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An Bord des Öltankers Hammond-1, mit Kurs auf Adranos Island

Alex wachte auf, als ihm eisiger Regen ins Gesicht prasselte, und spürte dann, dass er von kräftigen Händen über das obere Deck geschleift wurde. Er schüttelte den Kopf und hatte den Geschmack von Blut im Mund. Hoffentlich war seine Nase nicht gebrochen und er hatte keine Gehirnerschütterung von dem Fausthieb, der ihm solche Schmerzen verursacht hatte, dass er meinte, ein Amboss sei auf seinen Schädel gefallen. Er wollte sich wehren, stellte dann aber fest, dass seine Handgelenke mit einem Kabelbinder gefesselt waren.

»Verdammt«, brummte er und schüttelte den Kopf erneut wegen des Regens, um im dämmrigen Licht der unzureichenden, flackernden Lampen an Deck etwas erkennen zu können. Sie passierten gerade den Frachtraum; dessen Tor wurde nun geschlossen, damit die Nässe nicht hineinwehen konnte.

Er konnte einen kurzen Blick auf das Monster darin werfen, das immer noch betäubt und abgesehen vom Schwanken des Schiffs regungslos war, bevor die Männer Alex weiterzogen und auf eine andere Deckebene brachten. Er schaute über eine Schulter nach oben und an den beiden Gorillas vorbei, in deren Gewalt er war.

»Ah, Captain!« Er spuckte Blut ins Regenwasser. »Sagen Sie, was wird nun aus mir? Komme ich wieder ins Gefängnis oder …«, er warf einen Blick über die Reling, »… gehe ich über die Planke?«

Ein greller Blitz erleuchtete das Gesicht des Captains. »Letzteres. Tut mir Leid, Kleiner, nach dem, was du abgezogen hast, ist deine zweite Chance verspielt, und eine weitere bekommst du nicht.«

Alex wollte auflachen. »Okay, also ist es wie in alter Zeit, und ich soll den Ozeangeistern geopfert werden, um den Sturm zu besänftigen und das Schiff zu retten?«

»Das auch«, bestätigte der Captain kichernd und nickte den anderen Männern zu, die Alex nun gegen die Brüstung drückten. Er schaute hinüber in die Dunkelheit und sah nichts, weil er noch von dem Blitz geblendet war.

»Sind wir zufällig in der Nähe der Insel, auf die Sie Kurs genommen haben?«

»Nicht nahe genug für dich«, rief der Captain zur Antwort, während in der Ferne Donner grollte. »Nimm es mir nicht übel, aber …«

Genau in diesem Moment drang ein entsetzlicher, urwüchsiger Schrei durch den Wind und das Wetter. Er kam vom Fuß der nächsten Treppe her – derjenigen, die in den Frachtraum führte. Alle erstarrten augenblicklich, und der Captain machte einen Schritt in den Schacht hinein, denn dort unten flackerte gerade das Licht und ging sogleich aus, als Schüsse fielen.

»Scheiße!«, schrie der Captain und zog seine eigene Waffe. »Lasst den Flegel hier liegen«, befahl er, »und kommt her!«

Die Gorillas wuchteten Alex gegen eine Wand, wo er zusammensackte.

Nachdem er seine Benommenheit überwunden hatte, stand er auf, rührte sich aber aus Angst nicht von der Stelle. Das nasse Grab blieb ihm wohl vorerst erspart, aber was war da unten? Grauenhaftes Gebrüll und Geräusche, als zerreiße etwas, hallten wider, dann ertönten weitere Schüsse und panische Schreie.

Auch die Stimme des Captains dröhnte von unten her, als Alex einen zaghaften Schritt vorwärts machte, was schon genügte, um einen Blick in die düstere Tiefe zu werfen. Dort mussten Laternen oder Taschenlampen eingeschaltet worden sein, vielleicht am hinteren Ende des Raumes, wo der T-Rex (hoffentlich) immer noch schlief. Worum es sich auch handeln mochte: Alex glaubte, es sei zweifellos kleiner und weniger verheerend als ein wütender Dinosaurier, doch da war der erschreckende Gedanke, es könne ebenso tödlich sein.

Er wich zurück, als er etwas mit gelblich schuppiger Haut und bluttriefenden Zähnen in den Lichtkegel huschen sah – nur einen Augenblick lang, doch dies reichte aus, um seine Züge erkennen zu können: Es war der Arbeiter, der versucht hatte, den Tyrannosaurus unten zu halten, der dann von ihm aufgespießt und durch den Raum getreten worden war.

Der Tote!

Als er in Sicht geriet, schnellte sein Kopf hoch und dann zur Seite, als wittere er etwas. Seine Augen stellten sich nun plötzlich auf Alex ein – er knurrte, spannte seinen Körper an und sprang dann auf die Treppe zu.

