CATELYN
Der Himmel im Osten schimmerte rosig und golden, als die Sonne über dem Grünen Tal von Arryn aufging. Catelyn Stark beobachtete, wie sich das Licht ausbreitete, während ihre Hände auf dem glatt gemeißelten Stein der Balustrade vor ihrem Fenster ruhten. Unter ihr war die Welt schwarz, wurde dunkelblau, dann grün, während der Morgen über Felder und Wälder kroch. Fahle, weiße Nebel stiegen von Alyssas Tränen auf, wo gespenstische Fluten über die Schulter des Berges drängten und ihren langen Sturz die Wand der Riesenlanze hinab begannen. Catelyn spürte den leichten Sprühregen auf ihrem Gesicht.
Alyssa Arryn hatte erlebt, wie ihr Mann, ihre Brüder und ihre Kinder erschlagen wurden, und doch hatte sie nie eine Träne darüber vergossen. So hatten die Götter beschlossen, dass sie keine Ruhe finden sollte, bis ihr Weinen die schwarze Erde des Grünen Tales bewässerte, wo die Menschen, die sie geliebt hatte, begraben lagen. Mittlerweile war Alyssa sechstausend Jahre tot, und dennoch fand kein Tropfen des Wasserfalls je den Weg ins Tal. Catelyn fragte sich, wie groß der Sturzbach ihrer Tränen sein würde, wenn sie starb. »Erzählt mir auch den Rest«, sagte sie.
»Der Königsmörder stellt in Casterlystein ein Heer zusammen«, antwortete Ser Rodrik Cassel aus dem Zimmer hinter ihr. »Euer Bruder schreibt, er habe Reiter zum Stein entsandt und zu wissen verlangt, was Lord Tywin zu tun gedenke, aber er hat keine Antwort erhalten. Edmure hat Lord Vanke und Lord Peiper angewiesen, den Pass unterhalb vom Goldzahn zu bewachen. Er schwört, dass er keinen Fußbreit Tullyland aufgeben wird, ohne ihn mit dem Blut der Lennisters zu tränken.«
Catelyn wandte sich vom Sonnenaufgang ab. Seine Schönheit konnte sie nur schwerlich aufmuntern. Es schien ihr grausam, dass ein Tag so schön begann und so übel zu enden versprach. »Edmure hat Reiter geschickt und Schwüre ausgesprochen«, sagte sie, »doch Edmure ist nicht der Lord von Schnellwasser. Was ist mit meinem Hohen Vater?«
»In dem Brief wurde Lord Hoster nicht erwähnt, Mylady. « Ser Rodrik zupfte an seinem Backenbart. Dieser war weiß wie Schnee und stachlig wie ein Dornenbusch nachgewachsen, während der Ritter sich von seinen Verletzungen erholt hatte. Fast sah er wieder aus, wie man ihn kannte.
»Mein Vater hätte die Verteidigung von Schnellwasser nicht Edmure überlassen, wäre er nicht sehr krank«, vermutete sie besorgt. »Man hätte mich gleich wecken sollen, als dieser Vogel kam.«
»Eure Schwester hielt es für besser, Euch schlafen zu lassen, wie mir Maester Colemon berichtet.«
»Man hätte mich wecken sollen«, beharrte sie.
»Der Maester teilte mir mit, Eure Schwester wolle nach dem Kampf mit Euch sprechen«, sagte Ser Rodrik.
»Dann will sie weiter diesen Mummenschanz treiben?« Catelyn verzog das Gesicht. »Der Zwerg hat mit ihr gespielt wie auf einem Dudelsack, und sie ist zu taub, die Melodie zu hören. Was heute Morgen auch geschehen mag, Ser Rodrik, es ist längst an der Zeit, dass wir uns auf den Weg machen. Ich gehöre nach Winterfell zu meinen Söhnen. Wenn Ihr für die Reise bei Kräften seid, will ich Lysa um eine Eskorte bitten, die uns nach Möwenstadt begleitet. Von dort aus können wir ein Schiff nehmen.«
»Wieder ein Schiff?« Ser Rodrik wurde leicht grünlich im Gesicht, brachte es jedoch fertig, den Schauer auf seinem Rücken zu unterdrücken. »Wie es Euch beliebt, Mylady.«
Der alte Ritter begab sich nach draußen vor die Tür, als Catelyn die Dienerinnen hereinrief, die Lysa ihr überlassen hatte. Wenn sie noch vor dem Duell mit Lysa spräche, wäre sie vielleicht noch umzustimmen, dachte sie, während man sie anzog. Lysas Politik wandelte sich mit ihren Launen, und ihre Launen wechselten stündlich. Das scheue Mädchen, das sie einst in Schnellwasser gekannt hatte, war zu einer Frau herangewachsen, die abwechselnd stolz, ängstlich, grausam, verträumt, leichtsinnig, verschreckt, halsstarrig, eitel und vor allem wankelmütig war.
