Schritte im Grabmal

Solomon Kane blickte düster auf die Eingeborene, die tot zu seinen Füßen lag. Sie war fast noch ein Mädchen, aber ihre ausgemergelten Glieder und die starren Augen ließen erkennen, dass sie viel gelitten hatte, ehe der Tod ihr barmherzige Erleichterung gebracht hatte. Kane bemerkte die Kettenmale an ihren Gelenken, die tiefen, sich überkreuzenden Narben auf ihrem Rücken, die Schürfspuren des Jochs an ihrem Hals. Seine kalten Augen wurden auf seltsame Weise tief und zeigten eisigen Schimmer und Lichter, wie Wolken, die über eisige Abgründe ziehen.

»Selbst in dieses einsame Land kommen sie«, murmelte er. »Ich hatte nicht gedacht …«

Er hob den Kopf, und sein Blick wanderte nach Osten. Schwarze Punkte kreisten dort vor dem Blau.

»Die Milane markieren ihre Spur«, murmelte der hoch gewachsene Engländer. »Vor ihnen wandert die Zerstörung, und dahinter folgt der Tod. Weh euch, ihr Söhne des Unrechts, denn der Zorn Gottes liegt auf euch. Er hat die Leine am eisernen Nacken der Hunde des Hasses gelöst, und der Bogen der Rache ist gespannt. Ihr seid von stolzem Wesen und stark, und die Menschen klagen unter euren Füßen, aber Vergeltung wird kommen in der Schwärze der Mitternacht und der Röte der Morgendämmerung.« Er rückte sich den Gürtel zurecht, in dem seine schweren Pistolen und der scharfe Dolch steckten, griff instinktiv nach dem langen Degen an seiner Hüfte und eilte schnell und beinahe lautlos weiter ostwärts. Grausame Wut brannte in seinen Augen, so wie blaue Vulkanfeuer unter Meilen von Eis brennen, und die Hand, die seinen langen Wanderstab mit dem Katzenkopf hielt, wurde hart wie Eisen.

Nach einigen Stunden stetigen Ausschreitens gelangte er in Hörweite des Sklavenzugs, der sich mühsam durch den Dschungel wand. Die herzzerreißenden Schreie der Sklaven, die gebrüllten Verwünschungen der Treiber und das Krachen der Peitschen, das alles drang deutlich an sein Ohr. Nach einer weiteren Stunde hatte er die Karawane eingeholt und glitt jetzt parallel zum Weg der Sklavenhändler durch den Dschungel und spähte sie aus sicherer Entfernung aus. Kane hatte in Darien gegen Indianer gekämpft und sich viel von ihrem Geschick für das Überleben im Wald angeeignet.

Mehr als hundert Eingeborene, junge Männer und Frauen, taumelten auf dem Pfad dahin, splitternackt und mit grausamen, einem Joch ähnlichen Kragen aus Holz aneinandergekettet. Die klobigen, schweren Joche umschlossen ihre Hälse und koppelten jeweils zwei von ihnen zusammen. Die Joche selbst waren mit Ketten verbunden und bildeten eine lange Reihe. Die Treiber waren fünfzehn Araber und um die siebzig Negerkrieger, deren Waffen und fantastische Kleidung erkennen ließen, dass sie irgendeinem Stamm aus dem Osten angehörten – einem jener Stämme, die von den arabischen Eroberern unterworfen, zu Moslems bekehrt und zu Verbündeten gemacht worden waren.

Fünf Araber gingen mit etwa dreißig ihrer Krieger voran, fünf bildeten mit den restlichen Negerkriegern die Nachhut. Die übrigen marschierten neben den dahinwankenden Sklaven, trieben sie mit Rufen und Flüchen und langen grausamen Peitschen, die bei beinahe jedem Schlag das Blut aufspritzen ließen, zu schnellerer Gangart. Diese Sklaventreiber waren nicht nur Schurken, sondern auch Narren – nicht einmal die Hälfte der Eingeborenen würde die Mühsal des Trecks zur Küste überleben.

Es wunderte ihn, hier diese Räuber anzutreffen, denn dieses Land lag weit im Süden der Regionen, die sie gewöhnlich heimsuchten. Aber Habgier kann Menschen weit treiben, das wusste der Engländer, der vor langen Jahren schon einmal mit ihresgleichen zu tun gehabt hatte. Während er neben ihnen durch den Dschungel eilte, brannten alte Narben auf seinem Rücken – Narben, die Peitschen von Moslems auf einer türkischen Galeere auf ihm hinterlassen hatten. Und noch tiefer brannte Kanes unstillbarer Hass.

Der Puritaner folgte der Karawane, beschattete sie wie ein Gespenst, und während er sich durch den Dschungel schlich, zermarterte er sich das Gehirn auf der Suche nach einem Plan. Wie konnte er gegen diese Horde bestehen? Sämtliche Araber und viele ihrer Verbündeten waren mit Gewehren bewaffnet – zwar nur mit langen, schwerfälligen Steinschlossmusketen, aber dennoch Gewehren – genug, um jedem Eingeborenenstamm, der sich ihnen etwa in den Weg stellen sollte, Angst einzujagen. Einige trugen in ihren breiten Gürteln lange, mit Silber beschlagene Pistolen von wirksamerer Bauweise – Steinschlosswaffen aus maurischer und türkischer Herstellung.

Kane folgte ihnen wie ein brütender Geist, und sein Zorn und sein Hass fraßen sich wie ein Krebsgeschwür in seine Seele. Jeder Knall der Peitschen war ihm wie ein Schlag auf die eigenen Schultern. Die Hitze und die Grausamkeit der Tropen haben manchmal seltsame Folgen. Aus gewöhnlichen Leidenschaften entstehen monströse Gefühle; die Gereiztheit steigert sich zu Berserkerwut, Zorn flammt zu unerwartetem Wahnsinn auf, und Menschen töten in einem roten Nebel der Leidenschaft und wundern sich danach verblüfft über das, was sie getan haben. Die Wut, die Solomon Kane empfand, hätte jederzeit und allerorts ausgereicht, um einen Menschen in seinen Grundfesten zu erschüttern. Jetzt aber nahm sie monströse Proportionen an, sodass Kane wie vom Fieber erfasst schauderte; eiserne Klauen gruben sich in sein Gehirn, und er sah die Sklaven und ihre Peiniger wie durch einen roten Nebel. Und doch hätte er nicht zugelassen, dass seine aus dem Hass erwachsene Wut ihn zum Handeln veranlasste, wäre da nicht ein Missgeschick gewesen.

