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Es wurde diesiger und die Luft dicker und schwefelhaltiger, als das Motorrad die Rollbahn erreichte. Das Flugzeug stand genau am anderen Ende, und Alex strengte sich an, um zu erkennen können, um welches Model es sich genau handelte, während er den letzten Rest Geschwindigkeit aus der Maschine kitzelte. Das musste er tun, weil der T-Rex für ein so großes Tier verblüffend schnell rannte; seine Hinterläufe machten eilige Schritte wie ein Vogel, während er den Kopf überraschend stillhielt.
Andererseits war die übergroße Echse vielleicht rasch zu Fuß, hatte aber keine Chance gegen die Honda, und zu dem Zeitpunkt, als Alex die Hälfte des Wegs über die Bahn zum Flieger gefahren war, nahm er zufrieden zur Kenntnis, dass der Saurier immer weiter zurücklag. Vielleicht konnte er ja, ähnlich wie ein Gepard, nur über eine kurze Distanz sprinten, oder sein Gefolge aus Zombie-Parasiten belastete ihn beziehungsweise richtete zu großen Schaden an. Was auch immer der Fall war: Alex freute sich über die Tatsache, dass er ein wenig mehr Zeit hatte, um das Flugzeug zu starten, ohne dass ihm der Dinosaurier im Nacken saß – oder die einzige Chance zur Flucht von der Insel darin bestand, ihn anzugreifen und zu töten.
Auf einmal beanspruchte aber etwas Dramatischeres die Aufmerksamkeit der beiden Flüchtigen.
»Alex, schauen Sie!« Veronica zeigte nach hinten, allerdings nicht auf den Saurier, der seine Beine immer noch strapazierte, um ihnen zu folgen.
Denn der Krater des Vulkans sprudelte nun orangefarben. Sie hörten ein tiefes Grollen, bevor plötzlich ohne jede Vorwarnung explosionsartig eine rot-orange Fontäne Magma aus der Mitte in die Höhe stob.
»Na bitte«, bemerkte Veronica zufrieden. »Eruption!«
»Die Notbremse«, fügte Alex mit einiger Genugtuung hinzu, während er zum Flieger hin beschleunigte. Ihm sollte es recht sein, wenn dieser ganze beschissene Fleck Erde für immer von den Flammen und der Lava verheert wurde. Ihm kam es vor, als habe er überhaupt nichts mehr. Alles, wofür er seiner Auffassung nach in der Vergangenheit gestanden hatte, war falsch, wie ihm nun bewusst wurde – grundfalsch. Er gedachte seines Freundes Tony, der in diesem Chaos zuerst gestoben war; seines Vaters und aller Menschen, die lediglich zum Arbeiten hierher gekommen waren … Und ausgerechnet er selbst erhielt nun zumindest die Chance, mit dem Leben davonzukommen – und mit Victoria.
Fast so, als könne sie seine Gedanken lesen, spürte er, wie ihre Hände ihn drückten, aber nicht etwa deshalb, weil sie gleich von der Maschine fallen könnte; nein, es war ein wortloses Signal, auf das er reagierte, indem er sich zu ihr zurücklehnte und die Berührung genoss. So, als ob er ihr sagen wollte: Unter anderen Umständen – sobald wir das hier durchgestanden haben – gibt es vielleicht etwas für uns beide … jemanden festzuhalten.
Dann stand das stattliche Flugzeug genau vor ihnen, eine Cessna Citation.
Ja, dachte Alex triumphierend. Die kann ich fliegen … falls sie funktioniert, falls sie aufgetankt ist … falls, falls, falls … Er bemühte sich, den Teil seines Gehirns, der sich Sorgen machte, vorerst abzuschalten, weil er sich konzentrieren musste.
Der T-Rex verfolgte sie immer noch, der Vulkan brach gerade aus, und selbst mit dem Vorsprung, den sie gewonnen hatten, brauchten sie bestimmt drei oder vier Minuten, um das Flugzeug auch in Gang zu bringen.