Als dieser abscheuliche Kerkermeister auf Knien angekrochen kam, um ihnen zu sagen, dass Tyrion Lennister gestehen wollte, hatte Catelyn Lysa bedrängt, ihnen den Zwerg in aller Stille bringen zu lassen, aber nein, ihre Schwester musste ihn dem halben Tal vorführen. Und nun das …
»Lennister ist mein Gefangener«, erklärte sie Ser Rodrik, während sie die Turmtreppe hinabstiegen und durch die kalten, weißen Hallen Hohenehrs schritten. Catelyn trug schlichte graue Wolle und einen versilberten Gürtel. »Das muss meiner Schwester in Erinnerung gerufen werden.«
An den Türen zu Lysas Gemächern begegneten sie ihrem Onkel, der gerade herausstürmte. »Auf dem Weg zum Narrenfest?«, schimpfte Ser Brynden. »Ich würde dir raten, deiner Schwester Vernunft einzuprügeln, wenn ich nur glaubte, dass es etwas nützt, aber du würdest dir nur die Hand verletzen.«
»Von Schnellwasser ist ein Vogel eingetroffen«, begann Catelyn, »ein Brief von Edmure … «
»Ich weiß, Kind.« Der schwarze Fisch, der seinen Umhang hielt, war Bryndens einziges Zugeständnis an Schmuck.
»Ich musste es von Maester Colemon erfahren. Daraufhin habe ich deine Schwester um die Erlaubnis gebeten, tausend erfahrene Männer zu nehmen und so schnell wie möglich nach Schnellwasser zu reiten. Weißt du, was sie entgegnet hat? Das Grüne Tal kann weder tausend Streiter entbehren noch einen einzigen, Onkel, hat sie erwidert. Ihr seid der Ritter des Tores. Euer Platz ist hier.« Ein Schwall von kindischem Gelächter drang durch die offenen Türen hinter ihm heraus, und ihr Onkel warf einen finsteren Blick über die Schulter. »Nun, ich habe ihr gesagt, da kann sie sich ebenso gut gleich einen neuen Ritter des Tores suchen. Schwarzfisch hin oder her, noch bin ich ein Tully. Bei Einbruch der Dunkelheit breche ich nach Schnellwasser auf.«
Das konnte Catelyn nicht überraschen. »Allein? Ihr wisst so gut wie ich, dass Ihr auf der Bergstraße nicht überleben werdet. Ser Rodrik und ich kehren nach Winterfell zurück. Kommt mit uns, Onkel. Ich gebe Euch Eure tausend Mann. Schnellwasser wird nicht allein kämpfen.«
Brynden dachte einen Moment lang nach, dann nickte er barsch. »Wie du sagst. Es ist ein langer Heimweg, aber wir werden es schon schaffen. Ich warte unten auf euch.« Er schritt von dannen, und sein Umhang flatterte ihm hinterher.
Catelyn wechselte einen Blick mit Ser Rodrik. Zum Klang von hohem, angespanntem Kinderkichern traten sie durch die Tür.
Von Lysas Gemächern aus erreichte man einen kleinen Garten, einen Ring von Erde und Gras, mit blauen Blumen bepflanzt und auf allen Seiten von hohen, weißen Türmen umgeben. Die Erbauer hatten ihn als Götterhain gedacht, aber die Ehr ruhte auf dem harten Stein des Berges, und so viel Mutterboden sie auch aus dem Tal heraufbringen mochten, konnten sie doch keinen Wehrholzbaum dazu bringen, hier Wurzeln zu schlagen. Die Lords über die Ehr pflanzten daher Gras und verteilten Skulpturen zwischen den niedrigen, blühenden Büschen. Dort sollten die beiden Streiter aufeinandertreffen und ihr Leben und das Tyrion Lennisters in die Hände der Götter legen.
Lysa, frisch geputzt und in cremefarbenem Samt, ein Band aus Saphiren und Mondsteinen um den milchweißen Hals, hielt auf der Terrasse Hof, mit Blick auf den Kampfplatz, umgeben von ihren Rittern, Gefolgsleuten und großen und kleinen Lords. Die meisten von ihnen hofften noch immer, sie zu ehelichen, mit ihr das Bett zu teilen und an ihrer Seite über das Grüne Tal von Arryn zu herrschen. Nach allem, was Catelyn während ihres Besuches auf Hohenehr gesehen hatte, hofften sie vergeblich.
