Hallo Deutschland, hört ihr
mich?
Via Satelliten hört ihr mich?
Hallo, hallo Deutschland,
hört ihr mich?
Ist da jemand oder täusch
ich mich?
1
Am Donnerstag, dem 20. März 1986, hat sich nachts gegen halb elf eine illustre Gesellschaft rund um den Stammtisch des Restaurants Oswald & Kalb in Wien eingefunden: Da sitzen an dem großen, blank gescheuerten Tisch die Modeschöpferin Brigitte Meier-Schomburg, der Gesellschaftsjournalist Roman Schliesser, Billy Filanowski, Hans Mahr, der Berater von FALCO, und Edek Bartz, der Tourmanager, mit seiner Frau. Am Kopfende des Tisches hat FALCO Platz genommen.
Er war noch bei einer Veranstaltung im Wiener Hilton-Hotel als Ehrengast gewesen und hatte sich etwas verspätet. Er trug einen der üblichen Jogging-Anzüge, in denen er in den vergangenen Tagen gern herumlief, Tennisschuhe und die blaue Jeans-Jacke darüber.
Die Runde an diesem Abend feierte ein bisher einmaliges Ereignis: FALCO war am Tag zuvor sowohl Spitzenreiter im amerikanischen Billboard als auch in der Cash-Box, den beiden führenden Charts, geworden. Nachts gegen halb eins hatte ihn sein Münchner Freund und Manager Horst Bork angerufen:
»Hans, jetzt ist’s endlich so weit! Ich habe gerade die Nachricht aus Los Angeles gekriegt, ich gratuliere! Du bist der Erste der Hitparade.«
In den Wochen zuvor hatte sich der Siegeszug von FALCO langsam abgezeichnet, er kam unter die ersten 20, dann wurde er 7., schließlich die Woche darauf 4. mit Trend nach oben.
Hans Hölzel hörte die erfreuliche Botschaft, »aber irgendwie begriff ich sie wahrscheinlich gar nicht richtig«, gestand er am anderen Tag bei der Feier, »und irgendwie begreife ich sie wahrscheinlich heute auch noch nicht. Klar, ich weiß, dass ich Nr. 1 in den USA bin und dass das vor mir noch niemand mit deutscher Muttersprache oder höchstens Marlene Dietrich geschafft hat, aber ich warte noch darauf, dass wirklich die Freude einsetzt.«
Als Bork ihn von der Sensation unterrichtet hatte, meinte er nur: »Hör mal, ich ruf dich gleich zurück, ich kann jetzt nicht, denn ich muss gerade meine Tochter wickeln.«
Am Anfang ging es darum, groß herauszukommen und später den Durchbruch in Deutschland zu schaffen. Aber zwischen den ersten umwerfenden Erfolgen und den Tagen im März 1986 lagen Jahre, die FALCO Kraft und Substanz gekostet hatten und die ihn, einer Achterbahn gleich, auf höchste Höhen und – beinahe – tiefste Tiefen der Branche geschleudert hatten. Er hatte inzwischen beide Seiten des Erfolges kennengelernt und war dabei misstrauisch geworden. Misstrauisch gegenüber den Jubelpersern, die sich auf seine Fährte hefteten, den Rekorden, die er erzielte, misstrauisch gegenüber Erfolg im Allgemeinen.
Ehe er zu der Feier in das Restaurant fuhr, saß FALCO eine Weile in der dunklen Hotelbar des Hilton-Hotels. FALCO hatte sich so gesetzt, dass die Gäste rundum ihn nicht gleich sehen konnten, und es blieb auch die ganze Zeit relativ ruhig. Er sagte zu seinen Freunden: »Es ist komisch, aber wenn ich in mich hineinhöre, dann merke ich nichts von dem Glücksgefühl, das ich doch verspüren müsste. Der Erfolg ist nichts im Vergleich zu dem, was letzte Woche passierte, zur Geburt meiner Tochter. Ich sage mir, jetzt bist du die Nr. 1 in den USA. Jetzt müsstest du jubeln oder dich betrinken oder irgendwas, aber da kommt nichts. Zufriedenheit vielleicht, dass ein Ziel erreicht ist, das ist alles.«
Er fährt dann in seinem kleinen Peugeot in die Bäckerstraße, wo schon viele auf ihn warten. Es hat angefangen zu regnen, und FALCO ärgert sich, dass das Auto, das frisch gewaschen ist, jetzt wieder schmutzig wird. Es macht ihm riesigen Spaß, den Wagen sauber zu haben, und auch der Innenraum muss vor Sauberkeit strahlen. Wie durch ein Wunder findet FALCO direkt vor dem Lokal einen Parkplatz. Als er in das Restaurant tritt und ziemlich eilig, ohne nach links und rechts zu schauen, in das Nebenzimmer geht, wo sich die Gäste für die Feier eingefunden haben, verstummt das geschäftige Summen in dem Lokal mit einem Schlag und die Leute sehen von ihren Tellern auf.
Udo Proksch, eine schillernde Figur der Stadt, damals noch Besitzer des Café Demel, später wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt, gratuliert FALCO: »Nach Niki Lauda haben wir jetzt den zweiten Weltmeister.« In dem Moment, in dem er sich niedersetzt und die vielen alten Bekannten sieht, ist es FALCO, als hätte er das alles schon einmal erlebt. Er sagt: »Alles ist einem suspekt, solange man es nicht probiert und am eigenen Leib verspürt hat, auch der Erfolg.«
Er betont immer wieder, dass er sich über den Erfolg riesig freue, aber er wirkt dabei gefasst und ganz ruhig. Rudi Klausnitzer, 1986 Chef des Pop-Senders Ö3, sagt in einer Rede, FALCO habe für die österreichische Pop-Musik eine Menge getan, und FALCO bedankt sich dann in seiner Ansprache eloquent. Er weist ein paar Mal deutlich darauf hin, dass hier nicht der Erfolg eines Einzelnen gefeiert werden soll: »Eine Platte kann nicht von einem Menschen allein gemacht werden, auch wenn der auf dem Cover als Star erwähnt ist. Dahinter steckt die harte, perfekte Arbeit von vielen, vielen anderen, und denen möchte ich jetzt danken.«
Vielleicht der wichtigste Mensch in der Karriere von FALCO ist Horst Bork. Er war Chef der Plattencompany Teldec, damals eine der namhaftesten und einflussreichsten Firmen der Branche. Und Teldec hatte Drahdiwaberl unter Vertrag. Horst Bork: »Bei einem Meeting nahm mich FALCO zur Seite und sagte, er würde an einem Soloprojekt arbeiten, ob mich das interessiere. Ich sagte, okay, wenn er mit der Produktion fertig ist, höre ich es mir gern an. Nach einem Jahr fuhr FALCO dann in seinem alten, grauen VW Käfer von Wien nach Hamburg und wir machten einen Termin bei mir im Büro.« FALCO war ziemlich aufgeregt als er seine Produktion »Helden von heute« vorspielte. »Ich war ehrlich gestanden nicht sofort Feuer und Flamme. Eher aus Höflichkeit fragte ich ihn, ob er auch eine B-Seite produziert habe, und er zögerte, ehe er mich den ›Kommissar‹ hören ließ. Da wusste ich, ich habe einen Hit gehört!« FALCO war über diese Wendung gar nicht glücklich. Für ihn bedeutete der »Kommissar« nicht viel und er sah damals den überwältigenden Hiterfolg nicht voraus.
Wenn Horst Bork die treibende Kraft bei der weltweiten Karriere von FALCO war, so war der eigentliche Anstoß dazu der Wiener Markus Spiegel. Einmal fragte ihn der Journalist Karl Hohenlohe, ob er der »Macher« des Erfolgs von FALCO sei. Und Spiegel antwortete: »Das Wort Macher ist ein sehr unangenehmes Wort, sehr plakativ nach außen hin, in der Sache selber aber falsch. Ich habe doch da keine Plastilinfigur, die ich forme. Primär erstreckt sich meine Arbeit auf die Darbietung von Vorschlägen, aber machen tut sich der Künstler selbst.«
Karl Hohenlohe rekapitulierend in der Wochenpresse: »Und alles kann Johann Hölzel vorgeworfen werden, aber gemacht hat er sich hervorragend.«
2
Als Drahdiwaberl 1980 von Markus Spiegel das Angebot erhielt, die LP »Psychoterror« zu produzieren, fiel ihm der Typ mit der Bassgitarre auf. Er merkte, dass der Junge, der sich FALCO nannte, eine Menge auf dem Kasten hatte. Er war talentiert – sozusagen ein ungeschliffener Edelstein.
Nun war FALCO damals sicherlich kein schüchterner Kerl, er wusste genau, dass etwas Besonderes in ihm steckte und dass er Erfolg haben würde. Er brauchte bloß jemanden, der an ihn glaubte und ihm eine Chance gab.
FALCOS Zusammenarbeit mit Spiegel fing nicht ganz unkompliziert an. Markus Spiegel behauptete später ernsthaft: »Ich habe mich um ihn bemüht wie ein Brautwerber.« Einmal zeichnete Wolfgang Fellner im Magazin basta ein Porträt Spiegels: »Markus Spiegel ist Jude – und er bekennt sich auch dazu. Sein Vater ist ein durchaus erfolgreicher Textilkaufmann, der Bruder ist ein durchaus erfolgreicher Banker im Bankhaus Winter. Er selbst war zunächst ein eher wenig erfolgreicher Journalist bei der Arbeiter-Zeitung, der dort mit 18 Jahren für 1,50 Schilling Zeilenhonorar Filmkritiken schreiben durfte und der sehr rasch erkannte, dass man als Journalist im sozialistischen Umfeld nicht gerade prächtig leben kann.«
Spiegel stieg mit 22 Jahren aus – oder ein, je nachdem, von welcher Seite aus man es betrachtet. Er wollte nicht mehr bloß über Künstler berichten, sondern selbst Impulse für künstlerische Arbeiten geben.
Mit Drahdiwaberl wagte sich Markus Spiegel – 28 Jahre alt – erstmals daran, eine Platte zu machen. Bis dahin war er ein Suchender und verdiente das Geld nicht mit der Plattenproduktion, sondern nur im Verkauf der Scheiben: Nach seinem Ausscheiden bei der Arbeiter-Zeitung hatte er mit einem 300.000-Schilling-Kredit in der Wiener Favoritenstraße einen Plattenladen eröffnet, den er GIG nannte. Das Geschäft lief und ein Jahr später hatte er bereits GIG-Filialen im 2. und im 10. Bezirk.
Drahdiwaberl war in Wien im Jahr 1980 eine Gruppe, an die sich keine »vernünftige« Plattenfirma wagte. basta schrieb: »Spiegel machte aus den legendären Live-Orgien der Drahdiwaberl die LP ›Psychoterror‹.« Er selbst nannte es spöttisch einmal »mein genialstes Werk!«. Immerhin wurden 17.000 Scheiben verkauft und brachten Spiegel für sein mutiges Engagement einen Gewinn von rund einer halben Million Schilling ein.
Was für ihn allerdings viel wichtiger war: Er machte dabei die Bekanntschaft von Hans Hölzel und für beide sollte damit der Zug zum Erfolg abfahren.
