10. Kapitel

Peinlich …

 

 

 

Wenig später lenkte ich den Wagen in die Tiefgarage eines großen Warenhauses. Aufgrund des Säureregens waren alle Gebäude standardmäßig mit unterirdischen Stellplätzen ausgestattet. Zwei Stockwerke höher erschlug mich das Angebot. Weil ich mein Dosenblut von meinen Eltern erhielt, die es wiederum über verschiedenste geheime Quellen bezogen, betrat ich solche Läden für gewöhnlich nicht.

Ich hatte beschlossen, dem Engel eine Suppe zu kochen. Weil ich aber leider nur einen kleinen Aggregatwandler besaß, in den gerade eine Dose passte, musste ich bei null anfangen. Der Laden war riesig und ich musste eine gefühlte Ewigkeit suchen, bis ich die großen Aggregatwandler gefunden hatte. Bei ihren stolzen Preisen wurde mir allerdings ein wenig schwindlig. Und nun?

Ich winkte einen Verkäufer heran, der in einem albernen weißen Kittel steckte.

»Ja, bitte?«

»Ich möchte etwas kochen«, sagte ich. »Aber diese Aggregatwandler sind alle so teuer, ist das normal?«

Er sah mich an, scannte meine helle Haut, die dunklen Haare und meine hochgewachsene, schlanke Gestalt. »Aber …«, begann er, stoppte dann aber, weil er wohl nicht wusste, ob es tatsächlich Sinn machte, mir zu erklären, dass ich ein Blutdämon war.

»Ich weiß, was ich bin«, erwiderte ich. »Ich möchte trotzdem kochen. Gibt es also eine Alternative?«

»Nun, wenn Sie nur gelegentlich kochen wollen, reicht auch dieses hier.« Er bückte sich und zog aus einem der untersten Regale ein flaches Paket heraus. »Menschliche Technik, nicht sehr effizient, wenn Sie mich fragen, aber für Ihre Zwecke sollte es reichen. Der Preis ist sehr günstig.«

Ich nickte. Diese Art Kochgerät hatte ich auch schon bei Yaris gesehen. Man schloss es an eine Stromquelle an, die zwei schwarzen Platten wurden daraufhin heiß und man konnte einen Topf daraufstellen, um etwas zu erhitzen.

»Möchten Sie sich hierfür entscheiden? Diese zwei Platten kosten nur gut ein Viertel des Preises, den Sie für einen Aggregatwandler dieses Formats ausgeben müssten.«

»Ja, danke, das klingt gut.«

Er reichte mir das flache, breite Paket und ich klemmte es mir unter den Arm. »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«

»Tja … als Nächstes brauche ich dann wohl einen Topf«, sagte ich etwas verlegen.

»Gern«, erwiderte er. »Bitte folgen Sie mir.«

Wir gingen durch ein paar lange Gänge, bis er haltmachte und eine große Wand voller Kochgeschirr vor uns aufragte.

»So, da wären wir. Haben Sie schon eine Idee, was Sie kochen möchten?«

»Eine Suppe«, antwortete ich nicht ohne Stolz in der Stimme.

Der Verkäufer nickte und begann, zwischen ein paar großen hohen Töpfen zu suchen. Schließlich zog er ein schlichtes silbernes Modell mit schwarzen Griffen hervor. »Dann würde ich Ihnen diesen hier empfehlen. Er ist günstig im Preis, aber dennoch hochwertig und solide verarbeitet. Es ist unsere Hausmarke«, fügte er mit einem Zwinkern hinzu.

»Vielen Dank, der sieht toll aus«, sagte ich, obwohl ich keine Ahnung hatte, anhand welcher untrüglicher Merkmale man einen guten Kochtopf identifizierte. Leider hatte ich nur ab jetzt keine Hand mehr frei, um den Rest meines Einkaufs zu tragen. Der Verkäufer schien ein Profi zu sein, denn er fing meinen etwas verwirrten Blick auf.

»Warten Sie, ich nehme Ihnen das ab und deponiere es an Kasse zwei für Sie. Dort können Sie es abholen, wenn Sie bezahlen. In der Lebensmittelabteilung finden Sie am Eingang Tragekörbe, in die Sie die Waren legen können.«

»Danke, das ist alles noch etwas ungewohnt für mich.« Ich lachte.