Ein hölzernes Podium war errichtet worden, um Roberts Stuhl zu erhöhen. Dort saß der Lord über die Ehr, kicherte und klatschte in die Hände, während ein buckliger Puppenspieler in blau-weißem Narrenkleid zwei hölzerne Ritter aufeinander einhacken ließ. Krüge mit dicker Sahne und Körbe voller Brombeeren waren verteilt worden, und die Gäste tranken süßen, nach Orangen duftenden Wein aus verzierten Silberbechern. Ein Narrenfest, hatte Brynden es genannt. Wie Recht er hatte.
Auf der anderen Seite der Terrasse lachte Lysa fröhlich über einen Scherz von Lord Hanter und biss vorsichtig in eine Brombeere an der Spitze des Dolches von Ser Lyn Corbray. Diese beiden Freier standen in Lysas Gunst am höchsten … heute zumindest. Nur schwerlich hätte Catelyn sagen können, welcher der beiden ungeeigneter gewesen wäre. Eon Hanter war noch älter, als Jon Arryn es gewesen war, halb verkrüppelt von der Gicht und mit drei streitsüchtigen Söhnen geschlagen, einer habgieriger als der andere. Ser Lyn frönte einer ganz anderen Narretei: Schlank und gut aussehend, war er der Erbe eines uralten, wenn auch verarmten Hauses, dabei eitel, leichtsinnig und aufbrausend … und, wie man flüsterte, notorisch desinteressiert am intimen Charme der Frauen.
Lysa erblickte Catelyn und hieß diese mit schwesterlicher Umarmung und feuchtem Kuss an den Hals willkommen. »Ist es nicht ein wunderbarer Morgen? Die Götter lächeln auf uns herab. Koste einen Becher von diesem Wein, liebe Catelyn. Lord Hanter war so gut, ihn aus seinen eigenen Kellern bringen zu lassen.«
»Danke, nein, Lysa, wir müssen reden.«
»Später«, vertröstete ihre Schwester sie und wollte sich schon abwenden.
»Jetzt.« Catelyn sprach lauter, als sie beabsichtigt hatte. Männer wandten sich um. »Lysa, du kannst nicht allen Ernstes mit dieser Torheit fortfahren. Lebend besitzt der Gnom einen Wert für uns. Tot ist er nur Futter für die Krähen. Und sollte sein Streiter sich behaupten …«
»Die Chancen dafür stehen schlecht, Mylady«, versicherte ihr Lord Hanter und klopfte ihr mit einer von Leberflecken übersäten Hand auf die Schulter. »Ser Vardis ist ein kühner Kämpfer. Er wird mit dem Söldner kurzen Prozess machen.«
»Wird er das, Mylord?«, sagte Catelyn kühl. »Das ist die Frage.« Sie hatte Bronn auf der Bergstraße kämpfen sehen. Dass er die Reise überlebt hatte, während andere Männer gefallen waren, durfte man nicht dem Zufall anrechnen. Er bewegte sich wie ein Panter, und dieses hässliche Schwert, das er sein Eigen nannte, schien an seinem Arm wie festgewachsen.
Lysas Freier sammelten sich um sie wie Bienen um eine Blüte. »Frauen verstehen nur wenig von diesen Dingen«, sagte Ser Morton Waynwald. »Ser Vardis ist ein Ritter, Mylady. Dieser andere Bursche, nun, solche wie er sind allesamt im Herzen Feiglinge. Nützlich in der Schlacht, wenn Tausende Gefährten um sie herum sind, doch stehen sie allein, verlässt sie gleich die Mannhaftigkeit.«
»Angenommen, Ihr hättet damit Recht«, sagte Catelyn so höflich, dass ihr Mund schmerzte. »Was gewinnen wir durch den Tod des Gnoms? Glaubt Ihr, es würde Jaime auch nur einen Deut interessieren, ob wir seinen Bruder vor Gericht gestellt haben, bevor wir ihn vom Berg stoßen?«
»Enthauptet den Mann«, schlug Ser Lyn Corbray vor. »Wenn man dem Königsmörder den Kopf des Gnoms schickt, wird ihm das eine Warnung sein.«
Ungeduldig schüttelte Lysa das hüftlange, kastanienbraune Haar. »Lord Robert will ihn fliegen sehen«, sagte sie, als klärte das die Frage. »Und der Gnom hat es allein sich selbst zuzuschreiben. Er war es, der die Prüfung durch den Kampf gefordert hat.«
»Lady Lysa blieb keine ehrenhafte Möglichkeit, ihm dies zu verweigern, selbst wenn sie es gewollt hätte«, erklärte Lord Hanter gewichtig.
Ohne die Gegenwart der Männer zu beachten, drang Catelyn auf ihre Schwester ein. »Ich erinnere dich daran, dass Tyrion Lennister mein Gefangener ist.«
»Und ich erinnere dich daran, dass der Zwerg meinen Hohen Gatten ermordet hat!« Ihre Stimme wurde lauter. »Er hat die Hand des Königs vergiftet und meinen kleinen Liebling vaterlos gemacht, und nun soll er teuer dafür bezahlen!« Sie fuhr herum, dass ihre Röcke flogen, und schritt über die Terrasse. Ser Lyn, Ser Morton und die anderen Freier empfahlen sich mit kurzem Nicken und eilten ihr hinterher.
