Neue auf die Stimmung im Studio einstellen. Ich halte mich an den Plan und muss ihn durchziehen, bleibe aber offen für neue Entwicklungen. In jeder Sendung, ob Live-Übertragung oder Aufzeichnung, gab es Pannen und unerwartete Ereignisse. Bei einem solchen Warm-up beispielsweise reagierte immer nur die eine Hälfte des Publikums, lachte, klatschte, hatte Spaß, die andere Hälfte hingegen ezigte keine Regung. Ich schwitzte, bekam einen roten Kopf und dachte: Was geht hier gerade schief? Warum funktioniert mein Plan nicht? Eine gefühlte Ewigkeit habe ich gelitten und an mir selber gezweifeit, um dann endlich meinen Plan beiseitezulegen. Ich sprach meine Zweifel aus, indem ich den stillen Teil des Publikum direkt fragte: »Verstehen Sie meine Sprache?« Die andere Hälfte der Zuschauer brach in schallendes Gelächter aus. Sie hatten nur darauf gewartet, bis ich endlich bamerkte, dass es sich um eine gemischte Reisegruppe handelte, in der nur eine Hälfte deutschsprachig war. Ich suchte sofort den Dolmetscher der Reisegruppe und wiederholte das ganze Warm-up zusammen mit ihm, er entpuppte sich als genialer Warm-up-Partner. Das war das erste Warm-up, bei dem mir mal so richtig warm geworden ist und ich Angst bekam, meinen Job an den Dolmetscher zu verlieren.

Die meisten Menschen merken gar nicht, dass sie in vielen Bereichen ihres Lebens schon im Moment sind. Ein in den Genen vorinstallierter Masterplan ist zum Beispiel: »Ich will nicht verhungern.« Wir alle achten darauf, dass wir regelmäßig zu essen bekommen. Und wenn Ihr Kollege Sie fragt, ob Sie mit ihm zusammen die Mittagspause zusammen verbringen möchten, planen Sie das ja auch nicht bis ins Letzte durch. Sie behalten nur Ihren Masterplan »Ich will nicht verhungern« im Auge. Ansonsten gehen Sie Schritt für Schritt vor.
147Sie sagen zunächst einmal »Ja«.
148Anschließend entscheiden Sie, wo Sie hingehen möchten: Imbiss, Salatbar, Steakhouse …
149Dann überlegen Sie, wie Sie dort hinkommen: Zu Fuß, mit dem Fahrrad, im Auto …
150Im Lokal angekommen, suchen Sie sich den passenden Sitzplatz aus: draußen, drinnen, Ecktisch, an der Bar …
151Als Nächstes suchen Sie die Getränke aus: Wasser, Cola, Bier …
152Und schließlich wählen Sie das Essen aus: Vorspeise, Hauptspeise, Nachtisch, viel, wenig …
Bei jedem dieser Schritte könnte etwas Unerwartetes passieren, aber Sie können in dem Moment damit umgehen: Draußen sind keine Plätze mehr frei, dann gehen wir rein. Es gibt keine Suppe, dann nehme ich Salat. Auch wenn das ein zugegebenermaßen sehr einfaches Beispiel ist, hilft es, das Prinzip des ungeplanten, aber nicht planlosen Handelns zu verstehen und es zu verinnerlichen, um auch in prekären Situationen nicht vom »Kaninchen-Feeling« überwältigt zu werden. Geplant ist, nicht zu verhungern, planlos ist, wie Sie das im jeweiligen Moment erreichen. Was ist in diesem Moment der nächste richtige Schritt? Und dann der nächste. Und dann der nächste usw.
Leider halten wir oft zu stark an unseren Plänen fest und machen Schritt zwei vor Schritt eins, weil wir fest davon ausgehen, dass der Plan genau so funktionieren wird. Vielleicht haben wir insgeheim den Wunsch, durch Vorausplanung die Realität zu schaffen.
Eins, zwei, Polizei
»Routinen sind zwar verdammt wichtig, um das eigene Vorgehen zu strukturieren. Aber sie bergen auch die Gefahr, dass man vor lauter Routine die jeweiligen Eigenarten des Falles nicht mehr erkennt. Und sie verführen dazu, sich in einer Art Scheinsicherheit zu wiegen. Dabei ist es wichtig, dazu zu stehen, dass man Dinge nicht weiß oder noch nicht beurteilen kann.«
Aus einem Interview mit Reinhard Chedor, Leiter des Landeskriminalamtes Hamburg, »brand eins«, Schwerpunkt Improvisation
Wenn Sie trainieren, »im Moment zu sein«, dann immer mit dem Ziel, die eigenen Pläne hinter sich zu lassen und voll und ganz in der Situation aufzugehen. Stellen Sie sich vor, Sie wären als Bodyguard in eigener Sache unterwegs: immer wach, immer aufmerksam, immer bereit für was auch immer kommt. Sie haben den 360-Grad-Blick, der registriert, was um Sie herum passiert. Sie wissen, egal wo in der Welt Sie sich gerade aufhalten, immer schon vorher, wo der beste Fluchtweg ist. Dieser Fluchtweg wird aber nur in der Notsituation genutzt. Das bedeutet im Klartext: Unsere Pläne im Kopf müssen immer wieder über den Haufen geworfen werden. Ein guter Bodyguard wird in seiner Karriere tausende von Fluchtwegen gecheckt haben, ohne vielleicht auch nur einen zu brauchen. Es gilt, immer wieder neue Strategien zu entwickeln und immer wieder auch davon Abschied zu nehmen. Alles umsonst? Oder Gott sei Dank? Egal, bleiben Sie einfach immer wach und präsent.

