34 Rundflug

Ella zitterte vor Angst. Baldur bot ihr seine Hand an, die sie dankbar ergriff.

“Zu rührend, aber nimm das Finger weg. Sonst kriegst du die Strom auch ab.” Gabriel tat besorgt. Baldur drückte nur noch etwas fester zu und Ella erwiderte den Druck. Er sah keinen Ausweg darum war ihm egal, was Gabriel sagte.

Die Tür öffnete sich und Lara betrat den Raum.

“Jetzt wollen wir doch mal sehen, wie lange euer Stolz anhält, meine Turteltäubchen”, spottete sie. Sie nahm Gabriel das Kontrollgerät aus der Hand. Sie drückte den Startknopf und ein erster schwacher Stromstoß fuhr durch Ellas Körper. Ihre Haare standen ihr im wahrsten Sinne des Wortes zu Berge.

“Ok, Lara, hör auf. Du hast gewonnen.” Baldur gab sofort auf. Er konnte Ella nicht in Gefahr bringen.

“So, hab ich das?” Lara lächelte süffisant. Baldur hatte natürlich damit gerechnet, dass sie ihren Triumpf in vollen Zügen auskosten würde und so nahm er es nun mit Gelassenheit.

“Lara, mach die Elektroden ab und lass Ella wieder etwas anziehen, dann erzähl ich dir alles.”

“Baldur, Baldur, du hast die Spielregeln immer noch nicht verstanden. Du stellst keine Bedingungen. Erzähl mir was du weißt und dann schau ich mal was wir mit euch machen.” Baldur entwickelte zunehmenden Hass auf Lara aber ihm blieb in der Tat keine Wahl.

“Also gut. Hier ist schon mal der Atlas.” Er zog das Buch aus seinem Hemd und zeigte es Lara. Lara grinste triumphierend in die Kamera. Sie wusste, dass Jason am Monitor saß und die Szene beobachtete. So wollte sie ihm sagen “Siehst du, so macht man das. Ich habe natürlich wie immer recht gehabt.”

In dem Moment ging das Licht aus.

“Verdammt, die Sicherungen. Hermes, geh los und dreh die wieder rein.” Sie hörten, wie sich die Tür öffnete. Als nächstes erfüllte ein gleißend helles, rotes Licht den Raum. Offenbar brannte ein bengalisches Feuer. Ella und Baldur kniffen die Augen zusammen. Baldur stopfte sich den Atlas wieder unter sein Hemd. Gemeinsam rissen sie die Elektroden von Ellas Haut. Gabriel und Lara hatten genau in das Feuer geschaut und konnten nichts sehen. Baldur hielt Ella noch immer an der Hand. Jemand ergriff die andere Hand von Baldur und zog ihn und damit auch Ella aus dem Zimmer. Lara fluchte und versuchte, trotz eingeschränkter Sicht, zu folgen. Doch auf dem Weg zur Treppe stieß sie mit jemandem zusammen. Kurz hatte sie den Eindruck als habe sich ihr jemand in den Weg gestellt. Doch das konnte nicht sein.

“Gabriel, Jason, schnappt sie euch, alarmiert die anderen.”

“Zu spät, die kriegen wir nicht mehr“, bemerkte Jason, der direkt neben ihr stand. Der Bengalo brannte nur noch schwach. Alles war in ein unnatürliches, fahles, rotes Licht getaucht. Laras Sicht kam langsam zurück. Ella, Baldur und ihr Retter rannten so schnell sie konnten die Treppe hinunter. Im Foyer erwartete sie ein überraschendes Szenario. Überall lagen Dragon Slayer, aber keiner von ihnen war bei Bewusstsein. Sie lagen da wie tot.

“Oh Gott, was ist hier passiert?” Ella war erschüttert.

“Da stehen unsere Rucksäcke, los, schnapp dir deinen”. Baldur verschwendete keine Sekunde darauf, sich um die Dragon Slayer Sorgen zu machen. Die beiden liefen einen Bogen um an den Rucksäcken vorbeizukommen und nahmen sie auf. Sekunden später waren sie zur Tür hinaus.

“Was nun?” fragte Ella. Ihr Retter, der neben ihnen lief, und den sie im Hotel nicht hatten erkennen können, meldete sich nun zu Wort.

“Na, wie immer, rein in den Super Jeep.” Es war schon wieder der König, der ihnen die Haut rettete. Sie ließen sich das nicht zweimal sagen. Der Jeep stand genau vor der Tür.

