17

NACHDEM WIR UNS unterwegs in einem am Fluss gelegenen Pub mit einem Ploughman’s Lunch

– Käsebrot und Salat – gestärkt hatten, kehrten wir in die St. Cuthbert Lane 42 zurück. Kurz gingen wir in Gabriels Wohnung, um Stanley zu holen, dann fuhren wir mit dem Aufzug nach oben. Miss Beachams Wohnung roch etwas muffig, sodass ich gleich die Balkontür aufriss, sobald ich die Jacke im Bad aufgehängt und meine Tasche auf dem Zylinderpult abgelegt hatte. Der heftige Wind sorgte schnell für frische Luft.

»Ich verstehe nicht, warum du unbedingt Stanley mit nach oben nehmen wolltest«, brummte Gabriel, während der schwarze Kater über den Gang zur Küche raste. »Hier gibt es doch kein Futter mehr für ihn.«

Ich maß ihn mit einem strengen Blick. »Im Leben einer Katze gibt es mehr als nur Fressen.«

»Aber nicht sehr viel mehr.«

»Es ist nicht gut für sie, wenn sie so lange allein sind«, erklärte ich und schloss die Balkontür wieder. »Katzen fühlen sich dann einsam, weißt du.

Sie brauchen Gesellschaft. Außerdem hat Stanley schöne Erinnerungen an diese Wohnung.«

»Die meisten davon wohl eher an gutes Futter.«

Ich beschloss, darauf nicht mehr einzugehen.

Stattdessen öffnete ich den Mahagonischrank in der Ecke, in dem ich zwei Schreibblöcke und Bleistifte fand. »In Mrs Pollards Geplapper waren ja auch viele brauchbare Informationen verborgen.

Wir beide schreiben jetzt jeder für sich auf, was wir davon in Erinnerung haben, und vergleichen dann unsere Ergebnisse.«

Kaum hatten wir uns an den Spieletisch gesetzt und mit der Aufstellung unserer Listen begonnen, suchte sich Stanley ausgerechnet diesen Platz aus, um herumzutollen und uns die Arbeit zu erschweren, indem er mit einer Vielzahl versteckter Hinweise unsere Aufmerksamkeit forderte. So sprang er auf den Tisch, marschierte zwischen unseren Blocks hin und her, ließ sich zwischendurch darauf nieder, stieß Gabriel und mir abwechselnd den Kopf zärtlich gegen Kinn und Wangen und schlug verspielt mit den Pfoten nach den Bleistiften. Ich war schon drauf und dran, ihn auf den Balkon zu verbannen, doch dann brachte er unvermittelt mein Herz zum Schmelzen, als er auf meinen Schoß kletterte und darauf einschlief.

»Wenn du nicht so süß wärst, wärst du längst tot«, flüsterte ich und streichelte ihm den Rücken.

»Aha!«, grinste Gabriel. »Du verstehst was von Katzen.«

Schweigend schrieben wir noch ein paar Minuten weiter, bis Gabriel seinen Stift beiseitelegte.

»Fertig«, verkündete er.

»Ich auch. Dann lass uns mal sehen, was wir haben.« Ich legte seinen Block neben meinen und begann vorzulesen. »In London arbeitet Kenneth Beacham für eine namentlich nicht genannte Investmentgesellschaft, die einem gewissen Walter James Fletcher gehört. Dabei lernt er Mr Fletchers Tochter Dorothy kennen, wirbt um sie und heiratet sie. Ein Jahr später bekommt sie ein Kind, das nach ihrem Vater Walter James genannt wird. Kurz darauf wird er befördert und – was für eine Überraschung – mit der Leitung der Zweigstelle in den Midlands betraut.«

Gabriel spann den Faden weiter. »Kenneth und Dorothy ziehen von London in ein Haus in der Crestmore Crescent in Willow Hills, eine Enklave für gut Betuchte zehn Meilen nördlich von Oxford.

Kenneth verdient gut genug, um sich Anzüge aus der Savile Row leisten zu können, und Dorothy entwickelt sich zu einem wahren Vorbild sowohl in karitativen als auch in gesellschaftlichen Kreisen.«

»Während sie gleichzeitig ihren Sohn vernachlässigen«, warf ich ein.

