KAPITEL 19

Geister

Pencubitt, Gegenwart

Sadie küsste Jackie auf die Wange, ehe sie sich Jack zuwandte. So erleichtert sie auch war, dass die beiden abreisten, so schwer fiel ihr der Abschied.

Betty klammerte sich an ihren Vater, und Jack selbst war den Tränen nahe. »Komm uns in den nächsten Ferien besuchen, Prinzessin«, sagte er. »Ich schick dir das Flugticket. Und falls du deine Freundin mitbringen willst, dann bezahl ich auch ihren Flug. Und für ihren Bruder.« Betty quietschte vor Freude, während Sadie ihm einen warnenden Blick zuwarf. Sie wollte nicht, dass Jack Versprechungen machte, die er nicht vorhatte zu halten. Und er hatte sich auch nicht die Mühe gemacht, vorher mit ihr abzusprechen, ob sie Betty nach Sydney fliegen lassen würde.

Sadie war überrascht gewesen, als Jack am Sonntag im Poet’s Cottage aufgetaucht war und verkündete, er und Jackie würden am nächsten Morgen abreisen. Zuerst behauptete er, sie müssten nach Hause, weil Jackie wieder zur Arbeit musste, doch dann gab er zu, dass Jackie Angst hatte, in Pencubitt zu bleiben.

»Ich weiß, es ist lächerlich«, sagte er, »aber wegen diesem verdammten alten Grammophon ist sie völlig ausgeflippt. Sie glaubt, es spukt im Haus, und diese ›Energie‹ will uns alle vertreiben. Sadie, ich finde, irgendetwas ist tatsächlich seltsam mit diesem Haus, meinst du nicht auch? Nicht unbedingt ein Spuk, aber irgendetwas stimmt da nicht.«

»Jack, ich glaube, du solltest auf dieser Kreuzfahrt demnächst mal ein bisschen ausspannen«, zog Sadie ihn auf. »Als Nächstes gehst du womöglich noch zur Wahrsagerin.« Obwohl Sadie dieselbe Beklommenheit empfand wie er, wollte sie auf keinen Fall, dass Jack seine Meinung änderte und Betty doch noch mit zurück nach Sydney nahm.

»Jedenfalls machst du das wie immer sehr gut, Sadie. Betty sieht richtig gesund aus. Ich hab mir Sorgen gemacht, als sie mich angemailt hat, aber ich sehe, dass sie sich hier in Tasmanien schon ganz gut eingelebt hat. Ich hoffe einfach, wir haben euch nicht zu sehr gestört. Versprich mir, dass du dich meldest, falls du irgendwas braucht. Ich mein’s ernst. Versprochen?« Beim Sprechen betrachtete er das Haus, und Sadie verspürte ein gewisses Unbehagen, als sie die Besorgnis in seinem Blick sah.

»Keine Sorge, Jack«, versicherte sie ihm mit mehr Überzeugung, als sie wirklich verspürte. »Ich verspreche dir, wir melden uns bei dir, und vergiss nicht, dass Thomasina ja auch noch hinten im Garten wohnt. Es tut Betty gut, ihre Verwandten kennenzulernen.« Selbst wenn diese Verwandte ein bisschen verrückt ist, hätte sie gerne hinzugefügt.

Jacks Miene brachte deutlich zum Ausdruck, dass Thomasina eines der Dinge war, um die er sich Gedanken machte, aber er sagte nur: »Es ist ein wunderschönes Haus. Ich verstehe, weshalb du es magst, obwohl ich immer noch behaupten möchte, dass irgendetwas daran gruselig ist.«

»Jack, du solltest nicht mehr so viele Horrorfilme schauen«, neckte Sadie ihn im Versuch, die Stimmung aufzulockern.

