7
MEIN ERSTER GEDANKE war, dass ein Nachbar das Licht hinter Miss Beachams Fenstern entdeckt und die Polizei gerufen hatte. Dann fragte ich mich, ob Mr Moss selbst gekommen war, um zu sehen, was für eine Spinnerin das war, die eine Nacht in der Wohnung seiner Mandantin verbringen wollte.
Der dritte und beunruhigendste Gedanke war: Was würde der distinguierte und vornehme Anwalt tun, wenn er den Kater in der Wohnung entdeckte?
Hamish würde zweifellos in einem Tierheim landen und ich im Gefängnis wegen fahrlässiger Gefährdung historischer Möbel.
»Stillhalten«, forderte ich Hamish auf und hob warnend einen Zeigefinger. »Und dass du mir ja nicht maunzt!«
Hamish wälzte sich auf den Rücken und haschte verspielt nach meinem ausgestreckten Finger, ehe er sich wieder in der alten Position zusammenrollte, ohne allerdings einzuschlafen. Ich konnte spüren, wie seine leuchtend gelben Augen mir folgten, bis ich die Tür geschlossen hatte.
Als Erstes stürzte ich ins Wohnzimmer. Vorsichtshalber hatte ich am Morgen vor der Abfahrt Miss Beachams Brief in der Umhängetasche verstaut, um etwas in der Hand zu haben, falls jemand danach fragte, mit welchem Recht ich in ihr Zuhause eindrang.
Solcherart mit Miss Beachams Worten bewaffnet, trimmte ich meine Züge zu einem, wie ich hoffte, offenen, unschuldigen und vor allem vertrauenswürdigen Ausdruck, dann huschte ich in den Flur. Zu meiner Erleichterung war die Tür mit einem Spion ausgestattet. Auf Zehenspitzen schlich ich hin und spähte mit angehaltenem Atem hinaus.
Wenn der Mann mir gegenüber Mr Moss war, war der Anwalt weder so alt noch so gut gekleidet, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Ich schätzte den Kerl auf vielleicht vierzig. Er war groß und breitschultrig, und sein kurzes, dunkles Haar war grau gesprenkelt. Er hatte ein nettes Gesicht – gut aussehend, aber nicht umwerfend schön. Seine grauen Augen wirkten müde, und er hatte anscheinend vergessen, sich zu rasieren – sein Kinn zierte ein Stoppelbart.
Bekleidet war er mit abgewetzten Sandalen, dazu – wie ich erschauernd feststellte – weißen Socken, und sein übergroßer maschinengestrickter Pullover war – so vergammelt, wie er aussah – ein oft getragenes, uraltes Lieblingsstück. Der Pullover hing lose über eine mit Farbklecksen übersäte weite Trainingshose. Was ich auf den ersten Blick nicht zu beurteilen vermochte, war, ob dieser Mann zu Julian Brights Herde schlecht beleumdeter verlorener Schafe gehörte oder ein gewöhnlicher Vertreter der englischen Mittelschicht war, der sich nur etwas leger für einen Abend zu Hause angezogen hatte. Wie einer von den Anwälten, die ich in meinem bisherigen Leben kennengelernt hatte, kam er mir jedenfalls nicht vor.
Ich wich etwas zurück und rief: »Wer ist da?«
»Gabriel«, antwortete der Mann. »Gabriel Ashcroft von der Wohnung unten. Ich suche Stanley.«
»Hier wohnt niemand, der so heißt«, gab ich zurück und drückte das Auge wieder gegen den Spion.
Gabriel Ashcroft rührte sich nicht von der Stelle.
Mit einem verwirrten Gesichtsausdruck starrte er die Tür an und öffnete den Mund ein-, zweimal, ehe er sagte: »Verzeihen Sie, aber Ihre Stimme kommt mir nicht bekannt vor. Sind Sie zufällig Amerikanerin? Sind Sie neu im Haus?«
»Ja, ich bin Amerikanerin. Aber ich bin nicht eingezogen. Ich … bin hier auf Besuch.«
»Ach so.« Er scharrte unentschlossen mit den Füßen. »Na ja, wenn Sie zufällig einen schwarzen Kater mit gelben Augen sehen …«
Ich riss die Tür auf.
»… er … gehört mir«, schloss Gabriel stockend.
