Das Erste, was Hélène bemerkte, war, dass die Türen in diesem Raum anders eingehängt waren als sonst im Krankenhaus und dicke Gummiwülste die Zargen entlangliefen, sodass selbst, wenn jemand sie ins Schloss fallen ließ, kein lautes Knallen zu hören war, sondern nur ein leise schmatzendes Klicken.
Woods hatte recht gehabt. Der Amerikaner war nicht wiederzuerkennen. Hélène sagte nach den ersten beiden Treffen zu ihrem Mann, Cote habe sie an einen Zombie erinnert, an die Hülle eines Menschen, und als er fragte, warum sie sich das antue, wusste sie keine Antwort.
Der Amerikaner, auffallend blass und, wie es schien, dünner als zuvor, hatte sie mit einem vagen Lächeln begrüßt, als Dr. Woods sie in den Aufenthaltsraum führte, und einen Scherz versucht über die lange Zeit, die seit ihrem letzten Treffen vergangen war, der abbrach, noch bevor er eine Pointe oder einen Abschluss erreichte. Hélène hielt ihre Wiedersehensfreude zurück, zu weit schien der Mann ihr entfernt, und hütete sich nach fünf Minuten, so offen mit ihm zu reden wie vorher. Er war nicht in der Lage, schien ihr, irgendetwas aufzunehmen, was über den Austausch von Höflichkeiten oder Reminiszenzen hinausging.
Woods, ein großer, vielleicht fünfzigjähriger Mann mit einem gestutzten grauen Vollbart, in persona so angenehm wie am Telefon, hatte sie gewarnt, ihr Bekannter wirke heute kränker, als er sei, das liege an der neuen Medikation, die ihn, wie er sich ausdrückte, umhaue.
In zwei, drei Wochen wird es schon ganz anders sein, vielen Dank, dass Sie gekommen sind. Verstehen Sie, es ist schlimmer als beim ersten Mal. Wenn man glaubt oder sich einbildet oder glauben will, man habe so etwas überwunden, und dann kommt es zurück, dann ist es viel schlimmer als zuvor. Abgesehen davon, dass das Vertrauen in unsereinen darunter leidet. Zweifelsohne ist die medikamentöse Therapie zu früh abgesetzt worden beim letzten Mal, und da die traumatische Erinnerung ausschließlich im emotionalen Gedächtnis sitzt, ist es nicht möglich, damit analytisch zu arbeiten. Momentan ist jegliches Urvertrauen weg. Aber ich bin zuversichtlich, dass es zurückkehrt.
Also hat er eine falsche Therapie bekommen?, fragte Hélène.
Woods wurde gleich wieder zum Arzt. Nein, bestimmt nicht. Es kann, wenn die Krankheit chronisch-episodisch verläuft, auch nach einer erfolgreich beendeten Therapie zu einem Rückfall kommen.
Hélène hatte ihm von ihren beiden erfolglosen Versuchen in der Zeit seiner Abwesenheit berichtet, aber der Amerikaner hatte nur genickt und etwas wie Ja, bitter gemurmelt, schien aber kurz darauf schon wieder an anderes zu denken oder an gar nichts. Mehrmals begann er von Fort Leavenworth zu sprechen, dem Command and General Staff College, der Beförderung, aber dann öffnete sich die Tür, jemand kam herein, nahm ein Buch aus dem Regal, und die Konzentration war verloren. Die ganze Vertrautheit schien dahin. Er war introvertiert, schüchtern wie ein Halbwüchsiger, zog den Kopf ein wie ein geprügelter Hund, und Hélène begann, misstrauisch gegen Woods zu werden. Immerhin erfuhr sie, dass Cote seit Ende Dezember wieder in Paris war, als stellvertretender Heeresattaché an der Botschaft.
Ich wollte es unbedingt, sagte er. Ich wollte unbedingt zurück, obwohl ich schon gespürt habe, dass es wiederkommt. Als ich mich beworben habe, musste ich nachweisen, dass meine Sprachkenntnisse und mein Wissen von der Politik und Geschichte - und eben auch von der Kultur -.
Er unterbrach sich, als Dr. Woods den Kopf zur Tür hereinsteckte und dann eine abwehrende Geste machte, als wolle er sagen: Kümmern Sie sich nicht um mich. Aber dann hatte er den Faden verloren. Und als Hélène nachfragte, schien er sie nicht zu hören. Er lächelte und sagte: Verzeihung, können Sie das nochmal sagen?
