SECHS
Schwemmer steuerte mit links. Mit der Rechten rieb er seinen Nacken. Elf Kilometer zäh fließender Verkehr zwischen Dreieck Hallertau und Manching hatte man ihm angekündigt, und er glaubte jedes Wort. Neben ihm, auf dem Beifahrersitz des Dienstwagens, lag die Zeitung mit Högewalds neuestem Tiefschlag:
SATANISTENBAND: TARNUNG FÜR LINKE TERRORZELLE?
Das Fragezeichen war sehr klein geraten, fast konnte man es übersehen. Unter der Schlagzeile ein Foto von Severin Kindel in Handschellen, wie Kommissar Haderteuer ihn gerade ins Auto drückte. Von unserem Leserreporter Soundso. Im Artikel dann die Formulierung, dass der Enkel der Seherin ein Exklusivinterview zugesagt hatte, die Polizei dem aber durch die Festnahme zuvorgekommen sei.
Selbstverständlich hatte Högewald es nicht explizit geschrieben, aber der Artikel las sich, als habe Schwemmer Severin Kindel nur einlochen lassen, um der Öffentlichkeit brisante Informationen vorzuenthalten.
Und Högewald zufolge fragte sich diese Öffentlichkeit jeden Tag besorgter, was die Kripo Garmisch eigentlich zu verbergen habe.
Ganz gut, dass er sich die Zeitung an der Tankstelle gekauft hatte. Sie hatte ihn wacher gemacht als jede Tasse Kaffee. Das Handy in der Freisprecheinrichtung läutete. Es war Schafmann.
»Geht’s schon?«, fragte er.
»Muss«, antwortete Schwemmer. »Nutzt ja nix.«
»Schon Zeitung gelesen?«
»Kein Kommentar.«
»Was treibst du eigentlich? Wieso musst du nach Nürnberg?«
»Irgendwie möchte ich am Telefon nicht drüber reden … Ich hab dir einen Ausdruck ins Fach gelegt. Wirst du da draus schlau?«
»Halbwegs.«
»Die markierten Nummern sind die relevanten.«
»Die relevanten? Die von Bredemaier?«
Schwemmer brummte unzufrieden. »Erwähn den Namen nicht am Telefon.«
»Ja, sag mal? Wirst jetzt paranoid?«
»Würd ich nicht so sehen. Nicht in diesem Fall.«
»Na schön … Über was darf ich denn reden?«
»Wie war’s mit Herrn Schieb?«, fragte Schwemmer. »Hat er was gesagt?«
»Er wollte überhaupt nichts sagen. Aber ich bin dabei, ihn weichzuklopfen.«
»Wie?«
Schafmann lachte leise und ein bisschen selbstzufrieden. »Wir haben bei der Durchsuchung seines Zimmers insgesamt sieben Gitarren gefunden. Zwei, die er regelmäßig spielt, und fünf Sammlerexemplare. Da hab ich eingehakt.«
»Muss ich das verstehen?«
»Nein. Mein Bruder hat so ein Schätzchen zu Hause unter dem Bett liegen. Seit sein drittes Kind da ist, hat er nicht mehr drauf gespielt. Wie ich ihn kenne, holt er sie einmal im Monat raus, guckt sie an und weint. Als ich das Modell genannt habe, hat Herr Schieb mir zweieinhalbtausend Euro dafür geboten. Ohne sie gesehen zu haben. Das war der erste zusammenhängende Satz, den er gesagt hat.«
Schafmann amüsierte sich hörbar.
»Will dein Bruder die denn verkaufen?«
»Ach was! Darum geht’s doch gar nicht. Der Schieb glaubt, das wäre meine. Der Kindel übrigens auch. Wir reden jetzt quasi von gleich zu gleich miteinander. Unter Musikern.«
»Und wenn er die Gitarre sehen will?«
»Kriegt er. Die hab ich heut Morgen noch bei meinem Bruder abgeholt.«
»Und der gibt die dir einfach so? Wo die so wertvoll ist?«
»Wo denkst du hin? Mein Bruder hätte die nie rausgerückt. Aber seine Frau. Ich musste ihr nur sagen, wo das Gebot steht.«
»Aha … Den Kindel hast wieder nach Haus geschickt?«
»Klar. Die Isenwald rückt keinen Haftbefehl raus für ihn. Und wegen Dummheit darf ich ihn ja nicht einlochen.«
»Leider … Was ist denn mit diesem USB-Dings?«
»Schlechte Nachrichten. Das Passwort haben sie zwar geknackt, aber der Inhalt ist auch verschlüsselt.«
»Heißt was?«
»Wir kommen nicht dran. Keine Chance.«
»Keine Chance? Die tönen doch immer so rum!«
»So wie ich das verstanden habe, kann man das nur auf dem Rechner lesen, auf dem es auch gespeichert wurde.«
»Cherchez la PC«, sagte Schwemmer. »Hinter jedem großen Mann steht eine große Frau. Und hinter jedem großen Problem steckt ein verdammter Computer.«
»Manchmal könnte man glauben, du bist technikfeindlich.«
»Ich hab keinen Laptop, und ich hab keine Lederhose.«
»Und das traust du dich am Telefon zu sagen?«
»Meine nächste Beförderung ist seit gestern sowieso im Eimer«, sagte Schwemmer.
* * *
Danni grinste. »Du schaust aber komisch aus auf dem Foto«, sagte sie. »Du bist ja ganz weiß im Gesicht!«
Sie nahm die Zeitung hoch und zeigte ihrem Bruder das Foto.
Severin sagte nichts. Er saß mit finsterer Miene da und rührte seinen Kaffee nicht an.
»Was ist denn eine linke Terrorzelle?«, fragte Danni. Sie erhielt keine Antwort, worauf sie sich leicht beleidigt mit ihrem Nutellabrot beschäftigte.
Durch die geschlossene Küchentür hörten sie gedämpft Severins Handy klingeln, das an der Garderobe in der Tasche von Johannas schwarzem Mantel steckte.
Severin rührte sich nicht.
»Willst ned drangehn?«, fragte Johanna.
Er schüttelte den Kopf. Das Läuten hörte auf. Mit einer so plötzlichen Bewegung, dass Johanna und Danni zusammenfuhren, riss er die Zeitung vom Tisch, knüllte sie zusammen und schmiss sie wütend gegen das Küchenfenster, wo sie abprallte und dann in dem Kaktus auf der Fensterbank hängen blieb.
Johanna stand wortlos von ihrem Stuhl auf, zog sie aus den Stacheln und warf sie in den Mülleimer.
»Das ist doch Altpapier«, sagte Danni zaghaft.
»Na. Des is Müll«, antwortete Johanna.
»I muss nachher zur Polizei«, sagte Severin.
»Scho wieder? Warum?«
Severin zog die Schultern hoch, als friere er.
»Der Schafmann, der denkt, i war a dabei.«
»Kommst ins Gefängnis?«, fragte Danni.
»Danni! Nu red ned so an Schmarrn, Kind!« Johanna war lauter geworden, als sie beabsichtigt hatte, und Danni stiegen die Tränen in die Augen.
»Ah, komm her, war ned so gmeint«, sagte Johanna. Sie ging um den Tisch herum und nahm ihre Enkelin in den Arm.
»I geh ned in d’ Schul heut«, sagte Severin leise.
