Der Fluch des goldenen Schädels

Rotath von Lemuria lag im Sterben. Das Blut aus der tiefen Wunde unter seinem Herzen, die ihm ein Schwerthieb zugefügt hatte, hatte aufgehört zu fließen, aber der Puls in seinen Schläfen hämmerte wie Kesselpauken.

Rotath lag auf einem Marmorboden. Rings um ihn ragten Granitsäulen auf, und ein silbernes Götterbild starrte mit Augen aus Rubin auf den Mann zu seinen Füßen. Die Sockel der Säulen trugen Schnitzereien mit seltsamen Ungeheuern. Über dem Schrein war ein vages Flüstern zu hören. Die Bäume, die den Schrein säumten und ihn vor den Blicken Neugieriger verbargen, breiteten ihre langen, vom Wind bewegten Äste darüber, an denen fremdartige Blätter leise raschelten. Von Zeit zu Zeit warfen große schwarze Rosen ihre dunklen Blütenblätter ab.

Rotath lag im Sterben und nutzte seinen schwindenden Atem, um die zu verwünschen, die ihn getötet hatten – den treulosen König, der ihn verriet, jenen Barbarenhäuptling, Kull von Atlantis, der ihm den Todesstoß versetzt hatte.

Ein Akolyth der namenlosen Götter, der jetzt in einem unbekannten Schrein auf dem von Laubwald bedeckten Gipfel von Lemurias höchstem Berg im Sterben lag – in Rotaths unheimlichen, unmenschlichen Augen glühte schreckliches, kaltes Feuer. Ein Festzug des Ruhmes zog glanzvoll vor seinem geistigen Auge vorbei. Der Beifall derer, die ihn verehrten und anbeteten, der brausende Klang silberner Trompeten, die flüsternden Schatten mächtiger, mystischer Tempel, wo riesige Schwingen unsichtbar schlugen – und dann die Intrigen, der Ansturm der Invasoren – Tod!

Rotath verfluchte den König von Lemuria – den König, den er die uralten schrecklichen Mysterien und lang vergessenen Abscheulichkeiten gelehrt hatte. Er war ein Narr gewesen, seine Kräfte einem Weichling zu offenbaren, der sich bei ausländischen Königen Hilfe suchte, als er gelernt hatte, ihn zu fürchten.

Wie seltsam schien es doch, dass er, Rotath vom Mondstein und dem Asphodel, Hexer und Zauberer, auf dem Marmorboden seinen Atem aushauchen sollte, ein Opfer der körperlichsten aller Gefahren – einem scharfen, spitzen Schwert in einer sehnigen Hand.

Rotath verfluchte die Grenzen des Fleisches. Er spürte, wie sein Gehirn zerfiel, und er verfluchte alle Menschen aller Welten. Er verfluchte sie bei Hotath und Helgor, bei Ra und Ka und bei Valka.

Alle Menschen verfluchte er, die Lebenden wie die Toten, und all die ungeborenen Generationen einer Million künftiger Jahrhunderte. Und er rief Vramma und Jaggta-noga und Kamma und Kulthas an und verfluchte die Menschheit im Namen der Schwarzen Götter, der Spuren der Schlangenhaften, der Klauen der Affenlords und der in Eisen gebundenen Bücher von Shuma Gorath.

Güte und Tugend und Licht verfluchte er und sprach die Namen von Göttern aus, die selbst die Priester von Lemuria vergessen hatten. Er beschwor die gewaltigen dunklen Schatten der älteren Welten und jener schwarzen Sonnen, die auf alle Zeit hinter den Sternen lauern.

Er spürte, wie die Schatten sich um ihn scharten. Er schwand schnell dahin. Und er spürte, wie sich die tigerkralligen Teufel, die auf sein Kommen warteten, in einem immer enger werdenden Ring sammelten. Er sah ihre Leiber aus massiver Jade, sah die großen, roten Höhlen ihrer Augen. Dahinter schwebten die weißen Schatten jener, die unter entsetzlichen Qualen auf seinen Altären gestorben waren. Wie Nebel im Mondlicht schwebten sie, und ihre großen, leuchtenden Augen starrten ihn in trauriger Anklage an, eine endlose Heerschar.

Rotath fürchtete, und in seiner Furcht wurden seine Verwünschungen lauter, seine Lästerworte schrecklicher. In einer letzten, wilden, leidenschaftlichen Aufwallung von Wut belegte er seine eigenen Gebeine mit einem Fluch, auf dass sie den Söhnen der Menschen Tod und Schrecken bringen sollten. Aber noch während er die Verwünschung ausstieß, wusste er, dass Jahre, ja ganze Zeitalter, verstreichen und seine Gebeine in jenem vergessenen Schrein zu Staub zerfallen würden, ehe der Fuß irgendeines Menschen sein Schweigen störte. Also sammelte er seine schnell schwindenden Kräfte für eine letzte Beschwörung der toten Geschöpfe, denen er gedient hatte, sammelte sie für ein letztes Zauberwerk. Er stieß eine Formel aus, die das Blut gefrieren ließ, nannte einen schrecklichen Namen.