Wolfgang Fellner vermutete in basta, dass die Platte »Amadeus«, fünf Jahre nach der ersten Begegnung, Markus Spiegel einen Gewinn von 40 Millionen, »eher aber wohl gute 50 Millionen (Schilling)« eingebracht habe. basta: »Trotzdem sagte er beim obligaten Frühstück im Hotel Imperial: ›Ich hab noch keine Ahnung, was ich mit dem Geld machen werde! Jedenfalls bedacht investieren!‹ Privat lebt Spiegel – vom täglichen Luxus eines 800-Schilling-Abendessens und regelmäßigem First-Class-Ticket bei Flügen abgesehen – wie ein Spartaner. Er hat keine Immobilien (und lebt noch in der Wohnung seiner Eltern). Er hat kein Auto, braucht keine Rolex und schon gar kein Landhaus. Auch bei seinen mittlerweile nobel am Kärntner Ring 17 residierenden GIG-Records (nur fünf Mitarbeiter) will er vorerst auf keinen Fall weiterexpandieren!«
So weit ein Journalist über den GIG-Chef Markus Spiegel.
3
Bei aller Begeisterung über seinen anlaufenden Karriereweg war FALCO noch immer unsicher, ob er den richtigen Pfad beschritt. Er kannte die Produktionen von Robert Ponger, der in den Monaten davor mit Wilfried »Nights In The City« und »Telephone Terror« als Produzent und Soundmixer gemacht hatte, und fand Pongers Arbeit ausgezeichnet. Also brachte er Ponger zu Markus Spiegel und antichambrierte bei Spiegel für den Produzenten.
»Damals war ich echt glücklich. Ich habe mir zwar gedacht«, sagte FALCO, »dass ich nicht viel an der ersten ernsthaften Produktion verdienen werde, aber es genügte mir schon, wenn mir jemand die Aufnahmekosten bezahlte.«
Und Markus Spiegel hatte sich nicht nur bereit erklärt, eine Platte mit FALCO zu machen, sondern er war von ihm so angetan, dass er gleich einen Vertrag über drei LPs abschloss.
Robert Ponger schien für FALCO zudem ein Garant zu sein, dass die Studioarbeit, vor allem die schwierige Mischung am Ende, gut vonstatten gehen würde. Später charakterisiert Spiegel seinen Künstler so: »FALCO, das ist ein in allen Farben schillerndes Unikat. Immer spannend.«
Etwa zur gleichen Zeit wie Hans Hölzel hat Markus Spiegel noch einen anderen österreichischen Sänger unter Vertrag genommen: Reinhold Bilgeri, einen Vorarlberger Gymnasiallehrer mit einer Blues-Stimme, der vorwiegend englische Texte sang. Im Sommer 1981 spielt Robert Ponger FALCO ein Playback vor, zu dem er die Musik gemacht hat und das er eigentlich mit Bilgeri im Studio aufnehmen wollte. Aber Bilgeri hatte abgelehnt, er fand zu der Rap-Musik keine sonderliche Beziehung und wollte lieber etwas anderes machen.
Das Lied war noch ohne Text. Als FALCO die Melodie zum ersten Mal hörte, geriet er ganz aus dem Häuschen. Das war es! Das war – so spürte er instinktiv – genau das, was ihm lag.
Er nahm das Band mit nach Hause und textete in kurzer Zeit dazu:
Dreh dich nicht um –
oh, oh, oh
Der Kommissar geht um –
oh, oh, oh
Er wird dich anschauen,
und du weißt warum
Die Lebenslust bringt
dich um
Alles klar, Herr Kommissar?
(Hey man, wanna bay
some stuff man?
Did You ever rap that
thing, Jack
So rap it to the beat)
Dieser Fall ist klar, lieber
Herr Kommissar
Auch wenn Sie anderer
Meinung sind
Den Schnee, auf dem wir
alle talwärts fahren
Kennt heute jedes Kind.«
Es wird einer der genialen Texte FALCOS, eine Mischung aus Hochdeutsch, Wiener Slang und Umgangs-Amerikanisch, eine faszinierende Wortwahl mit vielerlei Bedeutung. »Die deutsche Sprache hat, wenn man einen Songtext macht, vielerlei Nachteile. Aber sie hat auch einen eminenten Vorteil gegenüber dem Englischen – es gibt im Englischen nicht annähernd so viele Worte mit so vielen unterschiedlichen Bedeutungen. Englisch, das trifft auf den Punkt, aus der deutschen Sprache kann man da als Texter viel mehr herausholen, wenngleich die Sprachmelodie natürlich lange nicht so treffend für die Pop-Musik geeignet ist wie die des Englischen.«
FALCO mischt also unbekümmert die unterschiedlichen Idiome, und es gelingt ihm, schon mit dem »Kommissar« ganz eigene Sprachschöpfungen zu finden, die später nicht nur seine Fans, sondern auch Germanisten in Erstaunen versetzen und – teils mit Begeisterung, teils mit Abneigung reagieren lassen sollen. »Im Denken eines Unterhaltungskünstlers muss an oberster Stelle stehen, dass man sein Publikum nicht für dumm verkaufen darf«, bekannte er einmal. »Ich habe das bei meinen Texten nach kurzer Zeit bestätigt gefunden – die Menschen sind beim Zuhören sensibler, als man gemeinhin annimmt. Vielleicht nicht unbedingt in einem Livekonzert, wo es doch mit einer erheblichen Lautstärke zugeht, aber wenn sie sich eine Platte kaufen, dann hören sie wesentlich genauer zu, als man meint. Die landläufige Bemerkung, auf den Text hätte man gar nicht sonderlich geachtet, ist Unsinn. Besonders deutsche Texte, die jedermann verstehen kann, müssen stimmen. Ich würde es nicht über die Lippen bringen, Kitsch zu singen. Von mir aus mögen das andere tun, und wenn sich Käufer dafür finden, ist es von der wirtschaftlichen Seite vielleicht sogar berechtigt, so was zu machen, aber ich habe überhaupt keine Lust dazu.« Horst Bork: »Hans war fasziniert von der Natürlichkeit, wie der Rap von den schwarzen Amerikanern benutzt wurde. Er entwickelte eine Grundrhythmik, in die er englische Brocken einbaute. Dieses Grundgerüst aus Deutsch und Englisch behielt er immer bei, manchmal mischte er sogar Französisch darunter, wenn ihm die richtigen deutschen oder englischen Worte fehlten.«
Sogar Kritiker müssen später anerkennen, dass »FALCO auf der LP ›Einzelhaft‹ Texte zusammengezimmert hat, die literarisch bleibenden Wert haben und fast genial sind«, so Karl Hohenlohe in der Wochenpresse vom 1. Juli 1986.
Er bringt einfach eine neue Attitüde in die eingefahrene deutsche Pop-Musik, sein Einfall, die Idiome verschiedener Sprachen zu mixen, erweist sich nachträglich als Geistesblitz. Nicht ganz so optimistisch wie FALCO war seine Mutter, als er ihr den »Kommissar« zum ersten Mal vorspielte: »Ich weiß nicht recht … irgendwie hat mir die Rückseite, ›Helden von heute‹, besser gefallen. Aber in dem Moment, in dem er es mir vorspielte, war auch eine Freundin von mir dabei, und die hat zugehört und sofort gesagt, dass die Nummer ein Hit wird.«
Der deutsche Journalist Ingo Engelhardt sprach FALCO später einmal auf die Doppeldeutigkeit seines Textes in Bezug auf Rauschgift, auf Kokain, auf »Schnee« an. Er fragte ihn: »Du nimmst also nicht für dich in Anspruch, deine Textzeile aus dem ›Kommissar‹ um 180 Grad zu drehen: ›Der Schnee, auf dem wir alle talwärts fahren, kennt heute jedes Kind‹?«
FALCO antwortete: »Die kannte damals schon jedes Kind und heute erst recht. Alles, was man nachträglich hinein- und herausinterpretiert, kann ich nicht beeinflussen.«
»Also«, fragte Engelhardt, »war es eine Verarbeitung?«
»Eher ein Abschied, den man immer nimmt, wenn man ein Kapitel ›Leben‹ aufgearbeitet und hinter sich hat.«
Er redete oft über die Zeit dieser ersten Platte, und in gewissem Sinn war der »Kommissar« nicht nur ein Schnitt in seinem Leben, der aus einem Unausgegorenen und Suchenden einen Superstar machte, er war auch eine Art psychologische Aufarbeitung einer entsagungsreichen, harten Zeit.
»Am Anfang meines Erfolges«, sagte FALCO Mitte der 80er- Jahre, »habe ich sechs Jahre Frust aus mir rausgelassen. Das und der coole, gelackte ›Kommissar‹ haben ein Image geformt, das ich nicht so schnell wieder loswerde, wie sich zeigt.« Wenngleich er anfangs – fast ebenso wie seine Mutter – im Gespräch mit Horst Bork gewaltige Zweifel an den Erfolgschancen des »Kommissar« hatte, landete er dann doch seinen ersten großen Hit.
Er flippte tatsächlich aus. »Ich war«, sagte er rückblickend, »zwei Jahre im Höhenkoller, und nicht nur, weil ich 160.000 Flugkilometer hatte. Ich sag dir, wenn du als Newcomer antrittst und so wie ich plötzlich einen Welthit hast – dann bist du ein Fall für den Psychiater.«
Später versuchte er oft in Interviews das Image des blasierten, arroganten Schnösels als gewollte Kampagne abzutun, aber einmal sagte er doch: »Es ist eine Tatsache, dass da eine gewisse Blasiertheit war. Ich habe halt im Zuge des Erfolgs den Mund weit aufgerissen. Erst viel später habe ich bemerkt, dass man, je mehr man sich mit seiner Arbeit profiliert, ruhig die Entwicklung beobachten kann. Allerdings finde ich es genauso dumm, als Schleimer dazusitzen und zu tun, als hätte man von Tuten und Blasen keine Ahnung.«
Inzwischen wusste er: »Ein Rockstar, der nicht die Sau rauslässt, ist kein Rockstar! Der kann sich begraben lassen.«
Im Juli 1985 schrieb das Magazin trend unter dem anzüglichen Titel »Honey, du bist ja gar kein harter Hund« über FALCO: »Die ersten 75.000 Schilling bar auf die Hand haben FALCO fast um den Verstand gebracht. ›Du musst höllisch aufpassen, dass du kein Trottel bleibst. Die Leute in der Branche legen dich ja nicht rein, sie sagen dir nur nicht, wo’s langgeht.‹ Beispiel: Im ersten Fieber stieg FALCO auf einen Vertrag ein, der nur einem Greenhorn passieren kann. »Die PS-Edition nahm ihn unter ihre Fittiche und kassierte 40 Prozent aus allen urheberrechtlichen Einkünften.« Als Hansi merkte, dass er überhaupt keinen Verleger brauchte, hatte er schon mehr Lehrgeld gezahlt als bei allen Weibergeschichten zusammen.« So weit der trend.
