Schaufelt mir kein Grab
Das Donnern meines altmodischen Türklopfers hallte unheimlich im ganzen Haus wider und riss mich aus unruhigem, von Albträumen geplagtem Schlaf. Ich blickte aus dem Fenster. Vom schwindenden Licht des untergehenden Mondes erhellt, sah das bleiche Gesicht meines Freundes John Conrad zu mir herauf.
»Darf ich hereinkommen, Kirowan?« Er klang angespannt.
»Selbstverständlich!« Ich hörte ihn bereits zur Tür herein- und die Treppe heraufkommen, als ich meinen Morgenmantel anzog.
Nur einen Augenblick später stand er vor mir, und als ich das Licht anschaltete, sah ich, dass seine Hände zitterten und sein Gesicht unnatürlich blass war.
»Der alte John Grimlan ist vor einer Stunde gestorben«, sagte er unvermittelt.
»Wirklich? Ich wusste nicht, dass er krank geworden ist.«
»Er hatte plötzlich einen seiner heftigen, eigenartigen Anfälle, fast so wie ein epileptischer Anfall. Er litt schon seit einigen Jahren darunter, wusstest du das nicht?«
Ich nickte. Ich wusste ein paar Dinge über den alten Mann, der wie ein Einsiedler in dem großen finsteren Haus auf dem Hügel gelebt hatte. Ich hatte sogar schon einmal einen dieser Anfälle miterlebt: Der Alte hatte sich gekrümmt, geheult und gejammert und sich wie eine verwundete Schlange auf dem Boden gewunden, dabei waren entsetzliche Flüche und schreckliche Blasphemien aus ihm herausgesprudelt, bis seine Stimme mit einem wortlosen Schrei brach und Schaum aus seinem Mund quoll. Damals verstand ich, weshalb die Menschen früher glaubten, solch arme Teufel seien von Dämonen besessen.
»… ein erblicher Defekt«, fuhr Conrad fort. »Der gute alte John hat wohl irgendeine innere Schwäche geerbt oder eine abscheuliche Krankheit, vielleicht sogar von einem ganz entfernten Vorfahren – so etwas passiert manchmal. Oder es war etwas anderes – du weißt ja, dass der alte John sich in seiner Jugend in den geheimnisvollsten Ecken der Welt herumgetrieben und den gesamten Osten bereist hat. Gut möglich, dass er von seinen Reisen irgendeine mysteriöse Infektion mitgebracht hat. In Afrika und im Orient gibt es schließlich immer noch zahllose unerforschte Krankheiten.«
»Aber du hast mir noch immer nicht gesagt, was dich um diese Zeit zu mir führt – es muss doch schon nach Mitternacht sein.«
Mein Freund schien ziemlich verwirrt.
»Nun, John Grimlan ist einsam gestorben – außer mir war niemand bei ihm. Er hat jegliche medizinische Hilfe abgelehnt, und in seinen letzten Momenten, als er bereits im Sterben lag, wollte ich trotzdem Hilfe holen gehen, aber er hat so fürchterlich geheult und geschrien, dass ich seine flehentliche Bitte nicht ablehnen konnte – er wollte nicht alleine sterben.
Ich habe schon andere Menschen sterben sehen …«, Conrad wischte sich den Schweiß von seiner blassen Stirn, »… aber der Tod von John Grimlan war das Furchtbarste, was ich je miterlebt habe.«
»Hat er sehr gelitten?«
»Bestimmt durchstand er schreckliche körperliche Qualen, aber die schienen von einer entsetzlichen geistigen oder seelischen Pein fast völlig überschattet zu werden. Sein Schreien und die Angst in seinen weit aufgerissenen Augen gingen über jeden fassbaren weltlichen Schrecken weit hinaus. Glaub mir, Kirowan, Grimlans Angst war viel größer und tiefer als die gewöhnliche Angst vor dem Jenseits, die jeder spürt, der sich irgendwann einmal etwas hat zu Schulden kommen lassen.«
Ich trat unruhig von einem Bein auf das andere. Die finstere Bedeutung, die in diesen Worten steckte, jagte mir einen Schauer namenloser, dunkler Vorahnung über den Rücken.
»Ich weiß, dass die Leute auf dem Land immer behaupten, dass er als junger Mann seine Seele dem Teufel verkauft hat und dass seine plötzlichen epileptischen Anfälle nur ein sichtbares Zeichen der Macht waren, die der Teufel über ihn hatte, aber dieses Gerede ist doch wirklich Unsinn und gehört ins finsterste Mittelalter. Wir wissen alle, dass John Grimlans Leben voller Gewalt und Bosheit war, selbst in seinen letzten Tagen. Er wurde aus gutem Grund von allen verabscheut und gefürchtet – ich wüsste nicht, dass er auch nur einmal etwas Gutes getan hätte. Du warst sein einziger Freund.«
»Und es war eine wirklich seltsame Freundschaft«, entgegnete Conrad. »Ich fühlte mich von seiner ungewöhnlichen Kraft angezogen. Trotz seines brutalen Wesens war John Grimlan ein hochgebildeter Mann. Er hat sich intensiv dem Studium des Okkulten gewidmet, und so habe ich ihn auch kennengelernt. Du weißt ja, dass ich mich selbst sehr für diesen Forschungsbereich interessiere.