Die eigenen Pläne loszulassen ist verdammt schwer

Es ist Frühling und der letzte Schnee ist gerade geschmolzen, einzelne Schneeglöckchen blühen schon, die Krokusse bohren sich durch die Erde ans Licht und sorgen für die erste Farbe in der Natur. Die Sonne wärmt, und man kann endlich Schal, Mütze und Handschuhe zuhause lassen. Sie sind draußen und gehen im Park spazieren. Auf der Parkbank zur Rechten ein glückliches Paar, das sich eng umschlungen an den ersten Sonnenstrahlen wärmt. Vor Ihnen auf dem Weg ein Paar, das langsam Hand in Hand schlendert, weil es sich alle fünf Schritte küssen muss. In den Bäumen werben die Vögel umeinander, und auf der Terrasse des Cafés sitzt ein Pärchen, er himmelt sie verliebt an, sie hat das bezauberndste Lächeln der Welt. Nur Sie sind Single und alleine unterwegs. Sie versuchen, entspannt zu bleiben, denn Sie haben in Ihrem Leben gelernt, dass es meist nicht klappt, wenn Sie sich unbedingt verlieben wollen. Je mehr Sie suchen und es wollen, desto weniger klappt es. Das war letztes Jahr schon so und vorletztes Jahr auch und das Jahr davor - ach egal. Sie haben gelernt: Man darf es nicht so dringend wollen. Sie beschließen also, Ihren Plan loszulassen und nicht mehr zu suchen. Die Liebe soll Sie finden, damit es dieses Jahr klappt. Aber das Loslassen wird schon wieder zum neuen starken Plan. Sie schaffen es nicht, ernsthaft loszulassen. Verflixt.
Aber auf einmal, bei einem Treffen mit Freunden, zu dem Sie eigentlich nicht hingehen wollten, passiert es. Sie denken überhaupt nicht an die Liebe, während Sie neben jemandem zum Sitzen kommen, den Sie noch nie zuvor gesehen haben. Ein Blickkontakt, Ihr Herz fängt an, sich einen mittleren Infarkt zu erklopfen, und - obwohl Sie nicht an Übersinnliches glauben - geheime Wellen scheinen bis zu Ihnen herüber zu strahlen. Wooooom. Da ist sie, die große Liebe. Manche Momente beinhalten Chancen, die wir vorher nicht absehen können.
153
So verhält es sich doch mit allem, was wir unbedingt wollen, oder? Je mehr wir uns etwas wünschen, desto weniger kommen die Ideen und Lösungen. Und wenn Sie an der Tür vorbeikommen, hinter der der Weg zur Lösung liegt, schauen Sie nicht hin, da keine Blinklichter, Warnsirenen und Lautsprecherdurchsagen Bescheid geben: »Achtung, Achtung, hier ist die Tür, die zu Ideen und Lösungen führt.« Dabei kann die Lösung der kleine Zettel am Laternenpfahl sein, auf dem steht:«Große Liebe sucht Spontan-Talent.« Sie sehen den Zettel aber nicht, denn Ihr Plan sagt: 1. Die Liebe findet man nicht am Laternenpfahl und 2. Ich bin kein Spontan-Talent. Tja. Pech gehabt. Vorbeigegangen, Liebe nicht gefunden.
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Übung 22:

Wohin mit all den Gedanken?

Sie brauchen dazu:
• sich selbst
• Ihren Kopf
• Lust auf ein ganz klein wenig Esoterik
• Ihr Ja-Buch
Und so geht’s:
Notieren Sie in Ihrem Ja-Buch alle Gedanken und unerledigten Dinge, die in Ihrem Kopf herumschwirren. Legen Sie eine To-do-Liste mit all den Sachen an, die Sie beschäftigen, egal ob es sich Berufliches oder Privates handelt. Einmal in der Woche an einem festgelegten Tag gehen Sie diese Liste Punkt für Punkt durch. Dann haben Sie die Möglichkeit, einige To-do’s auszuformulieren, andere haben sich erledigt und können gestrichen werden. Sie werden lernen, dass all Ihre Gedanken auf der Liste sicher aufgehoben sind und regelmäßig gelesen und bearbeitet werden.