Als sie Jack und Jackie wegfahren sah, kam es ihr fast so vor, als würde das Haus erleichtert aufseufzen. War sie dabei, ihren Verstand zu verlieren, wenn sie ihrem Haus jetzt schon Gefühle zubilligte? Betty stand mit gesenktem Kopf neben ihr und verkündete dann, sie würde jetzt Thomasina besuchen gehen. Sadies Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als sie beobachtete, wie Betty mit hängenden Schultern am Haus vorbei davonging. Die Trennung war für keinen von ihnen leicht gewesen, aber Betty hatte am meisten gelitten. Herauszufinden, dass die geliebten Eltern sich zwar immer noch gernhatten, aber nicht mehr zusammenleben wollten, und dann damit klarzukommen, war eine schwierige Sache. Sadie war sich nicht sicher, ob sie selbst es verstand. Trotz allem gehörte ein großer Teil ihres Herzens immer noch Jack. Ja, er hatte sie mit Jackie betrogen, aber er war immerhin der Vater ihres Kindes. Er hatte mit ihr finanzielle Engpässe, schriftstellerische Erfolge und Misserfolge sowie gesundheitliche Probleme durchgestanden und sie hatten gemeinsam den Kauf ihres ersten Hauses gestemmt. Er würde immer ein Teil von ihr sein – vor allem weil er der erste Mensch gewesen war, der Bettys Ankunft auf dieser Welt miterlebt hatte, da Sadie zu benebelt von den Schmerzmitteln gewesen war, um zu begreifen, was gerade passierte.

Sie war sich nicht sicher, was sie von Bettys aufkeimender Beziehung zu ihrer Tante halten sollte. Thomasina wirkte so exzentrisch, und es war befremdlich, zu hören, dass sie selbst in dem kleinen Häuschen nicht willkommen war. »Sie hat nur mich eingeladen«, hatte Betty extra betont. Trotzdem hatte Sadie nicht das Gefühl, dass sie versuchen sollte, die Freundschaft zu unterbinden. Schließlich hatte sie sich für Betty immer mehr Verwandte gewünscht. Jack war Einzelkind älterer Eltern, während Sadie aufgrund von Marguerites Verschlossenheit so gut wie nichts über ihre Familie wusste. Sie hätte sich über das Band freuen sollen, das Betty zu Thomasina knüpfte, doch stattdessen hoffte sie, ihre Tochter würde so vernünftig sein, auf ihre Intuition zu hören und das Gerede der alten Frau nicht allzu ernst zu nehmen. Thomasina war offensichtlich immer noch traumatisiert von ihren Erlebnissen als Kind. Außerdem war psychische Labilität im Familienstammbaum prächtig gediehen – ein Gedanke, den Sadie nur ungern weiterverfolgte.

Es würde ein heißer Tag werden. Im Radio brachten sie schon den ganzen Vormittag Warnungen über Buschfeuer. Sie würde sich, so gut es eben ging, beschäftigen, um nicht über Jacks unerwartete Abreise nachzudenken. Sie hatte gerade zwei Artikel zu schreiben, die sie beide demnächst einsenden musste, und beschloss, sie im Lauf des Vormittags fertigzustellen. Da sie noch etwas zusätzliche Motivation brauchte, um das bis zur Mittagszeit zu schaffen, rief sie Maria an und fragte, ob sie Lust auf ein gemeinsames Mittagessen hätte. »Nichts Aufregendes, aber ich könnte ein bisschen Fisch und Salat machen.«

»Klingt prima.« Maria klang so begeistert wie immer. »Ich bringe eine Flasche Wein mit und hole auf dem Weg im Silver Starfish noch was von dem köstlichen hausgemachten Pistazieneis. Schreib du jetzt mal deine Artikel fertig, damit wir es uns dann richtig gemütlich machen können!«

Als Friedensangebot rief Sadie als Nächstes Gracie an. Da sich nur der Anrufbeantworter meldete, hinterließ sie eine mündliche Einladung und legte dann wieder auf. Ob Gracie wohl kommen würde? Sie hatte auf Garys Zurückweisung schon ein bisschen überreagiert. Eigentlich müsste ihr doch klar sein, dass er kein Interesse an ihr hatte. Schließlich hatte er bereits eine Freundin, und Gracie war überhaupt nicht sein Typ. Abgesehen davon war Sadie überzeugt davon, dass Gracie ohne ihn besser dran war, nach dem, was sie jüngst über Gary erfahren hatte. Sie hatte Gracies ungewöhnliche Gesellschaft liebgewonnen. Wenn sie doch nur vernünftig mit Gracie reden und sie dazu bringen könnte, ihre eifersüchtigen, verdrehten Gedanken über Sadie und Gary zu vergessen!