Aber wie allem anderen begegnete Grimlan auch diesem Gebiet mit Boshaftigkeit, er verwandelte es in etwas Perverses. Er ließ die helle Seite des Okkulten völlig außer Acht und tauchte tief in die schwarzen, düsteren Abgründe ein – Teufelsanbetung, Voodoo und Schintoismus. Er verfügte über einen riesigen, unheilvollen Wissensschatz auf dem Gebiet dieser dunklen Künste und Wissenschaften. Wenn man ihm zuhörte, wie er von seinen Forschungen und Experimenten berichtete, verspürte man denselben Schrecken und denselben Abscheu wie vor einer giftigen Schlange. Es gab keine Untiefe, in die er nicht vorgedrungen wäre, aber manches hat er selbst mir gegenüber nur angedeutet. Ich kann dir sagen, Kirowan, es lässt sich leicht über Geschichten aus dieser schwarzen Welt lachen, wenn man sich in netter Gesellschaft und im strahlenden Sonnenschein befindet, aber wenn man, wie ich, zu unchristlicher Stunde in der stillen, bizarren Bibliothek von John Grimlan sitzt, sich all seine uralten, vermoderten Bücher ansieht und seinen unheimlichen Erzählungen lauscht, dann klebt einem vor schierem Grauen die Zunge am Gaumen, und das Übernatürliche kommt einem sehr real und nahe vor – so erging es zumindest mir!«
»In Gottes Namen, Mann!«, rief ich, denn die Spannung war kaum noch auszuhalten. »Komm’ endlich zur Sache und sag’ mir, was du von mir willst!«
»Ich will, dass du mit mir zu John Grimlans Haus kommst und mir dabei hilfst, seine haarsträubenden Anweisungen bezüglich seiner Leiche auszuführen.«
Ich war nicht gerade in Abenteuerlaune, zog mich aber dennoch hastig an, wobei ich gelegentlich von schauderhaften Vorahnungen geschüttelt wurde. Als ich fertig war, folgte ich Conrad aus der Tür und über die totenstille Straße, die zu John Grimlans Haus führte. Der Weg verlief bergauf, und wann immer ich nach oben oder nach vorne blickte, sah ich das große finstere Haus wie einen bösartigen Vogel schwarz und starr auf dem Hügel sitzen, wobei es die Sterne fast völlig verdeckte. Im Westen, wo der Halbmond vor Kurzem hinter den niedrigen schwarzen Hügeln untergegangen war, leuchtete noch immer ein einzelner, blassroter Fleck. In dieser Nacht schien das Böse überall zu lauern, und das ununterbrochene Rascheln der Flügel von Fledermäusen über mir ließ mich immer wieder zusammenzucken und meine angespannten Nerven erzittern.
Um das heftige Klopfen meines eigenen Herzens zu übertönen, sagte ich: »Glaubst du auch, wie fast alle anderen, dass John Grimlan verrückt war?«
Wir gingen noch ein paar Schritte, bevor Conrad, eigenartigerweise mit offensichtlichem Widerwillen, antwortete: »Bis auf einen einzigen Zwischenfall würde ich sagen, dass kein Mensch je mehr Herr seiner Sinne war als Grimlan. Aber eines Nachts, es war in seinem Arbeitszimmer, schien er plötzlich irre geworden zu sein.
Er hatte stundenlang über sein Lieblingsthema gesprochen – die schwarze Magie –, als sein Gesicht plötzlich in einem unheilvollen Glanz erstrahlte und er brüllte: ›Wieso sitze ich hier und fasele all dieses Zeug, dieses Kindergeschwätz? Voodoo-Rituale – Schinto-Opfer – gefiederte Schlangen – Ziegen ohne Hörner – schwarze Leoparden-Kulte – pah! Dreck und Staub, die im Wind verwehen! Sie sind nichts im Vergleich zu dem wahrhaft Unbekannten – den tiefen Geheimnissen! Nichts als Echos aus der Tiefe!
Ich könnte dir Dinge erzählen, durch die dein erbärmliches Hirn zerplatzen würde! Ich könnte dir Namen ins Ohr flüstern, die dich wie einen verbrannten Grashalm verdorren lassen würden! Was weißt du über Yog-Sothoth, über Kathulos und die versunkenen Städte? Keiner dieser Namen gehört zu einer Mythologie, die dir bekannt ist. Nicht einmal in deinen Träumen hast du je die schwarzen Zyklopenmauern von Koth gesehen oder kauernd in den giftigen Winden gezittert, die auf Yuggoth wehen!
Aber ich will dich mit meinem dunklen Wissen nicht erschlagen! Ich kann nicht erwarten, dass dein kindliches Gehirn all das begreift, was meines erfasst. Wenn du so alt wärst wie ich, wenn du gesehen hättest, was ich gesehen habe – untergehende Königreiche und aussterbende Geschlechter –, wenn auch du die reifen Früchte der dunklen Geheimnisse der Jahrhunderte geerntet hättest …‹
Er steigerte sich immer weiter in seine Ausführungen hinein, und der wahnsinnige Glanz in seinem Gesicht ließ ihn kaum noch menschlich erscheinen. Als er meine offensichtliche Verwirrung erkannte, brach er jedoch plötzlich in schreckliches, schallendes Gelächter aus.