Eine der Sklavinnen, ein schlankes, junges Mädchen, schwankte plötzlich und fiel zu Boden, zog ihre Jochgefährtin mit sich. Ein hoch gewachsener, hakennasiger Araber brüllte wild und peitschte brutal auf sie ein. Ihre Jochpartnerin richtete sich taumelnd halb auf, aber das Mädchen blieb liegen, krümmte sich schwach unter der Peitsche, schaffte es aber offenbar nicht, aufzustehen. Über ihre ausgedörrten Lippen kam ein jämmerliches Wimmern. Andere Sklaventreiber eilten herbei, und ihre Peitschen schlugen auf ihr zitterndes Fleisch ein und hinterließen Spuren der Qual.

Eine halbe Stunde Ruhe und ein wenig Wasser hätten das Mädchen wieder zu Kräften gebracht, aber die Araber hatten dafür keine Zeit. Solomon biss sich in den Arm, bis seine Zähne im Fleisch aufeinander trafen und kämpfte um Beherrschung. Als die Peitschenschläge schließlich aufgehört hatten, dankte er Gott und stählte sich für das schnelle Aufblitzen des Dolchs, das das Kind von seinen Qualen erlösen würde. Aber die Araber waren auf Kurzweil aus. Da das Mädchen ihnen auf dem Markt bei der Versteigerung keinen Gewinn mehr bringen würde, konnten sie sie zu ihrem Vergnügen benutzen. Und ihre Vorstellung von Humor war von einer Art, die das Blut der Menschen in gefrierendes Wasser verwandelt.

Ein Ruf des Arabers, der als Erster mit der Peitsche zugeschlagen hatte, veranlasste die übrigen, sich um ihn zu scharen. Ihre bärtigen Gesichter grinsten in entzückter Erwartung, während ihre wilden Gefolgsleute sich mit funkelnden Augen näher drängten. Die unseligen Sklaven begriffen, was ihre Peiniger vorhatten, und es erhob sich ein Chor jämmerlicher Schreie.

Kane, vor Schrecken halb gelähmt, erkannte ebenfalls, dass dem Mädchen kein leichter Tod beschieden war. Er wusste, was der hoch gewachsene Moslem vorhatte, als er sich mit einem scharfen Dolch über sie beugte, einem Dolch, wie die Araber ihn benutzen, um Wild zu häuten. Wilder Zorn flammte in dem Engländer auf. Sein eigenes Leben hatte für ihn nur geringen Wert; er hatte es schon oft genug ohne nachzudenken für ein Heidenkind oder auch ein kleines Tier aufs Spiel gesetzt. Aber seine einzige Hoffnung, den armen Teufeln in der Sklavenkarawane helfen zu können, hätte er nicht ohne Vorbedacht in den Wind geschlagen. Jetzt aber handelte er, ohne zu überlegen. Eine Pistole rauchte in seiner Hand, und der hoch gewachsene Schlächter lag im Staub, und das Gehirn quoll aus seinem Schädel, ehe Kane begriff, was er getan hatte.

Er war beinahe ebenso verblüfft wie die Araber, die einen Augenblick lang wie erstarrt dastanden und dann in wildes Geschrei ausbrachen. Einige von ihnen rissen ihre schwerfälligen Steinschlossmusketen hoch und jagten ihre schweren Kugeln krachend durch die Bäume, die übrigen, ohne Zweifel in der Annahme, dies sei ein Überfall aus dem Hinterhalt, rannten leichtsinnig in den Dschungel. Diese plötzliche Reaktion war Kanes Verderben. Hätten sie auch nur einen Augenblick länger gezögert, wäre er vielleicht unbeobachtet entkommen, so aber sah er keine andere Wahl, als ihnen offen entgegenzutreten und sein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen.

Und er begegnete den brüllenden Angreifern in der Tat mit einer Art wilder Faszination. Sie blieben fassungslos stehen, als der finster blickende große Engländer hinter seinem Baum hervortrat, und in diesem Augenblick starb auch schon einer von ihnen mit einer Kugel aus Kanes zweiter Pistole im Herzen. Dann warfen sie sich mit wildem Wutgeheul auf den Mann, der es gewagt hatte, sich ihnen allein in den Weg zu stellen.

Solomon Kane presste den Rücken gegen einen mächtigen Baumstamm, und sein langer Degen kreiste um ihn wie ein schimmerndes Rad. Ein Araber und drei seiner noch wilderen Verbündeten hieben mit ihren schweren Krummsäbeln auf ihn ein, während die übrigen knurrend wie Wölfe herumrannten und versuchten, Kane mit dem Dolch oder der Schusswaffe zu treffen, ohne einen der ihren zu verletzen.

Der schimmernde Degen parierte die pfeifenden Krummsäbel, und der Araber starb von seiner Spitze durchbohrt. Sie schien nur einen Augenblick lang in seinem Herzen zu zögern, ehe sie das Gehirn eines weiteren Kriegers durchbohrte, der mit dem Schwert auf Kane einschlug. Ein anderer Angreifer ließ den Säbel fallen und sprang vor, um Kane aus der Nähe anzugreifen. Der Dolch in Kanes linker Hand schlitzte ihm den Bauch auf, und die anderen wichen, plötzlich von Angst erfüllt, zurück. Eine schwere Kugel krachte dicht neben Kanes Kopf in den Baum, und er spannte die Muskeln, um seine Feinde anzuspringen und mitten unter ihnen zu sterben. Dann trieb ihr Scheich sie mit seiner langen Peitsche an, und Kane hörte, wie er seine Krieger wütend anherrschte, sie sollten den Ungläubigen lebendig gefangen nehmen. Kane erwiderte den Befehl mit einem plötzlichen Wurf seines Dolchs, der so dicht am Kopf des Scheichs vorbeisurrte, dass er ihm den Turban aufschlitzte und sich tief in die Schulter des Mannes hinter ihm bohrte.