Johanna setzte sich neben Danni auf die Bank.
»Was meint ihr, solln mir drei mal miteinand fort? Für a Woch oder zwoa?«
»Fort?« Danni sah sie freudig überrascht an. »Ans Meer?«
* * *
Schwemmer bog auf den Parkplatz des Vier-Sterne-Hotels und stellte den Motor ab. Er fuhr sich mit den Händen durch die Haare, bevor er ausstieg. Es waren nicht ganz elf zäh fließende Kilometer gewesen, aber es hatte gereicht. Einen Vorteil hatte die lange Fahrt gehabt. Er hatte zum ersten Mal seit Tagen in Ruhe nachdenken können. Und es hatte sich gelohnt. Nun hatte er wenigstens eine Meinung, was die Motivlage anging. Eine Arbeitshypothese, mehr nicht, aber das war mehr, als er bisher gehabt hatte.
Draußen reckte er sich und machte ein paar Kniebeugen, um seinen Kreislauf in Schwung zu bringen, bevor er in das Hotel ging. Direkt neben dem Eingang auf dem Behindertenparkplatz stand ein schwarzer Audi A6 mit Wiesbadener Kennzeichen. Schwemmer betrat das Foyer. Dort fragte er die junge Dame hinter dem Tresen nach Polizeidirektor Frohnhoff, und sie leitete ihn zuvorkommend ins Restaurant. Die meisten Tische waren mit frühstückenden Hotelgästen besetzt. Seine Führerin wies auf einen kleinen runden Tisch am Fenster. An dem Tisch saß ein massiger, vollbärtiger Mann in einem Rollstuhl. Er begrüßte Schwemmer mit einem knurrigen »Morgen«, wies auf den freien Stuhl und beschäftigte sich dann damit, eine Semmel mit Leberwurst zu bestreichen.
Schwemmer legte ab. Ein Kellner erschien und nahm seine Bestellung auf, noch bevor er sich setzen konnte. Frohnhoff schwieg, bis der Mann verschwunden war.
»Sie sind spät«, sagte er dann mit einer Bud-Spencer-Stimme.
»Verkehr«, sagte Schwemmer.
»Früher losfahren«, sagte Frohnhoff.
Du mich auch, dachte Schwemmer. Wer wollte sich denn um diese Uhrzeit treffen? Ich etwa? »Lassen Sie es uns kurz machen«, sagte er laut. »Was ist mit Bredemaier?«
Frohnhoff trank geräuschvoll aus seiner Tasse und schenkte sich dann aus der Porzellankanne auf dem Stövchen schwarzen Tee nach.
»Weiß ich nicht«, sagte er.
»Warum wird er beschattet?«.
»Weil ich wissen will, was mit ihm ist.«
»Herr Kollege …« Schwemmer rieb sich die Nasenwurzel.
Frohnhoff wischte sich mit der Serviette den Mund ab. »Präzise Fragen«, sagte er dann, »sind das A und O.«
Schwemmer starrte ihn an.
Frohnhoff grinste nachsichtig. »Noch eine Frage?«
Schwemmer stand auf und griff nach seinem Mantel. Frohnhoff sah ihm gelinde überrascht zu. Der Kellner, der gerade Schwemmers Kännchen Kaffee brachte, ebenfalls. Frohnhoff wies erneut auf den Stuhl.
»Setzen Sie sich wieder hin. Ich habe verstanden.« Es klang nicht wirklich versöhnlich, aber immerhin verhandlungsbereit.
Schwemmer warf den Mantel wieder auf den freien Stuhl und setzte sich. Der Kellner, dem das Ganze sichtbar gleichgültig war, servierte und verschwand wieder. Schwemmer schenkte sich Kaffee ein.
»Bredemaier«, sagte Frohnhoff mit halb vollem Mund, »hat Kontakte, die uns nicht gefallen.«
»Welcher dieser Kontakte betrifft meinen Fall?«, fragte Schwemmer und griff nach seiner Tasse.
»Es gab vor acht Tagen einen Anruf von einer Mobilnummer, die sich in Garmisch befand.«
»Wo?«
»Details gleich schriftlich. Lassen Sie uns erst frühstücken.«
Er aß schweigend, während Schwemmer auf seinen Leberkäs mit Spiegelei wartete. Als der Kellner es lieferte, war Frohnhoff gerade mit seinen Semmeln fertig und griff in seine Aktentasche, die neben ihm auf dem Boden stand. Er legte Schwemmer eine dunkelgrüne Kunststoffmappe hin, die ein ziemliches Gewicht hatte.
»Das sind die Verbindungsdaten von Bredemaiers Handys, der letzten drei Monate. Einen Teil davon haben Sie gestern schon bei Hauptkommissar Schneider erbeutet.«
»Die Frage nach einer eventuellen Gerichtsverwertbarkeit spar ich mir«, sagte Schwemmer und nahm einen Bissen Leberkäse.
Frohnhoff lachte laut und basslastig. »Ich bitte darum. Das sind Zahlen auf Papier, weiter nichts. Es steht nicht einmal ein Absender drauf. Kein Gericht der westlichen Welt wird sich damit befassen.«
Er nahm die Mappe und ließ sie zurück in seine Tasche fallen.
»Bredemaier scheint Geld zu haben«, sagte Schwemmer. »Woher?«
»Vom Vater geerbt. Allerdings wird ihm das als Leibrente ausgezahlt. Ich nehme an, der kannte seinen Pappenheimer. Vielleicht trägt er deshalb die Klamotten seines alten Herrn auf. Als Protest. Bei uns verdient er sich nur sein Taschengeld.«
»Was macht Bredemaier in Garmisch?«
»Seinen Forscherjob. Telefoniert mit Leuten, die wir nicht kennen. Säuft. Ende der Antwort.«
»Was hat er mit den Morden und der Explosion zu tun?«
»Weiß ich nicht.«
»Interessiert Sie auch nicht«, sagte Schwemmer.
»Nicht auf der Ebene, auf der es Sie interessiert.«
»Sie wollen nicht, dass wir ihn festnageln.«
»Nein. Ich will wissen, was dahintersteckt. Und was immer es ist, es ist größer als ein toter Teenager.«
»Was erwarten Sie von mir?«
»Ich erwarte, dass Sie mit mir vor die Tür gehen. Ich muss rauchen.«
* * *
»Was wollns denn von uns?«
Severins offenkundiges Misstrauen änderte nichts an Bredemaiers gelassener Freundlichkeit. »Ich will deiner Großmutter helfen.«
»Warum?«, fragte Danni.
»Weil Sie Hilfe braucht.«
»Wegen dem Seve?«
»Wegen dem auch. Aber da kann der nichts für. Oder nur ein bisschen …«
Severin starrte ihn böse an, aber Bredemaier lächelte.
»Bei all dem, was passiert ist und was in der Zeitung steht, wäre es gut und schlau, einfach mal von der Bildfläche zu verschwinden.«
»Dürfns des überhaupt, als Bulle?«, fragte Severin.
»Es geht hier keinesfalls um irgendetwas Ungesetzliches. Es geht um einen Kurzurlaub. Im Inland.«
»Kann man da im Meer baden?«, fragte Danni.
»Nicht im April, nein. Das ist noch zu kalt.«
Johanna lehnte mit verschränkten Armen an der Küchentür.
