Französischer Flugzeugträger Richelieu

Vor der französischen Atlantikküste

 

Shane Schofield wurde in einen kleinen, an den Unterdeck-Hangar grenzenden Raum mit Stahlwänden geworfen. Die Tür knallte hinter ihm zu.

In dem Raum befanden sich lediglich ein Tisch und ein Stuhl.

Auf dem Tisch stand Lefevres CincLock-VII-Entschärfungseinheit. Neben dem Gerät lag ein Gegenstand mit einem kleinen roten Lämpchen an der Oberseite:

Eine Phosphorgranate.

»Captain Schofield«, tönte die Stimme des DGSE-Agenten aus den Lautsprechern. »Ein simpler Test. Die Phosphorgranate, die Sie vor sich sehen, ist über ein Kurzwellenfunkgerät mit dem CincLock-Gerät auf dem Tisch verbunden. Das CincLock-Gerät ist die einzige Möglichkeit, die Granate zu entschärfen. Der Entschärfungscode für diese Übung lautet 123. Die Granate wird in einer Minute detonieren. Die Zeit beginnt... jetzt.«

»Allmächtiger«, murmelte Schofield und nahm eilig Platz. Er musterte das CincLock-Gerät.

 

img19.jpg

 

Auf dem Display waren weiße und rote Kreise zu sehen -rot links, weiß rechts.

fing.

Auf dem unteren Display wurde eine Meldung angezeigt:

 

ERSTES PROTOKOLL (RÄUMLICHE NÄHE): ERFÜLLT. ZWEITES PROTOKOLL AKTIVIERT.

 

Die weißen Kreise auf dem Hauptdisplay begannen zu blinken - sie leuchteten jeweils einmal auf, in einem langsamen Zufallsmuster.

Das Display gab ein protestierendes Pfeifen von sich.

 

ZWEITES PROTOKOLL (REAKTIONSMUSTER): GESCHEITERTER ENTSCHÄRFUNGSVERSUCH REGISTRIERT. DREI GESCHEITERTE ENTSCHÄRFUNGSVERSUCHE FÜHREN ZUR VORZEITIGEN DETONATION. ZWEITES PROTOKOLL (REAKTIONSMUSTER): REAKTIVIERT.

 

»Was?«, sagte Schofield.

»Noch fünfzig Sekunden, Captain«, meldete sich Lefevres Stimme. »Sie müssen die leuchtenden Kreise in der vorgeschriebenen Reihenfolge berühren.«

»Oh. Ja, klar.«

Die weißen Kreise begannen wieder zu blinken, einer nach dem anderen.

Schofield berührte sie kurz nach dem Aufleuchten.

»Vierzig Sekunden ...«

Die Sequenz beschleunigte sich. Schofields Hände bewegten sich im gleichen Rhythmus und berührten die Kreise auf dem Display.

Dann leuchtete unvermittelt einer der roten Kreise an der linken Seite des Displays auf.

Schofield war darauf nicht vorbereitet. Doch er berührte ihn trotzdem, und zwar rechtzeitig. Die weißen Kreise setzten die Sequenz fort und blinkten jetzt in sehr rascher Folge. Auch Schofields Finger wurden entsprechend schneller.

»Dreißig Sekunden ... Sie machen Ihre Sache gut...«

Dann leuchtete ein weiterer roter Kreis auf.

Und diesmal war Schofield zu langsam.

Das Display piepte entrüstet.

 

ZWEITES PROTOKOLL (REAKTIONSMUSTER): GESCHEITERTER ENTSCHÄRFUNGSVERSUCH REGISTRIERT. DREI GESCHEITERTE ENTSCHÄRFUNGSVERSUCHE FÜHREN ZUR VORZEITIGEN DETONATION. ZWEITES PROTOKOLL (REAKTIONSMUSTER): REAKTIVIERT.

 

»Verdammt noch mal!«, rief Schofield und beäugte die Granate auf dem Tisch.

Die weißen Kreise begannen ein drittes und letztes Mal die Blinksequenz.

»Noch fünfundzwanzig Sekunden ...«

Mittlerweile war Schofield jedoch vorbereitet und wusste, was er zu tun hatte. Seine Hände bewegten sich flüssig über das Display, berührten die weißen Kreise, wenn sie aufleuchteten, und langten hin und wieder nach unten, wenn ein roter Kreis blinkte.

»Zehn Sekunden, neun ...«

Das Blinkmuster beschleunigte sich. Die blitzschnellen Schwenker zu den roten Kreisen wurden häufiger - bis zu dem Punkt, da es sich um reine Reflexe handelte.

»Acht, sieben ...«

Er blickte unverwandt auf das Display. Seine Finger tanzten. Schweiß rann ihm in die Augen.

»Sechs, fünf...«

Die Kreise blinkten: weiß-weiß-rot-weiß-rot-weiß.

»Vier, drei...«

Fing - auf dem Display wurde eine Meldung angezeigt:

 

ZWEITES PROTOKOLL (REAKTIONSMUSTER): ERFÜLLT.

DRITTES PROTOKOLL (CODEEINGABE): AKTIV.

BITTE GEBEN SIE DEN GÜLTIGEN ENTSCHÄRFUNGSCODE EIN.

 

»Zwei...«

Schofield tippte >1-2-3-ENTER<. Die Zahlen wurden auf dem kleineren Display angezeigt.

»Noch eine Sekunde ...«

fing.

 

DRITTES PROTOKOLL (CODEEINGABE): ERFÜLLT. GERÄT ENTSCHÄRFT.

 

Schofield atmete aus und sackte auf dem Stuhl zusammen. Die Tür öffnete sich. Lefevre trat ein und klatschte Beifall.

»Oh, tres bien! Tres bien!«, sagte er. »Ausgezeichnet, Captain.«

Zwei stämmige französische Marinesoldaten packten Schofield rechts und links.

