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Alex erreichte den Jeep zuerst, doch Xander stieg nach ihm ein und drängte ihn einfach zur Seite. Nachdem er den Raketenwerfer von seiner Schulter genommen hatte, wuchtete er ihn auf den Rücksitz zu Veronica hinüber, die nun hineinsprang und Anstalten machte, mit dem AK nach draußen zu zielen.

»Damit werden Sie überhaupt nichts ausrichten!«, rief Xander.

»Vielleicht wären wir doch besser wieder hineingelaufen«, meinte Alex, der hilflos dasaß, nicht einmal bewaffnet war, und dabei zuschaute, wie Dyson nach einem Schlüssel suchte, der zum Glück hinter der Sonnenblende klemmte. »Wunderbar, denn ich hasse Kurzschließen.«

Während er versuchte, nicht hinüberzuschauen, weil die Erde mit jedem stampfenden Schritt des sieben Tonnen schweren Dinosauriers bebte, der auf sie zukam, wurde Alex immer zappeliger, weil der Motor ansprang und direkt danach wieder ausging.

Nun stand Veronica auf, legte mit dem AK an und – egal wozu es gut sein mochte – feuerte einfach los. Die Kugeln prallten funkensprühend von den Zähnen des T-Rex ab.

Wieder tuckerte der Motor, doch dieses Mal lief er weiter. Xander legte hastig den Rückwärtsgang ein, gab Gas und lenkte dann so stark ein, als wolle er ein Schleudertrauma heraufbeschwören, doch sie entwischten dem zuschnappenden Maul des Ungeheuers so um Haaresbreite. Es schwang seinen Kopf herum und brüllte sie wütend an.

Veronica kreischte auf, lehnte sich gegen das Trägheitsmoment zurück und schoss anschließend ihr Magazin leer. Einige Kugeln trafen die Brusthöhle, rissen die harte Haut auf und brachen Rippenteile heraus, ehe die letzten wieder von den Zähnen abgelenkt wurden oder einfach im offenen Schlund verschwanden, wo Alex die unappetitlichen Reste jüngst gefressener Beute sah: Fetzen von Soldatenuniformen, einen Arm und einen teilweise zerkauten Unterleib.

Da der Jeep große Staubwolken aufwirbelte, während sie wendeten und die Flucht ergriffen, sah man weiterhin fast nichts. Nachdem sie das Areal hinter sich gelassen hatten, rasten sie auf der unbefestigten Straße entlang. Xander riss das Steuer heftig herum, beschleunigte dann und fuhr weiter geradeaus, wobei sich der Abstand zwischen ihnen und dem Untier an ihrem Revers immer mehr vergrößerte.

Es sprang ihnen hinterher, und seine toten Augen, die rot und animalisch waren, funkelten in der niedrigstehenden Sonne vollkommen erbarmungslos. Auch als er das Mauerwerk neben dem Eingang des Komplexes mit einer Schulter umwarf, lief er weiter, ohne auch nur andeutungsweise langsamer zu werden.

»Schneller«, drängte Veronica und lud nach. »Das ist mein letztes Magazin!«

»Darum habe ich Ihnen doch den Raketenwerfer überlassen!«, blaffte Xander zurück, während er das Steuer abermals herumriss, um hervorstehenden Felsen und wirren Sträuchern auszuweichen, die den Fahrbahnrand flankierten. Vor ihnen geriet nun der Vulkan in Sicht.

Veronica legte das Gewehr hin und griff nun zur Bazooka, langte in den Sack und zog die letzte Rakete heraus. Als der Jeep über ein Schlagloch holperte, glitt sie ihr durch die Erschütterung fast aus der Hand. Daraufhin hielt sie sie fester und warf Xander einen bösen Blick zu. »Ich lade jetzt«, kündigte sie an und führte die Rakete vorsichtig ins Rohr ein.

Als der T-Rex um die Biegung raste, verlor er fast sein Gleichgewicht. Dann senkte er den Kopf, fletschte seine monströsen Zähne und rannte noch schneller.

»Wie genau sieht nun unser Plan aus?«, wollte Alex wissen, während er sich anschnallte.