»Und du redst mitm Direktor, zweng dem Unterricht?«, fragte sie Bredemaier.
Der nickte. »Ich hab schon vorgefühlt. Drei Wochen genehmigt er. Ausnahmsweise.«
»Also, i möcht gern«, sagte Danni.
Severin zuckte die Achseln. »Zweng mir. Wenn d’ Polizei sagt, des war okay …«
»Wann fahrn wir denn?«, fragte Danni.
»Ich weiß nicht. Heute?« Bredemaier sah Johanna an.
»Na. Ned heut. Des geht mir z’ schnell. Morgn, in da Früh.«
Alle sahen auf, als es an der Tür klingelte.
»I geh!«, rief Danni und war schon an Johanna vorbei in der Diele.
»Grüß Gott«, hörte Johanna eine Frauenstimme sagen. »Ich bin die Schwemmer Burgl. Ist deine Großmutter da?«
* * *
Frohnhoff rauchte filterlose spanische Zigaretten, die rochen, als beständen sie aus alten Matratzenfüllungen. Es hatte zu regnen begonnen, und der Wind trieb den kühlen Niesel unter das Hotelvordach.
»Bredemaier hat nicht geschossen. Er hat das Haus nicht gesprengt. Er hat nur telefoniert«, sagte Frohnhoff.
»Und damit ist er in ein Kapitalverbrechen verwickelt«, entgegnete Schwemmer.
»Oder zwei? Oder drei? Oder ein Dutzend?« Frohnhoff sog gierig an seiner Zigarette. »Sie rauchen nicht?«
»Nicht mehr. Wenn Sie wollen, dass ich die Finger vom ihm lasse, müssen Sie mir einen überzeugenden Grund liefern. Sagen Sie mir, welchen Verdacht Sie haben.«
»Das hätten Sie wohl gern! In meiner eigenen Behörde weiß niemand, dass es überhaupt einen Verdacht gibt.«
»Was ist mit Hauptkommissar Schneider?«
»Der hat keine Ahnung, um was es geht. Und seine Leute glauben, es sei eine Übung.«
»Verstehe.«
»Nein, Sie verstehen nicht. Sie wissen nicht, womit Sie es zu tun haben. Es geht um zwei Buchstaben: O und K. Organisierte Kriminalität. Wenn Sie denen in die Quere kommen, kann nicht mal ich Ihnen helfen.«
»Was Sie andernfalls natürlich täten.«
Frohnhoff grinste nicht mal. »Sie kriegen von mir die Verbindungsdaten. Dafür lassen Sie Bredemaier in Ruhe.«
»Was soll ich mit nicht verwertbaren Verbindungsdaten?«
Frohnhoff warf den Rest der Zigarette in den Regen hinaus. »Damit sollen Sie rausfinden, was Sie überhaupt beweisen müssen. Sie haben keine Ahnung, nach was Sie suchen. Sie stochern im Trüben.«
»Ich stochre im Nebel. Im Trüben fischt man.«
Frohnhoff machte ein abfälliges Geräusch und rollte wieder ins Hotel.
»Aber so dicht ist der Nebel gar nicht«, sagte Schwemmer, der neben ihm herging.
»Sie haben doch nicht mal ein Motiv«, sagte Frohnhoff und rangierte durch die ihnen entgegenströmenden Hotelgäste, die ihr Frühstück beendet hatten.
»Woher wollen Sie das wissen?«, fragte Schwemmer.
»Hat Bredemaier mir erzählt. Offiziell dienstlich.«
Frohnhoff steuerte zurück an seinen Platz.
»Vier halbwüchsige Amateure und zwei Profis«, sagte Schwemmer, als er wieder an seinem Platz saß. »Das einzige Motiv, das in die Konstellation passt, ist Erpressung. Die Jungs haben jemanden erpresst, mit etwas, das auf einem USB-Stick gespeichert ist. Der Erpresste hat zwei Killer engagiert, die bei der Geldübergabe den Boten erschossen. Aber Oliver Speck war eben nur der Bote.«
Frohnhoff nickte. »Sehe ich auch so. Jetzt müssen Sie nur noch rausfinden, wer da erpresst wurde.« Er griff in seine Tasche und reichte Schwemmer die Kunststoffmappe. »Ich denke, wir werden uns einig«, sagte er. Dann winkte er dem Kellner.
»Die Rechnung bitte«, sagte Frohnhoff. »Zusammen.«
* * *
»Irgendwie muss ich mich doch erkenntlich zeigen für Ihre großartige Medizin«, sagte Burgl.
Johanna stand etwas hilflos da mit dem großen Strauß Frühlingsblumen, den sie ihr überreicht hatte. Seit Ewigkeiten hatte sie keinen so großen Strauß mehr geschenkt bekommen. Die Kinder kamen manchmal mit kleinen Sträußen zum Geburtstag, aber so einen richtig großen, in Zellophan verpackten hatte sie das letzte Mal von Theo zum Hochzeitstag bekommen. Elf Jahre musste das jetzt her sein.
»Danni, schau amoi im Stubnschrank, ob du a Vasn findst«, sagte sie und bat den überraschenden Gast dann höflich in die Küche.
»Des is mei Enkel Severin, und des is …«
»Oh, Frau Schwemmer ist eine alte Bekannte von mir«, sagte Bredemaier. Er erhob sich und deutete formvollendet einen Handkuss an.
»Ja, wir kennen uns noch aus dem letzten Jahrtausend.« Burgl Schwemmer lachte.
»Jo, des is ja a scho wieder a weng her.« Johanna fühlte sich unsicher. Dass zwei Fremde zugleich im Haus waren, das war fast so lange her wie der Blumenstrauß. Sie wusste nicht, was sie zuerst machen sollte. Es erleichterte sie, als Danni mit einer großen Vase hereinkam, die sie weit unten und hinten im Bauernschrank gefunden haben musste. Johanna begann sorgfältig und umständlich, die Blumen in die Vase zu stellen, während ihre Gäste plauderten.
Dann stand Severin auf. »I muss zu … du weißt schon«, nuschelte er und ging aus der Küche.
Danni wollte lieber fernsehen, und so war sie bald allein mit ihren beiden Gästen. Herr Bredemaier wirkte bei aller Höflichkeit gehemmt; Johanna vermutete, weil er nicht wagte, in Burgls Beisein den Flachmann hervorzuholen. Sie bot Kaffee an, was beide ablehnten, aber sie bestand darauf, Kekse anzubieten. Als die Kekse auf dem Teller lagen und sie die Packung in den Mülleimer warf, fiel ihr Blick auf die zusammengeknüllte Zeitung darin. Auf einem Zipfel, der ihr entgegenragte, war ein Foto, und etwas veranlasste sie, danach zu greifen. Bredemaier und Burgl Schwemmer redeten miteinander und beachteten sie nicht. Sie zog das Papier auseinander. Ein dicker Mann aus dem Fernsehen war darauf, eine blonde Frau, auch den Bürgermeister erkannte sie auf dem Bild. Er schüttelte lächelnd die Hand eines Mannes. Der Mann hatte ein schmales, hartes Gesicht, seine Augen waren kalt, die Stirn vom Alter gefurcht.
Johanna zuckte zusammen und schnappte nach Luft. Die Kekspackung war ihr aus den Fingern geglitten.
