17 KTM

Lara lag entspannt auf dem Bett. Jason konzentrierte sich, es ihr recht zu machen.

“Ein bisschen weiter links, Kleiner.” Lara brummte wohlig.

“Und jetzt etwas schneller.” Sie war mit Jasons Performance grundsätzlich einverstanden. Man merkte ihm seine Erfahrung an. Er hatte geschickte Finger, das musste man ihm lassen. Allerdings brauchte er Anleitung, aber die konnte sie ihm geben.

Jason war erregt, aber seine Gedanken waren ganz auf die Anweisungen von Lara gerichtet, sie war die anspruchsvollste Frau, der er je begegnet war.

“So, und jetzt legst du dich hin.” Lara griff sich Jason, drehte ihn herum und schwang sich auf ihn. Rhythmisch bewegte sie sich während Jason glaubte, sich nun etwas entspannen zu können. Doch in eben diesem Rhythmus begann das Bett Quietschgeräusche von sich zu geben. Lara erhöhte das Tempo, die Geräusche kamen häufiger und wurden lauter. Jason meinte zu spüren, dass das Bett sich nun bewegte. Es war aus den 80ern, wie auch der Rest der Zimmereinrichtung. An den Wänden eine weiße Raufasertapete mit nichtssagenden pastellfarbenen Stillleben von Obst und Gemüse. Ein Röhrenfernseher und eine Schale mit einem Apfel, der bereits erste Zeichen des Alters zeigte, rundeten das Bild ab. Lara ließ sich jedoch, einmal in Fahrt, von diesen Details nicht mehr ablenken. Sie nahm weiter Tempo auf und begann nun spitze Schreie auszustoßen, die ebenfalls lauter wurden. Dabei hielt sie die Augen auf einen imaginären, fernen Punkt gerichtet. Mit einem lauten Schrei kam sie zum Ende. Jason hoffte, dass sie sich nun etwas mehr um ihn kümmern würde, er stand kurz vor dem Höhepunkt, doch Lara schwang sich augenblicklich von ihm, klopfte ihm anerkennend auf die Brust und verschwand im Bad. Sie hinterließ einen frustrierten Jason. Wenigstens musste er nun keine Angst mehr haben, dass das Bett unter ihnen nachgeben würde. Und Morgen war ein neuer Tag.

Leider gelang es ihnen nicht, die Steuerung der Klimaanlage dazu zu bringen, die Zimmertemperatur unter 28 Grad zu drücken. Der Raum war überheizt, die Luft trocken, beide schliefen unruhig. Bei jeder Bewegung gab das Bett wieder Geräusche von sich. Am nächsten Morgen, als der Weckruf sie von ihren vergeblichen Schlafversuchen erlöste, fühlten sich beide wie gerädert.

“Komm Jason, lass uns hier verschwinden. Das ist das schlechteste Hotel, in dem ich je übernachtet habe.” Nach einer kalten Dusche, der Heißwasserhahn ließ sich auch mit äußerster Gewalt nicht bewegen, packten die zwei ihre Sachen zusammen und brachen auf. Eine weitere Mahlzeit von Frau Ruppig wollten sie sich nicht zumuten.

“Ja, natürlich sind wir soweit, wie sind in fünf Minuten da.” Lara beendete das Telefongespräch.

“So, überlebt. Das ist auch schon das Beste, was man über Frau Ruppig und ihre Herberge sagen kann. Aber nun los, wir müssen um 8 am Treffpunkt sein.” Jason versuchte dem Laufschritt von Lara zu folgen, was ihm nach dieser Nacht so früh am Morgen nur mit Mühe gelang.

Aber nach fünf Minuten erreichten sie eine Bäckerei mit Stehcafe. Dort wartete ein Mann in den besten Jahren, mit langen schwarzgrauen Haaren und Vollbart auf sie. Er trug eine Lederjacke und auch eine Lederkappe. In seinem Ohr steckte ein silberner Stift mit einem kleinen Drachenemblem. Um seinen Hals lag eine Silberkette mit Stacheln.