Dyson zeigte auf dem Weg hinunter ins Tal östlich des Vulkans, wo die Straße eine Kurve beschrieb, und am Ende einer langen Gerade konnte Alex vage ein kleines, kuppelförmiges Gebäude ausmachen.

»Ist das …«

»Eine Rollbahn! Ganz genau, mein Junge, Sie haben gute Augen. DeKirk schwieg sich immer darüber aus, aber ich habe das gleich, als wir herkamen überprüft. Dort steht ein Flugzeug, das erst vorgestern beladen wurde. Es sollte aufgetankt und startbereit sein. Es ist eine Cessna und hoffentlich etwas, das sie dieses Mal auch wirklich in der Luft halten können.«

»Seien Sie endlich ruhig, ich kenne mich mit Flugzeugen aus, aber eben nicht mit beschissenen Hubschraubern!«

»Beide Klappe halten«, fuhr Veronica genervt dazwischen, »und halten Sie das Lenkrad fest, damit ich in Ruhe zielen kann.«

Xander nahm die nächste Biegung und gab wieder Gas, denn nun fiel die kurvenreiche Straße steil ab. »Ihr Ziel ist ungefähr dreißig Fuß hoch und zwanzig lang; Sie können es gar nicht verfehlen, also legen Sie einfach an und drücken Sie ab!«

»Ich will aber die verdammte Rübe treffen«, rief Veronica zurück, »und hatte am Schießstand in Langley leider nicht gerade viel Übung mit dieser Art von Waffe!«

Die Kuppe versperrte ihr einstweilen die Sicht auf den Verfolger, während sie weiter bergab fuhren, doch dann war er wieder da, wie von der Luft getragen und hüpfte mit verblüffender Geschwindigkeit hinter ihnen her.

»Wir können ihn doch einfach abhängen«, meinte Alex. »Schneller als dreißig Meilen laufen die nicht, höchstens vierzig, wenn ich mich richtig erinnere.«

»Theorien aus dem Lehrbuch zählen hier nicht«, entgegnete Xander.

»Ich denke nicht«, fügte Veronica hinzu, »dass dieses Tier irgendein Buch gelesen hat. Sieht nämlich ganz so aus, als würde es aufholen!«

Sie zielte wieder und versuchte, ihren Körper trotz all der Bodenwellen und Stöße ruhig zu halten.

»Oh kacke«, hörte sie Dyson fluchen, als sie ein Schleifen im Getriebe wahrnahm, und der Jeep langsamer wurde.

»Das glauben Sie nicht!«

Alex schaute zurück und war kreidebleich geworden. »Veronica … schießen Sie auf der Stelle, denn wir haben keinen Sprit mehr!«

***

Sie dachte an gar nichts mehr, konnte nicht mehr reagieren. Einzig, dass die anderen beiden stritten, nahm sie noch wahr, von wegen bei all der Schießerei sei vielleicht der Tank getroffen worden, weshalb sie nun wie ein Fisch auf dem Trockenen lägen, noch meilenweit entfernt von dem Flugplatz, genauso wie von jeglicher Deckung, ausgenommen vielleicht ein Stück Wald zu ihrer Rechten, das hinauf zum Vulkan führte.

Ihr blieb also nichts anderes übrig, als so gut zu zielen, wie sie nur konnte und dann zu feuern, bevor es der T-Rex schaffte, die Distanz noch weiter zu verringern.

Der Rückstoß warf sie nach hinten, wobei sie heftig gegen die Metallkarosserie knallte. Sofort befürchtete sie, beim Schießen zu hoch angesetzt zu haben, doch schon spritzte Blut mit Knochenteilen und Knorpelgewebe an ihr vorbei wie Schrot aus einer Flinte und ergoss sich über den ganzen Jeep. Sie ließ den Raketenwerfer fallen und schlug die Arme über ihrem Kopf zusammen, aber da ihr die Ohren piepten und ihr schlecht wurde, was sie zuerst auf die Innereien zurückführte, bemerkte sie gar nicht, dass der Wagen teilweise abgehoben hatte. Die Hinterräder griffen nicht mehr, und das ganze Heck des Fahrgestells rutschte schräg weg. Die Explosion in unmittelbarer Nähe hatte das langsamer werdende Fahrzeug zur Seite gerissen und hochgehen lassen, im Fallen war es dann hart auf die Fahrerseite gekracht, gekippt und …

»Oh neinneinnein!«, stotterte Xander.