FALCO spürte zwar von Anfang an intuitiv, dass ihm mit dem »Kommissar« ein großer Wurf gelungen war, aber er konnte natürlich die Tragweite des Erfolges lange Zeit nicht abschätzen: »Ich hab das Lied sicherlich nicht aus Zufall gemacht, dazu war ich schon viel zu sehr Profi, aber ich verstehe bis heute nicht recht, wieso das damals plötzlich losgegangen ist wie die Feuerwehr.«
Ein kontinuierlicher, langsamer Erfolg wäre wahrscheinlich für ihn besser gewesen. Aber das Schicksal, jene Unabwägbarkeit des Plattengeschäfts, die manchmal aus einem Song einen Erfolg und aus einem Hit einen Welthit macht, wollte es anders. Eine Handvoll engagierter Newcomer, die sich um kommerzielle Spielregeln wenig pfiffen, hatte sich hingesetzt und mit dem »Kommissar« einen Hit geschaffen, wie man ihn als Künstler nur erträumen kann – weltweit mehr als 6,5 Millionen Units, das heißt Einheiten, also Singles, LPs, Hitkoppelungen und alle Coverversionen; allein auf der LP von Laura Branigan verkaufte sich die Nummer mehr als 1,5 Millionen Mal.
basta schrieb im Jahr 1986: »FALCOS erste größere Single ›Der Kommissar‹ wurde nicht nur in Österreich, sondern – damals sensationell – auch in Deutschland Nummer eins, was Markus Spiegel nach heutiger Abrechnung bei der Single vier Millionen und bei der dazugehörigen LP eine Million Gewinn brachte.« Dabei ist – versteht sich – von Schilling die Rede.
Einmal fragte man FALCO in einem Interview: »Man erzählt sich in der Szene, dass du beim ›Kommissar‹ im Gegensatz zur Plattenfirma und zum Produzenten das schlechteste Geschäft gemacht hättest.«
Er antwortete: »Ich hab das bekommen, was mir vertraglich zugestanden ist. Und ich bin weder ausgetrickst noch gelegt worden. Mein Plattenvertrag ist nicht der beste, weil ich ihn noch als unbekannter Drahdiwaberl-Bassist abgeschlossen habe, und ich werde nach der dritten LP, wenn er ausläuft, sicher einen besseren verlangen und bekommen, aber der Vertrag ist koscher. Auf einem anderen Blatt steht natürlich, dass bisher überhaupt erst ein Bruchteil der Urheberrechts-Einnahmen vom ›Kommissar‹ abgerechnet wurde. Auf die Urheberrechtsabrechnung aus Frankreich wartete ich vier Jahre.«
Frage: »Was befriedigt dich am meisten – wenn dir eine gute Textzeile gelungen ist, wenn eine Platte fertig gemischt ist oder wenn sich die Verkaufszahlen auf deinem Bankkonto niedergeschlagen haben?«
»Wenn die Platte fertig ist. Aber ehrlich gestanden sind alle drei Sachen recht schön. Dazu muss ich sagen – in dem Moment, in dem man Musik auf Platten presste, ging das Desaster im Grunde genommen los. Früher haben die Leute in einem Café gespielt und dafür ihr Geld gekriegt. Aber wenn Kunst industrialisiert wird, wird es ein wenig unheimlich. Natürlich ist es wichtig zu verdienen, aber in Wahrheit verdienen alle anderen mehr als der Künstler. Ich möchte jetzt nicht vom ausgebeuteten Künstler in der Pop-Branche sprechen, das ist ein blödes Gerede, wir verdienen genug Geld, aber die Industrie, der Staat mit seinen Steuern, die verdienen alle viel, viel mehr. Das ist nicht mehr kontrollierbar.«
Frage: »Du könntest ja sagen, ich nehm kein Geld mehr.«
»Also, bitte gebt mir nichts, würde ich nie sagen.«
Im Januar 1986 beschäftigte sich FALCO intensiv mit dem Urheberrecht und er fasste den Plan, in den Vorstand der österreichischen Urheberrechtsgesellschaft vorzustoßen. »Im Grunde«, sagte er damals zynisch, »gehört mir ja eh schon deren halbes Haus. Da sitzt die Witwe von Robert Stolz drinnen, warum soll nicht mal ein junger Typ wie ich dazukommen?« 1981 und 1982, als der »Kommissar« beinahe jede Minute irgendwo auf der Welt auf einen Plattenteller gelegt wird – sogar in Guatemala war es ein Hit, »die zahlen dort aber leider nicht in Dollar, sondern in Kaffeebohnen« –, fängt FALCO bewusst an, bei Interviews seine blasierte Überheblichkeit deutlich zu machen: »Diese Arroganz war die Personifizierung des ›Kommissars‹ und ein Zeichen der Zeit. Die Zeit war sehr kalt, sehr geschliffen, eisig.«
Andererseits kam ihm die Verhaltensweise – das Sich-Abkapseln – gerade recht. Er wollte niemanden an sich ranlassen, die Arroganz war eine Art Selbstschutz. »Ich war im Grunde genommen nicht größenwahnsinnig geworden, wie man mir oft vorwarf, sondern unsicher. Man frustriert an den ganzen Mechanismen des Showbiz und daraus resultiert eine gewisse Fatzke-Haftigkeit.«
Marga Swoboda schrieb in einem FALCO-Porträt, die erste selbst verdiente Million habe ihn auch unheilbar krank gemacht: »Da war die Angst vorm Fallen, weil du noch weißt, wie es unten war. Also musst du immer höher fliegen. Hansi ist gelernter Angsthase. Er gibt Gas, wenn die Maschine brennt, ihm wachsen beim Stürzen Flügel. Den Trip hemmt kein Schamgefühl: Geld und Bewunderung sind das Credo, und bitte nicht zu knapp.«
Zur grenzenlosen Verwunderung seiner österreichischen Kollegen läuft die Platte nicht nur in der Heimat und im benachbarten Ausland, plötzlich kommen Erfolgsmeldungen aus den USA. Etwas, das noch nie da war!
»Die Wahrheit ist, ich war der erste Sänger mit einem deutschsprachigen Hit da drüben – und die wollten mich halt vorzeigen, und ich hab das in aller Professionalität durchgeführt. Ich hab dort das Türchen aufgemacht für Leute wie Nena.«
Er ging zu einigen Talkshows in den USA und war insgesamt rund ein halbes Jahr in Amerika, um für seine Platte Public Relations zu machen. Die deutschsprachige Version vom »Kommissar« gelangte bis zum Platz 72 der amerikanischen Charts, und »die englischsprachige Version von ›After The Fire‹ auf Platz drei, was ungefähr gleichbedeutend ist mit mindestens zwei Millionen verkaufter Singles«.
Allein in Los Angeles wurden drei Kneipen in »Der Kommissar« umgetauft.
4
Man darf sich nicht vorstellen, dass sich FALCOS Status bei allem Erfolg über Nacht grundlegend verändert hätte. Er selbst begreift erst ganz langsam die Tragweite des Triumphes, und eine ganze Weile, nachdem der »Kommissar« bereits auf dem Markt ist, tritt FALCO hin und wieder immer noch mit den Spinning Wheel auf und spielt Discomusik.
»Man hat die Spinning Wheel damals oft den kommerziellen Ableger von Drahdiwaberl genannt«, sagt Horst Bork, »aber das wäre ungerecht den jeweils anderen Bandmitgliedern gegenüber.« Jedenfalls – FALCO und sein Freund Peter Vieweger traten sowohl da als auch dort auf, bis FALCO 1981 erkannte, dass er das Netz einer kommerziellen Gruppe nicht mehr brauchte, um Geld zum Leben zu verdienen.
Er konnte allein als Entertainer bestehen.
An ihre allererste persönliche Begegnung erinnert sich Horst Bork noch ganz genau: »Es war im Hilton-Hotel in München, ich entsinne mich, dass FALCO bei unserer ersten Begegnung einen Hut trug und eine Aktentasche in der Hand hatte. Wir sagten damals Sie zueinander, was in der Branche gar nicht üblich ist, sondern eher besondere Distanziertheit verrät.«
Diese Vorsicht, dieses Abwarten bei einem Fremden hat FALCO sein Leben lang beibehalten. Bork, der ihn vielleicht besser kannte als die meisten anderen Menschen, charakterisiert ihn so: »Er war allen Dingen gegenüber, die ihm das Leben oder den Erfolg leicht machten, misstrauisch. Da vermutete er Fußangeln. Er hatte den richtigen Instinkt und eine große Ungeduld, er hatte Charisma und einen gesunden Ehrgeiz – diese Paarung aus Talent und Arbeit, aus Kraft und Glück machen wahrscheinlich das Besondere seiner Persönlichkeit aus.«
All diese Charaktereigenschaften sind nicht nur angeboren, sie sind zum Teil auch Folge der wechselhaften Jahre, die dem großen »Kommissar«-Erfolg hinterherkamen.
Eine Journalistin schreibt: »Millionen sind abgefahren auf diesen Typen, auf diesen schmerzfreien Lederkerl. In L. A. haben sie Lokale nach FALCOS Hit getauft, in Österreich geht man im Fasching als Kommissar. 250.000-mal verkauft sich die erste LP – zu einer Zeit, da man deutschsprachige Interpreten ab 100.000 auf Händen trägt. Die Produktionskosten lagen mit 300.000 Schilling weit unter der Ramschgrenze – 700.000 Schilling kostet heute schon jeder Flop.« Und jeden Tag hagelte es neue Erfolgsmeldungen: Im November 1981 ist FALCO Nummer eins in Österreich, zwei Monate darauf die Nummer eins in Deutschland. Peu à peu kommt FALCO im Frühjahr 1982 beinahe in ganz Europa an die erste Stelle der Charts. Er gelangt in die Top 100 der US-Charts, kriegt Gold in Kanada. Später sagt er: »Nach den 6,5 Millionen verkauften Einheiten lastete ein Druck auf mir, unter dem es mir unmöglich wurde, zu arbeiten.«
»Er hat plötzlich eine übermächtige Verantwortung in sich gefühlt, die ihm zu schaffen machte«, erinnert sich sein Freund Billy Filanowski an die damalige Zeit. Billy und Hans kennen einander seit den ersten Begegnungen vom Voom Voom 1975, doch die Freundschaft wurde nach FALCOS »Kommissar«-Erfolg besonders eng. Hans, von Natur aus misstrauisch, sah sich plötzlich nur noch von Schulterklopfern umgeben, die ihm Angst machten. Horst Bork beschreibt es so: »Er spürte plötzlich am eigenen Leib das Sprichwort, dass man in guten Zeiten viele Freunde habe.« Plötzlich äußerte man sich nicht mehr kritisch, sondern kriecherisch, FALCO wurde zu jedermanns Darling – und das hasste er.
»Und dann traf ich im Fitness-Studio den Billy wieder, und da wir uns zufälligerweise zur selben Zeit von unseren Freundinnen getrennt hatten und solo waren, gingen wir abends öfter mal gemeinsam aus.«
FALCO über Billy: »Er ist mein bester Freund im Leben, er ist der Sohn einer gutsituierten Tuchhändlerfamilie. Ich kenne viele Söhne, die das im Hauptberuf sind, aber bei Billy ist es anders. Er macht etwas aus seinem Leben, er ist diszipliniert, körperbewusst, ein Supersportler.«
Hans selber hat immer mehr Probleme mit seiner Fitness: »Ich habe, besonders wenn ich hart an einer Platte arbeite, einfach nicht die Disziplin, meinen Körper zu quälen, ich weiß, dass das manchmal bloß eine Ausrede ist – aber ich schaffe es einfach nicht.« – »Es war ein Zwiespalt«, sagt Horst Bork heute, »Hans brauchte oft viel psychische Kraft, um sich körperlich in Schuss zu bringen. Andrerseits wusste er auch genau, du kannst dich noch so bemühen und noch so fit sein, wenn dich als Sänger niemand hören will, bist du die ärmste Sau der Welt.«
Billy Filanowski, der früher in der österreichischen Eishockey-Jugendauswahl spielte, der ein begeisterter Squash-Spieler ist und Drachenflug betrieb, imponiert FALCO. Es ist das, was Hans fehlt: »Ich schwimme zwar gern und früher auch recht viel«, meinte FALCO in einem Gespräch, »aber das Laufen zum Beispiel ist mir viel zu fad, das kann ich nicht, genauso Rad fahren – nicht meine Sache! Wenn ich mich zusammenreiße, dann mache ich Kraftsport. Billy wollte mich schon öfter mal zum Drachenfliegen ermutigen, aber da fehlt mir dann doch der letzte Mut.«
»Er sagt einfach«, erzählte Billy Filanowski, »er könne sich in seinem Job ein gebrochenes Bein oder einen gebrochenen Hals nicht erlauben.« Billy fing in Rio mit dem Drachenfliegen an: »Ich bin tagelang am Strand gelegen und habe immer wieder diese Drachenflieger gesehen, und da wurde der Wunsch in mir immer stärker, es auch einmal zu versuchen. Ein Freund von mir, der in Kitzbühel gelebt hat und sich im Winter 1985 umbrachte, gab dann den letzten Anstoß zum Drachenfliegen, er wollte es auch probieren.