“Captain, schön Sie zu sehen.” Lara gab dem Mann die Hand.

“Lara, die Freude ist ganz auf meiner Seite.” Er strahlte sie an, wie sie es von Männern im Allgemeinen gewohnt war.

“Und ich habe ihre Lieblinge dabei.” Er nickt in Richtung eines Toyota Pick Up, der vor der Bäckerei parkte. Auf der Ladefläche standen zwei fabrikneue KTM LC4.

“Natürlich neue. Die letzten die sie gefahren haben, konnten wir leider nicht mehr reparieren.” Lara dachte mit einem wehmütigen Lächeln an diese Fahrt. Sie liebte die Extreme.

“Aber die zwei haben wir schön zurecht gemacht. Reifen und Federn sind getauscht, es gibt nichts Besseres fürs Gelände.”

“Captain, sie sind ein Schatz.” Lara schenkte ihm ein weiteres breites Lächeln und der Captain schmolz einmal mehr dahin.

“Kommen sie, lassen Sie uns noch einen Kaffee nehmen.” Die drei stärkten sich in der Bäckerei. Sie verfügte wohl über die einzige Kaffeebar im Umkreis von Hunderten von Kilometern, die weder Cappuccino noch Latte Macchiato ausschenkte sondern ausschließlich den guten, alten deutschen Filterkaffee und zwar von Eduscho.

“Ist Eduscho nicht Ende der 90er von Tschibo geschluckt worden?” erkundigte sich Jason.

“Diese Bar haben sie wohl damals vergessen. Schade, dass alter Kaffee sich nicht ähnlich zum besseren entwickelt wie alter Wein.” Lara verzog die Mundwinkel.

“So, genug geschwatzt, auf geht‘s.”

“Lara, wir haben die Helme vergessen.” Jason sah sich suchend um. Lara lachte.

“Oh Jason, wie niedlich. Für so ein bisschen Offroad-fahren brauchen wir doch keinen Helm. Wir wollen doch auch was von der Fahrt mitbekommen.”

Der Captain half noch beim Abladen. Anschließend drückte er Lara einen Rucksack in die Hand und nahm sich des Gepäcks der beiden an. Lara und Jason schwangen sich auf die Enduros. Lara hatte die Karte vom Pergament auf ihr Smartphone übertragen lassen. Sie startete nun die Navigation und die Stimme aus dem Gerät wies ihr über Kopfhörer den Weg. Sie beschleunigte ihr Motorrad maximal, so dass Jason ihr kaum folgen konnte.

“Sie erreichen eine für den Durchgangsverkehr gesperrte Zone.” Sie hatten den Nationalpark erreicht. Ab hier waren motorisierte Fahrzeuge nur für die Forstwirtschaft und die Ranger erlaubt. Doch für derlei kleinliche Unterscheidungen hatte Lara keine Zeit. Sie nahm nicht einmal den Fuß vom Gas und preschte mit hoher Geschwindigkeit auf den Wanderweg. Die Maschine drehte hoch, so dass der Motor ein fast schon jaulendes Geräusch von sich gab, insbesondere bei den heftigen Beschleunigungen, die Lara so sehr liebte und denen typischerweise abrupte Bremsmanöver folgten. Jason war derweil am ganzen Körper durchgeschwitzt. Er war ein durchaus geübter Motorradfahrer, wurde aber den Verdacht nicht los, dass Lara über eine Rennerfahrung, auch im Gelände, verfügte, die weit über seine hinausging. Der Wanderweg war sogar für Mountainbikes gesperrt. Für Kinderwagen war er aber durchaus befahrbar und über weite Strecken verfügte er über einen festen Kiesboden. Das erlaubte Lara, ihre waghalsige Fahrt mit hoher Geschwindigkeit fortzusetzen. Wanderer trafen sie selten, wenn doch, dann sahen sie die zornesroten Gesichter und gereckten Fäuste nur im Rückspiegel. Einmal schnappten sie noch das Wort “.. Polizei ..” auf. Sollen sie ruhig anrufen, lächelte Lara teilnahmslos in sich hinein.

