Erster Tag

Na, nervös?» Hannah tätschelte mit der Rechten Abels Oberschenkel, während sie mit der Linken ihren Wagen auf der holprigen A5 in der Spur hielt. Die Strecke von Freiburg nach Karlsruhe würde zweifellos ein Musterstück der Autobahnbaukunst werden. Wenn irgendwann mal die tausend Baustellen weg waren.

Martin Abel löste den Blick von der tristen Aussicht aus dem Beifahrerfenster und schaute Hannah an. Ihr sinnlicher Mund ließen ihn an den letzten Abend denken.

«Warum nervös? Ist doch nur ein ganz normaler Besuch bei meiner Ex-Frau in meinem Ex-Haus, wo wir darüber reden wollen, wie oft ich meine Ex-Kinder sehen darf.»

Hannah lächelte ihm aufmunternd zu. «Red keinen Stuss. Emilia und Phillip sind und bleiben deine Kinder. Das wird schon gutgehen. Seit du aus dem Krankenhaus raus bist, war Lisa doch kooperativ, oder?»

Abel antwortete nicht. Sie hatten sich zwar versprochen, immer offen über dieses Thema zu reden. Aber das hieß nicht, dass er gerne daran erinnert wurde, was der Serientäter in Köln letztes Jahr mit ihm angestellt hatte. Gerade heute nicht. Da hatte er genügend andere Probleme.

«Fahr einfach weiter, immer der Hölle entgegen», sagte er schließlich. «Ich esse jetzt erst mal einen Apfel, damit ich nachher Georgs Gesicht besser ertrage. Auf leeren Magen packe ich das nicht.»

Das Haus lag in Steinenbronn, nicht weit von der Böblinger Panzerkaserne. Eine ältere Doppelhaushälfte, die Abel – als es noch sein Haus gewesen war – mit großem Aufwand hatte renovieren lassen. Obwohl es an sich nichts Besonderes darstellte, war es doch der Ort, wo sich wichtige Abschnitte seines Lebens abgespielt hatten. Als Hannah vorfuhr, signalisierte ihm ein leichtes Ziehen in der Magengegend, dass noch nicht alles vergessen war. Sie gaben sich einen letzten Kuss und stiegen aus.

«Martin, Hannah», rief Lisa, als sie lachend die Tür öffnete. «Ihr seid ja überpünktlich. Jetzt muss ich ganz schnell die Nudeln in den Topf werfen, damit es keine Beschwerden gibt. Hey, du siehst gut aus, Martin. Der Anzug steht dir, macht dich richtig schlank.»

«Du meinst sicher, er betont meine ohnehin vorhandene, natürliche Schlankheit.»

Sie lachte und drückte ihn herzlich, was ihm wegen Hannah ein wenig unangenehm war. Den spitzbübischen Blick, den sich die beiden zuwarfen, zeigte ihm aber, dass seine Sorgen überflüssig waren. Sie hatten sich während der letzten Monate angefreundet und telefonierten sogar regelmäßig. Abel wusste nicht, worüber sie dabei redeten, aber wahrscheinlich drehte sich alles, wie bei Frauen üblich, um die neueste Handtaschenmode und natürlich seine Sünden.

Abel warf einen beiläufigen Blick auf Georg, der hinter Lisa stand. Mitte vierzig, durchtrainiert und im Solarium zu gesunder Bräune geröstet. Seinen Tag verbrachte der Zahnarzt entweder in seiner Privatpraxis oder auf dem Golfplatz. Beides Orte, zu denen es Abel definitiv nicht hinzog.

Der Mann aus einer anderen Welt würdigte ihn wie immer bei ihren Besuchen keines Blickes. Abel begrüßte das. Innerhalb kürzester Zeit waren sie nämlich zu der stillen Übereinkunft gekommen, dass sie am besten miteinander klarkamen, wenn sie sich ignorierten. Abel war für Georg ein Schandfleck im Leben seiner neuen Partnerin, über den man kein Wort verlor. Umgekehrt stellte Georg für Abel das dar, was er definitiv nicht sein konnte und auch nicht sein wollte.

Ein makelloser Lackaffe.

Dabei hatte sich Abel wirklich alle Mühe gegeben. Na ja, zumindest für seine Verhältnisse. So sah er darüber hinweg, dass Georg bei jedem ihrer Treffen von seinen neuesten Kochkursen nach Jamie Oliver schwärmte. Ebenso ignorierte er die blumigen Geschichten von seiner Aquarell-Phase und der nachfolgenden Hinwendung zur Ölmalerei. Auch die heroischen Beschreibungen der Tauchgänge am Roten Meer samt Begegnungen mit Hammerhaien konnten Abel nicht ernsthaft ärgern.