“König, hier ist absolutes Halteverbot.” Der König schüttelte den Kopf.

“Oh Baldur, du bist wirklich total deutsch. Das ist doch jetzt ganz egal. Hier werden ganz andere Gesetze übertreten als nur die Straßenverkehrsordnung, right?” Während dieses unpassenden Gesprächs hatten sie sich in den Wagen geworfen, der König hatte sich hinter das Lenkrad gezwängt und mit quietschenden Reifen rasten sie los.

Lara hatte sich von dem Rempler nicht aus der Fassung bringen lassen und das Wort Aufgeben kannte sie sowieso nur von ihren Gegnern. Als ihr klar wurde, dass die meisten ihrer Männer ihr nicht würden helfen können, war sie eben allein die Treppe heruntergejagd. Gerade sah sie noch den weißen Jeep verschwinden. Sie rief Jason und Gabriel, die wenigstens noch bei Bewusstsein waren, einige Befehle zu und schnappte sich dann ihr Motorrad um die Verfolgung aufzunehmen.

Elvis sang “you are always on my mind” und Baldur, der dieses mal wieder den Vordersitz erwischt hatte, fingerte die obligatorischen Rocketdosen aus dem Fach. Alle drei genehmigten sich nach dieser wilden Rettungsaktion einen tiefen Schluck. Der König lenkte den Jeep mit nur einer Hand durch die engen Straßen. Es waren immer noch jede Menge schwarzgekleideter Gestalten unterwegs, die entsetzt von der Straße sprangen, wenn der Jeep mit mehr als 100 km/h an ihnen vorbeiraste.

“Oh, König, das ist schon das dritte Mal, dass du uns aus der Patsche hilfst. Aber noch nie war es so knapp und so gefährlich wie dieses mal.” Ella sah ihn durch den Rückspiegel dankbar an. Der große Mann lachte breit und zeigte seine weißen Zähne.

“Es ist mir jedes Mal eine besondere Freude. Der Chefin dieser Asi-Bande haben wir es diesmal aber super gezeigt.” Auch Baldur und Ella hatten ihr Lächeln wiedergefunden.

“Außerdem war das die most sexy Befreiungsaktion, die ich je gemacht habe.” Er musterte Ella im Rückspiegel. Erst jetzt wurde sich Ella der Tatsache bewusst, dass sie ja nur noch mit einem BH bekleidet war. Und natürlich hatte sie auch in dem Bereich keine typische Wanderware getragen. Statt eines Sport-BHs trug sie ein Modell von Victorias Secret in Rot mit Spitze. Ihre Gesichtsfarbe passte sich der Farbe ihrer Unterwäsche an. Baldur konnte den Anblick Ellas nun zum ersten Mal sorgenfrei genießen und konnte sich nun ein Grinsen nicht verkneifen. Der König half auch hier:

Hej, Lady, neben dir liegt eine Tasche, da müsste noch ein frisches Shirt von mir drin sein. Das wird ein prima Kleid für Dich abgeben.” Ella kramte und kramte und fand schließlich etwas weißes, sackartiges, das sie sich über den Kopf zog. Nun fühlte sie sich zumindest wieder irgendwie bekleidet. Baldur fand es sehr süß, dass ihr die spärliche Bekleidung so unangenehm gewesen war, in einer Zeit in der Nacktheit allgegenwärtig schien. Wohlwollend ruhte sein Blick auf ihr, bis er wahrnahm, was er da gerade sah. Auf dem Shirt war ein schwarzes Wappen abgebildet. Es war das Wappen der Ritter von der Tann. Darunter stand “The Brotherhood of the Dragon”.

“Wo hast du das her?” stammelte er.

“Na aus der Tasche, wie der König gesagt hat.” Ella hatte den Aufdruck noch nicht entdeckt.

“Äh, ich meine nicht dich Ella, ich meine den König” Der König klemmte hinter seinem Lenkrad, gab noch mehr Gas und schmunzelte.

“Na komm, Baldur, du bist doch nicht auf den Kopf gefallen. Du hast doch bestimmt letztes Mal schon geahnt, dass unsere Begegnung kein Zufall war, oder?” In der Tat ließ spätestens dieses dritte Aufeinandertreffen keine andere Deutung zu.