Lefevre lächelte. »Das war sehr eindrucksvoll. Wirklich sehr eindrucksvoll. Ich danke Ihnen, Captain. Sie haben uns davon überzeugt, dass die Behauptungen der Majes-tic-12 zutreffend sind. Ich bin sicher, die Republik Frankreich wird zahlreiche Verwendungen dafür finden. Es ist wirklich schade, dass wir Sie jetzt töten müssen. Meine Herren, bringen Sie Captain Schofield wieder in den Hangar und fesseln Sie ihn wie den anderen.«

 

Schofield stieg in die Luft, Arme und Beine sternförmig gespreizt.

Er stand auf den emporsteigenden horizontalen Gabeln eines Gabelstaplers, mit Handschellen an die vertikalen stählernen Führungsschienen gefesselt.

Der Gabelstapler stand in einer Ecke des verlassenen Haupthangars der Richelieu, hinter den Triebwerken mehrerer Rafale-Kampfjets. Vor ihm saßen im Halbkreis die drei französischen Offiziere und Lefevre, der DGSE-Agent.

»Bringen Sie den britischen Spion her«, befahl Lefevre einem von Schofields Bewachern.

Der Soldat drückte einen Knopf an der Wand, worauf sich die Stahlwand neben Schofield auf einmal hob - eigentlich handelte es sich um ein Tor, ein großes, jetgroßes Stahltor. Dahinter war es dunkel.

Aus der Dunkelheit tauchte ein zweiter Gabelstapler auf, auf dem ein anderer Gefangener stand, in der gleichen Weise gekreuzigt wie Schofield.

Es gab bloß einen Unterschied.

Der Mann auf dem zweiten Gabelstapler war schwer gefoltert worden. Sein Gesicht, das Hemd, die Arme - alles war blutig. Der Kopf hing ihm schlaff auf die Brust.

Lefevre sagte: »Captain Schofield, ich weiß nicht, ob Sie Agent Alec Christie vom britischen Geheimdienst bereits kennen gelernt haben.«

Christie. Vom MI-6. Sein Name stand ebenfalls auf der Kopfgeldliste.

Hier also war Christie abgeblieben.

»In den vergangenen zwei Tagen war Mr. Christie eine sprudelnde Informationsquelle, was die Majestic-12 angeht«, sagte Lefevre. »Offenbar hat man ihn in die Loch-Mann Industries eingeschleust, wo er in den vergangenen achtzehn Monaten für Mr. Randolph Loch, den Vorsitzenden von M-12, als Bodyguard gearbeitet hat. Während Mr. Christie Randolph Loch überwachte, haben wir jedoch Christie überwacht.

Jedenfalls hat uns Mr. Christie heute Nacht in einem seiner helleren Momente etwas Bedeutsames mitgeteilt. Er sagte, Randolph Loch sei in letzter Zeit über eines der jüngeren Mitglieder von M-12, nämlich Jonathan Killian, höchst verärgert gewesen.

Mr. Christie zufolge sagte Randolph Loch mehrmals, Killian, ich zitiere, >nerve ihn mit seinem Zusatzplan<. Offenbar ist Mr. Killian der Ansicht, der Plan von M-12 gehe nicht weit genug. Haben Sie, Captain Schofield, im Zuge Ihrer eigenen Nachforschungen etwas über diesen >Zusatzplan< in Erfahrung gebracht?«

»Killian ist Ihr Freund«, erwiderte Schofield. »Warum fragen Sie ihn nicht selbst?«

»Die Republik Frankreich hat keine Freunde.«

»Das wundert mich nicht.«

»Wir haben nützliche Kontakte«, sagte Lefevre. »Bisweilen aber muss man seine Kontakte ebenso sorgfältig überwachen wie seine Gegner.«

»Sie vertrauen ihm nicht«, bemerkte Schofield.

»Nicht im Geringsten.«

»Aber Sie gewähren ihm Schutz und Zuflucht.«

»Solange er uns nützt. Das kann sich ändern.«

Schofield sagte: »Aber Sie machen sich Sorgen, er könnte mit Ihnen spielen.«

»Ja.«

Schofield überlegte einen Moment.

Dann sagte er: »Eine der Chamäleon-Raketen von M-12 zielt auf Paris.«

»Ich bitte Sie. Das wissen wir längst. Wir sind darauf vorbereitet. Das ist ja gerade der Grund, weshalb mein Land sich mit M-12 eingelassen hat. Deshalb haben wir ihnen ja die Leichen der Terroristen des Islamischen Dschihad überlassen. Während Amerika, Deutschland und Großbritannien katastrophale Verluste an Menschenleben hinnehmen müssen, wird Frankreich als die einzige westliche Nation dastehen, die diese Bedrohung abgewehrt hat.

Während New York, Berlin und London zerstört werden, wird Paris überdauern. Frankreich wird als einziges Land eine der fürchterlichen Raketen abschießen.

Amerika hat volle drei Monate gebraucht, um sich für den 11. September zu rächen. Stellen Sie sich vor, wie geschockt es sein wird, wenn es fünf Städte verliert. Frankreich aber, Frankreich wird diesen abscheulichen Angriff als einziges Land abwehren. Die einzige westliche Nation, die schnell genug reagiert. Auf diese Weise werden wir - stark, kompetent und vollkommen unversehrt - im bevorstehenden Kalten Krieg zur führenden Weltmacht.

Captain Schofield, unsere Freunde von den Majestic-12 erwarten sich von alldem Geld, denn Geld bedeutet für sie Macht. Die Republik Frankreich will diese Art Macht nicht - wir wollen etwas viel Bedeutsameres. Wir wollen einen globalen Machtwechsel. Wir wollen die Welt anführen.

Das 20. Jahrhundert gehörte den Amerikanern. Eine traurige, moralisch verkommene Periode in der Geschichte des Planeten. Das 21. Jahrhundert wird das französische sein.«

Schofield starrte Lefevre und die Generäle entgeistert an.

