Vorwort

Es ist schon erstaunlich, wie viele Menschen – Ärzte und Patienten eingeschlossen – die Genauigkeit des homöopathischen Wissens, das wunderbare Konzept der zugrunde liegenden Naturgesetze, die präzise methodische Ausübung und die empirische Erfahrung noch nicht kennen und doch instinktiv wahrnehmen, dass die Homöopathie wesentlich ungefährlicher, tief greifender und erfolgreicher wirkt als die Allgemeinmedizin, deren Allgegenwärtigkeit sie sich bisher anvertrauten.

Ich glaube jedoch nicht, allein mit dieser Feststellung Menschen für die homöopathische Heilweise zu begeistern. Dem fern-östlichen Annehmen, Gewährenlassen und Sich-Bewähren steht das westliche „Warum?“ im Weg. Letzteres ist leicht zu begründen: Homöopathie kümmert sich um den ganzen Menschen. Besonders die Fälle, in denen ein Mensch chronisch leidet und wenig krankhafte Befunde zu erheben sind, in denen ein Mensch nicht mehr nach Pauschalnormen funktioniert, seine Willensstärke, seine Widerstandskraft, sein lebendiges Vermögen gegen alle Erwartungen versagen, begünden die wahrhaft heilsame Domäne der homöopathischen Arznei. Denn die Befindlichkeit des kranken Menschen ist eine höher zu bewertende Tatsache als jegliche Befunde der klinischen Medizin.

Unkritische Spaßvögel mögen behaupten, Homöopathie sei eine psychotherapeutische Placebotherapie. Gewiss, für den homöopathisch behandelnden Laien, für den Homöopathen oder den medizinischen Fachmann ist ein mitfühlendes Herz und ein liebevolles Verständnis für den kranken Mitmenschen notwendiges Fundament seines Handelns. Der heutige Patient jedoch ist – meist aus langjähriger Enttäuschung – empfindlicher geworden für das, was in einer Praxis, besonders in einer homöopathischen, geschieht. Nur Trostworte, nur Hoffnungsvermittlung, das ist kein eigenständiges Therapiekonzept, wie es die Homöopathie für sich in Anspruch nimmt. Wir therapieren eben nicht die Diagnose, sondern bestimmen die Therapie durch ein exakt definiertes Aufsuchen der heilenden Arznei. Und das Geheimnis der Exaktheit ist nicht die Pauschalierung von Kranken durch Zuordnung von Diagnosen, das Geheimnis besteht vielmehr in der Individualisierung der Leidensformen eines Menschen. So werden homöopathisch mündige Laien und homöopathische Behandler zu Künstlern des Möglichen im Leben, wobei das Mögliche zwar verborgen, aber nichtsdestotrotz vorhanden ist. Das kann eine moderne Medizin bisher nicht für sich in Anspruch nehmen.

Nicht nur das funktionelle Regulationsvermögen unterliegt der wundersamen Wirkungsweise der homöopathischen Arznei, auch die leiblich manifeste chronische Erkrankung findet ihre Heilung, wenn wir die wissenschaftliche Exaktheit der homöopathischen Krankheitslehre anwenden. Wir müssen die Schichten des chronischen Prozesses schälen wie eine Zwiebel, Hülle um Hülle, müssen die tief liegenden Krankheitsbedingungen der Vererbungslehre respektieren, müssen die Bilder der homöopathischen Arzneien in uns tragen, um sie in den Bildern wiederzuerkennen, die uns der chronisch leidende Mensch in all seinen Schichten bietet.

Weniger bekannt, aber ganz besonders erfolgreich ist die homöopathische Wirksamkeit bei akuten Erkrankungen und Notfällen. Akutes hat seine eigene Begrenzung. Und in sehr schwerwiegenden Fällen kann das bedeuten: Entweder man erholt sich oder man stirbt. Von solchen Krisen soll in diesem Buch auch die Rede sein, um das Sterben zu verringern, um mehr Leben zu ermöglichen.

Um das zu verinnerlichen, brauchen wir eine neue Philosophie des Krankheitsprozesses. Bakterien, Viren und Pilze zeigen nur eine Milieustörung an. Sie sind nur Indikatoren, nicht Initiatoren einer Erkrankung. Deshalb gilt es, nicht sie zu vernichten, sondern das Terrain, auf dem sie gedeihen, das Milieu, zu sanieren. Ein schlecht durchblutetes Milieu ist ein Leckerbissen für Mikroben, Pilze und Würmer und wird dadurch zum Nährboden für allerlei Krankheitsprozesse. Die homöopathische Arznei wirkt nun nicht nur auf das lokale Geschehen, sondern auf die Gesamtheit des erkrankten Menschen. Dadurch wird jener im Zuge seiner Heilung für alle Indikatoren als Wirt ungenießbar, weshalb sie ihn kurzerhand wieder verlassen.

Es ist jedoch nicht zwingend, dass Sie all das verstehen, bevor Sie die erste homöopathische Arznei für eine akute Störung auswählen und verabreichen. Vieles lernen Sie im Zuge der Zeit mit wachsender Erfahrung. Und um eben diese kostbare Erfahrung geht es. Jetzt und in Zukunft!

Also üben wir: das kranke Bild wohl zu beobachten, zu unterscheiden, um uns für das entsprechende Bild der Arznei zu entscheiden. Denn nur Übung wandelt uns wahrlich zum Besseren. Und jedem wahrhaftig Übenden steht sein Schöpfer bei, damit nichts misslingen kann. Auf die Philosophie der homöopathischen Theorie komme ich später noch zurück.

Der medizinische Laie, der seine Gesundung und die seiner Lieben selbstverantwortlich tragen und deshalb homöopathisch mündig werden möchte, ist zur Selbstbehandlung geradezu aufgerufen nicht im Weg, so dass er unvoreingenommen die Sprache des Leidenden arzneilich umsetzen kann. Die auf das Leid zutreffenden Arzneien voneinander zu unterscheiden und sich für eine, die Entsprechendste, zu entscheiden, vermittelt dem Hilfesuchenden eine ungeheure Sicherheit, die sich ihm unausgesprochen mitteilt. Der Erkrankte fühlt sich wohl dabei, seine Beobachtungen bezüglich der Entwicklung seines Leids in eigene Worte und einfache Erklärungen der Zusammenhänge fassen zu dürfen. Er fühlt sich durch unser Zuhören bestätigt, fühlt sich ernst genommen, angenommen, wohlverstanden und heimisch. Das schenkt ihm und uns die Einsicht in unvermeidliche Beschwerden, die, geduldig ertragen, uns wandeln sollen. Zu diesem Unterfangen wünsche ich Ihnen jenen vertrauenden Mut, den Kinder noch besitzen, wenn sie sich von der fünften Treppenstufe herab in unsere Arme fallen lassen. Versuchen Sie es, es klappt! Zu guter Letzt habe ich diese „Hausapotheke“ zur Steigerung Ihres Selbstvertrauens neu konzipiert, so dass Sie jetzt in Mußestunden übersichtlicher nachlesen und im Notfall rascher nachschlagen können.

Es verbleibt mir, aus tiefem Herzen meinen Verlagsfreunden zu danken. Mit ihnen wurde dieses Patientenbuch möglich. Jeder hat das Seine dazu beigetragen.

Dr. med. Norbert Enders