“Du bist also einer von uns?” Statt zu antworten zog der König seinen T-Shirt Ärmel hoch und reckte seinen Oberarm so weit nach oben, wie es das Autodach erlaubte. Baldur erkannte das Mal.

“Alter Schwede”, entfuhr es ihm.

Well, das trifft es nicht ganz”, entgegnete der hünenhafte Schwarze.

“Weißt du, ich hab die Stadt im Blick behalten und hab euch im Supermarkt gesehen. Der Parkplatz wimmelte von Slayern. Da hatte ich schon so ein super mulmiges Gefühl. Und ich hatte Recht. Als sie sich euch geschnappt haben waren sie allerdings zu viele. Ich bin euch dann gefolgt bis ich wusste wo ihr wart und habe dann Hilfe geholt.”

“Es gibt also noch mehr Drachenbrüder hier?”

“Weiß nicht, ich hab einfach meinen Fußballkumpels Bescheid gesagt. Die hingen gerade alle zusammen in einer Kneipe wegen dem Spiel heute Abend. Und die hatten auch die Idee mit dem Bengalo und dem Tränengas.” Ella war erleichtert. Sie hatte im ersten Moment an ein Massaker geglaubt.

“Ich wusste gar nicht, dass Tränengas einen so ausknocken kann?”

“Alles eine Frage der Art des Gases und der Dosierung. Hat jedenfalls wunderbar geklappt. Die Jungs mussten dann nur schnell weg, weil das Spiel anfing.” Ella und Baldur warfen sich einen Blick des Unverständnisses zu. Komische Gesellen.

“Jedenfalls hab ich euch dann da raus geholt und hier sind wir nun.” Der König war noch immer zufrieden mit sich und der Welt. Als er einen Blick in den Rückspiegel warf, änderte sich das allerdings.

“Mist, sie verfolgen uns. Fucking Bastards.” Nun drehten sich auch Baldur und Ella nach hinten und sahen einen Pulk Motorradfahrer. Allen voran brauste Lara. Ihr Gesicht schien wutverzerrt. Sie schlossen auf. Obwohl der König mit dem Fuß auf dem Gaspedal stand, hatten sie gegen die schnellen und beweglichen Motorräder keine Chance.

“Sollen sie kommen, uns kriegen die nicht.” Der König gab sich kämpferisch, doch kurze Zeit später hatte Lara sie eingeholt und fuhr auf gleicher Höhe. Sie gab wilde Handzeichen und schien etwas zu schreien. Der König ließ die Scheibe herunter.

“Shut up, alte bitch. Geht zur Höhle, ihr Dragon Slayer.” Er warf seine halbleere Dose Rocket nach ihr. Lara wich geschickt aus. Sie zog eine Waffe aus ihrem Holster und zielte auf den König.

Neiiiin”, schrie Ella und hielt sich die Hände vors Gesicht. Baldur war unfähig sich zu bewegen. Er traute seinen Augen nicht. Lara war wirklich zu allem fähig. Auch der König hatte damit augenscheinlich nicht gerechnet.

Doch in dem Moment wurde es Dunkel. Ein großer Schatten senkte sich vor die Sonne. Baldurs Amulett begann hell zu strahlen. Die beiden sahen nun, dass auch der König eines trug, auch unter seinem Shirt wurde es hell. Ella, Baldur und der König hörten nun Fafnir.

“Fahrt weiter, fahrt weiter, keine Panik, ich mach das schon, hihi, ich hol euch hier raus”

“Holy Christ, Ich werde verrückt, ein Drache.” Der König bekam große Augen.

In dem Moment sahen sie wie Lara im Boden versank. Beim zweiten Hinsehen wurde ihnen klar, dass sie es waren, die nach oben verschwanden. Sie flogen. Die Rocker unter ihnen wurden immer kleiner. Mit der gleichen Geschwindigkeit, mit der sie eben noch über die Landstraße gerast waren, flogen sie nun sowohl nach vorne als auch nach oben. Lara war außer sich. Sie hatte die Pistole entsichert und schoss auf sie, doch der Abstand war bereits zu groß. Sie flogen nun über den Wald, so dass die Slayer ihnen nicht folgen konnten. Die drei schauten aus dem Fenster und sahen, dass Fafnir sich das ganze Auto gekrallte hatte und es aus der Gefahrenzone flog.

“Oh yeah, hoffentlich kriegt meine Werkstatt die Beulen raus, die die Pranken gemacht haben”, scherzte der König.