»Ihr habt wirklich einen Sprung in der Schüssel«, sagte er.

 

Lefevre nahm ein paar Fotos aus der Aktentasche und reckte sie dem erhöht stehenden Schofield entgegen.

»Zurück zu Killian. Diese Fotos von Monsieur Killian wurden letztes Jahr im Verlauf seiner Afrikareise aufgenommen.«

Schofield sah typische Zeitungsfotos: Killian zusammen mit afrikanischen Politikern, bei der Eröffnung von Fabriken, wie er der Menge zuwinkt.

»Eine Goodwilltour, um seine Wohltätigkeitsaktivitäten zu promoten«, erklärte Lefevre. »Im Verlauf der Reise traf Killian sich jedoch auch mit den Staatsoberhäuptern und Verteidigungsministern mehrerer afrikanischer Staaten, darunter Nigeria, Eritrea, der Tschad, Angola und Libyen.« »Und weiter?«, meinte Schofield erwartungsvoll. Lefevre zögerte, dann rückte er mit der Pointe heraus. »In den vergangenen elf Stunden sind die Luftstreitkräfte von Nigeria, Eritrea, dem Tschad und Angola gestartet und haben sich mit über zweihundert Kampfjets auf den Flugplätzen im Osten Libyens versammelt. Für sich genommen sind die Luftstreitkräfte bedeutungslos. Zusammen aber stellen sie eine ernst zu nehmende Gefahr dar. Meine letzte Frage an Sie, Captain, lautet: Was haben sie vor?« Schofields Gedanken überschlugen sich. »Captain Schofield?«

Schofield aber hörte gar nicht mehr zu. In seinem Kopf tönte Jonathan Killians Stimme: »Auch wenn viele das noch nicht wissen, aber die Zukunft der Welt liegt in Afrika.« Afrika ...

»Captain Schofield?«, wiederholte Lefevre. Schofield blinzelte. Kehrte in die Gegenwart zurück. »Ich weiß es nicht«, antwortete er wahrheitsgemäß. »Ich wüsste es gern, aber ehrlich, ich weiß es nicht.«

»Hmmm«, machte Lefevre. »Das Gleiche hat auch Mr. Christie gesagt. Was bedeuten könnte, dass Sie beide die Wahrheit sagen. Oder dass ich meiner Frage ein wenig Nachdruck verleihen muss.«

Lefevre nickte dem Fahrer des Gabelstaplers zu, an den Christie gefesselt war.

Der Fahrer schaltete den Motor ein und fuhr ein paar Meter nach links, bis der auf den Gabeln stehende Christie unmittelbar hinter den Triebwerken eines Rafale-Kampfjets platziert war. Anschließend sprang der Fahrer vom Sitz und rannte weg.

Der Grund wurde Schofield sogleich klar.

Wrrrrroooommmm!

Die Triebwerke des Kampfjets sprangen grollend an. Im Cockpit machte Schofield einen weiteren Soldaten aus.

Bei dem gewaltigen Tosen hob der schwer lädierte Alex Christie den Kopf und blickte genau in die gähnende Öffnung des Hecktriebwerks des Rafale-Jets. Offenbar machte es ihm nicht viel aus. Er war zu zerschlagen und zu erschöpft, um sich gegen die Fesseln aufzubäumen.

Lefevre nickte dem Mann im Cockpit zu.

Der Soldat betätigte den Schubregler.

Eine weißglühende Flammenzunge schoss aus dem Hecktriebwerk der Rafale und hüllte den bewegungsunfähigen Christie ein.

Der Hitzeschwall umtoste den britischen Agenten - die glühend heiße Luft blies ihm das Haar zurück, löste die Gesichtshaut ab, verbrannte in einer Nanosekunde seine Kleidung - schließlich riss sie seinen Körper in Fetzen.

Unvermittelt brach das Tosen ab und im Hangar kehrte wieder Ruhe ein.

Von Alex Christie waren nur noch vier schauerlich verkohlte Viertel übrig, die von den Gabeln des Gabelstaplers hingen.

»Grauenhaft.« Schofield schluckte.

Lefevre wandte sich ihm zu. »Hilft das Ihrem Gedächtnis wieder auf die Sprünge?«

»Ich habe doch gesagt, ich weiß es nicht«, entgegnete Schofield. »Ich weiß nichts über Killian oder die afrikanischen Staaten und auch nicht, ob sie unter einer Decke stecken. Ich habe gerade eben zum ersten Mal davon gehört.«

»Dann haben wir leider keine Verwendung mehr für Sie«, meinte Lefevre. »Es ist an der Zeit, dem Verlangen des Admirals und des Generals nachzukommen und sie dabei zuschauen zu lassen, wie Sie sterben.«

Lefevre nickte dem zweiten Gabelstapelfahrer zu. Schofields Fahrzeug setzte sich in Bewegung und fuhr bis neben den verkohlten Gabelstapler, der vor dem zweiten Hecktriebwerk der Rafale stand.

Schofield blickte in die Tiefe des Triebwerks.

»General?«, wandte sich Lefevre an den älteren Armeeoffizier, der in der Antarktis eine ganze Einheit Fallschirmjäger an Schofield verloren hatte. »Wenn ich bitten darf?«

»Es ist mir ein Vergnügen.«

Der General erhob sich und kletterte hoch zum Cockpit der Rafale, während er Schofield unentwegt anfunkelte.

Er beugte sich ins Cockpit und packte den Steuerknüppel - sein Daumen schwebte über dem Schalter für den Nachbrenner.

»Good-bye, Captain Schofield«, sagte Lefevre in sachlichem Ton. »Die Weltgeschichte wird ohne Sie ihren Lauf nehmen. Au revoir.«

Der Daumen des Generals senkte sich auf den todbringenden Schalter.