Sadie ließ sich im ehemaligen Kinderzimmer nieder, das sie in ein Arbeitszimmer verwandeln wollte; dort warteten Kisten mit Büchern und Papieren darauf, ausgepackt zu werden. Zwei Stunden vergingen wie im Flug, und es gelang ihr, zumindest einen der Artikel fertig zu schreiben. Sie legte ihn beiseite, um ihn später am Nachmittag noch einmal zu lesen. Dann klappte sie den Laptop zu, streckte sich und ging nach unten, um den Fisch zu grillen.

Maria kam um zwölf mit zwei Flaschen Wein und dem versprochenen Eis im Arm. »Bei der Hitze ist es vermutlich schon geschmolzen«, beschwerte sie sich. »Unten im Süden gibt’s sogar Buschfeuer. Du siehst hübsch aus! Was für ein tolles Kleid.« Sadie trug ein Kleid im Stil der fünfziger Jahre, bedruckt mit einem Retromuster aus Pariser Straßenszenen. »Vor allem dieser hübsche Stoff«, meinte Maria bewundernd, als Sadie für sie eine Drehung vollführte. »In diesem Haus ist es himmlisch kühl, nicht wahr?«

Sadie musste zugeben, dass es im Haus in der Tat eiskalt war. An einem Tag wie diesem stellte das eine willkommene Zuflucht vor der brennenden Hitze dar – aber die kühlen Temperaturen hatten auch etwas Anstrengendes an sich, als würde einem die Kälte in die Knochen kriechen und sich dort festsetzen, gepaart mit einer seltsamen Lethargie.

»Ich bin heute Morgen Gracie begegnet, und sie hat uns zwei Flaschen von ihrem eigenen Wein gestiftet. Sie meinte, sie hätte einen Zahnarzttermin.« Maria hielt ihr die Flaschen hin.

Sadie hatte einen grünen Salat mit Oliven und Schafskäse vorbereitet, dazu knuspriges Baguette vom Bäcker. Sie beschloss, im Garten zu essen, trug alles hinaus, stellte Gläser für Gracies selbstgekelterten Wein auf den Tisch und rief Betty zum Essen.

Ihre Tochter streckte den Kopf aus Thomasinas Tür. »Nein, Mum! Wir unterhalten uns«, meinte sie. »Ich hatte schon ein paar von Thomasinas Currymuscheln. Die waren echt lecker.« Sie verschwand, tauchte aber eine Minute später wieder mit einem kleinen zugedeckten Teller auf. »Thomasina schickt dir welche zum Probieren. Sie sind köstlich!«

Sadie beschloss, die kleine Portion dampfender Muscheln in Currysauce als Vorspeise zu servieren. »Na los, greif zu!«, forderte sie Maria auf. Sie verspeisten das einfache Mahl, und Maria erzählte ihr nebenher den ganzen Tratsch aus der Stadt.

»Ich hatte gehofft, dass Gracie kommt«, meinte Sadie. »Ich hab sie eingeladen, aber sie hat nicht geantwortet.«

»Ach, du kennst doch Gracie. Sie schmollt wegen Gary wie eine Dreijährige. Lass ihr ein bisschen Zeit, sie kommt schon drüber weg. Und es wird ihr leidtun, dass sie den Nachtisch verpasst hat.« Grinsend löffelte Maria den letzten Rest Eiscreme. »Hat dir Simon eigentlich gefallen?«, fragte sie plötzlich. »Er schien ziemlich angetan von dir.«

»Meinst du das ernst?« Sadie öffnete die zweite Flasche von Gracies Wein. »Ich fand, er wirkte recht barsch. Ich hatte das Gefühl, dass er absolut nichts von mir hält. Es waren ja kaum mehr als zehn höfliche Worte aus ihm herauszubekommen.«

»Deshalb weiß ich, dass er von dir angetan war.« Maria lächelte. »Wie ich schon auf dem Markt sagte, es geht mich nichts an und ich werde auch nichts weiter dazu sagen, falls du etwas mit Gary anfängst. Aber ich würde nur ungern zusehen, wie er das Leben einer weiteren meiner Freundinnen zerstört. Und die Leute reden hier. Das ist das Schlimmste an einer Kleinstadt. Sie zerreißen sich schon das Maul, seit man dich mit ihm vor der Scheune gesehen hat.«