Der Scheich zog seine Silber beschlagenen Pistolen, bedrohte seine eigenen Leute mit dem Tod, wenn sie diesen wilden Feind nicht festsetzen würden, und sie griffen in ihrer Verzweiflung erneut an. Einer der Krieger rannte voll in Kanes Degen, und ein Araber hinter dem Burschen stieß den laut schreienden armen Teufel mit brutalem Geschick plötzlich gegen die Waffe nach vorn, sodass sie bis zum Heft in seinen zuckenden Körper eindrang und damit die Klinge blockierte. Ehe Kane sie wieder herausziehen konnte, warf sich das ganze Pack mit einem Triumphschrei auf ihn und überwältigte ihn mit dem schieren Gewicht der Überzahl. Als sie ihn von allen Seiten packten, sehnte sich der Puritaner vergebens nach dem Dolch, den er weggeworfen hatte. Dennoch war es nicht zu leicht, ihn gefangen zu nehmen.

Blut spritzte, und seine eisenharte Faust zerschlug so manches Gesicht, worauf Zähne zersplitterten und Knochen barsten. Ein Krieger taumelte zurück, von einem brutalen Stoß mit dem Knie in die Weichteile kampfunfähig gemacht. Selbst als sie Kane ausgestreckt auf den Boden pressten und ihn mit ihrem Gewicht festhielten, bis er nicht mehr mit Fäusten oder Füßen zuschlagen konnte, gruben sich seine langen, schlanken Finger wild in einen verfilzten Bart und schlangen sich um einen sehnigen Hals, hielten ihn so fest umfangen, dass es der Kraft dreier starker Männer bedurfte, um den Griff zu brechen, während das Opfer röchelnd und mit grünem Gesicht zu Boden sank.

Endlich hatten sie ihn, von dem entsetzlichen Handgemenge keuchend, an Händen und Füßen gefesselt, und der Scheich stieß seine Pistolen in die seidene Schärpe zurück, trat vor seinen Gefangenen und blickte auf ihn hinab. Kane funkelte die hoch gewachsene, schlanke Gestalt mit dem Raubvogelgesicht, dem schwarz gelockten Bart und den arroganten braunen Augen an.

»Ich bin Scheich Hassim ben Said«, sagte der Araber. »Wer bist du?«

»Mein Name ist Solomon Kane«, knurrte der Puritaner in der Sprache des Scheichs. »Ich bin Engländer, du heidnischer Schakal.«

Die dunklen Augen des Arabers flackerten interessiert.

»Suleiman Kahani«, sagte er und sprach damit den englischen Namen in seiner arabischen Form aus. »Ich habe von dir gehört – du hast gegen die Türken gekämpft, und die Korsaren der Piratenküste haben sich deinetwegen ihre Wunden geleckt.«

Kane würdigte ihn keiner Antwort.

Hassim zuckte die Achseln. »Du wirst einen guten Preis bringen«, sagte er. »Vielleicht bringe ich dich nach Stambul, wo es Schahs gibt, die sich einen solchen Mann unter ihren Sklaven wünschen. Und jetzt erinnere ich mich an einen gewissen Kemal Bey, einen Mann von den Schiffen, der im Gesicht eine tiefe Narbe von deiner Hand trägt und den Namen eines Engländers verflucht. Er wird mir einen hohen Preis für dich bezahlen. Und wisse, o Franke, ich erweise dir die Ehre, dir einen eigenen Wächter zuzuweisen. Du wirst nicht in der Jochkette gehen, sondern frei, mit Ausnahme deiner Hände.«

Kane gab keine Antwort. Auf ein Zeichen des Scheichs stellte man ihn auf die Füße und lockerte seine Fesseln, mit Ausnahme seiner Hände, die sie fest hinter seinem Rücken gebunden ließen. Man schlang ihm einen kräftigen Strick um den Hals, dessen anderes Ende ein hünenhafter Krieger in die Hand gedrückt bekam, der in der anderen Hand einen mächtigen Krummsäbel trug.

»Und was hältst du jetzt von der Gunst, die ich dir erweise, Franke?«, fragte der Scheich.

»Ich denke«, antwortete Kane mit tiefer, drohender Stimme bedächtig, »dass ich die Erlösung meiner Seele dafür tauschen würde, wenn ich dir und deinem Schwert allein und unbewaffnet gegenübertreten und mit bloßen Fingern dein Herz aus der Brust reißen könnte.«

Der konzentrierte Hass in seiner tiefen, hallenden Stimme war so groß und der Zorn, der unbesiegbar aus seinen Augen flammte, von so urtümlicher Leidenschaft, dass der furchtlose und kampferprobte Häuptling bleich wurde und unwillkürlich zurückschreckte, als stünde er einem tollwütigen Tier gegenüber.

Dann gewann Hassim die Fassung wieder und kehrte nach einem kurzen Wort an seine Gefolgsleute an die Spitze der Karawane zurück. Kane stellte dankbar fest, dass die Ruhepause, die der Kampf mit ihm erzwungen hatte, dem gestürzten Mädchen Gelegenheit gegeben hatte, sich auszuruhen und wieder Kräfte zu sammeln. Das Häutemesser hatte nicht Gelegenheit bekommen, mehr zu tun, als sie zu berühren; also konnte sie taumelnd mit der Karawane Schritt halten. Die Nacht war nicht mehr weit, bald würden die Sklavenhändler anhalten müssen, um ihr Lager aufzuschlagen.