»Alles in Ordnung, Frau Kindel?«, fragte Burgl. Sie sprang auf und war sofort an ihrer Seite. Sie half ihr, die Packung und die Kekskrümel aufzuheben, die neben dem Ascheimer auf dem Boden gelandet waren.
»Was ist denn los?«, fragte sie sanft und trat auf das Pedal, das den Deckel öffnete. Johanna starrte wieder auf das Foto. Burgls Blick folgte dem ihren, dann warf sie die Krümel und die Packung in den Eimer und ließ den Deckel zufallen. Johanna merkte, dass Burgl sie forschend ansah.
Dann sagte Burgl: »Herr Bredemaier, ich denke, wir sollten Frau Kindel ein bisschen Ruhe gönnen.«
* * *
»Ah, der Herr Kindel«, sagte Schafmann. »Pünktlich wie die Maurer.«
Severin zog die Tür hinter sich zu.
»Der Herr Schieb wird gleich da sein«, sagte Schafmann. »Nehmen Sie doch schon mal Platz.«
Hinter Schafmanns Schreibtisch lehnte ein mit hellbraunem Tweed bezogener Gitarrenkoffer an der Wand. Severin setzte sich, und es klopfte. Ein uniformierter Polizist brachte Schibbsie herein. Er trug Handschellen. Der Polizist setzte ihn auf den zweiten Stuhl und stellte sich dann neben die Tür.
»Nehmen Sie dem Herrn Schieb doch bitte die Handschellen ab«, sagte Schafmann.
Der Polizist nickte und befreite ihn. Schibbsie nickte Schafmann zu; wenn man wollte, konnte man es dankbar nennen. Er rieb sich die Handgelenke.
»Ich denke, Sie können uns allein lassen, Herr Kollege«, sagte Schafmann, und der Polizist ging hinaus.
»Is des de Tele, da im Koffer?«, fragte Severin.
»Klar«, sagte Schafmann.
Schibbsie reckte den Kopf, um einen Blick zu erhaschen.
»Dürfn mir mal schaun?«
»Ja«, sagte Schafmann nur.
Er stand auf, legte den Koffer auf seinen Schreibtisch und klappte ihn auf. Severin stand auf, und auch Schibbsie erhob sich, aber Schafmann hielt sie beide mit erhobenem Zeigefinger auf Distanz.
»Nur gucken. Nicht anfassen«, sagte er.
Er hatte nicht gelogen, was den Zustand anging. Die Gitarre sah aus wie aus dem Ei gepellt. Die Frühlingssonne fiel durch das Fenster und ließ das Blau des Korpus strahlen. Aus der Distanz war nicht ein Kratzer zu erkennen. Am Steg war das Metall ein bisschen angelaufen, das war alles.
»Nicht viel gespielt worden«, murmelte Schibbsie.
»Stimmt«, sagte Schafmann.
»Warum nicht?« Schibbsie sah ihn skeptisch an.
Schafmann bekam einen leicht melancholischen Ausdruck.
»Aus Liebe?«, sagte er und grinste schief.
Schibbsie nickte verstehend.
Schafmann hatte den Koffer gerade wieder zugeklappt, als es klopfte und Kommissar Schwemmer eintrat. Er trug eine dicke grüne Kunststoffmappe in der Hand und machte einen sehr schlecht gelaunten Eindruck.
Er trat an den Schreibtisch und besah den Koffer.
»Ist das die Gitarre?«, fragte er, und Schafmann klappte den Koffer wieder auf.
»Hübsch«, sagte Schwemmer. »Was kost denn so was?«
»Kommt drauf an«, sagte Schibbsie.
Schwemmer sah ihn fragend an. »Auf was?«
Schibbsie zuckte die Schultern, sagte aber nichts mehr.
Schwemmer grinste böse. »Und ich dachte schon, er könnte sprechen«, sagte er zu Schafmann.
Severin trat näher heran.
»Darf i de mal rausnehmn?«, fragte er.
Schafmann erlaubte es ihm mit einer Geste. Er nahm die Gitarre und schlug einen Akkord. Die Saiten waren alt, aber sie spielte sich, wie es sein musste. Er hielt sie hoch und peilte den Hals entlang, der pfeilgerade war. Das Griffbrett hatte minimale Gebrauchsspuren. Dann begutachtete er die Metallteile, die auf den ersten Blick tatsächlich original waren.
»Müsst man mal über Verstärker hörn«, sagte er.
Schibbsies Blick hing an der Gitarre. Severin wusste, dass er genau von diesem Modell träumte. Er hatte schon zwei Strats und drei Gibsons aus den Sechzigern und Siebzigern, aber eine Telecaster fehlte ihm noch.
»Na, geben Sie sie ihm schon«, sagte Schafmann, und Schibbsie griff sofort nach dem Instrument. Severins Blick fiel auf ein Blatt, das im Koffer unter der Gitarre gelegen hatte. Er nahm es und las.
NICHT MEIN BIER
Riff:
E E(G) // E D
Es ist nicht – es ist nicht, dass du verlierst (2x)
A
Es ist nicht, dass du jetzt leidest
G
Es ist nicht, dass du noch träumst
A
Es ist nicht dein schlechter Atem
NC
– Es ist das, was du versäumst
»Is des von Eane?«
»Was?«, fragte Schafmann.
»Na des da …« Severin zeigte ihm das Blatt.
»Ach das … Ja, das war ein Song von uns.«
»Was heißt NC?«
»Äh …« Schafmann nahm das Blatt und warf einen Blick drauf. »Das heißt ›no chord‹. Also Abschlag, quasi.«
»Versteh …«
Severin nahm das Blatt zurück und las weiter.
Es ist nicht, dass du’s wieder mal verkackst (2x)
Es ist nicht, dass du so blau bist
Dass du sogar hier rausfliegst
Nicht, dass du dich auch noch vollkotzt
Es ist, dass du dich wieder mal verbiegst
Refr:
H E
Und das alles – gehört nur dir (3 x)
H A
Und das alles, alles, alles
NC
Ist nicht mein Bier
Severin lachte. »Ey, cool.«
Schafmann zuckte die Achseln. »Ist lange her.«
»Fett, nur vier Akkorde. Könnt schon Punk sein, wenn man’s a bisserl schnalzn lasst. Find i guat.«
Schwemmer trat zu ihm, nahm ihm das Blatt aus der Hand und begann zu lesen.
»Wie gesagt: Ich geb Ihnen zweieinhalb«, sagte Schibbsie zu Schafmann.
»Da muss ich drüber schlafen«, antwortete Schafmann und nahm ihm die Gitarre ab.
Severin sah zu Schibbsie, der diesen überheblichen Ausdruck in den Augen hatte, wie immer, wenn er zeigen konnte, dass er Geld hatte. Auch wenn’s nur das von seinen Eltern war.
»I würd’s lassen«, sagte er zu Schafmann. »Fünfe is die allweil wert.«
Schibbsie sah ihn ärgerlich an.
»Was soll des denn?«, fragte Severin. »Willst de Bulln noch veroarschn, wo se di scho an de Eier habn?«
Schibbsie grunzte böse. »Dreieinhalb. Mehr hab ich nicht«, sagte er.