»Glaubt Ihr, dass er die Tat begangen hat?«, fragte Ser Rodrik leise, als sie wieder allein waren. »Lord Jon ermordet, meine ich. Der Gnom streitet es ab, und zwar heftig …«
»Meiner Meinung nach haben die Lennisters Lord Arryn ermordet«, erwiderte Catelyn, »nur ob Tyrion, Ser Jaime oder die Königin oder gar alle zusammen, kann ich unmöglich sagen.« Lysa hatte in ihrem Brief nach Winterfell Cersei genannt, nun jedoch schien sie sicher zu sein, dass Tyrion der Mörder war … vielleicht weil der Zwerg hier war, während sich die Königin hinter den Mauern des Roten Bergfried in Sicherheit befand, Hunderte von Meilen entfernt im Süden. Catelyn wünschte fast, sie hätte den Brief ihrer Schwester vernichtet, bevor sie ihn gelesen hatte.
Ser Rodrik zupfte an seinem Backenbart. »Gift, nun … es könnte sehr wohl das Werk des Zwerges sein, das stimmt. Oder Cerseis. Gift, heißt es, sei die Waffe der Frauen, wenn Ihr mir verzeihen wollt, Mylady. Der Königsmörder, nun … ich hege keine große Zuneigung für den Mann, aber es passt nicht zu ihm. Allzu gern sieht er Blut an seinem goldenen Schwert. War es Gift, Mylady?«
Catelyn blickte ihn fragend an, und ihr war nicht ganz wohl. »Wie sonst sollten sie es nach einem natürlichen Tod aussehen lassen?« Hinter ihnen kreischte Lord Robert vor Freude, als einer der Puppenritter den anderen in zwei Teile schlug und sich dabei eine Flut roter Sägespäne über die Terrasse ergoss. Sie betrachtete ihren Neffen und seufzte. »Dieser Junge wächst ohne die geringsten Regeln auf. Zum Regieren wird er niemals stark genug sein, wenn man ihn nicht eine Weile seiner Mutter wegnimmt.«
»Sein Hoher Vater war ganz Eurer Ansicht«, hörte sie eine Stimme neben sich. Sie wandte sich um und fand Maester Colemon vor, der einen Becher Wein in der Hand hielt. »Er wollte den Jungen als Mündel nach Drachenstein schicken, müsst Ihr wissen … oh, vermutlich sollte ich darüber nicht sprechen.« Sein Adamsapfel hüpfte nervös unter der losen Ordenskette. »Ich fürchte, ich habe zu viel von Lord Hanters exzellentem Wein genossen. Die Aussicht auf ein Blutvergießen strapaziert meine Nerven …«
»Ihr täuscht Euch, Maester«, entgegnete Catelyn. »Es war Casterlystein, nicht Drachenstein, und diese Vereinbarungen wurden erst nach dem Tod der Hand getroffen, ohne Zustimmung meiner Schwester.«
Der Kopf des Maesters zuckte derart heftig am Ende seines lächerlich langen Halses, dass er selbst halbwegs wie eine Puppe aussah. »Nein, ich bitte um Verzeihung, Mylady, doch war es Lord Jon höchstselbst, der …«
Unter ihnen erklang laut eine Glocke. Hohe Herren und Dienstmädchen gleichermaßen unterbrachen, was sie gerade taten, und traten an die Balustrade. Unten führten zwei Gardisten in himmelblauen Umhängen Tyrion Lennister herein. Der pausbackige Septon der Ehr begleitete ihn zur Statue in der Mitte des Gartens, einer weinenden Frau, die aus gemasertem Marmor gehauen war und zweifellos Alyssa darstellen sollte.
»Der böse, kleine Mann«, sagte Lord Robert kichernd. »Mutter, darf ich ihn fliegen lassen? Ich will ihn fliegen sehen. «
»Später, mein kleiner Liebling«, versprach Lysa.
»Erst die Prüfung«, leierte Ser Lyn Corbray, »dann die Hinrichtung.«
Einen Augenblick später erschienen die beiden Kontrahenten an verschiedenen Seiten des Gartens. Dem Ritter standen zwei junge Knappen zur Seite, dem Söldner der Waffenmeister von Hohenehr.
Ser Vardis Egen steckte von Kopf bis Fuß in Stahl, einer schweren Rüstung über Kettenhemd und wattiertem Wappenrock. Große, runde Medaillons, bemalt mit dem blauen und cremefarbenen Siegel, das den Mond und den Falken des Hauses Arryn zeigte, schützten die verwundbare Verbindung von Arm und Brust. Ein metallener Rock bedeckte ihn von der Hüfte bis fast zum Knie, während um seinen Hals ein solider Ringkragen lag. Falkenschwingen sprossen aus den Seiten seines Helms, und sein Visier war ein spitzer Eisenschnabel mit schmalem Sehschlitz.
