MUSIK LIEGT IN DER LUFT

Dreh dich nicht um –

oh, oh, oh

Der Kommissar geht um –

oh, oh, oh

1

Nichts wünschte sich Maria Hölzel so sehr wie dieses Baby.

Aber es hatte lange Zeit ganz den Anschein, als würde sie es nicht bekommen können. »Mir ist es«, sagte Maria Hölzel, »vom vierten, fünften Tag der Schwangerschaft an schon furchtbar schlecht ergangen. Mir war immer schrecklich übel und ich hatte ziemliche Schmerzen.«

Damals arbeitete sie als Geschäftsführerin einer Filiale der »Habsburger«-Wäscherei im 14. Bezirk in Wien. All die hochfliegenden Karriere-Pläne ihres Mannes Alois Hölzel platzten in den Kriegsjahren wie eine Seifenblase. Als Kind kam er zur Hitlerjugend und als Halbwüchsiger, nicht mehr als 15 Jahre alt, bekam er für die letzten Kriegstage eine Waffe in die Hand gedrückt, um – gemeinsam mit anderen Halbwüchsigen – als letztes Aufgebot Deutschland zu verteidigen. Danach blieb keine Zeit für Schule und Studium, Alois Hölzel erwies sich zwar als technisch äußerst begabt, aber seine Eltern starben Ende der 40er-Jahre, und er musste danach trachten, möglichst schnell Geld zu verdienen.

Er machte eine Schlosserlehre und arbeitete sich mit verbissenem Abendstudium bis zum Werkmeister einer Maschinenfabrik empor. Maria Hölzel unterstützte ihn dabei.

Die Arbeit in der Wäscherei war für die schwangere Frau viel zu anstrengend, sie musste sie aufgeben. »In den ersten Monaten nahm ich vier Kilogramm ab, es ging mir wirklich schlecht.« Maria und Alois Hölzel wohnten in einer etwa 70 Quadratmeter großen Mietwohnung in der Ziegelofengasse im 5. Bezirk. Dieser Bezirk – Margareten – umfasst eine Fläche von 203 Hektar, und zum damaligen Zeitpunkt war er mit nahezu 70.000 Bewohnern eines der dichtestbesiedelten Gebiete der Millionenstadt Wien.

Das Haus, in dem Alois und Maria Hölzel Mitte der 50er- Jahre wohnten, ist inzwischen längst abgerissen und durch ein neues und höheres ersetzt worden. »Wir hatten damals eine Küche, ein Schlafzimmer und zwei Kabinette. Es gab kein Bad in der Wohnung, aber mein Mann ließ eine Duschkabine neben der Küche installieren«, sagte Maria Hölzel.

Margareten war zu jener Zeit ein bürgerlicher Bezirk, der einerseits vom Gürtel, andererseits von der Wiedner Hauptstraße und der Wienzeile begrenzt wird.

Im September 1956 wurde Maria Hölzel mit einem Blutsturz in die Frauenklinik Gersthof eingeliefert. »Ich war im dritten Schwangerschaftsmonat, und es ging ganz schnell.« Die Ärzte stellten fest, dass Maria Hölzel mit Zwillingen schwanger gewesen war. »Ich war natürlich sehr deprimiert. Ich hatte mich so auf das Kind gefreut, und dann auch noch Zwillinge. Ultraschall-Untersuchungen wie heute kannte man 1956 noch nicht, und am Anfang der Schwangerschaft wusste mein Arzt nicht, dass ich Zwillinge erwartete. Der Arzt in der Klinik riet Maria Hölzel allerdings, noch einen Tag zur Beobachtung im Krankenhaus zu bleiben.

Am nächsten Tag wurde sie von einem anderen Arzt untersucht, der Sie danach beruhigte: »Ihrem Kind geht es gut, Frau Hölzel, man kann deutlich die Herztöne hören.«

»Aber sagen Sie einmal …«, Maria Hölzel war völlig konsterniert, »Sie müssen sich irren, ich habe mein Baby gestern verloren

Und dann stellte sich heraus, dass es Drillinge gewesen waren, die sie erwartet hatte. Und ein Baby wuchs weiter in ihrem Leib.

»Für mich war es klar, dass ich alles tun würde, um dieses Kind zu behalten. In gewisser Weise wusste ich schon zu dem Zeitpunkt, dass ich kein Kind mehr haben wollte, außer diesem.«

Die Ärzte warnten Maria Hölzel vor Komplikationen. Am 5. März 1957 sollte – nach Berechnung des Gynäkologen – das Baby zur Welt kommen. »Aber trotz aller Ruhe, die ich mir selbst auferlegte, schien es im November schon zu einer Frühgeburt zu kommen. Ich kam wieder ins Krankenhaus und musste tagelang völlig bewegungslos liegen.«

Für Maria Hölzel geschah ein kleines Wunder: »Ich bat die Ärzte, mir keine Spritzen zu geben. Ich wollte einfach der Natur ihren Lauf lassen. Und verblüffenderweise erlitten die Frauen in meinem Krankenzimmer, die eine Spritze bekommen hatten, eine Frühgeburt.« Bei Maria Hölzel ging es bis zum 19. Februar gut. Es war ein Dienstag, es war fünf Grad kalt und ziemlich windig. »Um sieben Uhr früh gingen die Wehen los.« Da man mit allerlei Problemen rechnete, wurde in der Klinik der Operationssaal für Maria Hölzel gerichtet. »Wir warten bis um dreizehn Uhr«, sagte ihr der Arzt, »wenn es bis dahin nicht da ist, machen wir einen Kaiserschnitt.«

Irgendwann im Laufe des Vormittags meinte Maria Hölzel zu ihrem Mann: »Wenn es ein Mädchen wird, dann soll es Brigitte heißen, und wenn es ein Junge wird, dann Johann.« Es war ein Johann, der um 13.15 Uhr das Licht der Welt erblickte. »Er brüllte vom ersten Moment an sehr laut. Die Hebamme reichte mir das Kind mit den Worten: ›Hier, Frau Hölzel, da haben Sie Ihren Sängerknaben.‹ Er war ein süßes Kind, sehr vital und ziemlich schwer, er wog 4,95 Kilo bei der Geburt und er war 54 Zentimeter groß.« Am ersten Tag noch ließ Alois Hölzel im Krankenhaus ein Foto von seinem neugeborenen Jungen anfertigen. Nach den ganzen Aufregungen und Schrecken der letzten Monate waren sie auf ihr strammes Baby besonders stolz.

Viele Jahre später erzählte Maria Hölzel ihrem Sohn davon, dass er der einzige Überlebende von Drillingen war. »Und er sagte mir darauf: ›Es ist merkwürdig, Mama, aber manchmal verspüre ich ein Gefühl, als ob die anderen bei mir wären, wie wenn noch einer da wäre, der mir hilft und sagt, dieses und jenes musst du so und so machen.‹ Ich weiß nicht, ob er das wirklich ernst gemeint hat, damals, aber ich denke schon, dass er so fühlt.« Horst Bork, der, was die Karriere angeht, wahrscheinlich wichtigste Mensch im Leben von Hans Hölzel, sein langjähriger Manager und Geschäftspartner, merkte auch immer wieder diese Zerrissenheit in FALCO: »Er sagte manchmal, er würde die beiden anderen um sich herum spüren. Es ist ganz merkwürdig, es war bei ihm manchmal wie eine Manie – ›mit mir hatte keiner gerechnet! Ich war für die anderen nicht da! Ich war nicht geplant‹.« Besonders nach den großen Erfolgen in den USA beobachtete Bork dieses seltsame Verhalten: »Er sagte damals in Los Angeles: ›Einer, den keiner vorhergesehen hatte, macht so eine Karriere.‹ Der einzige Überlebende von Drillingen zu sein hat ihn ein ganzes Leben lang beschäftigt.«

Johann Hölzel wuchs zu einem prächtigen Baby heran. »Einmal hat er in einer einzigen Woche ein ganzes Kilogramm zugenommen«, erinnerte sich seine Mutter, »aber er schrie dabei und brüllte in einem fort, und eines Tages fuhr ich mit ihm zum Kinderarzt und sagte: ›Der Junge schreit die ganze Zeit so laut, er muss krank sein.‹ Aber der Arzt beruhigte mich nach der Untersuchung. ›Er ist kerngesund. Und wenn ein Baby so stramm zunimmt, ist es sicherlich nicht krank.‹«

Früh fiel Maria Hölzel das musische Empfinden ihres Sohnes auf. »Er hat wirklich alle Töne angeschlagen. Ich weiß noch, er war acht Monate alt und konnte noch nicht laufen, da krabbelte er jedes Mal, wenn im Radio das Lied ›Anneliese, wann wirst du endlich einmal gescheiter‹, ein Schlager damals, gespielt wurde, hoch, hielt sich mit einer Hand an den Gitterstäben fest und versuchte mit der anderen Hand zu dirigieren. Und dann hat er noch im Takt dazu gekiekst.«

Wenn die Eltern später mit ihm am Wochenende ins Grüne fuhren, verschwand er immer und rannte dorthin, wo gerade Musik erklang. »Wir waren oftmals in Purkersdorf, am westlichen Stadtrand von Wien. In den 50er-Jahren gab es in vielen Orten noch betonierte Tanzflächen unter freiem Himmel, mit Lauben rundum. So auch in Purkersdorf. Und ich ertappte ihn oftmals dabei, wie der kleine Klecks ganz allein auf dem Tanzboden stand und zur Lautsprechermusik dirigierte. Nur wenn er merkte, dass ich ihn beobachtete, wurde er wütend. Das wollte er nicht.«

In der Tat beherrschte das unverkennbare musische Empfinden die frühe Kindheit von Hans Hölzel. Zu seinem vierten Geburtstag wünschte er sich ein kleines Akkordeon. »Wir haben ihm aber ein Klavier gekauft. Mit dem Akkordeon hätte es Probleme gegeben, weil er praktisch jedes Jahr ein neues, größeres Instrument benötigt hätte, und mein Mann meinte, wenn einer Klavier spielen kann, lernt er das Akkordeonspiel ganz rasch.«

Die angeborene Sensibilität für die Musik war so auffällig, dass sich die Eltern oft darüber Gedanken machten, woher der Junge das Talent wohl habe. Maria Hölzel: »Ich glaube nicht, dass es in der Familie liegt, obwohl mein Mann ganz musikalisch ist und ich recht gut singen kann. Früher hätte ich für einen ganzen Chor die zweite Stimme singen können, ich habe sehr gern getanzt und hatte ein ganz gutes Gehör, aber mein Mann und ich waren beide längst nicht so musikbegabt wie Hans.«

Als das Klavier angeschafft war, sahen sich die Eltern nach einer entsprechenden Lehrerin für ihren Sohn um. Sie fanden sie in der Pädagogin Maria Bodem, einer vornehmen älteren Dame, die in ihrer ausladenden Altbauwohnung in der Fillgradergasse, nur eine kurze Wegstrecke von der Ziegelofengasse entfernt, Unterricht gab.

Auf diese Zeiten gehen auch die ersten konkreten Erinnerungen FALCOS zurück: »Die Frau Dr. Bodem war eine sehr nette Dame, vielleicht lebt sie heute sogar noch. Ich entsinne mich noch, wie ich immer an der Hand meiner Großmutter in dieses wunderschöne Jugendstilhaus geführt wurde. Es war ein verführerischer Flair von Wohlstand und Ruhe, der diese Stunden begleitete. Sicherlich war es für meine Mutter auch ein Ausdruck der Grenzüberschreitung aus den kleinbürgerlichen Schichten in den Mittelstand; man schickte seine Söhne in den Klavierunterricht und brachte ihnen Englisch bei, noch bevor sie die erste Schulklasse besuchten.«

Hans Hölzels frühe Kindheit verlief in geordneten Verhältnissen. Weil sie ihren Sohn nicht allzu lange allein lassen wollten, die Familie aber dringend Geld brauchte, übernahm Maria Hölzel einen Kaufmannsladen in der Ziegelofengasse. Sie verabscheute alles Gewöhnliche und Hans wuchs unter peinlich genauer Beachtung seiner Manieren und seines Auftretens auf. Für Maria Hölzel waren die ermunternden Worte der Klavierlehrerin ein Labsal: »Er kam kaum auf den Klavierschemel, aber er hatte Talent«, erzählt Maria Hölzel über das erste Lob der Lehrerin, und: »Ich glaube, sagte die Lehrerin, er hat besonders für Beethoven ein Gehör.«

Innerhalb kurzer Zeit hatte er eine ganze Reihe von Musikstücken gelernt. Er konnte zwar keine einzige Note lesen, doch »mit fünf Jahren spielte er bereits 35 Schlager zweihändig«, erinnert sich Maria Hölzel.