Der Engländer schloss sich notgedrungen dem Treck an, sein Wächter blieb ein paar Schritte hinter ihm, den mächtigen Säbel in der Hand, bereit, jederzeit zuzuschlagen. Mit einem Anflug grimmiger Eitelkeit registrierte Kane, dass drei weitere Krieger dicht hinter ihm marschierten, die Musketen bereit und die Lunten brennend. Sie hatten eine Ahnung seiner Geschicklichkeit bekommen und riskierten nichts. Seine Waffen hatten sie aufgesammelt, und Hassim hatte sich sofort alle mit Ausnahme des katzenköpfigen Juju-Stabs angeeignet. Den hatte er verächtlich weggeworfen, worauf ihn einer der wilden Krieger an sich genommen hatte.

Jetzt bemerkte der Engländer, dass ein schlanker, graubärtiger Araber an seiner Seite ging. Dieser Araber schien mit ihm sprechen zu wollen, wirkte aber seltsam schüchtern, und eigenartigerweise schien seine Verängstigung dem Juju-Stab zu gelten, den er dem Krieger weggenommen hatte. Jetzt drehte er den Stab unsicher in den Händen.

»Ich bin Yussef der Hadschi«, sagte dieser Araber plötzlich. »Ich habe nichts gegen dich. Ich war nicht an dem Angriff auf dich beteiligt und wäre gern dein Freund, wenn du das erlauben würdest. Sag mir, Franke, woher stammt dieser Stab und wie kommt er in deine Hände?«

Kanes erste Regung war, den Mann in die Hölle zu wünschen, aber die Aufrichtigkeit, die im Wesen des alten Mannes zu spüren war, ließ ihn anders denken, und so antwortete er: »Mein Blutsbruder hat ihn mir gegeben – ein Magier von der Sklavenküste namens N’Longa.«

Der alte Araber nickte, murmelte etwas in seinen Bart und schickte dann einen Krieger nach vorn, um Hassim zu holen. Der hoch gewachsene Scheich kam gleich darauf neben der langsam dahinziehenden Sklavenkarawane nach hinten geschritten; seine Dolche und Säbel klirrten dabei aneinander, nachdem er sich Kanes Dolch und Pistolen in die breite Schärpe gesteckt hatte.

»Schau, Hassim.« Der alte Araber hielt ihm den Stab hin. »Du hast ihn weggeworfen, ohne zu wissen, was du tatest!«

»Und was hat es mit dem Stab auf sich?«, knurrte der Scheich. »Ich sehe nichts als einen Stab – mit einer scharfen Spitze am einen und dem Kopf einer Katze am anderen Ende – einen Stab mit seltsamen, ungläubigen Schnitzereien darauf.«

Der alte Mann schüttelte den Stab erregt vor dem Gesicht des Scheichs. »Dieser Stab ist älter als die Welt! Er birgt mächtigen Zauber! Ich habe in den alten in Eisen gebundenen Büchern davon gelesen, und der Prophet Mohammed selbst – Friede sei mit ihm! – hat in Allegorien und Parabeln von diesem Stab gesprochen! Siehst du den Katzenkopf auf dem Stab? Es ist der Kopf einer Göttin des alten Ägypten! Vor Jahrtausenden, lange ehe Mohammed lehrte, ehe Jerusalem gebaut wurde, trugen die Priester von Bast diesen Stock vor den gebeugt singenden Gläubigen einher! Mit ihm hat Musa schon vor Pharao Wunder gewirkt, und als die Jahudi aus Ägypten flohen, haben sie den Stab bei sich getragen. Dann war er jahrhundertelang das Zepter von Israel und Juda, und Suleiman ben Daoud hat mit ihm die Verschwörer und Magier vertrieben und die Ifrit und die bösen Dschinn eingekerkert! Schau doch! Und wir finden diesen alten Stab hier in den Händen eines anderen Suleiman!«

Der alte Yussef hatte sich selbst zu fanatischer Erregung aufgeputscht, aber Hassim zuckte bloß die Achseln.

»Er hat die Juden nicht vor der Gefangenschaft bewahrt und diesen Suleiman nicht davor, in unsere Gewalt zu geraten«, sagte er. »Mir ist er nicht so viel wert, wie ich die lange, dünne Klinge schätze, mit denen der Ungläubige die Seelen von drei meiner besten Schwertkämpfer ins Paradies geschickt hat.«

Yussef schüttelte den Kopf. »Dein Spott wird dir nichts Gutes einbringen, Hassim. Eines Tages wirst du auf eine Macht treffen, die sich nicht vor deinem Schwert teilt oder deinen Kugeln zum Opfer fällt. Ich werde den Stab behalten und ich warne dich – misshandle den Franken nicht. Er hat dir den heiligen und schrecklichen Stab von Suleiman und Musa und den Pharaonen gebracht, und wer weiß, welchen Zauber er aus ihm gezogen hat? Denn der Stab ist älter als die Welt und hat die schrecklichen Hände fremdartiger präadamitischer Priester in den stummen Städten unter den Meeren gekannt und aus einer Älteren Welt Geheimnisse und Zauber bewirkt, von denen die Menschheit nichts ahnt. Es gab ungewöhnliche Könige und Priester, als die Dämmerung noch jung war, und selbst in ihrer Zeit gab es das Böse. Mit diesem Stab haben sie das Böse bekämpft, das schon alt war, als ihre uns fremde Welt jung war. Das war vor so vielen Millionen Jahren, dass ein Mensch bei dem Versuch, sie zu zählen, schaudern würde.« Hassim reagierte ungeduldig und schritt davon, und der alte Yussef folgte ihm hartnäckig und redete weiter gereizt auf ihn ein. Kane zuckte die mächtigen Schultern. Mit dem, was er über die geheimen Kräfte jenes fremdartigen Stabs wusste, war ihm nicht danach, die Behauptungen des alten Mannes anzuzweifeln, so fantastisch sie auch scheinen mochten.