 

In diesem Moment erfolgte irgendwo über dem Hangar eine gewaltige Explosion.

Sirenen gellten.

Warnleuchten begannen zu blinken.

Der ganze Flugzeugträger war auf einmal in den roten Schein der Warnleuchten gehüllt.

Der Daumen des Generals war einen Millimeter über dem Nachbrennerschalter zum Stillstand gekommen.

Ein Fähnrich näherte sich im Laufschritt dem Marineadmiral. »Admiral! Wir werden angegriffen!«

»Was?«, rief der Admiral. »Von wem?«

»Anscheinend von einem russischen Kampfjet, Admiral!«

»Ein russischer Kampfjet? Ein russischer Kampfjet! Das hier ist ein Flugzeugträger, Mann Gottes! Wer ist so wahnsinnig, einen Flugzeugträger mit einem einzelnen Flugzeug anzugreifen?«

 

Der Black Raven schwebte über dem Flugdeck der Richelieu und feuerte mit automatischen Waffen und Raketen auf die dort abgestellten Flugzeuge.

Vier Raketenschweife gingen von den Tragflächen der Sukhoi aus, dann teilten sie sich und steuerten unterschiedliche Ziele an.

Ein Rafale-Kampfjet auf dem Deck wurde getroffen und flog in die Luft, während zwei Flugzeugabwehrraketensilos völlig zerstört wurden. Die vierte Rakete schoss in den Haupthangar und schlug in ein AWACS-Flugzeug ein, das sogleich in einem Feuerball aufging.

Rufus steuerte den Black Raven mit überragendem Geschick. Hinter ihm, auf dem Sitz des Bordschützen, saß Knight, schwenkte auf dem um 360 Grad drehbaren Sitz hin und her, peilte die Ziele an und jagte sie mit den Bordkanonen des Raben in die Luft.

»Mother! Sind Sie bereit?«, rief Knight.

Mother stand hinter dem Cockpit im umgebauten Bombenschacht - bis an die Zähne bewaffnet: MP-7, M-16, zwei Pistolen vom Typ Desert Eagle; sie hatte sich sogar einen von Knights Raketenwerfern auf den Rücken geschnallt.

»Scheiße, ja.«

»Dann los!« Knight drückte einen Knopf.

Bang!

Der Boden des Bombenschachts (der Gefängniszelle) sprang auf und Mother fiel hindurch, sauste am Seil des Maghooks in die Tiefe.

 

Im Kontrollturm des französischen Flugzeugträgers herrschte Chaos.

Funktechniker brüllten in ihre Mikrofone und übermittelten Informationen an den Kapitän.

»- das verdammte Ding hat das Radar unterflogen! Ist wohl mit einer Stealth-Vorrichtung ausgerüstet -«

»- Die Flugzeugabwehrraketen auf dem Flugdeck wurden getroffen -«

»- Schafft die Jets sofort zu den Katapulten!«

»Sir! Die Triomphe meldet, sie habe das Ziel erfasst...«

»Feuererlaubnis!«

 

Kaum war der Befehl erteilt, stieg von einem der Zerstörer der Begleitflottille auch schon eine Flugzeugabwehrrakete auf - und hielt unmittelbar auf den Black Raven zu.

»Rufus! Du hast hoffentlich die Abwehrvorrichtungen repariert, als wir in Archangelsk waren!«

»Ist erledigt, Boss.«

Die Rakete näherte sich ihnen mit einem Wahnsinnstempo.

Im letzten Moment traf sie auf den elektronischen Abwehrschild des Raben, geriet ins Trudeln ...

... und schlug in die Außenhülle des Flugzeugträgers ein!

 

»Begleitschiffe! Feuer einstellen! Feuer einstellen!«, brüllte der Kapitän. »Das Flugzeug ist zu nah! Ihr trefft bloß uns! Elektronikabteilung - stellen Sie die Störfrequenz fest und neutralisieren Sie sie! Wir müssen die Maschine mit unseren Kampfjets vernichten.«

 

Im Haupthangar des Flugzeugträgers war Schofield noch immer quasi an den Gabelstapler gekreuzigt, der vor einem der Triebwerke des Rafale-Kampfjets stand.

Plötzlich neigte sich das Deck, als der gewaltige Flugzeugträger herumschwenkte, um dem Angriff des Black Raven zu begegnen.

Lefevre und die französischen Generäle sprachen hektisch in ihre Funkgeräte und versuchten sich ein Bild von der Lage zu machen.

Alle bis auf den Armeegeneral im Cockpit der Rafale.

Als er den ersten Schock überwunden hatte, funkelte er wieder Schofield an. Er wollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen.

Abermals streckte er die Hand zum Nachbrennerschalter aus und packte den Steuerknüppel, als - Krack! - über seinem Ohr eine Kugel eintrat und sein Gehirn ins Cockpit spritzte.

In dem ganzen Durcheinander hatte niemand die schattenhafte Gestalt bemerkt, die auf dem an den Hangar grenzenden und nach oben offenen Steuerbordaufzug gelandet war, eine schwer bewaffnete Gestalt, die an einem Seil heruntergesaust kam wie eine Spinne am Faden.

Mother.

Mit einer MP-7 in der einen und einem M-16 in der anderen Hand stürmte Mother durch den Hangar auf Schofield zu.

Sie ähnelte einer unaufhaltsamen Naturgewalt. Die französischen Fallschirmjäger, die Schofield bewachten, rannten von allen Seiten auf sie zu - hinter Fahrzeugen hervor, die überall um die geparkten Kampfjets standen.

Mother aber stürmte unbeirrt weiter, schoss die Gegner links, rechts und in der Mitte nieder ohne auch nur aus dem Rhythmus zu kommen.

Sie feuerte zwei Schüsse nach links ab - und traf zwei Fallschirmjäger mitten ins Gesicht. Sie schwenkte nach rechts, feuerte das M-16 wie eine Pistole ab - und drei weitere Bad Guys brachen zusammen.