Gabriel sah von unseren Notizen auf. »Ich kann deiner Argumentation nicht ganz folgen.«

»In meinen Augen ist das vollkommen logisch«, verteidigte ich mich. »Sie haben James auf ein Internat geschickt – in diesem lächerlichen Land können Kinder schon mit acht in Eliteschulen gehen – und ihn dort gelassen, bis er alt genug war, um auf die High School zu wechseln, und das war bestimmt auch ein exklusives Internat. Von seinem neunten Lebensjahr an wurde er von seinen Eltern mehr oder weniger allein gelassen. Zum Beweis führe ich Mrs Pollard an.« Ich senkte den Blick auf meine Aufzeichnungen. »Sie hat gesagt, dass er gelegentlich zu ein paar Weihnachtsfesten heimgekommen ist.

Wenn das nicht Vernachlässigung ist, was dann?«

»Bei Angehörigen einer so hohen Schicht ist das ein völlig normales Verhalten«, entgegnete Gabriel.

»Mrs Pollard hat schließlich auch gesagt, dass Dorothy ihren Sohn vergötterte und ihn in die richtigen Kreise eingeführt hat. Nach Vernachlässigung klingt das eigentlich nicht.«

»Wahrscheinlich hat sie bloß gewartet, bis er alt genug war, um vorgezeigt zu werden«, grummelte ich. »Und dann hat sie ihn wie eine Trophäe zu ihren Partys geschleppt.«

»Und dein Beweis?«

»Das sagt mir einfach mein Bauchgefühl. Es ist doch nicht normal, wenn ein Kind bis auf ein paar Weihnachten nie daheim ist, egal welcher Schicht man angehört. Aber lass uns weitermachen.«

»Nach sechzehn Jahren als Gebietsleiter für die Midlands im Unternehmen seines Schwiegervaters wird Kenneth erneut befördert«, fuhr Gabriel fort.

»Diesmal muss er in den Norden nach Newcastle ziehen, wo er unseres Wissens immer noch lebt.

Finis.«

Er legte seine Aufzeichnungen weg und begann, mit den Fingern auf den Tisch zu trommeln. Der Lärm weckte Stanley, der nun von meinem Schoß sprang und sich in den Flur trollte. Bestimmt hatte er vor, sein Nickerchen auf Miss Beachams betagter Chaiselongue fortzusetzen. Ich stand meinerseits auf, streckte die Beine und zog den Vorhang vor dem nächsten Panoramafenster zurück, um kurz in die triste, graue Welt hinauszuspähen.

»Wie konnten Kenneth und Dorothy das alles unternehmen, ohne in den Zeitungen erwähnt zu werden?«, überlegte ich laut, den Blick weiter auf die Straße gerichtet. »Frauen, die Wohltätigkeitsbälle veranstalten, wollen Öffentlichkeit, und keine würde darauf verzichten, den Namen ihres Mannes mit einzuflechten, ohne den sie …« – ich machte eine wegwerfende Bewegung – »… und so weiter und so fort.«

»Und ich wüsste gern, warum Kenneth nicht nach London versetzt wurde«, brummte Gabriel.

»Dort dürfte schließlich die Firmenzentrale sein.

Das muss man sich mal vorstellen: Kenneth legt sich ins Zeug, damit er die Tochter des Chefs heiraten kann, rackert sich dann sechzehn Jahre lang in der Zweigstelle Midlands ab, und was hat er davon? Er wird in die tiefste Provinz nach Newcastle versetzt. Das riecht eher nach Bestrafung als nach Beförderung.«

»Am wichtigsten ist für uns aber etwas anderes«, erklärte ich. »Warum haben sie Miss Beacham ausgeschlossen? Mrs Pollard mag zwar blau gewesen sein, aber sie hat es geschafft, mich davon zu überzeugen, dass weder Kenneth noch Dorothy sich jemals dazu bekannt haben, dass er eine Schwester hatte.« Ich ließ den Vorhang los und wirbelte zu Gabriel herum. »Warum haben sie so getan, als würde sie nicht existieren? Es ist ja nicht so, als ob sie verrückt, eine Pennerin oder eine überspannte alte Tante gewesen wäre! Sie war eine allseits geachtete Dame mit einem Herz aus Gold und hatte haufenweise eigenes Geld. Warum haben sie sie so schlecht behandelt?«

»Es gibt nur eine Möglichkeit, das rauszufinden.« Gabriel faltete die Hände über unseren hingekritzelten Notizen. »Wir müssen sie fragen, Lori.