Bronn war so leicht gepanzert, dass er neben dem Ritter fast nackt aussah. Er trug nur ein schwarzes, öliges Kettenhemd über hartem Leder, einen runden, stählernen Halbhelm mit Nasenschutz und dazu eine Kettenhaube. Hohe Lederstiefel mit stählernen Schienbeinschützern an den Beinen, und Scheiben von schwarzem Eisen waren in die Finger seiner Handschuhe genäht. Doch fiel Catelyn auf, dass der Söldner seinen Gegner um einen halben Kopf überragte und eine größere Reichweite besaß … zudem war Bronn fünfzehn Jahre jünger, falls sie das richtig einschätzte.
Sie knieten im Gras neben der weinenden Frau, einander gegenüber, zwischen ihnen Lennister. Der Septon nahm eine facettierte Kristallkugel aus dem weichen Stoffbeutel an seiner Hüfte. Er hob sie hoch über den Kopf, und Licht brach sich in alle Richtungen. Regenbogen tanzten auf dem Gesicht des Gnoms. Mit hohem, feierlichem Singsang bat der Septon die Götter, herabzusehen und zu bezeugen, die Wahrheit in der Seele dieses Mannes zu ergründen, ihm Leben und Freiheit zu schenken, falls er unschuldig sei, oder ihn in den Tod zu schicken, sollte er Schuld tragen. Seine Stimme hallte von den umstehenden Türmen zurück.
Nachdem das letzte Echo verklungen war, ließ der Septon seine Kristallkugel sinken und entfernte sich eilig. Tyrion beugte sich vor und flüsterte Bronn etwas ins Ohr, bevor die Gardisten ihn abführten. Lachend stand der Söldner auf und wischte Gras vom Knie.
Robert Arryn, Lord über die Ehr und Hüter des Grünen Tales, zappelte ungeduldig auf einem erhöhten Stuhl herum. »Wann kämpfen sie denn endlich?«, fragte er unverblümt.
Ser Vardis wurde von einem seiner Knappen auf die Beine geholfen. Der andere brachte ihm einen dreieckigen Schild von beinah vier Fuß Höhe, aus schwerer Eiche, mit Eisennägeln beschlagen. Diesen banden sie an seinem linken Unterarm fest. Als Lysas Waffenmeister Bronn einen ähnlichen Schild anbot, spuckte der Söldner aus und winkte ab. Ein drei Tage alter, rauer schwarzer Bart bedeckte Kinn und Wangen, doch wenn er sich nicht rasierte, dann nicht aus Mangel an scharfen Klingen. Die Schneide seines Schwertes besaß den gefährlichen Glanz jenes Stahls, den man täglich stundenlang geschliffen hatte, bis er zu scharf war, als dass man ihn ungestraft berühren konnte.
Ser Vardis streckte die Hand im Panzerhandschuh aus, und sein Knappe drückte ein hübsches Langschwert mit doppelter Schneide hinein. In die Klinge war mit zartem Geflecht ein Morgenhimmel eingraviert, der Griff war ein Falkenkopf, der Handschutz in Form von Flügeln gehalten. »Dieses Schwert habe ich für Jon in Königsmund anfertigen lassen«, erklärte Lysa ihren Gästen stolz, während sie zusahen, wie Ser Vardis einen Probehieb ausführte. »Er hat es stets getragen, wenn er an König Roberts Stelle auf dem Eisernen Thron saß. Ist es nicht wunderschön? Ich fand es nur angemessen, dass unser Streiter Jon mit seiner eigenen Klinge rächt.«
Die verzierte Silberklinge war ohne Zweifel hübsch, nur schien es, als wäre Ser Vardis mit seinem eigenen Schwert vertrauter gewesen. Dennoch sagte Catelyn nichts. Sie war die fruchtlosen Streitgespräche mit ihrer Schwester leid.
»Lasst sie kämpfen!«, rief Lord Robert.
Ser Vardis wandte sich dem Lord über die Ehr zu und hob sein Schwert zum Gruß. »Für Hohenehr und das Grüne Tal.«
Tyrion Lennister hatte man auf einem Balkon auf der anderen Seite des Gartens platziert, flankiert von seinen Wachen. Ihm wandte sich Bronn mit flüchtigem Gruß zu.
»Sie warten auf Euren Befehl«, sagte Lady Lysa zu ihrem Sohn.
»Kämpft!«, schrie der Junge, der sich mit zitternden Armen an die Lehne seines Stuhls klammerte.