›Gott!‹, rief er mit einer Stimme und in einem Dialekt aus, die mir völlig fremd waren. ›Jetzt hab’ ich dir wohl Angst gemacht, wie? Aber das ist ja auch kein Wunder – in der hohen Kunst der Wissenschaft des Lebens bist du schließlich nichts weiter als ein nackter Wilder. Du denkst, ich sei alt, was? Ha! Du Bengel würdest tot umfallen, wenn ich dir verraten würde, wie viele Menschengeschlechter ich schon gesehen habe!‹
In diesem Augenblick erfasste mich ein solch entsetzlicher Schrecken, dass ich wie vor einer Kreuzotter vor ihm floh, und sein schrilles, diabolisches Lachen verfolgte mich, als ich aus dem finsteren Haus stürzte.
Wenige Tage später erhielt ich einen Brief, in dem er sich für sein Verhalten entschuldigte und es ganz offen – zu offen – einem angeblichen Drogenmissbrauch zuschrieb. Ich glaubte ihm kein einziges Wort, aber nach einigem Zögern erneuerte ich unsere freundschaftlichen Beziehungen.«
»Das klingt nach purem Wahnsinn«, murmelte ich.
»Ja«, entgegnete Conrad zögerlich. »Aber Kirowan – hast du irgendwann einmal jemanden getroffen, der John Grimlan schon als jungen Mann kannte?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ich habe mir alle Mühe gegeben, mich diskret nach ihm zu erkundigen«, sagte Conrad. »Er hat – mit Ausnahme einiger rätselhafter Unterbrechungen, in denen er oft monatelang nicht nach Hause kam – seit zwanzig Jahren hier gelebt. Die älteren Dorfbewohner erinnern sich noch genau daran, wie er hierherkam und in das alte Haus auf dem Hügel zog, und sie sagen alle, dass er in all den Jahren nicht sichtbar gealtert ist. Als er hier ankam, sah er, genau wie jetzt – oder bis zu seinem Tod –, aus wie ein Mann in den Fünfzigern.
Ich habe den alten Von Boehnk in Wien getroffen, der John Grimlan während seines Studiums in Berlin vor fünfzig Jahren kannte. Er war überrascht, dass der Alte noch am Leben war – er sagte, damals sei Grimlan so um die fünfzig Jahre alt gewesen.«
Mir entfuhr ein ungläubiges Lachen, als mir klar wurde, was Conrad damit andeuten wollte.
»Unsinn! Professor von Boehnk ist selbst schon über achtzig; Menschen in dem Alter bringen oft Dinge durcheinander. Er hat ihn mit jemand anderem verwechselt.« Als ich sprach, kribbelte es jedoch an meinem ganzen Körper und meine Nackenhaare stellten sich auf.
»Nun gut«, sagte Conrad, »wir sind da.«
Der riesige Kasten ragte bedrohlich vor uns in den Himmel, und als wir die Vordertür erreichten, rauschte ein unruhiger Wind durch die nahen Bäume, und törichterweise erschrak ich erneut, als das unheimliche Flattern der Fledermaus wieder zu hören war. Conrad steckte einen großen Schlüssel in das uralte Türschloss, und als wir eintraten, wehte ein flüchtiger Windstoß über uns hinweg – modrig und eiskalt wie der Luftzug aus einem Grab. Ich bekam eine Gänsehaut.
Wir tasteten uns durch die dunkle Eingangshalle ins Arbeitszimmer vor, wo Conrad eine Kerze entzündete, denn im ganzen Haus gab es weder Gaslaternen noch elektrisches Licht. Ich sah mich um und hatte schreckliche Angst davor, was mich im Schein der Kerze erwarten mochte, aber in dem Zimmer, das mit schweren Wandteppichen und bizarrem Mobiliar ausgestattet war, befand sich niemand außer uns beiden.
»Wo – wo ist – Es?«, fragte ich mit heiserem Flüstern aus trockener Kehle.
»Oben«, antwortete Conrad leise – die geheimnisvolle Stille des Hauses war auch ihm unheimlich. »Oben in der Bibliothek, dort ist er gestorben.«
Unfreiwillig blickte ich hinauf zur Zimmerdecke. Irgendwo über unseren Köpfen lag der einsame Herr dieses Hauses in seinem allerletzten Schlaf – völlig still, das weiße Gesicht zu einer grinsenden Totenmaske erstarrt. Ich wurde von Panik ergriffen und hatte Mühe, die Kontrolle über meine Sinne nicht zu verlieren. Es ist doch nur die Leiche eines bösen alten Mannes, der niemandem mehr wehtun kann – aber dieses Argument verklang nur hohl in meinem Kopf, wie die Worte eines erschrockenen Kindes, das sich selbst Mut zuspricht.
Ich drehte mich zu Conrad um. Er holte einen vergilbten Umschlag aus seiner Innentasche.