Die Mutter muss sehr stolz auf ihn gewesen sein: »Wir haben ihn einmal zum Vorspielen an der Akademie für Musik angemeldet. Der Professor brachte ihn auf dem Arm heraus und sagte zu mir: ›Sie, Frau Hölzel, das ist ein kleiner Mozart.‹ Er betonte, er hätte solch ein absolutes Gehör in seiner Laufbahn noch nie erlebt, und er würde dringend darauf pochen, das Kind weiter ausbilden zu lassen.« Viele Jahre später hatte dieser Satz vom kleinen Mozart, den Hans immer wieder von seiner Mutter hörte, eine besondere Bedeutung. »Als er sich entschloss, ›Amadeus‹ einzusingen, sagte er, na, das passe ja ganz gut, nachdem er schon als Kind ein kleiner Mozart gewesen sei«, sagt Horst Bork.

Einmal, Hans Hölzel ging noch nicht zur Schule, hörte die Mutter, als sie einmal in der Mittagspause heimkam, ihren Jungen Klavier spielen. »Er spielte ganz toll den Schlager ›Was ist los mit der Frau?‹. Den hatte er am Vormittag gehört und ihn sich selbst beigebracht, er wollte mich damit überraschen. Es war wirklich faszinierend, er hörte Musik und konnte sie sofort nachspielen.«

Später einmal wollte ihm ein gewisser Herr Wagner, ein Klavierlehrer, der bei Hölzels um die Ecke wohnte, das Spiel nach Noten beibringen. FALCO sagte noch nach Jahren: »Ich habe es gehasst. Ich hatte damals ›A Hard Days’ Night‹ im Kopf und sollte die Cerny-Schule und Chopin-Preluden nach dem Metronom herunterspielen, es war schrecklich.«

Im Rückblick auf die Kinderjahre meinte er später: »Es gibt Rabauken und es gibt Kriecher. Ich war weder das eine noch das andere. Ich war stur und ungezogen, aber ich rannte andererseits auch nicht mit den Jungs im Park herum, um auf Bäume zu klettern oder mit dem Fahrrad auf selbst gebauten Sprungschanzen herumzutollen. Das war mir zu dumm, das hat mich nicht interessiert. Wenn ich jetzt behauptete, ich wäre stets ein Einzelgänger gewesen, ist das nicht richtig. Aber zeit meines Lebens war die Musik eine Art Regulativ für mich. Ich war nie in Cliquen und ich war schon gar nicht Anführer einer Clique oder einer Bande. In der Volksschule sind mir meine Mitschüler bereits unglaublich unreif und dumm vorgekommen. Sie schlugen sich, sie warfen mit Steinen aufeinander, und ich sah in dem keinen rechten Sinn. In gewisser Weise war ich wahrscheinlich damals schon ein Außenseiter, und ich fühlte es deutlich, ich konnte mit meiner Welt so lange gut auskommen, solange ich ruhig war und zurückgezogen und es auf keine Konfrontation ankommen ließ. Ich war wirklich lange Jahre sehr verinnerlicht.«

Hans Hölzel wünschte sich damals sehnlichst ein Tier. »Er wollte einen Hund oder eine Katze«, erzählt Maria Hölzel, »er beschwor mich und versprach, dass er sich immer um das Tier kümmern würde. Er sagte: ›Mutter, der Hund könnte ja in unserer Badekabine schlafen, da würde er dich nicht stören.‹ Aber ich war immer dagegen, ich bin der Meinung, ein Tier braucht Auslauf, das leidet in einer Wohnung. Und ich sagte es ihm auch. Aber ich glaube, er hat es nie recht überwunden, kein Tier bekommen zu haben.«

Die Großeltern väterlicherseits waren bereits tot, als FALCO zur Welt kam. Zur Mutter seiner Mutter jedoch entwickelte er eine besonders innige, liebevolle Beziehung. Wenn Maria Hölzel in ihrem Laden beschäftigt war, kümmerte sich die Großmutter um den kleinen Jungen. Die Familie stammte aus Bad Tatzmannsdorf, einem namhaften Kurort im Burgenland, und FALCOS Großmutter besaß noch ein Haus da.

»Ich verbrachte viele Jahre lang den Sommer in Bad Tatzmannsdorf, und es sind tolle, aufregende Erinnerungen. Das Haus stand direkt am Hauptplatz. Ich konnte mit sechs Jahren meine Großmutter überreden, mir einen Eumig-Plattenspieler zu kaufen. Ich war wirklich selig. Der Plattenspieler stand am Fenster, die anderen Kinder versammelten sich darum herum, weil die meisten von ihnen keinen solchen Apparat daheim hatten, und den ganzen Tag über dröhnten Elvis Presley, Cliff Richard und auch schon die ersten Nummern der Beatles, wie ›Love Me Do‹ und ›Please Please Me‹, und dann später die Stones, die Bee Gees, Beach Boys, alles quer durch den Gemüsegarten.«

Sein größtes Ereignis im September 1963 war natürlich die Einschulung in der Volksschule der Piaristen, einer sehr angesehenen katholischen Privatschule in der Ziegelofengasse, nur wenige Schritte vom Wohnhaus der Familie Hölzel entfernt. Es gab damals auch Überlegungen, ob man den musikbegeisterten Jungen nicht bei den Sängerknaben unterbringen sollte, um ihm dort eine solide Musikkarriere zu gewährleisten. Aber schließlich sperrte sich Maria Hölzel gegen den Gedanken: »Mein Mann und ich arbeiteten und ich hatte ohnedies wenig von meinem Sohn. Wenn er noch ins Internat gekommen wäre, hätte ich gar nichts von ihm gehabt.«

Bei den Piaristen gab es ein Halbinternat, und damit schien gesichert, dass Hans so lange gut untergebracht war, bis Maria Hölzel nach Geschäftsschluss Zeit für ihn fand.

Zur Weihnachtsfeier – Hans Hölzel war gerade sechseinhalb Jahre alt – suchte man in der Schule Kinder, die ein Instrument beherrschten. FALCO meldete sich zögernd, durfte vorspielen und war der Star dieser kleinen improvisierten Feier. Damals zu Weihnachten 1963, während sich in Liverpool gerade John Lennon, Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr daran machten, mit ihrer Musik völlig neue Akzente zu setzen, war es der erste richtige, große Auftritt von FALCO vor einem größeren Publikum.

Maria Hölzel: »Ich war natürlich auch zu der Feier eingeladen, aber ich konnte meinen Laden nicht schließen, und deshalb ging nur meine Mutter hin. Als sie nach Hause kam, war sie ganz aus dem Häuschen. Die Leute hatten getobt vor Begeisterung, wie der Kleine Klavier spielte. Der Höhepunkt war dann, als er den ›Donauwalzer‹ intonierte.«

Von diesem Moment an galt Hans Hölzel auch in der Schule als eine Art musikalisches Wunderkind. Wann immer eine Feierlichkeit ins Haus stand, wurde er ans Klavier gebeten. Dieses Aufheben um sein Spiel und die damit verbundene Aufmerksamkeit seiner Person ärgerte FALCO mit der Zeit. »Wenn Besuch zu uns kam«, erzählt Maria Hölzel, »wollten die Leute natürlich den Jungen spielen hören. Und wenn er wusste, dass sich Gäste angesagt hatten, verdrückte er sich schon vorher oder er beschwor mich und sagte, ich solle ihn doch in Ruhe lassen. Er ließ sich höchstens dazu animieren, ein Lied zu spielen, dann war Schluss.«

Zwei Anekdoten aus dieser Zeit sind Maria Hölzel in Erinnerung: »Einmal kam seine Tante mit ihrer Gitarre und sagte, sie würde ihn begleiten, er solle nur mal anfangen, Klavier zu spielen. Und Hans, der von der Kunst seiner Tante offenbar nicht viel hielt, sah sie strafend an und erwiderte: ›Lass mich nur machen, du kannst dann die Pausen spielen.‹ Und ein anderes Mal bat ihn ein Onkel, doch ein wenig vorzuspielen. Und Hans machte es wie immer, er spielte ein Lied, stand auf und ging. Der Onkel steckte ihm daraufhin 50 Schilling, etwa vier Euro, zu. Nachher sagte Hans zu mir: ›Wenn ich gewusst hätte, dass ich so viel Geld kriege, hätte ich schon noch mehr gespielt.‹

Hans Hölzel hatte schon als Junge einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und fürchtete nichts und niemand, wenn er sich ungerecht behandelt fühlte. Als ihm seine Klavierlehrerin einmal streng und liebevoll auf die Finger klopfte, weil er einen Melodienlauf überhastet gespielt hatte, schlug er kurz entschlossen zurück. Aber solche Zwischenfälle konnten das gute Verhältnis zwischen der Lehrerin und Hans nicht trüben. Sie sagte immer wieder zu Maria Hölzel: »Es macht einfach Spaß, ihn zu unterrichten, er hat das absolute Gehör.«

2

FALCO verbrachte seine ersten Jahre in der Obhut von Frauen. Da waren seine Mutter, die ihn abgöttisch liebte, seine Großmutter und eine Nachbarin, die ihn ins Herz geschlossen hatte. »Hans«, sagte seine Mutter, »verstand es damals ganz gut, seine Großmutter und die Nachbarin, die er ›Schlintzi‹ nannte, gegeneinander auszuspielen. Und so setzte er stets seinen Kopf durch. Was ihm die eine nicht gestattete, erlaubte ihm die andere, sobald er sich beklagte.« Die beiden alten Damen buhlten regelrecht um die Liebe des Jungen mit den dunklen, ausdrucksvollen Augen. »Bei uns waren stets alle Türen offen und Hans konnte in die Wohnungen gehen. Das nutzte er auch kräftig aus. 1963 bezog meine Mutter, also seine Großmutter, eine kleine Wohnung gegenüber der unseren, und zwar über dem Gasthaus ›Altes Faßl‹. Er war dann häufig bei ihr.«

Die Zeit damals, Anfang der 60er-Jahre, war die Zeit des Rock ’n’ Roll, die Morgendämmerung einer Studentenbewegung zu neuer Freiheit, die Zeit des Petticoats und, beinahe im Widerspruch zu der rhythmischen, neuen Musik aus England und den USA, eine Zeit romantischer deutscher Schmachtfetzen. »Die Platten, die meine Eltern daheim sammelten«, sagte FALCO einmal, »waren schrecklich. Oberkrainer und Ähnliches, das Einzige aus der Plattensammlung meines Vaters, das mir in guter Erinnerung geblieben ist, waren die Platten der Spitzbuben, also humorvolle, manchmal recht derbe Kabarettdarbietungen. Ansonsten konnte ich mit der Musik, die meine Eltern mochten, nichts anfangen. Mein Vater spielte ganz gut Ziehharmonika, aber sein Musikgeschmack war von meinem eine Ewigkeit weit entfernt.«

Die Eltern waren klug genug, ihren Sohn nicht künstlerisch in eine bestimmte Richtung drängen zu wollen. Sie ließen ihm die Freiheit, seine Beatles- oder Presley-Platten zu hören. »Nur einmal war ich stinksauer, als ich von einer Tante zu meinem Geburtstag Geld für eine Musikkassette bekam und meine Mutter unbedingt mit mir in den Laden gehen wollte, um die Kassette zu kaufen. Sie bestand darauf, eine Kassette von Roy Black zu erstehen, weil ihr seine Lieder, insbesondere ›Ganz in Weiß‹, das damals ein großer Schlager war, so sehr gefielen. Ich war noch recht klein, aber ich weiß, dass ich heftig protestiert habe. Und meine Mutter sagte: ›Na, wir wollen auch einmal etwas kaufen, was mir gefällt.‹ Das machte mich ziemlich heiß.