Ser Vardis fuhr herum und hob den schweren Schild. Bronn stellte sich ihm. Ihre Schwerter schlugen aneinander, einmal, zweimal, zur Probe. Der Söldner trat einen Schritt zurück. Der Ritter folgte ihm, den Schild vor sich. Er versuchte einen Hieb, aber Bronn wich zurück, außer Reichweite, und die silberne Klinge durchschnitt nur Luft. Bronn bewegte sich nach rechts im Bogen um Ser Vardis herum. Dieser folgte ihm erneut, den Schild weit vor sich. Der Ritter drängte vor, wobei er wegen des unebenen Bodens jeden Schritt mit Sorgfalt setzte. Der Söldner wich erneut zurück, ein leises Lächeln auf den Lippen. Ser Vardis griff an, schlug zu, doch Bronn sprang fort von ihm und hüpfte leichtfüßig über einen flachen, moosbewachsenen Stein. Nun beschrieb der Söldner einen Kreis zu seiner Linken, fort von dem Schild, zur ungeschützten Seite des Ritters. Ser Vardis versuchte, auf seine Beine einzuhacken, doch der Gegner war außer Reichweite. Bronn tänzelte weiter nach links. Ser Vardis drehte sich um.
»Der Mann ist eine Memme«, erklärte Lord Hanter. »Steh und kämpfe, Feigling!« Andere Stimmen schlossen sich ihm an.
Catelyn sah zu Ser Rodrik hinüber. Ihr Waffenmeister schüttelte kurz den Kopf. »Er will, dass Ser Vardis ihn jagt. Das Gewicht von Rüstung und Schild würde selbst den stärksten Mann ermüden.«
Fast jeden Tag ihres Lebens hatte sie Männern beim Schwertkampf zugesehen, hatte einem halben Hundert Turnieren beigewohnt, dieses jedoch unterschied sich von ihnen: ein Tanz, bei dem der kleinste Fehltritt den Tod bedeutete. Während sie zusah, wurde in Catelyn Stark die Erinnerung an ein anderes Duell zu einer anderen Zeit wach, so lebendig, als wäre es gestern erst gewesen.
Sie trafen sich im unteren Burghof von Schnellwasser. Als Brandon bemerkte, dass Petyr nur Helm, Brustharnisch und Kettenhemd trug, legte er ebenfalls den Großteil seiner Rüstung ab. Petyr hatte sie um ein Zeichen ihrer Gunst gebeten, das er beim Kampf tragen wollte, doch sie hatte sein Ersuchen abgelehnt. Ihr Hoher Vater hatte sie Brandon Stark versprochen, und so war er es, dem sie ihr Pfand gab, ein hellblaues Tuch, das sie mit der springenden Forelle von Schnellwasser verziert hatte. Während sie es in seine Hand presste, flehte sie ihn an: »Er ist nur ein dummer Junge, dennoch liebe ich ihn wie einen Bruder. Ich würde um ihn trauern, wenn er sterben sollte.« Und ihr Verlobter blickte sie mit den kühlen, grauen Augen eines Stark an und versprach, den Jungen zu verschonen, der sie liebte.
Jener Kampf fand ein rasches Ende, kaum dass er begonnen hatte. Brandon war ein erwachsener Mann, und er trieb Kleinfinger über den ganzen Hof und dann die Wassertreppe hinab, ließ bei jedem Schritt Hiebe auf den Jungen niederregnen, bis der taumelte und aus einem Dutzend Wunden blutete. »Gebt auf!«, rief er mehr als einmal, doch Petyr schüttelte nur den Kopf und kämpfte grimmig weiter. Als der Fluss um ihre Knöchel schwappte, machte Brandon dem Ganzen schließlich mit einer brutalen Rückhand ein Ende, die das Kettenhemd seines Gegners und auch das Leder durchschlug und ins weiche Fleisch unter den Rippen ging, so tief, dass Catelyn sicher war, die Wunde müsse tödlich sein. Petyr sah sie an, während er fiel, und murmelte »Cat«, indes hellrotes Blut zwischen den Ketten hervorquoll. Sie dachte, sie hätte es vergessen.
Da hatte sie sein Gesicht zum letzten Mal gesehen … bis zu jenem Tag, als man sie in Königsmund zu ihm führte.
Zwei Wochen vergingen, bis Kleinfinger wieder bei Kräften war und Schnellwasser verlassen konnte, aber ihr Hoher Vater verbot ihr, ihn im Turm zu besuchen, wo er zu Bette lag. Lysa hatte dem Maester geholfen, ihn zu pflegen. In jenen Tagen war sie sanftmütig und schüchtern gewesen. Auch Edmure wollte ihm einen Besuch abstatten, Petyr hingegen hatte ihn fortgeschickt. Ihr Bruder hatte im Duell Brandon als Knappe gedient, und das konnte Kleinfinger nicht verzeihen. Sobald er wieder bei Kräften und transportfähig war, ließ Lord Hoster Tully Petyr Baelish in einer geschlossenen Sänfte fortbringen, damit er auf den »Vier Fingern« genesen konnte, jenen windumtosten Felsen, auf welchen er geboren war.