»Dies«, verkündete er, als er dem Umschlag einige dicht beschriebene Seiten vergilbten Pergaments entnahm, »sind de facto die letzten Worte von John Grimlan, auch wenn Gott allein weiß, vor wie vielen Jahren er sie niedergeschrieben hat. Er hat sie mir vor zehn Jahren gegeben, gleich nach seiner Rückkehr aus der Mongolei. Kurz danach erlitt er seinen ersten Anfall.
Er gab mir diesen Umschlag, er war versiegelt, und er ließ mich schwören, dass ich ihn gut verstecke und erst öffne, wenn er tot sei. Erst dann sollte ich ihn lesen und seinen Anweisungen ganz genau Folge leisten. Mehr noch, er nahm mir das Versprechen ab, dass ich nicht von unserer ersten Abmachung abweichen würde, egal, was er auch sagte oder tat, nachdem er mir den Umschlag überreicht hatte. ›Denn‹, sagte er mit einem ängstlichen Lächeln, ›das Fleisch ist schwach. Ich bin ein Mann, der zu seinem Wort steht, und auch wenn ich mir in einem schwachen Moment wünschen sollte, alles rückgängig zu machen – dafür ist es längst zu spät. Du wirst es vielleicht niemals ganz verstehen, aber du musst dich genau an das halten, was ich dir sage.‹«
»Und?«
»Nun«, wieder wischte sich Conrad den Schweiß von der Stirn, »als er sich heute Abend in seinem Todeskampf wand, mischten sich wütende Anweisungen unter sein wortloses Geheul – ich solle ihm den Umschlag bringen und ihn vor seinen Augen vernichten! Während er jammernd seine Befehle ausstieß, stützte er sich auf den Ellenbogen auf, und mit erschrockenen Augen und zu Berge stehenden Haaren schrie er mich an, sodass mir das Blut in den Adern gefror. Er kreischte, ich solle den Umschlag zerstören, ihn keinesfalls öffnen. Einmal heulte er im Delirium, ich solle seinen Körper in Stücke hauen und in alle vier Himmelsrichtungen verstreuen!«
Ein unkontrollierbarer Ausruf des Schreckens entfuhr meinen ausgetrockneten Lippen.
»Schließlich«, fuhr Conrad fort, »gab ich nach. Ich erinnerte mich noch gut an seine Warnung vor zehn Jahren und blieb daher zunächst standhaft, aber letztlich, als sein Kreischen unsagbar verzweifelt klang, wandte ich mich ab, um den Umschlag holen zu gehen, obwohl das bedeutete, dass ich ihn allein lassen musste. Als ich mich jedoch umdrehte, wurde er von einem weiteren Anfall geschüttelt. Das Leben schwand in einer letzten angsterfüllten Verrenkung aus seinem vor Qualen gekrümmten Körper, und Schaum und Blutspritzer schossen aus seinem verzerrten Mund.«
Conrad faltete das Pergament auseinander.
»Ich werde mein Versprechen halten. Diese Anweisungen mögen fantastischer Irrsinn und die Launen eines verwirrten Geistes sein, aber ich habe mein Wort gegeben. Kurz gesagt, soll ich seine Leiche auf den großen schwarzen Ebenholztisch in der Bibliothek legen und um ihn herum sieben brennende schwarze Kerzen aufstellen. Türen und Fenster müssen fest verschlossen und verriegelt sein. Dann muss ich in der Dunkelheit kurz vor Tagesanbruch die Formel oder den Zauberspruch vorlesen, der in dem kleineren, versiegelten Umschlag enthalten ist, der in diesem hier steckte. Ich habe ihn noch nicht geöffnet.«
»Ist das alles?«, rief ich. »Nichts darüber, was mit seinem Vermögen, diesem Anwesen oder seiner Leiche anschließend passieren soll?«
»Gar nichts. In seinem Testament, das ich ebenfalls gesehen habe, hinterlässt er sein Anwesen und sein Vermögen einem einzigen orientalischen Herrn namens Malik Tous!«
»Was?«, brüllte ich, zutiefst entsetzt und erschüttert. »Conrad, das ist doch der Gipfel des Wahnsinns! Malik Tous – mein Gott! Kein normaler Mensch hat je diesen Namen getragen! Das ist der Name des entsetzlichen Gottes, den das geheimnisvolle Volk der Jesiden verehrt, das am verfluchten Berg Alamount lebt. Die acht Messingtürme des Volkes ragen tief in Asien in einer mysteriösen Ödlandschaft in den Himmel. Sein Götzensymbol ist ein Pfau aus Messing. Die Mohammedaner, die seine Dämonen anbetenden Anhänger hassen, sagen, er sei der Ursprung alles Bösen im Universum – der Prinz der Finsternis – Ahriman – die uralte Schlange – der leibhaftige Satan! Und du sagst, Grimlan nennt diesen mythischen Dämon in seinem letzten Willen?«
»Es ist die Wahrheit.« Conrads Kehle war trocken. »Und siehst du? Er hat etwas sehr Eigenartiges an den Rand dieses Pergaments gekritzelt: ›Schaufelt mir kein Grab, ich werde keines brauchen.‹«
Wieder lief mir ein Schauer über den Rücken.