Grundsätzlich hat mich die Schnulzenmusik der Jahre aber kalt gelassen, eine gewisse Reaktion darauf kann man nur daran erkennen, dass sich bei meinen Texten sicherlich nie Hiebe auf Liebe reimen wird und schon gar nicht Herz auf Schmerz

Beim Essen langte Hans kräftig zu, seine Leibgerichte waren Erbsen, Karotten, Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat und Backhendl. »Leber mochte er überhaupt nicht, nur Leberknödel«, berichtet seine Mutter. »Ich sagte ihm: ›Hör mal, das ist doch hirnverbrannt. Entweder du magst keine Leber, dann isst du auch keine Leberknödel, oder du magst sie. Leber wäre so gesund für dich.‹ Aber er ließ sich nicht überreden, und wann immer es Leber bei uns gab, blieb sein Teller unberührt.«

Nach einem Italienurlaub hatte er ein neues Leibgericht entdeckt: »Da stopfte er sich dauernd mit Spaghetti und Pasta asciutta voll. Wenn er vom Halbinternat heimkam, raste er in meinen Laden und verlangte nach Wurstsemmeln, die er hastig verschlang.«

Bei all dem Appetit machte sich Maria Hölzel Sorgen, als Hans mit acht Jahren abmagerte. Er war eigentlich nie ernsthaft krank gewesen, und bis auf ein paar Erkältungen konnten ihm auch die üblichen Kinderkrankheiten nichts anhaben. Einmal bat der Lehrer von Hans, Anton Frei, Maria Hölzel zu sich.

»Sagen Sie einmal, Frau Hölzel, was führen Sie eigentlich für eine Superküche?«

»Superküche? Ich verstehe Sie nicht recht. Wie meinen Sie das?«

»Na, wissen Sie denn nicht, dass Ihr Hans bei uns zu Mittag keinen Bissen anrührt? Wir haben Kinder, die mögen die eine oder andere Speise nicht, aber Hans isst gar nichts, er sagt nur, dass es zu Hause um so viel besser schmecke, deshalb wollte ich wissen, was Sie für eine Superküche haben.«

Hans Hölzel später: »Ich hatte zu der Zeit wirklich eine tolle Figur, ich, der ich schon als Kind ein wenig zum Dicksein neigte, hatte plötzlich Untergewicht. Das Essen, das uns in der Privatschule vorgesetzt wurde, war einfach ungenießbar, und bis auf ein paar Löffel Suppe habe ich wirklich alles zurückgeschickt. Es kam von den WÖK, den ›Wiener öffentlichen Küchen‹, und eine Speise schmeckte wie die andere.« FALCO beklagte sich zwar nie über das Essen, er nahm es hin und war in gewissem Sinne froh, wenigstens abzunehmen. Maria Hölzel: »Wenn mir nicht Herr Frei alles erzählt hätte, hätte ich nicht gewusst, weshalb Hans so abnahm. Wenn ich ihn fragte, was es zu Mittag gegeben hätte, hat er immer etwas gemurmelt und mir etwas von einer Suppe erzählt. Das war’s.«

Abends hörte Hans viel Musik, er hatte einen Kassettenrekorder und ein Radio, und wenn er sich damit beschäftigte, war er für die Umwelt nicht ansprechbar.

Sein Vater, der es geschafft hatte, Betriebsleiter in einer Firma für Blechbearbeitungsmaschinen zu werden, und der damit spekulierte, sich selbstständig zu machen, war häufig weg. Die Ehe der Eltern war damals noch nicht ausgesprochen schlecht, aber auch nicht gerade harmonisch. »Wir hatten nie Streit«, erinnert sich Maria Hölzel, »und mein Mann hat sich daheim nie anmerken lassen, dass er eine andere Frau liebte und mich betrog.«

FALCO bekam wenig Taschengeld. »Mein Vater setzte da auf andere Methoden, er versuchte mich für gute Noten zu bezahlen. Als ich noch zur Volksschule ging, hatten beinahe alle aus meiner Klasse ein Zeugnis mit lauter Einsen. Und er sagte: ›Wenn du auch lauter Einsen heimbringst, gebe ich dir 100 Schilling. Und wenn es nur eine Zwei ist, dann kriegst du 50 Schilling.‹ Ich fand diese Art der Bestechung schon damals dumm. Aber man muss andererseits auch bedenken, dass unsere Eltern aus einem ganz anderen Grund zu solchen Handlungen getrieben wurden. Geld war etwas Glorioses, Erstrebenswertes danach trachtete man mit all seinen Sinnen.«

Hans durchschaute ziemlich bald den Ablauf in der Schule und akzeptierte die Gegebenheiten. Er lernte fast nie, dennoch kam er gut mit und hatte zum Teil hervorragende Zensuren. »Ich hatte nie eine Schultasche dabei, alle meine Bücher und Hefte blieben im Schulfach. Ich hasste es, Vokabeln zu pauken und unsinnige Lehrsätze herunterzuleiern. Was half es mir, dass ich wusste, dass A-Quadrat plus B-Quadrat C-Quadrat ergibt? Ich wollte das alles gar nicht wissen.«

Er versuchte schon zu dieser frühen Zeit nie, Vorbild oder Anführer zu sein, aber er strahlte offenbar eine Aura aus, die ihn zu etwas Besonderem machte. »Die anderen haben mich mit Zurückhaltung und einer gewissen Scheu behandelt, auch wenn ich nicht der Stärkste in der Klasse war. Ich akzeptierte keine Hierarchie, und wahrscheinlich brachte mir das den meisten Respekt ein. Ich glaube, die dachten damals: ›Wir wissen zwar nicht, was wir von ihm halten sollen, aber wir können uns doch nicht alles mit ihm erlauben, denn irgendwas hat er wohl drauf.‹«

Es war eine verwirrende Widersprüchlichkeit in ihm, eine Mischung aus Zügellosigkeit und Ehrbarkeit, aus Rebellion und Wohlbehütet sein. »Es war ein steter Traum von der Freiheit, ich war frustriert, und ich selbst schien immer viel älter zu sein, als ich tatsächlich war. Fußball spielen hat mir nie besonders viel gegeben, nicht halb so viel wie den anderen. Meine Faszination lag anderswo – ich legte die Nadel auf eine Platte und dann kam etwas, was ich gar nicht verstand, weil ich nicht genug Englisch sprach, aber es versetzte mich trotzdem in eine ganz andere Welt.«

Hans war damals häufig mit seiner Cousine zusammen. »Ich behandelte sie zu der Zeit wie einen Jungen. Bis zu meinem 14. Lebensjahr war ich im Verhältnis zum anderen Geschlecht ziemlich naiv. Mit meiner Cousine verstand ich mich, wir hatten viele gemeinsame Interessen.« Streit gab es häufig wegen ihrer Schlampigkeit. Maria Hölzel: »Hans war schon als Kind pedantisch. Er war nicht wie andere Jungen in seinem Alter, die abends die Kleider auszogen und einfach liegen ließen, sondern er stellte seine Hausschuhe akkurat neben das Bett und hängte die Hose über eine Stuhllehne. Das hat er sich nie abgewöhnt. Einmal war ich bei ihm und stellte meine Handtasche achtlos auf sein Klavier. Da bat er mich, die Tasche wegzustellen, weil ihn das störe. Er hat sich auch immer mit Mädchen zerstritten, die nicht so ordentlich waren wie er. Ich glaube, diesen Wesenszug hatte er von mir. Früher bin ich nicht aus dem Haus gegangen, ohne vorher geputzt zu haben. Heute ist das zwar nicht mehr so schlimm, aber ich weiß noch auf Anhieb, welcher Gegenstand in welcher Schublade liegt. Ich habe für alles einen Platz. Ich sage immer, Ordnung zu machen ist keine Kunst, Ordnung zu halten ist eine.«

Außer mit seiner Cousine spielte FALCO als Kind meist mit zwei Jungen aus dem Nachbarhaus. Der eine, Peter Watzlawick, wohnte mit seinem Bruder und den Eltern in dem angrenzenden Haus in der Parallelstraße zur Ziegelofengasse, in der Straußengasse 4. Die beiden Jungen gingen täglich gemeinsam zur Schule, und Peter Watzlawick holte Hans am Morgen ab. Einmal stand er ohne Schultasche vor der Tür. Maria Hölzel öffnete.

»Wo hast du denn deine Schultasche?«

»Ach, die ist schon in der Schule. Ich war nämlich bei der Morgenandacht und hab die Tasche dagelassen. Aber ich dachte, wenn ich den Hans jetzt nicht abhole, wartet er umsonst.«

Maria Hölzel war damals sehr gerührt: »Da ist der Junge extra den Weg von der Schule zweimal gelaufen, um Hans nicht warten zu lassen. Ich sagte dann zu Hans: ›Siehst du, das ist ein richtiger Freund.‹«

Als Hans die Volksschule verlässt, wird er im Rainer-Gymnasium eingeschult, er besteht die Aufnahmeprüfung, die damals noch vorgeschrieben war, problemlos. Auch sein Freund Peter Watzlawick geht in dieselbe Schule. »Ich war«, entsann sich Hans Hölzel später, »in Bezug auf Freundschaften vielleicht oberflächlicher als die anderen. Ich habe das nie so recht ernst genommen.«

Der andere Freund von Hans war Raul Müller. »Das war ein absoluter Outsider, der wie ich ohne nach links oder rechts zu schauen durchs Leben ging. Ich habe mich um nicht viel gekümmert, und das imponierte ihm. In gewissem Sinne verband uns eine Weile eine beinahe brüderliche Freundschaft.«

Der Sport war für Hans unwichtig. Er ging gern schwimmen, andere Sportarten begeisterten ihn überhaupt nicht. »Ich habe ihm sogar für den Skikurs eine teure Ausrüstung gekauft, aber die hat er kaum angerührt«, meinte Maria Hölzel. »Die Musik war sein alles und ich akzeptierte das. Ich wollte ihn zu nichts zwingen, was ihm keinen Spaß machte.«

Wenn er mit seinen Freunden in die Innenstadt ging, konnte er einen Stil der neuen Zeit kennenlernen. In Kneipen wie der Palette beim Künstlerhaus oder dem 12-Apostel-Keller am Lugeck saßen langhaarige, verwegen aussehende Typen herum, die Frieden predigten und den Krieg, im Speziellen den Vietnam-Krieg, verdammten. Im Festsaal des Porr-Hauses, dem inzwischen niedergerissenen Gewerkschaftsgebäude, traten Joan Baez und Pete Seeger auf und sangen »We Shall Overcome«. Dazu gab es überall die Musik der aufregenden neuen wilden Bands, es gab die Troggs, die Tremeloes, Casey Jones, die Marmalades und natürlich die Wegbereiter der Popmusik, die Rolling Stones und FALCOS Heroen, die Beatles.

Man trug enge Jeans und bunte Hemden, hatte lange Koteletten und lange Haare.