Kommissar Schwemmer legte das Blatt weg. »Sie gehen noch zur Schule«, sagte er. »Sie haben sieben Gitarren zu Hause. Und Sie können jetzt noch mal dreieinhalbtausend Euro für eine achte aufbringen. Um welche Summe muss es dann wohl bei der Erpressung gegangen sein, die da so tragisch gescheitert ist?«
Schafmanns Blick zeigte, dass er fast so überrascht war wie Severin.
Nur Schibbsie schien gar nicht überrascht. »Auch wenn die andern auspacken: Ich sag nichts.«
»Aber Auspacken kommt generell immer gut an«, sagte Schwemmer. »Bei uns, bei der Staatsanwaltschaft und bei Gericht.«
Schibbsie stieß ein böses Lachen aus. »Glauben Sie, dass ich vor Ihnen Angst hätte?«
»Vor wem haben Sie denn Angst, Herr Schieb?«, fragte Schwemmer, aber Schibbsie antwortete nicht mehr.
* * *
»Also gehen wir jetzt von einer Erpressung aus?«, fragte Schafmann, aber er erhielt keine Antwort.
Schwemmer starrte auf das Blatt. Drei Strophen und ein Zwischenteil. »Du pisst dich an, wenn die Alte mault …«, las er vor und sah zu Schafmann. »›Weil du immer fickst, was übrig bleibt …‹ Ja, sag mal!«
»Gefällt’s dir nicht?«, fragte Schafmann.
»Weiß nicht … Ich denk, dein Bruder ist beim Ordnungsamt. Und der hat so was geschrieben?«
»Der Text ist nicht von ihm, nur die Akkorde.« Schafmann zuckte die Achseln. »War unser bestes Stück«, sagte er dann leise.
»Unser? Hast du da mitgemacht?«
»’ne Zeit lang.«
»Ich wusste gar nicht, dass du ein Instrument spielst«
»Ich war der Sänger.«
»Ach so. Dann hat euer Großer also dein Talent geerbt?«
»Gott sei Dank nicht. Mit meinem Talent hätten die Tölzer ihn nicht genommen.«
Schwemmer sah wieder auf das Blatt. »›Es ist nicht, dass du leidest, nicht mal, dass du dran stirbst, schon gar nicht dein Gejammer – es ist, dass du’s wieder mal verdirbst.‹ … Holpert ein bisschen, oder?«
»Wenn man’s singt, geht’s.«
Schwemmer legte den Kopf schräg. »Wenn der Text nicht von deinem Bruder ist …?«
Schafmann ging zum Fenster und sah hinaus. »Ist fünfundzwanzig Jahr her«, murmelte er.
Schwemmer sah Schafmanns Rücken an und schaffte es, sich drei, vielleicht vier Sekunden zu beherrschen, dann prustete er los. Er lachte sehr herzlich und hatte das Gefühl, dass ihm das sehr guttat, ganz unabhängig vom Anlass – rein körperlich.
Schafmann rührte sich nicht, bis Schwemmer sich wieder gefangen hatte.
»Wenn’s dich tröstet: Sie haben mich rausgeworfen«, sagte er dann in Richtung Fenster.
»Warum?«
»Ich war ihnen zu ernsthaft.«
»Zu ernsthaft?« Schwemmer zeigte auf das Blatt in seiner Hand und platzte erneut heraus. »Wie hieß eure Band denn?«, fragte er, als er wieder Luft bekam.
»Sag ich nicht.« Schafmann starrte weiter aus dem Fenster.
»Ach komm!«
»Nein.«
»So machst du mich nur neugierig!« Wieder musste Schwemmer lachen.
»Weiß gar nicht, was da dran lustig ist«, sagte Schafmann. »Was hast du denn in dem Alter gemacht?«
»Fußball gespielt.«
»Genau. Kreisliga. Bis zu deinem Kniescheibenbruch, den du heut noch spürst, wenn das Wetter wechselt.« Schafmann drehte sich um. »Könnt man auch drüber lachen …«
Touché, dachte Schwemmer und legte das Blatt auf Schafmanns Schreibtisch.
»Wie war’s in Nürnberg?«
Schwemmer nahm den Wechsel ins Dienstliche dankbar zur Kenntnis und warf die grüne Mappe auf Schafmanns Schreibtisch.
»Mehr gibt’s nicht«, sagte er. »Das sind nur Spuren, keine Beweise.«
Schafmann schlug die Mappe auf. »Die hören den ohne Genehmigung ab?«
»Bleibt doch im Haus.«
»Offenbar ja nicht …« Schafmann blätterte weiter. »Muss man alles überprüfen.« Er griff zum Telefon und wählte. »Arbeit, Frau Kollegin«, sagte er. »Bitte sofort hier abholen.« Er legte auf. »Was hast du erfahren?«
Schwemmer stieß ein ärgerliches Lachen aus. »Dass wir kleinen Krauter dem BKA bitte nicht im Weg stehen sollen. Immerhin dürfen wir weitermachen. Aber bitte aufpassen, dass wir uns nicht die Finger verbrennen.«
»Nichts Brauchbares sonst?«
»Nur die Erkenntnis, dass das BKA unsere Bedenken gegen Bredemaier teilt.«
»Immerhin. Haben die denn was Konkretes?«
»Nein.«
Es klopfte an der Tür. Oberwachtmeisterin Zettel kam herein, und Schafmann reichte ihr die Mappe.
»Bitte markieren Sie alle Gespräche, bei denen der Gesprächspartner in, sagen wir, fünfundzwanzig Kilometer Umkreis von Garmisch war. Kopieren verboten. Das Original dann umgehend zurück, und zwar nur an mich oder den Herrn Schwemmer.«
Die Kollegin nickte. »Darf ich fragen, woher wir das haben?«
»Nein«, sagte Schafmann.
»Sie dürfen es lesen, Frau Zettel«, sagte Schwemmer mit einem warnenden Lächeln, »aber Sie dürfen nicht wissen, dass es existiert. Kriegen Sie das hin?«
Sie dachte eine angemessene Zeit über seine Formulierung nach, dann sagte sie: »Jawohl«.
»Und von etwas, das nicht existiert, können Sie natürlich auch niemandem erzählen.«
»Natürlich nicht«, sagte sie ernst und verschwand wieder.
»Schnell im Kopf«, sagte Schwemmer, als die Tür sich hinter ihr geschlossen hatte.
»Ja. Hat aber schon ein Versetzungsgesuch laufen.« Schafmann seufzte. »Bist fit genug für eine schlechte Nachricht?«
Schwemmer winkte ab. »Seit wann fragst du nach so was?«
Schafmann blieb ungewöhnlich ernst.
»Die beiden Kugeln in dem toten Deloitte … die stammen aus deiner Dienstwaffe.«
Schwemmer schloss die Augen und beschimpfte sich erneut als verdammten Trottel. Ich hätte einfach nicht losfahren dürfen ohne die Waffe, dachte er. Die Verfolgungsjagd war von vornherein kompletter Unfug gewesen. Der Mann war entkommen, der Karren war Schrott, und jetzt drohte ihm sogar noch ein Disziplinarverfahren.
Ein guter Mensch, dachte er. Aber sie bringt mich in Teufels Küche.
»Sieh es mal so«, sagte Schafmann. »Nach Lage der Dinge hat Petr sie gefunden. Er wird Deloitte nicht in seine Wohnung gebeten haben. Und so wie sich das darstellt, hat er in Notwehr geschossen. Ohne deine Waffe wäre Petr tot, und Deloitte lebte noch.«
»Ich bin gespannt, ob sich das als Trost rausstellt«, sagte Schwemmer finster.