Dazu reicht die Zeit wahrscheinlich gar nicht, sagte ihm die nervige Stimme in seinem Unterbewusstsein. Er schaute in beide Richtungen der Landebahn; das Gelände eignete sich absolut nicht zum Abheben, weder links noch rechts, was bedeutete, dass Alex, falls der Dinosaurier sie während des Starts attackierte – und ausgehend von seinem bisherigen Verhalten: Warum zum Teufel sollte er das nicht tun? –, nur wenig Platz zum Ausweichen haben würde. Die Rollbahn zu verlassen kam überhaupt nicht infrage, denn auf der einen Seite tat sich zerklüftetes, unebenes Terrain auf, und auf der anderen ein Feld aus spitzen Vulkansteinen. Dieses Monster könnte einfach in uns hineinrennen, bevor wir abheben; das wäre dann wie ein Frontalzusammenstoß mit einem Sattelzug.
Dieses kleine Flugzeug war alles, was sie noch hatten, wie er sich vor Augen hielt, als er neben der Citation bremste. Es gab kein anderes und auch keine Schiffe oder Boote – gar nichts. Wenn sie von der Insel fliehen wollten, dann so, oder sie mussten auf DeKirk warten, eine Möglichkeit finden, seine Schergen zu überwältigen, und … Ehrlich gesagt konnte er sich keinen Plan vorstellen, der sich zu ihren Gunsten abspielen würde.
Gott mochte ihnen beistehen, falls er die Maschine nicht auf Touren bringen konnte. Selbst ohne den T-Rex war der Gedanke, zu versuchen, für eine unbestimmte Zeit hier mit dieser Zombie-Horde zu überleben …
»Alex!« Veronicas Stimme riss ihn aus seinen Überlegungen, als die beiden zum Stehen kamen. Sie stiegen ab, ließen das Motorrad einfach fallen und rannten dann über den heißen Sand auf die Pilotenseite der Maschine zu. Alex warf die Cockpittür auf, ehe Veronica ebenfalls hineinsprang und auf den Sitz des Copiloten rutschte, damit er einsteigen konnte. Sie sprach mit einer ruhigen Stimme, um ihn nicht bei seiner Aufgabe zu stören, das Flugzeug zu starten.
»Es liegt zwar auf der Hand, aber trotzdem: Bring das verdammte Ding in die Luft!«
Alex schaute nicht von den Armaturen auf, und versuchte sich einen schnellen Überblick der Instrumente zu verschaffen. Veronica schaute ihm dabei zu und befürchtete, er würde es nicht auf die Reihe bekommen. »Du weißt doch, wie man diese Teile fliegt, oder?«
»Ist zwar nicht ganz das Modell, in dem ich es gelernt habe, aber ja, ich schaffe das schon.« Er holte tief Luft und betrachtete die Steuerelemente, bevor er das Triebwerk einschaltete.
»Achtung, hier spricht der Captain; legen Sie bitte Ihre Sicherheitsgurte an. Wir hoffen, Ihnen hat es auf der Todesinsel gefallen. Nächster Flughafen: überall, Hauptsache weg von hier.« Seine Finger flitzten über die Konsole, drückten Knöpfe und kippten Schalter.
Veronica ließ sich endlich zu einem Lächeln hinreißen, das ihr aber wiederum schnell verging, als sie hastig den Hüftgurt einklinkte und dabei nach hinten schaute, wo der Saurier mit dem Kopf voran auf der Rollbahn immer näherkam.
Der Motor sprang knatternd an, sodass die Sitze unter ihnen anfingen, zu vibrieren, als der Propeller zu rotieren begann. Alex klopfte auf die Armaturen. »Das ist es Baby. Wir kriegen das hin!«
Dann packte er das Steuerruder und fasste die Bahn ins Auge. Er musste den Flieger nach links lenken, um ordentlich anfahren zu können. Weiter unten in der Startzone lief der T-Rex von der Mitte aus gesehen leicht links. Ein Zombie fiel gerade aus einem Schnitt im Hals des Fleischfressers und geriet sofort unter die Füße des heranstürmenden Tiers, doch Alex wollte sich keine Sekunde lang damit aufhalten, darüber nachzudenken. Sobald sich die Maschine in Bewegung setzte, stellte sich sein Gehirn auf die Tätigkeiten ein, welche es vor einem Start zu verrichten hatte, wie er aus seinem Unterricht wusste. Er rief sie nun ab und konzentrierte sich ganz darauf genauso wie ein Kind mit einer Schmusedecke, und verdrängte alles andere – auch den T-Rex und den Vulkan, der Lava spuckte und die Insel damit zu fluten drohte.