Was soll das?
Unendlich viele Gedanken nehmen uns ständig in Beschlag. In unserem Kopf sammeln sich immer wieder Ideen, die fertig gedacht werden wollen. Dazu kommen noch Fernsehen, Werbung, Internet, Job, Beziehungen. Um all das zu bewältigen, müssen wir viel planen, und das wiederum blockiert unsere Spontaneität. Wir brauchen Methoden, um all diese Anforderungen zu kanalisieren und zu verwalten. So schaffen Sie es viel leichter, im Moment zu sein und zu bleiben. 155

Ein schönes Beispiel für das Über-den-Haufen-Werfen von Plänen ist der Film »Vergiss mein nicht« (2004) mit Jim Carrey und Kate Winslet. Während der Dreharbeiten, die zum Teil in New York stattfanden, las der Regisseur Michel Gondry in der Zeitung, dass zur gleichen Zeit ein großer Zirkus in New York gastierte. Aufgrund eines Transportproblems wurden die Zirkuselefanten nicht wie üblich in Lastern zum Zirkusplatz gefahren, sondern sie marschierten in einer Parade mitten durch New York City zu ihrem Standort. Der Regisseur entschloss sich kurzfristig, seine beiden Hauptdarsteller bei dieser Parade zu filmen - und das ohne Skript und Drehplan. Die Szene wirkt im fertigen Film so authentisch, weil sie authentisch war. Während der Parade haben sich die beiden Hauptdarsteller Jim Carrey und Kate Winslet in den Menschenmassen aus den Augen verloren. Im Film sieht man, wie Filmheld Joel (Jim Carrey) nach Clementine (Kate Winslet) ruft und sie sucht. Schaut man genau auf seine Lippen, sieht man, dass er nicht den Filmnamen »Clementine« ruft, sondern »Kate«, den Namen seiner Kollegin. Eine reale Situation, in der Filmfiguren und reale Personen verschmelzen. Im fertigen Film hat sich Jim Carrey dann noch einmal selbst synchronisiert und den falschen Namen korrigiert. Für uns ein schönes Beispiel, um zu zeigen, was entstehen kann, wenn man auch mal vom Plan abweicht - alle Beteiligten des Films haben sich auf den Moment eingelassen und spontan reagiert.

Schmeißen Sie Ihren Plan über den Haufen

Unerwartetes kann Sie nur aus der Bahn werfen, wenn Sie sich vehement an Ihren Plänen festhalten. Fegt die Energie des Unerwarteten Ihre Pläne davon, fegt es auch Sie mit, wenn Sie nicht loslassen. Trainieren Sie deshalb immer wieder mal, Ihre Pläne loszulassen oder sie an den jeweiligen Moment anzupassen. Dabei bleiben Sie trotzdem handlungsfähig, da Sie jede neue Situation aktiv mitgestalten können, indem Sie »Ja« sagen und »Mut zum Fehler« beweisen.
Beobachten Sie sich einmal dabei, was passiert, wenn Sie selbst oder andere nicht im Moment sind:
Was genau geht Ihnen jetzt alles durch den Kopf?
Ja, genau jetzt?
Sind Sie in dem Buch versunken?
Oder überlegen Sie gerade, was heute noch im Fernsehen läuft? Wie Sie den nächsten Tag gestalten werden? Ob Ihre Haare sitzen? Auf was Sie heute noch Appetit haben?
Merken Sie, wie schnell wir Sie aus dem Moment holen können?
Checken Sie Ihre E-Mails, während Sie mit Ihrer Mutter telefonieren? Gehört Ihre Aufmerksamkeit eher dem Fernseher, wenn Ihr Partner Ihnen von seinem Tag erzählen möchte? Stellen Sie gerade Ihre Videokamera ein, mit der Sie Ihre Tochter im Krippenspiel filmen möchten, und verpassen Ihren Auftritt, da Sie mit dem Menü nicht zurechtkommen? So etwas nennen wir Aufmerksamkeitskiller, die es immer wieder schaffen, uns aus dem Moment rauszuziehen, um den es eigentlich geht. Meistens reicht es schon aus, sich diese Ablenkung bewusst zu machen und seine Aufmerksamkeit wieder gezielt auf das, was im Moment passiert, zu richten.
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Übung 23:

Belauschen

Sie brauchen dazu:
• sich selbst
• Ihre Ohren
• jemanden zum Belauschen
Und so geht’s:
Die Webseite www.belauscht.de hat es vorgemacht: Schalten Sie Ihren MP3-Player aus und hören Sie mit offenen Ohren zu, was im Moment um Sie herum gesprochen wird. Ebenso absurd wie die Fotos, die Sie in Übung 2 »Foto-Assoziationen« geschossen haben, können belauschte Dialoge sein.
Ein Beispiel von www.belauscht.de und dem dazugehörigen Buch »Entschuldigung, sind Sie die Wurst?« (Heyne Verlag):
Silvestermorgen bei Aldi - Ausnahmezustand, Schlangen quer durch den Laden. Als eine Kasse schließt und dafür eine andere aufmacht, rutscht ein wartender Rentner beim Schlangenwechsel etwa vier Plätze nach hinten, muss also ungefähr sieben Minuten länger warten. Er pöbelt dafür die Kassiererin lautstark an und geht dabei weit unter die Gürtellinie. Alle anderen Kunden schauen betreten weg, nur eine junge Frau sagt laut hörbar zur Kassiererin: »Sie müssen das schon verstehen, in dem Alter hat man keine Zeit, da kann man ja jede Sekunde tot umfallen.«
(Belauscht in Hamburg von Briddel)