* * *
»Ich mag am Telefon überhaupt nichts mehr sagen. Schon gar nichts Außerdienstliches.«
»Wer soll denn schon die Polizei abhören?«, fragte Burgl.
»Na, die Polizei«, brummte Schwemmer. Es war ihm ernster, als es sich für Burgl angehört haben mochte. Denn er musste damit rechnen, dass jedes Gespräch in Bredemaiers Dunstkreis über Frohnhoffs Schreibtisch ging.
Oder sogar über Bredemaiers.
Es fragte sich nämlich, woher der Blonde gewusst hatte, dass Severin Kindel das Versteck aufsuchen würde. Entweder hatte er ihn auf Verdacht hin verfolgt, oder er kannte den Inhalt von Georg Schobers Anruf. Bredemaier hatte kurze Drähte zum Rechenzentrum, das hatte sich schon bei der Abfrage der Handydaten vom Reschberg gezeigt. Vielleicht hatte er da jemanden in der Hand oder gekauft – wie auch immer: Für einen Fachmann dort, zudem am richtigen Platz, war es ein Klacks, Gespräche auch abzuhören.
»Dann weiß ich nicht, ob ich dir erzählen darf, was ich eigentlich wollte«, sagte Burgl und klang dabei für seine Ohren ungewöhnlich ernst.
»Wie wär’s mit einem verspäteten Mittagessen?«, fragte er. »Ich hatte nämlich noch keins.«
Er parkte in der Tiefgarage des »Mohrenplatz«. Als er das Gasthaus betrat, saß Burgl schon auf der Bank am Fenster und studierte die Karte. Vor ihr auf dem großen Tisch stand ein Weißbier. Durchs Fenster sah Schwemmer einige Angestellte, die die Tische im Biergarten aufstellten. Es wurde also wirklich Frühling.
»Schau mal …« Burgl zeigte auf die Speisekarte. »Flugentenbrust auf Schmorgemüse, wär das nix für dich?«
»Schweinsbraten«, sagte Schwemmer nur. »Um die Zeit trinkst schon ein Weißbier?«
»Ich hab nichts weiter vor heut …« Sie prostete ihm zu.
Er bestellte ein Radler, erfuhr dann aber, dass es das nur als Maß gab, und begnügte sich mit einer Apfelschorle zu seinem Schweinsbraten. Burgl bestellte Saiblingsfilet.
»Was gibt’s denn Geheimnisvolles?«, fragte er.
»Ich war bei Frau Kindel, heut Morgen«, sagte sie.
»Ach? Was machst denn da?«
»Ich hab ihr einen Strauß Blumen gebracht, als Dankeschön wegen dem Hexenschuss. Aber eigentlich wollte ich mich mit ihr über ihre Visionen unterhalten. Das ging aber leider nicht, weil Herr Bredemaier auch da war.«
»Der macht seinen Forscherjob«, sagte Schwemmer. »Immerhin.«
»Sie tat mir fast ein bisschen leid. Sie war richtig überfordert mit uns beiden Fremden in der Küche. Obwohl der Bredemaier gar nicht mehr so fremd schien.«
»Und was konntest du mir nicht am Telefon erzählen?«
»Eigentlich … Es ist nicht sehr konkret, aber es war sehr auffällig. Sie wollte grad was in den Mülleimer werfen, da merk ich, wie sie zusammenzuckt. Heftig, als hätte sie was ganz Schlimmes gesehen. Und als ich ihr helfen will, seh ich, dass sie das hier anstarrt.«
Burgl zog eine Zeitung aus ihrer Handtasche und legte sie auf den Tisch. Schwemmer runzelte die Stirn, es war die mit Högewalds Terrorzellen-Schlagzeile. Aber Burgl blätterte kommentarlos darüber hinweg zum Lokalteil und wies auf ein Foto am unteren Rand der Seite.
»Sie erschreckt sich vor dem Bürgermeister?«, fragte Schwemmer. »Ich dacht, ich wär der Einzige, dem das passiert.«
Burgl zog die Nase kraus. »Jetzt red kein Schmarrn.«
Schwemmer sah sich die anderen Personen auf dem Bild an. Es stammte vom einem Richtfest. Neben dem Bürgermeister und dem Polier standen eine Menge Leute, alle mit Stamperln in den erhobenen Händen, als prosteten sie dem Betrachter zu. Neben etlichen lokalen Adabeis waren ein übergewichtiger TV-Darsteller, die Exgattin eines Exnationaltorhüters und der Bauherr zu sehen.
Schwemmer kannte ihn. Professor Doktor Ambrosius Zehetgruber. Auf den Neujahrsempfängen im Rathaus begegnete er ihm seit Jahren regelmäßig. Er war nicht nur Professor Doktor, sondern darüber hinaus Dr. h.c. mult. und betrieb eine Privatklinik für plastische Chirurgie. So erfolgreich, dass der Anbau eines neuen Flügels nötig war, von dessen Richtfest das Foto stammte.
»Na gut. Johanna Kindel erschrickt vor diesem Bild«, sagte Schwemmer. »Und was schließt du daraus?«
»Gar nichts. Schlussfolgerungen sind dein Job.«
Der Kellner brachte die Apfelschorle, und Schwemmer wartete, bis er außer Hörweite war, bevor er weitersprach.
»Ich freu mich ja sehr, mit dir zu Mittag zu essen, aber was soll ich damit anfangen?«
»Du hast gesagt, der Franzose war ein Profi«, sagte Burgl.
»Ja. Und weiter?«
»Profis arbeiten für Bezahlung. Also muss ihn irgendwer bezahlen.«
»Und du meinst, derjenige wäre auf diesem Foto.«
Burgl zuckte die Achseln. »Nimm es als Gedankenspiel. Wenn du Genaueres wissen willst, müsstest du die Kindel schon selber fragen.«
»Kannst du dir vielleicht vorstellen, dass ich sie nicht fragen will?«
»Ja, natürlich. Aber wäre das klug?«
Schwemmer wandte sich kopfschüttelnd seiner Apfelschorle zu. »Ich weiß es nicht«, sagte er.
»Du hast nicht gesehen, wie sie geschaut hat«, sagte Burgl leise. »Bredemaier übrigens auch nicht.«
* * *
»Die Brandermittler gehen zur Zeit von folgendem Szenario aus.« Dräger projizierte einen Grundriss an die Wand. »Im Proberaum gab es aus noch ungeklärter Ursache einen Schwelbrand, der theoretisch schon achtundvierzig Stunden zuvor ausgebrochen sein könnte. Im Nebenraum lagerten sechs, möglicherweise auch acht Gasflaschen, von denen mindestens vier halb leer waren. Frau Schieb erzählte uns, dass ihr Mann sie letzten Monat in Mittenwald aus der Konkursmasse eines Schlossereibetriebes ersteigert hat. Es gab eine Verbindung zwischen den beiden Räumen, die mit einem Maschengitter verschlossen war. Proberaumseitig war die Öffnung durch einen an die Wand genagelten Teppich kaschiert. Der Sauerstoffmangel verhinderte ein offenes Ausbrechen, aber der Schwelbrand hat sich in den Nebenraum ausgebreitet. Unmittelbar vor der Explosion hat dann jemand, nach Lage der Dinge war das Walter Schieb, die Tür zum Nebenraum geöffnet. Die Tür öffnete nach innen und dürfte ihm vom Luftstrom sofort aus der Hand gerissen worden sein. Der plötzlich einströmende Sauerstoff verursachte einen heftigen, verpuffungsartigen Ausbruch des Feuers, durch den wiederum die Gasflaschen zur Explosion gebracht wurden. Schieb hatte keine Chance.«
»Von einer absichtlichen Sprengung gehen wir also nicht mehr aus?«, fragte Schafmann.