Das laute Klirren von Stahl auf Stahl brachte Catelyn wieder in die Gegenwart zurück. Ser Vardis stürmte heftig auf Bronn ein, trieb ihn mit Schild und Schwert vor sich her. Der Söldner bewegte sich rückwärts, parierte jeden Hieb, sprang leichtfüßig über Stein und Wurzel, wobei er den Gegner nie aus den Augen ließ. Er war schneller, wie Catelyn auffiel. Das silberne Schwert des Ritters kam nie auch nur in seine Nähe, doch seine eigene, hässliche, graue Klinge schlug eine Kerbe in Ser Vardis’ Schulterharnisch.
Das kurze Aufflammen des Kampfes endete so schnell, wie es begonnen hatte, als Bronn einen Schritt zur Seite tat und hinter die Statue der weinenden Frau trat. Ser Vardis hieb dorthin, wo er gestanden hatte, und sein Schwert traf Funken sprühend den hellen Marmor von Alyssas Oberschenkel.
»Sie kämpfen nicht gut, Mutter«, beklagte sich der Lord über die Ehr. »Ich will, dass sie richtig kämpfen.«
»Das werden sie, mein süßer Liebling«, beruhigte ihn die Mutter. »Der Söldner kann nicht den ganzen Tag weglaufen. «
Einige der Lords auf Lysas Terrasse rissen bereits derbe Witze, während sie sich Wein nachschenkten, doch auf der anderen Seite des Gartens beobachteten Tyrion Lennisters ungleiche Augen den Tanz der Recken, als gäbe es sonst nichts auf der Welt.
Überraschend stürmte Bronn hinter der Statue hervor, ging noch immer links herum, richtete einen doppelhändigen Hieb gegen die ungeschützte rechte Seite des Ritters. Ser Vardis blockte ab, wenn auch unbeholfen, und die Klinge des Söldners blitzte aufwärts zu seinem Kopf. Metall klirrte, und eine Falkenschwinge brach knirschend ab. Ser Vardis tat einen halben Schritt nach hinten, um sich zu sammeln, und hob seinen Schild. Eichenspäne flogen, als Bronns Schwert auf die hölzerne Mauer eindrosch. Wieder trat der Söldner nach links, fort von dem Schild, und traf Ser Vardis am Bauch, wobei seine messerscharfe Klinge in der Rüstung des Ritters einen hellen Spalt zurückließ.
Ser Vardis stieß sich mit dem hinteren Fuß ab, und seine Silberklinge senkte sich in weitem Bogen. Bronn schlug sie zur Seite und tänzelte davon. Der Ritter krachte in die weinende Frau hinein, brachte sie auf ihrem Sockel zum Wanken. Taumelnd trat er zurück und drehte den Kopf auf der Suche nach dem Feind hierhin und dorthin. Das Schlitzvisier im Helm engte seine Sicht ein.
»Hinter Euch, Ser!«, rief Lord Hanter zu spät. Bronn schwang sein Schwert mit beiden Händen, traf Ser Vardis am Ellbogen seines Schwertarmes. Das dünne Metall, das sein Gelenk schützte, knirschte. Aufstöhnend fuhr der Ritter herum und riss seine Waffe hoch. Diesmal blieb er stehen. Die Schwerter flogen, und ihr stählernes Lied erfüllte den Garten und hallte von den weißen Türmen Hohenehrs zurück.
»Ser Vardis ist verletzt«, stellte Ser Rodrik mit ernster Stimme fest.
Man musste es Catelyn nicht sagen. Sie hatte Augen, sie konnte das helle Rinnsal Blut sehen, das dem Ritter über den Unterarm bis zum Ellenbogen lief. Jede Parade erfolgte jetzt etwas langsamer und etwas tiefer als zuvor. Ser Vardis wandte dem Feind die Seite zu, versuchte mit dem Schild zu blocken, aber Bronn schlich flink wie eine Katze um ihn herum. Der Söldner schien immer stärker zu werden. Seine Hiebe hinterließen nun Spuren. Die Rüstung des Ritters war von tiefen, schimmernden Dellen übersät, an seinem rechten Oberschenkel, seinem schnabelförmigen Visier, quer über den Brustharnisch, eine lange vorn an der Halsberge. Das Medaillon mit Mond und Falke an Ser Vardis’ rechtem Arm war sauber in zwei Hälften geschnitten und hing nur noch an einem Riemen. Durch die Luftlöcher in seinem Visier konnten die Zuschauer seinen schweren Atem hören.