So viel wusste er – der Stock war aus einem Holz, das heutzutage auf der Erde nirgends mehr existierte. Als Beweis dafür, dass sein Material in einer anderen Welt gewachsen war, brauchte man ihn nur zu berühren oder anzusehen. Die erlesene Arbeit des Kopfes, der aus einem Zeitalter stammte, ehe es Pyramiden gab, die Hieroglyphen, Symbole einer Sprache, die schon vergessen war, als Rom noch jung war – sie alle, das fühlte Kane, hatte man in moderneren Zeiten hinzugefügt so wie man später in die Monolithen von Stonehenge englische Worte eingeritzt hatte.

Was den Katzenkopf anging – wenn Kane ihn ansah, hatte er manchmal das eigenartige Gefühl, es habe sich etwas geändert; eine undeutliche Wahrnehmung, dass der Knauf des Stabes einst in einem anderen Muster geschnitzt worden war. Der zu Staub gewordene antike Ägypter, der den Kopf von Bast gearbeitet hatte, hatte lediglich die ursprüngliche Figur verändert, und Kane hatte nie zu erraten versucht, was das für eine Figur gewesen war. Immer wenn er den Stab näher untersuchte, rief das in ihm eine beunruhigende, beinahe schwindelerregende Andeutung von Abgründen aus Äonen hervor und hielt ihn von weiteren Spekulationen ab.

Der Tag schleppte sich weiter. Die Sonne brannte unbarmherzig und verbarg sich dann hinter den großen Bäumen, als sie sich zum Horizont neigte. Die Sklaven litten entsetzlich unter Wassermangel, und während sie blindlings dahinschwankten, konnte man ständig ihr Wimmern hören. Einige stürzten, krochen auf allen Vieren und wurden von ihrem taumelnden Jochgefährten weitergezerrt. Als alle vor Erschöpfung zusammenzusinken drohten, ging die Sonne hinter dem Horizont unter, die Nacht brach herein und der Befehl zum Anhalten wurde gegeben. Ein Lager wurde errichtet, Wachen aufgestellt. Die Sklaven bekamen spärlich zu essen und erhielten gerade genug Wasser, um sie am Leben zu erhalten – aber nicht mehr. Ihre Fesseln wurden nicht gelockert, aber sie durften sich hinlegen, wo sie wollten. Da ihr Durst und ihr Hunger jetzt einigermaßen gestillt waren, ertrugen sie die Unbequemlichkeit ihrer Fesseln mit charakteristischem Gleichmut.

Kane erhielt zu essen, ohne dass man seine Handfesseln löste, und er bekam Wasser, so viel er wollte. Die geduldigen Augen der Sklaven sahen stumm zu, wie er trank, und er empfand bittere Scham darüber, dass er so reichlich bekam, wonach andere lechzten; und so hörte er auf zu trinken, ehe sein Durst ganz gestillt war. Die Sklaventreiber hatten für das Lager eine weite, von mächtigen Bäumen umgebene Lichtung ausgewählt. Nachdem die Araber gegessen hatten und die schwarzen Moslems noch mit dem Kochen ihrer Mahlzeit beschäftigt waren, kam der alte Yussef zu Kane und fing wieder an, von dem Stab zu reden. Kane beantwortete seine Fragen mit bewundernswürdiger Geduld, bedachte man, welchen Hass er für die ganze Rasse empfand, der der Hadschi angehörte. Während des Gesprächs trat Hassim zu ihnen und blickte verächtlich auf sie hinab. Hassim, so überlegte Kane, war geradezu ein Symbol des militanten Islam – mutig, rücksichtslos, materialistisch, furchtlos und seiner eigenen Bestimmung ebenso sicher und voller Verachtung für die Rechte anderer wie der mächtigste König im Westen. »Hältst du wieder lange Reden über diesen Stock?«, stichelte er. »Hadschi, du wirst auf deine alten Tage kindisch.« Yussefs Bart zitterte vor Zorn. Er schüttelte den Stab gegen seinen Scheich, als wolle er ihm drohen.

»Dein Spott ziemt deinem Rang wenig, Hassim«, herrschte er ihn an. »Wir sind hier im Herzen eines dunklen, von Dämonen heimgesuchten Landes, in das vor langer Zeit die Teufel aus Arabien verbannt wurden. Wenn dieser Stab, an dem jeder, der kein völliger Narr ist, erkennen kann, dass es kein Stock aus einer uns bekannten Welt ist, bis zum heutigen Tage existiert hat, wer weiß dann schon, welche anderen Dinge, mögen sie nun greifbar sein oder nicht, es in all den Äonen gegeben hat? Dieser Pfad, auf dem wir hier gehen – weißt du, wie alt der ist? Menschen haben ihn benutzt, schon ehe die Seldschuken aus dem Osten kamen oder die Römer aus dem Westen. Über diesen Pfad, so berichten die Legenden, kam der Große Suleiman, als er die Dämonen aus Asien westwärts vertrieb und sie in fremdartige Gefängnisse sperrte. Und du willst sagen …«

Ein wilder Schrei unterbrach ihn. Aus dem Schatten des Dschungels kam ein Krieger gerannt, als ob die Hunde des Verderbens hinter ihm her wären. Wild mit den Armen fuchtelnd, die Augen rollend, dass man das Weiße in ihnen sehen konnte, und den Mund weit aufgerissen, sodass seine weiß blitzenden Zähne zu sehen waren, gab er ein Bild furchtbaren Erschreckens, eines, das man nicht so bald vergessen würde. Die Schar der Moslems sprang auf, griff nach den Waffen, und Hassim stieß eine Verwünschung aus:

»Das ist Ali, den ich ausgeschickt habe, um nach Fleisch zu kundschaften – vielleicht hat ihn ein Löwe …«

Aber kein Löwe war hinter dem Mann her, der sich Hassim zu Füßen warf, Unverständliches plapperte und immer wieder nach hinten deutete, in den schwarzen Dschungel, sodass alle, die verängstigt das Geschehen beobachteten, damit rechneten, von dort würde jeden Augenblick Grauenerregendes über sie hereinbrechen. »Er sagt, er habe im Dschungel ein seltsames Mausoleum gefunden«, sagte Hassim mit finsterer Miene, »kann aber nicht sagen, was ihm solche Angst gemacht hat. Er weiß nur, dass ihn mächtiges Entsetzen überkam und ihn in die Flucht schlug. Ali, du bist ein Narr und ein Schurke.«

Er versetzte dem vor ihm kauernden Wilden einen kräftigen Tritt, aber die anderen Araber drängten sich verunsichert um ihn. Unter den eingeborenen Kriegern breitete sich Panik aus.