Unangenehm wurde es für ihn erst, als dieser Supermann begann, eine elektrische Gitarre samt Verstärker im Wohnzimmer aufzubauen und Stairway to Heaven zu spielen. Abels Hymne und das Lied, mit dem er sich selbst das Gitarrespielen beigebracht hatte, besudelt von einem miesen kleinen Angeber. Noch auf der Heimfahrt hatte Abel seine selbstgebrannte Rock-CD aus dem Fenster geworfen.

Aber selbst das hätte er zur Not noch ertragen. Hannah, Lisa und den Kindern zuliebe hätte er das geschafft. Richtig ernsthaft störte ihn an Georgs Verhalten nur eines: Dass er sich gegenüber Phillip und Emilia wie ein Ersatzvater aufspielte, der mehr zu sagen hatte als Abel.

Phillip stand neben Lisa und drückte seinem Vater freundschaftlich die Hand. Seine dunklen Haare waren verstrubbelt, wobei Abel nicht mit Sicherheit sagen konnte, ob er einfach ungekämmt war oder neumodisch gestylt. Mit seinen elf Jahren war Phillip schon über eins fünfzig, es konnte also nicht mehr lange dauern, bis er seiner Mutter über den Kopf wuchs. Als Abel ihn in den Arm nehmen wollte, wich sein Sohn aus.

«Hey, das ist voll out!»

Abel strich ihm durchs Haar und lächelte. «Okay, Großer. Ich will dich natürlich auf keinen Fall blamieren. Nicht dass deine Kumpels das mitbekommen.»

Emilia stand hinter ihrem Bruder und damit direkt vor Georg. Sie war jetzt neun und ein sehr schmales Mädchen geblieben. Ihre goldenen Locken umrahmten ihr Gesicht wie das eines Engels. Abel bekam einen trockenen Mund, als er sah, wie ihre großen blauen Augen ihn traurig anblickten. Gleichzeitig stockte sein Herz, als er wie jedes Mal die frappierende Ähnlichkeit mit Sarah, ihrer toten Schwester, feststellte. Mein Gott, wie schön sie ist!

Abel beugte sich zu ihr hinunter. «Na, mein Schatz», sagte er vorsichtig. «Willst du deinen Papa nicht in den Arm nehmen?»

Emilia sah zu Georg hoch, der ihr eine Hand fest auf die Schulter gelegt hatte, und rührte sich nicht von der Stelle. Abel versteifte sich.

«Hallo, Papa.»

«Wie geht es dir?»

Emilia zuckte mit den Achseln. «Gut.»

«Und was hast du heute schon so gemacht?»

Ein weiterer Blick zu Georg. «Gechillt.»

Abel ließ seinen Arm sinken. Irgendetwas stimmt hier nicht. Er sah Georg an, der unbeeindruckt zurückstarrte. Dann blickte er wieder zu Emilia, die die Lippen zusammenpresste und schwieg.

Bevor er der Sache nachgehen konnte, unterbrach Lisa seine Gedanken. «Jetzt kommt doch rein», sagte sie und zog ihn ins Haus. «Wo die Garderobe ist, weißt du ja sicher noch.»

Der restliche Nachmittag verlief so angenehm, wie das unter den gegebenen Umständen möglich war. Während Georg kochte, erzählte Lisa alte Geschichten, über die alle, außer Abel manchmal, lachten. Hannah hörte fasziniert zu und fragte nach weiteren Details aus seiner Vergangenheit. Georg lächelte währenddessen so jovial, als ob er der alleinige Grund dafür sei, dass Lisa mit dieser Zeit abgeschlossen hatte und nun endlich ein glückliches Leben führen konnte.

Martin Abel ertrug dies alles in dem Wissen, dass dieser Besuch wichtig war, wenn er die Kinder öfter sehen wollte als bisher. Er hatte sich jetzt schon so lange zusammengerissen und gezeigt, dass er absolut zuverlässig war, da würde er sich doch heute keine Blöße geben. Er musste nur die richtige Gelegenheit für seinen Vorstoß abwarten.

Die ganze Zeit über spürte er jedoch auch, dass irgendetwas in der Luft lag. Etwas Furchtbares, das er genau dann erfahren würde, wenn es ihm am meisten weh tat. Er sah es an den verschwörerischen Blicken, die Lisa und Georg sich ständig zuwarfen, und an den ernsten Gesichtern seiner Kinder Emilia und Phillip.

