DER WELTSTAR

Jeanny, quit livin on dreams

Jeanny, life is not

what it seems

Such a lonely little girl in

a cold, cold world

1

Es gehört zu den unabwägbaren Mysterien des Musik-Business, dass viele Sänger just in dem Moment, in dem sie ihre größten Niederlagen einstecken mussten, auch anfangen, ihre größten Hits zu landen. Das war auch bei Frank Sinatra und Udo Jürgens so: Als Udo mit seinem Manager prozessierte und ihm jedermann ein Absacken in die Anonymität prophezeite, landete er seine überwältigenden Erfolge.

Es ist ein Phänomen, und die Beispiele dafür sind unzählig, von Julio Iglesias bis Bob Dylan, es scheint ein Naturgesetz zu sein, dass man erst den bitteren Geschmack der totalen Niederlage erfahren muss, ehe man sich wirklich ganz durchsetzt. Boxer kennen das Gefühl gut. Muhammad Ali sagte einmal: »Du musst schmecken, wie ein K. o. schmeckt, bevor du Weltmeister sein kannst – und damit meine ich wirklich Weltmeister.«

Und FALCO verspürte es nun, dieses Gefühl der bitteren Niederlage, von dem Muhammad Ali sprach. Aber ehe der Gong zum K. o. ertönte, schüttelte FALCO die Nebel aus seinem Kopf, rieb sich die Augen, versuchte verbissen, die emotionale und intellektuelle Katastrophe, die sich im Zuge des Flops anbahnte, zu vermeiden.

Er trank weniger und zog sich sogar für zwei Wochen nach Gars am Kamp zurück, wo Willy Dungl sein Fitnesscenter unterhält. »Und wir sind dann auch sehr viel in Wien zum Trainieren gegangen, und Hans kam wieder gut in Form«, berichtete Billy Filanowski. Hans begann wieder vernünftig zu essen und streng auf seine Figur zu achten. Als man ihn einmal fragte, was er tun würde, wenn er nur noch fünf Mark in der Tasche hätte, antwortete er: »Ich würde das Geld dazu verwenden, den nächsten Bus ins Studio zu nehmen und von vorne anzufangen.«

Und war die Platte auch kein wirklicher Misserfolg gewesen, so nahm FALCO vieles zu persönlich, was im Zuge der »Jungen Roemer« veröffentlicht worden war. Seine Sensibilität machte ihn angreifbar.

»Es gab zu diesem Zeitpunkt eigentlich nur einen Weg«, erzählt Horst Bork, »wir mussten einfach die Pferde wechseln. Wir mussten ein anderes Gespann für ihn finden.« FALCO wollte seine Probleme stets mit seinem Intellekt lösen und nervte seine Umwelt mit Analysen. »Er wollte damals immer diskutieren«, sagt Bork, »das waren abendfüllende Diskussionen, die immer in der Frage endeten, warum was verkehrt lief. Aber man löst Probleme nicht, indem man sie zu Tode diskutiert. Man braucht Abstand. Es ist gut, manchmal die Sachen von außen zu betrachten. Aber das hat Hans nie so hingekriegt. Er lag immer mit sich selbst im Clinch, er war immer verunsichert.«

Bork war früh zu Hans R. Beierlein gestoßen, »wo ich das Musikmanagement von der Pike auf lernte«. Er betreute bei Beierlein Stars wie Adamo, Gilbert Becaud und Udo Jürgens während ihrer größten Erfolge, arbeitete später bei United Artists mit Shirley Bassey zusammen, ehe er zur Teldec kam.

Über Bork sagte FALCO einmal: »1981 kam ich nach Deutschland und wollte die Bänder vom ›Kommissar‹ präsentieren. Bork hat damals für Teldec gearbeitet. Damals war ich in Österreich schon Nummer eins. Die meisten Manager drüben haben gemeint, das wird nie was – außer Horst Bork. Der hat den ›Kommissar‹ für Deutschland, sprich: für den Rest der Welt, entdeckt und mit voller Power herausgebracht.«

Seit dieser Zeit vertraute Hans voll und ganz dem künstlerischen Rat von Horst Bork, der sich inzwischen mit FALCO selbstständig gemacht und in einer zweistöckigen Villa in München das obere Geschoß gemietet hatte, wo ihre gemeinsame Firma mit dem bezeichnenden Namen »Falkenhorst« etabliert wurde.

Horst machte Hans klar, dass sie nicht auf der Schiene weiterfahren können, die die »Jungen Roemer« beinahe auf das Abstellgleis gebracht hätte. »Ich habe dann aus der zweiten LP die Konsequenzen gezogen und meine Zusammenarbeit mit Robert Ponger unterbrochen. Bob und ich, wir sind im Grunde zwei gegensätzliche Typen. Das hat beim ›Kommissar‹, den wir erfunden haben, funktioniert wie bei der Elektrizität: plus, minus, und plötzlich war der Funke da. Eine spontane, elektrisierende Geschichte. Mit der zweiten LP aber haben wir uns überarbeitet«, soweit FALCO damals.

Zum Jahreswechsel 1984/85 bricht FALCO aus. Er bucht einen Urlaub nach Thailand und fährt mit Billy Filanowski, dem Schauspieler Hanno Pöschl und ein paar weiteren Freunden los. Der Rennbahn express schrieb in seinem »FALCO-Special« darüber: »Der Urlaub ist für ihn der Wendepunkt. ›Dort hab ich beschlossen, mit mir Freundschaft zu schließen und einen inneren Ausgleich zu finden. Ich bin aus Thailand zurückgekommen und hab so viel Kraft gehabt, dass ich bloßfüßig im Schnee hätte herumlaufen können.‹«

Auch äußerlich verändert sich FALCO nach diesem Urlaub. Er lässt die maßgefertigten Anzüge im Schrank hängen und kleidet sich mit Vorliebe in weite, fernöstliche Jacken und Hosen, oder er trägt bequeme Sweatshirts und Jogginghosen. Die fremde Mythologie, die Lebensart der Asiaten, hat ihn sehr berührt. Er nimmt Kleinigkeiten plötzlich nicht mehr so tragisch wie ein paar Wochen zuvor: »Ich weiß, dass ich oft vorschnell handle, aber was soll’s? Die Leute wollen Popstars, die kantig sind, die nicht aalglatt und samtweich sind, das hat nichts mit Alkohol oder Größenwahn zu tun, ich kümmere mich einfach nur weniger um mein Bild in der Öffentlichkeit. Ich bin so, wie ich bin.«

Dennoch sagt Horst Bork heute, dass es zwei FALCOS gegeben habe. Den Künstler in der Öffentlichkeit und den Menschen privat. »Man muss zwischen Hans Hölzel und FALCO unterscheiden. Wenn er nicht FALCO war, war er ein liebenswürdiger, fürsorglicher Mensch. Außer er hat mit Drogen rumgemacht, dann hat sich seine Persönlichkeit gewaltig verändert. Er war nie abstinent. Mit Ausnahme eines halben Jahres. Da lebte er in Australien, und als wir uns zu einem Businesslunch in Los Angeles trafen, war ich perplex, wie jung und dynamisch er daherkam. Er hat von allen verlangt, keinen Alkohol zu trinken. Wir mussten Saft und Wasser bestellen. Er hatte auch immer wieder versucht, mit dem Rauchen aufzuhören. Er hat es oft probiert, aber das ist ihm nie gelungen.«

2

Horst Bork bemühte sich das ganze Jahr 1982, neue Produzenten aufzutreiben, die FALCO einen frischen Impuls geben könnten.

Einmal sagte er zu Hans: »Hör mal, da sind zwei Supertypen in Holland, zwei Brüder, die fanden das, was du bisher machtest, äußerst interessant, ich denke, wir sollten es mit denen mal versuchen.«

Nach der Rückkehr aus Thailand lag ein Demoband in seinem Büro. Hans fand es ganz ausgezeichnet. Er schickte ihnen daraufhin einen Songtext, den er zur Musik von Ric Okasek von den Cars gemacht hatte. (»My name is Johnnie Walker and I won’t wanna make any advertising, You know?«, der Song hieß bei ihm »Munich Girls« und er machte sich damit über die Mädchen her: »Munich Girls, lookin’ for love, Tag und Nacht, lookin’ for love, here she comes, she’s lookin’ for love«; er hatte auf dem Flug eine Kassette von den Cars dabei gehabt und der Song »Lookin’ For Love« war ihm nicht aus dem Sinn gegangen.)

Rob und Ferdi Bolland, die ihr Bullet Sound Studio in Hilversum, nicht weit von Amsterdam entfernt, betreiben, machten zu dem FALCO-Text ein Playback, das genau seinen Vorstellungen entsprach. »Ich hatte das Thema, nämlich etwas über diese merkwürdigen, ausgeflippten, oberflächlichen Münchner Girls zu schreiben, längere Zeit im Kopf, aber ich fand einfach keine passende Musik dazu. Aber mit der Melodie der Cars und der Mischung der Bolland-Brüder war alles optimal, und plötzlich spürte ich wieder Hoffnung. Ich war wirklich optimistisch.«

Schließlich hatten Rob und Ferdi Bolland eine Idee, die am Ende alles, was es in der deutschsprachigen Popmusik bisher gegeben hatte, auf den Kopf stellen sollte – und die FALCO kaum ein Jahr darauf in den USA nach ABBA zum zweiterfolgreichsten europäischen Künstler im amerikanischen Pop-Business machen sollte.

Zu der Zeit waren ein paar kritische Bücher über Wolfgang Amadeus Mozart erschienen, die ziemlich detailgenau beschrieben, wer der begnadete Wolfgang Amadeus Mozart in Wirklichkeit gewesen war: ein genialer Komponist, ein Spieler, ein Außenseiter, arrogant, manchmal unleidlich, ein Frauenheld – jedenfalls ganz anders, als es die offiziellen Mozart-Biografen über Jahrhunderte dargestellt hatten.

Dazu kam noch eine sehr gute mehrteilige Fernsehserie über Mozart, eine Koproduktion des französischen und des deutschen Fernsehens, und vor allem der mit mehreren Oscars ausgezeichnete »Amadeus«-Film von Milos Forman mit Tom Hulce in der Hauptrolle.

Die Brüder Bolland hatten die Idee, den Stoff über Mozart für einen Song zu adaptieren. »Rock Me Amadeus«, eine verrückte Story über den Superstar des 18. Jahrhunderts, der soff und der unendliche Probleme mit den Geldverleihern hatte.

FALCO war von der Idee hingerissen. Ganz Feuer und Flamme machte er sich daran, den Bolland-Entwurf für seinen Stil aufzubereiten. »Im Grunde«, gestand er einmal offen, »habe ich das fertige Playback bekommen und den Text einfach umgearbeitet, sonst nichts.« Das stimmt, aber es stimmt auch wieder nicht. Hans Hölzel hatte ein gewisses Mozart-Syndrom, seit der eine Professor über ihn – angeblich – zu Maria Hölzel gesagt haben soll: »Hier haben Sie Ihren kleinen Mozart.« Eine gewisse Hybris war da wohl im Spiel. Zu der Zeit besuchte Hans seinen väterlichen Freund Udo Jürgens in Zürich und sah zufällig den Mozart-Film von Milos Forman, der mit einem Oscar ausgezeichnet worden war. So, wie Amadeus in diesem Film dargestellt wurde, gefiel er Hans Hölzel. Andrerseits hatte er auch Bedenken, »Amadeus« von den Brüdern Bolland einzusingen. »Ich kann doch als Wiener keine Nummer über Mozart machen«, sagte er Horst Bork. »Das sieht ja aus wie vom Fremdenverkehrsamt bestellt.« Am Ende siegte dann aber doch die Überzeugung, mit diesem Song etwas ganz Besonderes zu haben, und er fuhr nach Holland.

In Hilversum nimmt FALCO seine LP »FALCO 3« auf. Es dauert ungefähr zwei Monate, bis die Platte fertig ist und der Rennbahn express schreibt: »Geld gab’s für die Produktion, so viel er wollte. Aufgebraucht hat FALCO knapp die Hälfte des Budgets, das Robert Ponger für die ›Jungen Roemer‹ kassiert hatte. Studios, Musiker, Produzenten, Hotels, Flüge, alles das managt FALCO selbst. Weshalb er seine Tätigkeit auf dem Plattencover mit ›Directed By FALCO‹ angibt.«

Ende August sind die Aufnahmen im Kasten, das Material ist schließlich so vielfältig, dass sich FALCO schweren Herzens dazu entschließen muss, zwei Songs wegzulassen, und zwar »Without You«, ein Lied, das er auch selbst komponiert und das die Band von Peter Maffay eingespielt hat, und »Force To Force«, eine Komposition von Peter Vieweger, dem FALCO-Kumpel aus Spinning-Wheel-Tagen.