»Mit elf Jahren trug Hans sein Haar extrem lang«, erinnert sich Maria Hölzel. »Mir gefiel das gar nicht, und wenn der Junge auch sonst so viel Wert auf Ordnung und Sauberkeit legte, sah er damit in meinen Augen ungepflegt aus. Auch wenn er das Haar jeden Abend wusch. Mit sanfter Gewalt zwang ich ihn eines Tages dazu, mit mir zum Friseur zu gehen. Er wehrte sich zwar ein wenig und sagte, die anderen Jungen trügen auch ihr Haar so lang, aber er war nicht richtig dagegen, es abschneiden zu lassen. Bildete ich mir ein. Als wir dann nach Hause kamen, fing er an zu weinen. Ich begriff ganz allmählich, wie sehr ich ihn getroffen haben musste, als ich verlangte, sich die Haare abschneiden zu lassen. In der Schule machten sich am anderen Tag alle lustig über ihn, sogar sein Lehrer. Er war lange Zeit ziemlich deprimiert deswegen, und einmal redete ich ganz offen mit ihm darüber. ›Wenn dir das Haareschneiden solche Qualen bereitete‹, sagte ich, ›weshalb hast du dich nicht richtig dagegen gewehrt?‹ Und er antwortete: ›Ich hätte auch nichts gesagt, selbst wenn du mir eine Glatze hättest schneiden lassen, Mutti.‹ Ich dachte dann, dass ich so etwas nie mehr tun würde. Und offenbar war es auch den Lehrern einerlei, wenn ein Schüler so lange Haare hatte, sonst hätten sie sich nicht auch noch über seinen geschorenen Kopf lustig gemacht. Er durfte die Haare von nun an so lang tragen, wie er wollte.«

Maria Hölzel weiter: »Hans war ein problemloses Kind. Es hat fast nie Schwierigkeiten mit ihm gegeben. Er war nicht gerade zurückhaltend, aber er hat sich angepasst. Er war ein einfach zu handhabendes, gutmütiges Kind.«

Das Rainer-Gymnasium in der Rainergasse, nur zwei Häuserzeilen von der Wohnung der Hölzels entfernt, war eine angesehene, konservative Schule. »Es war ein sehr spießiges Gymnasium«, stellte Hans Hölzel einmal fest. »Und wenn ich zurückdenke und meine Schulzeit mit dem vergleiche, was sich heute oft an den Schulen abspielt, also, wir waren schon ziemliche Waschlappen.«

Maria Hölzel kann sich nur an eine größere Auseinandersetzung erinnern, in die Hans verwickelt war: »Das muss im Winter 1967 gewesen sein, da machte er bei einer ausgelassenen Schneeballschlacht mit die Schneeballschlacht sollte Folgen haben.«

Zwei Gruppen von Jungen bewarfen sich in der Wiedner Hauptstraße, einer breiten, stark befahrenen Geschäftsstraße, verbissen mit den Schneebällen, bis ein Ball die riesige Schaufensterscheibe eines Modegeschäfts traf, die in tausend Teile zersplitterte. Während die anderen Jungen das Weite suchten und davonrannten, fand Hans es nicht der Mühe wert, Fersengeld zu geben. Er blieb einfach stehen und wartete die weitere Entwicklung ab. »Und natürlich hat der Geschäftsbesitzer den Hans geschnappt und kam mit ihm zu mir«, erzählt Maria Hölzel. Am Ende musste sie dann für die Scheibe rund 7.000 Schilling, heute mehr als 500 Euro, viel Geld zu jener Zeit, bezahlen. »Hans war sehr gelassen und nach dem ersten Schock nahm ich es auch mit Humor. Ich sagte mir, der Junge macht keine halben Sachen, wenn er etwas zusammenschlägt, dann gleich richtig.«

Es machte der Mutter höchstens Sorgen, dass Hans sich für nichts richtig begeistern konnte. »Außer für die Musik waren die Vorlieben immer nur zeitlich begrenzt, einmal gefiel ihm dies, einmal das. Er wollte bloß nichts Beständiges.« Deshalb verabscheute er auch die feste »beständige« Kleidung, die Maria Hölzel im ersten Jahr seines Gymnasium-Besuchs für ihn hatte anfertigen lassen: »Eine Bekannte hat ihre Kinder ähnlich gekleidet, und als ich das gesehen habe, war ich ganz begeistert und beschloss, so etwas für Hans machen zu lassen.« Das waren eine dreiviertellange Hose aus Büffelleder und eine Joppe: »Es sah sehr chic aus. Ich dachte, wenn Hans jeden Morgen ein frisches Hemd dazu anzieht, ist das doch prima. Das Anfertigen und das teure Büffelleder war eine ziemlich kostspielige Angelegenheit, aber Hans fühlte sich in der Kniebundhose und der Joppe nie wohl. Er zog die Sachen nur murrend an, und wenn ich nicht darauf bestanden hätte, hätte er sie wohl nie getragen.«

Die Unbeständigkeit in seinen Lebensformen, die ihm auch »haltbare« Kleidung so verhasst machte, blieb FALCO zeit seines Lebens. »Ich bin immer noch sehr wechselhaft«, charakterisierte er sich einmal selbst, »manchmal bin ich monatelang jeden Tag im Fitness-Center, dann tue ich wieder monatelang überhaupt nichts. Für Freunde und Bekannte gehört schon viel Verständnis dazu, hier mitzuspielen. »Er hatte aber immer eine Abneigung gegen die gängigen Uniformierungen der Musiker, die üblichen Jeans und abgetragenen Pullover oder T-Shirts«, erinnert sich Horst Bork. »Das machte ihn exotisch. Er setzte auf der Bühne Sonnenbrillen auf und gelte die Haare, selbst als er bei einer Band wie Drahdiwaberl spielte.« Bork war damals Chef des großen deutschen Plattenlabels Teldec und hatte mit Drahdiwaberl einen Plattenvertrag. »Es waren manchmal 30, 40 Leute auf der Bühne, da wurde Ketchup wie Blut verspritzt, kopuliert, es war anarchisch, da machte ein Freigänger aus der psychiatrischen Anstalt genauso mit wie eine alte Prostituierte, die in Filzpantoffeln und zahnlos ›Ganz Paris träumt von der Liebe‹ sang. Es war ein bizarrer Haufen.«

FALCO hatte schon damals eine Sonderstellung und drückte das mit seiner Kleidung aus. »Mit der Kleidung ist es ähnlich abwechslungsreich wie mit meinen Stimmungen. Mal liebe ich es, für Wochen nur in Jogging-Anzügen herumzulaufen, mal bilde ich mir ein, ich müsste nur dunkle Anzüge, Schlips oder Smoking tragen. Je nachdem, wie ich mich gerade fühle.«

3

Das Jahr 1968 führte bei FALCO in vielerlei Beziehung zu einem grundlegenden Wandel seines Lebens.

Hans, still, logisch und charmant in seinem Auftreten, wird plötzlich mit der Tatsache konfrontiert, dass die heile Welt, die seine Mutter um ihn herum aufgebaut hat, über Nacht zerbrechen kann.

Zweifelsohne war die Bezugsperson in seinem Kindesleben immer die Mutter. Der Vater hielt sich ihm gegenüber eher kumpelhaft streng. Später wird FALCO klar, wie unzufrieden und unglücklich Alois Hölzel in der engen Welt der Ziegelofengasse gewesen sein muss. »Da sagte er mir dann einmal, was das für ein Loch war, in dem ich aufgewachsen sei. Schön, unsere Wohnung hatte nur 70 Quadratmeter, aber für mich war es die Welt gewesen!«

Eine Weile führte Alois Hölzel ein Doppelleben, er beklagte sich nie, aber er war immer seltener zu Hause. »Und dann bekam ich einen anonymen Hinweis, dass mein Mann in seiner Firma ein Verhältnis mit einer jungen Angestellten habe. Bis ich ihn zur Rede stellte, hatte er sich nichts anmerken lassen.« So weit Maria Hölzel.

Alois Hölzel verließ seine Familie. Obwohl er darauf drängte, ließ sich Maria Hölzel lange Jahre nicht scheiden. Ihr Mann zog mit der Freundin in eine andere Wohnung und wurde bald darauf erneut Vater.

FALCO nahm seinem Vater lange Zeit übel, dass er ihn in seinen Augen im Stich gelassen hatte. »Mein Mann sagte zwar in den ersten Jahren nach unserer Trennung immer, er kümmere sich so wenig um Hans, weil er ihn nicht verwirren und ihn mir nicht entziehen wolle, aber ich weiß nicht, ob das stimmt. Wahrscheinlich waren ihm die Auseinandersetzungen mit seiner zweiten Frau deswegen einfach zu mühsam«, sagt Maria Hölzel.

»Hans liebte seine Mutter über alles«, stellte Horst Bork später fest. »Er war ihr dankbar, er hat sie immer hoch geschätzt. Am Muttertag führte er sie, als er Geld hatte, in die teuersten Restaurants aus und überhäufte sie mit Geschenken. Einmal, da war er längst erwachsen, vergaß er ihren Geburtstag. Er hat tagelang überlegt, ob er sie noch anrufen könne, aber dann hat er sich doch nicht mehr getraut. Es war ein Riesenproblem.« Eine Weile war sein Vater Luft für ihn. Bork: »Später hat er angefangen, nach seinem Vater zu fragen. Er hat ihn dann auch getroffen und sich eine Zeit lang mit dem Vater mehr beschäftigt als mit der Mutter. Aber auf die Dauer war die Mutter auf jeden Fall die Bezugsperson, die ihn auffing, wenn es ihm nicht gut ging, und die sich immer schützend vor ihn stellte.«

Die Trennung seiner Eltern war zweifellos ein harter Schlag für Hans, obwohl er sich nichts davon anmerken ließ. Er reagierte jetzt noch störrischer auf Vorhaltungen als früher. Maria Hölzel versuchte allmorgendlich, Hans klarzumachen, dass der Schulbesuch für seine Zukunft wichtig sei. Sie wollte unbedingt einen Akademiker in ihm sehen, das war ihr Traum. Am liebsten wäre es ihr gewesen, er hätte sich für den Arztberuf entschieden.

Oft genug kam Maria Hölzel ihrem Sohn nunmehr bei seinen Aktionen nicht oder viel zu spät auf die Schliche. Oft ging er tagelang nicht zur Schule. Und mit elf Jahren fing er an, regelmäßig zu rauchen. Maria Hölzel kam ihm durch einen Zufall darauf: »Meine Mutter wohnte uns gegenüber, und mir fiel auf, wie oft Hans einfach abhaute, um zu seiner Oma zu gehen. Wir wohnten im ersten Stock, sie im zweiten Stock. Und einmal beobachtete ich, wie er am Fenster stand und paffte. Mit elf Jahren! Ich machte ihm die Hölle heiß, und er sagte mir, dass er bei meiner Mutter eine Packung Zigaretten und Zündhölzer versteckt habe. Er war nicht einmal besonders schockiert, dass ich sein Geheimnis entdeckt hatte. Am selben Abend machte ich meiner Mutter noch gewaltige Vorhaltungen, und sie gestand mir, dass Hans sie regelrecht unter Druck gesetzt hatte. Nachdem sie ihm einmal gestattete, das Rauchen zu probieren, tat er es immer wieder und sagte: ›Du bist meine Mitwisserin. Wenn du mich verrätst, dann sage ich meiner Mutter auch, dass du es mir schon gestattet hast, und das wird sie sehr böse machen.‹«

1968 erwartete man in der Schule bei den Kindern höchste Disziplin. Und Hans Hölzel fügte sich. Er schaffte es sogar, sich seinen ungeliebten burgenländischen Dialekt, der ihm die ganze Volksschulzeit über noch anhaftete, abzugewöhnen. »In Deutsch war er immer ausgezeichnet«, erzählt Maria Hölzel. »Überhaupt lagen ihm die Sprachen. Probleme bereiteten ihm Mathematik und Naturwissenschaft. Wenn eine Mathematik-Arbeit bevorstand, bekam er regelmäßig Bauchweh.«

In der Ziegelofengasse gab es damals einen Friseurladen. Der Sohn des Friseurs, ein gewisser Walter, ging ebenfalls ins Rainer-Gymnasium, allerdings kam er schon in die 7. Klasse, als Hans die 2. Klasse besuchte. Jener Walter war mehr als einmal wütend, wenn der Deutschlehrer den großen Jungen wieder einmal einen Aufsatz des kleinen Hans Hölzel als vorbildlich vorlas. Er kam dann heim und erzählte seinem Vater davon. »Und der«, so Maria Hölzel, »lief jedes Mal in mein Geschäft und erzählte mir, dass wiederum eine Arbeit von Hans in der Oberstufe vorgelesen wurde. Da war ich natürlich immer mächtig stolz.«