Was soll das?
Im Moment sein bedeutet, dass all unsere Sinne jederzeit wach und aufmerksam sind. Genauso, wie wir viele Dinge nicht sehen, weil wir sie für Probleme anderer Leute halten, hören wir oft nicht hin. Wir hören unterwegs lieber Musik mit Kopfhörern oder hören einfach weg. Diese Übung trainiert die Neugier auf das, was wir um uns herum hören können. Wir erinnern uns: Wenn Sie spontan reagieren, können Sie nur das nutzen, was Sie in diesem Moment zur Verfügung haben. Das kann auch etwas sein, was Sie eben gehört haben; Sie greifen es auf und nutzen es und für eine spontane Reaktion. Oft hören wir gar nicht genau hin, was gesagt wird, wir ziehen, unabhängig von dem tatsächlich Gesagten, einen eigenen Sinn aus dem Satz. Denken Sie an das Beispiel mit dem dicken und dem modischen Mann: »Gibt es Ihren Anzug auch für Männer?« Der modische Mann antwortete: »Ja, aber nicht in Ihrer Größe!« Hätte er nicht aufmerksam zugehört, hätte er vielleicht nur den Angriff auf seine Männlichkeit gehört, etwa: »Sie sind ja gar kein richtiger Mann!« Aber weil er gut aufgepasst hatte, konnte er den Anzug in seine Replik miteinbeziehen. 157

In einem Radio-Interview erzählte Wencke Myhre, eine norwegische Sängerin, die in Deutschland mit zahlreichen Schlagern bekannt wurde, unter anderem von ihrem Lebensmotto: »Ich nehme mir immer die nächste Viertelstunde vor.« Damit meint sie, in besonders anstrengenden Situationen immer nur die nächsten 15 Minuten zu planen und dann weiterzusehen. Diese 15 Minuten sei sie voll und ganz »im Moment«. So hangele sie sich Schritt für Schritt an ihrem Masterplan entlang. Zudem nimmt sie sich auch regelmäßig 15-minütige Auszeiten, beispielsweise um einen Kaffee zu trinken. Also nur Kaffee trinken, nicht nebenbei noch weiterarbeiten. Das nennt sie ihren »15-Minuten-Urlaub«. Gerade in Stresszeiten eine gute Möglichkeit, um in den Moment zu kommen.

Halt’s Maul! Hör zu!

Meistens machen wir fast alles richtig. Wir sind am richtigen Ort, pünktlich, haben uns gut vorbereitet, aber dann sind wir doch nicht im Moment, hören einfach nicht hin, sind in unseren Gedanken ganz woanders, hängen unseren Plänen nach. Als Verkäufer für Küchengeräte wollen Sie eine teure Espressomaschine verkaufen, alles ist geplant, Sie haben alle relevanten Verkaufsargumente im Kopf, hören aber nicht richtig hin, als der Kunde sagt, dass er Teetrinker sei. Aus Höflichkeit lässt der Kunde Sie noch 15 Minuten weiterreden.
Wir alle sind doch oft schon zwei Stunden weiter im Kopf: bei der Planung des Abendessens, bei der Planung der nächsten Woche, bei der Planung des weiteren Lebens. Körperliche Präsenz allein reicht nicht, Sie müssen voll und ganz - also auch geistig - präsent sein.
Das lässt sich bestens an einem klassischen Telefonakquise-Gespräch demonstrieren. Meistens arbeiten die Mitarbeiter von Callcentern mit sogenannten Telefonleitfäden, d.h., der Verkäufer sitzt in einem Großraumbüro, hat Ihre Telefonnummer und eine einige Fragen vor sich, die logisch aufeinander aufbauen und voraussetzen, dass man sie auch entsprechend des Leitfadens beantwortet. Wenn der Angerufene das nicht macht, funktioniert das ganze Telefonat nicht, da Zuhören und Im-Moment-Sein in den Leitfäden nicht vorgesehen ist. Letztendlich geht es nur darum, Ihnen etwas zu verkaufen.
Wir machen uns mittlerweile einen Sport daraus (Spontaneitätstraining), diese Leitfäden durcheinanderzubringen, wenn einer von uns wieder mal einen Anruf bekommt, mit dem uns jemand zur Teilnahme an einer Lotterie oder zu einer merkwürdigen, undurchsichtigen Geldanlage überreden will. Normalerweise hört sich ein solches Gespräch wie folgt an:

Wir sitzen gerade gemütlich bei uns im Büro und bereiten ein Training für einen Kunden vor. Das Telefon klingelt.
Telefon: Ring, Ring.
Torsten: »Hallo?«
Verkäufer: »Guten Tag, wir machen gerade eine Umfrage zum Thema Steuererleichterung. Hätten Sie mal eine Minute Zeit für mich?«
Natürlich dauert das Ganze nie eine Minute, sondern mindestens zehn, und am Ende soll ich etwas kaufen.
Torsten: »Ja, gern.«
Verkäufer: »Empfinden Sie die Abgabenlast für den deutschen Bundesbürger als zu hoch?«
Torsten: »Ja, natürlich.«
Verkäufer: »Wenn Sie die Möglichkeit hätten, Ihre Abgabenlast zu mindern, würden Sie eine solche Chance nutzen?«
Torsten: »Ja!«
Verkäufer: »Würden Sie es sinnvoller finden, an den Steuerabgaben oder an den Sozialabgaben etwas zu ändern, damit sich Ihr verfügbares monatliches Nettoeinkommen erhöht?«
Ah, ich darf etwas entscheiden. Toll. Vermutlich nur eine belanglose Wohlfühl-Frage.
Torsten: »Ich denke, man sollte an den Steuern was verändern.«
Verkäufer: »Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie gerne Ihre monatlichen Abgaben verringern wollen, so dass für Sie netto mehr auf dem Kontoauszug steht?«
Zusammenfassung und Fertigmachen zum finalen Verkauf.
Torsten: »Ja, klar.«
Verkäufer: »Ich möchte Ihnen mal kurz darstellen, wie Sie Ihre Abgaben senken können, indem sie unser großartiges Finanzprodukt … Bla, Bla, Bla, Bla … kaufen … Bla, Bla, Bla, Bla … Ganz toll … Bla, Bla, Bla, Bla … viele zufriedene Anleger. Ich nehme mal Ihre Daten auf, und dann schließen wir jetzt hier am Telefonden Vertrag ab.«
Torsten: »Äh … Nein!«
Trainieren Sie doch einfach beim nächsten Anruf Ihre Fähigkeit, im Moment zu sein und nicht routinemäßig zu antworten. Sie dürfen sogar »Nein« sagen und ein wenig lügen. Aber nur ausnahmsweise. Seien Sie kreativ und denken Sie sich spontane Antworten aus. Ist das nicht schön, ein kostenloses Spontaneitäts-Training bei Ihnen zuhause am Telefon … Sie dürfen sogar auf Ihrem Sofa sitzen bleiben. Das könnte sich dann so anhören:
Telefon: Ring, Ring.
Torsten: »Hallo?«
Verkäufer: »Guten Tag, wir machen gerade eine Umfrage zum Thema Steuererleichterung. Hätten Sie mal eine Minute Zeit für mich?«
Torsten: »Ja, gern«. (Das stimmt ja wirklich.)
Verkäufer: »Empfinden Sie die Abgabenlast für den deutschen Bundesbürger als zu hoch?«
Torsten: (jetzt geht der Spaß los) »Nein, eigentlich würde ich gerne im Monat noch mehr zahlen.«
Verkäufer: (kurzes Zögern) »Wenn Sie … (Pause) die Möglichkeit hätten, Ihre Abgabenlast zu mindern, würden Sie eine solche Chance nutzen?«
Torsten: »Nein, auf keinen Fall.«
Verkäufer: »Äh, Sie möchten nicht mehr Geld auf Ihrem Konto haben?«
Torsten: »Nein, ich habe zu viel Geld.«
Ha, schwupp und ab in den Freiflug. Der Leitfaden funktioniert nicht mehr.
Verkäufer: »Ach, das ist ja - ähm, äh - zu viel Geld, dann können Sie ja bei uns gleich das Finanzprodukt XY kaufen …«
Jetzt heißt es, im Moment zu bleiben und gut zuzuhören.
Torsten: »Hat das denn eine gute Rendite?«
Verkäufer: (freut sich) »Natürlich, da bleibt viel für Sie über.«
Torsten: »Ach, dann lieber nicht. Ich hatte Ihnen ja bereits gesagt: Ich habe zu viel Geld. Hätten Sie nicht etwas, das richtig teuer ist, hohe Abschlussgebühren hat und wo das Risiko hoch ist, dass mein Geld anschließend vielleicht sogar weg ist?«
Wer als Telefonverkäufer »Ja« sagen kann, »im Moment ist« und die Wünsche seiner Kunden ernst nimmt - egal wie absurd sie scheinen - würde jetzt auf jeden Fall nicht sagen:
Verkäufer: »Nein, unser Produkt ist da ganz anders …«
Torsten: »Ach, schade, dann kommen wir wohl nicht zusammen. Und ich hätte jetzt noch eine Frage an Sie: Ich mache eine Umfrage zum Thema
Spontaneiät. Hätten Sie mal eine Minute Zeit für mich?«
Verkäufer: »Äh. Ja!«
Torsten: »Wären Sie gerne mal spontaner, wenn die Dinge nicht nach Plan laufen?«
Verkäufer: »Äh, ja!«
Torsten: »Da kann ich Ihnen ein ganz tolles Spontaneitäts-training anbieten. Wir haben viele zufriedene Teilnehmer. Ich nehme mal Ihre Daten auf und dann schließen wir jetzt hier am Telefon den Vertrag ab …«
Manche Anrufer wollen uns regelmäßig überreden, mit einer Tippgemeinschaft Lotto-Millionär zu werden. Auf die Gegenfrage, warum sie selber noch am Telefon säßen, wenn es doch so einfach sei, mit dem Tippsystem Millionär zu werden, hat keiner von uns bisher eine befriedigende Antwort bekommen.
Leider nehmen die Anrufe in letzter Zeit ab. Hoffentlich sind wir nicht aus den Datenbanken geflogen. Na, vielleicht ruft man ja bald bei Ihnen an. Viel Spaß beim Telefontraining.
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Vielen Dank für ihren Einkauf, Frau Voller!
Meine Frau und ich haben eine Kundenkarte von einer großen Hamburger Drogeriekette und sammeln damit Punkte. Neueudings soll die Kundenbindung in der Drogerie erhöht werden, indem die Kunden mit Namen angesprochen werden. Vielleicht kennen Sie das auch von Tankstelle, wenn sie mit Kreditkarte zahlen? Anscheinend haben alle Kassierer den Auftrag bekommen, schön brav den Namen von der Kundenkarte abzulesen und den Kunden damit persönlich zu verabschieden. Kaum sind meine neuen Rasierklinge, die Kondome und das Rasierwasser über das Laufband gefahren, sagt der Kassierer: »Einen schönen Tag noch, Frau Voller!« Ich antworte mit hoher piepsiger Stimme: »Vielen Dank, haben Sie heute Abend schon was vor?«, und winke ihm zum Abschied mit der Kondompackung. Dann sieht er mich das erste Mal richtig an und entschudigt sich. Hätte er in seiner Schulung mal lieber gelernt, im Moment zu sein und erst mal zu schauen, wer vor ihm steht.