»Sie werden wegrennen, ganz gleich, was wir tun«, murmelte ein bärtiger Araber und blickte beunruhigt auf die eingeborenen Verbündeten, die erregt palavernd umherrannten und sich immer wieder angsterfüllt umsahen. »Hassim, es wäre besser, ein paar Meilen weiterzuziehen. Dies ist schließlich ein böser Ort, und wenn auch dieser Narr Ali wahrscheinlich Angst vor seinem eigenen Schatten bekam … sollten wir doch …«

»Doch«, spottete der Scheich, »doch, ihr werdet euch alle besser fühlen, wenn wir diesen Ort hinter uns gelassen haben. Meinetwegen; um eure Ängste zu beruhigen, werde ich das Lager verlegen – aber vorher will ich mir dieses Ding ansehen. Kettet die Sklaven zusammen, wir biegen in den Dschungel ab und sehen uns dieses Mausoleum an; vielleicht liegt dort ein großer König. Keiner wird Angst haben, wenn wir alle zusammen mit den Gewehren dorthin gehen.«

Und so wurden die müden Sklaven mit Peitschenhieben geweckt und stolperten von den Peitschen angetrieben weiter. Die Eingeborenen trotteten stumm und nervös dahin, beugten sich widerstrebend Hassims unerschütterlichem Willen, drängten sich aber dicht an die Araber. Der Mond war aufgegangen, riesig rot und mürrisch blickend, und tauchte den Dschungel in ein düsteres, silbernes Licht, das die brütenden Bäume als schwarze Schatten erscheinen ließ. Der zitternde Ali, von der Anwesenheit seines Meisters ein wenig beruhigt, wies den Weg. Und so zogen sie durch den Dschungel, bis sie zu einer seltsamen Lichtung zwischen den mächtigen Bäumen kamen – seltsam, weil dort nichts wuchs. Die Bäume standen in einem beunruhigend symmetrischen Ring um die Lichtung, und auf der Erde wuchs weder Flechte noch Moos, sodass es so aussah, als wäre der Boden von einer Krankheit befallen und zur Brache geworden. Und inmitten der Lichtung stand das Mausoleum.

Eine große, bedrückende Masse aus Stein war es, eine Aura des uralten Bösen lag darüber. Tot schien es, mit den Toten von hundert Jahrhunderten, und doch spürte Kane, dass die Luft um das Mausoleum herum wie vom langsamen, unmenschlichen Atem eines gigantischen, unsichtbaren Monstrums pulsierte.

Die eingeborenen Verbündeten der Araber zogen sich murmelnd zurück, die unheimliche Atmosphäre des Baus setzte ihnen zu; die Sklaven standen in einer geduldigen, stummen Gruppe unter den Bäumen. Die Araber gingen auf die düstere, schwarze Masse zu, und Yussef nahm Kanes Wächter das Seil weg und führte den Engländer wie eine übellaunige Dogge hinter sich her, gleichsam als Schutz vor dem Unbekannten.

»Ohne Zweifel liegt hier ein mächtiger Sultan«, sagte Hassim und tippte mit der Säbelscheide an den Stein.

»Woher stammen diese Steine?«, murmelte Yussef beunruhigt. »Sie wirken düster und unnahbar. Weshalb sollte ein großer Sultan so weit abseits von den Wohnstätten der Menschen bestattet sein? Wenn es hier Ruinen einer alten Stadt gäbe, wäre das anders …«

Er beugte sich vor und untersuchte die schwere Metalltür mit ihrem riesigen, seltsam verschmolzen wirkenden Schloss. Als er die in die Tür eingegrabenen antiken hebräischen Schriftzeichen erkannte, schüttelte er Unheil ahnend den Kopf.

»Ich kann sie nicht lesen«, stieß er mit bebender Stimme hervor, »und ich denke, es ist gut für mich, dass ich das nicht kann. Was alte Könige versiegelt haben, sollen Menschen nicht stören. Hassim, lass uns weiterziehen. Dieser Ort ist für die Söhne der Menschen mit Bösem geschwängert.«

Aber Hassim achtete nicht auf seine Warnung. »Der hier liegt, ist kein Sohn des Islam«, sagte er. »Weshalb sollten wir ihn nicht der Juwelen und der Reichtümer berauben, die man ihm ohne Zweifel ins Grab gelegt hat? Lass uns diese Tür aufbrechen.«

Einige der Araber schüttelten von Zweifel geplagt den Kopf, aber Hassims Wort war Gesetz. Er rief einen hünenhaften Krieger zu sich, der einen schweren Hammer trug, und befahl ihm, die Tür gewaltsam zu öffnen.

Als der Mann seinen Hammer schwang, stieß Kane einen scharfen, warnenden Ruf aus. War der Scheich wahnsinnig? Das offenkundige Alter dieser düsteren Masse aus Steinblöcken war ein Beweis dafür, dass das Grabmal seit Jahrtausenden ungestört hier gestanden hatte. Und dennoch hätte er schwören können, dass er aus dem Inneren des Baus Schritte gehört hatte! Sie stampften hin und zurück, als würde in der Enge jenes düsteren Gefängnisses etwas in endloser Monotonie auf und ab gehen.