»In Gottes Namen«, stieß ich dem Wahnsinn nahe aus, »lass uns diese haarsträubende Aufgabe endlich hinter uns bringen!«
»Ich glaube, wir könnten etwas zu trinken vertragen«, entgegnete Conrad und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Wenn ich mich recht erinnere, hat Grimlan hier seinen Wein aufbewahrt …« Er bückte sich zur Tür eines mit aufwendigen Schnitzereien verzierten Mahagonischränkchens hinab, und nach einigen Schwierigkeiten gelang es ihm, sie zu öffnen.
»Hier ist kein Wein«, sagte er enttäuscht. »Wenn man einmal etwas Anregendes braucht … aber was ist das?«
Er zog eine staubige, gelbliche, halb mit Spinnweben verklebte Pergamentrolle hervor. Nervös und aufgeregt kam mir der Gedanke, dass scheinbar auf allem in diesem düsteren Haus eine ungeheure, mysteriöse Bedeutung lag, und ich beugte mich über Conrads Schulter, als er das Papier entrollte.
»Es ist ein Familienregister«, sagte er. »Darin haben alte Familien alle Geburten, Todesfälle und so weiter aufgeführt; sie wurden bis zum sechzehnten Jahrhundert geführt.«
»Welcher Familienname steht da?«, fragte ich.
Er betrachtete die Kritzeleien im Halbdunkel eingehend, um die verblasste, altertümliche Schrift entziffern zu können.
»G-r-y-m – jetzt hab ich’s! – Grymlann! Natürlich! Das ist das Familienregister des alten John – der Grymlanns des Toad’s-heath Manor in Suffolk – was für ein merkwürdiger Name für ein Anwesen! Schau dir den letzten Eintrag an!«
Wir lasen ihn gemeinsam: »John Grymlann, geboren am 10. März 1630.« Dann entfuhr uns beiden ein Schrei. Unter diesem Eintrag standen in frischer Tinte in einer eigenartigen, krakeligen Handschrift die Worte: »Gestorben am 10. März 1930.« Darunter klebte ein Siegel aus Wachs, auf dem ein seltsamer Stempelabdruck zu erkennen war, der aussah wie ein Pfau mit aufgestelltem Rad.
Conrad starrte mich sprachlos an; aus seinem Gesicht war sämtliche Farbe gewichen. Vor Angst und Wut schüttelte es mich am ganzen Körper.
»Das ist der Scherz eines Verrückten!«, sagte ich. »Diese Bühne ist wirklich mit äußerster Sorgfalt ausgestattet worden – die Akteure haben sich selbst übertroffen. Wer sie auch sein mögen, sie haben so viele unglaubliche Effekte eingebaut, dass sie selbst nicht mehr vonnöten sind. Das Ganze ist ein höchst albernes, absolut niveauloses Schauspiel der Illusionen.«
Aber während ich diese Worte sprach, drang eiskalter Schweiß aus meinen Poren, und mein Körper wurde wie von einem Fieberkrampf geschüttelt. Wortlos drehte Conrad sich zur Treppe um und ergriff eine große Kerze, die auf einem Mahagonitisch stand.
»Ich nehme an«, flüsterte er, »dass er der Ansicht war, ich würde diese grauenhafte Aufgabe allein erfüllen. Aber dazu fehlte es mir an Moral und an Mut, und darüber bin ich nun wirklich froh.«
Ein stummer Schrecken schwebte über dem stillen Haus, als wir die Treppe hinaufstiegen. Von irgendwo fand eine sanfte Brise ihren Weg zu uns, die die schweren Wandbehänge zum Raunen brachte, und ich bildete mir ein, dass Finger mit langen Krallen heimlich die Wandteppiche zur Seite schoben und uns rote Augen hämisch anstarrten. Einmal glaubte ich, das undeutliche Trampeln monströser Füße über uns zu hören, aber wahrscheinlich war es nur das dröhnende Klopfen meines eigenen Herzens.
Die Treppe endete in einem breiten, düsteren Korridor, in dem der schwache Schein der Kerze nur unsere blassen Gesichter erhellte und die Schatten nur noch dunkler erscheinen ließ. Wir hielten vor einer schweren Tür an und ich hörte, dass Conrad tief einatmete, wie Menschen es tun, denen eine schwere körperliche oder geistige Aufgabe bevorsteht. Unfreiwillig ballte ich die Fäuste, bis meine Fingernägel sich in meine Handflächen bohrten. Dann stieß Conrad die Tür auf.
Ein scharfer Schrei verließ seine Lippen. Die Kerze fiel aus seiner gefühllosen Hand und erlosch. John Grimlans Bibliothek war von Licht durchflutet, obwohl es im gesamten Haus dunkel gewesen war, als wir es betreten hatten.
