Kelly, der Zaubermann

There are strange tales told when the full moon shines

Of voodoo nights when the ghost-things ran –

But the strangest figure among the pines

Was Kelly the conjure-man.

Seltsame Geschichten erzählt man in den Vollmondnächten

Von Voodoonächten, von Gespenstertreiben –

Doch die seltsamste Gestalt zwischen den Fichten

War Kelly, der Zaubermann.

Etwa fünfundsiebzig Meilen im Nordosten des großen Smackover-Ölfelds von Arkansas liegt ein dicht bewaldeter, an Folklore und Tradition reicher Landstrich mit Fichtenwäldern und Flüssen. Anfang der 1850er-Jahre kam eine robuste Sorte schottisch-irischer Pioniere hierher, drängte die Grenze weiter nach Westen und schuf sich mit harter Arbeit ein Zuhause in der unzugänglichen Wildnis.

Unter den vielen farbigen Gestalten jener frühen Tage ragt deutlich eine heraus und zeichnet sich dennoch nur schwach vor dem Hintergrund einer düsteren und schrecklichen Legende ab – die finstere Gestalt von Kelly, dem Schwarzen Zauberer.

Kelly wurde als Sklave und als Sohn eines Juju-Mannes aus dem Kongo geboren, so flüstert die Legende und berichtet von unheimlichen Kräften, mit denen er in den düstersten Fichtenwäldern von Ouachita gewirkt hat. Niemand weiß genau, woher er kam; er tauchte kurz nach dem Bürgerkrieg im Land auf, und sein Kommen ist ebenso von Geheimnissen umwittert wie all seine Taten.

Kelly hat wenig mit seinen Händen gearbeitet und sich auch nicht sehr unter seinesgleichen gemischt. Sie kamen zu ihm; nie er zu ihnen. Seine Hütte stand am Ufer des Tulip Creek, einem dunklen, schlangenähnlichen Strom, der sich unter den tiefen, überhängenden Schatten der Fichten dahinwindet. Dort lebte Kelly für sich in dunkler und stummer Majestät.

Eine beeindruckende, barbarische Männergestalt war er, etwa einen Meter achtzig groß, mit mächtigen Schultern und geschmeidig wie ein großer schwarzer Panther. Er trug stets ein leuchtend rotes Flanellhemd, und große goldene Ringe in Ohren und Nase steigerten das bizarre, fantastische Bild seiner Erscheinung. Weder den weißen noch den schwarzen Männern hatte er viel zu sagen. Stumm wie ein ungekrönter König des schwarzen Afrika schritt er über die Straßen, wie ein unergründlicher dunkler Zauberer ragte er zwischen den Fichtenwäldern auf. Seine düster in die Weite blickenden Augen lagen tief, seine Haut war schwarz wie die tropische Nacht. Die Aura des Dschungels umgab ihn, und die Menschen fürchteten ihn, vielleicht weil sie etwas Finsteres, Böses an seiner Person verspürten, etwas Abgründiges, das in den schwarzen Wassern seiner Seele lauerte und durch seine trüben Augen spähte.

In seiner Umgebung war er ein Fremdkörper, er gehörte in eine andere Zeit – ein anderes Land – eine andere Kulisse. Er gehörte in die gespenstischen Schatten einer Fetischhütte, schlummernd im Afrika einer fernen Vergangenheit.

Kelly, den »Zaubermann«, nannten sie ihn, und die Schwarzen kamen mit mysteriösen Anliegen zu seiner Hütte am einsamen Tulip Creek. Verstohlen schlichen sie wie Schatten durch die düstere Schwärze der Wälder, und kein weißer Mann erfuhr je, was in jener dunklen Hütte vor sich ging.

Kelly bekannte sich dazu, mit Amuletten zu handeln und Menschen, auf denen ein Fluch lag, von diesem befreien zu können. Das Schwarze Volk kam zu ihm, damit er Flüche von ihren Seelen nahm, wenn ihre Feinde sie mit solchen belegt hatten. Und er war auch ein Heiler – zumindest behauptete er, dass er das Schwarze Volk von seinen Krankheiten heilen könne. Unter den Weißen an jenem Ort war die Tuberkulose selten, aber die Neger waren ihren Verwüstungen ausgesetzt, und Kelly behauptete, die Opfer heilen zu können. Seine Methoden waren einmalig; er verbrannte Schlangenknochen zu Pulver und siebte dieses Pulver dann in Einschnitte, die er mithilfe einer aus einem alten Rasiermesser gemachten Lanzette am Arm des Opfers vorgenommen hatte. Ob jemals jemand durch diese Methoden geheilt wurde, ist zweifelhaft. Tatsächlich gibt es Grund zur Annahme, dass die Ergebnisse das Gegenteil bewirkten.