Über ihr richtete sich auf der Tragfläche einer Rafale ein Fallschirmjäger auf. Mother vollführte einen Purzelbaum, rollte sich feuernd ab und übersäte ihn mit blutigen Einschusslöchern.

Als Nächstes schleuderte sie zwei Nebelgranaten und wütete in dem entstandenen Dunst wie ein Rachedämon. Vier französische Fallschirmjäger gingen zu Boden, verschwanden im Nebel - auch der französische Admiral. Nicht einmal Lefevre, der Agent, entkam ihr. Ein vier-strahliger Shuriken zischte aus dem Nebel hervor und bohrte sich in seinen Adamsapfel. Ihm stand ein langsamer, qualvoller Tod bevor.

Dann tauchte Mother auf einmal unmittelbar neben Schofields Gabelstapler aus der Nebelwolke auf.

»Hey, Scarecrow. Wie ist das Wetter da oben?«, fragte sie. »Jetzt, wo du da bist, geht's mir schon wieder besser«, erwiderte Schofield.

Zwei von Knights Kletterhaken machten kurzen Prozess mit den Handschellen. In Sekundenschnelle hatte Schofield wieder festen Boden unter den Füßen und war frei.

Ehe Mother ihm ein paar Waffen reichen konnte, rannte Schofield zu dem am Boden liegenden Lefevre hinüber.

Er hob neben dem sterbenden Franzosen etwas vom Boden auf, dann kam er zu Mother zurück. Sie reichte ihm eine MP-7 und eine Desert Eagle.

»Lust auf Chaos?«, fragte sie.

Schofields Blick fiel auf die Raketengranate, die sie sich auf den Rücken geschnallt hatte.

»Lust auf jede Menge Chaos«, sagte er.

Dann rannten sie auf einen in der Nähe abgestellten Jeep zu.

 

In rascher Folge und in Zweierformation schossen Rafale-Kampfjets über die Startbahn der Richelieu und hoben ab.

Stiegen empor, machten kehrt und hielten auf den schwebenden Black Raven zu.

»Sie kommen!«, rief Rufus.

»Ich sehe sie!«, brüllte Knight.

Er schwenkte auf dem Drehsitz herum und hämmerte wie ein Junge bei einem Videospiel auf die Auslöser.

Zwei Rafales kamen mit flammenden Bordkanonen auf sie zugeschossen.

Ein Schwarm orangefarbener Leuchtspurgeschosse pfiff dicht am Raben vorbei. Der Rabe schlingerte und schwankte, wich den Leuchtspurgeschossen aus, während er gleichzeitig das Feuer mit dem drehbaren, am Bauch montierten MG erwiderte.

Dann schossen die beiden ersten Jets über ihn hinweg -ein doppelter Überschallknall. Doch das war erst der Anfang, ein reines Ablenkungsmanöver.

Denn die anderen beiden französischen Kampfjets hatten ebenfalls gewendet und rasten von hinten dicht über die Meereswogen hinweg auf die Sukhoi zu.

Die Sukhoi schwebte nach wie vor über dem Steuerbordaufzug und schwenkte nun zu den beiden sich nähernden Jets herum.

»Verdammt noch mal«, sagte Rufus mit Blick auf die Bildschirmanzeige der Abwehrelektronik. »Die Schweine spielen mit unserer Störfrequenz ... die schaltet sich ständig ein und wieder aus. Damit ist die Raketenabwehr hin.« Die beiden neu eingetroffenen Rafales feuerten jeweils zwei Raketen ab.

Knight feuerte mit den Bordkanonen auf die Raketen und traf zwei davon, die anderen beiden aber schwenkten allzu behende hin und her und auf und nieder.

»Rufus ...!«

Die Raketen rasten ihnen entgegen.

Rufus sah sie kommen - und im letzten Moment sah er auch die Lösung.

Die Raketen hatten das Ziel fast schon erreicht ...

... als Rufus den Black Raven in die gewaltige Öffnung über dem Steuerbordaufzug hinabsinken ließ und den Kampfjet in den Haupthangar hineinmanövrierte!

Die Raketen waren - im Unterschied zu den vom Zerstörer Le Triomphe abgefeuerten Geschossen - mit elektronischen Detektoren ausgerüstet, die verhinderten, dass sie im befreundeten Flugzeugträger einschlugen. Daher stürzten sie ins Meer und detonierten inmitten dreißig Meter hoher Fontänen.

 

Im Kontrollturm des Flugzeugträgers starrten die Radartechniker verwirrt auf die Monitore und brüllten in die Mikrofone:

»- Wo zum Teufel ist die Maschine abgeblieben?«

»- Was? Sag das noch mal -«

»Was ist passiert?«, fragte der Kapitän. »Wo sind Sie?«

»Kapitän! Sie sind im Schiff!«

 

Der Black Raven schwebte nun im Innern des höhlenartigen Hangars des französischen Flugzeugträgers.

»Dein Stil gefällt mir«, sagte Knight, während er das Feuer auf die abgestellten Flugzeuge, Helikopter und Trucks eröffnete.

Wie ein in einem Wohnzimmer gefangener Riesenvogel schwenkte der Black Raven im Hangar umher, warf die Flugzeuge mit dem Triebwerksstrahl um, schleuderte die Tanklaster gegen die Stahlwände.

Er zog eine Spur der Verwüstung durch den Hangar, wobei die beiden hohen Heckflossen einmal sogar die Decke streiften.

Knight brüllte ins Funkgerät: »Mother! Wo sind Sie?«

 

Am hinteren Ende des länglichen Hangars raste ein einzelner Jeep mit Mother am Steuer und dem geduckten Schofield auf dem Rücksitz mit halsbrecherischer Geschwindigkeit unter kippenden Flugzeugen hindurch und rammte dabei mehrere Tanklaster.