Irgendwann, nachdem sie gegessen und Georgs Kochkünste angemessen bewundert hatten, fing Lisa an, den Tisch abzuräumen.

«Kommt, lasst uns ein bisschen auf dem Sofa rumlümmeln und ein Glas Wein trinken. Wollt ihr nicht eine Flasche für uns aussuchen, Jungs?», sagte sie an Georg und Martin gewandt. «Und ihr macht euch fertig fürs Bett, Kinder.»

Während Emilia und Phillip sich trollten, ging Georg zu der großen offenen Küche, als ob es seine wäre. Abel folgte ihm unwillig. Er wusste noch genau, wie viele Küchenstudios er mit Lisa hatte besuchen müssen, bis sie sich endlich für diese wunderschöne, lackweiße Oberfläche entscheiden konnte. Mindestens genauso gut erinnerte er sich an den horrenden Preis, der ein tiefes Loch in ihre Kasse gerissen hatte. Umso weniger hatte er Lust, gerade hier jemandem hinterherzulaufen, den er nicht mochte.

Georg öffnete den Weinkühlschrank. «Weiß oder rot? Ist ja beides perfekt temperiert. Schon eine tolle Sache mit diesen getrennten Kühlzonen.»

«Ich weiß. Ich habe das Gerät gekauft.»

«Ach, stimmt, du hast ja früher mal hier gewohnt. Aber das ist ja zum Glück schon lange her.» Georg schaute nicht auf, als er sprach. Stattdessen zog er eine Flasche Rotwein aus dem Kühlschrank und las das Etikett. «Ah, ein Château Poujeaux. Hey, der Jahrgang eurer Scheidung! Na, das ist doch mal ein guter Tropfen.»

«Stimmt, den haben Lisa und ich immer getrunken, wenn wir uns einen gemütlichen Abend zu zweit machen wollten. Du weißt schon», erklärte Abel. «Kostet dreißig Euro die Flasche, aber das ist er wert.»

Georg sah ihn nun doch an. Dann ging er mit dem Wein zur Küchentheke und holte den Korkenzieher aus einer Schublade. Als er den Korken aus dem Flaschenhals gezogen hatte, schnupperte er an der Unterseite. Unvermittelt hielt er ihn Abel hin. «Und?»

Abel roch an dem Korken. «Wunderbar, ich hole die Gläser.»

Georg rümpfte die Nase. «Sag mal, riechst du das nicht? Der Wein korkt.»

«Der Wein korkt nicht. Der ist nur ordentlich trocken, aber das muss bei dem so sein.»

Georg schüttelte mitleidig den Kopf. «Das Leben ist zu kurz, um schlechten Wein zu trinken, das hat schon Goethe gesagt.» Dann ging er zur Spüle und schüttete die Flasche weg. Martin Abel ließ er dabei keine Sekunde aus den Augen.

«Spinnst du?», fragte Abel. «Der Wein kann nichts dafür, dass du keine Ahnung von einem guten Tropfen hast. Und was meine Kinder betrifft …»

«Deine Kinder?» Georg runzelte die Stirn. «Sparen wir uns doch diese Mätzchen und reden wie erwachsene Menschen. Dir gehört hier nichts mehr, du bist ein ganz normaler Gast. Also sei froh, dass du das Haus noch betreten und ab und zu die Kinder sehen darfst.»

Er roch an der leeren Flasche und verzog das Gesicht. «Tja, dann hole ich mal etwas Ordentliches», sagte er dann. «Mit verkorksten Sachen werde ich einfach nicht warm.» Er ging zurück zum Weinkühlschrank und zog die nächstbeste Flasche heraus. Ohne Abel weiter zu beachten, öffnete er sie und schlenderte zum Sofa, wo die anderen saßen.

Abel folgte mit ein paar Gläsern in der Hand und einer unglaublichen Wut im Bauch.

Als einige Minuten später die Kinder zum Gutenachtsagen kamen, hatte er sich wieder beruhigt. Phillip wollte sich immer noch nicht in den Arm nehmen lassen, aber Abel schaffte es, ihn trotzdem an sich zu ziehen. «Vergiss nicht», sagte er leise, «dass du jetzt der Mann hier im Haus bist. Pass also immer gut auf unsere beiden Frauen auf. Klar?» Phillips Kinn hob sich ein wenig, und er nickte bestimmt. Georg trank derweil einen Schluck Wein und schien sich köstlich zu amüsieren.