»Kein Problem.« Er nahm mir die Sachen ab. »Sie müssen ihn wirklich sehr gern haben.«

Ich erstarrte, als das eben Gesagte meinen Verstand erreichte. »Wen?«, frage ich perplex.

»Na, denjenigen, für den Sie kochen wollen, obwohl Sie das noch nie zuvor gemacht haben.« Der Verkäufer lächelte und drehte sich um. »Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Einkauf bei uns. Zur Lebensmittelabteilung gehen Sie einfach diesen Gang hinunter und biegen rechts ab. Dann laufen Sie direkt darauf zu.«

Etwas verdutzt sah ich ihm nach. Doch er hatte recht, ich mochte den Engel so sehr, dass ich für ihn kochte, obwohl ich überhaupt keine Ahnung davon hatte.

 

In der Lebensmittelabteilung erschlug mich die Vielfalt des Sortiments. Ich hatte mir vorgenommen, zuerst etwas Fleisch auszusuchen, weil dies Levian sehr gut geschmeckt zu haben schien. Die unterschiedlichen Sorten jedoch stellten mich vor ungeahnte Entscheidungsmöglichkeiten. Zum Schluss entschied ich mich für ein rundliches Tier mit dicken Hinterbeinen, langem Hals und kleinen Flügeln. Sein Fleisch schien nicht so blutrot wie die anderen, sondern war eher hell und ich fand, es sah dank seiner Statur ganz lustig aus. Außerdem hatte es Flügel, genau wie der Engel, und ich hoffte, das würde ihm gefallen. Laut Etikett handelte es sich um ein Huhn und ich meinte mich zu erinnern, dass ich gelesen hatte, dieses Fleisch eignete sich ausgezeichnet für die Zubereitung einer Suppe. Ich nahm das in Folie geschweißte Bündel hoch und schätzte per Augenmaß, dass es gut in meinen neuen Topf passen würde. Zufrieden widmete ich mich nun der Auswahl des Gemüses. Natürlich hatte ich mich auch hier vorbereitet, doch erst jetzt realisierte ich, wie anders vieles aussah, wenn es noch nicht küchenfertig vorbereitet war. Also suchte ich mir einfach das aus, was schön bunt zusammen aussah und zog weiter zur Kasse, um zu bezahlen.

Auf dem Weg nach Hause war ich sehr guter Dinge. Bliebe nur zu hoffen, dass es Levian nicht plötzlich wieder schlechter ging.

 

In meinem Apartment war alles so, wie ich es verlassen hatte. Ich schleppte die Einkaufstüten bis hinter meine Theke, damit Levian sie nicht sah, falls er aufstehen wollte, dann schloss ich die Tür zum Schlafzimmer auf.

»Levian?«, fragte ich in die Dämmerung.

»Hier«, kam es mit verschlafener Stimme zurück.

»Ich bin wieder da.«

»Wirklich …?«, sagte er.

»Sehr witzig.« Ich ließ die Tür einen Spalt aufstehen und holte seine Tabletten und ein Glas Wasser. »Und wie geht es uns heute?«, fragte ich, als ich an seinem Bett stand.

»Keine Ahnung … irgendwie ganz gut und deutlich besser als gestern.«

»Du meinst also, die Tabletten könnten dir bis jetzt geholfen haben?«

»Ich glaube schon.«

»Prima. Dann kommt hier Nachschub.«

»Danke dir.« Er schob sich die zwei Tabletten in den Mund und spülte sie mit dem Wasser hinunter.

»Möchtest du das Bad benutzen?«, fragte ich etwas steif.

»Gern.«

»Warte, ich bringe dich bis zur Tür.«

Gemeinsam schafften wir es bis hin und wieder zurück und dann ließ er sich erschöpft in die Kissen fallen.

»Gut, dann ruh dich aus, ich habe noch etwas zu tun.« Ich würde jetzt die Suppe kochen und ihn damit überraschen. Vor lauter Aufregung wäre ich fast über die Tüte mit den Kochplatten gestolpert. Ich machte einen rettenden Satz darüber hinweg und stützte mich an der Theke ab, gegen die ich fast gefallen wäre.