Die ersten hundert Flüge waren wahrlich kein Vergnügen, da versucht man, so schnell wie möglich wieder herunterzukommen. Aber dann, so etwa nach dem hundertsten Start, ist man bloß noch von dem Wunsch beseelt, in der Luft zu bleiben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich es irgendwann einmal aufgeben werde.«
Billy überredete Hans zum Squash-Spiel: »Mir imponiert es«, sagte Hans, »weil es ein Instant-Sport ist, man muss nicht erst lange Zeit Regeln und Schlägerhaltung trainieren, sondern man kann schon nach einer kurzen Weile ganz passabel spielen. Nach zwei, drei Stunden trifft man bereits den Ball so, wie man es will, man bewegt sich rasch und kommt ins Schwitzen, es geht auch viel schneller als beim Tennis, und wenn man mal einen Ball verschießt, braucht man nicht erst stundenlang danach zu suchen.«
FALCO und Billy sind abends öfter im Camera unterwegs, einem Lokal im 7. Bezirk, und dem Montevideo in der Innenstadt. »Wir sind auch öfter vegetarisch essen gegangen«, erinnert sich Billy Filanowski an jene Zeit. »Wir waren oft jeden Abend im Siddharta essen.« FALCO war plötzlich ganz besessen vom vegetarischen Essen und der Vollwertkost. Er lernte Willy Dungl kennen, den inzwischen verstorbenen Gesundheitspapst, der früher einmal die österreichischen Skispringer betreut hatte und dann Niki Laudas Gesundheitsguru wurde, als dieser sich wieder entschloss, Formel-1-Rennen zu fahren. »Dungl«, sagte FALCO damals, »kann einen unglaublich stark motivieren, er weiß genau, was man braucht, um gesund zu leben.« FALCO versuchte, sich den strengen Regeln des Ess-Papstes zu unterwerfen, aber es gelang ihm nur für kurze Zeit: »Ich schaffe es beispielsweise nicht, am frühen Morgen als Erstes einen Salat oder ein kaltes Müsli zu essen oder Milch oder Joghurt zu trinken, das kann ich nicht.«
Jahre später versuchte er sein Glück dann mit der Weight-Watchers-Methode, und diese bekam ihm besser: »Wenn man so viel unterwegs ist wie ich, muss man sich anpassen. Und das Weight-Watchers-Menü ist dafür einfach geeignet, man muss nicht immer einen dicken Essenskoffer mitschleppen und Kalorien zählen.« – »Hans war ein sehr anpassungsfähiger Mensch«, entsinnt sich Horst Bork. »Wenn er jemanden getroffen hat, der vegetarisch gegessen hat und ihm das plausibel machte, mussten alle vegetarisch essen. Wenn eine neue Freundin nicht geraucht hat, hat er auch nicht geraucht und alle durften nicht mehr rauchen. Das ging immer eine Weile gut, bis er merkte, dass dieses Angepasst-Sein auch nicht das Richtige für ihn ist, und er wieder in sein altes Muster zurückfiel. Deshalb haben auch seine Beziehungen nie sehr lang gedauert. Zuerst war er Feuer und Flamme, aber dann ermüdete es ihn auch rasch.«
Offensichtlich beeinflusst Billy Filanowskis sportliche Lebensart Hans Hölzel deutlich: »Ich bin einer«, meinte FALCO einmal, »der in der Früh aufsteht, in den Spiegel schaut und sagt, du fauler Kerl, du hast schon wieder ein Doppelkinn, weil du säufst wie ein Loch und alles in dich reinhaust und nicht auf dich acht gibst. Ich bin nie zufrieden mit mir, oder, sagen wir besser, ich bin nur sehr selten mit mir zufrieden.«
Mit zunehmender »Falcomania« erboste es Hans immer mehr, dass man ihm kein Privatleben ließ. »Es war einfach viel zu viel für mich. Ich hatte alles satt. Ich war satt von der Promotionskiste, satt von den Interviews, den Fragen, den Antworten. Alle wollten etwas von mir.«
Hans Hölzel stellte sich schon als Kind quer, die herkömmlichen Jungenfreundschaften machten ihn misstrauisch. Noch mehr zweifelte er jetzt an der Ehrlichkeit der Bewunderer in seiner Branche: »Die Leute, denen ich wirklich vertraue, das müssen keine Übermenschen sein, aber sie müssen mir ihre Freundschaft viele Jahre lang beweisen. Das geht nicht von einem Tag zum anderen.«
In den Monaten nach dem großen Erfolg mit »Der Kommissar« wurde er immer argwöhnischer, sagt Billy Filanowski über seinen Freund FALCO: »Mitten im größten Jubel und in der höchsten Freudenstimmung war schon der Wermutstropfen, die Frage, wie es entsprechend weitergehen würde.«
FALCO widersprach dieser Einschätzung nicht: »Das ist ja logisch. Ich hatte den irrsinnigen psychologischen Druck, jetzt keinen Flop zu produzieren. Ich hab danach an einem Text allein einen Monat gearbeitet – um ihn dann wegzuwerfen. Ich hatte einfach Sorge, dass er nicht gut genug sei. Ich machte mir nur Gedanken, noch besser zu werden, es war verrückt, denn dadurch wurde alles nur synthetischer, kälter.« – »Er hat einen Text nur dann gesungen, wenn er absolut davon überzeugt war«, sagt Horst Bork. »Er hat eine Menge Playbacks verschlissen, weil er keinen Text darauf gemacht hat. Aber wenn er dann etwas gesungen hat, dann stand er dazu.« Andrerseits war er doch verunsichert, weil der Erfolg, der so süß schmeckte, nicht entgleiten durfte. »Er hat immer Gott und die Welt gefragt, ob etwas gut oder schlecht ist. Je mehr er fragte und je unterschiedlicher die Antworten ausfielen, desto unsicherer wurde er.«
Billy: »Er ist mit der Zeit exzessiver geworden, das ist klar, das bringt sein Beruf mit sich, aber er hat sich charakterlich nicht verändert, er blieb der ehrliche Kerl, dem man vertrauen, auf den man zählen kann.«
FALCO drückte das einmal ganz prosaisch aus: »Wenn ich den Billy anrufe und sage, hör mal, ich sitz gerade da und ich habe kein Geld mehr und einer hält mir eine Pistole ins Genick, dann wird der Billy sofort herflitzen. Und nicht, weil ihm daheim langweilig war, sondern weil das meiner Meinung nach zu einer Freundschaft dazugehört.«
Einmal begann ein Gast in der Diskothek U4 in Wien, einem damals ganz verrückten, ausgeflippten Underground-Laden, Streit mit Hans. Billy Filanowski: »Ich habe anfangs nicht weiter darauf geachtet, aber dann wurden die beiden immer lauter, und ich sah, wie der andere ein Glas über die Kleidung von Hans ausschüttete. Hans kann manchmal recht aggressiv werden, ohne dass er wirklich zuschlägt. Er hat nie gelernt, sich richtig zu klopfen, und deshalb ist er dann auch hilflos, wenn er auf jemanden trifft, der’s kann.«
Billy, der früher geboxt hatte, mengte sich dann ein. »Er ist ein ganz friedliebender Mensch, aber wenn ihn jemand richtig in Rage bringt, dann kocht seine Aggressivität über, und er denkt gar nicht daran, ob er bei einer Schlägerei auch nur eine Chance haben würde. Wenn er eine Stinkwut hat, legt er sich mit allen an«, charakterisiert Billy Filanowski FALCO. In München hatte er einmal eine blutige Auseinandersetzung mit drei Männern aus dem damaligen Jugoslawien. »Es war noch zu den Spinning-Wheel-Zeiten«, erzählt Horst Bork. »In einem Tanzschuppen in Schwabing legte sich Hans mit den dreien an. Natürlich ging es um ein Mädel und die anderen verkloppten Hans ordentlich. Sie schlugen ihm sogar die Vorderzähne aus. Am anderen Nachmittag kam er dann mit blutigem Gesicht zum Soundcheck. Aber das waren Ausnahmefälle. Für gewöhnlich ist er Gewalt immer ausgewichen. Es war mehr Imponiergehabe, das er zelebrierte.«
5
Der Ruhm schränkte ihn ein, aber er brachte auch die Möglichkeit zur Kompensation mit sich: Geld. Ein halbes Jahr nachdem er mit Markus Spiegel seinen ersten Vertrag gemacht hat, klingelt die Kasse: »Zwar glauben die meisten Menschen, ich würde viel, viel mehr verdienen, als es tatsächlich ist«, meinte FALCO später. Doch das, was hereinkommt, ist jedenfalls mehr, als er zu Zeiten von Spinning Wheel, Hallucination Company und Drahdiwaberl noch zu träumen gewagt hätte.
FALCO genoss seinen Status und das viele Geld, aber nach einem kurzfristigen Höhenflug blieb er mit beiden Beinen auf dem Boden: »Wenn du von null in ein paar Monaten auf eine Million kommst, dann packt es dich. Irgendwie denkst du dir dann halt, da müssen jetzt die Mercedes auffahren, die Diamanten, die Luxusdinger.« Er kauft sich tatsächlich einen Porsche und einen Mercedes und fängt auch an, seine Mutter zu verwöhnen. Er kauft ihr Schmuck und teure Teppiche, und wenn jemand darüber redet, wischt er die Geschenke mit einer spöttischen Bemerkung weg, die im Nachhinein besonders tragisch anmutet: »Nicht der Rede wert, ich reichere bloß mein Erbe an.« Genauso wenig, wie er es mochte, von anderen ausgenommen zu werden, wollte er als Wohltäter hofiert werden. Trotz seinem unglaublichen Ruhm blieben FALCOS Wurzeln im Grunde unerschüttert. Einmal sagte FALCO halb im Spaß: »Ich habe nur wenige Vertrauensleute, und ich bin wiederum auch nur wenigen Menschen gegenüber treu. Im Beruf sind mir jene am liebsten, die mich dafür bezahlen, dass sie für mich arbeiten dürfen.«
Später fing er an, immer häufiger Geld zu verschenken. Er versuchte zwar diese Spenden zu verschleiern, aber hin und wieder kam es doch ans Licht, wenn er jemandem etwas gegeben hatte. Beispielsweise wird er im Juni 1986 in Österreich mit dem Goldenen Pop-Amadeus geehrt, einer Art österreichischem Musik-Oscar, der in einer bombastischen Zeremonie verliehen wird und mit 100.000 Schilling verbunden ist. Neben dem Hauptpreis gibt es noch eine ganze Reihe Gewinne für die beste Nachwuchsband, die beste Komposition, das beste Plattencover. Unter anderem ist für das Cover auch eine Platte nominiert, die von Mitarbeitern des Dialysezentrums des Krankenhauses in Horn in Eigeninitiative gemacht wurde, um Geld zu sammeln. Den Sieg für das Cover trägt die Platte des ehemaligen Fussballstars Hans Krankl davon, und als FALCO hört, dass die Leute vom Krankenhaus leer ausgehen, gibt er ihnen spontan seinen Geldpreis.