Neben der genialen Amadeus-Nummer hat er für das dritte Album noch neun weitere Songs aufgenommen. Da ist einmal »America«, ein Song, in dem er über – beinahe – alles und jedes spottet: »America, wenn ihr mir glauben würdet, wie man euch vermissen kann. Im ›Spiegel‹ stand es: Wien ist ›in‹. Und wenn der es nicht weiß, wer dann?« Horst Bork sagt: »›America‹ ist die zynische Attacke gegen die USA.« Das Skurrile an der Geschichte: Just das Album, mit dem die Amerikaner FALCO in ihr Herz schlossen und an die Spitze der Billboard-Charts hievten – mit der Singleauskoppelung »Amadeus« –, war das Album, mit dem er sich auch über die USA lustig macht. Horst Bork: »Die Nummer hieß ursprünglich ›Videot‹. Die Lyrics gefielen ihm nicht, dann ging er aufs Klo und schrieb in zwanzig Minuten den Text. Er hat ihn sofort eingesungen, und das war erneut ein Beweis, zu welch grandiosen Dingen dieser Musiker fähig war.«

Ein anderer Song auf dem Album war »Tango The Night«.

FALCO: »Ich habe mich auf wenig Worte Text zwischen Hans Albers und Marlene Dietrich beschränkt. Und ich bin damit zufrieden, obwohl das Lied eigentlich sehr wenig Arbeit machte.« (Beide, sowohl die Dietrich als auch Hans Albers, empfand FALCO als die ganz großen Stars. »Hans Albers konnte in seiner Zeit gänzlich ungewöhnliche Dinge tun und wurde akzeptiert, weil er einfach ein großer Künstler war. Und beide haben sowohl als Sänger wie auch als Schauspieler große Erfolge gefeiert. Dem kann man als junger Künstler einfach nur nacheifern.«)

Es ist dann noch »Munich Girls« auf dem Album nach der Nummer von den Cars, dann »Männer des Westens«, das er selber als »ein Lied gegen den Kulturimperialismus« bezeichnet (»es ist ein Tatbestand, dass dieses Abendland die Geschichte immer hat bestimmt. Es ist angesagt auch immer mehr gefragt, wer die Männer dieses Westens sind«), und »Nothin’ Sweeter Than Arabia«. Dazu meinte FALCO: »Ich war damals im Winter auf dem Weg nach Thailand für einen Tag in Amman, der jordanischen Hauptstadt, und das hat mich sehr fasziniert. Ich habe versucht, in meinem Text Traumbilder von dieser Stadt zu verarbeiten.«

»Macho Macho« ist ein Song mit ziemlich hypnotischem Rhythmus, FALCO macht sich im Text über einen Macho-Typen lustig, der andere Männer als Machos beschimpft.

Dann spielte er für das Album noch die alte Bob-Dylan-Nummer »Baby Blue« ein, ein sanftes, jazziges Stück. »Ich bin nach einem Fernsehauftritt mit Désirée Nosbusch am anderen Morgen in meinem Münchner Hotelzimmer erwacht. Es war frostig, Raureif vor den Fenstern, und dann machte ich das Radio an und hörte ›Baby Blue‹ von Van Morrison interpretiert, das war ganz eigenartig, und in dem Moment beschloss ich, mich des Liedes anzunehmen.« (Das Lied, das FALCO in dieser melancholischen Stimmung so sehr faszinierte, dass er es einspielen wollte, wurde am Ende seines Lebens zu dem Song, der ihn auf dem Weg zum Grab begleiten sollte.)

Schließlich ist dann noch »Vienna Calling« auf dem Album, die zweite Auskoppelung nach »Amadeus«, die ebenfalls an der Spitze der Charts in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Luxemburg war und die FALCO ganz bewusst »Amadeus« nachgeschossen hatte: »Die Leute sollten denken, ja ja, nicht übel, aber lange nicht so heiß wie ›Rock Me Amadeus‹, und wenn dann alle meinten, ich hätte mein Pulver damit verschossen, bringen wir ›Jeanny‹ auf den Markt.«

3

»Ich war im Umgang mit den Medien relativ neu«, zog FALCO nach der triumphalen ersten Platte und dem Einbruch mit »Junge Roemer« Bilanz, »und ich wusste nicht, wie ich mich richtig verkaufen sollte. Diesbezüglich habe ich in ein paar Monaten mehr gelernt als ein anderer in seinem ganzen Leben«. Er hatte eine Zeit lang wirklich Probleme im Umgang mit Journalisten, er äußerte sich manchmal brutal offen und bedachte dabei nicht, dass ihm das schaden konnte.

»Ich merkte plötzlich, die Leute kamen auf mich zu und erfanden Beschuldigungen, die sie von mir kommentiert haben wollten. Sie wollten damit irgendetwas herausfordern, um am Ende das zu hören, was sie ohnedies hören wollten. Ich wollte nicht immer gelobt werden und ich wollte auch gar nicht im rosigsten Licht dargestellt werden, aber ich hasse die Lügen und ich hasse die ganze Skandalisierung der Geschichten.«

Als er bemerkte, dass es so nicht mehr weitergehen konnte, wandte er sich an Hans Mahr, einen ehemaligen Journalisten, der die Wahlkampagnen der österreichischen Sozialisten unter Bruno Kreisky 1979 und 1983 geleitet hatte und später Berater des namhaftesten österreichischen Zeitungsverlegers, Hans Dichand, geworden war. Später wurde er Chefredakteur und Informationsdirektor von RTL in Köln und Vorstand bei Premiere. »Wir kannten einander vom Sehen«, erzählt Mahr, »aber ich hätte nie gedacht, dass wir einmal zusammenarbeiten würden.«

Eines Nachts kam FALCO in der Wiener Bar Take five in der Annagasse auf Mahr zu: »Sag mal, du hast doch früher den Bundeskanzler beraten?«

Mahr nickte. »Das stimmt.«

Und nun folgte ein Dialog, den Mahr nie mehr vergessen wird.

FALCO: »Oida, du bist oba nimma beim Kreisky?«

Kopfschütteln.

»Na guat, dann kannst jo für mi wos machen.«

Hans Mahr bat FALCO um ein paar Tage Bedenkzeit. Dann stimmte er zu.

Mahr: »Und das taten wir dann auch. Er machte geile Musik und ich habe versucht, ihn zu vermarkten. Wir zogen durch die Wirtshäuser der Stadt und machten gemeinsam Urlaub.« Und: »Es war nicht einfach mit ihm. Denn dieser Hansi Hölzel, der sich sein künstlerisches Alter Ego ausgerechnet von einem Skispringer geklaut hatte, war musikalisch genial und persönlich manchmal wahnsinnig. Poet und Alkoholiker, maßlos eitel und immer auf der Suche nach Nähe, Zuneigung und Anerkennung. Bei Freunden und Frauen, bei den Medien und dem Publikum. FALCO spielte mir eines Abends ein Demoband mit ›Amadeus‹ vor. ›Was hältst du davon?‹, fragte er mich. Ich antwortete, dass ich nicht recht wüsste, was ich davon halten sollte. Er spielte es mir wieder und wieder vor und sagte, es würde ein Hit werden. Er war damals schon sehr vom Erfolg seiner dritten LP überzeugt.«

FALCO charakterisierte sein Team so: »Hans Mahr ist in erster Linie ein Freund, der mich berät. Er ist vor allem für Österreich zuständig. Die Hierarchie schaut also so aus – FALCO, Bork, Mahr.« Und: »Selbstverständlich hat man mit wachsender Kapazität an verschiedenen Arbeiten eine wachsende Anzahl von Mitarbeitern, und natürlich lasse ich mir meine Reden schreiben, aber die Gedanken dazu und die meisten Formulierungen sind natürlich von mir.«

Obwohl er einsehen muss, dass sein Erfolg bereits solche Tragweiten angenommen hatte, dass es unmöglich war, alles allein zu bewältigen, versucht er doch, das Team so klein wie möglich zu halten. »Ich habe ständig Angst, plötzlich einen Riesenapparat wie ein aufgeblasener Wasserkopf mitzuschleppen, der nur Zeit und Geld kostet.«

FALCO hielt nicht viel von synthetisch produzierten Stars.

Wichtiger war es ihm, als Person zu wirken. »Wenn man so will, dann verfolge ich die Philosophie, die David Byrne von den ›Talking Heads‹ im Film ›Stop Making Sense‹ symbolisiert, wo er mit einem Kofferradio auf die Bühne geht, das Radio einschaltet und nur mit einer Gitarre dazu spielt. Ganz ohne großes Brimborium bringt er ungeheuerliche Power rüber. Das ist es, was ich will.« Und: »Es kommt immer noch auf das Produkt an, das man präsentiert. Wer sich alle möglichen Eskapaden dazu einfallen lässt, steht in der Zeitung, aber nur wenn die Platte stimmt, dann scheint er in der Hitparade auf, sonst bloß in der Klatschspalte.«

Am 12. Mai ist »Rock Me Amadeus«, die erste Auskoppelung, auf Anhieb die Nr. 1 der österreichischen Hitparade, zwei Wochen darauf nimmt sie die deutschen Charts im Sturm. Für FALCO ist es die Bestätigung, das Richtige getan zu haben. »Aber wer gedacht hatte, er würde jetzt ausflippen«, sagt Mahr, »der war unwillkürlich enttäuscht. FALCO trug den Triumph sehr gelassen.« FALCO: »Wahrscheinlich hätte ich zwei Jahre früher ganz anders reagiert, aber jetzt war da nur das Gefühl, eine Arbeit abgegeben zu haben, die respektiert wird. Zugleich Freude und Skepsis, wahrscheinlich war die Angst größer, die Angst davor, was noch alles auf einen zukommt.«

Die Kritiker waren nicht ganz sicher, wie sie »Rock Me Amadeus« beurteilen sollten, und auch später, als das Album »FALCO 3« auf dem Markt ist, sind die Rezensionen zwiespältig. Der Wiener schreibt:

»Das Cover ist hässlich. Die Platte ist rot (hält man mich für einen Teeniepopper, der sich über so was freut?). Die Salieri-Version von ›Rock Me Amadeus‹ ist weit aufregender als der auf der LP befindliche Gold-Mix, ›America‹ klingt wie Am-bros. ›Tango The Night‹ wollte FALCO schon auf ›Junge Roe-mer‹ tanzen, es hat dort aber nicht gefehlt, ›Munich Girls‹ ist gut, aber von den Cars. ›Jeanny‹ klingt wie Morak mal Heller dividiert durch Udo Jürgens, ›Vienna Calling‹ ist dünn, ›Männer des Westens‹ sind die neuen ›Helden von heute‹, ›Nothin’ Sweeter Than Arabia‹ ist ein von mir aus talentiertes Bowie-Plagiat, ›Macho Macho‹ ist infantil. ›It’s All Over Now, Baby Blue‹ ist von Bob Dylan.«

Zwar relativiert der Kritiker seine Rezension im nächsten Absatz: »Ist es das, was ihr lesen wollt? Es ist natürlich nur zur Hälfte wahr. ›FALCO 3‹ ist eine ziemlich gute Platte, und gerade die Kritikpunkte des vorhergehenden Absatzes könnte man als Attraktivitätsbelege interpretieren. ›FALCO 3‹ ist nicht so elegant und nicht so intelligent wie ›Junge Roemer‹, dennoch sympathisch in ihrer unverfrorenen Spekulation und ihrer handwerklichen Raffinesse.«

Wichtiger als die Kritik im Wiener war FALCO natürlich das, was der Rezensent vom Rolling Stone schrieb, der bedeutendsten Pop-Musikzeitschrift unserer Zeit. Um es kurz zu machen: Die Kritik war schrecklich und niederschmetternd. »FALCOS drittes Album ist so, dass man nach der Hälfte denkt, oh, was für eine schlimme Platte, aber es wird noch erbärmlicher.«