Nachdem ich alles ausgepackt hatte, schloss ich die Kochplatten an und füllte Wasser in den Topf. Zunächst vergaß ich, die Platte auch anzuschalten, doch als ich die Bedienungsanleitung studierte, fiel es mir auf und ich holte es nach. Es dauerte nicht lange und das Wasser erwärmte sich. Ich tauchte so lange prüfend den Finger in den Kochtopf, bis ich meinte, dass das Wasser heiß genug war.

In der Zwischenzeit hatte ich die verschiedenen Gemüsesorten geputzt und das Huhn gründlich mit Wasser abgespült. Dann legte ich alle Zutaten hinein und wartete gespannt ab.

Zwei unendliche Stunden lang passierte gar nichts, außer dass das Wasser zu sprudeln begonnen hatte. Ich hielt das für ein gutes Zeichen. Nach einer weiteren Stunde beschlugen die Scheiben meines Wohnzimmerfensters und ich wurde ungeduldig. Sollten die Zutaten sich nicht mal langsam verteilen?

Auf den Bildern hatte das alles ganz anders ausgesehen. Bei dem Gedanken fiel mir plötzlich etwas ein. Verdammt! Ich hatte komplett vergessen, alles klein zu schneiden. Ich schimpfte mich einen Volltrottel, schob es aber auf meine Aufregung. Ärgerlich vor mich hin brummend rührte ich in der Suppe. Ich hatte Yaris schon beim Kochen beobachtet und ich hatte es auch in den Rezepten gelesen. Wie hatte ich diesen entscheidenden Punkt vergessen können?

»Was riecht denn hier so?«, rief Levian aus dem Schlafzimmer.

»Ich koche, verdammt!«

»Klingt, als hättest du Spaß …«

»Ja, total«, murmelte ich. »Es ist auch gerade fertig.«

Es hatte verdammt noch mal fertig zu sein! Ich holte die Schüssel aus dem Schrank, in die ich normalerweise die Kekse für Yaris füllte. Da ich außer Gläsern und Bechern kein Geschirr besaß, musste dieses Behältnis eben herhalten. Ich fischte das Huhn mit der Gabel aus dem Topf. Dann angelte ich das Gemüse heraus, ließ es einen Moment abkühlen und schnitt es nachträglich in mundgerechte Happen. Hoffentlich stellte das Vorher oder Nachher keinen allzu großen Unterschied dar.

Da ich es gut mit Levian meinte, platzierte ich das ganze Huhn in der Schüssel, drapierte etwas Gemüse darauf und schüttete etwas von dem Kochwasser über das Ganze. Mit ein wenig Fantasie konnte man es für eine Suppe halten. Ich stellte die Schale auf ein Tablett, legte einen Löffel dazu und trug es ins Schlafzimmer.

Levians Augen weiteten sich, als er sah, was ich dort anschleppte. Langsam schob er sich im Bett etwas höher, drückte sich ein Kissen in den Rücken und sah kritisch auf die Suppenschüssel. Behutsam setzte ich das Tablett auf der Matratze ab.

»Schau, es hat Flügel, so wie du.« Ich strahlte.

»Ganz reizend …«, erwiderte Levian tonlos.

»Es ist eine Suppe«, fügte ich sicherheitshalber noch hinzu.

»Verstehe.«

»Na los, du musst sie essen, ich hab sie nur für dich gekocht.«

Levian sah wenig motiviert auf die nackte rosa Haut des kleinen Tiers. Fast schon wollte ich mit einem anklagenden Vortrag zum Thema Dankbarkeit und Wertschätzung ansetzen, da klingelte mein Telefon. Ich rannte ins Wohnzimmer und zog es wie üblich unter einem Sofakissen hervor. »Ja, bitte?«

»Nimmst du etwa die Medikamente, die du gestohlen hast?« Es war Yaris’ Stimme und sie klang mal wieder ziemlich aufgebracht.

»Nein. Wie kommst du jetzt darauf?«

»Pina hat dich nach Dienstschluss im Markt gesehen. Du hast Kochplatten, ein Huhn und Gemüse gekauft.«

»Und einen Kochtopf«, ergänzte ich.