Das Licht strahlten sieben schwarze Kerzen aus, die in regelmäßigen Abständen auf dem großen Ebenholztisch standen, und auf diesem Tisch, zwischen den Kerzen – ich hatte geglaubt, auf diesen Anblick vorbereitet zu sein. Aber nun, durch die unheimliche Beleuchtung und beim Anblick dieses Körpers auf dem Tisch, verließ mich beinahe meine ganze Entschlossenheit. John Grimlan war in seinem Leben kein attraktiver Mann gewesen – aber im Tode war er abscheulich. Ja, er war abscheulich, obwohl sein Gesicht gnädigerweise von einem eigenartigen Seidenumhang mit fantastischem, vogelähnlichem Muster bedeckt war, der auch den Rest seines Körpers verhüllte – einzig seine gekrümmten, klauenartigen Hände und seine nackten, geschundenen Füße lagen frei.
Conrad machte ein würgendes Geräusch. »Mein Gott!«, flüsterte er. »Was ist hier los? Ich habe seine Leiche auf den Tisch gelegt und die Kerzen aufgestellt, aber ich habe sie nicht angezündet, und diesen Umhang habe ich auch nicht über ihm ausgebreitet! Und er trug Pantoffeln, als ich gegangen bin …«
Er hielt plötzlich inne. Wir waren nicht allein in dem Todeszimmer.
Wir bemerkten ihn zunächst nicht, weil er in einem großen Ohrensessel in einer entfernten Ecke des Zimmers saß, so still, dass wir ihn für den Schatten eines Wandteppichs hielten. Als ich ihn jedoch sah, verspürte ich ein Gefühl der Übelkeit in der Magengegend. Zuallererst fielen mir seine lebhaften, schräg liegenden gelben Augen auf, die uns ohne ein Blinzeln anstarrten. Der Mann erhob sich, begrüßte uns mit einer tiefen Verbeugung und einem »Salaam«, und wir erkannten, dass er aus dem Orient stammte. Wenn ich heute versuche, ihn mir vorzustellen, dann finde ich in meiner Erinnerung kein genaues Bild von ihm. Ich erinnere mich nur noch an seinen stechenden Blick und den gelben, fantastischen Umhang, den er trug.
Mechanisch wiederholten wir seinen Gruß. Dann sagte er mit leiser, klarer Stimme: »Meine Herren, ich muss Sie um Verzeihung bitten! Ich habe mir die Freiheit erlaubt, die Kerzen anzuzünden – wollen wir nun nicht mit der Erfüllung der letzten Wünsche unseres gemeinsamen Freundes fortfahren?«
Er deutete kurz auf die stumme Masse auf dem Tisch. Conrad nickte, offensichtlich nicht in der Lage, zu sprechen. Uns kam gleichzeitig der Gedanke, dass auch dieser Mann einen versiegelten Umschlag erhalten hatte – aber wie konnte er so schnell zu Grimlans Haus gekommen sein? John Grimlan war seit nicht einmal zwei Stunden tot, und unseres Wissens wusste sonst niemand von seinem Ableben. Und wie hatte er in das verschlossene, verriegelte Haus eindringen können?
Die ganze Geschichte war äußerst grotesk und völlig surreal. Wir stellten uns weder vor noch fragten wir den Fremden nach seinem Namen. Er übernahm mit sachlicher Bestimmtheit das Kommando. Wir waren so in unserem Schrecken und unseren Vorstellungen gefangen, dass wir uns wie in Trance bewegten und die Anweisungen, die er in leisem, respektvollem Ton aussprach, unwillkürlich ausführten.
Ich stand an der linken Seite des Tisches und blickte über die grausame Last, die er trug, zu Conrad hinüber. Der Orientale stand mit verschränkten Armen und gesenktem Kopf an der Stirnseite, und es kam mir damals keineswegs seltsam vor, dass er dort stand und nicht Conrad, obwohl er doch vorlesen sollte, was Grimlan niedergeschrieben hatte. Mein Blick fiel auf die Abbildung, die in Brusthöhe auf dem gelben Seidenumhang des Fremden zu sehen war – eine seltsame Figur, die einem Pfau glich, einer Fledermaus oder einem fliegenden Drachen. Ich stellte verwundert fest, dass sich dieselbe Figur auch auf dem Umhang wiederfand, mit dem der Tote bedeckt war.
Die Türen waren verschlossen, die Fenster verriegelt. Conrad öffnete mit zitternden Händen den kleineren Umschlag und schüttelte die Pergamentseiten auseinander, die sich darin befanden. Die Blätter schienen viel älter zu sein als die in dem größeren Umschlag, auf denen die Anweisungen an Conrad geschrieben standen. Conrad begann mit einer monotonen Stimme zu lesen, die auf seine Zuhörer hypnotisierend wirkte, sodass sich der Kerzenschein immer wieder vor meinen Augen trübte, und das Zimmer und alles darinnen zu einer seltsamen, riesigen Masse verschwamm, die sich zu einer verschleierten Halluzination verzerrte. Das meiste, was Conrad vorlas, war unverständliches Zeug; es bedeutete nichts, und dennoch erfüllten mich allein der Klang und der altertümliche Stil der Worte mit unerträglichem Schrecken.