Oft reden wir auch aneinander vorbei, wenn wir nicht im Moment sind. Die beste Methode, einen Mensch zu verstehen, ist, ihm zuzuhören. Das hört sich einfach an - aber tatsächlich ist im Moment zu sein und zuzuhören verdammt schwierig. Dieses ganz bewusste Zuhören ist auch unter dem Begriff »aktives Zuhören« bekannt, eine Methode, bei der man seinem Gesprächspartner die uneingeschränkte Aufmerksamkeit entgegenbringt, dabei den eigenen Plan beiseitelegt, um spontan reagieren zu können. Meistens hören wir nur hin, während wir uns an unserem Plan festhalten. Was ist der Unterschied zwischen »hören« und »zuhören«? Hören können wir immer. Oder andersrum: Wir können nicht nicht hören. Hören bedeutet, Unterhaltungen mit dem Gehör zu begleiten, so zu tun, als ob man sich interessieren würde, dabei aber auf die Lücke zu warten, in der man sich in den Vordergrund spielen kann - und das alles, ohne dem Gespräch wirklich zu folgen. Wie oft wollen wir im Gespräch unseren Plan durchsetzen, egal, wohin sich die Diskussion gerade entwickelt? Wie oft hören wir zwar hin, was der andere sagt, versuchen aber gar nicht zu erschließen, was eigentlich damit gemeint ist? Genau das ist bei dem oben beschriebenen Akquisegespräch passiert.
Beim aktiven Zuhören besteht die Aufgabe darin, wirklich zu verstehen, was der andere, also unser Gegenüber, meint, was er fühlt, was die Situation für ihn tatsächlich bedeutet. Das aktive Zuhören öffnet die Tür zur Spontaneität, vielleicht steckt in dem Gespräch ein toller Vorschlag, mit dem Sie gar nicht gerechnet haben und zu dem Sie »Ja« sagen könnten. Sie könnten sich auf einen Fehler einlassen und sich in ein spontanes Risiko stürzen.

Übung 24:

Shut up and listen oder »Klappe halten!«

Sie brauchen dazu:
• sich selbst
• eine Gesprächssituation, die Sie dominieren
• Ihr Ja-Buch
Und so geht’s:
Sie befinden sich in einer Situation, in der Sie mehr reden als zuhören. Das kann zuhause sein, im Büro, am Telefon, im Gespräch mit Ihren Kindern.
Nehmen Sie Ihr Ja-Buch, schreiben Sie »Klappe halten! Zuhören!« auf eine Seite und legen Sie das geöffnete Buch deutlich sichtbar neben das Telefon, den Computer oder wo auch immer Sie die Übung durchführen wollen. Blicken Sie immer wieder aufmerksam auf Ihre aufgeschlagene Seite. Nach einer Weile reicht es schon, das Ja-Buch bloß anzuschauen, auch wenn es gar nicht auf der »Klappe halten«-Seite aufgeschlagen ist … Sie können sich den Satz natürlich auch auf ein Post-it schreiben.

Was soll das?
Diese Übung kennen wir aus Verkäufer-Schulungen. Gute Verkäufer machen sich das Prinzip, im Moment zu sein, zu eigen. Sie kleben sich einen kleinen Zettel ans Telefon, um sich daran zu erinnern, dass sie dem Kunden voll und ganz zuhören und ihn ausschließlich auf Basis seiner Bedürfnisse beraten. Manchmal brauchen wir kleine Erinnerungen. Nutzen auch Sie diesen Trick zur Verbesserung Ihrer Kommunikation, um spontane Situationen zuzulassen, indem Sie Impulse anderer annehmen, statt sie abzublocken. Wo liegt Ihr Ja-Buch, wo kleben Sie Ihren »Klappe halten! Zuhören!«-Aufkleber hin? 159