Vielleicht glaubte Kelly selbst nicht, die Tuberkulose auf diese Weise bekämpfen zu können; vielleicht war das nur ein Trick, um das Opfer in seine Macht zu bekommen. Dies ist nur eine Annahme, aber primitive Menschen haben seltsame Methoden, um ihresgleichen in ihren Bann zu ziehen. Bei manchen Stämmen braucht man bloß eine Haarlocke, einen Fingernagel, einen Blutstropfen zu beschaffen und gewisse Zauberformeln darüber zu sprechen und bestimmte Rituale durchzuführen. Dann ist im Geiste dessen, der die Zauberformel ausspricht, und ebenso des Opfers Letzteres völlig unter Kontrolle. Und dann gibt es da jenen Zauber, aus Ton eine Figur des zum Opfer Ausersehenen zu formen. Wenn man mit Nadeln in eine solche Figur sticht, bewirkt dies, dass deren menschliches Modell auf qualvolle Weise stirbt; legt man die Tonfigur in einen Fluss, so verkümmert das menschliche Opfer und löst sich langsam auf, so wie das Wasser die Tonfigur auflöst. Im Bewusstsein der Voodoo-Gläubigen sind all diese Dinge lautere und feierliche Wahrheit.

Doch wie dem auch sei, Kelly begann bald, ungewöhnliche Macht über die Schwarzen jener Region auszuüben. Aus einem »Abwender von Flüchen« wurde, so scheint es, jemand, der selbst Menschen mit Flüchen belegt. Neger begannen in heftigen Wahnsinn zu verfallen, und das Gerücht legte ihr zwanghaftes Verhalten Kelly zur Last. Ob die Ursache ihres Wahnsinns physikalischer oder mentaler Natur war, war nicht bekannt, aber offenkundig hatte etwas Unheimliches Macht über ihren Geist gewonnen. Der schreckliche Glaube bedrückte sie, ihr Magen sei voll lebender Schlangen, die der Fluch eines Zaubermannes geschaffen hatte. Und immer wenn dieser namenlose Zauber erwähnt wurde, fiel der Verdacht stets auf Kelly. Ob es Hypnose, eine obskure Krankheit oder eine den Wahnsinn erzeugende Droge oder nur die Wirkung schierer Angst war; kein weißer Mann wusste es, aber die Opfer waren unwiderlegbar wahnsinnig.

In jeder Gemeinschaft von Weißen und Schwarzen, zumindest im Süden, fließt stetig ein tiefer, dunkler Strom, für die Weißen nicht sichtbar, die seine Existenz nur wie im Nebel wahrnehmen. Ein dunkler Fluss der Gedanken Farbiger, ihrer Taten, Ambitionen und Wünsche, der ungesehen durch den Dschungel strömt. Kein weißer Mann wusste jemals, weshalb Kelly – wenn es Kelly war – schwarze Männer und schwarze Frauen in den Wahnsinn trieb. Kein weißer Mann wusste jemals, worin das Geheimnis seiner düsteren Gewalt bestand und worauf seine finsteren Ambitionen abzielten.

Kelly sprach sicherlich niemals von ihnen, er ging seiner Wege, stumm, brütend, auf dunkle Weise majestätisch, und in seinen umschatteten Augen wuchs jenes satanische Etwas, bis er den Anschein erweckte, als würde er auch weiße Menschen ansehen, als wären auch sie blinde, jammernde Puppen, die er in seiner schwarzen Hand hielt.

Dann, Ende der Siebzigerjahre war es, verschwand Kelly. Das ist wörtlich zu nehmen. Seine Hütte am Tulip Creek stand leer, die Tür hing offen in ihren hölzernen Angeln, und man sah ihn nicht mehr wie ein dunkles Gespenst durch die Fichtenwälder schreiten. Die Farbigen wussten es vielleicht, aber sie sprachen nie darüber. Er war im Geheimen gekommen, im Geheimen lebte er und im Geheimen ging er, und niemand wusste, auf welcher Straße er gegangen war. Wenigstens gab niemand je zu, dass er es wusste. Vielleicht wussten es die düsteren Wasser. Vielleicht hatten Kellys Opfer sich endlich gegen ihn gewandt. Mag sein, dass jene einsame Hütte in den schwarzen Schatten der klagenden Fichten ein düsteres Mitternachtsgeheimnis kannte. Oder vielleicht hatten die dunklen Wasser des Tulip Creek eine Gestalt aufgenommen, die feucht aufklatschte und stumm versank.

Vielleicht war der Zaubermann aber auch nur aus Gründen, die ganz die seinen waren, nachts seiner geheimnisvollen Wege gegangen und betrieb jetzt an irgendeinem anderen Fluss seine fantastischen Geschäfte. Niemand weiß es. Ein Geheimnis hängt wie eine Wolke über seinem Kommen und Gehen, undurchdringlich wie die Nacht in den Fichtenwäldern, so dunkel, dass es auf dieser Seite des Vergessens keine schwärzere Dunkelheit gibt.

Aber sein Schatten spukt noch heute über den langen, düsteren Ufern. Und wenn der Wind durch die nachtfarbenen Fichten unter dem Sternenhimmel heult, dann werden einem die alten Schwarzen sagen, dass dies der Geist des Zaubermannes ist, der in den schwarzen Schatten der Fichten zu den Toten flüstert.