Als Hélène die Station verließ, ging sie wortlos an Woods vorüber und überlegte, was sie tun könne, um ihm das Handwerk zu legen. Draußen brach ihr der Schweiß aus, und sie spürte, dass sie nicht mehr über dieselbe selbstverständliche Zuversicht und Kraft verfügte, um dem Amerikaner zur Seite zu stehen wie vor einigen Jahren bei ihren ersten Begegnungen.
Aber es ist immer wieder erstaunlich, und man erstaunt jedes Mal von Neuem darüber, wie viel die Medizin, das heißt Heilkunst und vor allem Medikamente, heute ausrichten kann. Nach dem vierten oder fünften Besuch begann Cote wieder der zu werden, an den sie sich erinnerte, es sei denn, dachte sie, ich habe mich an seinen Zustand gewöhnt. Aber so war es nicht. Dr. Woods’ Behandlung begann erste Erfolge zu zeigen, ganz so wie er es angekündigt hatte.
Und Hélènes halber Entschluss, sich nach ein, zwei weiteren Besuchen zurückzuziehen und die neurologische Station nicht mehr aufzusuchen, wurde vergessen. Ab März entwickelte sich der Donnerstag zum festen Besuchstag, und für Hélène, die noch keine neue IVF startete, hatte es etwas seltsam Erleichterndes, nur zu Besuch in das Krankenhaus zu kommen, die Rampe entlang der altehrwürdigen Klinkerfassade hinaufzugehen und das zugleich vertrauenerweckende und furchteinflößende High-Tech-Heilungszentrum zu betreten, das dahinter summte und atmete.
Woods, der ihr Vertrauen zurückgewonnen hatte, erklärte ihr im Beisein des Majors, dessen schlechter Zustand zu Anfang habe daran gelegen, dass in der Eindosierungsphase des Paroxetins und bei sukzessiver Dosissteigerung depressive und apathische Schübe verstärkt vorkommen und die Unruhe und das Angsterleben größer würden, worauf der Körper wiederum mit Schlaflosigkeit, Albträumen und Übelkeit reagiere. Überhaupt war jetzt in völliger Offenheit und ohne Zurückhaltung von einer PTBS, einer posttraumatischen Belastungsstörung, die Rede, es war erfrischend, dass der Arzt sie sowohl beim Namen nannte als auch wie eine klassische Krankheit behandelte, gegen die Kräutlein gewachsen waren, und nicht wie eine Bewusstseinsstörung, etwas Peinliches, zu Verheimlichendes, Abseitiges. Er setzte für die medikamentöse Behandlung ein Jahr an, der entscheidende Teil der Therapie war aber, was Woods im Ärztejargon die CBT nannte, die kognitive Verhaltenstherapie, mit der er, wie er sagte, den Teufelskreis der Angst durchbrechen wolle, und das entspannte und offene Ansprechen der Probleme gehörte bereits in den Umkreis der Behandlung. Von Dr. Mehran und seiner Psychoanalyse war nicht mehr die Rede.
Nun sind wir wieder am Anfang, sagte der Amerikaner zu ihr und blickte aus dem Fenster des mittlerweile vertrauten, wohnzimmerhaften Sprechzimmers hinaus auf die von Wohnhäusern begrenzte karge Vorfrühlingsnatur. Ganz am Anfang und müssen uns wieder hinaufarbeiten. Wie war Ihr Jahr?
Nicht ganz leicht, sagte Hélène. Und Ihres?
Auch nicht ganz leicht. Ich hab Ihnen verschwiegen, dass ich, kaum wieder hier angekommen, eine Dummheit gemacht habe.
Eine Dummheit?
Ja. Aus Verzweiflung. Aus Müdigkeit. Aus Scham. Und aus Feigheit hab ich es nicht richtig gemacht …
Sie wollen sagen -.
Ich will sagen, dass ich es, wie Hemingway einmal geschrieben hat, besser mit der heimatlichen Tradition von Colt oder Smith 010 Wesson hätte versuchen sollen, jenen gediegenen Werkzeugen, die Schlaflosigkeit kurieren, Schuldgefühle beenden, Krebs heilen und den Bankrott vermeiden helfen.
Sie sind zynisch, sagte Hélène bedrückt.