Aber: »Natürlich singe ich nicht, weil ich als Popstar die Mädchen leichter rumkriege oder irgendeine Lebensphilosophie an den Mann bringen möchte, sondern weil es dafür Geld gibt.« Und er hat im Grunde genommen seine Kollegen nie verstanden, die vornehm vom Geld geschwiegen haben – und dann nichts bekamen oder alles verloren. Viele Pop-stars, die über Nacht zu Ruhm und Kapital gekommen sind – auch große Stars wie Mick Jagger –, warfen ihre Tantiemen zum Fenster hinaus oder ließen sich von windigen Beratern übers Ohr hauen. Manche waren am Ende der Karriere so arm wie zu Anfang. »Ich denke, dass viele es später bitter bereuen, wenn sie sich am Anfang zu gut dafür sind, sich um ihr Geld zu kümmern, und das immer anderen überlassen, bis endlich alle mitgekriegt haben, dass sie vom Geld ohnedies nichts verstehen. Wenn ich einmal über Verlustzuweisungsprojekte oder den Goldpreis rede, heißt es sofort: »Sag mal, bist du eigentlich Musiker oder Anlageberater?« Ich finde da nichts Schlimmes daran, wenn ich mich bemühe, legal meine Existenz zu sichern und mich damit zu beschäftigen, dass mein Geld nicht weniger wird.« Er überlegte zu dem Zeitpunkt, ob er sich nicht ein eigenes Haus in Wien bauen sollte, aber dann kam er von der Idee wieder ab. »Ich sehe es doch schon an meiner Wohnung. Da sperre ich die Tür hinter mir zu, wenn ich wegfahre, und trotzdem gibt’s immer wieder Probleme, wenn ich heimkomme. Da rinnt ein Wasserhahn, dort ist der Kühlschrank kaputt, nicht auszudenken, was man für Sorgen mit einem großen Haus haben muss. Das will ich nicht.«
1982 wurde es FALCO jedoch in der kleinen Wohnung, die er von der Großmutter geerbt hatte, zu eng. »Er hat mich dann gebeten, ihm eine Wohnung zu suchen«, erzählt Maria Hölzel. »Er hatte einfach keine Zeit, sich selbst Objekte anzusehen, und er sagte, ich wüsste doch ohnedies ganz genau, was ihm gefiele, also könnte ich doch ebenso gut eine Wohnung für ihn mieten.«
FALCOS Mutter nahm die Sache sehr ernst. Sie setzte sich mit Dutzenden Maklern in Verbindung, studierte die Immobilienanzeigen in den Tageszeitungen, bis ihr schließlich im 7. Bezirk eine schöne Altbauwohnung im dritten Stock eines Jugendstilhauses angeboten wurde. »Ich fuhr hin und war sofort von der Wohnung angetan«, berichtet sie, »der hintere Trakt der Wohnung geht in einen parkähnlichen Innenhof. Wenn man das Badezimmerfenster öffnet, sieht man direkt auf einen alten, großen Nussbaum. Und ich stellte mir vor, wie dieser Baum im Winter voller Schnee sein würde, ich dachte, das ist gerade das Richtige für Hans!«
Hans Hölzel hatte es ziemlich eilig, eine neue Wohnung zu finden: Seine Adresse stand im Wiener Telefonbuch, und auf dem ersten Höhepunkt seiner Karriere wurde die Ziegelofengasse regelrecht zum Wallfahrtsort seiner Fans, die von überall herkamen, um zum Wohnhaus von FALCO zu pilgern. Die Haustür war nicht verschlossen, und die Eingangstür hatte – wie in vielen Wiener Mietshäusern üblich – zwei Milchglasscheiben, durch die man hindurchblicken konnte, wenn in der Wohnung Licht brannte. »Und ich sah draußen die Leute vor der Tür herumstehen und hereinschauen, da hab ich regelrecht die Paranoia gekriegt. An einigen Wochenenden war es so schlimm, dass ich das Haus in der Ziegelofengasse verließ und irgendwo anders hinging, Hauptsache weg.«
Maria Hölzel: »Eines Tages fuhr ich mit Hans in den 7. Bezirk, nahe dem Westbahnhof, wo ich die neue Wohnung gesehen habe. Er war, wie ich es erwartete, sehr davon angetan. Er sagte gleich: ›Schau, Mutti, hier vorn mach ich mir ein eigenes Studio – da richte ich den Salon ein und hinten, in den Garten raus, kommt das Schlafzimmer, ich nehm die Wohnung sofort.‹«
Er war ganz aus dem Häuschen und wäre am liebsten gleich eingezogen, aber es waren noch einige andere Interessenten da, und so sollte es einige Monate dauern, ehe der Mietvertrag abgeschlossen werden konnte. Als es dann schließlich so weit ist, fängt er wie besessen an, seine neue Wohnung einzurichten: Er wählt eine blassblaue Tapete für den Flur aus, dazu eine Sitzgruppe mit einem Tisch aus der großen Zeit der Wiener Werkstätten. Im Flur hängt er die Trophäen auf, die sich bereits angesammelt haben – die Goldene und die Platin-Schallplatte von »Einzelhaft«. Die ganze Wohnung erhält einen grauen Spannteppich und darüber liegen kreuz und quer teure Perserteppiche, die FALCO eine Zeit lang sammelte.
In der Enge seiner letzten Bleibe hat er die Überfülle hassen gelernt, also lässt er jetzt, auf 150 Quadratmetern, viel Platz: Ein Schreibtisch, der Fernsehapparat mit dem alten Videorekorder daneben im Wohnzimmer, eine lederbezogene Couchgarnitur mit einem Sessel, der per Knopfdruck in die Höhe und im Winkel der Lehne verstellt werden kann. Er war sofort FALCOS Lieblingsplatz.
Unter der Platte seines achteckigen Wohnzimmertisches verbirgt sich eine kleine Hausbar. Eine Jugendstil-Sitzgruppe und ein paar Pflanzen sowie ein stets spielbereit aufgestelltes Schachbrett ergänzen das Interieur der Wohnung.
In einer FALCO-Sonderausgabe schreibt die Wiener Pop-Zeitschrift Rennbahn express im Oktober 1985: »Prunkstück der Wohnung aber ist das schalldichte Musikzimmer, dessen Lärmisolierung allein rund zehn Quadratmeter Fläche ver-schlungen hat. Ist die weiße Flügeltür geöffnet, dröhnt in Überlautstärke Musik in der ganzen Wohnung. Wird die Tür geschlossen, ist gerade die Basstrommel noch als leises Klopfen hörbar.
Eine einen Meter große, von innen beleuchtete Glaspyramide bringt Licht ins Dunkel, wo eine Gitarre, eine Bassgitarre, zwei Fitnessgeräte für die Armmuskulatur und ein paar Platten an der Wand lehnen. Auf dem Glastisch steht FALCOS rotes Telefon neben dem Anrufbeantworter, der allerdings nie eingeschaltet wird. Ist der Falke zu Hause und will er seine Ruhe haben, drückt er auf einen Knopf, und das Läuten hat ein Ende. Ist er nicht zu Hause, so hat er nachher keine Lust, die 80 Anrufe, die regelmäßig auf dem Band gespeichert waren, abzuhören. Also lässt er’s gleich sein. Wer was von ihm will, der wird sich schon wieder melden. An einer Wand Dutzende Bücher: über Ägypten, über Rom, ›1000 Tipps für Spanien‹, ein Fitnessbuch von Willy Dungl und – ganz neu und noch ungelesen – die ›Hollywood-Star-Diät‹!
Am Yamaha-Piano an der Fensterfront klebt ein ›I-love-Money‹-Sticker, darauf steht ein Korg-Poly-61-Synthesizer, links und rechts stehen zwei quadratmetergroße JBL-Boxen. Genau über dem Piano hängt ein TV-Monitor, der an den Videorekorder im Wohnzimmer angeschlossen ist.« Das Schlafzimmer hat FALCO goldgelb tapezieren lassen, die Rückwand des Bettes ist mit einem kostbaren Stoff im Artdeco-Stil bezogen. Auch im Schlafzimmer hat er ein Telefon, einen Fernsehapparat und einen Videorekorder. Dazu dicke, dunkle Übergardinen vor den Fenstern, die den Tag zur Nacht machen, wenn FALCO bis zum späten Vormittag schlafen will. Eine Klimaanlage schafft auch im heißesten Sommer angenehme Raumtemperaturen. »Er hatte einen völlig verqueren Schlafrhythmus«, sagt Horst Bork. »Er hat zwei Stunden geschlafen, ist dann wieder munter geworden, aufgestanden, hat etwas getrunken, dann hat er wieder zwei Stunden geschlafen. So ging das immer. Er hat immer ein Telefon gebraucht, denn wenn er munter war, fing er an, Leute anzurufen. Wenn er dann um drei Uhr früh am Telefon plaudern wollte, weil ihm langweilig war, konnte das ganz ordentlich nerven.«
Hans versuchte lange Zeit, seine Mutter dazu zu überreden, in seine Nähe zu ziehen: »Als einmal die Nachbarwohnung frei wurde, ließ er nicht mehr locker. Aber ich wollte nicht in die Stadt. Ich fühlte mich am Rande Wiens viel wohler. Mit der U-Bahn ist man rasch überall, ich fahre gern mit der Trambahn oder der U-Bahn.