Er blickte mich kurz unsicher an, dann streckte er mir vorsichtig die Hand entgegen. »Hallo. Ich bin Gabriel Ashcroft. Ich glaube nicht, dass wir uns kennen.«
»Lori Shepherd.« Ich drückte ihm flüchtig die Hand. »Verstehe ich Sie richtig, dass Sie in diesem Haus leben? Und dass Sie einen schwarzen Kater haben … der Stanley heißt?«
Gabriel nickte.
»Wer ist dann Hamish? «, setzte ich nach.
Gabriel rieb sich das Stoppelkinn, als verdiente meine lächerliche Frage gründliches Überlegen.
Schließlich antwortete er: »Ich habe keine Ahnung.«
Ich steckte Miss Beachams Brief in die Gesäßtasche und hob stirnrunzelnd den Kopf. »Ich nehme nicht an, dass es in einem Haus zwei schwarze Katzen mit gelben Augen gibt.«
»Im Universum, da schon«, erwiderte Gabriel ernst. »In diesem Gebäude? Nein.«
Ich beäugte ihn misstrauisch. »Machen Sie sich über mich lustig?«
»Bestimmt nicht. Sie wirken nur ein bisschen …
nervös.« Er streckte beide Handflächen nach oben.
»Aber ich versuche wirklich nur, meinen Kater zu finden, Ms Shepherd …«
»Lori«, sagte ich mechanisch. »Nennen Sie mich Lori.«
»Gut, dann Lori. Und mich müssen Sie Gabriel nennen.« Er brachte ein schüchternes Lächeln zustande. »Ich lasse Stanley am Abend meistens raus, wissen Sie. Und manchmal findet er den Weg hier rauf. Ich glaube, er ist davon überzeugt, dass Miss Beacham …«
»Sind Sie mit Miss Beacham befreundet?«, unterbrach ich ihn.
»Nein. Wir leben nur im selben Haus.« Gabriel räusperte sich. »Was ich sagen wollte, Stanley hat die Gewohnheit, sich bei Miss Beacham einzuschmeicheln, bis sie ihn unten ins Haus lässt und aus Mitleid zu sich raufnimmt. Ich glaube aber nicht, dass seine Besuche sie stören – jedenfalls hat sie sich noch nie darüber beschwert. Sie gibt mir Stanley einfach zurück und wünscht mir einen guten Abend.« Er spähte an mir vorbei in den Flur.
»Ist Stanley zufällig in der Wohnung?«
»Er ist hinten im Schlafzimmer.« Ich winkte Gabriel herein. »Kommen Sie und sehen Sie selbst.«
Nach kurzem Zögern trat Gabriel in den Flur, um abrupt stehen zu bleiben und den Kopf von einem unschätzbar wertvollen Gegenstand zum nächsten zu drehen.
»Wie herrlich«, murmelte er. Er beugte sich über die japanischen Schriftrollen. »Das sind Afrikawas. Siebzehntes Jahrhundert. Herrlich, einfach herrlich.«
»Sie sind wirklich was Besonderes.« Ich musterte ihn neugierig. Der Flur schien ihn genauso in Erstaunen zu versetzen wie mich. »Haben Sie sie denn nicht schon mal gesehen?«
»Noch nie!«, rief er und wandte sich den Holzschnitten zu. »Miss Beacham hat mich ein-, zweimal reingebeten, aber ich war immer zu verlegen, um lang zu bleiben. Wie gesagt, sie beklagt sich nie über Stanleys Zudringlichkeit, aber ich habe trotzdem ein schlechtes Gewissen deswegen. Wenn ich wüsste, wie ich seine Besuche unterbinden könnte, würde ich das tun.«
»Kaufen Sie sich eine Axt«, schlug ich vor.
Gabriels Augen weiteten sich vor Entsetzen.
»Was?«
»Ich meine ja nicht für Stanley«, versicherte ich ihm hastig. »Kommen Sie mit. Ich zeige Ihnen einen Baum, den Sie sich mal anschauen sollten.«
Ich führte ihn in die Küche, öffnete das Fenster über der Spüle und forderte Gabriel mit einer Geste auf, näher zu treten. Er spähte in die Dunkelheit und warf mir dann einen Blick über die Schulter zu.
»Nein! Sie wollen doch nicht sagen, dass Stanley
…«
Ich nickte. »Auf diesem Weg ist er heute Abend hier reingekommen. Und ich bin mir sicher, dass er nicht zum ersten Mal auf den Baum geklettert ist.«
»Stanley war schon immer ein Draufgänger, aber das …« – Gabriel drehte sich wieder zu den dunklen Zweigen der Buche um – »… das grenzt an selbstmörderisches Verhalten. Wir leben im Erdgeschoss, Lori. Ich kann einfach nicht glauben, dass er sein Leben riskiert und so hoch raufklettert.