Wir müssen nach Newcastle fahren.«

»Und was tun wir dort?«, fragte ich gereizt.

»Uns mit einem Megafon an einer Straßenecke postieren und verlangen, dass Kenneth sich blicken lassen soll? Wir wissen immer noch nicht den Namen der Firma, und wenn ich an seine früheren Gewohnheiten denke, werden wir ihn auch im Telefonbuch von Newcastle nicht finden. Vielleicht haben wir in der Crestmore Crescent zu früh aufgegeben. Wir sollten noch mal hinfahren und mit ein paar Leuten mehr …« Ich verstummte jäh, als mein Handy klingelte.

»Ich schau mal nach, was Stanley macht«, sagte Gabriel und ging hinaus, um mich beim Telefonieren nicht zu stören.

Ich fummelte das Handy aus der Umhängetasche und warf einen Blick auf das Display. Die Nummer erkannte ich nicht, sehr wohl aber die Stimme am anderen Ende der Leitung.

»Ms Shepherd?« Mr Moss’ gepflegte Sprechweise kam klar und deutlich durch den Äther. »Darf ich annehmen, dass es Ihnen gut geht?«

»Bestens, danke«, antwortete ich und fügte lautlos hinzu: du zugeknöpfter Mistkerl.

»Schön«, sagte Mr Moss. »Ich möchte Sie nicht bedrängen, Ms Shepherd, aber die Auktion von Miss Beachams persönlichen Gegenständen ist für Donnerstag anberaumt. Haben Sie sich bereits entschieden? Haben Sie schon die Stücke ausgesucht, die Sie an sich nehmen möchten?«

»Äh, nein.« Ich schlug mir erschrocken gegen die Stirn. In meinem Eifer, Kenneth Beacham zu finden, hatte ich die Versteigerung ganz vergessen.

»Da sind noch die … äh … Bücher«, improvisierte ich, weil mein Blick gerade auf die Bücherregale fiel, die vom Fußboden bis zur Decke reichten. »Es sind so viele, und ich bin noch nicht dazu gekommen, sie, äh, alle zu sichten. Dafür benötige ich noch mindestens einen Tag.«

»Ich bedaure, Ihnen mitteilen zu müssen, dass ich die Frist nicht verlängern kann, Ms Shepherd.

Alles, was sich danach noch in der Wohnung meiner verstorbenen Mandantin befindet, muss ins Auktionshaus gebracht werden, damit der Versteigerer den Katalog auf den neuesten Stand bringen und die Gegenstände, die Sie für sich gewählt haben, herausnehmen kann. Leider kann ich Ihnen nicht mehr Zeit als bis spätestens morgen Mittag geben.«

»Na gut«, sagte ich. »Ich melde mich auf alle Fälle vorher noch mal bei Ihnen.«

»Danke, Ms Shepherd. Guten Tag.«

Ich verstaute das Handy wieder in der Umhängetasche und starrte bedrückt die Bücherwand an.

Schon steckte Gabriel den Kopf durch die Tür.

Offenbar bemerkte er meine missmutige Miene auf den ersten Blick, denn er fragte: »Stimmt was nicht?«

»Das war Mr Moss. Er wollte mich an die Versteigerung von Miss Beachams Nachlass erinnern.«

»Hoppla.« Gabriel lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen gegen die Wand. »Die Versteigerung hatte ich ganz vergessen.«

»Nicht nur du«, sagte ich düster.

Gabriel lächelte bereits wieder. »Na ja, eigentlich wollte ich dir sagen, dass ich Wasser aufgesetzt habe. Und die Milch im Kühlschrank ist auch noch genießbar. Komm, lass uns einen Tee trinken.«

»Das Wundermittel gegen alle Beschwerden!«

Ich brachte ein mattes Lächeln zustande und folgte ihm in die Küche.

Stanley tauchte auf, als wir uns an den so gründlich geschrubbten Kiefernholztisch setzten. Mangels Feinschmeckerfutter goss ich ihm Milch auf eine Untertasse, die er dankbar restlos aufschleckte. Danach sprang er auf die Spüle und schritt behutsam weiter zum Fensterbrett, wo er sich auf die Hinterpfoten setzte und hinaus zur Rotbuche starrte, wie um in Erinnerungen an vergangene Abenteuer zu schwelgen. Gabriel und ich saßen weiter am Tisch und schlürften unseren Tee.