Ich bin vor allem darüber hinaus. Ich bin glücklich, dass wir uns sehen, auch wenn alles wieder am Nullpunkt steht.
Ach, wissen Sie, sagte Hélène, ich habe oft nachgedacht über all diese Erlebnisse im Krieg, von denen Sie mir erzählt haben. Ein jedes davon reicht aus, um einen zu traumatisieren, um einen für den Rest des Lebens zu verfolgen und nicht mehr wegzugehen. Wahrscheinlich muss man wirklich Soldat sein, um deswegen ein schlechtes Gewissen zu haben. Sie hielt einen Moment inne und sagte dann: Manchmal glaube ich, dass eigentlich jeder Mensch, der es lange genug aushält, die Augen zu öffnen, von dem, was er sieht, traumatisiert werden müsste. Unsere einzige Rettung ist, dass wir die Augen eben nicht zu lange aufhalten.
Und so etwas sagen Sie, die das Leben liebt!
Hélène lächelte. Ja, manchmal macht es mich selbst verrückt, dass es beides gibt. Das Schreckliche erlaubt einem nicht, glücklich zu sein, und das Schöne erlaubt einem nicht, sich in der Verzweiflung einzurichten.
Ich war im Oktober zum fünfundsechzigsten Geburtstag meines Vaters zum ersten Mal seit langer Zeit wieder in Worcester. Es hat mir nicht gutgetan. Ich wusste schon, dass mein Zustand labil war. Solange ich in Leavenworth war, hatte ich alles im Griff, aber dann die Feier, die Uniformen, die Anekdoten, und verrückterweise packte es mich im harmlosesten Moment: Wir stehen auf der Veranda, weil der Kinderchor von Notre-Dame ein Ständchen bringt, lauter kleine adrette Mädchen und Jungs, ein paar Gelbe und Schwarze dabei, plötzlich knallt die Terrassentür vom Luftzug - Sie erinnern sich, wie damals hier unten in der Cafeteria -, und ich liege flach und zittere und bebe … Meine Mutter hat das vor den Gästen vertuscht, mein Bruder blieb dann eine Stunde bei mir. Und am nächsten Tag, als ich mit dem Fernglas im Wald war, da habe ich es keinen Meter weg vom Auto geschafft. Woods hat mir erklärt, was er den Teufelskreis der Angst nennt, ein Kreislauf zwischen irgendeinem Auslöser, meiner falschen, also übertriebenen (er lachte bitter auf bei dem Wort) Wahrnehmung und der darauffolgenden hormonellen Reaktion, die sich bis zum Ausnahmezustand aufschaukelt. Sie haben ja so beruhigende Wörter dafür, die Ärzte: Vegetatives Hyperarousal nennen sie das.
Und was sagt die Armee dazu?, fragte Hélène.
Sie meinen, weil es schon wieder losgeht? Ob sie es nicht langsam satt ist, mich durchzufüttern? Sie unterschätzen die Gluckenhaftigkeit der US-Army, Hélène. Wer dazugehört, wird mit durchgeschleppt. Außerdem haben sie alle ein Interesse an vollständiger Heilung, um sich hinterher bestätigt fühlen zu dürfen, dass es so schlimm nicht gewesen sein kann. Quod erat demonstrandum. Wäre ich ein Zeitsoldat oder ein Mannschaftsdienstgrad, sähe die Sache anders aus. In der Botschaft bin ich ohnehin nur der vierte Mann. Die können meinen Ausfall problemlos kompensieren.
Wann fangen Sie wieder an?, schloss er dann unerwartet an.
Womit?
Mit Ihrer Schwangerschaft. Sie hatten mir versprochen -.
Hatte ich das?, unterbrach sie ihn, und er sah die Falten um ihren Mund.
Nicht vor dem Sommer.
Nicht vor dem Sommer, echote er und fragte dann ironisch: Gibt es ein Leben außerhalb dieses Krankenhauses?
Sie ging auf seinen Ton ein und antwortete: Angeblich, aber es ist zu lange her. Ich erinnere mich nicht.
Das Thema wurde aber rasch aktuell.
Bei einem ihrer Gespräche erwähnte der Amerikaner, der mittlerweile nicht mehr stationär behandelt wurde, sondern einmal die Woche zu einer Therapiesitzung ins Krankenhaus kam, dass Woods ihm geraten habe, sich die Welt Schritt für Schritt zurückzuerobern, mit anderen Worten, es zu wagen, wieder auf eigene Faust auf die Straße zu gehen.