Ich frage mich nur, warum Miss Beacham nie ein Wort darüber verloren hat.« Er wandte den Kopf zum Flur. »Wo ist sie überhaupt? Ist sie verreist?
Hüten Sie die Wohnung für sie?«
Ich drehte den Kopf zur Seite. »Sie ist seit zwei Wochen weg. Haben Sie das gar nicht bemerkt?«
»Nein. Warum sollte ich auch?«
Ich lehnte mich gegen die Spüle und starrte ihn verblüfft an. »Sind Sie neu im Haus?«
»Nein, ich wohne hier seit vier Jahren. Warum fragen Sie?«
»Lassen Sie mich das auf die Reihe kriegen«, bat ich zunehmend ungläubig. »Ihre Nachbarin, eine ältere Dame, ist seit zwei Wochen verschwunden, und Sie machen sich nicht die Mühe, rauszufinden, ob sie noch lebt?«
Er hob beschwichtigend die Hände. »Das verstehen Sie nicht. Wie gesagt, wir wohnen im selben Haus, aber wir sind keine engen Freunde. Man grüßt sich, aber das ist auch schon alles. Hin und wieder laufe ich ihr bei den Briefkästen über den Weg, und gelegentlich kümmert sie sich um meinen Kater.«
»Gelegentlich?« Mit einem Griff über mich öffnete ich den Hochschrank.
Gabriel starrte verdutzt die Dosen mit den Leckerbissen für Katzen an, bis ich seine Aufmerksamkeit auf die blauen Porzellanschalen mit dem Weidenmuster lenkte.
»Das sind Stanleys Schalen.« Ich nahm den katzenförmigen Löffel vom Abtropfgestell. »Das ist sein Löffel. Miss Beacham hat eigens für ihn ein Katzenklo im Nebenzimmer aufgestellt.« Ich merkte, wie meine Stimme aus Wut über Gabriels entsetzliche Naivität immer lauter wurde. »Herrje, in der Tür ist sogar eine Katzenklappe. Ich denke, wir können mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass sie sich öfter als nur gelegentlich um Ihre Katze gekümmert hat.«
»Ich verstehe nicht, warum Sie so wütend auf mich sind«, erwiderte Gabriel. »Ich hab sie doch überhaupt nicht gebeten, meinen Kater zu füttern.«
Wütend war ich eigentlich nicht gewesen, bis er die verhängnisvollen letzten Worte sagte. Aber ich konnte einfach nicht fassen, dass dieser schüchterne und bescheidene Mann, der seine Katze liebte und sich mit höchster Wahrscheinlichkeit fürsorglich um seine betagten Eltern kümmerte, allen Ernstes nicht kapierte, warum er in den letzten zwei Wochen gerade mal fünf Minuten hätte erübrigen und bei der einsamen, alten Dame vorbeischauen sollen, die drei Stockwerke über ihm wohnte. Und sein Verblüffen steigerte meine ursprünglich milde Irritation zu einem Zustand, den man leicht mit rasender Wut hätte verwechseln können.
»Nein«, fauchte ich anklagend. »Sie haben sie nicht gebeten, Ihre Katze zu füttern, und Sie haben sie bestimmt auch nie gefragt, wie sie sich fühlt. Sie haben sich einfach Stanley geschnappt und sind gegangen.«
Gabriel hatte genug Anstand, um mich geknickt anzublicken. »So gesehen wirkt das in der Tat ein bisschen schäbig«, räumte er ein. »Aber ich möchte sie nicht gerne belästigen. Sie wirkt so … in sich ruhend.«
»Sie lag seit zwei Wochen im Radcliffe!«, rief ich.
Falten gruben sich in seine Stirn. »Im Radcliffe?«, wiederholte er.
»Richtig!«, blaffte ich. »Und in der ganzen Zeit, in der sie dort war, hat sie niemand besucht, auch Sie nicht. Und jetzt ist es zu spät. Sie wird nie wieder Besuch empfangen.«
Gabriel starrte mich entgeistert an. »Sie ist doch nicht …«
Ich schnitt ihm brutal das Wort ab. »Sie ist tot.