Der Artikel war so niederträchtig, dass er bei vielen Amerikanern eine merkwürdige Reaktion auslöste: »Der Bericht allein schon machte mich unsagbar neugierig auf das Album«, schrieb Robert Hilburn von der Los Angeles Times, »denn ich spürte, dass der Rezensent von ›Rolling Stone‹ die Platte hassen musste.« Und, logisch: »Etwas, was so viel Hass hervorrufen konnte, musste auch Seiten haben, die für das Album sprachen.« Hilburn schreibt sachlich weiter: »›Rock Me Amadeus‹ ist eine lebendige Junkfood-Mischung unserer heutigen Musikwelt, Disko-Streicher, synthetische Drums, Hip-Hop, Rap, eine Spur Heavy Metal.«

»Munich Girls« vergleicht der »L. A. Times«-Reporter mit guten Sachen von Lou Reed, »Macho Macho« mit einer verspielten David-Bowie-Aufnahme von »Rebel Rebel«, die Dylan-Nummer »It’s All Over Now, Baby Blue« mit frühen Rolling-Stones-Einspielungen. Hilburn: »In einem Telefon-interview, eine Woche ehe ich ihn persönlich traf setzte mir FALCO gut fünf Minuten lang auseinander, dass Mozart wohl ein Punk-Rocker wäre, würde er heute leben. Als ich ihn dann persönlich traf, schwächte er das ab. ›Wer weiß, was aus Mozart heute geworden wäre‹, sagte er.«

Hilburns Schlussfolgerung: »Er ist ein Junge, der genau weiß, was er will und wie er es bekommt. Er sagte mir: ›Ich denke, es ist wichtig für einen Popstar, auf die Menschen Eindruck zu machen, mit der Musik und mit den Auftritten im Fernsehen oder bei Interviews. Ich möchte nicht einer von denen sein, bei denen man sagt, ach ja, irgendwoher kenne ich ihn, aber ich weiß nicht recht, was ich von ihm halten soll.‹«

In dem Interview fragte der Reporter der Los Angeles Times FALCO, wie man sich fühle als Popstar in Österreich, und erhielt die Antwort: »Sicherlich anders als in Amerika, es ist manchmal geschmacklos in Europa, Geld zu haben. Die Leute sagen, gut, er hat Erfolg, aber er braucht deswegen ja nicht im Rolls-Royce herumzufahren. Man hat mich schon oft gefragt, weshalb ich nicht nach London oder in die USA gehe, wo meine Karriere sicherlich schneller vonstatten gehen würde. Aber ich bin glücklich hier, und ich glaube, ich würde viel verlieren, wenn ich meinen Wohnsitz verlegte. Ich möchte meine Wurzeln eigentlich nicht vermissen.« Im Laufe der kommenden Monate und Jahre sollte FALCO noch öfter das Angebot bekommen, den Wohnsitz in die USA zu verlegen. Aber er drückte sich jedes Mal davor. »Wir haben Häuser angeschaut«, sagt Horst Bork, »und abends im Hotel sagte er immer wieder: ›Was soll ich denn da, ich kenn’ hier ja keinen.‹«

People, das namhafteste amerikanische Star-Magazin, widmete FALCO einen zweiseitigen Bericht unter dem Titel »Roll over, Mozart«. Er fing mit einem FALCO-Zitat an: »Wolfgang Amadeus ist ein guter Freund von mir. Wir treffen uns öfter mal und trinken ein paar Gläser miteinander. Einmal sagte er: ›Hör mal, Salieri hat meinen Oscar bekommen, könntest du mir nicht Genugtuung verschaffen, indem du aus mir einen Popstar machst?‹«

FALCO spielte darauf an, dass für Formans »Amadeus«-Verfilmung nicht der Darsteller des Mozart – der ebenfalls nominiert war – den Preis bekommen hatte, sondern der Oscar an den Antonio-Salieri-Darsteller F. Murray Abraham ging.

Die witzigen Vergleiche FALCOS, seine – im perfekten Englisch vorgetragenen – Metaphern, sein Kokettieren, exaltiert und ausgeflippt zu wirken, gefiel den Amerikanern. Er selbst nahm sich dabei gar nicht so ernst. »Natürlich war er stolz, die Nr.-1 der Charts in den USA zu sein«, sagt Bork, »aber es gab auch Momente, da bezeichnete er den Platz als Betriebsunfall. Er war viel mehr stolz auf die Nr.-1-Platzierung in England, weil die Engländer in seinen Augen die Popmusik erfunden haben. Amerika war für ihn weniger der künstlerische als vielmehr ein gewaltiger finanzieller Erfolg.«

Oft fing er an, wild draufloszufabulieren, und die ausländischen Journalisten fanden seine Storys, auch wenn sie vorn und hinten erfunden waren, großartig. Einmal erzählte er Ruth Brotherhood von der englischen Millionen-Zeitung Sun wildeste Don-Juan-Geschichten und die Zeitung druckte alles brav auf einer Doppelseite unter dem Titel »Ein Exklusivinterview mit dem frischesten Star der Charts«.

FALCO wird zitiert: »Ich war immer einer, den die Frauen mochten. Meine Jungfräulichkeit verlor ich mit 18. Meine erste Geliebte hatte wunderschönes blondes Haar und verblüffend lange, rote Fingernägel. Von da an war es – wie man sagt – ein Kommen und Gehen. Ich kann mich heute gar nicht mehr erinnern, wie viele Mädchen ich geliebt habe, es waren einfach zu viele.«

Zu einem guten Teil stimmt, was die Journalistin Marga Swoboda behauptete: »FALCO ist viel mehr Profi als präpotent, er gibt keine Interviews ab, sondern Inserate.« Tatsächlich gibt er den Journalisten das, was sie suchen: Stargeplauder für People, eine Imagebeschreibung für die Los Angeles Times, und der Sun, jener Zeitung, die gern fetzige Skandale aufbereitet und jeden Tag auf der Seite 3 ein nacktes Mädchen bringt, erzählt er tolle Sex-Storys.

Der FALCO, der 1985 sein drittes Album präsentierte, war schlank, fit und sichtlich dazu entschlossen, den Weg der Karriere weiter zu beschreiten. »Ich habe langsam erkannt, dass mein Geschäft in Zyklen abläuft. Wenn ich nicht mal die Sau rauslassen kann, dann passiert nichts mit mir. Dann gibt es keine Hits, keine Millionen, nichts, dann steht alles still. Das heißt, im Prinzip steht das Publikum darauf, dass da auf der Bühne einer die Sau rauslässt, und dazu sind – und das beweist die Geschichte des Showbiz – gewisse Hilfsmittel notwendig, wie sie auch immer heißen mögen, schnelle Autos, Alkohol, Sex, ganz einfach Exzessivität. Und wenn man das ein oder zwei Jahre getan hat, muss man einfach regenerieren. Alles andere wäre Selbstmord.«

4

Beinahe zwei Wochen nach der ersten Auskoppelung, genau am 25. Mai 1985, hat FALCO seine erste wirklich große Bewährungsprobe vor Publikum zu bestehen. Er, der im Jahr davor seine Tournee verschoben hat, weil er nicht ohne Hit auf die Bühne gehen wollte, wird eingeladen, unter freiem Himmel vor der gigantischen Kulisse des Wiener Rathauses, direkt gegenüber vom Wiener Burgtheater, einen Liveauftritt zur Eröffnung der Wiener Festwochen zu bestreiten.

Helmut Zilk, der damalige Wiener Bürgermeister, bei dem FALCO auch in der Opernball-Loge eingeladen war, schätzt den Sänger ganz besonders. Zilk damals: »FALCO ist herb, originell und positiv. Er gefällt mir.«

Hans Hölzel hat anfangs mächtige Sorgen. Man hatte für gewöhnlich die fantastischen Festwochen mit Kulturdarbietungen aus dem ernsten Bereich, wie zum Beispiel mit dem Wiener Staatsopernballett, eröffnet, und es war noch nicht ganz klar abzusehen, wie das Publikum es aufnehmen würde, wenn plötzlich ein Popstar auf der Freiluftbühne steht und »Rock Me Amadeus« singt. Aber schon im Laufe des Tages zeigte es sich, dass der Abend wahrscheinlich alle Erwartungen übertreffen würde.

Die Straßen rundum und der große Platz vor dem Rathaus waren für jeden Verkehr gesperrt. Immer mehr Menschen drängten zum Rathaus, bis sich schließlich zu Beginn der Veranstaltung etwa 50.000 eingefunden hatten, um FALCO zu hören.

»Du wirst da urplötzlich mit einer ganz neuen Situation konfrontiert. Du stehst da oben, siehst Menschen, Menschen, Menschen, und plötzlich spürst du deine Macht. Ich finde es gefährlich, von einer Bühne aus Suggestionen auszuüben, und ich habe nie für mich das Recht beansprucht, irgendwelche erzieherischen Maßnahmen zu verlangen, weder im Text noch in der Performance. Ich sage mir, wenn ich nicht selbst Persönlichkeit genug bin, dass ich – auch ohne Suggestion auszuüben – auf der Bühne wirke, bin ich ohnedies fehl dort. In der Moral eines Unterhaltungskünstlers muss nur eines Priorität haben, das Wissen nämlich, dass die Leute, die gekommen sind, ernsthaft bedient werden wollen. Man muss sie ernst nehmen.«

Aber er weiß allmählich, dass ihm Macht auch Spaß bereiten kann. »Mit zunehmendem Alter wird das immer stärker. Ab einem bestimmten Zeitpunkt interessiert man sich wahrscheinlich nicht mehr fürs Geld. Worum es dann geht, das ist das Hantieren mit den Mechanismen der Macht. Es ist fantastisch, und es funktioniert wie bei Dominosteinen – du stößt den ersten an und nach einem physikalischen System wird einer nach dem anderen umfallen.«

Der Abend wird zu einem Triumph für FALCO. Er, der bisher eher in kleinen Sälen aufgetreten ist, kommt mit den 50.000 Menschen hervorragend zurecht. »Es war eine Bombenstimmung«, schwärmte er später noch, »es gab keine Schlägereien, keine Auseinandersetzungen, nichts.«

Als im Morgengrauen der Rathausplatz endlich leer ist, findet man nur zwei zerbrochene Bierflaschen.

»Man ist größtenteils selbst an dem, was unten passiert, schuld«, sagte FALCO zu einem späteren Zeitpunkt. »Man kann – wie zum Beispiel manche Heavy-Metal-Gruppen – Gewalttätigkeiten im Publikum regelrecht provozieren. Natürlich gibt es, wenn man ein Star ist, immer wieder Drohungen, und vor jedem Konzert gibt es Drohungen, und ich weiß, dass es eine Menge Wahnsinniger gibt. Aber ich habe aufgehört, mir darüber Gedanken zu machen, was alles passieren könnte. Sonst könnte ich wirklich nur unter einer Käseglocke leben.«

Obwohl er 1987 für einige Monate nach Los Angeles gehen will, ist es auch die Unsicherheit in Amerika, die ihn bisher davon abgehalten hat, es zu tun. »Ich unterhielt mich lange darüber mit dem Producer Georgio Moroder, einem gebürtigen Südtiroler, der unter anderem für seine Musik zum Film ›American Gigolo‹ den Oscar bekam. Er erzählte mir, dass die Leute in Beverly Hills zwar alle ihre privaten Security-Sheriffs und tausend Sicherheitsvorkehrungen hätten, dass aber dennoch schrecklich viel passiert. Trotz Hundestaffeln und bis an die Zähne bewaffneten Wächtern wird alle vier, fünf Wochen ein Haus ausgeraubt und der Hausbesitzer gleich getötet. Die Gangster kommen dann mit Möbelwagen und machen alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellt.« Allerdings weiß FALCO auch: »Um wirklich groß zu werden, musst du in Amerika leben!«

Obwohl er 1985 nicht einmal für eine Promotion-Tour in die USA geht, wird »Rock Me Amadeus« drei Wochen lang der Spitzenreiter aller großen amerikanischen Charts.

»Ich bin wirklich glücklich darüber«, sagt FALCO damals in einem Gespräch mit der Los Angeles Times, »aber ich sage mir auch, ich darf das nicht überbewerten. Ich war drei Wochen an der Spitze, doch die Charts haben jede Wochen einen Spitzenreiter, 52-mal pro Jahr. Ich glaube, dass das bloß der Beginn meiner Karriere sein kann.«

5

Während er im Sommer 1985 wie besessen an den letzten Mischungen für »FALCO 3« im Studio in Hilversum arbeitet und zwischendurch einmal nach München fährt, weil er mit dem Leiter des Deutschen Theaters über ein Musical verhandelt, erhält FALCO eine Einladung nach Graz. Die Popgruppe Opus lud österreichische Musiker zu einer gemeinsamen Veranstaltung in das Fußballstadion Liebenau ein. »Da ich bei der Platte ›Austria für Africa‹ nicht mitgemacht hatte, wollte ich dieses Mal nicht auch absagen.« FALCO reiste mit Hans Mahr nach Graz und stellte verblüfft und erfreut fest, dass das Fußballstadion mit 25.000 Sitzplätzen bereits ausverkauft war. Neben den Gastgebern Opus machten noch Wolfgang Am-bros, Rainhard Fendrich, Maria Bill und Wilfried mit.