Um Ihnen die Wahrheit zu gestehen, Hélène, ich traue mich nicht recht. Ich traue mich nicht mehr oder noch nicht wieder alleine in eine Situation, in der mich so ein Anfall packen könnte. Letztes Jahr, als ich das Fernglas um den Hals fünf Schritte vom Auto weggemacht hatte und in den Wald wollte, da hat es mich erwischt wie bei einem Herzinfarkt, das heißt, so stelle ich mir einen Herzinfarkt vor.
Sie sah ihn aufmerksam an.
Deswegen wollte ich Sie fragen … Woods wäre sehr dafür, sagt er mir …
Ja?, forschte Hélène.
Ob Sie, wenn Sie das nicht lächerlich finden, ein wenig mit mir spazieren gehen wollten? Er lief rot an vor Scham und sah zu Boden, fügte dann hinzu: Nur ein wenig um den Block zu Anfang …
Spazieren gehen?, fragte sie, verblüfft, dass es ihm so schwerfiel, eine so simple Bitte zu äußern. Aber natürlich. Aber sehr gerne. Ich liebe Spaziergänge.
Am Anfang konnte man es schwerlich so nennen. Sie verließen das Areal des Krankenhauses, gingen den Boulevard Victor Hugo hinauf, bogen dann rechts in den Boulevard du Château, die nächste wieder rechts in die Rue Chauveau und erreichten nach einer Viertelstunde das Krankenhaus über den Eingang Boulevard de la Saussaye. Der Amerikaner sagte nicht viel, blickte meist zu Boden, blieb stehen, wenn ihm jemand auf demselben Trottoir entgegenkam, und hielt sich dann manchmal sogar mit einer Hand an der schmiedeeisernen Stakete eines Zauns fest, als fürchte er, vom Zugwind des vorübereilenden Passanten wie ein trockenes Herbstblatt hochgewirbelt und davongeweht zu werden.
Das besserte sich nach ein paar solcher Rundgänge, und er begann, zugleich gehen und reden zu können. Auf ihre Nachfrage erklärte er ihr, wie die CBT funktionierte.
Wissen Sie, es geht kurz gesagt darum, alles das, was in meinem Gefühlsgedächtnis sitzt, umzustrukturieren, umzupolen. Woods versucht, jeden Punkt, jede Minute sozusagen dieses Kriegs zu erfassen und mit mir durchzugehen. Was ist passiert? Wie war der Tag, die Situation, die Befehlslage? Wie habe ich reagiert? Warum habe ich so reagiert? Was haben andere getan? Was war mit meiner Truppe? Und er analysiert jedes einzelne Detail, jede Aktion und Reaktion im Kontext, um mir zu zeigen - na, kurz gesagt, um mir zu beweisen, glaubhaft zu schildern, dass ich mir nichts vorzuwerfen habe.
Und was ist mit den Jugenderlebnissen?, fragte Hélène.
Er zuckte die Achseln. Lass die Toten ihre Toten begraben, das ist so ungefähr sein Credo. Was nutzt es mir zu erfahren, dass ich als Kind mit meiner Mutter schlafen wollte, wenn ich König von Theben bin und meine Stadt nicht schützen kann? Woods meint, das Einzige, was in der CBT zählt, ist die Gegenwart und vor allem die Zukunft. Es ist verrückt, was plötzlich alles wieder hochkommt, wenn man gezwungen wird, dieses emotionale Präsens quasi Einzelbild für Einzelbild zu rekonstruieren, zusammenzusetzen wie ein Mosaik oder ein Puzzle.
Und wird denn ein Gesamtbild daraus?