Mother schrie: »Ich bin am anderen Ende des Hangars und versuche dem Chaos auszuweichen, das Sie anrichten!«

»Haben Sie Schofield?«

»Ich hab ihn.«

»Sollen wir euch mitnehmen?«

Mother drehte sich zu Schofield um, der sich über ihren - oder vielmehr Knights - Raketenwerfer gebeugt hatte.

»Nein! Noch nicht!«, rief er. »Sag Knight, er soll verschwinden. In zwei Minuten wird hier die Hölle los sein! Sag ihm, wir treffen uns draußen!«

 

»Verstanden«, erwiderte kurz darauf Knight. Er drehte sich um. »Rufus! Zeit zu verschwinden!« »Ist klar, Boss!«, bestätigte Rufus. »Wo ist denn noch gleich der andere ... ah, da«, sagte Rufus, als er den zweiten Flugzeugaufzug an der gegenüberliegenden Seite des Hangars ausmachte.

Er erhöhte den Schub, lenkte die Sukhoi mit tosenden Triebwerken, deren Lärm alle anderen Geräusche verschluckte, durch den Hangar, dann - Schuum! - schoss der Rabe durch den Backbordaufzug in den gleißenden Sonnenschein hinaus.

 

Auf dem Rücksitz des Jeeps wühlte Schofield im Rucksack, den Mother mitgebracht hatte.

Es war tatsächlich Knights russischer Raketenwerfer-Rucksack - inklusive eines Einwegraketenwerfers und verschiedener Raketensprengköpfe.

Schließlich hatte er das Gesuchte gefunden.

Den berüchtigten russischen P-61 Palladium-Sprengkopf.

 

Ein Palladiumsprengkopf - bestehend aus einer Palladiumhülle mit einem flüssigen Kern aus hoch konzentrierter Flusssäure - hat nur einen einzigen Zweck, nämlich zivile Atomkraftwerke auf wahrhaft grauenhafte Art zu zerstören.

Atomwaffen haben einen Kern aus 90-prozentigem angereichertem Uran. Die Brennstäbe von Atomreaktoren hingegen enthalten lediglich 5-prozentiges Uran, während die Reaktoren von atombetriebenen Flugzeugträgern einen Anteil von etwa 50 Prozent aufweisen - dies soll eine Atomexplosion unmöglich machen. Sie können Strahlung freisetzen - wie beim Unfall in Tschernobyl geschehen -, doch in einem Atompilz aufgehen können sie nicht.

Allerdings setzen sie ständig gewaltige Mengen Wasserstoff frei - leicht entzündlichen Wasserstoff -, was durch so genannte »Rekombinierer« kompensiert wird, die den gefährlichen Wasserstoff (H) in das ungefährliche Wasser (H2O) umwandeln.

Mischt man jedoch Palladium mit Wasserstoff, tritt die gegenteilige Wirkung ein. Es vervielfacht die Menge des gefährlichen Wasserstoffs und erzeugt große Mengen leicht entzündlichen Gases, das durch die Zugabe eines Katalysators wie Flusssäure zur Explosion gebracht werden kann.

Die P-61-Sprengköpfe verhalten sich wie zweistufige Sprengzünder.

In der ersten Stufe - bei der Initialzündung - vermischt sich Palladium mit Wasserstoff und vervielfacht die Gasmenge mit phänomenaler Geschwindigkeit. In der zweiten Stufe entzündet die Waffe das Gas mit der Säure.

Die Folge ist eine gewaltige Explosion - nicht ganz so stark wie eine Atomexplosion, aber vielleicht die einzige Explosion weltweit, die in der Lage ist, die gepanzerte Hülle eines Flugzeugträgers zu knacken.

 

»Da!« Schofield zeigte auf die beiden riesigen zylindrischen Lüftungsöffnungen am backbordseitigen Ende des Hangars, mit Ventilatoren abgedeckte Schächte, durch die der überschüssige Wasserstoff austrat. »Die Abgasschächte des Reaktors!«

Der Jeep raste durch den Hangar, suchte sich einen Weg zwischen den brennenden Kampfjets hindurch.

Schofield richtete sich hinten im Jeep auf, presste den RPG-Raketenwerfer an die Schulter und zielte auf die großen Ventilatoren innerhalb der Abgasschächte.

»Sobald ich gefeuert habe, Mother, gib Gas und fahr die Rampe hoch! Uns bleiben etwa dreißig Sekunden zwischen der ersten und der zweiten Stufe. Eine halbe Minute, um das Schiff zu verlassen!«

»Okay!«

Schofield spähte durch die Zielvorrichtung des Raketenwerfers. »Au revoir, ihr Arschlöcher.«

Dann drückte er den Abzug durch.

 

Der Raketenwerfer feuerte, die Rakete mit dem Palladiumsprengkopf raste hinauf in den Hangar und zog eine schnurgerade Rauchfahne hinter sich her.

Die Palladium-Sprengladung durchschlug den Ventilator des rechten Abgasschachts und verschwand, gesteuert von den Wärmesensoren, in der Tiefe.

Mother trat sogleich aufs Gas, riss den Jeep herum und raste die tunnelartige Rampe hoch, die vom Hangar zum Flugdeck führte.

In Spiralen ging es mit quietschenden Reifen in die Höhe.

Auf einmal ertönte in der Tiefe des Flugzeugträgers ein gedämpfter Knall.

Der Palladium-Sprengkopf hatte ins Ziel getroffen.

Schofield schaltete die Stoppuhr ein: 00:01 ... 00:02 ...

 

Im Luftraum über der Richelieu bestritt der Black Raven mit den vier französischen Rafale-Kampfjets einen Kampf auf Leben und Tod.

Er legte sich abrupt auf die Seite, röhrte durch die Luft und schoss eine der Rafales mit der letzten verbliebenen Rakete ab.

Auf einmal gab Rufus' Konsole ein schrilles Piepen von sich.