Hektisch übern Ecktisch

Toll, toll, toll, werden Sie vielleicht denken, ich soll also im Moment sein. Das klingt ja so ein bisschen nach esoterischem Schnickschnack. »Soll ich dann auch immer noch eine Meditationskerze anzünden, meine Schuhe ausziehen, mich auf den Boden legen und die Welt um mich rum wahrnehmen und spüren?« Das mit der Kerze ist eine schöne Idee. Falls Sie immer eine Meditationskerze dabei haben, spricht aus unserer Sicht nichts dagegen, sie auch anzuzünden. Vielleicht schauen Sie die Menschen um Sie herum dann ein wenig merkwürdig an - aber das wäre wiederum eine wunderbare Gelegenheit, Ihre Spontaneität zu trainieren.
Vielleicht denken Sie auch: Schneller, höher, weiter, das ist doch das Motto unserer Zeit. Wie kann es gelingen, im Moment zu sein, wenn Sie keine Zeit haben? Unsere Gegenfragen: Muss wirklich alles immer schnell gehen? Und wie nehmen Sie die Zeit wahr? Was ist denn eigentlich Zeit? Wenn Sie mehr über Zeit wissen wollen, können das Sie gerne bei Albert Einstein und Stephen Hawking nachlesen.
Wir beide haben jedoch, auch ohne Albert Einstein studiert zu haben, schon oft erlebt, dass Zeit relativ ist. 90 Minuten in einem langweiligen Dia-Vortrag über Schweden können einem unendlich lang vorkommen, und die Zeiger auf der Uhr scheinen sich nur noch halb so schnell zu bewegen. 90 Minuten mit einer blonden Schwedin vergehen wie im Flug, ohne dass man auch nur einmal auf die Uhr schaut. Die gleiche Zeitspanne kann man also unterschiedlich erleben.
Und auch »schnell« bedeutet nicht für alle dasselbe. Es gibt Gesprächssituationen, in denen wir beide das Gefühl hatten, dass wir uns unendlich viel Zeit für eine Antwort genommen haben, und unser Gegenüber erstaunt über unsere schnelle Reaktion war. Wie unterschiedlich die Vorstellungen von »schnell« sind, können Sie erleben, wenn Ihr Wasserhahn tropft und Sie den Hausmeister bitten, ihn »schnell« zu reparieren. Was für Sie eine halbe Ewigkeit dauert, ist für ihn richtig schnell.
Für spontane Entscheidungen bedeutet das, dass Sie in dem jeweiligen Moment viel mehr Zeit haben, als Sie denken, um zu prüfen, welche Optionen Ihnen zur Verfügung stehen. Der Zeitdruck ist manchmal wesentlich geringer, als auf den ersten Blick gedacht. Auf einem Kinderspielplatz kann man gut beobachten, dass Eltern oft schneller und hektischer reagieren, als es eigentlich notwendig ist. Beispielsweise wenn ihr zweijähriges Kind beim Laufen hinfällt. Bevor das Kind sich der Situation bewusst wird und überhaupt irgendwie reagieren kann, sei es zu weinen oder wieder aufzustehen und weiterzuspielen, springen manche Eltern innerhalb von einer Zehntelsekunde auf, laufen zu ihrem Kind, trösten es und geben ihm ein Gummibärchen. Daraufhin beginnt das Kind zu weinen, weil ja anscheinend was Schlimmes passiert ist, wenn Mama oder Papa so aufgeregt sind. Andere Eltern sehen, wie ihr Kind hinfällt, bleiben aber noch gelassen sitzen und warten ab, was in dem Moment passiert. In den meisten Fällen sucht das Kind erst einmal Blickkontakt mit den Eltern. Wenn keiner von beiden panisch reagiert, bleibt auch das Kind entspannt, steht auf und läuft vergnügt weiter. Sollte es doch anfangen zu weinen, ist immer noch genug Zeit, es zu trösten und ihm ein Gummibärchen zu geben.
Je nach Situation haben Sie mehr Zeit, als Sie denken. Es besteht sogar die Möglichkeit, sich selbst ein Zeitfenster zu schaffen. Wir haben uns angewöhnt, bei schnellen Entscheidungen auch mal um 60 Sekunden Bedenkzeit zu bitten. Wenn Sie von jemandem eine schnelle Entscheidung erwarten, wären für Sie 60 Sekunden noch schnell? Wir nehmen das mal an … Nehmen auch Sie sich diese Zeit- im wahrsten Sinne des Wortes. Wissen Sie, wie lang 60 Sekunden sind? Die vier Stockwerke zu Torstens Wohnung hochzusteigen, dauert knapp 60 Sekunden, und es kommt uns immer sehr lang vor …
Bevor wir auf die Bühne gehen, gibt es immer einen Soundcheck, das heißt, alle Mikrofone werden noch einmal überprüft. Oft kommt es vor, dass etwas noch nicht funktioniert. Ein Mikrofon brummt beispielsweise, und keiner weiß, warum. Also müssen die Techniker den Fehler suchen, während draußen vor der Tür die Zuschauer darauf warten, in den Saal gelassen zu werden. In solchen Situationen gibt es für uns zwei Möglichkeiten zu reagieren. Die erste ist, sich aufzuregen, den Techniker immer wieder zu fragen, wann denn alles fertig sei, und zu drängeln. Bei dieser Möglichkeit haben wir beide immer das Gefühl, dass ein immenser Zeitdruck auf uns lastet. Die andere besteht darin, gelassen zu bleiben und erst mal den Techniker suchen lassen, ihn aber nicht dabei zu stören. Bei dieser Möglichkeit sind alle entspannter, und das Gefühl des Zeitdrucks fällt interessanterweise von allen Beteiligten ab. In der Regel lässt sich das technische Problem ganz einfach lösen. Oder, wie die Psychologin Ruth Cohn einmal sagte: »Wir haben wenig Zeit, lasst uns langsam anfangen.«
Wie schnell müssen Sie tatsächlich reagieren? Haben Sie nur fünf Sekunden Zeit? Oder vielleicht doch sogar 60 Sekunden? Entschleunigen Sie. Nehmen Sie sich die Zeit, um zu reagieren. Zeitliche Enge löst meist nur Panik aus, da wir nicht so viel Zeit haben, um alles genauestens abzuwägen. Doch Sie haben inzwischen ja gelernt, dass genaues Planen bei kurzfristigen Entscheidungen nicht immer zu besseren Lösungen führt als eine Bauchentscheidung. Also nutzen Sie die Minute, seien Sie im Moment und schauen Sie, welche Entscheidungskriterien Ihnen zur Verfügung stehen: Will sagen, nutzen Sie die übrigen Werkzeuge bzw. Regeln der Spontaneität: »Ja« sagen und Fehler zulassen. Ihr Masterplan wird Ihnen wie ein Kompass die grobe Entscheidungsrichtung weisen. Dann können Sie auch schnell reagieren - und 60 Sekunden sind viel Zeit.
Schluss mit diesen verflixten Situationen, die sich einfach unerwartet von hinten anschleichen und uns mit einem lauten »Buh!« erschrecken! Wenn Sie im Moment sind, dann werden diese frechen Kerle sich aber umschauen, wie fit und schnell Sie Paroli bieten können.
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Übung 25:

60 Sekunden für die Ewigkeit

Sie brauchen dazu:
• sich selbst
• eine Uhr
• 60 Sekunden Zeit
• Ideen für Ihr Leben
• Ihr Ja-Buch
Und so geht’s:
Nehmen Sie eine Uhr. Sie haben genau 60 Sekunden Zeit, um in Ihrem Ja-Buch eine Liste zu schreiben mit verschiedenen Tätigkeiten, die Sie in diesem Moment beginnen könnten. Schreiben Sie alles auf, was Ihnen in den Sinn kommt.
Ich könnte zum Friseur gehen.
Ich könnte mich hinlegen.
Ich könnte mir etwas Gutes kochen.
Ich könnte ein paar Blumen auf dem Balkon anpflanzen.
Ich könnte mir einen neuen Beruf suchen.
Ich könnte zu einer Weltreise aufbrechen.
Ich könnte einen Flug für einen Wochenendurlaub buchen.
Ich könnte in den Zoo gehen.
Ich könnte mich verlieben.
Wiederholen Sie die Übung eine Woche lang täglich und schauen Sie, wie viele neue Ideen Sie entwickeln, die Ihnen bisher nie in den Sinn kamen. Wenn Sie eine davon in die Realität umgesetzt haben, dann markieren Sie diese in Ihrem Ja-Buch mit einem roten Häkchen.

Was soll das?
Wir sind so in unseren Abläufen verhaftet, dass wir nicht mehr merken, welche Ideen in unserem Kopf schlummern. Sie werden bei dieser Übung feststellen, wie lang eine Minute sein kann. In den meisten unerwarteten Situationen haben Sie ebenso viel Zeit. Gleichzeitig trainieren Sie, mögliche Optionen zu entdecken, egal, wie unsinnig sie Ihnen zunächst erscheinen. In unerwarteten Situationen müssen Sie auf Ihren Bauch hören und reagieren. Jede Idee, die Ihnen einfällt, kann hilfreich sein. Trainieren Sie Ihr Gehirn, in kurzer Zeit viele Ideen auszuwerfen. Erfahrungsgemäß wird es immer schwieriger, sich neue Dinge einfallen zu lassen, obwohl man doch eine nahezu unendliche Auswahl an Optionen hat. Jede Idee, jede Vision bringt Sie weiter auf dem Weg in die Spontaneität. 161
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Kennen Sie »Pecha Kucha«? Der Begriff kommt aus demm Japanischen und bedeutet »wildes Geplapper«. Bei einem Pecha-Kucha-Vortrag darf ein Referent sein Thema mit genau 20 PowerPoint-Folien präsentieren. Für jede Folie hat er 20 Sejybdeb Zeut, so dass ein Vortrag maximal 6 Minuten und 40 Sekunden dauert. Zunächst dachten wir, dass 20 Sekunden verdammt kurz sind. Bei der Vorbereitung hatten wir ein wenig Sorge, ob 20 Sekunden ziemlich lang sein können. Während der Präsentation waren wir immer schon vor Ablauf der 20 Sekunden fertig.

Wenn es wirklich, wirklich schnell gehen muss, dann gilt folgende Regel: Sagen Sie sich, dass Sie 60 Sekunden Zeit für Ihre spontane Entscheidung benötigen. Dann wenden Sie unsere Spontaneitäts-Werkzeuge an. Vertrauen Sie Ihrem Bauch, handeln Sie dementsprechend und stehen Sie zu Ihrer Entscheidung mit allen Konsequenzen. Vermutlich werden Sie schon nach weniger als 30 Sekunden wissen, was zu tun ist. Sobald Sie es wissen - tun Sie es.

Das ganze Buch für Schnellleser: Teil 3

»Hör auf zu planen und sei offen für jeden Moment.«
Herzlichen Glückwunsch an alle Schnellleser. Sie haben das Buch in 60 Sekunden geschafft!