»Es ist jetzt eine Woche her«, sagte ich nachdenklich, »eine ganze Woche schon, seit Miss Beacham gestorben ist. Das mag dir verrückt vorkommen, aber ich kann es immer noch nicht glauben, dass sie nicht mehr unter uns ist.«

»Du bist eben zu sehr damit beschäftigt, die Dinge in ihrem Sinne zu regeln, um auch noch um sie zu trauern«, meinte Gabriel. »Vielleicht wollte sie es ja so.«

»Zutrauen würde ich es ihr«, erwiderte ich und schürzte die Lippen. »Ich verstehe nur nicht, warum ich Mr Moss nicht einfach klipp und klar gesagt habe, dass ich die Versteigerung total vergessen habe.«

»Sei froh, dass du das nicht getan hast. Sonst hättest du dich womöglich verplappert und ihm verraten, was du inzwischen alles unternommen hast. Wenn Mr Moss tatsächlich die Absicht hat, aus Miss Beachams Ableben finanzielle Vorteile zu schlagen, könnte er durchaus Mittel und Wege finden, dir Knüppel zwischen die Beine zu werfen.«

»Das soll er ruhig versuchen«, knurrte ich.

»Dann hetze ich ihm Bill auf den Hals, und der heizt ihm ein, bis er sich wünscht, er wäre nie geboren worden.«

Gabriel wölbte die Augenbrauen. »Du kannst ganz schön wild sein, wenn du dich auf was versteifst.«

»Wild, äußerst hartnäckig und erschreckend zerstreut – so bin ich.« Ich sah mich in der Küche um. »Ich hab noch überhaupt nicht drüber nachgedacht, was ich aus der Wohnung mitnehmen möchte. Miss Beacham wollte, dass ich das Zylinderpult bekomme, aber hier gibt es so viele andere Stücke, und eines schöner als das andere …« Ich seufzte. »Wie soll ich mich da nur entscheiden?«

»Zu schade, dass du nicht einfach alles nehmen kannst«, sinnierte Gabriel. »Dann bräuchtest du nicht lange zu überlegen. Aber wo würdest du das alles hinstellen? In eurem Cottage habt ihr doch sicher alles, was ihr so braucht.«

Ich setzte schon zu einem Nicken an, doch unvermittelt wurde mein Blick leer und wanderte zu Stanley hinüber, der vor dem Fenster nur als Silhouette wahrzunehmen war. Mir war etwas in den Sinn geschossen, eine Idee, die so unerhört war, dass ich sie aus allen Blickwinkeln überprüfen musste, bevor ich sie aussprach.

»Lori?«, fragte Gabriel. »Was ist? Du siehst aus, als würdest du einen teuflischen Plan gegen Mr Moss aushecken. Sieh aber bitte zu, dass du Joanna nicht mit reinziehst. Sie mag ihren Job nämlich.«

»Warte hier«, sagte ich geistesabwesend. »Ich muss was überprüfen.«

Damit ließ ich ihn in der Küche sitzen und lief ins Wohnzimmer, wo ich in meiner Umhängetasche wühlte, bis ich endlich den Brief fand, den Miss Beacham mir einen Tag vor ihrem Tod geschrieben hatte. Ich las ihn zweimal, dann griff ich nach dem Handy und rief Bill an.

»Hey, Mr Rechtsanwalt!«, rief ich, sobald er abnahm, »ich brauche unbedingt deinen Rat …«

Zwanzig Minuten später kehrte ich mit Miss Beachams Brief in der Hand zu Gabriel zurück.

Stanley hatte sich mittlerweile auf die Chaiselongue im Schlafzimmer zurückgezogen. Gabriel hatte frischen Tee gekocht und schenkte mir ein. Ich griff nach meiner Tasse und hob sie empor.