Am 28. Juni, einem Freitag, sind die letzten Proben angesetzt, und nachdem FALCO seinen Auftritt geprobt hat, fährt er mit ein paar Freunden in die Innenstadt von Graz, um sich in einem Café die Zeit zu vertreiben.

Was damals niemand ahnte und was FALCO selbst auch erst viel später bewusst werden sollte, war die Tatsache, dass er sich zu jener Zeit nach einer neuen, beständigen Beziehung sehnte. Eine sehr enge Verbindung mit einem Mädchen, dem er zutiefst vertraut hatte, war gerade in die Brüche gegangen. »Eine ganz schmutzige Sache«, meinte ein Freund FALCOS dazu, »eine Angelegenheit, bei der es um verschwundenes Geld und ähnlich beschämende Dinge ging.«

Das Karussell der losen Mädchenbekanntschaften hatte schon längst seinen Reiz für Hans Hölzel verloren. Die Mädchen, die rund um seine Garderobe herumhingen oder ihm schmachtende Verehrerinnenbriefe schrieben, hatten ihn nie sonderlich interessiert. »Ich glaube zwar, dass der Erfolg eines Mannes ein gewisses Kriterium für seine Attraktivität bei Frauen ist«, sagte er einmal, »aber Groupies gab’s bei mir eigentlich nie. Natürlich habe ich schon mal ein nettes Mädchen vor oder nach einem Konzert kennengelernt, und wenn eine wirklich gut aussieht, gibt es auch keine Probleme für sie, hinter die Bühne zu gelangen, aber ich habe weder im Wiener Metropol, wo gerade 500 Menschen Platz haben, noch in der Stadthalle, wo 11.000 Menschen kamen, jemals erlebt, dass eine mit offener Bluse auf mich gewartet hätte. Gab es tatsächlich mal Überfälle von Groupies, so war das ganz harmlos, wie in der Gruga-Halle in Essen, wo immer ein Schwarm von acht oder neun Mädchen hinter mir herlief, wohin ich auch ging. Aber die Kinder waren zwölf oder dreizehn Jahre alt, die waren völlig aus dem Häuschen, und ich musste sie immer nur beruhigen, weil sie es nicht glauben wollten, dass sie mich, nachdem sie die Artikel über mich in Bravo gesammelt hatten, nun leibhaftig sahen.«

Seit FALCOS Karriere anfing, gab es immer treue Briefe- schreiberinnen. »Die schreiben, meist auf umweltbewusstem Papier, lange, lange Geschichten, und ich versuche dann auch immer zu antworten. Aber die tauchen nie wirklich auf. Diese Storys von den Mädchen, die vor lauter Freude, ihren Star auf der Bühne zu sehen, die Höschen nass machen, die halte ich für erfunden.«

FALCO hatte bei seinen Liebschaften immer die Einstellung, dass die jeweilige Partnerin mehr als nur ein hübsches Gesicht besitzen musste.

»Wenn ich mit einem Mädchen nicht reden konnte, fand ich es auch nicht besonders attraktiv – und wenn es auf den ersten Blick noch so gut ausgesehen haben mochte.«

Damals, am 28. Juni in dem Café in Graz, fällt FALCO eine junge Frau auf, die ihn fasziniert: Sie hat eine unübersehbare Ähnlichkeit mit Sharon Tate, der schönen Frau von Roman Polanski, die die Hauptrolle im »Tanz der Vampire« gespielt hatte – ein schmales, zerbrechlich wirkendes Gesicht, große grüne Augen, blondes Haar.

In gewissem Sinne war das Verhalten Hans Hölzels damals wesentlich zurückhaltender und schüchterner, als sich aus seinem öffentlichen Auftreten schließen ließ. »Ich bat damals einen Freund, der mit mir am Tisch saß, zu dem Mädchen hinzugehen und sie zum Konzert einzuladen.«

Das schöne Mädchen sagte zu. »Und von dem Moment an«, sagte FALCO rückblickend, »haben wir nicht mehr voneinander gelassen.«

Isabella Vitkovic zog zu FALCO, und er verlangte von ihr, dass sie ihn überallhin begleiten sollte.

Im März 1986 interviewte ein Reporter der Musikzeitschrift POP-Rocky FALCO. Ein Thema, das er immer wieder ansprach, war FALCOS Freundin Isabella:

»Wie war das vor der Beziehung zu deiner jetzigen Freundin? Man sagt, dass du früher immer tüchtig zugeschlagen hast?«

»Das ist gelogen.«

»Warst du nie ein Schürzenjäger?«

»Ich war nie ein Frauenheld!«

»Wie würdest du reagieren, wenn du erfahren würdest, dass deine Freundin ein Verhältnis mit einem anderen Mann hat?«

»Ich würde sehr böse sein.«

»Was würdest du dagegen unternehmen?«

»Die Mädchen früher und meine jetzige Freundin, alle, die mit mir zusammen waren, waren klug genug – sonst wären sie auch nicht mit mir zusammen gewesen –, um zu wissen, dass sie sich das nicht leisten können.«

»Ist dir die Treue wichtig?«

»Absolut, und zwar von beiden Seiten!«

»Was bedeutet Liebe für dich?«

»Liebe ist nicht nur ein Wort. Vertrauen, Zuneigung, Zärtlichkeit und nicht zuletzt Sex, das ist Liebe.«

»Hat Sex einen großen Stellenwert in deinem Leben?«

»Ich würde sagen, den gleichen Stellenwert wie bei jedem anderen normalen Mann.«

Als FALCO Isabella kennenlernte, war diese noch verheiratet. »Ich war sicherlich nicht ausschlaggebend für die Zerrüttung der Ehe, Isabella hatte schon davor einsehen müssen, dass es so, wie sie lebte, nicht weitergehen könne, dass sie wahrscheinlich noch viel zu jung war, um eine herkömmliche Ehe mit einem wesentlich älteren, gut situierten Mann zu führen.«

6

Isabella Vitkovic ist das älteste von vier Kindern einer bürgerlichen Grazer Familie. »Es ist ganz merkwürdig«, sagte FALCO einmal, »aber ich habe offenbar mit den Frauen in Wien meine Probleme. Meine Freundinnen sind fast immer aus anderen Städten.« Vielleicht liegt das daran, dass er ab einem bestimmten Zeitpunkt seiner Popularität aufgehört hatte, auszugehen. »Es gab Abende«, erzählt Billy Filanowski, »da hatten wir absolut keine Lust, das Haus zu verlassen. Da hat dann seine Freundin oder meine Freundin daheim gekocht, und es war richtig gemütlich.«

Wenn er auf Tournee oder in einer anderen Stadt war, um im Fernsehen aufzutreten oder etwas für seine Plattenpromotion zu machen, war das natürlich etwas anderes. Und so lernte er in Graz auch Isabella kennen.

»Wenn ich mich zurückerinnere, fiel mir als Erstes wohl ihre Schlagfertigkeit auf.« Hans lagen zu diesem Zeitpunkt viele Frauen zu Füßen. »Ich wollte aber nie ein Vehikel für eine Dumme sein, sie ins Rampenlicht zu stellen, da hab ich mich immer davor gedrückt«, sagte er später. »Ich kam weniger an Medizinstudentinnen ran als an Mädchen, die im Nachtleben verkehrten, die man dort trifft, wo Musiker sind. Da gibt es natürlich auch Klassen unter diesen Mädchen, und ich war immer in der Oberklasse. Es gibt da gewaltige Differenzierungen, und ich hab es immer vermieden, mit den Dummen zusammen zu sein.«

Als er Isabella trifft, ist mit einem Schlag alles anders. Er spürte sofort, dass sie nicht nur sehr schön war, sondern auch so viel Persönlichkeit mitbrachte, wie er es bei einer so jungen Frau noch nicht erlebt hatte: »Ich denke, sie hat mit ihren lausigen 23 Jahren genügend Fehler gemacht, um eine ausgewachsene Frau zu sein.« Isabella wusste anfangs vor allem den trockenen Humor FALCOS zu schätzen.

Am Tag nach dem großen Konzert nahm er sie mit in eine Bar, wo die Künstler einander noch trafen und wo es auch zu einem Shakehands zwischen ihm und Wilfried, mit dem er ja seit vielen Jahren in einem verbalen Clinch lag, kam. Isabella hatte zuletzt mit einem österreichischen Fußballstar zusammengelebt, ehe sie sich dazu entschloss, einen Mann zu heiraten, der 19 Jahre älter war als sie und der ihr – nicht zuletzt durch seine Beständigkeit und Bürgerlichkeit – imponiert hatte. Er besaß ein Gestüt mit Turnierpferden und verdiente sein Geld als Kaufmann.

Aber Isabella fühlte schon bald, dass sie das Leben an der Seite dieses Mannes nicht befriedigte. Hans beschrieb sie einmal so: »Sie hat viel gesehen, sie ist eine toughe Hausfrau, die alles kann und sich nie beklagt, sie kennt das Leben, sie stand hinter der Bar und vor der Bar, sie ist monatelang nicht aus dem Haus gegangen, weil ihr das wilde Leben wiederum nicht gefiel, sie ist eine sehr starke Persönlichkeit, weil sie so viele Seiten des Lebens kennengelernt hat.«

Dieses Zusammentreffen mit Isabella veränderte FALCOS Leben radikal. Er war bis über beide Ohren verliebt. »Ich bin gewohnt, immer alles zu sagen, was ich empfinde. Bei mir kann jeder an meinem Gesicht ablesen, wie es mir geht, Isabella ist da anders, sie versucht die Probleme zuerst mit sich selbst auszumachen, ehe sie darüber spricht, oder sie sagt überhaupt nichts.«

Am nächsten Tag sagte Hans zu Isabella: »Pack deine Sachen zusammen und komm mit mir mit. Du hast hier bei dem Mann nichts verloren. Aber ich brauche dich.«

Wenn sie in einem Hotel abstiegen, trug sich Isabella unter ihrem richtigen Namen an der Rezeption ein. Das verwirrte Hans anfangs, da sie ja noch verheiratet war. »Ich fragte sie, ob das klug sei, ob sie unser Zusammensein nicht noch nach außen hin verbergen wolle.« Und Isabella antwortete: »Nein. Es ist ohnedies aus mit ihm.«

Sie verabscheute Lüge und halbe Sachen, FALCO merkte bald, dass sie so viel Kraft besaß, wie er es noch selten bei einem Menschen erlebt hatte.

Nach einer Weile merkte Isabella, dass sie schwanger war. Hans damals: »Sie war sich ziemlich klar darüber, dass sie gern ein Baby haben wollte, aber sie war sich lange Zeit nicht klar darüber, ob sie von mir ein Baby wollte.«

Sie verschwieg ihm die ersten Wochen der Schwangerschaft, um mit sich selbst ins Reine zu kommen, was dieses Kind von Hans Hölzel für ihr zukünftiges Leben bedeutete und ob es richtig war, ein Kind zu haben.

FALCO: »Andere Leute lernen einander kennen, verlieben sich ineinander, verloben sich, heiraten und kriegen ein Kind. Ich habe den Eindruck, bei uns kam dieser Kreislauf völlig durcheinander.«

Bis zu diesem Zeitpunkt war FALCO noch niemals ernsthaft mit dem Gedanken konfrontiert worden, dass er Vater werden könnte. »Vor vielen Jahren, als ich noch bei Spinning Wheel spielte und ein armer Musiker war, meinte ein Mädchen, mit dem ich eine Weile zusammen war, es würde ein Kind bekommen. Das war damals für uns ein schrecklicher Gedanke, ich war kaum 20 Jahre alt, das Mädchen noch jünger, wir hatten beide kein Geld, und an eine Familiengründung war nicht zu denken«, erzählte FALCO später.