»Unsere Abwehrelektronik wurde geknackt!«, rief er. »Wir haben den Raketenschutz vollständig verloren!«

In diesem Moment setzte sich eine weitere Rafale auf ihre Fährte und die beiden Jets röhrten dicht an dicht übers Meer hinweg, die Rafale hinter der Sukhoi, mit orangefarbenen Leuchtspurgeschossen feuernd.

Während der Rabe weiterraste, schwenkte Knight auf dem Drehstuhl des Schützen herum und nahm das Verfolgerflugzeug mit der schwenkbaren Bordkanone unter Feuer, deckte das Cockpit des französischen Kampfjets mit einem vernichtenden Kugelhagel ein, zertrümmerte die Kabinenhaube und schoss den Piloten in Fetzen, bis das Flugzeug mit einem lauten Krachen ins Meer pflügte.

»Boss!«, rief Rufus plötzlich. »Ich brauche Feuerschutz nach vorn! Sofort!«

Knight schwenkte herum. Er hatte übersehen, dass der Verfolgerjet den Raben vor sich her getrieben hatte ... den anderen beiden französischen Kampfflugzeugen entgegen!

Die beiden wartenden Rafales schossen jeweils eine Rakete ab - zwei Rauchfahnen durchbohrten die Luft, näherten sich bogenförmig der Nase des Black Raven - doch Rufus legte das schlanke schwarze Flugzeug auf die Seite und flog in Schräglage weiter, während er die speziell angefertigte - und sehr seltene - zweite elekronische Abwehrmaßnahme auslöste: ein scharf gebündeltes Energiefeld mit kurzer Reichweite.

Die beiden Raketen gerieten ins Trudeln, teilten sich in eine V-Formation auf, mit der sie dem elektronischen Schild um die Nase der Sukhoi auswichen, während der Rabe mit einem Höllentempo zwischen ihnen hindurchschoss und beide Raketen ins Meer stürzten.

Der Rabe aber befand sich noch immer auf Kollisionskurs mit den beiden sich nähernden Rafales.

Knight schwenkte wieder nach vorn, eröffnete das Feuer - und zerstörte die linke Rafale, einen Moment bevor der Rabe mit ohrenbetäubendem Tosen über die beiden französischen Kampfjets hinwegschoss.

Jetzt war nur noch eine der Rafales übrig, doch ehe Knight und Rufus sich um sie kümmern konnten, hallte ein anderes Geräusch über die Wogen - ein tiefer, bedrohlicher Knall im Innern des Flugzeugträgers.

 

»Schneller, Mother. Schneller.« Schofield sah auf die Stoppuhr.

00:09

00:10

Der Jeep schoss die spiralförmige Auffahrt hoch und schlug Funken aus den Stahlwänden der schmalen Rampe.

Unvermittelt legte sich der ganze Flugzeugträger schief, neigte sich um volle dreißig Grad nach Backbord.

»Weiter!«, schrie Schofield.

Die erste Zündstufe des Palladium-Sprengkopfs hatte die Wasserstoff-Rekombinierer der Richelieu neutralisiert: daher der bedrohliche Knall.

Somit bildete sich in den Kühltürmen des Flugzeugträgers nun Wasserstoff mit exponentieller Rate. In genau dreißig Sekunden würde die zweite Stufe des Palladium-Sprengkopfs explodieren, den Wasserstoff entzünden und Tod und Verderben über den Flugzeugträger bringen.

00:11

00:12

Der Jeep raste von der Auffahrt in den Sonnenschein hinaus und kam ruckartig zum Stehen.

Auf dem Flugdeck war die Hölle los.

Qualmende Flugzeuge, verkohlte Flugabwehrkanonen, tote Marinesoldaten. Ein auf der Nase liegender Rafale-Kampfjet mit kaputten Vorderrädern blockierte die zweite Startbahn der Richelieu. Die Maschine hatte offenbar gerade starten wollen, als sie von einer Rakete der Black Raven getroffen worden war.

Schofield fiel sie gleich ins Auge.

»Mother! Zu dem beschädigten Jet!«

»Das Ding fliegt nicht mehr, Scarecrow!«, rief Mother. »Nicht mal wenn du am Steuer sitzt!«

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Inmitten des Durcheinanders kam der Jeep neben der beschädigten Rafale rutschend zum Stehen. Der auf der Nase liegende Jet mit den kaputten Reifen würde nirgendwo mehr hinfliegen.

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»Das Flugzeug ist mir egal«, erwiderte Schofield. »Ich will das da.«

Er sprang aus dem Jeep, bückte sich und packte den Katapulthaken, der vor der beschädigten Maschine auf der Startbahn lag. Der kleine, trapezförmige Katapulthaken wurde an schmalen Schienen geführt - man befestigte ihn am Vorderrad, dann wurde der Jet auf einer Länge von neunzig Metern bis auf Startgeschwindigkeit beschleunigt.

Schofield befestigte den Haken grob an der Vorderachse des Jeeps.

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»Also, das ist doch nicht dein Ernst ...«, sagte Mother, die leere Startbahn vor dem Jeep beäugend - eine Startbahn, die am Bug des Schiffes unvermittelt abbrach. Die Schienen des Katapults erstreckten sich über das ganze Flugdeck wie Eisenbahngleise, die auf eine Klippe zuführten.

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Schofield sprang wieder auf den Rücksitz des Jeeps.

»Leg den Leerlauf ein und schnall dich an!«, sagte er.

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Mother legte den Sicherheitsgurt an. Schofield tat das Gleiche.

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Dann zog er die MP-7, zielte damit auf die Katapultsteuerung, die seit dem Angriff des Black Raven unbemannt war ...

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... und drückte ab.

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Ping!

Die Kugel schlug in den Starthebel ein und löste das Katapult aus.