Als ich hierherzog, war Hans der 22. Bezirk höchst unsympathisch. Ich hätte auch wieder in das Haus in der Ziegelofengasse ziehen können, das inzwischen anstelle unseres alten Wohnhauses wiederaufgebaut worden ist, aber ich mochte nicht.«
Die lebhafte, mittelgroße, dunkelhaarige Frau wehrte sich damals erfolgreich, wieder umzusiedeln. »Ich bot ihr ein paar Mal an, ihr eine eigene Wohnung zu kaufen, weil ich kein gutes Gefühl dabei habe, wenn sie so weit draußen lebt. Teilweise spielen sich in der Gegend üble, kriminelle Dinge ab, und der Gedanke daran machte mir Angst. Aber ich konnte sie ja nicht zwingen.«
Durch das lange Alleinsein war sie sehr selbstsicher geworden, und Maria Hölzel genoss es sichtlich, als FALCOS Mutter anerkannt zu werden. »Am Anfang«, so sagte FALCO einmal, »versuchte ich meine Mutter aus dem ganzen Trubel herauszuhalten, weil ich dachte, dass sie das belasten würde. Aber mit der Zeit merkte ich, es machte ihr im Gegenteil sogar Spaß. Jetzt gibt sie hin und wieder Interviews und lernt durch mich eine Menge Leute kennen, und ich bin froh, dass das so ist.«
»Sie hat sehr gute Interviews gegeben«, sagt Horst Bork, »ich wünsche manchen Popstars von heute solche Mütter, die so eloquent antworten können und so bedingungslos hinter ihren Kindern stehen. Das war sicher nicht schädlich für seine Karriere, ganz im Gegenteil.«
Maria Hölzel machte sogar bei der Live-Rundfunksendung »Freizeichen« in Ö3 mit. Sie kennt kaum Lampenfieber und gibt schlagfertig und ehrlich Antwort. Am meisten wurde sie zu seinen Lebzeiten wohl gefragt, was sie gefühlt hat, als sie FALCO anfangs im Fernsehen sah, und sie antwortete dann immer: »Zuerst hab ich ziemlich gezittert, aber diese Zeit ist längst vorbei. Wenn er heute irgendwo auftritt, dann weiß ich, dass es hinhauen wird. Wissen Sie, man wächst als Mutter automatisch mit der Karriere eines Kindes mit. Und für mich ist er halt immer mein Bub, für mich ist er nicht FALCO, sondern für mich bleibt er der Hansi.«
6
Die Wohnung, die FALCO seit 1982 bewohnte, kostete ihn 4.000 Schilling – nicht einmal 300 Euro – Monatsmiete. »Eine teurere«, pflegte er zu sagen, »brauche ich nicht.« So sehr ihn anfangs die Macht des Geldes faszinierte, so gleichgültig wurde es ihm später: »Ich habe mit den Jahren festgestellt, dass es nichts Verachtenswerteres gibt als käufliche Menschen. Und deshalb habe ich Geld, das Stück Papier, einfach zu dem degradiert, was es ist: ein Stück Papier. Ich bin nicht einer, der denkt, er müsse jetzt einen Lamborghini fahren, weil er Geld hat, oder der Woche für Woche seinen Kriecherfreunden ein Fest gibt, damit sie ihm zujubeln können, ich versuche, mein Geld mit Hirn anzulegen. Wenn ich mir einmal einen Luxus erlaube, dann den, Geld ziellos auszugeben. Ich träume halt den Traum von einem Sack, in dem immer wieder etwas drinnen ist, und ich träume davon, immer ein paar Pfennige mehr zu besitzen, als ich brauche.«
Wenn man den weltweiten Plattenverkauf, die Compilations und die Singles zusammenzählt, hat FALCO im Laufe seines Lebens mindestens 50 Millionen Euro, damals rund 700 Millionen Schilling, umgesetzt.
Am Tag, an dem seine Tochter geboren wurde, verlor FALCO in all der Aufregung und auch schon ein wenig betrunken 3.000 Schilling. »Ich habe mich darüber geärgert, weil ich nicht einmal wusste, wo ich das Geld verlor. So etwas macht mich krank. Es kann einmal vorkommen, dass ich in einer Woche 35.000 Schilling ausgebe, um mir etwas zu kaufen, und es macht mich glücklich zu wissen, dass mir das auch möglich ist. Aber ich werde ärgerlich, wenn das Geld zwischen den Fingern durchrinnt und ich nicht weiß, was damit geschieht.
Mit 15 Jahren wusste ich, wenn ich die 70 Schilling Taschengeld auf einen Schlag ausgab, hatte ich den Rest der Woche nichts mehr. Es störte mich nicht. Genauso freut es mich, wenn ich meiner Freundin heute für 250.000 Schilling ein Armband kaufen kann. Was ich hasse, sind halbe Sachen, diese Erbsenzählerei.«
Hans schien am Anfang seiner Karriere das Talent zu besitzen, mit Geld umgehen zu können. Seine Geschäfte waren sogar dem Wirtschaftsmagazin trend eine Story wert, die in dem Bekenntnis gipfelte: »Ich habe so etwa Monatsspesen von 40.000 Schilling, kein Auto und keine teuren Weiber. Ein Bühnenmonitorsystem war der letzte große Invest. Das größte Cash liegt in der Zellstoffindustrie. In zwei, drei anderen Branchen, alles österreichische Industrie, bin ich auch eingestiegen. Name egal, auf jeden Fall geh ich nicht in Klein- oder Mittelbetriebe. Die Mutter kriegt eine Apanage von 7.000 Schilling im Monat. Mehr als 250.000 Schilling kann ich vom Fleck weg nicht abheben, alles gebunden. Ich sehe mich eigentlich als Komiker, vom Talent her, aber nicht beim Geld. Ich verdiene viel mehr als jeder Vorstandsdirektor, und das ist ein starkes Gefühl.« So weit FALCO im Interview mit dem Wirtschaftsblatt. Ganz so geschäftstüchtig, wie ihn manche einschätzten und er sich wohl auch selbst vorgaukelte, war er allerdings nicht. Von dem 50-Millionen-Umsatz war nach seinem Tod nicht mehr allzu viel übrig geblieben.
Sein scheinbar gutes Händchen fürs Bare brachte eine neue Attitüde in die Pop-Berichterstattung. Plötzlich entdeckten Jugendmagazine, die bisher höchstens Goldene Schallplatten auflisteten, dass es auch interessant sein konnte, über die Geldanlagen eines FALCO zu berichten. »Es ärgert mich, wenn dann irgendwelche Jahresbruttoumsätze aufgelistet und über den Daumen gepeilt hochgerechnet werden. Wenn einer schreibt, der Kerl verdient im Jahr 300 Millionen, dann denken die meisten, na, das ist zwar viel, da wird ein bisschen was weggehen, aber 200 Millionen wird er schon einstreifen.«
In einem ziemlich aggressiv geführten Interview unter dem Titel »Money for nothing« mit dem Politmagazin profil redete FALCO einmal über Geld und Image.
profil: Ist es dir egal, wenn Leute, die aus der gleichen Generation und auch aus der gleichen Szene kommen wie du, dich heute als arroganten Lackaffen sehen?
FALCO: Ich glaube, dass diese Menschen hauptsächlich stört, dass ich ein wesentlich höheres Jahreseinkommen habe als sie. Außerdem hab ich weder mit der sektiererischen Linken noch mit der doppelbödigen rechten Moral was am Hut, und das stört sicher auch viele.
profil: Wer deine Masche und die Art, wie du sie verkaufst, nicht mag, ist also ein Sektierer oder ein Reaktionär, auf jeden Fall aber ein Neidkomplexler?
FALCO: Schau, es ist halt offenbar undenkbar, dass es einen Star gibt, der von hier aus operiert und meint: Ich leb gern hier in Österreich, ich lass mich auch nicht vertreiben von euch, und ich kann auch von hier aus Nummer eins werden in Amerika.
profil: Wie viel verdienst du denn nun wirklich, dass alle, wie du glaubst, so neidisch sind?
FALCO: Dazu will ich nichts sagen. Aber ich habe gerade einen neuen Vertrag mit der deutschen Plattenfirma Teldec unterschrieben.
profil: Wie schaut dieser Vertrag aus?
FALCO: Der schaut gut aus.
profil: Wie gut?
FALCO: Sehr gut, mehr darf ich auch laut Vertrag nicht sagen. Aber ich glaube nicht, dass ein Österreicher schon einmal so einen Vertrag unterschrieben hat.
profil: Also gut, nehmen wir zur Kenntnis, dass du wahrscheinlich mehr Geld verdienst als Wolfgang Ambros, Georg Danzer, Opus und wie sie alle heißen, zusammen. Woran liegt das? Bist du ein guter Sänger oder ein guter Kaufmann?
FALCO: In der deutschen Presse heißt es, ich bin der cleverste Hund überhaupt, aber das stimmt nicht ganz. Ich mache nur die Musik, die die Leute haben wollen. Es ist noch keinem Marketing gelungen, einen Hit zu verhindern.
Das Interview erschien im März 1986 und die Fragen waren ziemlich aggressiv gehalten. Am Anfang sagte der Interviewer zu FALCO: »Etliche Leute, denen ich erzählt habe, dass ich dich interviewen werde, sagten mir: ›Sehr gut, dieses lackierte Plastikbubi gehört endlich einmal aufgemacht.‹«
Und FALCO sagte auch deswegen später: »Ich habe lange Zeit nicht geglaubt, dass die öffentliche Meinung in Wien sich unterscheidet von der in anderen Städten, aber inzwischen glaub ich’s auch. Hier passiert vieles in dieser Rotwein geschwängerten ›Hackl-ins-Kreuz‹-Mentalität. In Amerika sind die Leut wesentlich stolzer auf ihre Entertainer. Wenn dort einer in einem weißen Cadillac oder mit einem Royce herumfährt, dann heißt es, leinwand, American Way, das hätten wir auch haben können, wenn wir nur richtig angezogen hätten. Bei uns … na ja, ich fahr eh nur einen Peugeot 205.«
Im Grunde genommen hatte FALCO aber in der Branche eine Menge Freunde. Georg Danzer sagte beispielsweise in jener Zeit: »Ich mag den Hans und ich bin immer sehr gut mit ihm ausgekommen. Ich höre zwar allenthalben, dass er aneckt oder dass andere ihre Probleme mit ihm haben, aber ich mag ihn sehr gern.«
Niki Lauda empfand FALCO als einen »Spitzenmann des Showgeschäfts«, und Ewald Pfleger, der Leader von Opus, sagte über ihn: »FALCO ist für mich privat ein ganz normaler Mensch, mit dem man gut auskommen kann, und bei Weitem nicht so unnahbar, wie es zeitweise dargestellt wird. Einer der wenigen österreichischen Musiker, die ein gewisses Feeling für amerikanische Songs in sich haben. Deshalb ist er auch international erfolgreich. Wenn er jetzt noch den Sprung zum internationalen Live Act schafft, dann wird er zum großen Entertainer unserer Zeit. Denn Aura und Flair dafür hätte er.«
Hans Krankl, der berühmt wurde, als er Deutschlands Fußballnationalmannschaft in Cordoba durch sein Tor aus dem Weltmeisterschafts-Semifinale schoss: »Mit FALCO ist’s eine Gaudi, seine Musik gefällt mir super. Privat ist er ein klasser Bursch. Nur manchmal redet er so, wie er singt.« Einer, der sehr früh das Talent und die Kraft Hans Hölzels erkannt hat, ist Udo Jürgens, den eine jahrelange Freundschaft mit Hans verband. Hans hörte sehr oft auf den Rat Udos und versuchte ihn zu befolgen. Als Udo Jürgens einmal gebeten wurde, sich über FALCO zu äußern, meinte er Folgendes: »Ich kenne FALCO seit langem auch privat sehr gut. Er verkörpert für mich das moderne Zeitgefühl durch sein Image, seine Arroganz und seine Distanz zu den Leuten. Er hat in die Popmusik zweifellos eine internationale Farbe gebracht, die es im deutschsprachigen Raum vorher nicht gab. Das Zeitgefühl, das die englischen und amerikanischen Künstler in ihrer Präsentation darstellen, hat er sehr gut auf seine ihm eigene Art übertragen.«
Das, wovon Udo Jürgens sprach, war schon sehr früh von FALCO bewusst provoziert worden. »Ich bin der Meinung«, sagte er einmal, »dass die Menschen Idole wollen – und zwar nicht nur in Amerika oder England, sondern auch in Deutschland und Österreich. Es mag zwar ganz amüsant sein, wenn man Sänger hat, denen man im Gasthaus auf die Schulter klopfen kann, aber das ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Im Grunde genommen möchten die Fans zu ihren Idolen aufschauen, es muss eine Distanz da sein. Die Stars sollten sich immer ein kleines Geheimnis bewahren.«
Er ging dann besonders auf die österreichische Popszene ein: »Für mich ist das besonders ein österreichisches Phänomen. Der Wolfgang Ambros kann zum Beispiel von Wirtshaus zu Wirtshaus gehen und wird überall auf ein Glas Wein eingeladen werden, so lange, bis er nicht mehr stehen kann.«
Da gibt es also einerseits die Stars, mit denen man Bruderschaft trinkt, und »Leute wie mich oder Heller, die nicht die Kumpels von nebenan sind. Wir sind dann die arroganten Unika der Nation«. Aber auf der einen Seite machte es FALCO zweifelsohne besonderen Spaß anzuecken, und andererseits hatte er auch Erfolg damit.