Und schon bald spürte er, wie sich mächtige elementare Kräfte in Bewegung setzten, spürte, wie seine Knochen hart und brüchig wurden. Eine Kälte, die weit über irdische Kälte hinausging, überkam ihn und er lag reglos da. Die Blätter flüsterten, und der silberne Gott lachte mit kalten Juwelenaugen.

SMARAGDENES ZWISCHENSPIEL

Jahre dehnten sich zu Jahrhunderten und aus Jahrhunderten wurden Äonen. Die grünen Meere stiegen höher und schrieben ein episches Gedicht in Smaragd, dessen Rhythmus schrecklich war. Throne stürzten, und die silbernen Trompeten verstummten für alle Zeit. Die Rassen der Menschen vergingen, so wie Rauch aus der Brust des Sommers entschwebt. Tosende, jadegrüne Seen überfluteten die Lande, und alle Berge sanken, selbst die höchsten Berge Lemurias.

ORCHIDEEN DES TODES

Ein Mann schob die herunterhängenden Lianen beiseite und sein Blick wurde starr. Ein dichter Bart verhüllte sein Gesicht wie eine Maske, an seinen Stiefeln klebte Morast. Rings um ihn und über ihm hing atemlos und exotisch brütend der dichte Tropendschungel. Um ihn flammten und atmeten Orchideen.

Staunen stand in seinen geweiteten Augen. Sein Blick fiel zwischen zertrümmerten Granitsäulen auf einen zerbröckelnden Marmorboden. Lianen wanden sich, dick wie grüne Schlangen, zwischen diesen Säulen über den Boden. Ein seltsames Idol, längst von seinem zerbrochenen Sockel gefallen, lag auf dem Boden und starrte aus roten unbewegten Augen nach oben. Der Mann wusste, worum es sich bei dem zerrissenen Ding handelte, und ein Schauder überlief ihn. Ungläubig wanderte sein Blick erneut zu dem anderen Ding, das auf dem Marmorboden lag, und er zuckte die Achseln.

Er betrat den Schrein und betrachtete die in Stein gemeißelten Figuren an den Sockeln der Säulen, staunte über ihr unheiliges, unbeschreibliches Aussehen. Über allem hing wie schwerer Nebel der Duft der Orchideen.

Diese kleine überwucherte, sumpfige Insel war einst der Gipfel eines mächtigen Berges gewesen, sinnierte der Mann und fragte sich, was für fremde Geschöpfe dieses Heiligtum errichtet hatten – und jenes monströse Ding vor dem Kultbild, das vom Sockel gestürzt war, liegen gelassen hatten. Er dachte an den Ruhm, den seine Entdeckungen ihm eintragen sollten – an den Beifall mächtiger Universitäten und einflussreicher wissenschaftlicher Gesellschaften.

Er beugte sich über das Skelett auf dem Boden, registrierte dabei die unmenschlich langen Fingerknochen, die eigenartige Ausbildung der Füße, die tiefen Augenhöhlen, Kavernen gleich, den vorspringenden Stirnknochen und ganz allgemein das Aussehen des mächtigen, kuppelförmigen Schädels, der sich auf so schreckliche Weise von der Menschheit, wie er sie kannte, unterschied.

Welcher seit Urzeiten tote Künstler hatte das Ding mit so unglaublichem Geschick geformt? Er beugte sich näher, registrierte Pfanne und Sockel der Gelenke, die leichten Vertiefungen auf glatten Flächen, wo einst Muskeln befestigt waren. Und dann durchzuckte ihn eine verblüffende Erkenntnis.

Dies war nicht das Werk menschlicher Kunst – jenes Skelett war einst in Fleisch gehüllt gewesen, hatte sich bewegt, hatte gesprochen und gelebt. Und das war unmöglich, sagte ihm sein ins Taumeln geratener Verstand, waren die Knochen doch aus massivem Gold.

Die Orchideen nickten in den Schatten der Bäume. Der Schrein lag in purpurschwarzem Schatten. Der Mann stand brütend über die Gebeine gebeugt und staunte. Was konnte er von der Zauberkunst einer älteren Welt ahnen, die groß genug war, um ewigem Hass zu dienen, indem sie jenem Hass konkrete Substanz verlieh, Substanz, die auf ewige Zeiten der zerstörenden Kraft der Zeitläufte widerstand?

Der Mann legte die Hand auf den goldenen Schädel. Ein plötzlicher Todesschrei zerriss die Stille. Der Mann im Schrein taumelte zurück, schrie, tat einen einzigen unsicheren Schritt und fiel dann vornüber und lag mit zuckenden Gliedern auf dem von Lianen überwucherten Marmorboden.

Die Orchideen rieselten in sinnlichem Regen auf ihn herab, und seine blinden, tastenden Hände zerrissen sie in bizarre Fetzen, während er starb. Stille senkte sich, und aus dem goldenen Schädel kroch träge eine Viper.