Alex brachte die Maschine in Position und beschleunigte, sodass sie langsam ins Rollen kam. Veronica hielt sich währenddessen an einem der Handbügel – oder »Oh Scheiße«-Griffe, wie einer seiner Fluglehrer sie damals scherzhaft genannt hatte, fest. Dann hörte er ihre Stimme, und was sie sagte, setzte sich sofort gegen alles andere in seinem Kopf durch: »Alex! Verdammt, Lava fließt auf die Bahn!«
Er machte seinen Blick von der Steuerung los und schaute die Strecke hinunter – vorbei an der Echse, die zum Glück langsamer geworden war, weil sie gerade einen weiteren Zombie fraß, den sie im Laufen abgeschüttelt hatte –, wo er es dumpf Orange und Schwarz durchzogen glühen sah. Die Lava quoll von links, also vom Felsen her, auf die Rollbahn, und zwar ungefähr an der Stelle, wo er eigentlich die Räder einfahren sollte, doch ihm war nur allzu deutlich bewusst, dass die Maschine, sollte eines von ihnen auch nur einen Sekundenbruchteil lang mit der Schmelzmasse in Berührung kommen, wenn er annähernd die Geschwindigkeit zum Abheben erreicht hatte, außer Kontrolle geraten, sich drehen und noch am Boden zerstört werden würde.
Das Heulen des Motors wurde heller und lauter, was den T-Rex dazu bewog, noch schneller zu laufen. Eingeweide baumelten wie ein Hautsack zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen und gingen auf und nieder, während er sich ihnen hüpfend näherte. Alex lenkte das Flugzeug auf die linke Seite der Bahn, während es Fahrt aufnahm, dichter zur Lava hin, aber etwas weiter weg von der Echse. Als es zu rappeln begann, wusste er, dass er die Startgeschwindigkeit bald erreicht hatte.
Ein heller Schwall Lava lenkte seinen Blick ab, als der magmatische Strom von der üppigen Menge, die zusammenfloss, über den niedrigen Rand der Bahn gedrückt wurde. Der Tyrannosaurus verfiel nun in einen Trab geradewegs auf die Cessna zu. Als er sich nach rechts neigte, trat er mit dem rechten Fuß in eine Lache gelblicher Lava, wobei Spritzer des Schmelzgesteins gegen seine bereits zerfetzte Haut stoben. Selbst über den Lärm des Flugzeugantriebs hinweg hörte Alex das gequälte Kreischen der Kreatur, als sie stehenblieb und sich aufbäumte, sodass die Zombies durch die Rückwärtsbewegung von ihrem Rücken purzelten. Einer fiel in die heranrollende Lavadecke neben der Bahn, wo sich sein Körper fast augenblicklich auflöste, doch der Kopf blieb verschont und aufgerichtet am Rand liegen. Der Mund schnappte noch weiter, während das Gehirn erst verbrennen musste, und die Augen sahen, wie der T-Rex weitersprang.
Er kam nun genau auf sie zu und griff mit nach vorne ausgerichtetem Schädel wie ein Gegner im Angsthasenspiel an.
»Flieg, Alex, flieg!« Veronica klammerte sich mit weiß gewordenen Fingerknochen am »Oh Scheiße«-Griff fest. »Jetzt!«, brüllte sie, als die Maschine kurz abhob, aber gleich darauf wieder aufsetzte und knapp unter Startgeschwindigkeit weiter über die Bahn holperte, wobei die Flügel jedes Mal schwankten, wenn sie wieder hochstieg.
Ein Zombie in zerfledderter Soldatenuniform, dessen Automatikgewehr noch an einer rot aufgescheuerten Schulter hing, stolperte quer über die Strecke und dem Flugzeug damit direkt in den Weg.
Als die Cessna noch einen Satz machte, schoss Alex’ Hand zu dem Schalter, mit dem sich die Landeklappen einholen ließen. Er betätigte ihn, ohne den Blick von der Bahn abzuwenden, und griff dann sofort wieder zum Steuer. Sie spürten eine dumpfe Erschütterung unter dem Rumpf, als das linke Rad über den Kopf des Zombies rollte und sein Genick brach, sodass der frühere Mensch einen Moment lang verharrte, und sein Schädel Übelkeit erregend schief vom Hals abstand, bevor er auf dem lavaüberströmten Rollfeld zusammenbrach.
