EPILOG

 

 

 

 

Es war Nacht. Die Sterne funkelten wie winzige, strahlende Lichtsplitter am Himmel. Zuvor war leichter Regen gefallen und hatte den Garten mit zarten Wassertropfen benetzt. Nun war alles still. Ein praller Mond hing über dem Poet’s Cottage. Er tauchte die weißen Mauersteine des Hauses und den Garten dahinter in sein Licht, und warf dabei unwirkliche Schatten.

Das Haus war immer da, immer wach. Es nahm wahr, dass im Obergeschoss Sadie und ihre Tochter einen traumlosen Schlaf schliefen, erschöpft von diesem emotionsreichen Tag. Im Gartenhäuschen lag Thomasina in ihrem Bett, starrte in die Luft und strickte Geschichten aus den Schatten. Das Haus allein wusste, wie es sie besänftigen und trösten konnte.

Das Poet’s Cottage kannte keine Erinnerung und keine Zukunft, denn alle Zeit war eins. Türen würden schlagen und die Sonne würde aufgehen. An manchen Tagen hörte es Pearls Lachen, das Klappern ihrer Schreibmaschine und das Grammophon. An anderen Tagen die Unterhaltungen der Handwerker, die vor langer Zeit die ersten Steine gelegt hatten. Jahreszeiten bestanden aus einer Mischung aus Wind, Schnee, Nebel und Sonnenschein. Kinder wurden geboren, lebten, alterten und starben, in einem kaleidoskopischen Wirbel. Es gab Freude, Feste, Trauer und Blut.

Touristen fotografierten das Haus, das über dem Meer und dem Friedhof thronte. Die Menschen gingen wie in einem Traum vorbei und zeigten hinauf zu seiner Fassade.

»In den dreißiger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts ist dort ein Mord passiert«, sagten sie zueinander. »In diesem Haus spukt es.«

»Das ist das Poet’s Cottage, wo einst eine berühmte Kinderbuchautorin gelebt hat.«

»Das ist das Poet’s Cottage. Dort haben schon immer Dichter und Schriftsteller gewohnt.«

Spinnen und Schlangen krochen durch den Garten. Ein Opossum huschte hinter den Skulpturen der Stachelranken-Männer vorbei.

Der erste Spatenstich traf die Erde, wo das Fundament für das Haus gelegt wurde. Ein schüchterner und zurückhaltender Mann, der seine Frau und seine Kinder liebte – ein Mann, an den man sich wegen seiner Genialität erinnern würde –, studierte die Pläne und gab dem Haus seiner Träume für seine Familie Gestalt.

Sträflinge versammelten sich dort bei Nacht, um sich in Sicherheit schmuggeln zu lassen. Walnuss-, Eisenkraut- und Magnolienbäume wurden gepflanzt. Sie wuchsen, blühten, warfen ihre Blätter ab und blühten erneut.

Ein Mann mit einem starren Lächeln schritt durch den dichten Nebel, so leise wie die Erinnerung eines Geistes. Seine Schwester, Jean, überlief ein Schauer, während sie am Bahnhof wartete, und sie lachte leise in sich hinein, weil ihre Prophezeiung über den Tod einer gewissen dunkelhaarigen hochnäsigen Schönheit sich nun bewahrheiten würde. Ihre Worte legten sich für immer über das Mauerwerk des Poet’s Cottage, wie eine tödliche Kletterrose, die droht, es zu erwürgen: Meine Engel täuschen sich nie … Der Schuldige mit den befleckten Händen ist ganz nahe. Gib Acht!

Vor dem Haus stand Pearl Tatlow mit einer Zigarette in der Hand. Der Rauch formte einen Ring um Sadies Kopf, die ganz in ihrer Nähe stand. Beide Frauen blickten sich um, weil sie einen Schatten spürten, doch keine sah die andere.

Einstweilen ruhte das Haus in Frieden, während es mit seinen Geistern schlummerte. Das Poet’s Cottage lag zwischen den Welten und Zeiten. Die Lebenden und die Toten teilten sich dieselben Räume, doch keiner erkannte den anderen. Das Haus konnte sich verbiegen und formen, um sie alle zu beherbergen, denn das Haus wusste, dass es sich nur um Schatten handelte.

Tausend Gebete, Wünsche, Träume, kaputte Knochen, verlorene Zähne und gebrochene Herzen. Das Poet’s Cottage behütete alle voll Zärtlichkeit. Seine Geheimnisse wuchsen wie Efeu und verwoben dabei Träume und Fleisch.

Nacht.

Frieden.

Zuhause.