Alex fuhr schreckhaft zurück, rutschte aus und fiel unglücklich auf den glatten Gitterboden, als das Crewmitglied einen Satz auf die Stufen nach oben machte. Zwei gezackte Blitze jagten zugleich über den Wolkenhimmel über den Kopf des Mannes hinweg, sodass Alex zum ersten Mal vollständig im Hellen sah, was er schon in der Grube des Russen angetroffen hatte: Zombie war alles, was ihm dabei einfiel – alles, was sein Verstand erklären konnte, doch selbst dies wurde der Wirklichkeit nicht gerecht. Dies war kein schlurfendes Etwas aus einem Streifen von Romero oder The Walking Dead, sondern eine Kreuzung aus Mensch und Reptil mit einem prähistorischen Äußeren, gelben Schlitzaugen und einer fast ledrigen Haut aus harten Schuppen, spitzen längeren Zähnen sowie Fingern wie Ginsu-Messer. Die Krallen ähnelnden Nägel klickten und kratzten am Metallgeländer. Es öffnete den Mund – eine zusätzliche Reihe Schneidezähne war durch das blutige Fleisch gewachsen und mit dem sehnigen Gewebe eines kürzlichen Opfers verklebt –, fauchte und fuhr dann seine lange Zunge heraus, wie um Regenwasser zu kosten.

Ich bin tot, war Alex’ zweiter Gedanke, während sich der Schreck durch seine Adern fortpflanzte und Wurzeln am Boden zu schlagen schien. Das Monster spannte seine Muskeln noch einmal an und setzte dann zum erneuten Sprung an, als zwei weitere Schüsse fielen, bei denen die Brust des Zombies aufplatzte. Die Kugeln gingen glatt durch und schlugen dicht über Alex’ Kopf gegen die Brüstung.

Die Kreatur stockte einen Augenblick, blickte auf die Wunden hinab, knurrte wieder und drehte sich dann zur Treppe um.

Die Stimme des Captains ertönte wieder, gequält und rasselnd, als sei ihm die Kehle durchgeschnitten worden. Alex stellte sich vor, wie er sich schleppend fortbewegte und ein paar weitere Schüsse abgab, bevor …

Der Zombie zischte und stürzte unglaublich schnell die Stufen hinunter, sodass seine polternden Schritte im Frachtraum widerhallten. Noch ein Schuss und ein Schmerzensschrei erklang und dann …

Stille.

Es donnerte wieder, und der Wolkenbruch wurde noch schlimmer. Alex brachte endlich genügend Energie auf, um vorwärts zu kriechen. Er rutschte durch das zusammenlaufende Wasser und rieb sich Tropfen aus den Augen, während er die Treppe hinter sich ließ, wozu er sich an der Lichtquelle unten im Frachtraum orientierte, wo ein paar verwaiste Laternen und Taschenlampen lagen.

Er fand einen guten Aussichtspunkt, hielt die Luft an und versuchte, etwas zu erkennen.

Zunächst sah er gar nichts, lediglich einige wenige Umrisse, die sich als Körper herausstellten. Einer – der Arbeiter, den er gerade gesehen hatte – lag langgestreckt auf den untersten Stufen, nur sein Schädel nicht, denn der war fast völlig zerschossen worden, sodass die obere Hälfte nur noch aus einem widerwärtigen Fleischbrei bestand. Bestimmt nach einem Kopftreffer durch den Captain.

Der Captain, wo …

Alex bemerkte eine Bewegung, und zwar nicht allzu weit von dem toten Zombie-Ding entfernt. Es waren die stämmigen Umrisse des Captains, der sich nun umdrehte und hinsetzte. Schließlich stand er mühsam auf.

Alex sah sein Gesicht nicht, nur den Körper; die Arme an den Seiten; eine Hand, die immer noch eine Pistole hielt, aber nur einen Moment lang, denn dann glitt sie achtlos fallengelassen aus seinen Fingern, die sich mit einem Mal hektisch krümmten, knackten und länger zu werden schienen.

Von irgendwoher aus der Finsternis kam ein zischendes Geräusch, und ehe Alex auch nur auf den Gedanken kam, sich zurückzuziehen, setzte sich der Captain unmenschlich schnell in Bewegung. Er stand plötzlich am unteren Treppenabsatz und blickte zu ihm auf, während er in die Luft schnupperte.

Seine nun gelben, an einen Drachen erinnernden Augen fokussierten, der Blick schärfte sich, und sein Mund – der Hals darunter war aufgerissen und mit Bissspuren übersät – ging weit auf, sodass man gewaltige Zähne und eine gezackte Zunge erkennen konnte. Er hielt sich am Geländer fest, sprang in Sekundenschnelle hoch und langte nun nach Alex.