Nach wenigen Stunden waren sie am Ziel. Beide parkten ihre Enduros.

“Die Druidensteine, hatte Kolumbus also recht gehabt.” stellte Lara fest.

“Kolumbus?” Jason sah sie fragend an.

“Er hat seine Beziehungen spielen lassen und den BND eingeschaltet. Ich wollte auf der sicheren Seite sein. Ihre Auswertung hat ergeben, dass das Ziel zu 99% die Druidensteine sind - und voila, hier sind wir.” Jason war überrascht. Er hatte schon vermutet, dass Lara über einen guten Draht zur Polizei verfügte, spätestens seit der Sache mit dem Buchattentat. Aber ihr starker Arm reichte noch weiter, als er gedacht hatte.

“Sie konnten auf Infrarot-Satellitenbilder zurückgreifen und haben automatische Abgleiche gemacht. War gar nicht so schwer, das Ziel zu bestimmen. Aber jetzt kommt der spannende Teil.” Sie setzte ihren schwarzen 20 Liter Rucksack ab und zog daraus ein Gerät hervor, das wie ein Fotoapparat aussah, aber kein Fotoapparat war.

“Nanu, willst du ein paar Erinnerungsbilder schießen?” fragte Jason.

Lara schenkte ihm ihren Pantoffeltierchenblick.

“Das hat mir auch Kolumbus besorgt. Dieses Gerät misst nicht nur sichtbares Licht, sondern auch verschiedene andere Arten von Strahlung, zum Beispiel Radioaktivität. Es verfügt darüber hinaus über einen Sender, um Ultraschall und Radarortungen durchzuführen.” Das alles klang sehr nach Geheimdienst. Das war sicherlich eine Spezialanfertigung, die man weder im Geschäft um die Ecke bekam, noch dürfte sie ohne weiteres erschwinglich sein. Jason kannte Lara erst seit wenigen Wochen, seit sie in der Stadt aufgetaucht war. Er war ihr verfallen, sie war die faszinierendste Frau, der er je begegnet war. Und doch fragte er sich immer wieder, wer sie war und woher das Geld kam, über das sie scheinbar in unbegrenztem Masse verfügte.

Die zwei machten sich auf, die Druidensteine zu analysieren. Dazu hielt Lara das Gerät in Richtung der Felsen und stellte eine Reihe von Messungen an.

“Wir vermuten, dass das Pergament den Weg zu dem sagenumwobenen Drachenkompass weist.” Jason schaute sie fragend an.

“Zum was? Was ist ein Drachenkompass?”

“Ein blöder Name. Es ist auch kein Kompass. Er wird nur in einem alten Dokument so genannt, das wir abfangen konnten, bevor es in die Hände unseres kleinen Doktors fallen konnte. Der Drachenkompass ist ein Stein, der eine genaue Lagebezeichnung der Drachenhöhle enthält.”

“Also noch ein Plan?” fragte Jason.

“Im Prinzip ja, die Drachenbrüder wollten ihr Geheimnis einfach doppelt absichern.” Jason kam das ein wenig albern vor.

“Und wie finden wir diesen Stein?”

“Es gibt Indizien, dass das kein normaler Stein war. Dass der Stein, den sie für den Lageplan gewählt haben, schwach radioaktiv ist. Damit wird es deutlich einfacher ihn zu finden. Des Weiteren dürfen wir wohl davon ausgehen, dass er hier nicht einfach so herumliegt, sondern sich in irgendeinem Hohlraum befindet. Auch der sollte zu finden sein.” Lara hantierte weiterhin an ihrem kameraartigen Gerät herum.

“Mir scheint, hier ist schon etwas.” Auf dem Display sah man einen kleinen blauen blinkenden Punkt.