»Zur Erfuellung des Vertrages, der da steht geschrieben an anderer Stelle, schwoere ich, John Grymlann, hiermit im Namen des Namenlosen, dass meynen reynen Glauben ich zu erfuellen gewillt sei. Diesetwegen schreybe ich hier nun mit Blute diese Worte danieder, die eynst zu mir gesprochen wurden in eyner finstren stillen Kammer in eyner toten Stadt mit Namen Koth, die niemals eyne sterbliche Seele außer der meynen erblickte. Eben diese Worte, die ich nun daniederschreybe, sollen dereynst zur auserwaehlten Stunde ueber meynem toten Koerper gesprochen werden, auf dass ich meynen Teyl der Abmachung erfuellen moege, die ich aus meynem freyen Wunsche traf, in umfassendem Wissen und im vollen Besitze all meyner geystigen Kraefte, im Alter von fuenfzig Jahren im Jahre des Herrn 1680. So beginnet nun mit der Beschwoerung:
Vor Anbeginn der Menschheyt gab es seyt sehr langer Zeyt die Aelteren, und auch in heutigen Zeyten lebet ihr Herr noch immer in jenen finstren Schatten, aus denen keyne Menschenseele, die jemals eynen Fuß dort hineynsetzet, je wieder auf diesen Spuren zurueckzufinden vermag.«
Die Worte verschwammen zu einem primitiven Kauderwelsch, während Conrad durch eine unvertraute Sprache stolperte – eine Sprache, die entfernt an die der Phönizier erinnerte, deren furchtbar altertümlicher Klang jedoch einen Schauder in mir erzeugte, den keine jemals auf Erden bekannte Sprache ausgelöst hätte. Eine der Kerzen flackerte und erlosch. Ich wollte sie wieder anzünden, aber der stumme Orientale bedeutete mir mit einer Geste, es nicht zu tun. Sein Blick brannte sich in meine Augen und richtete sich dann wieder auf die stumme Gestalt auf dem Tisch.
Dann kehrten die Worte des Manuskripts wieder zu der verständlichen, altertümlichen Sprache zurück. »… und welch Sterblicher auch die schwarzen Zitadellen von Koth erreychen und mit dem Dunklen Herrscher sprechen moege, dessen Antlitz stets verborgen bleybt, werde doch alldieweyl belohnet mit eynem wertvollen Schatze, mit der Erfuellung all der Wuensche seynes Herzens, mit Reychtuemern und Wissen in unerfasslichem Maße und mit eyner Lebensdauer, die um ein Vielfaches jene aller sterblichen Wesen uebersteyget, und seyen es auch zweyhundert und fuenfzig Jahre.«
Wieder verlor sich Conrads Stimme in den unvertrauten Kehllauten. Eine weitere Kerze erlosch.
»Weychet nicht zurueck, Ihr Sterblichen, wenn die Zeyt nahe ist, dass Ihr Eure Schulden begleychen muesset und das Feuer der Hoelle in Eurem Inneren zu brennen beginnet, wenn ergo die Zeyt der Abrechnung kommet. Denn der Prinz der Finsternis nimmt sich am Ende, was seyn ist, und er laesst sich nicht bethoeren. Was Ihr versprochen habt, das moeget Ihr erfuellen. Augantha ne shuba …«
Bei den ersten Klängen dieser barbarischen Sprache schloss sich die kalte Hand des Entsetzens um meine Kehle. Mit hektischem Blick sah ich zu den Kerzen hinüber und es überraschte mich nicht, dass eine weitere mit einem Flackern erlosch. Und dennoch gab es keinerlei Anzeichen für einen Luftzug – die schweren Wandbehänge rührten sich nicht. Conrads Stimme bebte, er fasste sich mit der Hand an den Hals und würgte ziemlich heftig. Die Augen des Orientalen blieben die ganze Zeit starr.
»… unter den Soehnen der Menschen wandeln auf ewiglich seltsame Schatten. Die Menschen erkennen die Spuren der Krallen, doch nicht die Fueße, die sie hinterließen. Ueber den Seelen aller Menschen breyten sich schwaerzeste Fluegel aus. Es gibt nur eynen Schwarzen Herrn, doch die Menschen nennen ihn Sathan – Beelzebub – Apollyon – Ahriman und Malik Tous …«
Nebel des Schreckens umgaben mich. Entfernt nahm ich Conrads Stimme wahr, die weiterhin das Gelesene herunterleierte; verständliche Worte und Worte in dieser anderen, furchtbaren Sprache, deren entsetzliche Bedeutung ich kaum zu enträtseln wagte. Schreckliche Angst krallte sich in meinem Herzen fest, als ich eine Kerze nach der anderen erlöschen sah. Mit jedem Flackern zog sich die bittere Finsternis enger um uns, und mein Schrecken wuchs. Ich konnte nicht sprechen, ich konnte mich nicht bewegen; meine weit aufgerissenen Augen fixierten mit quälender Intensität die letzte brennende Kerze.
Auch der stumme Orientale am Kopf des grässlichen Tisches machte mir Angst. Er hatte sich weder bewegt noch gesprochen, aber unter seinen halb gesenkten Lidern flammten seine Augen in teuflischem Triumph auf. Ich wusste, dass er unter seiner undurchdringlichen Fassade von höllischer Schadenfreude erfüllt war – aber weshalb – weshalb?