Der Deutschlehrer, ein Dr. Adel, war im Gymnasium sehr beliebt. »Einmal sagte er mir, Hans wäre einer seiner besten Schüler, die er je in Deutsch unterrichtet hätte. Aber die Aufsätze, die Hans nach Hause brachte, hatten oft Fehler, und ich sprach Dr. Adel darauf an. Er sagte: ›Schauen Sie, Frau Hölzel, der Hans schreibt Aufsätze von sechs, sieben Seiten. Im Allgemeinen schreiben die Kinder eine oder zwei Seiten. Bei der Menge, die er verfasst, ist klar, dass mehr Fehler vorkommen können. Das sind Flüchtigkeitsfehler, da sollten Sie sich keine Gedanken machen.‹«

Weniger erfreulich waren die Gespräche mit den Mathematiklehrern. »Irgendetwas vergaß mein Sohn immer bei seinen Mathematik-Arbeiten. Entweder er hatte ein Resultat nicht richtig abgeschrieben, oder er hatte vergessen, einen Teil zusammenzurechnen, immer fehlte etwas. Er ging immer wieder haarscharf am Sitzenbleiben vorbei, aber die Lehrer haben ihn dann doch nie fallengelassen.«

Der Junge war intelligent und in manchen Dingen hoch begabt, aber er fing an, unkonzentriert zu arbeiten, und wurde immer gleichgültiger. »Ich dachte: Warum muss ich eigentlich Latein lernen? Mir war ziemlich bald klar, dass ich weder Arzt noch Jurist werden wollte. Wozu also der Unsinn mit dem Deklinieren und Konjugieren? Es gab wichtigere Dinge. Ich spreche heute recht gut Englisch, aber ich habe Englisch nie richtig gelernt, es kam einfach so nebenbei. Inzwischen weiß ich, dass ich damals nicht den leichtesten Weg gewählt habe, das wäre ein ganz anderer gewesen. Aber ich wählte den Weg, den ich gehen musste

Er zog zwar jeden Morgen pünktlich los, jedoch »konnte es auch vorkommen, dass ich einfach bei einer Baustelle stehen blieb und einen Vormittag lang zusah, wie ein Haus abgetragen wurde. Oder ich stieg durch ein offenes Kellerfenster und sah mich im Keller um. Wahrscheinlich habe ich von der Volksschule überhaupt mehr profitiert als von der Oberschule. Dort wurde meine Persönlichkeit mehr ausgebildet als mein Wissen. Das, was ich heute mit der Sprache tue, wenn ich texte, ist zum Teil sicherlich eine Gabe. Und dieses Talent ist in der Volksschule entdeckt worden, dafür bin ich meinem Lehrer Anton Frei noch heute dankbar«, sagte FALCO später einmal.

FALCO machte sich auch später immer wieder Gedanken, welche Auswirkung die Trennung der Eltern auf sein Leben gehabt hat: »Mein Vater hat einmal gesagt, dass ich – wäre er zu Hause geblieben – nie FALCO geworden wäre. Das klingt zwar nicht gut, aber ich kann ihm nicht unrecht geben. Dadurch, dass sich plötzlich nur noch meine Mutter und meine Großmutter um mich gekümmert haben, wurde ich schon früh sehr selbstständig, und ich begann mein eigenes Leben zu leben.«

4

Es beginnt eine Zeit, von der viele Jahre später das österreichische Wirtschaftsmagazin trend in einer Replik boshaft schreiben wird: »Früher war FALCO eine richtige Flasche. Zu fett für Fußball und Weiber. Zu faul im Gymnasium und zu frech fürs Büro. Insgesamt nicht auszuhalten, der Typ. Die Mutter hat ihn mit ihrer Erbsenzählerei genervt, der Vater ist beiden davongelaufen; mit seiner schwangeren Sekretärin. Das Tor zur Welt waren die Bee Gees und die Beatles, aber dort, wo FALCO war, war der Arsch der Erde.«

Das ist, in seiner Komprimiertheit, übertrieben und stimmt nur zum geringsten Teil. Aber es ist richtig, dass für FALCO ein paar schlimme Jahre anfingen. Viel zu viele Dinge stürzten völlig unvorbereitet auf ihn ein; er begann sich in mancherlei Hinsicht einfach zu verweigern. Er hörte mit dem Klavierspiel auf, stopfte Unmengen von Essen in sich hinein und wurde für eine Weile zum Einzelgänger.

Immer weniger interessierten ihn die kindischen Probleme seiner gleichaltrigen Freunde. Noch etwas Entscheidendes kommt hinzu, wie FALCO einmal sagte: »Bis zum 14. Lebensjahr waren wir im Rainer-Gymnasium eine reine Bubenklasse. Bis dahin war ich kaum mit Mädchen zusammen. Meine Cousine, mit der ich als Kind viel gespielt habe, war wie ein Junge für mich, ein Freund, kein Mädchen. Und dann, mit 14 Jahren, wurden die Klassen gemischt. Plötzlich gab es Jungen und Mädchen in der Schule. Zurückblickend muss man sich dieses unsinnige pädagogische System einmal vor Augen führen – da erzieht man jahrelang die Kinder in einem System des getrennten Aufwachsens, und gerade in der heikelsten Zeit, während der Pubertät, mit 14, 15 Jahren, tut man sie zusammen. Ich war damals ziemlich durcheinander. Für die Jungen hatte ich immer ein funktionierendes System, sie waren mir alle zu infantil, lächerlich kleinkariert, aber Mädchen muss man – und das merkt man besonders mit 14 Jahren – mit anderen Maßstäben messen. Da habe ich lange Zeit nicht durchgeblickt. Später waren auch meine ersten sexuellen Erfahrungen eher auf einem medizinisch-technischen Niveau angesiedelt, nach dem Motto: ›Heute entdecken wir unseren Körper.‹ Da fand ich eine ganze Zeit lang nichts Aufregendes dabei.«

Hans ist in diesen Jahren äußerst disziplinlos. Falls der Vater ihn allein durch seine Anwesenheit einem gewissen Druck unterworfen haben sollte, fällt der nun weg. Zu allem Unglück stirbt 1971 auch die Großmutter. Eines Tages kam er von der Schule nach Hause und erfuhr, dass sie tot war. Er stürzte in sein Zimmer und sperrte sich ein.

Maria Hölzel begannen die Sorgen über den Kopf zu wachsen. Der Laden in der Ziegelofengasse brachte immer weniger ein, die großen Supermärkte rundum machten ihr unerbittlich Konkurrenz, und zu allem Übel fehlte ihr die Mutter, die wenigstens ein paar Stunden am Tag im Geschäft ausgeholfen hatte.

»Ich musste daran denken, das Geschäft aufzugeben und irgendetwas anderes zu machen, um Geld zu verdienen«, sagt Maria Hölzel. FALCO bereitete ihr Kummer. »Ich war zwar in gewissem Sinne streng zu ihm, aber nicht resolut. Er war ein guter Junge, aber ich musste ihn doch oft sich selbst überlassen.« Die Nachbarin von gegenüber, die ihn abgöttisch liebt, wird zu einer Art Großmutter-Ersatz. »Ich bekam dann ein Angebot von einer großen Kaufhauskette als Reisende in der Werbung«, erzählt Maria Hölzel. »Nach langem Zögern nahm ich den Job an. Das hieß für mich aber, Montag morgen von daheim wegfahren und oft erst am Donnerstag oder Freitag wieder zurückkommen.«

Etwa zu jener Zeit begann das Erwachsenenleben von FALCO. Die Nachbarin kochte für ihn, wusch die Wäsche und kümmerte sich darum, dass er morgens rechtzeitig geweckt wurde und zur Schule ging. Er bezog die Wohnung seiner verstorbenen Großmutter und fing an, seiner Umgebung etwas vorzuspielen. »Morgens ging ich aus dem Haus, alle waren zufrieden, dann packte ich meine Schultasche in den nächsten Streusplittkasten und haute ab. Ich wollte nicht mehr zur Schule. Mich interessierte das alles nicht. Ich fuhr in den Prater und sah mir in der Freudenau das Training der Rennpferde an, das gefiel mir. Oder ich fuhr mit der Trambahn zum Fußballplatz und schaute zu.«

Manchmal ging er um neun oder halb zehn Uhr auch ins Kaffeehaus und verbrachte seine Zeit bei einem Kaffee und den bunten Magazinen. »Ich kannte wahrscheinlich alle Musikgeschäfte Wiens. Ich klapperte eines nach dem anderen ab.«

Einmal wird sein Vater mit einem schweren Bandscheibenschaden ins Krankenhaus gebracht und muss operiert werden. Nach dem Eingriff besucht ihn Hans, und der Vater ist da-rüber so gerührt, dass er ihm 1.200 Schilling schenkt. FALCO nimmt das Geld, bedankt sich und geht schnurstracks zum Instrumentenhändler Wukitz in die Pilgramgasse 17, wo er eine Gitarre kauft.

Das Klavierspiel scheint ihm jetzt unsinnig und mühsam. Der Stutzflügel in der Wohnung der Mutter wird kaum noch angerührt. Er fährt völlig auf Gitarrenmusik ab. 1972, FALCO ist gerade 15 Jahre alt, bekommen Elektrogitarre und vor allem dann die Bassgitarre eine immer stärkere Bedeutung in der Pop-Musik. Es gibt Gruppen wie Deep Purple oder Frank Zappa, die Musik wird rhythmischer, unmelodiöser, die Romantik, wie sie die Bee Gees oder die Beatles noch gepflegt haben, fällt weg. Das kommt FALCO gerade recht: »Was mir widerstrebt, ist diese Art von Pfadfinderromantik, die sentimentale Musik am Lagerfeuer. Das mag ich nicht. Ein Elektrokamin ist mir da viel lieber.«

Also verkauft er auch seine Wandergitarre, und mit einem Zuschuss von der Mutter ersteht er seine erste Elektrogitarre, schließlich steigt er auf die Bassgitarre um.

Sein mangelndes Interesse für das Gymnasium schlägt sich in der Jahresabschlussstatistik nieder. In der 5. Klasse hat er 485 Fehlstunden und schummelt sich, weil ihn die Lehrer mögen und viel Verständnis für seine Situation aufbringen, gerade noch durch.

Im Jahr darauf sieht er ein, wie sinnlos es ist, sich weiterhin etwas vorzumachen. Sosehr er es bedauert, seine Mutter enttäuschen zu müssen, weiß er instinktiv, dass er den Zwang der Schule nicht noch zwei weitere Jahre durchhalten würde.

5

Die angewandte Psychologie war Hans Hölzel zeit seines Lebens suspekt: »Ich lernte einmal den Baldur Preiml kennen, einen bekannten Sporttrainer, der mit allerlei psychologischen Tricks arbeitet. Da setzt man sich dann zusammen und muss den anderen, die man gar nicht kennt, zehn Minuten lang in die Augen schauen. Da verkrampft sich bei mir alles, das widerspricht total meinem Naturell. Alle Gruppentherapie ist mir suspekt, ich bin viel zu sehr Individualist.« Ein andermal setzt er sich mit dem Aggressions-Forscher Professor Fritz Hacker in einer Club-2-Diskussion des ORF auseinander. »Ich musste mich sehr zurückhalten, um nicht beleidigend zu werden«, sagte er nachher. »Wenn einer eine Stunde lang in der Kiste ›Tiefenpsychologie‹ kramt und dann ohnedies nichts Gescheites herausholt, soll er es sein lassen. Dieser Schmäh ist zu 99 Prozent Geschäft – und dafür bin ich nicht zu haben.«

Trotz dieser vehementen Ablehnung der Seelenforscher ist nicht zu übersehen, dass FALCO Anfang der 70er-Jahre seine Persönlichkeitsprobleme mit dem Essen zu kompensieren sucht. Er schlingt Unmengen in sich hinein. »Mit 16 Jahren hatte ich bei einem Meter neunundsiebzig Körpergröße und dünnen Knochen 84 Kilo.«

Über die Zeit damals sagte er später rückblickend: »Mir ging alles auf die Nerven. Ich habe nur an das Zigarettenrauchen und das Den-Mädchen-Nachschauen gedacht.« Es fehlte ihm zwar zu der Zeit jede Perspektive für die Zukunft, er hatte nicht einmal in groben Umrissen eine Vorstellung davon, was einmal aus ihm werden könnte, doch »ich hatte schon immer das Gefühl, es irgendwann einmal in irgendeiner Beziehung zu schaffen«. Seine Mutter war da viel weniger optimistisch. »Ich hätte mir nie träumen lassen, dass Hans einmal eine Musikerkarriere machen wird«, sagte Maria Hölzel, als FALCO in Amerika gerade auf dem ersten Höhepunkt seiner Laufbahn war. Für sie war alles, was kam, tatsächlich überraschend, verblüffend und lange Zeit unwirklich. »Ich habe mir gewünscht, dass er die Matura macht und dann einen Beruf ergreift, der ihm ein sicheres Einkommen verschafft.«

Als es – nach 600 unentschuldigten Fehlstunden mit 16 Jahren und einem drohenden Ungenügend in Mathematik – nicht mehr zu übersehen ist, wie groß die Probleme von Hans in der Schule sind, nimmt ihn sich Maria Hölzel einmal vor.

»Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten«, sagt sie zu ihm. »Die eine Möglichkeit ist, die Klasse zu wiederholen, das wäre mir die liebere Möglichkeit. Aber ich mache dich darauf aufmerksam, dass dieser Trott nicht weitergeht. Wenn du die Klasse wiederholst, dann wird das ein einmaliger Ausrutscher bleiben, von nun an wird bis zur Matura gelernt.«

Die Matura, das österreichische Abitur, interessierte Hans kein bisschen. »Was ist die Alternative?«, fragte er.

»Die Alternative ist, von der Schule abzugehen und einen vernünftigen Beruf zu erlernen.«

»Ich möchte mit der Schule aufhören«, erwidert FALCO da-raufhin erleichtert. Er ist sogar bereit, sich den weiteren Plänen seiner Mutter unterzuordnen, wenn sie ihm nur gestattet, mit dem schrecklichen In-die-Schule-Gehen Schluss zu machen. Es war ihm leid um die Zeit, die er dafür opfern musste, er verstand mit den Jahren immer weniger, weshalb er Gedichte und Formeln auswendig zu lernen gezwungen war, die er ohnedies wieder vergaß. Der Satz: »Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir« bedeutete ihm gar nichts. Das, was er meinte, fürs Leben zu brauchen, holte er sich anderswo.

6

Wien war lange Jahre eine verknöcherte, überalterte Stadt im Herzen Europas, mit 1,7 Millionen Einwohnern Relikt eines Riesenreiches, der österreichisch-ungarischen Monarchie, in einem – nunmehr kaum 8 Millionen Menschen zählenden – Kleinstaat. Lange Jahre galten in der Stadt nur die Sängerknaben, die Spanische Hofreitschule und alles, was alt und überliefert war. Die Touristen kamen und gingen ins »Sacher« oder zum »Demel«, und viele junge Leute, insbesondere Künstler, wichen nach Graz, Salzburg, München, Berlin, Paris, London und New York aus, um Karriere zu machen.

Erst Ende der 60er-Jahre, Anfang der 70er-Jahre, entwickelte sich in der Stadt so etwas wie eine funktionierende Subkultur, ein – manchem anarchisch anmutender – Widerstand gegen die überholte Heurigenseligkeit und das Opernball-Getue.

In der Musik besann man sich auf die eigene Sprache, den Dialekt. Hatten Wiener Künstler anfangs englische Gruppen nachgeahmt, so zeigte sich nach dem Riesenerfolg von Marianne Mendt mit ihrem Song »Wia a Glock’n«, dass es auch möglich war, anspruchsvollere Schlager höchst erfolgreich mit einem deutschsprachigen Text, ja, mehr noch, mit dem Wiener Dialekt zu kombinieren.

André Heller und Erika Pluhar beginnen aus Dialekt-Texten Lieder zu machen, Heller erregt gemeinsam mit Helmut Qualtinger mit dem Lied »Wean, du bist a oide Frau« Aufsehen. Künstler wie Georg Danzer und Arik Brauer, ein renommierter Maler der Wiener Schule des Phantastischen Realismus, veröffentlichten vielversprechende Alben.

Ohnedies hatten die Maler wie Christian Ludwig Attersee, Wolfgang Hutter, Ernst Fuchs und vor allem Arnulf Rainer zu dieser Zeit, Anfang der 70er-Jahre, ihren besonderen künstlerischen Stellenwert in Wien. Ihr Ruhm ging weit über Österreichs Grenzen hinaus.

Die »Liedermacher« fingen an, richtige Geschichten mit ihren Songs zu erzählen. Beschränkte man sich anfangs noch auf mehr oder minder gelungene Nachahmungen englischer Songtexte, kamen plötzlich urwienerische Laute zu einer griffigen Musik. Ein Vorreiter war Wolfgang Ambros, der mit dem Prokopetz-Text »Da Hofa« lange Zeit die Hitparaden anführte.

Die Lieder dieser ersten und zweiten Generation des »Austropop«, wie diese neue Kunstrichtung genannt wurde, kamen im benachbarten Deutschland hervorragend an. Jahre, ehe Udo Lindenberg oder Xavier Naidoo die deutsche Sprache und einen Dialekt als Vehikel erfolgreicher Musik entdeckten, lagen die Wiener Pop-Stars bereits an den Spitzen der Charts.

Wien wandelte sich langsam, aber stetig. Am Rande der Szene entstanden Lokale wie das Voom Voom im achten Bezirk oder das Vanilla im ersten oder das Exil im neunten Bezirk, Undergroundschuppen, in denen scharfe, gute Musik gespielt wurde, wo man redete und wo viele allerdings auch – Schattenseite der Erneuerung – ihre ersten Rauschgifterfahrungen machten.

FALCO, der lange versucht hatte, seine Sucht auf Alkohol und Nikotin zu beschränken, sagte über diese Szene einmal in einem Interview mit der Los Angeles Times: »Da war eine wirklich harte Drogenszene in Wien, und ich schätze, das hatte ein bisschen damit zu tun, dass man seine Depressionen betäuben wollte. Es ist ja auch deprimierend, wenn man dauernd diese wunderschönen Bauwerke sieht und daran erinnert wird, was Wien einmal war. Und dass es nie mehr so sein wird.«

Lange Jahre stand Wien in der europäischen Selbstmordstatistik an zweiter Stelle, gleich hinter Budapest.

Jedenfalls: Musik, Malerei und sogar das moderne Schauspiel nahmen einen immer größeren Stellenwert im Selbstverständnis der Stadt ein. FALCO hatte das Glück, seine Karriere zu einer Zeit zu beginnen, als die ganze Stadt in Aufbruchstimmung war.

Maria Hölzel allerdings wollte von dem berufsmäßigen Gitarrespiel und den anderen hochfliegenden Plänen ihres Sohnes nichts wissen: »Über Bekannte konnte ich ihm eine Bürostelle bei der Pensionsversicherungsanstalt für Angestellte in der Blechturmgasse verschaffen. Er war zwar nicht ausgesprochen glücklich über den Job, aber ich sagte ihm, es gebe nicht allzu viele Möglichkeiten, ohne Matura in einem guten Beruf unterzukommen. Dort war das möglich, und es gab sogar die Chance, dass er nach zehn Jahren pragmatisiert wurde, das heißt, er wäre ins unkündbare Beamtenverhältnis übergegangen.«

Hatte Maria Hölzel bis dahin Eskapaden ihres Sohnes ohne größere Aufregung hingenommen, so geriet sie nach dem Fiasko im Gymnasium langsam in Panik und bestand darauf, dass er sofort bei der Pensionsversicherungsanstalt zusagte. Hans wollte zuerst die zwei Monate Ferien genießen, doch auch da blieb die Mutter nun hart: »Ich sagte ihm, wenn er die Klasse nicht wiederholen, sondern ins Berufsleben treten wolle, müsse ihm ein Urlaubsmonat auch reichen. Das hat er dann eingesehen.«

So groß die Abscheu vor dem Bürojob anfangs gewesen sein mag, mit den Wochen fand Hans regelrecht Gefallen daran. Er verdiente jetzt sein eigenes Geld – zwar nicht viel, aber genug, um sich hin und wieder ein Abendessen in einem Restaurant oder Zeitschriften wie den Playboy und auto motor sport leisten zu können. »Ich war in der Beziehung immer schon für alles oder nichts. Selbst wenn ich wusste, wenn ich mir diese Woche die auto motor sport kaufte, würde ich nicht einmal mehr einen Groschen für ’ne Cola oder ein Eis haben, habe ich sie dennoch gekauft. Das war mir egal. Ich mochte dieses Groschenzählen nie. Ich habe das Geld, auch damals, als ich noch wenig hatte, mit vollen Händen ausgegeben, wenn ich wirklich etwas wollte.«

Mit 16 Jahren führte er das Leben eines Erwachsenen von Mitte zwanzig. Er besaß eine eigene Wohnung – »40 Quadratmeter, die Toilette auf dem Flur, aber immerhin war es mein eigenes Reich« – und er machte seine ersten entscheidenden Erfahrungen mit Mädchen: »Ich ging damals immer nach demselben einfachen Prinzip vor: erstens liebte ich das Mädchen, zweitens musste es mit mir schlafen wollen, und nach einer kurzen Weile war eh alles vorbei.«

Hatte Maria Hölzel etwas von diesem Leben bemerkt, so verschloss sie verständnisvoll beide Augen und ließ ihren Sohn handeln. »Bei den Mädchen ist es mir nie gelungen, eines mit meinen romantischen Erklärungen rumzukriegen. Da schmolz wirklich keine hin. Ich glaube übrigens, das gibt’s in Wahrheit gar nicht, sondern das sind Dinge, die man uns in den Drehbüchern von College-Filmen glaubhaft machen will. Wenn es darum ging, ein Mädchen wirklich zu beeindrucken, dann funktionierte das nur mit großer Lautstärke. Entweder man hat viel Geld oder man macht viel Action.«

Freunde aus dieser Zeit berichten, dass Hans kein ausgesprochener Aufreißertyp war. Er rannte nie hinter den Mädchen her, sondern wartete darauf, bis sie auf ihn zukamen. Natürlich imponierte es den Gleichaltrigen ungemein, dass da einer war, der auf eigenen Beinen stand und sogar ein eigenes Apartment bewohnte, und Hans pflegte dieses Image noch.

Im Rückblick sagte er: »Mein Schmäh war immer der, keinen Schmäh zu haben.« Er fuhr recht gut damit. Er war nicht auf den Mund gefallen, aber er erweckte auch nicht den Eindruck, er würde sich aus einem Mädchen besonders viel machen.

»Wenn es darum ging, die Zelte abzubrechen, dann war ich immer einer der schnellsten.« Zum großen Teil spielten dabei seine besondere Sensibilität eine Rolle und die gekränkte Eitelkeit. Instinktiv fühlte er, wenn man ihn nicht mochte, und er bildete sich manchmal sogar ein, dass ihn jemand nicht mochte, wo das gar nicht zutraf. »Ich war da knallhart und spielte immer den coolen Typ. Ein Standardsatz von mir, wenn sich eine zierte, war: ›Na bitte, dann nicht, dann stelle ich dir meinen Freund vor, vielleicht gefällt dir der besser.‹«

Für sich selbst erkannte er, am besten mit zurückhaltender Distanz sein Ziel zu erreichen: »Es gibt Dinge und Verhaltensweisen, die verblüffen eine Frau vollends. Zum Beispiel, wenn man sie als Junge ignoriert. Und irgendwann nebenbei, wenn sie aus Wut oder Überraschung, für einen Luft zu sein, schon auf Kohlen sitzt, fragt man sie, ob sie nicht mit einem ausgehen wolle.«

Wenn trotzdem einmal ein Mädchen Nein sagte, schien das FALCO nichts auszumachen: »Vielleicht ist das ein Schutzmechanismus meiner Psyche, der da sagt: Na gut, wenn du nicht willst, mir soll’s recht sein, dann eben eine andere, ich bin gar nicht traurig.«

So abwechslungsreich und sorglos dieses unabhängige Leben nach der Qual der Gymnasiumszeit für Hans auch gewesen sein mag, so war er sich darüber sehr wohl im Klaren, dass es für ihn am Schreibtisch eines Büros der Pensionsversicherungsanstalt für Angestellte in der Blechturmgasse in Wien keine Zukunft gab. Er jammerte zwar nicht, aber Maria Hölzel wusste bald, »dass es ihm nicht sehr gut gefiel und er dauernd nach etwas anderem gesucht hat«.