Eine Schrecksekunde lang fiel Alex auf, dass sich das Flugzeug neigte, als würde es abermals vom Boden abprallen – und dann schnurstracks in den T-Rex rasen. Er zog das Höhenruder zurück, woraufhin die Nase der kleinen Cessna himmelwärts zeigte …
… und zwar dauerhaft. Der zerschnittene, blutende Kopf des Tyrannosaurus Rex füllte die ganze Windschutzscheibe aus, als Alex den Knüppel so weit zu seinem Körper hinzog wie nur möglich. Veronica verschränkte panisch ihre Arme vor dem Gesicht. Die Schnauze des Dinosauriers verschwand ganz knapp unter dem Flieger, und als Alex aus dem Fenster der Pilotentür schaute, sah er gerade noch, wie das Tier vor Wut brüllend seinen Kopf hin und her warf. Sein Schwanz peitschte über den Boden wie ein fleischiger Scheibenwischer und schleuderte Lavaklumpen durch die Luft, die den Zombies die Gesichter und Körper verbrannten. Sie waren heruntergefallen und taten sich jetzt zum Angriff gegen die Echse zusammen.
Diese brüllte immer wieder auf, nun da sie sich nicht mehr bewegen konnte, denn Lavaströme wälzten sich über ihre Füße, lösten die Beine auf und stiegen noch weiter. Sie heulte und kreischte, weniger vor Schmerz als wegen der Enttäuschung, dass ihr die Beute endgültig verwehrt blieb. So verausgabte sie sich, bis sie schließlich auch ihr Restgleichgewicht verlor und vorwärts umkippte – mit dem Gesicht in die kochende Flüssigkeit hinein. Sie schlug um sich, schnappte und biss in den unerbittlich zersetzenden Gegner, ohne Halt zu finden. Zuletzt schmolzen ihr Fleisch und ihre Knochen, die Augen platzten, und das Hirn ging in Flammen auf. Sie rollte seitwärts, und dann wurde auch der Rest ihres Körpers von einem Widersacher verschlungen, der sogar noch mächtiger war als sie.
***
Der Ausbruch des Vulkans dauerte an. Wie aus Geysiren stob Magma tief aus dem Erdinneren hoch, floss an dem steilen Kegel hinunter und über die Insel, ertränkte sie in Feuer und zwang sie zu einem Neubeginn des Lebens.
Eine leise Stimme in Alex’ Kopf ermahnte ihn, er möge die Maschine nicht überziehen, also brachte er sie in die Waagerechte und flog rechts über den Vulkan, um tückische Aufwinde zu meiden, die ihn, wie er wusste, über dem Krater erwarten würden. Kleine Meteore hochgeschossener Magma trudelten an der Windschutzscheibe vorbei, während die Cessna durch die Lüfte jagte.
Dann hatten sie den aktiven Vulkan passiert, vor ihnen tat sich ein Strandabschnitt auf und dahinter der weite, blaue Ozean. Veronica nahm die Arme vor ihrem Gesicht herunter, schaute vorsichtig aus dem Passagierfenster hinter ihr und dann hinüber zu Alex, dessen schiefergraue Augen, wie sie nun sah, von Erfahrungsweisheit zeugten, wie sie es nicht getan hatten, als sie ihm erstmals begegnet war.
»War das knapp? Das war knapp, nicht wahr?«
Er streckte einen Arm zur Seite aus und nahm ihre Hand.
»Gut gemacht. Ich denke, du gibst einen weitaus besseren Piloten als Gabelstaplerfahrer ab.«
»Danke. Und ich denke, du bist eine bessere Geheimagentin als Ärztin.« Sie knuffte ihn scherzhaft in die Rippen und lachte eher vor schierer Freude als über seinen Witz.
»Wohin also jetzt, Mr. Pilot?«
»Wie ich schon sagte, nonstop nach überallhin, Hauptsache weg von hier. Wir haben schließlich einen vollen Tank.«
Veronica lehnte sich zu ihm hinüber und küsste ihn sanft auf die Wange, ehe sie ihren Mund näher an sein Ohr hielt. »Wann kannst du denn den Autopiloten einschalten?«