“Schauen wir uns das doch mal näher an.” Sie gingen zu den Druidensteinen und fanden den Eingang zur Grotte.

“Hier muss es sein, das macht Sinn”, bemerkte Lara zufrieden. Akribisch suchte sie nun mit dem Gerät die Wände der drei Räume auf Spuren einer verborgenen Öffnung ab und wurde nach zwei Stunden fündig.

“Dort oben müssen wir schauen.” Sie zeigte auf das Wappen mit dem Löwenkopf.

“Die Frage ist nur, wie wir es aufbekommen.” Lara dachte nach. Jason zuckte mit den Schultern:

“Wieso, kann doch so schwer nicht sein, nehmen wir notfalls irgendeinen Vorschlaghammer oder so.” Lara schüttelte den Kopf verächtlich.

“Wo ist denn dein Vorschlaghammer? Außerdem wollen wir hier keine Spuren hinterlassen. Der Doktor und seine Modemaus sollen nicht sehen, dass wir vor ihnen hier waren. Wir werden sie auf eine falsche Fährte locken.” Sie grinste hämisch und zeigte Jason einen Stein, der eine Wegbeschreibung zur Drachenhöhle und einen Lageplan enthielt.

“So sieht der aus, den wir suchen, nur dass die Informationen andere sind.” Jason bewunderte ihre Klugheit und wie vorausschauend sie diese Mission geplant hatte und wurde gleich noch einmal darin bestätigt.

“Was hast du denn da?” Lara hatte ein weiteres Werkzeug aus ihrem Rucksack genommen.

“Das ist ein Ultraschallrüttler.”

“Ein was?” Langsam kam sich Jason vor, wie ein kleiner Junge. Die ganze Sache hier war eine Nummer zu groß für ihn. Robin war Batman ebenbürtiger und Dr. Watson sowieso eher wie Sherlock Holmes als er an Lara heranreichte. Worauf hatte er sich da eigentlich eingelassen?

“Dieses Gerät versetzt Dinge in Schwingungen. Das funktioniert ein bisschen wie ein Ultraschallreiniger oder eine Ultraschallzahnbürste. Dadurch werden Stoffe, die irgendwo nicht hingehören, entfernt. Wir haben das schon bei so manchem alten Mechanismus angewendet und ihn wieder in Schwung gebracht.” Jason wollte lieber gar nicht wissen, wer genau “wir” war.

Lara nahm das Gerät in Betrieb. Es erzeugte nur ein leises Summen und auch die Vibrationen waren nicht zu sehen, doch aus der Wand rieselte nach wenigen Sekunden ein feiner Staub. Nach zwei Minuten schaltete sie das Gerät aus.

“So, da ist was rausgekommen, mal schauen, wie es jetzt aussieht.” Sie platzierte Jason an der Wand und ließ sich von ihm anheben.

“Die Umrisse der Öffnung sind nun klar zu erkennen. Auch einige Buchstaben sind nun beweglich.” Nach kurzem Probieren hatte sie die kleine Kammer geöffnet und ballte die Faust.

“Hier ist es, hier ist der Drachenkompass.” Sie nahm ihn heraus, verstaute ihn in einer ihrer Taschen, und legte das Imitat in den Hohlraum. Anschließend verschloss sie ihn wieder sorgfältig, achtete aber darauf, dass er sich weiterhin leicht würde öffnen lassen. Jason ächzte, traute sich aber während der Operation nicht, Lara auf seine schwindenden Kräfte hinzuweisen. Als sie endlich fertig war und er sie herunterlassen durfte, zitterte er vor Schwäche. Lara zeigte ihm triumphierend den Stein.

“Nun hält uns nichts mehr auf. Los, weiter zur Drachenhöhle.”

Jason gab ihr innerlich Recht, dass niemand sie aufhalten würde. Doch mehr und mehr beschlich ihn das Gefühl, dass das vielleicht keine ganz so gute Nachricht war.