»Nein.«
»Finden die die Brandursache denn noch?«, fragte Schwemmer.
»Unwahrscheinlich«, sagte Dräger. »Brandstiftung ist weder auszuschließen noch zu belegen … Damit zu den Spuren am Tatort Reschberg. Das Unwichtigste zuerst: Die grünen Krümel waren tatsächlich Haschisch. Bei den Haaren ist der erste DNA-Abgleich fertig. Es stammt von dem nach wie vor flüchtigen Georg Schober, dessen Fingerabdrücke wir ja auch schon auf dem Plastikteilchen gefunden hatten.«
Kommissar Schröpfer, der den Plektrumssplitter als solchen identifiziert hatte, meldete sich zu Wort. »Dazu möchte ich noch was sagen. Ich finde das komisch, dass das da lag. Wenn mir ein Plektrum abbricht, heb ich den Rest nicht auf. Der bleibt liegen, wo er hingefallen ist. Den müsste man ja auch richtig suchen. Macht kein Mensch. Zumindest kein Gitarrist. Und wenn ich vielleicht doch mal eins aufhebe, dann schmeiß ich das nicht in den Wald.«
Er erntete nachdenkliches Schweigen.
Es war Kriminaloberwachtmeisterin Zettel, die es auf den Punkt brachte. »Dass die Haare von der Band am Tatort sind – beweist das eigentlich irgendwas? Könnte der Täter sie nicht dort verstreut haben, um eine falsche Fährte zu legen?«
»Haare, Haschkrümel, Plektrumssplitter. Das klingt, als hätte wer in dem Proberaum staubgesaugt und dann den Beutelinhalt in den Wald gekippt«, ergänzte Schröpfer.
»Und den Proberaum angezündet, um den Einbruch zu kaschieren«, schloss Zettel.
Schwemmer nickte bedächtig. »Klingt nicht schlecht. Wäre möglich. Muss aber natürlich nicht.«
»Mehr dazu?« Schafmann sah auffordernd ins Rund.
Ein verhuschter Mann von Mitte dreißig, der genauso aussah, wie Schwemmer sich einen Datenfex vorstellte, hob zögernd die Hand.
»Ich wollt noch was zu dem USB-Stick sagen.« Seine Stimme war leise, kaum zu verstehen. »Also, ich hab da was gefunden.« Er hüstelte. »Ein Kollege vom LKA hat mich drauf gebracht, obwohl, eigentlich hat ein Kollege aus Israel den vom LKA drauf gebracht, dass, wenn man die Daten statt mit dem Algorithmus der Originalsoftware mit dem modifizierten Quellcode eines …«
»Jochen«, unterbrach Dräger ihn. »Zur Sache, Schätzchen. Was willst du uns mitteilen?«
»Ach so … ja …« Jochen lachte verlegen. »Ich wollte sagen, wir können ihn knacken, den Code. Dauert aber.«
»Dauert wie lang?«, fragte Schwemmer.
Ihm fiel auf, dass Bredemaier, der wie gestern mit ausgestreckten Beinen abseits auf einem Stuhl am Fenster hing, die Augen geöffnet hatte.
»Wenn ich das hier mit meinen Rechnern mache …« Jochen sah unsicher zur Seite.
»Wie lang?«, wiederholte Schwemmer.
»Sechs Monate«, sagte Jochen, der Datenfex.
Durch den Raum ging ein enttäuschtes Seufzen.
»Es geht auch schneller. Aber dann muss mir jemand externe Rechnerleistung besorgen …«
»Das hilft uns also momentan nicht weiter«, sagte Schafmann. »Aber wir behalten das bitte im Hinterkopf, vielleicht müssen wir darauf zurückkommen.«
Bredemaier hatte die Augen wieder geschlossen.
»Nächster Punkt«, sagte Schafmann. »Der Mieter der Wohnung in Burgrain heißt Slovomir Bretcnik, Slowake. Ist seit vier Wochen auf Montage in Vevey in der Schweiz. Wir konnten mit ihm telefonieren. Nach seiner Aussage hat er die Wohnung seinem Vetter Petr Bretcnik überlassen, für die Zeit seiner Abwesenheit. Petr Bretcnik wurde am 24.12.1993 in Bratislava geboren, ist ein Meter fünfundsechzig groß, fünfundfünfzig Kilo, hat braune Augen und dunkelblondes Haar. Jugendstrafe in der Slowakei wegen Drogenbesitzes. Foto von der Polizei in Bratislava ist avisiert. Bis dahin haben wir eine Phantomzeichnung nach den Angaben von Severin Kindel. Petr Bretcnik ist Exjunkie, nach Auskunft seines Vetters aber seit Längerem clean. Hat eine Zeit lang auf den Straßenstrichs hinter der deutsch-tschechischen Grenze angeschafft. Zu dem Toten: Der Mann ist jetzt offiziell identifiziert als Luc Deloitte. Vielen Dank für den Tipp an den Kollegen Bredemaier.«
Alle drehten sich zu Bredemaier um, der nickte gnädig lächelnd ins Rund.
»Die Kugeln, mit denen er erschossen wurde …« Schafmann zögerte und sah Schwemmer an.
»… stammen aus meiner Dienstwaffe, die ich am Abend des ersten Mordes am Reschberg verloren habe«, beendete Schwemmer den Satz.
Diesmal war das Schweigen eher betreten als nachdenklich.
»Wahrscheinlich erscheint momentan«, fuhr Schafmann fort, »dass Petr Bretcnik ebenfalls dort war und sie gefunden hat. Das macht unwahrscheinlich, dass er der Motorradfahrer war. Man kann vermuten, dass er zu Fuß oder mit dem Fahrrad dort oben war. Deloitte hat ihn in seiner Wohnung aufgesucht, dort kam es zum Schusswechsel. Leider können wir nicht mehr feststellen, ob an dem Schloss manipuliert wurde, nachdem die Herren vom SEK da angeklopft haben. Ein Busfahrer der Linie 3 hat ausgesagt, ein junger Mann, auf den die Beschreibung passt und den er für gehbehindert hielt, sei gestern am frühen Morgen in Burgrain in den Bus Richtung Farchant gestiegen. Er weiß aber nicht, wo er ausgestiegen ist.«
Schwemmers Handy klingelte. Er meldete sich und lauschte. »Wir kommen sofort«, sagte er dann.
* * *
Ein Streifenwagen stand auf dem Forstweg, daneben dessen Besatzung und vier Waldarbeiter. Sie sahen Schwemmer und Schafmann stumm entgegen, als sie aus ihrem Passat stiegen.
»Wo ist er?«, fragte Schwemmer, und die Waldarbeiter wiesen gemeinsam den Hang empor, als hätten sie die Bewegung choreographiert.