Nachdem Hans und Isabella zwei Monate lang sehr eng zusammenlebten, empfand sie den Gedanken, ein Baby zu bekommen, immer verlockender. Und schließlich erzählte sie ihm von ihrer Schwangerschaft und fragte ihn, was er davon halte.

Hans war vom ersten Moment an begeistert. »Emotionell war es für mich eine ganz klare Entscheidung, ich wollte, dass sie das Baby bekam.« Und spöttisch fügte er hinzu: »Eine schöne Frau und ich, das musste ja ein schönes Kind werden.«

Aber für ihn waren auch viele andere Dinge ausschlaggebend. Billy Filanowski sagt: »Er hat zu dem Zeitpunkt tief in seinem Inneren nach Beständigkeit gesucht. Er wollte eine fixe Beziehung, und er wollte ein Kind als Bestätigung der Beziehung.« Und Hans sagte selbst einmal: »Ich wollte dem wilden Leben langsam einen Riegel vorschieben. Ohne das Baby wäre ich zwar auch mit Isabella zusammengeblieben, aber wer weiß, wie lange das gedauert hätte? Nach zwei oder drei oder fünf Jahren wären wir wieder auseinandergegangen. Egal, ob wir vielleicht geheiratet hätten oder nicht. Ein Kind aber ist ein bewahrendes Element, das wird auch in den kommenden Jahren nicht anders sein.«

FALCO machte Isabella schon früh klar, dass er sie und später auch noch das Baby immer bei sich haben möchte. »Wenn das Kind zwei Jahre alt ist, gibt es keine Probleme mehr. Dann können beide mit mir fliegen. Oder herumreisen.«

In People sagte Hans: »Ich sage von Isabella einfach meine Frau, obwohl wir nicht verheiratet sind und nicht vorhaben, zu heiraten. Aber sie hat alle Rechte einer Ehefrau.« Obgleich das Baby unterwegs war, waren beide einig, ihre Partnerschaft vorläufig nicht mit einem Ehekontrakt belasten zu wollen. Hans hatte unter der Trennung und der Scheidung seiner Eltern sehr gelitten, und auch Isabellas Eltern waren geschieden, sodass »wir manchmal dachten, die Ehe müsse einfach mit Zank und Auseinandersetzungen enden. Und das wollen wir nicht«.

Aber natürlich macht sich FALCO darüber Gedanken, was sein würde, wenn ihr Kind heranwachsen und später zur Schule gehen würde. »Es lässt sich natürlich nicht vermeiden, dass dann alle Leute fragen, wieso das Kind nicht Hölzel heißt, sondern Vitkovic, und deshalb habe ich mich entschlossen, das Baby zu adoptieren.«

7

Nach den großen Plattenerfolgen fühlt sich FALCO im Herbst 1985 stark genug, endlich eine Tournee zu starten. »Vor ›Rock Me Amadeus‹ auf Tournee zu gehen, wäre mörderisch gewesen«, sagte er, »aber jetzt ist eine Tournee nur noch ein kalkuliertes Risiko. Es ist jetzt an der Zeit, bei den Fans anzuklopfen und zu sagen ›Hear we are!‹.«

Es war sicherlich nicht die beste Zeit für einen jungen Künstler, seine Tournee vorzubereiten. Geplante Touren anderer Sänger wurden gerade abgesagt, Stars wie Udo Lindenberg oder Nena mussten teilweise vor halb leeren Hallen auftreten. Zum finanziellen Verlust kamen noch Häme und Spott in den Zeitungskritiken. Hans wusste genau: »Wenn du volle Hallen hast, nimmt dir niemand etwas übel, wenn die Hallen leer sind, machen dich die Journalisten fertig.«

Einmal fragte ihn vor dem Tourneestart ein Reporter der damals großen deutschen Illustrierten Quick, weshalb seiner Meinung nach gerade die Österreicher in Deutschland so viel Erfolg hätten, während die meisten deutschen Künstler mit ihren Verkaufszahlen einbrächen. FALCO antwortete: »Die Deutschen haben wahrscheinlich zu wenig Schmäh, sie nehmen sich tierisch ernst. Es gibt natürlich Ausnahmen – ein Peter Maffay hat Schmäh und ein Purple Schulz auch.« In diesem Interview sagte FALCO noch: »Inzwischen habe ich gelernt, dass man es nicht nötig hat, den Mund groß aufzureißen, wenn man erfolgreich ist. Ich war nie so hochnäsig wie Nena. Ich möchte, dass die Menschen einmal von mir sagen, der Kerl ist arrogant, er ist dumm, er ist ganz normal, er ist sehr nett, zum Teufel, wir wissen eigentlich nicht, was wir von ihm halten sollen.«

Für seine Tour hatte sich FALCO von Brigitte Meier-Schomburg Bühnenkostüme schneidern lassen. Er hat vor, die Bühnenkleidung öfter zu wechseln. Am liebsten mag er eine rote Uniformjacke mit dicken goldenen Biesen, die sie ihm im Stil von Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band der Beatles anfertigte. Diese Jacke trug er zu Lederhosen und Tennisschuhen, wenn er seinen Hit »Amadeus« sang.

Er hatte auch einige weit geschnittene Seidenhemden, und wenn er »Auf der Flucht« sang, den Song, den noch Robert Ponger komponiert hatte, trug er eine dunkle Lederjacke dazu.

Die Wiener Stadthalle ist am 31. Oktober 1985, einem Donnerstag, bis auf den letzten Platz ausverkauft. 11.000 Zuschauer jubeln FALCO zu, als er gegen Ende seines Auftritts, auf einem Barhocker sitzend und eine Zigarette rauchend, den alten Dylan-Song »It’s All Over Now, Baby Blue« intoniert. Bei der Stelle, die er eingedeutscht hat: »… aber was vorbei ist, ist vorbei, Baby Blue«, leuchten plötzlich in der abgedunkelten Halle Tausende Feuerzeuge auf, deren Flammen wie ein sternenübersäter Nachthimmel zur Bühne blinken.

Sein Tross, mit dem er nach Salzburg, Berlin, Bielefeld, Köln, Hamburg, Zürich, München und Frankfurt auf Tour geht, umfasst 32 Personen. Neben seinem alten Kumpel Peter Vieweger, der als Bandleader, Gitarrist und Chorsänger für ihn arbeitet, sind noch Helmut Bibl, ein Österreicher, der früher einmal bei Hallucination Company mitgemacht hat und zuletzt beim Rocktheater »Total Normal« spielte, Herbert Pistracher, Ex-Bassgitarrist von Christine Jones’ Jonesmobil, Polio Brezina, ein Keyboard-Mann, den FALCO auch noch von der Hallucination Company kennt, Thomas Rabitsch und dessen Bruder Bernhard (Keyboard und Trompete sowie Percussion), Othmar Klein, ein Jazz-Saxophonist mit einem atemberaubenden Solo bei dem Song »Hoch wie nie«, und Bodo Schopf, der Drummer, ein gebürtiger Stuttgarter, als Musiker dabei.

Die Voraussetzungen für die Tour sind hervorragend. »Rock Me Amadeus« lag sechs Wochen lang an der Spitze der Ö3-Hitparade, vier Wochen an erster Stelle der deutschen Charts. Als FALCO seine Tournee startet, sind in Österreich davon bereits 60.000 und in Deutschland mehr als 600.000 Singles verkauft. Das bedeutet natürlich in beiden Ländern die Goldene Schallplatte für FALCO.

Für eine halbe Million verkaufter Alben gibt es in der Bundesrepublik Deutschland in der Zeit Platin, auch das erreichte FALCO. Seine Plattenkäufer, das weiß er inzwischen, sind junge Leute, vielleicht 15, 16 Jahre alt. »Inzwischen ist es vonseiten der Industrie auch in Mode gekommen, verschiedene Nummern in unterschiedlichen Plattenversionen anzubieten. Wir haben beispielsweise von ›Amadeus‹ eine 7 Inch, eine 12 Inch und einen Salieri-Mix gemacht, das heißt, vom Start weg hatten wir drei verschiedene ›Amadeus‹-Versionen.«

8

FALCO hat sich schon oft Gedanken darüber gemacht, ob er jemals spürte, dass ein Lied, das er gerade aufnahm, ein Hit werden würde. Er zweifelte oft daran. Anders bei »Jeanny«.

»Da war«, bestätigt auch Hans Mahr, »von vornherein klar, dass das Lied ein Hit werden würde. Und zwar abgesehen von all dem Streit, den Diskussionen und der Zensur bei manchen Rundfunkanstalten, die Hand in Hand mit der Auskoppelung von ›Jeanny‹ gingen.« Nun, ganz so war es nicht. In der Ursprungsversion handelte der Song von einem Mädchen, das wegen seinem Freund daheim Stress bekommt und durchbrennt. Als FALCO die erste Demoversion hört, kommt er schnell zu einem Schluss: »Die Musik ist toll, aber der Text ist so lauwarm, das sing ich nicht.« Er wollte das Band schon zurückschicken, doch Horst Bork widersprach: »Hör mal, der Refrain ist mörderisch, überleg es dir doch noch mal.«

Da ging Hans Hölzel daran, sich mit Musik und Text detailliert auseinanderzusetzen. Bork: »Die Verse wurden anders … und auch irgendwie ohne rechten Zusammenhang. Und dann kam seine Idee mit der Schlusszeile: ›Sie kommen mich zu holen, sie werden dich nicht finden.‹« Die Verse allein hätten nicht so viel bewirkt, im Kontext mit den Videobildern jedoch, die bald darauf gedreht wurden, besonders mit dem Schlussbild FALCOS in einer weißen Zwangsjacke, wurde aus Musik, Lyrics und Bildern ein sehr erschreckendes, bedrohliches Gesamtwerk, das die Menschen dann automatisch mit einer Straftat in Zusammenhang brachten. Horst Bork: »Wenn man es genau analysiert, wird man erkennen, dass ›Jeanny‹ an und für sich ein sehr harmloser Song ist. ›Sie kommen dich zu holen, niemand wird dich finden. Du bist bei mir.‹ Heißt das, dass sie tot ist? Nein. Sie ist durchgebrannt.« Mit den dazugehörigen Videobildern erhielt der Song das, was FALCO »Schärfe« nannte. Und jetzt war auch er von dem Song überzeugt.

FALCO: »An ›Jeanny‹ glaubte ich ganz fest. Ich war so vom Erfolg überzeugt, dass ich auch meine Taktik mit den Auskoppelungen durchbrachte. Für gewöhnlich ist es üblich, dass man ein Lied als Single auskoppelt, von dem man ahnt, es könnte ein Hit werden. Und dann trumpft man als Nächstes entweder mit einem noch größeren Hit auf oder die Auskoppelung ist schwächer, und damit hat sich’s, das Album gerät langsam in Vergessenheit.«

Bei »FALCO 3« beschritt Hans Hölzel einen neuen Weg. »Ich ließ nach ›Amadeus‹ auch ›Vienna Calling‹ auskoppeln, ein Song, der nicht schlecht, aber eher eine flache Nummer ist.« Immerhin – 350.000 Singles wurden wieder verkauft, sowohl in der Hitparade Luxemburgs als auch Österreichs und der Bundesrepublik Deutschland lag »Vienna Calling« vorn. (Das hervorragende Video dazu wurde übrigens nicht in einem Wiener Café, sondern im Café Reitschule in München gemacht.)

FALCO: »Aber der Verkauf der neuen Single reichte nicht mehr für eine Goldene Schallplatte, und viele sagten bereits, aha, dem Kerl ist nach ›Amadeus‹ wieder die Luft ausgegangen, jetzt wird es passieren wie nach dem ›Kommissar‹, jetzt braucht er wieder ein paar Jahre, ehe er sich erholt.«

Als »Jeanny« auf den Markt kommt, gibt es einen Skandal. Der Wirbel fängt – genau genommen – mit einer Nachrichtensendung im ZDF an, dem »heute journal«, das von vielen Millionen Deutschen gesehen wird. Dieter Kronzucker, der damals die Sendung moderierte, sagte am Anfang der Nachrichtensendung: »Ich hörte ›Jeanny‹ zufällig im Autoradio auf dem Weg ins Studio und war entsetzt. Denn in diesem sogenannten Hit geht es ganz augenscheinlich um die Entführung, Vergewaltigung und Ermordung einer 19-Jährigen.«

Eine deutsche Illustrierte schrieb darüber: »Dieter Kronzucker wirkte, während er dies sagte, so tief betroffen und persönlich engagiert, wie man den sonst so souveränen ehemaligen ZDF-Korrespondenten aus Washington gar nicht kennt.«

Die Gründe für die Betroffenheit des Moderators lagen auf der Hand. Sechs Jahre zuvor waren seine beiden Töchter – Susanne, damals 15, und Sabine, damals 13 – und deren Vetter von italienischen Kidnappern entführt und 68 schreckliche Tage lang gefangen gehalten worden, ehe sie nach einer Lösegeldzahlung in Millionenhöhe freigelassen wurden.