Gestern ist sie gestorben. Und niemand war in ihrer letzten Stunde bei ihr, niemand außer der Stationsschwester.« Ich rauschte ins Allzweckzimmer, packte eine der auf einem Regal gestapelten Tüten, marschierte damit zu Gabriel zurück und knallte sie ihm in die Hand. »Sie sollten besser das Katzenfutter mitnehmen. Stanley mag es, und Miss Beacham wird ihn nicht mehr füttern können.«
»Ich kann doch nicht …«
Schon wieder fuhr ich ihm über den Mund.
»Nehmen Sie es!«, befahl ich. »Das wäre nur in Miss Beachams Sinn. Stanley war ihr ein guter Freund. Sie würde wollen, dass er es bekommt.«
Widerstrebend füllte Gabriel den Beutel. Unterdessen wusch und trocknete ich Stanleys Löffel und Schalen ab. Und als er fertig war, packte ich ihm das in Papiertücher gewickelte Geschirr mit in den Beutel.
»Kommen Sie jetzt mit, Ihren Kater holen«, forderte ich ihn auf, schon auf dem Weg zum Schlafzimmer.
Als wir eintraten, entfaltete sich Stanley und streckte sich erst mal ausgiebig, dann sprang er elegant von der Couch und stieß seinen Kopf an Gabriels Knöchel. Gabriel hob ihn mit der freien Hand hoch. Zufrieden schnurrend ließ sich Stanley auf seiner Schulter nieder und rieb zärtlich sein Ohr gegen das von Gabriel.
Ich begleitete die beiden bis zur Wohnungstür.
Als Gabriel an mir vorbeiging, sagte ich: »Sie werden Stanley die traurige Nachricht noch beibringen müssen. Ich bin leider nicht dazu gekommen.«
Gabriel blieb abrupt stehen. Einen Moment lang versuchte er mir in die Augen zu sehen, dann schritt er weiter zum Aufzug.
»Tschüs, Stanley«, sagte ich sanft.
Wieder allein, ließ ich mich gegen die Tür sinken und ging die letzten Momente noch einmal im Geiste durch. Auf einmal wurde mir ganz flau im Magen, als mich die Erkenntnis traf, wie unaussprechlich grob ich gewesen war. Wer war ich denn, ich, mit meinen zehntausend Fehlern, dass ich anderen vorschrieb, wie sie sich zu verhalten hatten? Hastig riss ich die Tür auf und rief: »Gabriel?«
Doch Gabriel war schon weg.
Fast wäre ich ihm gefolgt. Ich wollte mich entschuldigen, zugeben, dass meine Reaktion vollkommen unangebracht gewesen war: selbstgefällig, anmaßend, ungerecht. Ich wollte ihm erklären, dass ich mich nicht über ihn geärgert hatte, sondern über die dumme Welt, in der er lebte, in der Menschen Tür an Tür wohnen konnten, ohne einander zu kennen. Mehr als alles andere wollte ich ihm sagen, dass ich wirklich nicht ihm böse war, sondern dem Tod, weil er mir Miss Beacham viel zu früh entrissen hatte. Doch Gabriel war fort, und ich bezweifelte, dass er mir die Tür öffnen würde, wenn ich ihm folgte. Im Gegenteil, er würde sie wohl eher noch verrammeln. Und es wäre nicht das erste Mal, dass ich einen erwachsenen Mann mit meinem überschäumenden Temperament in die Flucht geschlagen hatte.
Mit dem Vorsatz, am nächsten Morgen eine reumütige Entschuldigung unter Gabriels Tür hindurchzuschieben, verstaute ich Miss Beachams Brief in der Umhängetasche, nahm meinen Regenparka aus dem Kleiderschrank und hielt auf die Travertine Road zu. Wenn ich die Nacht in Miss Beachams Gästezimmer verbringen wollte, musste ich mir noch ein paar Kleinigkeiten besorgen.
Eine Stunde später kehrte ich beladen mit Toilettenartikeln, einem Satz frischer Unterwäsche, einem Nachthemd, einer kleinen Schachtel Teebeutel, einem Milchkarton, einer Tüte Zucker und einer abgepackten Mahlzeit aus einem indischen Restaurant in Miss Beachams Wohnung zurück.