Blind vor Arroganz, wie sie waren, erkannten selbst die Ritter und Lords des Grünen Tales, was sich vor ihnen abspielte, nur nicht ihre Schwester. »Genug, Ser Vardis!«, rief Lady Lysa hinunter. »Macht ihm jetzt ein Ende, mein Junge hat genug.«
Und von Ser Vardis Egen muss gesagt werden, dass er den Befehl seiner Herrin bis zum Letzten befolgte. Im einen Augenblick taumelte er noch rückwärts, halbwegs gebückt hinter seinem vernarbten Schild, im nächsten griff er schon an. Der plötzliche Ansturm warf Bronn aus dem Gleichgewicht. Ser Vardis stieß mit ihm zusammen und hieb dem Söldner den Rand seines Schildes ins Gesicht. Beinahe, beinahe stürzte Bronn … er wankte rückwärts, stolperte über einen Stein und hielt sich an der weinenden Frau fest, um nicht die Balance zu verlieren. Ser Vardis warf seinen Schild beiseite, stürmte ihm nach und hob das Schwert mit beiden Händen. Mittlerweile war sein rechter Arm vom Ellenbogen bis zu den Fingern blutüberströmt, doch hätte sein letzter, verzweifelter Hieb Bronn vom Hals bis zum Nabel gespalten … wäre der Söldner stehen geblieben.
Aber Bronn wich zurück. Jon Arryns wunderschönes Silberschwert glitt am marmornen Arm der weinenden Frau entlang, und das obere Drittel der Klinge brach sauber ab. Bronn drückte mit der Schulter gegen den Rücken der Statue. Die verwitterte Figur Alyssa Arryns wankte und stürzte mit mächtigem Lärm um, und Ser Vardis Egen ging unter ihr zu Boden.
Im nächsten Augenblick war Bronn schon über ihm, trat den Rest des zertrümmerten Medaillons zur Seite, um die weiche Stelle zwischen Arm und Brustharnisch freizulegen. Ser Vardis lag auf der Seite, unter dem geborstenen Torso der weinenden Frau. Catelyn hörte den Ritter stöhnen, als der Söldner seine Klinge mit beiden Händen hob und herabstieß, mit seinem ganzen Gewicht dahinter, unter dem Arm und durch die Rippen. Ser Vardis Egen erbebte kurz und lag dann still.
Schweigen lastete auf der Ehr. Bronn riss seinen Halbhelm ab und ließ ihn ins Gras fallen. Seine Lippe blutete, wo der Schild ihn getroffen hatte, und sein rabenschwarzes Haar war nass vom Schweiß. Er spuckte einen abgebrochenen Zahn aus.
»Ist es vorbei, Mutter?«, fragte der Lord über Hohenehr.
Nein, wollte Catelyn ihm gern sagen, es fängt jetzt erst richtig an.
»Ja«, erwiderte Lysa bedrückt, und ihre Stimme war kalt und tot wie der Hauptmann ihrer Garde.
»Kann ich den kleinen Mann jetzt fliegen lassen?«
Auf der anderen Seite des Gartens kam Tyrion Lennister auf die Beine. »Nicht diesen kleinen Mann«, sagte er. »Dieser kleine Mann fährt mit dem Rübenaufzug hinunter.«
»Ihr erdreistet Euch …«, begann Lysa.
»Ich erdreiste mich, anzunehmen, dass sich das Haus Arryn seiner eigenen Worte erinnert«, sagte der Gnom. »Hoch wie die Ehre.«
»Du hast versprochen, dass ich ihn fliegen lassen darf«, schrie der Lord über die Ehr seine Mutter an. Er begann zu zittern.
Lady Lysas Gesicht rötete sich vor Zorn. »Die Götter haben es als angemessen erachtet, ihn für unschuldig zu erklären, Kind. Uns bleibt keine andere Wahl, als ihn freizulassen. « Mit lauter Stimme fügte sie hinzu: »Wache! Führt Mylord von Lennister und seinen … Handlanger aus meinen Augen. Begleitet sie zum Bluttor, und lasst sie frei. Sorgt dafür, dass sie genügend Pferde und Proviant bekommen, um bis zum Trident zu gelangen, und achtet darauf, dass man ihnen ihre Sachen und Waffen zurückgibt. Die werden sie auf der Bergstraße noch brauchen.«
»Auf der Bergstraße«, entfuhr es Tyrion Lennister. Lysa gestattete sich ein leises, zufriedenes Lächeln. Auch das war eine Art Todesurteil, dachte Catelyn. Tyrion Lennister musste das ebenfalls wissen. Dennoch schenkte der Zwerg Lady Arryn eine höhnische Verbeugung. »Wie es Euch beliebt, Mylady«, sagte er. »Ich glaube, wir kennen den Weg.«