Wissen Sie, da war so viel … Wie soll ich es ausdrücken? Man geht in so einen Krieg hinein und versucht, nicht leichtsinnig zu sein, zu jedem Zeitpunkt die ganze Situation im Auge zu behalten, alle sinnlichen Reize, die auf einen einstürmen, zu verarbeiten, zu beurteilen und entsprechend zu handeln. Sie müssen schließlich Ihre Männer und sich selbst schützen. Aber sich selbst unter Kontrolle zu haben reicht nicht, denn die Situation ist größer als man selbst. Sobald man einmal drin ist, ist man gefährdet. Denn der Krieg ist eine Situation, die ihrem Wesen nach außer Kontrolle ist, vor allem außerhalb meiner Kontrolle. Diese Hyper-Wachsamkeit, die man dabei aufbaut, so lebensrettend sie im Feld sein kann, so nervenzerrüttend ist sie im Frieden … Und manchmal, da kommt so eine jähe, bodenlose Wut in Ihnen hoch, ein Zorn, der aus dem Nichts auftaucht wie eine Eruption … Und dann wieder erleben Sie mitten im Horror etwas, das Ihnen die Tränen in die Augen treibt vor Freude und Trauer und Stolz, und dann sagt man sich - Sie werden es idiotisch finden, ich weiß -, ja, schrecklich wie sie ist, ist dies meine Heimat …
Sie sah ihn skeptisch an.
Es war am frühen Morgen des 27., glaube ich, kurz nach dem Angriff auf das Rollfeld, den Flughafen von Jalibah. Den ganzen Abend war der Highway 8 blockiert worden, weil die Division auftanken musste, wobei sie extrem verwundbar ist - wir waren zu schnell vorangekommen, zweihundert Meilen in zwei Tagen, und hatten schlicht kein Benzin mehr -, jedenfalls, es war früher Morgen, mein Bradley kommt auf dem Highway 8 an - Sie müssen sich das vorstellen, Sie fahren durch eine Wüste, die bis zum Horizont geht, es gibt nichts anderes, das Ende der Welt, einer völlig desolaten Welt abseits von allem, und plötzlich rollen Sie eine Böschung runter und kreuzen eine perfekt ausgebaute, sechsspurige Autobahn, mit Standspur und Überführungen und Verkehrsschildern, als wäre man irgendwo in Arizona. Zivilisation, verstehen Sie? Und dort also waren während der Blockade mehrere Militärlaster zerstört worden, und eine Reihe toter irakischer Soldaten lag auf der Fahrbahn herum. Einer davon, steif und verkrümmt, genau auf dem Mittelstreifen, aber jemand hatte ihn mit einem unserer schwarzen Plastiksäcke zugedeckt. Soldaten kennen den Anblick dieser Säcke, er ist einer der schlimmsten, er heißt tote Kameraden, aber da hatte irgendeiner von uns, wahrscheinlich nachdem er den Iraker erschossen hatte, ihm die letzte Ehre erwiesen, bevor er weiterfuhr, und hatte den Leichnam mit diesem Plastiksack bedeckt. Mitten im Töten und Getötetwerden hat er daran gedacht, diesem unbekannten Feind, diesem Menschen Respekt zu erweisen …
Haben Sie denn viele Ihrer Kameraden sterben sehen?, fragte Hélène.
Fallen sehen, verbesserte der Amerikaner. Nein, ich habe nur von sehr wenigen Toten bei uns gehört. Gott sei Dank keiner von meinen Leuten. Nein, die Toten, die ich gesehen habe, waren die anderen.
Und viele von denen?, fragte Hélène.
Der Amerikaner nickte. Viele.
Hélène war kurz davor, etwas zu sagen. Sie wollte sagen: Und Ihr Dr. Woods lässt Sie jeden dieser Toten Revue passieren und polt Ihre Reaktionen um, damit sie nichts mehr mit Ihnen zu tun haben. Aber sie sagte es nicht. Sie biss sich auf die Lippen.
Cote schüttelte den Kopf. Eigentlich müsste fast jeder, der dabei war, Gedichte schreiben …
Hélène starrte ihn entgeistert an.
Doch, doch, sagte er, mehr zu sich selbst. Die Nadeln der Bilder unter den Nägeln. Jedes Detail eine Nadel, bei jedem Atemzug gehen sie tiefer ins Fleisch. Daraus hat sie ihre Gedichte gemacht … Die Flamme rann hinab. Wir sahen das Pärchen Eulen, die dort nisten, auf- und hochflattern, ihr wirrendes Schwarz-Weiß von unten her rosig befleckt, bis sie schreiend außer Sicht gerieten…O fallendes Feuer und durchdringender Schrei und Panik und eine schwache hürnene Faust, ahnungslos geballt gegen den Himmel …
Sie hatten ihren Spaziergang beendet und verabschiedeten sich am Tor.
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