Er verbiss sich weiter in die Musik, er sog die Songs, die er in Ö3, einem angesagten Radiosender in Österreich damals, oder auf den Platten hörte, die er sich besorgte, förmlich auf und übte Gitarrenläufe, wie er sie von Gruppen wie AC/DC oder Pink Floyd mitbekam. Besonders fasziniert war FALCO von einem Mann, der von England aus nicht nur den Sound der Musik, sondern auch die optische Darstellung auf der Bühne oder im Fernsehen völlig umkrempelte und sich überdies nicht scheute, bei Interviews Tabus zu brechen, ja, mehr noch, bei dem man den Eindruck gewinnen konnte, dass es ihm richtiggehend Spaß machte, wenn er die Leute mit seinen Geständnissen und Aussagen verblüfft und erschreckt – David Bowie.

7

1973, als FALCO gerade 16 Jahre alt ist, verkündet David Bowie zum ersten Mal seinen Rückzug aus der Rockmusik im Anschluss an ein riesiges Open-Air-Konzert in London. Für viele junge Musiker war Bowie damals schon längst zu einem metaphysischen Denkmal der Szene geworden, geheimnisvoll, zwiespältig und voller Widersprüche.

»Ich hatte«, sagte FALCO viele Jahre später einmal, »viel zu viel mit mir selbst zu tun, um irgendjemandes Fan zu sein. Für Idole blieb mir gar keine Zeit.«

Mit einer Ausnahme: »Eine ganze Weile lang begeisterte ich mich für David Bowie. Wahrscheinlich war er, ohne dass ich das damals wirklich realisiert hätte, auch schon die Initialzündung für meine anfänglich gestylte Arroganz, die ich Jahre später auf der Bühne bot.«

Bowie kam Anfang der 70er-Jahre wie ein Fremdkörper in die kumpelhafte Welt der Rock-Größen. Hatten sich die anderen im Laufe der Jahre mit langen Haaren und wilden Bärten übertroffen, trug man auf der Bühne aufregend bunte Hemden, bestickte Jacken und Röhrenhosen nebst hochhackigen Stiefeln, so sah David Bowie wie aus dem Ei gepellt aus: Meist in Anzug, mit gestärktem Hemdkragen und Schlips, trug der Ex-Bandleader der Gruppe The Buzz das Haar gescheitelt und streichholzkurz geschnitten.

Der Playboy sah ihn »als bisexuellen Balladensänger, als zwitterhaften Gitarristen mit geschorenem rotem Haar, dessen Begleitgruppe sich ›Spiders From Mars‹ nannte; als Soul-Sänger und als Filmschauspieler. Vorläufige Endfassung: Bowie als konservativer, sinatresker Entertainer«.

David Bowie dreht die harsche Rebellionsstimmung auf den Rock-Bühnen um in ein pittoreskes Feuerwerk von blasierter Art-déco-Eleganz. Er geht nach Berlin, produziert da zwei Platten (»Heroes« und »Low«) und war eher, so der Playboy, »in Strichjungen- und Transvestiten-Kneipen zu finden. Zumeist ausreichend verkleidet. Eine Greta Garbo des Showbusiness«.

Er pflegt sein Image der Bisexualität, seine »Geständnisse« in Interviews wirken eher wie gezielte Provokationen einer verkrusteten Pop-Welt, in der das Männliche mit Elvis-Presley-Lederhosen und die Weiblichkeit einer Nancy Sinatra puristisch in zwei Lager geteilt wurde.

Anders als in dem Bild, das er von sich gern zeichnet, ist Bowie in Wahrheit ein ziemlich besessener Arbeiter, der seine Texte selbst schreibt und der viel Zeit damit zubringt, sein Image zu »verkaufen«. Einer seiner Leitsätze ist: »Das Einzige, was heute schockt, sind Extreme, man muss die Leute vor den Kopf stoßen.«

Ein Credo, das FALCO am Anfang seiner Karriere bis zu einem gewissen Grad akzeptiert. Viel später sagte er in einem Interview mit der österreichischen Pop-Zeitschrift Rennbahn express: »Wahnsinnig gut finde ich David Bowie. Aber ich muss sagen, seitdem ich ihn in ›Live Aid‹ gesehen habe, hat er im unmittelbaren Vergleich mit Kollegen wie Bob Geldof oder Mick Jagger für mich verloren. David Bowie muss man in einer David-Bowie-Show sehen. Die Leute müssen nur wegen ihm dort sein, der ganze Aufbau, das Drumherum muss auf ihn zugeschnitten sein. Sonst fehlt das Knistern. Trotzdem ist David Bowie ein Künstler, der in der Popmusik Richtungen gesetzt hat. Unsere heutige Entdeckung, dass die reine Musikperformance aufgehört hat, hat er schon Mitte der 70er-Jahre gemacht und mit seinen Shows vorexerziert, wo’s langgeht. David Bowie inszeniert sich laufend selbst. Ich glaube, wenn du ihn zu Hause siehst, kannst du das gar nicht vergleichen mit der öffentlichen Person Bowie.«

Obwohl FALCO schon lange, ehe er eine eigene Karriere starten konnte, erkannt hat, wie wichtig die Präsentation des Künstlers ist, weiß er, dass der Glamour und Flitter auf der Bühne oder im Video-Clip nicht alles sein könne. Mitte der 80er-Jahre sagte er: »Das Plattengeschäft ist ein absolut moralisches Geschäft, denn niemand, oder sagen wir kaum jemand geht in einen Plattenladen und kauft eine Platte, weil der Sänger zufällig einen tollen Hut auf hat oder weil er im Fernsehen so gescheit dahergeredet hat. 998 von tausend Plattenkäufern erstehen eine Platte, weil sie ihnen gefällt, weil sie die Musik anmacht, weil sie sie haben müssen.« Vielleicht hat sich diese These in den Jahren, die seither vergangenen sind, verändert, aber im Großen und Ganzen ist es natürlich immer noch die Liebe zur Musik, die die Menschen CDs erwerben oder ins Konzert gehen lässt.

FALCO selbst kaufte stets jede neue David-Bowie-Scheibe, die auf den Markt kam, und jede Platte von Frank Sinatra. Bei den anderen Künstlern wählte er aus, was ihm gefiel, da kaufte er nicht blind: »Frank Sinatra ist das typische Beispiel dafür, dass sich auch bei großen Namen, bei Markenzeichen, nur Qualität an den Mann bringen lässt. Es kann sein, dass Sinatra von einer Platte 250 000 Stück verkauft und von der nächsten plötzlich dreieinhalb Millionen.« Ein Phänomen, das auch FALCO zeit seines Lebens verfolgte und sogar nach seinem Tod mit »Out Of The Dark« einen Höhepunkt erreichte.

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Zu jener Zeit, als FALCO auf David Bowie aufmerksam wird, sind seine eigenen Karrierevorstellungen noch verschwom-men. Seine Gewichtsprobleme jedoch bekam er im ersten halben Jahr seines Angestelltendaseins in den Griff: »Ich habe einfach aufgehört zu essen und war wieder ansehnlich geworden.«

Hans reagiert immer ganz ausgeprägt auf sein Gegenüber oder auf die Art, wie man ihn behandelt. Er konnte sehr offen und witzig sein, aber auch verschlossen und böse; er konnte sich, wenn er fühlte, dass ihn jemand anzugreifen versuchte, wie eine Auster verschließen. Ein Wesenszug, den er, sehr zum Missvergnügen seiner Pressemanager, nie abgelegt hat. Langweilige, dumme Interviewfragen beantwortete er oft mit frecher Arroganz, die Reporter oft wie ein Eisblock traf. Horst Bork erinnert sich: »Ein Journalist von ›Popcorn‹ hat ihn einmal in einem Interview genervt. Das war damals ein ganz cleverer, kleiner Kerl, aber FALCO mochte ihn nicht mehr sehen. Der Reporter kam dann einmal auf das Aids-Thema zu sprechen und Hans sagte, er wolle dazu nichts mehr sagen. Der Journalist insistierte aber weiter, bis es FALCO herausrutschte: ›Über Aids spricht man nicht, Aids hat man!‹ Es war ein Stilmittel, um Ruhe zu haben, nachher tat ihm der Satz leid.« Aber viele andere Zeitungen nahmen das Zitat auf und der Skandal war gegeben. Ein Kulturredakteur der großen Frankfurter Allgemeinen Zeitung fragte ihn einmal, was er mit seinen neuesten Song Lyrics ausdrücken wolle, und Hans Hölzel antwortete genervt: »Den Pickel auf meinem Hirn.« Horst Bork: »Solche Unverschämtheiten waren sein Stilmittel, um einen Strich zu ziehen. Das waren Antworten, da konnte er sicher sein, da kommt nichts mehr nach.« Bork sagt auch: »Er war der Frechste von allen damals, der am wenigsten Angepasste. Obwohl er mit der Arroganz nur spielte, um eine Distanz zwischen sich und der Welt zu schaffen. Wenn er merkte, es wird zu viel, hat er sofort zurückgerudert.«

Im Mai 1986 war ein Interview mit einer wichtigen österreichischen kulturpolitischen Zeitschrift verabredet gewesen, die eine Titelstory über FALCO produzieren wollte. Nachdem sich der Reporter und Hans Hölzel miteinander bekannt gemacht hatten, zogen sie sich mit jeweils einem Glas Wein zum Gespräch zurück. Es vergingen nur wenige Minuten, da kam der Interviewer völlig konsterniert zum Manager von FALCO. Hans hatte ihn einfach hinausgeworfen, obwohl er wusste, wie wichtig das Interview für ihn sein würde. Aber er mochte nicht mehr über seinen Schatten springen. »Ich will nicht dauernd erklären müssen«, rechtfertigte er sich, »ob ich ein gestyltes Kunstprodukt bin oder nicht. Ich will nicht den Anteil der Propaganda herausdividieren müssen, aus dem, was ich mache, das nervt mich.« Im Juli 1986 erschien die Story dann und der Autor schrieb: »Wenn FALCO heute auf sein Image angesprochen wird, ist es mit dem Humor schlagartig vorbei. Geht die Frage noch weiter und gipfelt in der Unverfrorenheit, nach dem wahren Urheber des so telegenen aufbereiteten Persönlichkeitsbildes zu forschen, ist der Ofen überhaupt aus. Hölzel: ›Ich gebe keine Antwort mehr auf Fragen wie: ›Wie viel lässt du dir sagen?‹ Ich lass mir nämlich überhaupt nichts sagen. Wenn ich mir etwas hätte sagen lassen, dann wären wir heute nicht da. Dann wäre ich nämlich in der Pensionsversicherungsanstalt oder der Creditanstalt oder sonst wo.‹«

Auf einen Nenner gebracht: FALCO hatte damit tatsächlich den Nagel auf den Kopf getroffen. Als er eines Abends heimkam und seiner Mutter rundheraus erklärte, er wolle den sicheren Job bei der Pensionsversicherungsanstalt aufgeben, fiel Maria Hölzel aus allen Wolken: »Ich hatte mir für meinen Sohn immer Sicherheit gewünscht. Ich fand den Gedanken sehr beruhigend, dass er mit 27 Jahren als Beamter unkündbar gewesen wäre. Es wäre ja eine Lebensstelle gewesen. Für mich als Mutter wäre es sicher ein gutes Gefühl gewesen, wenn er Beamter geworden wäre.«