Wolfgang Ambros über FALCO: »Eine vielfältige Persönlichkeit, ein eigenartiger Kerl. FALCO ist für mich schwer zu definieren. Er hat sich nicht den leichtesten Weg ausgesucht.«
Eine Weile nervte es FALCO, immer wieder auf seine Arroganz angesprochen und deshalb auch unsachlich kritisiert zu werden. Er versuchte ganz bewusst, entgegenkommend zu wirken: »Aber das haben mir die Fans am Ende auch übel genommen. Ich trat einmal in einer Livesendung im Österreichischen Rundfunk auf und war wirklich pflegeleicht und familienfreundlich. Und wie war die Reaktion? Hunderte riefen an und fragten, ob ich verrückt geworden sei und weshalb ich mich denn so verändert hätte? Nein – da habe ich gesehen, die Fans suchen in mir nicht den Jungen von nebenan, sondern den Star, der geheimnisvoll ist und zu dem man aufschauen kann.«
Udo Jürgens sah aber schon früh in dem Stil FALCOS auch eine gewisse Gefahr: »Kühle Distanz begeistert das Publikum nur für kurze Zeit. FALCO muss die Nähe der Leute wieder finden.«
Ohnedies war es Hans Hölzel klar, dass seine Platte »Einzelhaft« und sein Hit »Der Kommissar« nur ein erster Schritt auf einem Weg sein konnten, den er selbst bestimmen wollte. Er verabscheute es damals schon, vorgeschriebene Pfade einzuschlagen. Hans sah sich nie als Teenie-Star, sondern stets als ernsthaften Musiker und Texter, was in den Songs zum Ausdruck kommen sollte. »Ich mochte nicht mehr, wenn mir die Reporter bis ins Bett nachstiegen«, beklagte er sich über die Zeit nach 1982, »ich wollte künstlerisch arbeiten und nicht nur in Hitparaden auftauchen. Es kann einem ja persönlich oft nichts Schlimmeres passieren, als einen Hit zu haben – man verdient Geld, aber man wird in der Luft zerrissen.«
Und wer nicht charakterstark genug ist, die Anfeindungen zu überstehen, geht nach einem Hit wieder unter, wie das so viele Beispiele beweisen.
»Irgendwo fängst du dann an zu überlegen, ob das die ganze Sache wert ist. Man macht sich kaputt und verdient viel Geld, aber war’s das auch schon?«
Damals bekamen viele seine scharfe Zunge zu spüren, er liebte es förmlich, sich mit Leuten anzulegen, und äußerte sich in Interviews oft herablassend. Es wurde ihm vorgeworfen, er würde die Bedeutung seiner Person maßlos überschätzen.
Einerseits die Vorwürfe, er sei viel zu arrogant und hätte im Grunde seine Kunst noch nicht bewiesen, und auf der anderen Seite der Wunsch, der in ihm brannte, eine zweite, noch bessere, noch erfolgreichere LP nachzuliefern, brachten FALCO fast um den Verstand.
Billy Filanowski, sein engster Freund, über diese schwierige Zeit: »Er fing damals an, exzessiv zu trinken. Er war immer auf der Suche nach etwas, was er sich offenbar nur selber geben konnte: die Fortsetzung seines Erfolges, eine kontinuierliche Arbeit auf einem hohen Level. Ich glaube, er freute sich mörderisch über seinen Riesenerfolg, aber andererseits konnte er sich nicht richtig gehen lassen, weil in ihm immer die Frage nagte, wie seine Karriere weitergehen würde.« – »Als ich ihn kennenlernte und mit ihm anfangs zum Essen ging, hat er ziemlich viel getrunken«, erzählt Horst Bork. »Ich sagte: ›Trink nicht so viel‹, und er sagte, wenn er nicht mehr trinkt, wird ihm fad und es fällt ihm nichts mehr ein. Dann gab es eine Zeit, da versuchte ich beim Essen ihm den Wein wegzutrinken, das war hoffnungslos, weil er sich dann statt Wein eine Flasche Whisky bestellte. Es gibt unzählige Künstler, die die Grundschwingungen brauchen, um bestimmte Dinge zu leisten. Die trinken drei Monate und arbeiten dann vier Monate. Die können einfach besser damit umgehen. Aber bei FALCO war immer die Tendenz, dass es mehr wird, dass die Exzesse größer werden, die Abstürze brutaler. Es gab eine Zeit, da hat er nichts getrunken, aber er war derart fahrig und nervös, dann hat er wieder damit angefangen, weil es ihm besser ging.«
7
FALCO traf alle möglichen Vorkehrungen, um eine gute zweite LP zu machen. Unter anderem verlangte er von Markus Spiegel, mit dem er ja einen Vertrag über drei Scheiben hatte, beste Produktionsbedingungen. Er selber saß Tag für Tag und feilte an seinen Texten und wägte während der Arbeit ab, wie die Zeilen beim Publikum ankommen würden.
»Ich wollte, dass es besonders gut werden würde«, sagte er später, »nach einem Start wie mit ›Einzelhaft‹ ist es unglaublich schwierig, nicht dem eigenen Leistungsdruck zu unterliegen. Ich habe mir für das zweite Album eindeutig zu viel überlegt. Ich bin übers Ziel weit hinausgeschossen. Es war zu wenig spontan aus einer ganz humanen Situation heraus: die Angst, zu floppen. Gegen den Flop hab ich insofern ein bisserl was, als es für jede deutschsprachige Pop-Platte ein durchaus erhabener Erfolg ist, wenn sie sich fünfzigtausendmal verkauft, und dass das für ihn okay ist.«
FALCOS Messlatte lag höher. Viel höher. Er wollte viele Dinge gleichzeitig – er wollte auch von der anspruchsvollen Musikkritik anerkannt werden, er wollte den Kreis seiner Fans erweitern und er wollte mit dem Verkauf der Platte nicht hinter seinen Erwartungen zurückbleiben.
Hatte die Produktion für »Einzelhaft« noch lächerlich wenig gekostet, so schoss der Produktionspreis nunmehr steil nach oben, durch die »exorbitanten Verzögerungen«, so das Magazin basta, stiegen die Produktionskosten für die zweite Scheibe – »Junge Roemer« – auf 2,8 Millionen Schilling. »Das war damit locker um zwei Millionen mehr als die bis dahin teuersten österreichischen Pop-Produktionen.«
FALCO fing an, für dieses Album sein Image noch krasser zu polieren, er ließ sich beispielsweise Dutzende Maßanzüge schneidern, er tauchte im Frack beim Wiener Opernball auf und stolzierte vor den Live-Fernsehkameras umher. Dieses Verhalten führte dazu, dass sich noch mehr Leute mit ihm anlegten. »Ich verstehe nicht, weshalb man sich gerade über meinen Opernball-Besuch so echauffierte. Ich mag den Opernball, die Oper ist erstens der schönste Ballsaal der Welt und zweitens ist es derzeit die beste Show, wenn ab Mitternacht die Orden dahinschwingen, völlig losgelöst von der Schwerkraft, und alles Champagner säuft, und alles löst sich auf in diesem Land, ich empfinde das als Supershow.« Vielen schien damals, als würde FALCO den Bogen absichtlich überspannen. Er wollte ausloten, wie weit er gehen konnte.
Und er stürzte ziemlich tief.
Der Fall tat weh.
»Vielleicht wäre es besser gewesen, ein Buch zu schreiben, statt eine Platte zu machen«, spekulierte er, »denn die Texte von ›Junge Roemer‹ halte ich noch heute für extrem gut.« Aber die Fans konnten mit dem Album nicht viel anfangen. Texte wie:
»Junge Roemer
tanzen anders als die
andern
Sie lieben ihre Schwestern
Lieber
Lieber als den Rest der Welt
verwirrten teilweise das Publikum, das bisher den »Kommissar« gekauft hatte.