»Wie verletzt ist er?«
»De kann se ned mehr riarn. Wuilt se aba ums Verrecka ned helfa lassn«, sagte der Chef der vier.
»Hat er was gesagt?«
»Na. Nua ›Geht weg‹, un dann hod er mit sei Pistoln af uns gzielt. Da ham mia denkt, do mia eam de Gfalln.«
»Rettungswagen ist unterwegs«, sagte einer der beiden Streifenbeamten.
»Gut«, sagte Schwemmer. Er sah zu Schafmann. »Kommst du mit?«
Schafmann wies auf Schwemmers Halbschuhe mit Ledersohle. »Scheint mir eher die Frage, ob du mitkommst.« Schafmann trug seine Haferlschuhe mit Profilsohle.
Schwemmer sah die Waldarbeiter an. »Hat einer der Herren Größe vierundvierzig?«, fragte er.
Es ging steil nach oben. Sie folgten dem tröpfelnden kleinen Wasserlauf, an dem die Arbeiter auf den Verletzten gestoßen waren. Nach fünfzig Metern keuchte Schwemmer vor Anstrengung, aber er setzte alles daran, sich nicht von Schafmann abhängen zu lassen. Die Schuhe, die der Waldarbeiter ihm überlassen hatte, waren zu weit, aber immer noch besser als seine Stadtschuhe, die er am Morgen nur wegen des Treffens mit Frohnhoff angezogen hatte. Sie waren vielleicht hundertfünfzig Meter weit gekommen, als sie von vorn angerufen wurden.
»Bleiben Sie weg!«, rief eine Stimme mit slawischem Akzent. »Bleiben Sie weg, oder ich schieße.«
»Kannst du ihn sehen?«, fragte Schafmann.
Schwemmer richtete sich schwer atmend auf und suchte mit zusammengekniffenen Augen zwischen den Bäumen. »Ja, da vorne liegt er … Herr Bretcnik!«, rief Schwemmer. »Hier ist die Polizei. Lassen Sie sich bitte helfen.«
Bretcnik sagte etwas, vermutlich auf Slowakisch, es klang, als spräche er mit sich selbst. Und es klang, als wäre er verzweifelt. »Bleiben Sie weg!«, rief er dann erneut.
Schwemmer sah Schafmann an, der zuckte die Schultern.
»Herr Bretcnik!«, rief Schwemmer. »Ich bin Hauptkommissar Schwemmer von der Kripo Garmisch. Ich werde jetzt zu Ihnen kommen. Ich werde meine Hände so halten, dass Sie sie sehen können.«
Er erhielt keine Antwort.
»Werden Sie schießen?«
Es dauert lange, bis sie ein leises »Nein« hörten.
»Ich komme jetzt zu Ihnen. Schießen Sie nicht!«, rief Schwemmer und stapfte los.
Es war gar nicht so einfach, den Hang hinaufzusteigen und dabei die Hände hochzuhalten. Nach ein paar Metern hatte er freie Sicht auf den mageren Jungen, der neben dem schmalen Rinnsal auf dem Boden saß, den Oberkörper gegen einen Felsen gelehnt. Er zielte mit der Pistole auf Schwemmer.
»Nicht schießen«, wiederholte Schwemmer. Bretcnik nickte, aber er nahm die Pistole nicht herunter. Er war leichenblass. Das rechte Bein seiner Jeans war dunkel von Blut. Als Schwemmer ihn erreichte, sah er die Waffe in seiner Hand zittern.
»Das ist übrigens meine«, sagte er ruhig. »Sie haben sie am Reschberg gefunden, nicht wahr?«
Petr Bretcnik nickte.
»Ich war der mit dem Auto.«
Wieder nur ein Nicken.
»Was kann ich tun, damit Sie die Waffe runternehmen? Oder wollen Sie mich als Geisel nehmen?«
Diesmal schüttelte Bretcnik den Kopf. Er schluchzte unhörbar, seine Brust zitterte. Endlich ließ er die Waffe sinken.
»Helfen Sie mir«, flüsterte er heiser. »Bitte helfen Sie mir.«
* * *
»Am letzten Wochenende«, sagte Oberwachtmeisterin Zettel, »wurden insgesamt drei Gespräche geführt, während denen sich der Gesprächspartner in Garmisch-Partenkirchen befand, und zwar jeweils im Bereich Leitlestraße, Kleinfeldstraße. Die überwachte Nummer befand sich in Leck.«
»Leck?«, fragte Schafmann. »Wie Leck am Arsch?«
Zettel verzog das Gesicht. »Das ist in Schleswig-Holstein«, sagte sie.
Es klopfte, und Bredemaier streckte den Kopf herein. »Störe ich?«, fragte er.
»Ja«, sagte Schwemmer. Er warf Zettel einen warnenden Blick zu, aber sie hatte den Ordner vor sich bereits geschlossen.
»Ich wollte nur fragen, wie es mit dem Bretcnik aussieht. Ist der vernehmungsfähig?«
»Noch nicht«, sagte Schwemmer.
»Liegt er hier im Krankenhaus? Oder woanders?«
»Woanders«, antwortete Schwemmer. »Wir halten Sie auf dem Laufenden, Herr Kollege.«
»Ich danke!« Bredemaier hob die Hand, lächelte und zog die Tür hinter sich zu.
Schafmann und Zettel sahen Schwemmer fragend an.
»Das ist ab jetzt die Sprachregelung. Wenn einer fragt – Bretcnik liegt woanders«, sagte er und griff zum Telefon. »Wer bewacht ihn?«
Schafmann nannte ihm Namen und Handynummer des uniformierten Kollegen, der vor Bretcniks Zimmer im Kreiskrankenhaus saß. Schwemmer rief ihn an und wies darauf hin, dass die Order, niemanden zu Petr Bretcnik vorzulassen, auch für EKHK Bredemaier galt.
»Fahren Sie fort, Frau Zettel«, sagte er dann.
»Also: zwei Anrufe von und einer zur Leitlestraße und Umgebung. Ich hab mir deshalb eine Liste mit den dort gemeldeten Personen zusammengestellt.«
Sie reichte Schafmann das Blatt. Er überflog es.
»Leitlestraße«, sagte er dann und reichte sie mit einem Seufzen an Schwemmer weiter. »Lauter Großkopfete.«
Schwemmer nahm die Liste. Sie war alphabetisch geordnet. Der letzte Name darauf war ihm heute schon untergekommen.
»Und als ich die Liste zusammenhatte«, fuhr Zettel fort, »ist mir was aufgefallen. Es gab einen Anruf von einer normalen Festnetznummer, allerdings schon vor vier Wochen. Der kam von einer Nebenstelle einer Privatklinik in Partenkirchen. Und die gehört …«
»Professor Zehetgruber«, sagte Schwemmer. »Dr. h.c. mult.«
* * *
Johanna Kindel war sichtlich erstaunt, als sie ihm die Tür öffnete. Erstaunt und misstrauisch.
»Wollns zum Severin?«, fragte sie und hielt die Klinke der Haustür fest in der Hand, als fürchte sie, Schwemmer würde sonst an ihr vorbeistürmen.
»Nein«, sagte Schwemmer. »Ich will nicht zu Ihrem Enkel. Ich wollte zu Ihnen, Frau Kindel.«