Und: »Man kann ja nie voraussehen, was aus einem Leben wird. Ich sagte Hans damals: ›Schau mal, andere wären so froh, wenn sie diesen Posten hätten, den du jetzt wegschmeißt.‹ Und er antwortete: ›Meinst du, dass ich glücklich werden kann, wenn ich mit 60 Jahren nach einem Schreibtischjob in Rente gehe und immer dem unerfüllten Traum nachtrauere?‹ Ich verstand zwar, was er meinte, aber es war damals doch so wichtig, dass er eine Stelle hatte! Mir hat es wirklich nicht gefallen, als er alles aufgab.«

Es gab allerdings ein Argument, mit dem konnte FALCO die Mutter etwas beruhigen. »Er versprach mir, er würde anfangen, auf die Musikhochschule zu gehen und Musik zu studieren. Ich wusste ja, wie talentiert er war und dass die Musik seinen Lebensinhalt bedeutete. Also akzeptierte ich seine Kündigung.«

FALCO: »Meine Zukunft lag ziemlich verschwommen vor mir, ich hatte kaum Vorstellungen, was in fünf oder in zehn Jahren werden sollte, ja, im Grunde wusste ich nicht einmal über meine nächste Zukunft Bescheid. Anfangs träumte ich nicht von einer Karriere als Sänger oder Solomusiker, ich wollte Instrumentalist werden und Spaß in einer Band haben. Ich konnte in der Zwischenzeit ganz gut Bassgitarre spielen, und ich wollte mir das mit meinem Spiel zusammenverdienen, was ich zum Leben brauchte.«

Er organisiert gemeinsam mit Freunden eine Band. Seine erste Gruppe nennt sich Umspannwerk. Die Eltern eines Freundes von Hans besitzen in Kaltenleutgeben, etwa 15 Kilometer westlich von Wien, ein Haus, und im Keller können die Jungen proben. Hans redet so lange auf seine Mutter ein, bis sie sich bereit erklärt, ihm ein Moped zu kaufen. Nun ist er mobil und kann, so oft er will, nach Kaltenleutgeben fahren.

»Meine Freunde zu der Zeit waren viel älter als ich, in der Band – ich war 17 – waren noch ein 32-Jähriger und ein 35-Jähriger. Mir gefiel einfach der geschliffene Spruch der Älteren, deren Schmäh. Ich hab den dann für mich adaptiert und angenommen.«

Er wirkte damals frühreif. »Ich war weder ein Halbstarker noch ein bebrillter Klaviertiger, ich glaube, jeder kreative Beruf, ob man nun schreibt, malt oder Musik macht, bringt eine gewisse Gegensätzlichkeit der Charaktere mit sich, das sind im Grunde alles Freaks, die man nicht über einen Leisten schlagen kann.«

Die Los Angeles Times schreibt über diese frühen Jahre:

»FALCO sah in der Rockmusik einen Weg zu einem freieren Lebensstil. Und verständlicherweise waren seine Eltern, die aus der Arbeiterklasse stammten, entsetzt, als er die Schule und alles aufgab, um eine Rock-Band zu gründen.«

Als FALCOS Vater, der in der Zwischenzeit eine Servicefirma für Blechbearbeitungsmaschinen in der Kamarschgasse in Favoriten, dem 10. Bezirk Wiens, eröffnet hat, erfährt, dass sein Sohn von der Schule abgegangen ist und vorhat, Musiker zu werden, ist er strikt dagegen. Maria Hölzel: »Anfangs, als noch nicht abzusehen war, wie sich das Leben des Jungen entwickeln würde, hat mir mein Mann Vorhaltungen gemacht und gesagt, ich sei schuld, dass er Musiker geworden ist. Später hat er seine Meinung geändert – er verstand, dass unser Sohn wohl in keinem anderen Beruf so viel hätte verdienen können wie mit der Musik.«

Und er wäre wohl auch in keinem anderen Job nur annähernd so glücklich gewesen wie jetzt.

»Für meinen Vater«, erinnerte sich FALCO später, »war das kein Beruf, aber er steht andererseits auf dem Standpunkt, dass Bankkonten nicht lügen können. So fand er dann alles prima. Er sagt, wenn es den Leuten gefällt, dann müssen sie schon einen Grund haben, warum es ihnen gefällt, auch wenn ich es nicht verstehe. Anfangs, auch nach meinen ersten großen Erfolgen, fand er alles nur eine Herumzigeunerei, ohne rechte Perspektiven, inzwischen hat er es sich aber abgewöhnt, mich zu fragen, wie denn das alles weitergehen soll. Er hat eingesehen, dass da eine gewisse Kontinuität ist.«

Aus der Bredouille – einerseits keinen Bock auf den Schreibtischjob in der Pensionsversicherungsanstalt zu haben, andererseits nur recht diffuse Vorstellungen von einer besseren, erstrebenswerteren Zukunft – rettete sich FALCO mit einer freiwilligen Meldung zum österreichischen Bundesheer. Maria Hölzel: »Der Vater eines Freundes von Hans war Oberst bei den Panzergrenadieren, und er versprach ihm, er würde sich dafür stark machen, dass er zu seiner Truppe käme. Hans verließ sich darauf, aber als es Herbst wurde und er immer noch keinen Einberufungsbefehl hatte, war er in Sorge.« Er wollte im September 1974 einrücken, im darauffolgenden Februar wurde er 18 Jahre. Anfang September fing er an, hektisch herumzutelefonieren. Er hatte sich voll und ganz darauf eingestellt, seine acht Monate Grundwehrdienst abzuleisten, und er hing finanziell in der Luft, wenn die Sache schiefging.

FALCO war schon zu jener Zeit nicht auf den Mund gefallen, und so landete er schließlich im Vorzimmer des damaligen Verteidigungsministers Karl Lütgendorf. Er redete am Telefon so geschickt mit den Beamten, bis sie ihm gestatteten, ins Ministerium zu kommen und sein Anliegen persönlich vorzutragen. FALCO erzählte von seinen Plänen und seinem Wunsch, den Bundesheerdienst so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, um auf die Musikhochschule gehen zu können.

»Ihre Wünsche in allen Ehren, junger Mann«, beschied ihm der Beamte im Ministerium kühl, »aber wir haben nur ein Kontingent von 3000 Plätzen für Freiwillige, und das ist bereits ausgefüllt. Sie müssen sich schon bis zum Frühjahr gedulden, dann werden Sie 18 Jahre, dann können Sie wiederkommen.«

Aber irgendwie beeindruckte er den Beamten mit seiner Selbstsicherheit und der Dringlichkeit, mit der er darauf bestand, jetzt seinen Wehrdienst zu leisten. Jedenfalls machte er es schließlich doch möglich, dass FALCO zuerst in Kaiserebersdorf, einem östlichen Vorort Wiens, und nach sechs Wochen Grundausbildung in der Meidlinger Kaserne seinen Wehrdienst ableisten konnte: »Mir ist es sehr gut ergangen. Ich wurde dort zu einem regelmäßigen Leben gezwungen, etwas, was mir sonst immer gefehlt hatte. Wir aßen immer zur selben Zeit, machten immer zur selben Zeit Sport, ich habe zwar gefressen wie ein Scheunendrescher, aber ich nahm nicht zu. Ich habe mich beim Joggen und bei den verschiedenen Wehrübungen recht verausgabt. Ich fand die Zeit ganz gut.«

Er war bei der Fernmeldeaufklärung. »Eine ziemlich lasche Truppe«, sagte er später. Die Chargenschule bestand er mit einem »Sehr gut« und nach ein paar Wochen durfte er die Truppe jeden Abend um 17 Uhr verlassen und daheim schlafen.

Maria Hölzel: »Es war ganz witzig, was er mir nach seiner Abmusterung erzählte – da sprach ihn nämlich ein Vorgesetzter an und fragte ihn geradeheraus, in welcher Beziehung er zum Verteidigungsminister stünde. Hans war ziemlich verwundert und der Offizier drängte ihn: ›Schauen Sie, Hölzel, jetzt können Sie es doch zugeben, sind Sie verwandt mit dem Minister oder sind Ihre Eltern befreundet?‹ Hans wusste wirklich nicht, wie er dazu kam, aber als der Offizier immer mehr insistierte, dämmerte ihm langsam, dass man offenbar die Einflussnahme aus dem Ministerium bei seiner Einberufung auf persönliche Verbindungen zum Minister zurückgeführt hatte. Die Vorgesetzten hatten ihn die ganze Zeit über mit Glacehandschuhen angefasst, weil sie meinten, er hätte höchste Protektion.«

FALCOS kleine Wohnung sah damals aus wie die Räume von Abertausenden anderen jungen Männern seines Alters. Seine Mutter erinnert sich: »Überall an den Wänden hingen nur Poster, Poster, Poster. Überall Plakate von Rock-Stars. Wenn ich zurückdenke, kommen mir am deutlichsten die vielen Poster von Elvis Presley ins Gedächtnis, ich denke, bei allen Vorlieben, die er damals hatte, dürfte ihn Elvis Presley doch am meisten beeindruckt haben.«

Während der acht Monate beim Bundesheer hat FALCO immer wieder Zeit, sein Gitarrenspiel zu vervollkommnen. »Damals habe ich genau genommen erst richtig gelernt, mit der Bassgitarre umzugehen.« Maria Hölzel: »Er hätte sogar zur Militärkapelle kommen können und versuchen, dort die Musik zu seinem Beruf zu machen, aber das wollte er nicht.«

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Im Mai 1975 nach der Abmusterung ist FALCO fast jeden Abend in einem Lokal namens Voom Voom zu finden. Der Schuppen im 8. Bezirk wurde sieben Jahre zuvor, auf dem Höhepunkt der Hippie-Kultur, in einem ausrangierten Keller gegründet. Edek Bartz, der viel später FALCOS Tourneemanager und enger Begleiter werden sollte und selber Platten machte (»Geduldig & Thiman«), war Ende der 60er-Jahre der Disc-jockey der ersten Stunde.

»Das Voom Voom«, sagt er, »war mehr als ein Amüsierlokal, es war eine Art Philosophie.« In der Musikauswahl, die jede Nacht getroffen wurde, hob man sich deutlich von den übrigen Diskotheken mit ihrer griffigen Flower-Power-Berieselung ab.« Knaller wie der Stone-Hit »Let’s Spend The Night Together« oder »Wild Thing« von den Troggs oder einfach die Musik von Frank Zappa wurden im Voom Voom immer wieder verlangt.

Von außen sah der Laden recht unauffällig aus, eine schmale Straße mit heruntergekommenen Jugendstilhäusern, eine Doppeltür, die nur schlecht beleuchtet war, daneben die ausladenden Schaufenster eines riesigen Cafés, in dem man mit Hilfe von Tischtelefonen allerlei Bekanntschaften schließen konnte.

Man musste eine steile Treppe hinuntersteigen, ehe man in den psychedelisch gestylten, dunklen, nur durch einzelne starke Scheinwerferspots erleuchteten Raum kam, in dem getanzt wurde. Der Discjockey saß auf einer Art Kanzel, rund um die Tanzfläche waren kreisrunde Nischen mit Tischen und Stühlen.

»FALCO war damals sehr ruhig, nicht laut, eher unauffällig«, sagt Billy Filanowski, der sich 1975 im Voom Voom mit FALCO anfreundete und später sein engster Vertrauter wurde. »Wir mochten beide den Disco-Quatsch nicht, und das, was im Voom Voom gespielt wurde, Deep Purple, Genesis, Peter Gabriel, das war eher etwas für die Ohren von uns Einzelkämpfern.«

FALCO kam jede Nacht. »Er war im Umgang mit fremden Menschen eher zurückhaltend, fast schüchtern«, erinnert sich Billy. »Er wurde nie unangenehm laut, er war immer ein netter Kerl.«

Das Voom Voom oder, hin und wieder, das Montevideo in der Annagasse im 1. Bezirk, Band-Proben mit seinen Freunden, schlafen bis zum späten Vormittag, das war, grob gesehen, das Leben von Hans.

Er war klug genug, um längst zu wissen, es war hoch an der Zeit, seinem Leben einen Kick in eine bestimmte Richtung zu geben. Für ihn war klar, dass diese Richtung eine Einbahnstraße war – hin zur Musik.