Eine kalte Hand berührte Solomon Kanes Rückgrat. Er wusste nicht, ob die Geräusche an sein bewusstes Ohr drangen oder an unbekannte Tiefen seiner Seele rührten, doch er wusste, dass das Echo der trampelnden monströsen Füße in jenem unheimlichen Mausoleum von irgendwo aus seinem Bewusstsein kam.

»Halt!«, rief er aus. »Hassim, ich mag verrückt sein, aber ich höre den Schritt eines Unholds aus jenem Steinhaufen.« Hassim hob die Hand und hielt damit den über der Tür schwebenden Hammer auf. Er lauschte angespannt, und auch die anderen spitzten ihre Ohren in plötzlich verkrampfter Stille.

»Ich höre nichts«, knurrte der bärtige Riese.

»Ich auch nicht«, hallte es schnell aus vielen Mündern. »Der Franke ist verrückt!«

»Hörst du etwas, Yussef?«, fragte Hassim sardonisch.

Der alte Hadschi trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Seine Züge wirkten beunruhigt.

»Nein, Hassim, noch nicht …«

Kane entschied, dass er verrückt sein musste. Und doch wusste er tief in seinem Herzen, dass er nie bei klarerem Verstand gewesen war. Und zugleich wusste er, dass diese okkulte Schärfe seiner tieferen Sinne, die ihn von den Arabern unterschied, aus seiner langen Verbindung mit dem Juju-Stab herrührte, den der alte Yussef jetzt in seinen zitternden Händen hielt.

Hassim lachte schroff und gab dem Krieger ein Zeichen. Der Hammer sauste mit einem Krachen herunter, das betäubend und auf befremdliche Art verändert aus dem schwarzen Dschungel widerhallte. Wieder und wieder sauste der Hammer herab, getrieben von der ganzen Kraft gewaltiger Muskelstränge und eines mächtigen Körpers. Zwischen den Schlägen hörte Kane immer noch jene schweren Schritte, und er, der nie Furcht gekannt hatte, so wie Menschen sie kennen, spürte, wie die kalte Hand des Schreckens sich um sein Herz krallte. Diese Furcht war etwas völlig anderes als irdische oder sterbliche Furcht, so wie das Geräusch der Schritte anders als der Schritt von Sterblichen war. Kanes Grausen war wie ein kalter Wind, der aus den äußeren Bereichen unerahnter Dunkelheit über ihn wehte und den bösen Hauch des Verfalls einer Epoche trug, deren Leben zu Ende war, einer unsagbar antiken Periode. Kane war sich nicht sicher, ob er jene Schritte hörte oder sie vermittels eines schwachen Instinkts fühlte. Aber dass sie Wirklichkeit waren, stand für ihn fest. Das war nicht das Trampeln eines Menschen oder eines Tiers, nein, im Inneren jenes schwarzen, schrecklich alten Mausoleums bewegte sich ein namenloses Wesen mit den Schritten eines Elefanten, die die Seele erschütterten.

Der hünenhafte Krieger keuchte unter der Schwere seiner Aufgabe. Dann zersprang das alte Schloss endlich unter seinen mächtigen Hieben, die Angeln platzten und die Tür barst nach innen. Und Yussef stieß einen Schrei aus.

Aus dem schwarz gähnenden Eingang sprang keine Bestie mit Tigerfängen, auch kein Dämon aus Fleisch und Blut. Dafür strömte ein furchterregender Gestank in fast mit den Händen zu greifenden Wellen hervor, brauste in einem mächtigen, die Sinne betäubenden Schwall heraus, als würde Blut aus der zerfetzten Tür strömen, und namenloses Entsetzen überkam sie. Der Schwall hüllte Hassim ein, und der furchtlose Häuptling, der vergebens auf den nicht zu greifenden Erguss einschlug, schrie in plötzlicher ungewohnter Angst auf, als sein heruntersausender Säbel nur durch etwas glitt, was nachgiebig und unverletzbar wie Luft war, und er plötzlich spürte, wie ihn Windungen des Todes und der Vernichtung umschlangen.

Yussef kreischte auf wie eine verlorene Seele, ließ den Juju-Stab fallen und drängte sich zu seinen Kameraden, die in wilder Flucht in den Dschungel rannten, hinter ihren heulenden und schreienden Verbündeten her. Nur die Sklaven flohen nicht, sondern standen an ihr Verderben gefesselt und schrien ihr Grauen hinaus. Wie in einem Albtraum des Deliriums sah Kane, wie Hassim, eingehüllt von einem gigantischen, pulsierenden, roten Ding, das weder Form noch irdische Substanz hatte, wie ein Schilfrohr im Wind schwankte. Als das Knacken zersplitternder Knochen an sein Ohr drang und der Körper des Scheichs sich wie ein Strohhalm unter einem stampfenden Huf krümmte, zerriss der Engländer mit titanischer Anstrengung seine Fesseln und griff sich den Juju-Stab.

Hassim lag auf dem Boden, zerdrückt und tot, lag mit zerschmetterten Gliedern da wie ein zerbrochenes Spielzeug, und das rote, pulsierende Ding waberte auf Kane zu, wie eine dicke Wolke aus Blut, die ständig Form und Gestalt veränderte und dennoch taumelnd wie auf monströsen Beinen dahinschritt!

Kane spürte kalte Finger der Angst nach seinem Gehirn greifen, aber er stemmte sich dagegen, hob den uralten Stab und stieß ihn mit ganzer Kraft mitten in das Horrorgebilde hinein. Er spürte, wie der Stab auf eine unsagbare, immaterielle Substanz traf, die vor ihm zurückwich. Dann wurde er von dem betäubenden Schwall entsetzlichen Gestanks fast erstickt, der alles um ihn herum überflutete, und irgendwo in den Tiefen seiner Seele vernahm er das unerträgliche Echo einer widerwärtigen, formlosen Kakofonie, von der er wusste, dass es der Todesschrei des Monstrums war. Denn jetzt lag es sterbend zu seinen Füßen, und sein Rot verblasste in trägen Wellen, so wie sich eine rote Brandung langsam von einer widerwärtigen Küste zurückzieht. Und während es verblasste, verhallte auch der tonlose Schrei in kosmische Fernen wie in Sphären jenseits menschlicher Begriffe.