Die Platte erwies sich nicht gerade als Flop, war aber auch lange nicht so erfolgreich, wie sich FALCO und Markus Spiegel das erhofft hatten. FALCO: »Es war wahrscheinlich sogar ein Flop, wenn man die Erwartungshaltung nach dem ersten Album in Betracht zieht. Absolut gesehen, losgelöst von dem, was vorher war und was danach gekommen ist – nur im Verhältnis zum Markt –, war es ein durchschnittlich guter Erfolg.« Horst Bork: »FALCO hat sich so mit Niederlagen beschäftigt, ich würde nicht sagen, er hat sich darin gesuhlt, aber er hat sie ausgekostet. Es war ein Teil Selbstmitleid, ein Teil Analyse. Warum lief es so? Wer hat den Fehler gemacht. Am Ende kam er immer zu dem Ergebnis, die ganze Welt sei gegen ihn. Nach einiger Zeit hat sich das aber gesetzt, der Kampfesmut kam dann wieder, dann ist er auch erneut in die Schlacht gezogen.«
basta: »Der Kommissar-Gewinn war futsch. ›Junge Roemer‹ rechnete sich gerade pari – und manch anderer wäre damit auf die Nase gefallen.« Unabhängig von seiner FALCO-Produktion hatte Markus Spiegel jedoch in der Zwischenzeit ein neues Trio aufgebaut, das sich DÖF (»Deutsch-österreichisches Feingefühl«) nannte, und Anstalten traf, mit ihrer ersten Platte »Codo« den überraschenden »Kommissar«-Hit nachzumachen. Leader der Band waren Manfred Tauchen und Joesi Prokopetz, das Lied gewann mehrmals in Berlin die deutsche Hitparade und deckte zumindest den Verlust von »Junge Roemer« – und ein erkleckliches Sümmchen mehr. »Mit diesem Sommerhit«, schrieb basta, »brachte Markus Spiegel seine Firma wieder auf drei Millionen plus.«
8
Der schleppende Plattenverkauf und die zwiespältigen Kritiken bei seinem zweiten Album machten FALCO schwer zu schaffen. Die Sorge, dass es plötzlich aus sein könnte, war nahezu übermächtig. »Geld ist für mich wichtig«, sagte er damals, »wenn man Geld gehabt hat, hat man Blut geleckt. Wenn mir irgendein Typ mit Kohle erzählt, ihm würde es nichts ausmachen, wenn er plötzlich kein Geld mehr hätte, dann glaube ich das nicht. Man wird zum Dagobert Duck.« Aber noch viel stärker berührte es ihn, dass der Erfolg der ersten Platte nicht zu wiederholen war. »Der Erfolgszwang ist das Verteufelte an unserer Arbeit. Es wird immer mehr und mehr erwartet. Oft bin ich schon dagesessen und habe mich gewundert, wieso ich mich über einen Erfolg nicht freue. Wahrscheinlich, weil ich es schon einmal erlebt habe. Und weil es beim zweiten Mal selbstverständlich erscheint. Da kommt man vom Regen in die Traufe. Der Leistungsdruck pendelt sich nicht ein, der wird immer größer.«
Billy Filanowski war zu jener Zeit häufig mit FALCO zusammen. Die beiden gingen oft abends aus, hörten Musik oder aßen gemeinsam. »Er war wirklich zwei Jahre lang in einem Tief«, sagt Billy, »er wurde depressiv und er hatte schreckliche Angst, dass alles, was er erreicht hat, wieder vorbei sein könnte.«
Zu dieser Zeit trank FALCO ziemlich viel, schüttete wahllos Wein, Wodka, Whisky und Brandy in sich hinein und machte mit dem unsteten, ungesunden Leben seinen Körper buchstäblich kaputt. Damals sagte er: »Ich hab bloß von den Drogen die Hände gelassen, da hatte ich zu viel Schiss davor. Aber die flüssigen Drogen, die Alkoholika, nahm ich im Übermaß.« Nachts landeten Hans und Billy immer in einer Diskothek. Billy Filanowski: »Wir hatten mit Mädchen nie Probleme, Hans fährt völlig auf blonde, zarte, elfenhafte Wesen ab, und ich mag mehr die Dunkelhaarigen. Wir kamen uns bei den Aufrissen nie in die Quere. Und wir hatten beide eine sehr gesunde Einstellung, ein Mädchen aufzureißen. Wenn einer von uns eines angesprochen hatte und es bahnte sich etwas an, stand der andere auf dem Standpunkt: Fein, es gibt sicher auch noch eine zweite hübsche Maus in dem Lokal. Wir kamen nie der Mädchen wegen in Streit und wir waren auch nie eifersüchtig.«
Hans versuchte sich mit exzessivem Leben zu betäuben. »Er war ein großer Aufreißer«, sagt Billy darüber, »obwohl ich denke, dass er in Wahrheit immer nur eine gute, feste Bindung suchte.«
Aber es klappte nicht und FALCO wechselte die Freundinnen wie die Hemden. Einmal verabredeten sich Hans und Billy, um gemeinsam auszugehen. »Ich schellte an der Tür und klopfte wie verrückt, aber der Kerl machte nicht auf«, entsinnt sich Billy Filanowski des Zwischenfalls. »Ich wusste, er musste noch drinnen sein, und ich machte mir alle möglichen Gedanken, was passiert sein könnte.«
Schließlich kletterte Billy durchs Flurfenster auf einen Mauervorsprung und warf von dort Steine gegen die Fensterscheiben FALCOS. »Das hat er dann gehört und aufgemacht. Er war gerade mit einem Mädchen in der Wohnung und fürchtete, dass ein anderes, mit dem er sich auch verabredet hatte, vor der Tür stünde und es einen riesigen Krach geben könnte.«
Hans versuchte alles Mögliche, um das Gefühl der Niederlage abzutöten. »Zu jener Zeit«, analysiert sein Partner Horst Bork die damalige Situation, »wurde sein natürliches Misstrauen Fremden gegenüber beinahe übermächtig. Er wusste natürlich, dass man – wenn es einem gut geht – viele Freunde und Verehrer hat, die sich dann rasch verflüchtigen, sobald dunkle Wolken auftauchen. Aber nun spürte er es am eigenen Leib, wie das war.«
Leute aus der Branche, die ihm noch vor Monaten die Tür einrannten, ließen sich plötzlich verleugnen, wenn er anrief und sie sprechen wollte. Der mäßige Erfolg wurde von vielen spöttisch kommentiert. Hans und Billy besprachen die Situation öfter, und einmal kam Hans mit der Idee, sie könnten vielleicht gemeinsam eine Kleiderlinie herausbringen unter FALCOS Label. Er wusste, er musste etwas unternehmen, scheute aber dann doch davor zurück, sich in eine andere Branche zu wagen.
»Solange du einmal auf der Bühne Erfolg gehabt hast«, gestand er später offen ein, »gehst du bis zum Herzinfarkt nicht mehr runter.«
Michael Hopp schrieb im Wiener über das zweite Album: »Als ich aus nichts als aus lauterer, hehrer, überbordender Begeisterung … eine Hymne auf FALCOS ›Junge Roemer‹ vom Stapel ließ, hielten sie mich – ich konnte es mir aussuchen – für a) leicht unterbelichtet, oder b) korrupt. (Jene, die mich mochten, gaben öffentlich vor, mich für b) zu halten, sie wollten damit zum Ausdruck bringen, erzählten sie mir später, dass sie an meine Intelligenz glaubten.) Ich hatte zu leiden wie ein Hund, als die Verschwörung der Miesmacher recht zu behalten schien: die beste Platzierung, die FALCO mit der ›Junge- Roemer‹-Auskoppelung ›Kann es Liebe sein‹, erreichte, war, so weit ich mich erinnere, ein bescheidener sechster Platz – und der währte nur eine Woche … Und nach FALCO selbst war wohl ich einer der größten Verlierer der ›Junge-Roemer‹-Affäre. Erstens stand ich als falscher Prophet da (in jugendlichem Überschwang hatte ich der Platte Hitparadensiege en gros prophezeit). Zweitens als ein in ein merkwürdiges Stadium der Post-Pubertät verfallener, mit der Libido einer zwölfjährigen Hauptschülerin versehener Kindskopf.«
Aber die meisten Kritiker weideten sich ohnedies am Misserfolg von »Junge Roemer«, oder sie nahmen die zweite Platte FALCOS gar nicht zur Kenntnis. 120.000 Platten werden in Deutschland verkauft, mit Ach und Krach bekam »Junge Roemer« in Österreich die Goldene Schallplatte. Später sagte FALCO in einem Resümee: »Es war alles verkrampft und es fehlte der Hit auf der Platte. Wir hatten keine gescheite Auskoppelung.« Er überlegte auch, was bei seinem ersten großen Erfolg Anfang der 80er-Jahre eine Rolle gespielt haben könnte: »Damals gab es in Deutschland ein absolutes Vakuum, die – bis dahin – großen Solisten wie Udo Jürgens hatten plötzlich mit den Kids nichts mehr gemeinsam. Und dazu kam eine Art Endzeitstimmung der Plattenindustrie, die sich den Kopf da-rüber zerbrach, weshalb sie im Jahr statt sagen wir mal 80 nur 75 Milliarden verdiente.«
FALCO: »Wahrscheinlich kann keiner diesen Faktor X, der aus einer guten Platte einen Hit und aus einem Hit einen Welterfolg macht, beschreiben. Aber man kann den Umkehrschluss ziehen, man kann, wenn es danebengeht, analysieren, weshalb es diesmal nicht so gut geklappt hat. Was hat da gefehlt? Was war schlechter? Weshalb bleibt man irgendwo wie mit einem Karren im Sumpf stecken? Man weiß eigentlich nie, was den Zündfunken ausmacht. Aber weil man den Funken schließlich fassen kann, ist das wieder beruhigend. Denn, schau mal – da merkst du, dass etwas da ist, was nicht oberflächlich messbar ist.«
Die Gedanken über Erfolg und Misserfolg ließen Hans Hölzel in jenen Wochen und Monaten einfach nicht los. Es bestand die Gefahr, dass er noch mehr verkrampfen, sich noch mehr auf einer falschen Schiene festfahren könnte. »Aber ich gehöre zum Glück zu den Typen, die aus einer Niederlage zwar mit kräftigem Bauchweh hervorgehen, sie aber ganz gut überstehen. Vielleicht ist es mein Schutzmechanismus, meine Unabhängigkeit, ja, meine Arroganz, dass ich sage, gut, wenn es euch nicht gefällt, dann eben nicht. Kann ich auch nichts machen!«
Trotzdem war er natürlich schockiert und sagte die Tournee, die bereits lange geplant war, ab. Opus – jene Fünf-Mann-Gruppe, die 1985 mit ihrem Song »Life Is Life« weltweit einen Riesenhit hatte und in den amerikanischen Charts sogar bis unter die besten 40 vorstieß – sollte die Begleitband sein. Aber Hans sagte: »Wenn ich keinen Hit landen konnte, dann verzichte ich lieber auf die Tournee. Da fehlt jeder Zündfunke.«
Eine Weile schien es, als könnte es mit »Junge Roemer« doch noch bergauf gehen. Eines Tages, es war im Sommer 1984 und FALCO hielt sich gerade bei Horst Bork in München auf, rief ihn ein befreundeter Journalist an. »Hör mal«, sagte er, »ich komme gerade von einem Interview mit Désirée Nosbusch. Sie wohnt im Hotel Vier Jahreszeiten. Und irgendwie sind wir bei dem Gespräch auch auf dich gekommen, und sie sagte, sie würde dich gern kennenlernen.«
Désirée Nosbusch, eine sehr hübsche, hochintelligente Frau, die schon sehr früh Erfolg bei Radio Luxemburg hatte und dann eine ganze Menge verschiedener Dinge anpackte – sie spielte in Filmen mit, sie moderierte Fernsehsendungen und machte Rundfunk-Interviews. Sie machte zwar bei allen Auftritten eine gute Figur und bekam meist auch blendende Kritiken, doch fehlte ihr einfach der ganz große Durchbruch.
»Wir trafen einander noch am selben Tag und unterhielten uns ganz gut. Wir redeten über Gott und die Welt und New York, die Stadt, aus der Désirée gerade kam. Irgendwann tauchte dann auch der Gedanke auf, dass wir miteinander eine Platte machen könnten. Mein Kalkül dahinter war, ehrlich gestanden, dass ich mit dem ›Jungen Roemer‹ gerade in einem ziemlichen Loch hing und ganz gern noch ein paar Platten mehr verkauft hätte. Désirée passte mir von ihrer Schnauze her sehr gut, sie war noch nicht in einem Fach abgestempelt, und sie hatte kurz davor mit der Moderation des Eurovisions-Grand-Prix Aufsehen erregt.«
FALCO wählte die Nummer »Kann es Liebe sein« aus, um mit Désirée Nosbusch im Duett zu singen. Die Musik war von Robert Ponger, der Text von ihm. »Das Lied war gut, aber wir hatten es aus irgendeinem Grund auf der LP schlecht produziert und weit unter seinem Wert verkauft.«
Die Probeaufnahmen mit Désirée gaben zwar nicht zum Jubel Anlass, aber sie hatte eine sehr ordentliche Stimme. »Sie war kein super Gesangstalent«, sagte Hans später, »aber es war einen Versuch wert.« Und die Platte lief dann nicht einmal so schlecht: Mit 50.000 verkauften Singles war es der größte Erfolg seit »Maschine brennt«. (Und heute, mehr als zwanzig Jahre später, hätten sie mit dem Verkauf auch den Spitzenplatz der Charts inne, aber das ist eine ganz andere Story.)
Viele hatten FALCO 1984 bereits abgeschrieben, er selbst aber sagte: »Die Tiefs in meiner Karriere sind für mich wichtiger als die Hochs. Ein konstantes Hoch bringt nichts, das wäre unnatürlich. Es gehört dazu, dass man hin und wieder im Keller ist. Hoch und tief – so stelle ich mir ein optimales Leben vor.«