Ich wusste, dass in dem Augenblick, da das Erlöschen der letzten Kerze das Zimmer in völlige Dunkelheit tauchen würde, etwas unbeschreiblich Abscheuliches passieren würde. Conrad kam allmählich zum Ende. Seine Stimme erreichte mit einem ungeheuren Crescendo den Höhepunkt.
»So ist er nun gekommen, der Augenblick der Abrechnung. Die Raben schwingen sich auf. Die Fledermaeuse steygen in den Himmel. Die Sterne stehen wie Totenschaedel am Himmel. Seele und Koerper, beyde sind sie versprochen, und so sollen sie nunmehr uebergeben seyn. Nimmermehr werden sie zum Staube, noch kehren sie zu jenen Elementen zurueck, aus denen das Leben erwachset …«
Die Kerze flackerte leicht. Ich wollte schreien, aber aus meinem offen stehenden Mund drang nur ein tonloses Jammern; ich wollte fliehen, aber ich blieb nur wie angewurzelt stehen, vermochte nicht einmal die Augen zu schließen.
»Der Abgrund, er tut sich nun auf, und die Schuld, sie muss beglichen seyn. Das Licht versaget, die Schatten versammeln sich. Es gibt keynen Gott, nur das Boese; keyn Licht, nur die Finsternis; keyne Hoffnung, nur die Verderbnis …«
Ein hohles Grollen hallte im Zimmer wider. Es schien von dem Ding zu stammen, das unter dem Umhang auf dem Tisch lag! Der Umhang zuckte unruhig.
»Oh, Fluegel in schwaerzester Finsternis!«
Ich erschrak heftig; aus den hereinbrechenden Schatten war ein leises Rascheln zu vernehmen. Die dunklen Wandteppiche? Es klang wie das Rauschen gigantischer Flügel.
»Oh, rote Augen in den Schatten! Was eynst versprochen ward, was im Blute geschrieben steht – es ist erfuellt! Das Licht ist umgeben von schwaerzester Finsternis! Ya – Koth!«
Plötzlich erlosch die letzte Kerze, und ein grauenhafter, unmenschlicher Schrei ertönte, der uns bis aufs Mark erschütterte, aber weder aus meinem noch aus Conrads Mund kam. Der Schrecken schwappte über mich hinweg wie eine eiskalte schwarze Welle, und in der blinden Dunkelheit hörte ich, wie mir selbst ein entsetzlicher Schrei entwich. Dann fegte ein Wirbelwind mit einem Rauschen durch das Zimmer, der die Wandbehänge auffliegen ließ, Stühle durch die Luft schleuderte und Tische mit einem Krachen zu Boden warf. Für einen Augenblick brannte ein grässlich beißender Geruch in unseren Nasen, und ein leises Kichern verspottete uns aus der Finsternis; dann legte sich die Stille wie ein Leichtuch über uns.
Irgendwo fand Conrad eine Kerze und zündete sie an. In ihrem schwachen Schein sahen wir das fürchterliche Durcheinander im Zimmer, sahen das Entsetzen auf dem Gesicht des anderen und den schwarzen Ebenholztisch – er war leer! Fenster und Türen waren nach wie vor verschlossen, aber der Orientale war verschwunden – ebenso wie die Leiche von John Grimlan.
Mit dem verzweifelten Kreischen der Verdammten brachen wir die Tür auf und stürzten in vollem Lauf die Treppe hinunter, die uns wie ein langer Schacht vorkam, in dem uns die Dunkelheit mit ihren feucht-kalten Fingern packte. Als wir in den unteren Flur stolperten, durchschnitt ein greller Lichtschein die Dunkelheit, und der Geruch von brennendem Holz drang zu uns herüber.
Die Haustür unterbrach unsere rasende Flucht für einen Moment, aber schließlich gab sie nach und wir fielen ins Sternenlicht hinaus. Hinter uns stiegen die Flammen mit lautem Knistern empor, als wir den Hügel hinunterrannten. Conrad blickte über seine Schulter, hielt plötzlich an, drehte sich um, warf seine Arme wie ein Verrückter in die Höhe und brüllte: »Körper und Seele hat er Malik Tous verkauft, dem Satan persönlich, vor zweihundertfünfzig Jahren! Dies war die Nacht der Abrechnung – Mein Gott! – Sieh nur! Sieh doch! Der Teufel hat sich geholt, was sein ist!«
Ich blickte, starr vor Schreck, zurück. In unfassbar kurzer Zeit hatten die Flammen, die nun in die Schatten des Nachthimmels aufstiegen, das gesamte Haus erobert, und das riesige Gebäude glich nun einem einzigen blutroten Inferno. Über dem höllischen Feuer schwebte ein gigantischer schwarzer Schatten. Er sah aus wie eine monströse Fledermaus, und in ihren schrecklichen Krallen baumelte etwas Helles – allem Anschein nach der schlaff herunterhängende Körper eines Menschen. Uns entfuhr ein letzter Schreckensschrei – dann war der Schatten verschwunden, und wir sahen die zitternden Wände und das brennende Dach, das mit einem erdbebengleichen Donnern in die Flammen stürzte.