»Keine Sorge, Maria«, versicherte Sadie ihr. »Ich gebe zu, als ich Gary das erste Mal gesehen habe, fand ich ihn schon irgendwie attraktiv. Aber er ist nicht wirklich mein Typ. Ich wünschte nur, Gracie würde ihm nicht weiter nachstellen und mir verzeihen, was auch immer ich ihrer Meinung nach getan habe. Ich vermisse sie!«

Maria erhob ihr Glas. »Auf abwesende Freunde!« Als sie miteinander anstießen, fragte sich Sadie, was wohl ihre Großmutter von all diesem sensationslüsternen Klatsch gehalten hätte. Manche Dinge veränderten sich selbst über Jahrzehnte hinweg nicht. Die Leute waren immer wild darauf, sich über Sex und Skandale auszulassen.

»Ich sollte dann mal los«, verkündete Maria schließlich widerwillig. »Warum vereinbaren wir nicht einen Termin, um diesen Keller zu streichen? Ist doch eine Schande, den einfach den Spinnen und dem Staub zu überlassen.«

»Maria, glaubst du an Geister?« Sadie kam sich albern vor, ihrer pragmatisch denkenden Freundin diese Frage überhaupt zu stellen.

»Tue ich«, antwortete Maria überraschenderweise. »Ich habe sogar mal einen Geist im Piratennest gesehen, kurz nachdem wir es gekauft hatten. Davor dachte ich immer, Leute, die behaupten, sie hätten Geister gesehen, wären ein bisschen plemplem. Aber sie stand da im oberen Schlafzimmer, so klar und deutlich, wie ich dich jetzt vor mir sehe. Eine Art Dienstmagd mit langer weißer Schürze und altmodischen Kleidern und steckte das Bettzeug fest. Ich habe sie gesehen und sie hat sich umgedreht, als könnte sie mich nicht sehen – dann ist sie verblasst. Das Ganze war so bizarr. Ich habe sie Rhonda getauft, und wir hatten gehofft, sie wieder zu sehen, aber nein. Die Gäste lassen sich trotzdem gerne von unserer Geistermagd erzählen.«

»Glaubst du, in diesem Haus hier spukt es?«, fragte Sadie.

Maria schaute sich um. »Alle behaupten, dass es so ist, weil Pearl hier umgebracht wurde. Und es ist wirklich kalt da drinnen. Ich weiß nicht. Ich müsste sie sehen, bevor ich es glaube!« Maria lachte. »Pearl war schon ein seltsamer Vogel, nicht wahr?« Sie wies mit der Hand auf die Skulpturen im Garten. »Ihre Geschichten sind ziemlich düster. Diese ganzen Stachelranken-Männer, die Dinge verschlingen. Ich glaube, eine Menge kreativer Menschen sind ein bisschen verrückt.« Sie senkte die Stimme. »Thomasina scheint mir auch nicht alle Tassen im Schrank zu haben, wenn ich das so sagen darf.«

Nachdem Maria gegangen war, saß Sadie noch eine Weile im Garten und versuchte, nicht an die wartenden Artikel zu denken. Es war so verlockend, in der Sommerhitze ein Schläfchen zu halten, und der Alkohol machte sie müde. Durch halb geschlossene Lider betrachtete sie die Statuen der Stachelranken-Männer mit ihren erhobenen Fäusten und offenen, schreienden Mündern. Als kleines Kind hatte sie Alpträume bekommen, als Marguerite ihr zum ersten Mal die Geschichten vorlas. Daraufhin hatte Marguerite die Bücher versteckt, aber natürlich machte die Angst für die kleine Sadie einen Teil des Reizes aus. Obwohl sie die Bücher von Enid Blyton, Roald Dahl, Edith Nesbit und Ethel Turner bevorzugte, blieb die Erinnerung an die Figuren in Pearls dunklen, seltsamen »Silbertalgeschichten«. Der Gedanke war schon komisch, dass ihre Großmutter sich einige davon an genau dem Ort ausgedacht hatte, an dem Sadie jetzt saß.