Kane blickte benommen und ungläubig auf die form- und farblose und beinahe unsichtbare Masse zu seinen Füßen und wusste, dass es die Leiche des Ungeheuers war, das ein einziger Schlag mit dem Stab Solomons in die schwarzen Abgründe zurückgetrieben hatte, aus denen es gekommen war. Ja, wahrhaftig, Kane wusste, dass eben dieser Stab in der Hand eines mächtigen Königs und Magiers das Monstrum vor Äonen in jenes geheimnisvolle Gefängnis getrieben hatte, auf dass es dort verweile, bis unwissende Hände es erneut über die Welt kommen ließen.

Die alten Geschichten waren also wahr, und König Solomon hatte wahrhaftig die Dämonen nach Westen getrieben und sie an fremden Orten eingeschlossen. Weshalb hatte er sie leben lassen? War menschlicher Zauber in jenen fernen Tagen zu schwach gewesen, um mehr zu bewirken, als die Teufel nur zu bezwingen? Kane zuckte staunend die Achseln. Er wusste nichts von Magie, und doch hatte er erschlagen, wo jener andere Solomon nur gefangen gesetzt hatte.

Und Solomon Kane schauderte, denn er hatte auf Leben geblickt, das nicht Leben war, wie er es kannte, und hatte Tod gebracht und war Zeuge des Todes geworden. Und doch war das ein Tod, nicht wie er ihn kannte. Wieder überkam ihn die Erkenntnis, wie sie ihn in den verstaubten Hallen des Atlantischen Negari überkommen war, in den abscheulichen Hügeln der Toten, in Akaana – die Erkenntnis, dass das menschliche Leben nur eine von Myriaden Formen des Daseins war, dass es Welten innerhalb anderer Welten gab und mehr als nur eine Ebene der Existenz. Und der Planet, den die Menschen Erde nennen, kreiste weiter durch die ungezählten Äonen, das erkannte Kane, und während er kreiste, brachte er Leben hervor und lebende Dinge, die sich so wie die Maden wanden, die aus der Fäulnis hervorkommen. Jetzt war der Mensch die herrschende Made; weshalb sollte er in seinem Stolz annehmen, dass er und die, die um ihn waren, die ersten Maden gewesen waren – oder die letzten – um über einen Planeten zu herrschen, auf dem es von ungeahnten Lebensformen wimmelte. Er schüttelte den Kopf und blickte mit neuem Staunen auf das uralte Geschenk N’Longas, sah in ihm endlich nicht bloß ein Werkzeug der Schwarzen Magie, sondern ein Schwert des Guten und des Lichts, für den ewigen Kampf gegen die Mächte des unmenschlichen Bösen. Eine wundersame Verehrung für den Stab ließ ihn plötzlich erzittern, eine Verehrung, die beinahe Furcht war. Dann beugte er sich zu dem Ding zu seinen Füßen hinab, spürte erschaudernd, wie seine seltsame Masse durch seine Finger glitt wie schwere Nebelschwaden. Er schob den Stab darunter und schaffte es irgendwie, die Masse anzuheben, sie wieder in das Mausoleum hineinzuschieben und hinter ihr die Tür zu schließen.

Dann stand er da und blickte auf die absonderlich verstümmelte Leiche Hassims hinab, bemerkte jetzt, dass sie mit grässlichem Schleim beschmiert war und bereits angefangen hatte, sich aufzulösen. Wieder schauderte er, und plötzlich riss ihn eine leise, furchtsame Stimme aus seinen düsteren Gedanken. Die Gefangenen knieten unter den Bäumen und blickten mit großen, geduldigen Augen zu ihm herüber. Mit einem Ruck schüttelte er die seltsame Stimmung ab, die ihn erfasst hatte. Er nahm der verrottenden Leiche ihre Pistolen, den Dolch und den Degen ab und beeilte sich, sie abzuwischen, weil die übelriechende Masse bereits anfing, Rostflecken darauf zu erzeugen. Dann nahm er sich Pulver und Blei, das die Araber in ihrer hektischen Flucht fallen gelassen hatten. Er wusste, sie würden nicht zurückkehren. Möglicherweise starben sie auf ihrer Flucht oder sie schafften die endlosen Meilen durch den Dschungel bis zur Küste, aber dem Schrecken jener grauenhaften Lichtung würden sie sich nicht mehr stellen.

Kane trat zu den bedauernswerten Sklaven und befreite sie mit einiger Mühe von ihren Fesseln. »Nehmt diese Waffen, die die Krieger in ihrer Eile zurückgelassen haben«, sagte er, »und geht nach Hause. Dies hier ist ein böser Ort. Kehrt zurück zu euren Dörfern, und wenn wieder Araber kommen, dann sterbt lieber in den Ruinen eurer Hütten, als euch versklaven zu lassen.«

Sie wollten niederknien und seine Füße küssen, aber in seiner Verwirrung verbot er ihnen das schroff. Als sie dann Anstalten machten zu gehen, sagte einer zu ihm: »Herr, was wird aus Euch? Wollt Ihr nicht mit uns zurückkehren? Ihr sollt unser König sein!«

Aber Kane schüttelte den Kopf.

»Ich gehe ostwärts«, sagte er. Und so beugten die Eingeborenen ihr Haupt vor ihm und wandten sich zur Rückkehr auf den langen Pfad in ihre eigene Heimat. Kane schulterte den Stab, der einstmals der Stab der Pharaonen, des Moses und des Solomon und lange davor namenloser atlantischer Könige gewesen war, und wandte den Blick gen Osten, hielt nur für einen kurzen Blick zurück auf das große Mausoleum inne, das jener andere Solomon vor so langer Zeit mit fremdartigen Künsten gebaut hatte und das jetzt dunkel und für immer stumm unter dem Sternenzelt in die Höhe ragte.