Während Kronzucker im ZDF seine Anklage gegen den Song sprach, flimmerte hinter ihm per Blue Box das Video.

Die (längst eingestellte) Illustrierte Quick beschrieb in einer Titelgeschichte über FALCOS »schaurigen Song« das Video so: »Ein blutjunges Mädchen malt sich mit Lippenstift einen knallroten Mund. Signal für einen finsteren Typen, das junge, bildhübsche Ding anzumachen. Das Ende vom Liebeslied: Das Mädchen Jeanny liegt auf dem Waldboden, vom Regen durchnässt, ohne Schuhe; später im weißen Kleid aufgebahrt zwischen brennenden Kerzen. Wurde sie vergewaltigt, ermordet, oder war alles nur ein fantastischer Albtraum?«

»Jeanny« wurde von der 15-jährigen Schülerin Theresa Guggenberger gespielt, die nach einem Casting bei ihrer Modellagentin »völlig überraschend« für den Part ausgewählt worden war. Die Dreharbeiten, teilweise in den riesigen Wiener Kanalisations-Grotten unter der Erde, die schon Orson Welles als Kulissen für seinen Film »Der dritte Mann« gedient hatten, dauerten drei Tage, meist wurde zwölf Stunden oder länger gearbeitet. Theresa Guggenberger sagte nachher: »FALCO war zu mir immer wahnsinnig nett. Ich habe seine Leistung bewundert. Nicht nur von der Stimme her, er hat auch große schauspielerische Fähigkeiten.«

Theresa Guggenbergers Eltern hatten einen Antiquitätenladen in Salzburg, sie selbst studierte in Wien Musical und bekam für die Dreharbeiten 14.000 Schilling.

Aber wenn man nach dem Videoclip auch nicht absehen konnte, ob das Mädchen Jeanny umkommt oder nicht, so schien der Text – zumindest dem Fernsehmann Dieter Kronzucker – eindeutig zu sein.

FALCO singt: »Jeanny, komm, come on, steh auf, bitte, du wirst ganz nass, schon spät, komm, wir müssen weg hier, raus aus dem Wald, verstehst du nicht? Wo ist dein Schuh? Du hast ihn verloren, als ich dir den Weg zeigen musste. Wer hat verloren? Du dich? Ich mich? Oder wir uns? Jeanny quit living on dreams. Life is not what it seems. Such a lonely little girl in a cold, cold world, there’s someone who needs you … You lost in the night, don’t wanna struggle and fight. Es ist kalt, wir müssen weg hier. Komm … dein Lippenstift ist verwischt, du hast ihn gekauft und ich habe es gesehen. Zu viel Rot auf deinen Lippen. Und du hast gesagt: ›Mach mich nicht an!‹ Aber du warst durchschaut. Augen sagen mehr als Worte. Du brauchst mich doch, hmmm? Alle wissen, dass wir zusammen sind ab heute. Jetzt hör ich sie, sie kommen, sie kommen, dich zu holen. Sie werden dich nicht finden. Niemand wird dich finden, du bist bei mir.«

Am Ende erklang noch die Stimme des deutschen Tagesschausprechers Wilhelm Wieben, der kühl sagt: »In den letzten Monaten ist die Zahl der vermissten Personen dramatisch angestiegen. Die jüngste Veröffentlichung der lokalen Polizeibehörden berichten von einem weiteren tragischen Fall. Es handelt sich um ein 19-jähriges Mädchen, das zuletzt vor 14 Tagen gesehen wurde. Die Polizei schließt die Möglichkeit nicht aus, dass es sich hier um ein Verbrechen handelt.«

Kronzucker forderte im »heute journal« noch, dass die Rundfunkanstalten darauf verzichten sollten, dieses Lied zu senden.

Und tatsächlich fing am nächsten Tag quer durch die Bundesrepublik ein Boykott von »Jeanny« an. Am schnellsten reagierte man beim Bayerischen Rundfunk. »Ich finde die Platte geschmacklos, so etwas hat in unserem Programm nichts verloren«, äußerte sich der Programmdirektor und kippte den Hit aus dem Programm. Auch beim Hamburger NDR zog man die Konsequenzen: »Weil sich Hunderte von Hörern bei uns beschwerten«, gab ein Redaktionssprecher bekannt, »wird der Song nicht mehr gespielt werden.« In Hessen löste man den Problemfall »Jeanny« anders: »Es gibt kein generelles Verbot«, sagte man dazu, »aber bevor die Platte gespielt wird, kündigt sie der Diskjockey mit erklärenden Worten an.«

Auch in Berlin verkniff man es sich, »Jeanny« beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu senden.

Am schlimmsten griff jedoch Thomas Gottschalk in einer Kolumne in der »Münchner Abendzeitung« FALCO an. Er schrieb unter anderem: »Ein Wiener Würstchen produziert Schwachsinn. … FALCO hat mit ›Amadeus‹ bewiesen, dass er voll im Trend liegt. Er ist ein guter Musiker und ein netter Typ. Das macht alles noch schlimmer. Denn gerade haben die Idole der Rockmusik angefangen, gegen die Rassentrennung und den Hunger zu singen, da kommt so ein Wiener Würstchen daher und fabriziert apokryphen Schwachsinn.« Und weiter: »FALCOS Fieselton und die Latrinen-Ansichten in seinem Video sind ganz einfach eine Zumutung für jeden, der hinhört oder hinschaut. Aber das ist wohl aus der Mode gekommen … Aber bei dem, was Frauen und Mädchen wirklich zustößt, sollten FALCO seine Gesänge im Hals stecken bleiben.«

Beinahe alle großen Zeitungen und Magazine nahmen sich in der Folge des Themas an.

Die Reaktionen auf den Gottschalk-Artikel füllten ein paar Tage lang in der Münchner »Abendzeitung« immer wieder die Leserbriefspalten.

Und die meisten Briefschreiber verwahrten sich dagegen, dass ein Lied von einer Rundfunkanstalt auf die schwarze Liste gesetzt wird. In Hamburg beschäftigte sich sogar der Musikwissenschaftler Professor Hermann Rauhe, der an der Universität auch Erziehungswissenschaften lehrt, mit »Jeanny«. Bei einem Vortrag in der Katholischen Akademie, der großes Medienecho auslöste, verwies er auch auf den FALCO-Hit. Die »Süddeutsche Zeitung« schrieb am darauf folgenden Tag darüber: »Von dem Song, in dem, wenn auch auf nicht ganz eindeutige Weise, von einem Verbrechen die Rede sei, seien bereits 300.000 Platten verkauft worden. ›Jeanny‹ zeige besonders deutlich, wie die Wirkung von Schlagern entscheidend von den nichtverbalen Anteilen, also von der Art der Präsentation, dem Rhythmus, dem Sound, der Animation zum Mitsingen abhänge. Hierin liegt für Rauhe auch die Gefahr solcher Titel. Rauhe begrüßte, dass FALCOS Hit von einigen Sendern aus dem Programm genommen wurde.«

Tatsächlich schoss mit den öffentlichen Diskussionen der Verkauf der Single sprunghaft in die Höhe. Pro Tag wurden in den Plattenläden 30.000 bis 50.000 Scheiben gekauft. Quick schrieb: »Seit Anfang Dezember ging ›Jeanny‹ 400.000-mal über den Ladentisch. Seit über ›Jeanny‹ öffentlich gestritten wird, laufen die Plattenpressen erst recht auf Hochtouren.« Klar, dass das Gesamtprodukt »Jeanny« sehr spekulativ war. Doch wenngleich am Anfang aus der kruden Mischung aus Text und bewegtem Bild gewollt eine bestimmte Aussage angestrebt wurde, so konnte damals keiner die Reaktion, die schlagartig einsetzte, vorhersehen. Verknappung als Verkaufsargument kam nicht ganz unrecht.

FALCO nahm später zum Wirbel ausführlich Stellung. Als es mit dem Skandal losging, machte er gerade auf den Virgin Islands Urlaub und bekam herzlich wenig von den Angriffen mit. Er sagte nach seiner Rückkehr: »Ich ahnte, dass ›Jeanny‹ nicht ohne Auseinandersetzungen gesendet werden würde, aber welche Ausmaße diese Affäre bekommen sollte, wusste ich natürlich nicht. Dass mein Lied in den deutschen Hauptabendnachrichten Präsident Reagans Auseinandersetzung mit Ghaddafi verdrängen würde, übersteigt natürlich meine schlimmsten Befürchtungen.«

Während FALCO noch Urlaub machte, setzte sein Management eine Gegenbewegung in Gang. Man gab zum Beispiel Aufkleber mit der Nachricht »Jeanny lebt!« heraus. Ohnedies war von FALCO das Lied nur als erster Teil einer Trilogie vorgesehen gewesen. Es war schon bei der Produktion sicher, dass er auf seiner nächsten Platte »Jeanny 2« singen würde, und er spekulierte damit, dass vielleicht die Regensburger Fürstin Gloria von Thurn und Taxis, die er kurz davor kennengelernt hatte und die kein Geheimnis daraus machte, dass sie gern einmal vor der Kamera stehen wollte, für das Video in Part 2 die Rolle der Jeanny übernehmen könnte.

Auch nach FALCOS Rückkehr aus den Ferien ging der Wirbel um »Jeanny« weiter. Als er sich bereit erklärte, am Telefon der Bild-Zeitung Anrufe von seinen Fans entgegenzunehmen, brachen alle Telefonleitungen zusammen, so groß war der Rummel. Die meisten wollten natürlich wissen, wie es mit dem Lied weiterginge, und FALCO sagte wiederholt: »Es wird auf jeden Fall einen zweiten Teil mit der Erklärung zu Jeannys Schicksal geben. Aber eines kann ich schon jetzt verraten: Jeanny lebt!«

Am 3. Februar 1986 wollte der Bayerische Rundfunk die 100. Folge der Popsendung »Formei Eins« senden. Dabei kam es – wiederum wegen »Jeanny« – zu einem Eklat. In der Live-sendung werden auch stets die Spitzenreiter der Hitparade und die Interpreten vorgestellt, und trotz aller Boykotte verkaufte sich »Jeanny« zu jener Zeit so gut, dass die Moderatorin, Stefanie Tücking, Hans in die Sendung einladen musste.

Sein Lied lag an der Spitze und für die Rundfunkleute war die Situation recht prekär: Sollten sie darauf verzichten, in der 100. Sendung den Spitzentitel der Charts spielen und sich damit vorwerfen zu lassen, puritanisch zu sein, oder sollten sie das Lied senden und sich damit in Opposition zum Hörfunk zu stellen, der den Song auf die schwarze Liste gesetzt hatte?

Der Moderatorin war klar, dass sie den Song auf keinen Fall unkommentiert lassen konnte, deshalb produzierte sie mit FALCO vorab ein Interview.

Beide, Stefanie Tücking und FALCO, erschienen mit dunk-len Hüten und in dunklen Mänteln vor der Kamera, und Stefanie fragte FALCO: »Du warst in Urlaub, als deine Single Nummer eins wurde und das ganze Theater hier in Deutschland losging.«

FALCO: »Ich war in den Ferien, hab aber ein gerüttelt Maß von dem Zirkus, der da abging, mitgekriegt. Ich muss das jetzt erst noch ein bisschen nachlesen in den verschiedenen Gazetten. Zu dem, was da alles passiert ist, kann ich nur sagen: Ich halte dieses ganze Spiel für äußerst überzogen und übertrieben. Ich meine, über Geschmack lässt sich ja bekanntlich nicht streiten. Es gibt Leute, die haben welchen, und es gibt Leute, die haben keinen.«

Er sagte noch: »Das Lied ist ein Liebeslied, das so konzipiert und durchgeführt wurde, dass es sicherlich interpretierbar ist. Die wenigen Leute, diese Minderheit, die meint, hier ein eindeutiges Gewaltverbrechen oder sonst irgendetwas drin erkennen zu müssen, haben einen wesentlich schaurigeren Geschmack, als es im Sinne des Erfinders war.«

Eineinhalb Stunden vor Beginn der Livesendung kommt es zu dem Eklat, als sich der Fernsehdirektor Helmut Oeller einmischt und nicht nur die Ausstrahlung des Songs verbietet, sondern auch verlangt, dass das Interview mit FALCO nicht gesendet wird.