Als Emilia zu Abel ans Sofa trat, nahm er sie dankbar in den Arm. Sie erwiderte seine Umarmung nicht so fest wie er, aber er spürte, wie sie sich leicht an ihn presste. Eine kleine Katze, die Schutz sucht.

Arme, zerbrechliche Emilia. Abel streichelte ihren Kopf und schnupperte an ihrem Haar, das so duftete, wie nur Kinderhaar es konnte.

«Versprich mir, dass du mich anrufst, wenn du mich brauchst?», flüsterte er ihr so leise ins Ohr, dass es noch nicht mal Hannah hören konnte. «Okay, mein Schatz?»

Einige Sekunden nichts, dann ein winziges Nicken. Abel atmete erleichtert aus. Das Band zwischen ihnen war also noch da, und er wusste wieder, wie er den weiten Weg aus der Klinik in Köln und der langen Rehabilitation danach überhaupt hatte gehen können. Die Liebe zu Hannah und seinen Kindern hatte ungeahnte Kräfte in ihm freigesetzt.

«Zerdrück sie nicht», riss ihn Lisa aus seinen Gedanken. «Sie wird noch gebraucht.»

Abel gab Emilia einen Klaps und löste sich unwillig von ihr. Nacheinander ging sie zu den anderen und wünschte ihnen eine gute Nacht. Dabei entging ihm nicht, dass Georg sie besonders innig und lange in die Arme nahm. Beim Hinausgehen blickte sie Abel ernst an und verschwand schließlich zusammen mit Phillip nach oben zu ihren Zimmern.

Abel spürte, dass es nun höchste Zeit war, Lisa sein Anliegen vorzubringen. Er lehnte sich zurück und überlegte, wie er es am besten formulieren sollte – da schlug Lisa mit einem kleinen Löffel ein paar Mal gegen ihr Weinglas.

Von einem Moment zum anderen waren alle Blicke auf sie gerichtet.

«Tja, nun, da die Kinder im Bett sind, können wir endlich zu den Erwachsenenthemen übergehen.» Sie lächelte Georg zu, der zufrieden die Lippen schürzte. «Wie ihr alle wisst, sind wir inzwischen ein paar Jährchen zusammen. Wir leben miteinander, wir machen gemeinsam Urlaub und haben sogar schon mal denselben Kochkurs besucht. Das funktioniert auch alles wirklich prima, es gibt absolut nichts, worüber ich mich beschweren könnte. Aber irgendwie», sie sah Georg ernst an, «ist es doch nicht perfekt.»

Wieso bin ich nicht überrascht?, dachte Abel.

«Klar, in jeder Beziehung knirscht es mal, das brauche ich keinem der Anwesenden zu erzählen», fuhr Lisa mit Blick auf Abel fort. «Aber mit zunehmendem Alter steigen die Ansprüche. Und wenn man wie wir schon eine Ehe hinter sich hat, dann ist der Wunsch, beim nächsten Mal alles perfekt zu machen, noch größer. Also muss man sich gut überlegen, was man tut.»

Sie legte ihre Hand auf Georgs Oberschenkel und schien die nächsten Worte genau abzuwägen.

Abel ahnte jedoch bereits, was jetzt kam. Lisa und Georg würden zusammenziehen. In Georgs Bungalow in Stuttgart-Degerloch. Sündhaft teure Hanglage mit Blick über das Lichtermeer der Stadt. Und vor allem natürlich weit weg von allen sozialen Kontakten, die Lisa und seine Kinder bisher hatten. Georg fädelte das wirklich sehr geschickt ein.

Umso mehr hoffte Abel, dadurch eine Vorlage für sein eigenes Anliegen zu bekommen.

«Wir haben lange überlegt und diskutiert, was wir tun können. Was noch fehlt. Fast wären wir sogar zu einer Partnerschaftsberatung gegangen. Letztes Weihnachten sind wir dann aber zum Glück selbst dahintergekommen, wo das Problem liegt. Georg hat mir eine unglaubliche Halskette geschenkt, ich war wirklich überwältigt. Aber als ich sie anlegte, merkte ich plötzlich, dass ich lieber etwas ganz anderes von ihm bekommen hätte.»

Lisa lächelte nochmals in Georgs Richtung und hob dann ihr Glas in die Runde. «Ja, Freunde, ihr wisst, worauf ich hinauswill. Ich wünsche mir von Georg einen Ring.»

*

Abel erstarrte. Seine Hände umklammerten die Armlehnen seines Stuhls so fest, dass seine Sehnen hervortraten.