»Hör sofort auf, diese Medikamente zu nehmen!«

»Ich nehme sie doch gar nicht!«

»Du machst mich wahnsinnig«, schrie Yaris in den Hörer. »Seit wann isst du Huhn?«

»Ich?«

»Nikka!«

»Es sah so lustig aus. Und ein bisschen wie ein Engel, weil es auch Flügel hat.«

»Du bist ja völlig verrückt«, flüsterte Yaris. »Völlig verrückt. Gleich morgen schleppe ich dich zu jedem Experten, den wir haben. Irgendeiner wird wohl hoffentlich herausfinden, was dir deinen Verstand zerstückelt.«

»Ich koche doch bloß ein bisschen.«

»Ja, das ist es ja«, schrie sie schon wieder.

»Brüll mich nicht immer so an!«

Eine Weile war es still in der Leitung.

»Sei pünktlich morgen und bring die Medikamente mit. Wir haben viel vor.« Sie legte einfach auf.

Wütend sah ich auf das erloschene Display und knallte das Telefon zurück auf die Couch.

Im Schlafzimmer sah Levian nicht so begeistert aus, wie ich es mir gewünscht hatte.

»Probier doch mal.«

»Ich habe schon probiert.«

»Oh.«

»Hast du schon mal gekocht, Nikka?«

Ich zog ein finsteres Gesicht. »Es schmeckt dir nicht.«

»Du hast noch nie gekocht, oder?«

Traurig setzte ich mich auf die Bettkante neben das Tablett. »War es falsch, etwas zu kochen, das auch Flügel hat? Ich habe es nett gemeint.«

»Nicht doch.« Levian schmunzelte. »Ich habe schon verstanden, wie du das gemeint hast, obwohl jeder andere das wohl eher … nun ja, lassen wir das. Nein, ich freue mich, dass du dir Gedanken gemacht hast.«

»Also ist es etwas anderes?«

»Nein.«

»Was ist es dann?«

»Ich würde sagen, dem Gericht fehlt einfach der letzte Schliff.«

»Wie meinst du das?«

»Na ja …«, druckste Levian herum. »Es fehlen ein paar Zutaten und von dem Hühnchen solltest du das Fleisch abzupfen, denn nur das ist essbar.«

»Also ist eigentlich alles falsch«, sagte ich leise.

»Nein! Für jemanden, der so etwas noch nie gemacht hat und auch keine Ahnung davon hat, ist das ein hervorragendes Ergebnis.«

»Wirklich?«

»Ja doch.« Levian lächelte aufmunternd.

»Und nun?«

»Nun machst du eine richtige Suppe daraus und ich gebe dir ein paar kleine Tipps, mehr nicht.«

»Okay …«, sagte ich immer noch traurig.

Levian griff nach meiner Hand, zog sie nah an sein Gesicht und hauchte einen Kuss auf die Innenfläche. Es war eine zärtliche, vertraute Geste und in meinem Bauch begann es wieder leicht zu kribbeln. Ich sah in sein gut geschnittenes Gesicht mit den strahlend blauen Augen und all die belastenden Gedanken an Yaris, an meinen Job, den lädierten Arm und meinen Stress mit Mik waren für einen Moment zweitrangig.

»Stell das Tablett mal bitte auf den Nachttisch.«

Ich bugsierte das Tablett auf die kleine Ablagefläche.

»Komm her.«

Levian zog mich näher an sich heran und dieses Mal hatte ich nicht die Kraft, standhaft zu bleiben. Mein Kopf sank auf seinen breiten Oberkörper und ich hörte, wie sein Herz schlug. Er strich über mein Haar, mein Gesicht, meinen Hals und hinab bis zu meinen Schultern. Ich schloss die Augen, weil das Geräusch eines schlagenden Herzens eine so beruhigende Wirkung hatte und seine zärtlichen Berührungen mir Trost und Geborgenheit spendeten.

»Für jemanden zu kochen ist ein Akt der Liebe«, flüsterte er. »So sagt es jedenfalls die Literatur.«

»Das klingt schön …« Ich seufzte.

»Das finde ich auch.«

Er legte seinen Arm locker um mich und seine Fingerspitzen spielten mit meinem langen Haar. »Woher wusstest du, wie du es anstellen musst?«

»Ich habe wieder recherchiert.«

»Du bist gut im Recherchieren«, sagte er.