Die Moderatorin Stefanie Tücking war wie vor den Kopf gestoßen. Sie sagte: »Wenn man ein Lied nicht bringt, mag das ja okay sein. Aber ich finde es nicht richtig, einem Künstler zu verwehren, seine Meinung zu sagen. Die Statements rauszuschneiden ist ein starkes Stück.«

Stefanie Tücking entschloss sich dann, in der Livesendung den Text ihres Interviews mit FALCO einfach vom Blatt vorzulesen. Sie sagte dazu: »Selbst wenn ich Schwierigkeiten bekommen würde, ich würde es immer wieder so machen.« Doch merkwürdigerweise hielt in dem Fall der Fernsehdirektor still, es gab nicht einmal einen Verweis für die »Formel-Eins«-Macherin. »Wir geben einem Moderator bei einer Livesendung Spielraum«, erklärte man dann beim Bayerischen Rundfunk, »der Alleingang von Frau Tücking wird bei uns nicht mehr diskutiert.«

Ganz anders reagierte der Hessische Rundfunk, der ebenfalls »Formel Eins« in seinem dritten Programm bringt. Dort wurde die Sendung ohne Schnitte mit »Jeanny« gebracht und ein Redaktionssprecher sprach sogar von »einem Trara in Bayern, das wir blöd finden«. Doch nicht genug mit diesen Auseinandersetzungen; – einige Leute bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften stellten sogar den Antrag, »Jeanny« auf den Index zu setzen und damit zu indizieren. »Ein doppelbödiger Gedanke«, sagte FALCO dazu, »denn die Platte darf weiter verkauft werden, sie darf nur nicht öffentlich ver-kauft werden. Das ist, wie wenn einer sagt, er bezahlt Steuern, nur bezahlt er die schwarz. Das ist doch Unsinn.«

Unter anderem hatte das Jugendamt in Freising, dem Bischofssitz vor München, einen Indizierungsantrag gestellt. FALCO war verblüfft: »Da wird die Diskussion von den Leuten dauernd am Kochen gehalten und mir wirft man dann vor, ich würde an der Nachfrage, die damit geweckt wird, verdienen.«

Er sagte auch: »Die erste und letzte Schallplatte, die bis heute in der Bundesrepublik indiziert wurde, war im Jahr 1958 eine Platte mit Reden von Adolf Hitler, die deutlich neonazistische Tendenzen hatte.

Ich wehre mich dagegen, den Leuten ›99 Luftballons‹ und Ähnliches vorzusetzen, so etwas liegt mir nicht, und ich halte es für absolut moralisch, auch einmal Texte zu singen, die zwiespältig sind, über die man diskutieren muss. Es ist, finde ich, mein gutes Recht, so etwas zu machen.«

Es dauert bis zum 13. März, ehe sich die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften zu den Anträgen äußert. Von vornherein wird ein Verkaufsverbot der Platte abgelehnt. Die Bundesprüfstelle kommt zu dem Schluss: »Die Frage, ob der Song die Vergewaltigung oder gar Ermordung eines jungen Mädchens schildert und damit verrohend wirkt, bleibt widersprüchlich. Eine Jugendgefährdung konnte nicht wahrscheinlich gemacht werden, da die Interpretationsmöglichkeiten des Stückes zu vielfältig sind.«

Beim Jugendamt in Freising erklärte man daraufhin einem Reporter der Münchner Abendzeitung: »Wir sind enttäuscht, weil solche Dinge Signalwirkung darauf haben, wie weit und wie eindeutig die Grenzen in diesem Bereich noch ausgereizt werden dürfen.«

Der Rummel um den Song, der größere Ausmaße angenommen hat als bei jedem anderen Lied in den 80er-Jahren in Deutschland, führt dazu, dass sich einige andere Interpreten des Liedes annehmen und mit ironischen Texten nachziehen. Schließlich gelingt es sogar Frank Zander, damit in die Hitparaden zu kommen.

In Wien befragte basta den ehemaligen Kollegen von Hans bei Drahdiwaberl, Stefan Weber, was er von »Jeanny« halte, und er äußerte sich ziemlich abfällig über das Lied. Er sagte, der Song sei schrecklich, »als ich ihn das erste Mal gehört habe, dachte ich, jetzt wird der Hölzel politisch, ich habe nämlich immer ›Chile‹ verstanden. Dann der Newsflash mit den Vermissten. Dann hab ich erst kapiert, worum es geht«. Anfang April pressten Drahdiwaberl ihre »Jeanny«-Version auf Platte, und der Text dazu war eindeutig: »Jeanny – bitte noch ein Verbot, Jeanny – du bist niemals tot, solange du lebst, gibt es FALCO total« heißt es da, und: »Du lebst, verstehst du nicht? Wo ist dein Palmers-Slip? Du hast ihn verloren, als ich dir mein Bilderland-Leibchen und Papas Schweindi zeigen musste. Wer hat mehr verloren oder gewonnen? Meine Plattenfirma, mein Manager, die Steuer oder ich?«

Ziemlich deutlich tritt das zutage, was FALCO einmal als Neidkomplex bezeichnet hat. Aber ihm konnten all die Anfeindungen eigentlich egal sein, seine Karriere hatte alles bisher Dagewesene in den Schatten gestellt. Zu der Zeit schreibt People bereits: »›Rock Me Amadeus‹« wird in vielen, vielen Ländern Nr. 1, in den USA, Brasilien, Israel und Indien. Weltweit wurden bereits drei Millionen Platten verkauft, und das pushte FALCOS 3. Album sogar unter die besten fünf Amerikas.«

Ein starkes Stück bei einem Album, das auf Deutsch herausgekommen war. FALCO dazu: »Man spricht in Amerika immer noch Englisch, man hört aber zunehmend deutschsprachige Popsongs, nämlich meine!«

So wie der Erfolg in der ganzen Welt über ihn hereinbrach, wurde Hans Hölzel auch in Österreich gefeiert. Hans Mahr erinnerte sich in der Süddeutschen Zeitung im Jahr 2006 an das, was 20 Jahre davor passierte: »Der Salzburger Domplatz kurz nach 19 Uhr. Klaus Maria Brandauer verschwindet zum Sterben im Dom und schaurig-kitschig hallen die ›Jedermann‹-Rufe durch die Altstadt. Ein paar hundert Meter weiter stauen sich Tausende von Leuten vor dem abgesperrten Residenzplatz. Nachdem ›Jedermann‹ sein verprasstes Leben ausgehaucht hat, wird der Zugang endlich geöffnet. Eine Stunde später sind es an die 20.000 Fans, die die freie Fläche auf der anderen Seite des Doms bis auf den letzten Quadratmeter füllen. Dieses ›andere‹ Salzburg feiert die ›andere‹ Festwochen-Eröffnung.«

Und FALCO ist mit dabei. »Ausgerechnet ein 29-jähriger Wiener bringt Leben in die Salzburger Mozartbeschaulichkeit, Hansi Hölzel … Dieser FALCO zog nun aus, mit dem ersten Open-Air-Popkonzert seit Festspielgedenken auch die Mozartstadt selbst zu erobern.«

Es war leicht auszurechnen, dass die Mächtigen in Salzburg während der Festspiele von dem FALCO-Konzert damals alles andere als erfreut waren. Mahr: »Die Reaktionen fielen aus, als hätte man den Antrag gestellt, öffentlich in der Altstadt die Notdurft zu verrichten. Ausgerechnet ein Politiker sah das anders. Der Salzburger Bürgermeister Josef Reschen, ein Freund aus politischen Tagen, erkannte die Attraktivität eines solchen Konzerts. In aller Kürze: Die Stadt stimmte dem Open Air zu, ein eitler Messechef finanzierte es und die Festspielgrößen ignorierten es mit Schaudern.«

Nicht so die Fans von FALCO.

Angesichts der Massen, angesichts des Rahmens am Residenzplatz bekam FALCO seine üblichen Depressionen vor dem Auftritt. »Sagen wir ab, es wird ohnedies regnen!«, schlug er vor. Mahr: »Das war irgendwie ein Ritual. Der Hansi Hölzel wollte immer absagen, bevor der persönliche Tourmanager Edek, das Alter Ego, FALCO überzeugte: ›Da warten Tausende Leute auf dich, die wollen dich sehen. Du musst auf die Bühne!‹ Es war scheußlich schwül an diesem 10. August. Unserem Popstar ging es nicht sonderlich gut, Restalkohol … die Angst vor dem ›historischen‹ Auftritt. Was auch immer.«

Horst Bork charakterisiert FALCO so: »Er war nie jemand, der auf Kommando etwas tun wollte. Wenn man ihm sagte, du musst das tun, hat er gleich Abwehrhaltung gezeigt. Er wollte alles selbst entdecken, selbst tun. Er hat es dann gern und freiwillig gemacht, das konnte man steuern. Wenn ich sagte: ›Wir müssen jetzt ins Studio gehen‹, sagte er: ›Geh, warum denn?‹. Aber wenn es ihm plausibel schien, dass er ins Studio musste, damit die Platte fertig werden würde und er Geld bekam, hatte das eine ganz andere Logik für ihn.«

Jedenfalls gelang es seiner Entourage, ihn dann doch von dem Konzert in Salzburg zu überzeugen. Mahr: »Das Hin und Her im Sheraton, ein halber Kilometer Luftlinie von der Bühne, dauerte länger als üblich. In der Zwischenzeit waren alle Zufahrtsstraßen verstopft, zu Fuß gab’s kein Durchkommen mehr.«

Für damalige Zeiten war die Bühne monströs, auch die Stones waren nicht mit mehr Watt unterwegs. 1,2 Millionen Mark hatte die Produktion der Tour verschlungen. Hans Mahr: »Ein Wahnsinnsbetrag, der verhinderte, dass der poppige Mozart-Epigone auch selbst ordentlich Geld verdienen konnte. 10.000 Mark und etwas Sponsorgeld war alles, was ihm in Salzburg übrig blieb.«

Das Management hatte die Show auf dem Residenzplatz ganz besonders konzeptioniert. Das Tanztheater Wien gab eine 10-minütige Balletteinlage zu Tschaikowskys Schwanensee, in der alle Typen aus FALCO-Songs charakterisiert wurden. Die Band trat im Frack auf und FALCO wechselte siebenmal die Bühnengarderobe.

Hans Mahr: »Gegen Schluss der 90-Minuten-Show hatte Regen eingesetzt, doch die 20.000 auf dem Residenzplatz hielten durch. 130 Kreislaufzusammenbrüche zählte das Rote Kreuz, das mit 60 Mann im Einsatz war, und es gab nur eine einzige Beschwerde wegen Lärmbelästigung.«

9

FALCOS erste große Tournee wurde ein riesengroßer Erfolg. Er hatte für seine Auftritte in Deutschland, der Schweiz und Österreich – sieht man einmal von der Wiener Stadthalle ab – ganz bewusst nicht die größten Hallen ausgewählt. »Ich halte es für besser, eine Tournee ist ausverkauft, als wenn man in einer Halle singt, die nur zu einem Achtel besucht ist«, sagte er.

In München beispielsweise trat er in der kleinen Alabamahalle auf. Am selben Abend gab die Spider Murphy Gang in München ein Konzert, und deshalb war FALCOS Management übervorsichtig. Doch die Sorgen um den Kartenverkauf sollten sich schließlich als völlig unbegründet erweisen; Stunden, ehe FALCO seinen Auftritt begann, drängten sich bereits die Fans um die Alabamahalle, letztendlich versuchten noch ein paar hundert, die leer ausgegangen waren, vergeblich, an der Abendkasse Karten zu ergattern.