Sie schloss die Augen und sah Pearl vor sich, die hektisch etwas aufs Papier kritzelte, während die Kinder, gegen die Kälte warm eingepackt, in der Nähe spielten. Ein Teil von Sadie war sich vollkommen bewusst, dass sie sich in der Gegenwart befand – sie konnte Thomasina und Betty im Häuschen drüben lachen hören. Dann vernahm sie die fernen Klänge eines alten Jazz-Songs: »Ain’t Misbehavin’«. Thomasina hat wohl das Radio an, dachte sie. Als die Sonne sie immer tiefer in den Schlaf lullte, sah Sadie eine andere Szene im selben Garten vor sich, in der Pearl rauchend im weißen Schnee stand, während ihre Kinder einen Schneemann bauten.

»Was macht Angels Schürze auf diesem Ding?« Ein gutaussehender junger Maxwell war an ihre Seite getreten. »Verflixt! Ist das kalt hier draußen! Komm doch rein, Liebling.«

Pearl lachte. In Sadies Traum war sie sogar noch schöner als auf allen Fotos. Ihre Haut leuchtete, ihre Augen waren riesig und dunkel. Doch trotz ihrer Schönheit hatte sie etwas Hartes und Sprödes an sich. Eine Zerbrechlichkeit, wie Zweige aus Glas.

»Ich finde, sie steht Miss Frosty viel besser, als sie ihr je gestanden hat. Und dort, wo sie jetzt ist, wird sie ihre Schürze sowieso nicht brauchen, nicht wahr, Miss Frosty? Mein Gott, Maxwell, das war doch nur ein Witz! Er hat überhaupt keinen Sinn für Humor, was, Miss Frosty?«

»Kommt ins Haus, ihr zwei!«, rief Maxwell den Mädchen zu. »Sonst verwandelt ihr euch noch in Eisklötze.«

Ein Vogel über ihnen stieß einen krächzenden Ruf aus. Pearl blickte zum Himmel und auch Sadie sah kurz hinauf, wo sich nackte, hexengleiche, schwarze Äste wie Arme nach oben streckten. Etwas an der Bewegung und Neigung von Pearls Hals, ihr schwarzer Bob vor dem graublauen Winterhimmel, erinnerte Sadie an die Stachelranken-Männer.

»Liebling, nicht!« Sie hörte Maxwells erschrockene Stimme.

Sadie stieß einen Schrei aus. Pearl kam auf sie zu, das Gesicht vor Bosheit verzerrt. Sie hielt einen Stock in der erhobenen Hand. »Wie kannst du es wagen, du kleines Luder!«, kreischte sie. »Wag es ja nicht, mich zu ignorieren. Schau mich an, wenn ich mit dir rede!« Der Stock fuhr hart auf Sadies Rücken nieder.

Sadie öffnete die Augen. Ihr war übel und etwas schummrig. Sie saß immer noch im Garten, und vor ihr standen Thomasina und Betty und starrten sie an.

»Mum? Ist alles in Ordnung? Du hast geschrien.« Betty wirkte verängstigt. »Hast du schlecht geträumt? Du hast Thomasinas Namen gerufen.«

»Wirklich?« Sadie sah Thomasina an, die sie mit einem seltsamen Gesichtsausdruck beobachtete. »Ich glaube, der Wein ist mir nicht bekommen. Ich hatte einen seltsamen Traum.« Sadie richtete ihren Blick wieder auf Betty. Am liebsten hätte sie das Poet’s Cottage auf der Stelle verlassen, hätte ihre Koffer gepackt und wäre zurück nach Sydney geflogen. Sie hatte den Hass auf Pearls Gesicht immer noch vor Augen und fühlte den Stockschlag auf dem Rücken. Der Traum hatte so echt gewirkt.

Sadie zuckte zusammen, als Thomasina plötzlich mit ihrem Gummistiefel aufstampfte.

»Wespe«, erklärte sie. »Besser, man bringt die Mistviecher um.«

Sadie erhob sich mit wackligen Beinen. Ich muss einen Sonnenstich haben, dachte sie. Die Wespe zappelte kraftlos am Boden und die Hälfte ihrer Innereien hing aus dem winzigen Körper heraus. Thomasina trat ein weiteres Mal auf das Insekt.

»Besser, man bringt sie schnell um«, meinte sie nüchtern.

Sadie spürte, wie der Boden plötzlich auf sie zugerast kam, als ihr etwas passierte, wovon sie bisher nur in Büchern gelesen hatte. Sie wurde ohnmächtig.