»Ich gebe mir Mühe.«

Levian lachte leise auf und seine Hand glitt an meinem Arm hinunter bis zu meiner Taille, wo sie zufällig ein Stück nackte Haut streifte, das zwischen Hosenbund und Shirt hervorblitzte. Ich hielt die Luft an und auch Levian erstarrte in seiner Bewegung.

»Nicht«, flüsterte ich, als er die Hand wegziehen wollte. Er legte sie zurück. Sein Herzschlag intensivierte sich. Ich spürte jeden einzelnen seiner Finger auf meiner Haut.

»Nikka …«

»Nein.« Ich bewegte mich ein bisschen und seine Hand rutschte ein kleines Stück mit über meine Haut, als würde sie mich streicheln. Levian holte deutlich hörbar Luft.

»Mach … das«, flüsterte ich. Levian strich sachte über meine Haut, dann schob er seine Hand ein Stück unter mein Shirt. Ich seufzte, weil es sich so gut anfühlte.

Levian rutschte tiefer in die Kissen, seine Hand war nun ganz unter meinem Shirt und sein Gesicht nahe an meinem. »Nikka …«, flüsterte er.

»Ja …?«

»Für mich hat noch nie jemand gekocht.«

»Das, was ich da gemacht habe, kann man nicht kochen nennen.«

»O doch.«

»Nein.«

»Doch! Es fehlt, wie gesagt, nur noch der Feinschliff.«

»Feinschliff …« Ich konnte nicht weiterdenken, weil er mit seiner Hand meinen nackten Rücken hinaufstrich.

»Möchtest du die Suppe noch zu Ende kochen?«

»Meinst du, das lohnt sich?«, fragte ich mühsam.

»Na klar.«

»Ich weiß nicht …«

»Ich helfe dir, zusammen kriegen wir das schon hin.«

»Es fehlen doch Zutaten, sagtest du …«

»Ja, aber wir gucken mal, ob wir sie weglassen können und es trotzdem schmeckt.

»Och … Das will ich nicht, das ist dann wirklich nur wie halb gekocht. Erklär mir, was fehlt, dann fahr ich eben noch einkaufen. Du musst etwas essen. Das in der Schüssel ist ungenießbar.«

»Du bist zu hart zu dir.« Levian schmunzelte.

»Es riecht wie eine tote Ratte, die in der Sonne verwest.«

»Na danke.« Er lachte. »Du machst es mir wirklich leicht, später noch einmal ganz unvoreingenommen davon zu probieren.«

»Die Suppe muss gut werden, ich will Yaris damit überzeugen, dass ich nicht verrückt bin.«

»Yaris ist die Freundin, die immer diese Kekse isst, nicht wahr?«

»Sie denkt, ich verliere den Verstand, weil ich plötzlich zu kochen beginne.«

»Woher weiß sie davon?«

»Eine Kollegin hat mich beim Einkaufen gesehen.«

»Und jetzt steckst du in Schwierigkeiten?«

»Das passiert mir in letzter Zeit öfter. Aber wenn ich ihr etwas von der Suppe bringe und ihr so beweisen könnte, dass ich mich wirklich und ganz ernsthaft mit dem Kochen beschäftigt habe, glaubt sie mir vielleicht. Es könnte mein neues Hobby werden«, überlegte ich.

»Macht es dir denn Spaß?«

Mein Gesichtsausdruck musste wohl wenig überzeugend gewesen sein, Levian begann wieder zu lachen. »Schon gut, sag lieber nichts. Aller Anfang ist schwer. Und für wen solltest du auch ständig kochen?«

Ich sah ihn an und er schien nicht zu merken, dass er mich mit diesem Satz irgendwie verletzt hatte. »Für dich, zum Beispiel.«

»Ach so, für mich …«, murmelte er, blickte ausweichend zur Seite und erinnerte mich dadurch daran, in welch aussichtsloser Situation wir uns eigentlich befanden. Ich wollte mich von ihm wegdrehen, weil ich es schrecklich fand, ihn anzusehen, diese Anziehung und die tiefe Sympathie für ihn zu spüren und doch zu wissen, dass wir niemals so leben könnten, wie ich es mir wünschte. Vorsichtig drehte ich die Schulter und wollte mich seiner Umarmung entziehen, doch er stellte sich stur und nahm seine Hand nicht weg.