Hans Hölzel wohnte im Hilton-Hotel am Englischen Garten und trank nachmittags Kaffee in der Lobby. »Langsam beginnt mir die Tour jetzt Probleme zu bereiten, da ist eine Spannung in einem, die man nicht einfach wegschieben kann. Du kannst nachts nicht schlafen, du rauchst zu viel, du isst viel zu unregelmäßig«, sagte er. Er machte sich Sorgen um seine Stimme. »München ist für einen Künstler immer ein heißes Pflaster.« Etwas, was FALCOS Freund Udo Jürgens in seinen Memoiren so beschrieben hat: »München ist für die meisten Künstler eine besondere Stadt – aber auch eine Stadt, die einschüchtert. Man hat immer das Gefühl, auf der Hut sein zu müssen. Das Publikum ist verwöhnt, manchmal übersättigt und überkandidelt.«

Hans konnte sich zwar, sosehr er sich auch darum bemühte, das Rauchen nicht abgewöhnen, »aber im Laufe der Tournee bin ich von starken Zigaretten wenigstens auf wesentlich leichteren Tabak umgestiegen«. Zwei Stunden vor seinem Auftritt in München fährt er noch nach Schwabing zu einem befreundeten Arzt und lässt sich eine Kalziumspritze geben.

Die Sorgen vor dem Auftritt in München erweisen sich als grundlos. Das Publikum jubelte FALCO zu, er musste einige Zugaben singen, und am darauf folgenden Montag waren die Kritiken in den Zeitungen hervorragend. Besonders die Tatsache, dass sich vor der Alabamahalle die Fans um Eintrittskarten balgten, während andere Künstler ihre Auftritte wegen zu geringem Zuschauerinteresse hatten absagen müssen, fand Erwähnung.

FALCO hat es sich in der Zwischenzeit abgewöhnt, die Rezensionen in den Zeitungen allzu ernst zu nehmen. »Ich mache meine reelle Arbeit auf der Bühne, so gut ich kann.« Aber hin und wieder gab es doch Berichte, die ihn verärgerten. »Wenn zum Beispiel einer schreibt, es würde in meinen Konzerten ›kein Funke überspringen‹, wie ich das kürzlich einmal lesen musste. Was denken die Leute, die so etwas schreiben? Meinen die, ich müsste mich auf den Boden werfen und spastische Zuckungen bringen, oder ich müsste mir vor einen Einklatscher hinstellen und mich vor Aufregung nass machen? Das ist nicht mein Stil.«

Krank machte ihn, wenn Fremde unendlich viel in seine Texte hineininterpretierten, was er aber nie so ausdrücken wollte. »Besonders in Deutschland tut man das gern. Es ist unglaublich, welche soziologischen Betrachtungen ich schon über ganz einfache Lieder von mir lesen musste. Merkwürdigerweise liegt in der Mentalität der Deutschen eine gewisse Widersprüchlichkeit, eine Art Schwarz-Weiß-Denken. Auf der einen Seite gibt es, beispielsweise bei der Bundeswehr, Verordnungen zur Anwendung von Verordnungen, und andererseits versucht man stets zwischen den Zeilen zu lesen. Es wird überhaupt keine Interpretationsfreiheit gelassen, um im selben Augenblick überall alles hineinzuinterpretieren. Das ist wirklich absurd.«

Mit dem Ansteigen seiner Popularität wurde FALCO immer wieder einmal aufgefordert, für bestimmte Politiker Werbung zu machen oder für gesellschaftspolitische Aktionen Empfehlungen abzugeben. Lange Zeit vermied er es. »Ich denke zwar, dass man sich irgendwann als Staatsbürger, der in der Öffentlichkeit steht, politisch äußern sollte, aber ich fühle mich dafür einfach noch zu jung. Ich muss von dem, was ich sage, überzeugt sein. Ich muss zumindest zu 80 Prozent mit der Linie einer politischen Partei konform gehen, wenn ich mich dafür äußere. Es liegt mir nicht, Werbung für etwas zu betreiben, das ich ablehne. Ich könnte genauso wenig für irgendein Ketchup Werbung machen und dann daheim sagen, o Gott, dieses Zeug würde ich nicht einmal anrühren. Ich würde heute kein besonders gutes Gefühl haben, mich als Aushängeschild benutzen zu lassen und mich in den Dienst einer Partei zu stellen. Jetzt, mit meinen schlampigen Dreißig, bin ich einfach noch zu jung. Ich bin nicht sehr informiert, was die historischen politischen Entwicklungen betrifft, ich weiß ziemlich wenig über die großen Zusammenhänge, ich informiere mich, lese Zeitung und schaue mir die Nachrichtensendungen an, aber das genügt nicht, denke ich.«

Nur einmal wird er seinem Vorsatz untreu. Und zwar, als der Wirbel um den österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim entsteht. FALCO machte kein Hehl daraus, dass er sich mit Waldheim nicht anfreunden kann: »Als ich nach meinem ›Kommissar‹-Erfolg vor sechs Jahren zum ersten Mal nach Amerika kam«, sagt er live vor den Fernsehkameras im Rahmen der »Na-so-was«-Sendung von Thomas Gottschalk, »fragte man mich, wie’s den Kängurus ginge, weil viele Austria mit Australia verwechselten. Drei Jahre später, als ich wieder hinkam, trat dieses Problem nicht mehr auf. Aber die Amerikaner wollten dafür wissen, wie es dem Professor Sigmund Freud geht. Na ja, und bei meinem letzten Besuch war die Standardfrage, ob ich auch Dr. Waldheim gewählt hätte.«

In einem Interview mit der Wiener Kronen-Zeitung sagt FALCO: »Mir geht das Gequatsche der Politiker einfach total auf die Nerven. Deswegen meine Absage an die Wichtigtuerei diverser ›Mr. Presidents‹ und meine Verbeugung vor der Musik. Das Einzige, das wirklich über die Grenzen weg verbindet.«

10

Am 20. Dezember 1985 reist Hans mit seiner hoch schwangeren Freundin Isabella und Berater Hans Mahr in den Urlaub. »Es war das erste Mal, dass mein Sohn nicht mit mir das Weihnachtsfest verbrachte«, erzählt Maria Hölzel, »denn bis dahin gab es stets zwei fixe Tage im Jahr, an denen wir uns sahen – der Heilige Abend und der Muttertag. Doch ich verstand, dass er den Urlaub dringend nötig hatte und nach dem Stress Erholung suchte.«

Die lange Reise – Hans wollte auf die Virgin Islands – war nicht ganz unproblematisch. Schließlich erwartete Isabella im März das Kind, und Hans machte sich Sorgen, dass sie der Flug vielleicht zu sehr anstrengen könnte. »Aber ich brauchte die Sonne, und Isabella versicherte mir immer wieder, wie gut es ihr ginge und dass ihr auch der Arzt gesagt habe, die Reise würde keine besondere Gefahr für sie bedeuten. Vor allem war ich sicher, dass im Notfall die ärztliche Versorgung auf St. Thomas okay ist, schließlich gehört die Insel ja zu den USA.«

Hans hatte vor, nach zwei Wochen unter Palmen noch nach Rio weiterzufliegen und sich dort umzusehen. Er war vier Jahre zuvor bereits einmal in der Karibik gewesen, und zwar auf Martinique. »Sonne und Meer, das gibt mir im Grunde genommen viel mehr Erholung als der Schnee«, sagte er, nachdem er Mitte Dezember noch für ein paar Tage in Kitzbühel war, um gemeinsam mit Horst Bork und den Brüdern Bolland die Pläne für die weitere gemeinsame Arbeit zu schmieden. »Vom Januar bis zum 30. November hatte ich keinen einzigen freien Tag. Es war wirklich ein schrecklicher Stress.«

Kurz vor den Weihnachtsferien Flüge in die Karibik zu ergattern, erwies sich als nicht ganz einfach, und deshalb mussten FALCO, Isabella, Hans Mahr, dessen Sohn Mathias und eine Freundin von Mahr einige Erschwernisse in Kauf nehmen: Am 20. Dezember flogen sie von Wien nach München und übernachteten im Hotel. FALCO hatte schon den ganzen Flug über ein leichtes Ziehen in seinem Bein verspürt und konsultierte deswegen noch am Abend die Hotelärztin, die aber nichts Besonderes feststellen konnte.

Kurz nach dem Start in Richtung New York wurden die Schmerzen immer schlimmer. FALCO musste seine Beine hochlagern, um die quälenden Stiche im Unterschenkel überhaupt auszuhalten. Die Situation war im Grunde genommen verrückt, nicht die schwangere Isabella, um die sich alle gesorgt hatten, gab Anlass zur Beunruhigung, sondern FALCO.

Er, der ohnedies nicht der Tapferste im Flugzeug war und deshalb gern versuchte, seine Ängste mit Alkohol zu betäuben, konnte vor Schmerzen kein Auge zumachen. Hans Mahr: »Als wir schließlich auf dem John F. Kennedy Airport in New York landeten, passierte etwas Verblüffendes: Der erste, wirklich, der allererste Amerikaner, der FALCO in den USA sah, geriet völlig aus dem Häuschen, stürzte auf ihn zu und bat ihn um ein Autogramm. FALCO reagierte sehr misstrauisch, er wusste natürlich von seinen früheren Besuchen her, dass man ihn gerade an der Ostküste Amerikas recht gut kannte, aber dass der allererste, der ihn sah, solch einen Zirkus aufführte, verwunderte ihn doch, und eine ganze Weile nahm er ernsthaft an, ich hätte den Empfang inszeniert, um ihm eine Weihnachtsfreude zu machen.«

Die Clique verbrachte die Zeit bis zum Weiterflug nach Miami in Manhattan. FALCO nutzte die Gelegenheit zu einer neuerlichen ärztlichen Untersuchung. Die Ärzte im Hospital waren zwar nicht sicher, aber sie deuteten an, dass es sich um eine beginnende Thrombose im Bein, eine Art Blutgefäßverstopfung, handeln könnte. Eine Sache, mit der nicht zu spaßen ist: Aus Thrombosen können sich Embolien entwickeln, die tödlich ausgehen.

Am 21. Dezember, nach einem Zwischenstopp in Miami, kamen Hans, Isabella, Hans Mahr und dessen Sohn und Freundin endlich in St. Thomas auf den Virgin Islands an. Es war tatsächlich die Trauminsel, wie sie sich FALCO vorgestellt hatte. Mahr, der schon einmal da gewesen war, hatte für die beiden ein Doppelhaus direkt am Meer reservieren lassen. Vor den Fenstern waren die Klippen, die zum Meer hin abfielen.

Während die Freundin von Mahr und Isabella anfingen, die Koffer auszupacken, fuhr Mahr mit FALCO ins Krankenhaus. Die Schmerzen im Bein waren eher noch schlimmer geworden und Mahr machte sich große Sorgen.

Im Hospital von St. Thomas bestätigte sich die Vermutung der New Yorker Ärzte. FALCO hatte tatsächlich eine Thrombose, und man spritzte ihm erst einmal Mittel, die das Gerinnen des Blutes hemmten. Dann bat FALCO Hans Mahr, mit seinem Arzt in Wien zu telefonieren, und eine Zeit lang überlegte man, ob es nicht besser sei, wenn er, FALCO, zurück nach Miami fliegen würde, wo beste medizinische Versorgung gewährleistet war. Aber schließlich weigerte sich FALCO. »Trotzdem«, sagte er später, »war das Weihnachtsfest natürlich ordentlich verdorben. Die anderen saßen um mein Bett herum, ich wusste nicht recht, wie alles weitergehen würde, und aus der Erholung, nach der ich mich so gesehnt hatte, wurde fürs Erste nichts.«

FALCO musste bis zum 31. Dezember, also zehn Tage lang, ruhig in seinem Krankenbett liegen bleiben. Silvester wurde er, mit allerlei Auflagen, sich zu schonen, entlassen. Er fuhr in das gemietete Haus, schloss die Fensterläden, setzte sich aufs Bett und machte den Fernsehapparat an. Hans Mahr: »Und wieder als ob es bestellt gewesen wäre, kam im MTV, dem Musiksender, gleich als Allererstes das ›Rock-Me-Amadeus‹-Video. FALCO flippte wirklich aus.«

Gemeinsam feierten die vier Erwachsenen und der Junge den Jahreswechsel.

Im neuen Jahr ging es FALCO besser. Die Behandlung hatte Wirkung gezeigt, tatsächlich ließen die Schmerzen im Bein nach, und er entschloss sich, seine Reise fortzusetzen. Er flog wieder nach Florida, besuchte Disneyland und reiste dann weiter nach Brasilien.

Hin und wieder stöberten ihn Reporter auf, die ihn zu dem Skandal befragen wollten, der sich zu jener Zeit rund um sein Lied »Jeanny« in Deutschland abspielte. FALCO nahm alles sehr gelassen. »Ich liebe die Samba-Musik, ich liebe Brasilien, und ich habe beschlossen, in meinem nächsten Album einen Samba zu machen.«