»Ich möchte einen Toast aussprechen«, erklärte ich. »Auf Miss Beacham. Möge sie uns für alle Zeiten in Erinnerung bleiben.«

Gabriel stieß mit seiner Tasse an. »Du wirkst erstaunlich fröhlich. Darf ich fragen, was du im Wohnzimmer gemacht hast?«

»Ach, nicht viel.« Ich wippte ausgelassen auf meinen Zehen. »Nur deine Wohnung eingerichtet, das ist alles.«

»Wie bitte?«

Ich wedelte kichernd mit Miss Beachams Brief vor seiner Nase herum. »Ich darf alles nehmen, Gabriel! So steht es wortwörtlich in Miss Beachams Handschrift auf diesem Dokument. Darin gestattet sie mir ausdrücklich, jedes ihrer Möbelstücke, das mir gefällt, an mich zu nehmen

»Ich habe ja Zweifel, dass Mr Moss …«

Ich unterbrach Gabriel. »Mr Moss kann mich nicht aufhalten.« Erneut zitierte ich aus dem Brief:

» Ich habe Mr Moss angewiesen, Ihnen bei allen Entscheidungen, die Sie treffen, auf jede ihm mögliche Weise zur Seite zu stehen. Sie hat ihn angewiesen, mir zu helfen, Gabriel, egal wie ich mich entscheide! Falls Mr Moss versucht, ihren Auftrag anders zu interpretieren, zerrt ihn Bill so schnell vor Gericht, dass ihm schwarz vor Augen wird.«

Ich küsste den Brief. »Ich wusste doch, dass es sich irgendwann lohnen würde, einen Spitzenanwalt als Mann zu haben!«

Gabriel schüttelte skeptisch den Kopf. »Du kannst doch Miss Beachams Sachen nicht einfach mir schenken.«

»Warum nicht? Ich brauche sie nicht, du schon.«

»Aber die Möbel sind Tausende von Pfund wert.

Du kannst sie doch nicht einfach weggeben.«

Ich starrte ihn verständnislos an, bis mir dämmerte, dass er keine Ahnung hatte, wie wohlhabend ich war. Ich hatte ihm nie erzählt, dass ich von Tante Dimity ein Vermögen geerbt hatte, und er hatte nicht den Schimmer einer Ahnung, aus welcher Familie Bill stammte. Ich setzte mich und legte ihm eine Hand auf den Arm. Jetzt galt es, ihm die Wahrheit schonend beizubringen.

»Ich bin reich, Gabriel«, sagte ich. »Ich weiß, ich sehe nicht so aus und lasse es mir auch nicht anmerken, aber ich bin steinreich. Ich habe Father Julian vorletztes Jahr zu Weihnachten ein neues Haus gestiftet, damit die Gemeinde endlich ein vernünftiges Obdachlosenasyl hat. Und ohne meine Unterstützung würden die Aunt Dimity Attic Shops nicht existieren. Hast du schon mal von der Westwood-Stiftung gehört?«

»Unterstützt sie nicht eine Reihe von Wohlfahrtsorganisationen?«

»Dahinter stecke ich. Man könnte sogar sagen, ich bin die Westwood-Stiftung. Du nimmst meiner Familie und mir nichts weg, was wir zum Leben brauchen, wenn du Miss Beachams Sachen in deiner Wohnung aufstellst. Und Hand aufs Herz, Gabriel: Du musst dringend was wegen dieses grünen Vinylsessels unternehmen!«

Mit einem gedämpften Lachen verbarg Gabriel den Kopf in den Händen. Einen Moment lang dachte ich, er würde anfangen zu weinen, doch dann sagte er leise: »Solange Miss Beacham am Leben war, habe ich keinen Finger für sie gerührt.

Ich weiß nicht, ob ich jetzt, nach ihrem Tod, mir einfach ihre Möbel unter den Nagel reißen kann.«

»Sei nicht albern«, schalt ich ihn. »Wenn du an das Gespräch zurückdenkst, das wir kürzlich mit Mr Mehta hatten, wirst du dich erinnern, dass Miss Beacham sich mit Mrs Mehta zusammentun wollte, um für dich eine neue Frau aufzutreiben, sobald du über deine Scheidung hinweggekommen wärst. Sie wäre bestimmt nie auf eine solche Idee verfallen, wenn du ihr nicht am Herzen gelegen hättest. Ganz ehrlich, Gabriel, sie würde wollen, dass du ihre Sachen bekommst.«

Gabriel hob den Kopf. »Bist du dir da wirklich sicher?«

»So sicher, wie man es nur sein kann. Sie gehören dir, und zwar alle, wenn du sie willst.«

»Ich … mir fehlen die Worte.«

»Wenn ich du wäre, würde ich meine zwölf stärksten Freunde anrufen«, riet ich ihm. »Bis morgen Mittag müssen wir alles rausgeschafft haben.«