«Was hast du da eben gesagt?»

Lisa strahlte in die Runde. «Wir werden heiraten! Ist das nicht wundervoll?» Sie hob ihr Glas und hielt es in Georgs Richtung.

Dieser lächelte sein schönstes Zahnarztlächeln und stieß mit ihr an. «Wer könnte dieser unglaublichen Frau schon widerstehen? Ich habe sie gesehen und gewusst, dass sie nur mir gehören darf.» Sein Blick streifte Abel beiläufig, und dieser verstand gut, wie das gemeint war.

«Na, wenn das mal keine Überraschung ist», rief Hannah begeistert. «Gratuliere! Wann soll es denn so weit sein?»

«So genau haben wir uns das noch gar nicht überlegt.» Lisa schaute zu Georg. «Er hat in nächster Zeit ein paar Kongresse. Und die Praxis kann man ja auch nicht von heute auf morgen einfach dichtmachen, um in die Flitterwochen zu verschwinden. Aber ich denke, dass wir vielleicht im kommenden Frühjahr …» Ihr Blick fiel auf Abel. «Martin, was sagst du dazu? Findest du nicht auch, das war endlich fällig?»

Martin Abel rührte sich nicht. Ihm wurde klar, dass dieser Tag keineswegs so positiv ausgehen musste, wie er sich das erhofft hatte.

«Schön für euch», presste er schließlich hervor. «Auf Dauer war es vermutlich unvermeidlich.»

«Oh ja, das war es!» Die Spitze schien Georg zu entgehen oder nicht zu beeindrucken. «Und für die Kinder sind klare Verhältnisse natürlich auch wichtig. So werde ich mich noch besser um sie kümmern können.»

Er legte einen Arm um Lisas Schulter und begann diese zu massieren. Natürlich saß er dabei so, dass Abel ausreichend Gelegenheit hatte, seinen Nachfolger in Lisas Gunst bei seinen Zuwendungen zu beobachten.

Abel schloss für einen Moment die Augen. Er versetzte sich gedanklich ein paar Stunden zurück und versuchte denselben emotionalen Zustand wiederherzustellen, den er vor dem Betreten dieses Hauses gehabt hatte. Als die Welt noch in Ordnung war und es Hoffnung auf bessere Zeiten gab. Es wollte ihm nicht gelingen. Ein paar Minuten hatten genügt, um seine Träume zu zerstören.

Abel öffnete die Augen und betrachtete die Wirklichkeit. In der nächsten Sekunde stand er auf.

«Komm, Hannah, wir gehen.» Ohne abzuwarten ging er in Richtung Garderobe und zog sein Jackett an.

«Was ist denn in dich gefahren?», rief ihm Hannah hinterher. «Gerade jetzt, wo es interessant wird, willst du wieder nach Hause?» Zusammen mit Lisa und Georg eilte sie ihm nach, um ihn aufzuhalten.

«Du scheinst dich ja wirklich mächtig für uns zu freuen», rief Lisa verärgert. «Wir erzählen dir von unseren Zukunftsplänen, und du hast nichts Besseres zu tun, als abzuhauen? Wo liegt dein Problem?»

Abel durchsuchte seine Taschen nach dem Autoschlüssel, bis ihm einfiel, dass Hannah gefahren war. Er griff nach ihrer Handtasche, die auf der Kommode stand, und begann darin herumzuwühlen, bis er ihn fand.

«Würdest du uns bitte erklären, was los ist?» Hannah sah ihn ernst an. «Wir wollten doch über Nacht bleiben und morgen einen Ausflug mit den Kindern machen.»

«Ja, bleib doch noch ein bisschen», sagte Georg, der zu ihnen getreten war. «Ich möchte dir unbedingt noch etwas auf der Gitarre vorspielen.»

Abel starrte ihn an. Unwillkürlich stellte er sich die Erleichterung vor, die es ihm verschaffen würde, diesem Großkotz das Maul zu stopfen. Okay, sein Ansehen bei Lisa und Hannah könnte darunter leiden, aber der süße Schmerz auf seiner Faust konnte das allemal wettmachen.

Schmerzen hatte er in den letzten Jahren so viele ertragen müssen, dass er sie inzwischen als Teil seines Lebens betrachtete. Es gab also keinen Grund, sich gerade in diesem Fall zurückzuhalten.

Abel steckte langsam den Autoschlüssel in die Jackentasche und spannte die Muskeln an.

Dann machte er einen Schritt nach vorn.

*