Der Jeep bebte stark, während er auf der Seite lag, dann ging der Motor aus, und er fiel auf die Überrollbügel. Dyson stöhnte, als er unsanft auf seine linke Schulter prallte, nahm sich aber rasch wieder zusammen und kroch hinaus. Alex fummelte hektisch an seinem Sicherheitsgurt herum, bis er ihn endlich ausklinken konnte, und wand sich dann ebenfalls nach draußen; er blutete aus mehreren Schnitten.

Veronica blieb benommen auf dem Boden liegen. Sie hatte den Hals unnatürlich verdreht und sah plötzlich die Ladefläche des Jeeps über sich. Sie kämpfte dagegen an, bewusstlos zu werden, doch eine penetrante Stimme in ihrem Kopf – sie klang sehr nach Alex – schrie unentwegt: »Aufstehen, aber schnell!«

Sie blinzelte und rang sich sogar ein Kichern ab. Wieso? Was sollte das nützen? Es war ja nicht so, dass es noch irgendeinen Rückzugsort für sie gab; oder dass sie nicht von einer Armee von Zombies gejagt wurden, die von der Anlage aus auf der Straße hinterherlief, gierig nach ihrem Fleisch, und dass der T-Rex, auf den sie gerade geschossen hatte, tot gewesen wäre, oder?

Nachdem sie noch einmal geblinzelt hatte, drehte sie den Kopf zur Seite und traute sich endlich, einen Blick nach draußen zu werfen.

»… raus da, raus da!«, drängte sie die leiser werdende Stimme von draußen.

Veronica lachte wieder, weil sie durch die Öffnung unter dem Wagen hinausschauen und direkt in die Augen des vorzeitlichen Ungeheuers blicken konnte – des Tieres, das sich jetzt zurückzog. Was bedeutete, dass sie seinen Kopf in der Tat verfehlt hatte.

Es gurrte sie an, durchdringend laut und zutiefst frustriert, und einen Moment später erkannte Veronica den Grund dafür, als ihr Blick nach unten wanderte und ersichtlich wurde, dass es auf seiner linken Seite lag, und vergeblich versuchte, sich aufzurichten. Die rechte Flanke war nun ein unvergesslicher Anblick: Die ursprüngliche Aushöhlung der Brust hatte sich zu einem enormen, qualmenden Loch geweitet.

Der T-Rex brüllte frustriert und schnellte mit dem Hals nach vorne, um in den Jeep zu beißen, und schnappte nur einen Fuß weit vorbei.

»Kommen Sie sofort raus!«, rief Alex, dieses Mal noch näher, woraufhin massive Schüsse losbrachen. Kugeln flogen über die Straße, trafen die Schnauze des Tiers, schlugen zwischen die Augen ein und rissen die Höcker an seinem Schädel ab.

Der T-Rex kreischte, schüttelte den Kopf und wiegte seinen Körper hin und her, bis er sich schließlich umdrehen konnte und langsam erhob.

Endlich überwand Veronica ihre Benommenheit und kam in Bewegung. Sie kroch hinaus, packte in letzter Sekunde ihr AK-47 und warf noch einen letzten Blick auf den zappelnden T-Rex, ehe sie hinter Xander und Alex herlief, die bereits zur dürftigen Deckung des Waldstücks eilten.

Gerade als sich der T-Rex aufraffte, riskierte sie einen Blick zurück. Er brüllte erneut, während er ihre Witterung aufnahm und den Kopf vom Jeep zum Dschungel hindrehte.

Bevor ihr die Bäume die Sicht verwehrten, sah Veronica blutbesudelte Leiber herbeilaufen, die reptilische Haut und die krankhaften Augen, die sich mit solchem Hunger auf sie einschossen, dass ihr das Blut in den Adern gefror.

Sobald sie zu den anderen aufgeschlossen hatte – über Sträucher, umgestürzte Bäume und gelegentlich auch Vulkansteine springend –, rief Alex zu Xander, der an der Spitze war: »Wie zur Hölle sieht denn Ihr Plan C aus?«