Die Läden in der Travertine Road hatten alles gehabt, was ich brauchte, auch wenn es nicht so vertraulich zugegangen war, wie ich es von Finch gewohnt war. Jäh befiel mich Heimweh, als ich an das Fincher Postamt dachte, wo jede noch so kleine Transaktion bis zu einer Stunde dauern konnte, nicht etwa wegen langer Warteschlangen oder schleppender Bearbeitung, sondern weil Peggy Taxman dringenden Diskussionsbedarf hatte, ob über Sally Paynes magentafarbenen Trainingsanzug, Christine Peacocks Besessenheit von UFOs oder die ungewöhnlichen Kräuter in Miranda Morrows Küchengarten. Aber wie ich das sah, war eine Stunde, die einen der Kauf einer Briefmarke kostete, ein geringer Preis angesichts der Wärme, die man bei echten Kontakten mit seinen Mitmenschen erfuhr.
Ich verteilte meine Einkäufe auf die Räume, in denen ich sie jeweils benötigte, dann setzte ich mich in die Küche, um dort das Chicken Tikka Masala zu verzehren – abgepackte Speisen hatten auf einem Esstisch von Hepplewhite nichts zu suchen. Das Masala schmeckte trotzdem vorzüglich und diente mir als neuerliche Erinnerung daran, dass Städte durchaus ihre Vorteile hatten – Finch war nicht gerade für die ethnische Vielfalt in seinen Kochtöpfen berühmt. Nachdem ich in der Küche sauber gemacht hatte, ging ich in den Salon, um mir Miss Beachams Bücher vorzunehmen.
In einem der Regale entdeckte ich das Notizbuch von Cynthia Asquith. Ich zog es heraus und trug es zum Zylinderpult, um dort ein bisschen darin zu schmökern. Als ich mich ans Pult setzte, stach mir der zerknüllte Papierball ins Auge, den Stanley in meine Richtung gestoßen hatte. Plötzlich überkam mich Sehnsucht nach der lustigen Gesellschaft des schwarzen Katers, und einmal mehr fragte ich mich, wo er sein Spielzeug gefunden hatte.
Nur der Neugierde halber strich ich das Papier glatt und verspürte jäh einen Stich im Herzen, als ich die Handschrift, die es bedeckte, erkannte. Es war eine kräftigere Version der zittrigen Buchstaben in Miss Beachams Brief. Aber eine später verworfene Nachricht an jemand anderen enthielt das zerknitterte Blatt nicht. Miss Beacham hatte darauf eine lange Liste von Namen vermerkt. Jedem folgte eine Zahl, doch eine Reihenfolge oder durchgehende Nummerierung war nicht zu erkennen.
»Chalmers, fünfhundert«, murmelte ich beim Überfliegen. »Carrington-Smith, zweihundertfünfzig.
Mehta, siebenhundert. Formby, dreihundert …«
Die Namen sagten mir nichts. Ich nahm an, dass sie Geschäftsleuten gehörten, bei denen Miss Beacham Rechnungen beglichen hatte, und dass Stanley den zerknüllten Zettel im Büro unter dem Schreibtisch gefunden hatte, wo er nach einem schlecht gezielten Wurf – von einer schwachen Hand vielleicht? – neben dem Papierkorb auf dem Boden gelandet war.
Begierig darauf, mir Cynthia Asquiths Notizbuch vorzunehmen, schob ich die Liste zur Seite.
Damit verrutschte auch die Schreibunterlage aus grünem Leder.
»Du Tollpatsch!«, schimpfte ich mich entsetzt.
»Jetzt hast du sie kaputtgemacht!«
Ich blickte ängstlich über die Schulter. Halb erwartete ich, dass Mr Moss aus heiterem Himmel auftauchte und mich zur Schnecke machte. Als er ausblieb, legte ich das Asquith-Notizbuch auf den Boden und versuchte, die Schreibunterlage genau da zu platzieren, wo sie hingehörte. Zu meinem Schrecken zerbröckelte sie in meinen Händen.
»Damit ist der Fall klar«, erklärte ich dem Lederlappen auf dem Satinholz. »Jetzt weiß ich, welches Möbelstück zu mir nach Hause kommt.«
Mit einem verlegenen Lächeln über meine übertriebene Angst vor dem höflichen Mr Moss ließ ich das abgefallene Ende der Unterlage auf meinen Schoß sinken – und hörte jäh auf zu lächeln. Ungläubig blinzelnd beugte ich mich vor und starrte in das hohle Fach, das die Schreibunterlage bedeckt hatte. Ein Stofftier lag darin und starrte zurück. Es war ein mit einem Schottenrock bekleideter Igel.
»Hamish?«, sagte ich.