Mit einer Beschleunigung, die noch kein Jeep zuvor erreicht hatte, raste das Fahrzeug über die Startbahn.

 

Neunzig Meter in 2,2 Sekunden.

Schofield und Mother wurden in die Sitze gepresst, ihre Augen in die Höhlen gedrückt.

Der Jeep schoss mit einer schier unglaublichen Geschwindigkeit die Startbahn entlang.

Die Einzelheiten des Decks verschwammen.

Nach fünfzig Metern platzten die Vorderreifen.

Doch er schoss immer noch weiter - wie eine Kanonenkugel - angetrieben von der gewaltigen Kraft des Katapults.

Um die Wahrheit zu sagen, waren sie nicht ganz so schnell wie ein Kampfjet beim Start, der zusätzlich von den eigenen Triebwerken beschleunigt wurde.

Aber Schofield wollte ja auch nicht fliegen.

Er wollte bloß vom Flugzeugträger herunterkommen, bevor er in die Luft flog.

 

Der Jeep erreichte den Rand der Startbahn ... und sauste schnurstracks weiter ... in den Himmel hinaus ... das Heck emporgereckt, mit durchdrehenden Rädern ... während der zurückbleibende Flugzeugträger auf einmal explodierte.

Es gab kein Feuer.

Keine Rauchwolke.

Bloß einen gewaltigen, mordsmäßigen KNALL!, als sämtliche Stahlplatten des Rumpfes - aufgrund des gewaltigen Drucks, den der entzündete Wasserstoff produzierte - gleichzeitig nach außen gedrückt wurden und aus den Schweißnähten platzten wie der Incredible Hulk aus seinen Kleidern, wenn er die Muskeln spielen ließ.

Ein Sternenregen von einer Million Nieten flog in den Himmel empor.

Die Nieten wurden meilenweit umhergeschleudert und regneten eine ganze Minute lang nieder. Ein Helikopter, der gerade erst vom Heck des Flugzeugträgers abgehoben hatte, wurde von der plötzlichen Nietenwolke mitten im Flug zerfetzt.

Trümmerteile des Flugzeugträgers - darunter auch ganze Stahlplatten - flogen in die Luft und krachten auf die französischen Zerstörer nieder, beulten die Seiten ein, zerschmetterten die Fenster der Brücken.

Der größte Schaden trat am Heck des Flugzeugträgers auf, rund ums Epizentrum der Explosion, bei den Kühlschächten.

Die Außenwände platzten an den Schweißstellen einfach auf - ebenso die vertikalen Nietverbindungen -, sodass sich an beiden Seiten des Schiffes große Löcher auftaten, durch die der Atlantik unerbittlich ins Innere strömte.

Und die Richelieu - der größte und mächtigste in Frankreich je gebaute Flugzeugträger - begann ohne weitere Umschweife zu sinken.

 

Schofields und Mothers Jeep jedoch flog vom Bug des gewaltigen Flugzeugträgers.

Während das Fahrzeug vor dem Schiffsbug durch die Luft flog, lösten sie die Gurte, kletterten aus dem Jeep und segelten über ihm über den Himmel.

Der Abstand vom Flugdeck zur Wasseroberfläche betrug etwa fünfundzwanzig Meter.

Der Jeep schlug zuerst auf. Eine riesige Gischtwolke stieg empor.

Schofield und Mother folgten ihm. Zwei Platscher.

Es tat weh, doch sie spannten den Körper an - sodass sie das Wasser mit den Stiefeln zuerst berührten und untertauchten, kurz bevor der Flugzeugträger explodierte und die unzähligen Nieten wie ein tödlicher Schrapnellschauer aufs Meer niederprasselten.

 

Der mächtige Flugzeugträger sank rasch, mit dem Heck voran.

Es war ein atemberaubender Anblick.

Und dann, während die Besatzung zu den Rettungsbooten eilte oder einfach ins Wasser sprang, stellte sich das riesige Kriegsschiff senkrecht - der Bug stieg hoch empor, während das Heck bereits vollständig untergetaucht war.

Die Besatzungen der Begleitschiffe waren starr vor Entsetzen.

Ein solches Unglück war eigentlich nur im Krieg vorstellbar. Seit dem Zweiten Weltkrieg hatte kein Land mehr einen Flugzeugträger verloren.

Was wahrscheinlich der Grund dafür war, dass sie verspätet reagierten, als sich der Black Raven eine Minute nach der Explosion bis auf drei Meter auf die Meeresoberfläche hinabsenkte und zwei winzige Gestalten aus der Dünung aufnahm, die an Rettungsgurten in den Bombenschacht hinaufgezogen wurden.

Als die beiden Gestalten in Sicherheit waren, stieg die schlanke Sukhoi empor, schoss davon und ließ die weit verstreuten Überreste des Richelieu-Flugzeugträgerverbands hinter sich zurück.

 

Aloysius Knight kam in die Gefängniszelle des Black Raven, in der Schofield und Mother dalagen wie zwei nasse Ratten.

Schofield warf Knight einen Blick zu. »Nehmen Sie Kurs auf den Ärmelkanal vor Cherbourg. Dort befindet sich das erste Kormoran-Schiff. Wir müssen es finden, bevor es seine Raketen auf Europa abfeuert.«

Knight nickte. »Ich habe Rufus schon gesagt, er soll uns dort hinbringen.«

Schofield zögerte.

Knight wirkte ungewöhnlich ernst, beinahe ... empfindsam. Was war los?

Schofield blickte sich in der engen Gefängniszelle um, und dann kam er drauf.

»Wo ist Gant?«, fragte er.

In diesem Moment blinzelten Knights Augen hinter der bernsteinfarben getönten Sonnenbrille - nur ein wenig. Schofield aber sah es, und auf einmal verspürte er eine gänzlich ungewohnte Regung.

Absolute, totale Angst.

Aloysius Knight schluckte.

»Captain«, sagte er. »Wir müssen reden.«