»Engel …«, murrte ich und versuchte erneut, mich von ihm abzuwenden.

»Nein, warte …« Anstatt mich endlich loszulassen, verstärkte er seinen Griff sogar noch. »Das sollte nicht so klingen. Es tut mir leid.«

»Jaja.«

Er stupste mich mit seiner Nase an. »Nun hör schon auf. Es reicht schon, wenn du wegen deiner verunglückten Suppe schmollst.«

»Ach, verunglückt nennt man so was?«, antwortete ich und ließ meine Stimme gekränkt klingen, obwohl ich seine Wortwahl in diesem Falle eher amüsant fand.

»Hör auf.« Er grinste. »Mir kannst du nichts vorspielen, ich sehe das Lachen in deinen Augen.« Ich ließ scheinbar verdrießlich den Kopf sinken und er küsste mich auf meine Haare. »Ich helfe dir mit der Suppe, wenn du mir anschließend im Bett dabei zusiehst, wie ich sie aufesse.«

»Das ist Erpressung.«

»Nur ein nett gemeinter Vorschlag«, erwiderte Levian.

»Na gut …« Ich seufzte gespielt.

»Sehr brav. Dann lass uns mal überlegen …« Er zog die Stirn kraus, was ich ganz hinreißend fand. »Du solltest auf jeden Fall das gekochte Gemüse noch kleiner schneiden. Bei den Paprika, das sind diese Dunkelgrünen, musst du die Kerne entfernen und die Stiele abtrennen. Die orangefarbenen Möhren schält man eigentlich, aber das lassen wir heute einfach mal. Man schneidet sie mehr als einmal durch, weil sie sonst kaum gar werden. Vielleicht einfach zehn Stückchen pro Möhre, das sollte reichen. Tomaten, das sind die Roten, gehören eigentlich nicht in eine Hühnersuppe, aber das lassen wir jetzt auch so und du schneidest sie einfach nur in etwas kleinere Stücke. Dann nimmst du dir das Hühnchen vor. So lange, wie du es gekocht hast, sollte es eigentlich schon fast von allein auseinanderfallen. Entferne die rosa Haut, dann kannst du das Fleisch ganz leicht von den Knochen zupfen. Nur das Fleisch kommt zusammen mit den Gemüsestückchen zurück in die Brühe. Soweit klar?«

Ich nickte und versuchte, mir alles zu merken.

»Gut. Was deiner Suppe komplett fehlt, sind Gewürze.«

»Das Wort klingt nicht lecker.«

»Gewürze meinst du?«

»Ja. Klingt nach Staub und Moder.«

»Staub und Moder?« Er lachte. »Du hast vielleicht eine Fantasie. Salz musst du auf jeden Fall hineingeben. Vielleicht etwas Pfeffer. Außerdem könntest du noch etwas Lauch, Petersilie und Sellerie hinzufügen. Und in jede klassische Hühnersuppe gehört auch ein bisschen Reis oder eine Handvoll kleiner Nudeln.«

»Wer soll sich denn das alles merken?« Ich stöhnte. »Kochen ist doch blöd, ich mache es nie wieder.«

»Jetzt jammer nicht herum, willst du Yaris mit deiner Hühnersuppe beeindrucken oder nicht?«

»Ja«, sagte ich kleinlaut. Ausschließlich Yaris! Innerlich verdrehte ich die Augen.

»Gut, dann versuchst du es jetzt noch mal. Du wirst sehen, in kürzester Zeit hast du eine wundervolle Suppe fabriziert.«

Ich lächelte dankbar und schob die Beine über die Bettkante. »Okay, okay.«

»Willst du dir nicht aufschreiben, was noch fehlt?«

»Nein, ich habe alles behalten.«

Levian nickte anerkennend. »Nicht schlecht.«

Ich war immer noch ein wenig geknickt wegen meines Suppenmisserfolgs. Außerdem fiel es mir schwer, Levian schon wieder allein zu lassen. Wie gern wäre ich neben ihm im Bett liegen geblieben. Doch wer wusste, was dann noch passiert wäre. Und wer wusste, ob wir es hinterher nicht bereuen würden.

Zurück im Supermarkt stellte ich mich nicht mehr ganz so hilflos an, sondern folgte den Beschriftungen durch die Gänge, bis ich plötzlich vor dem Verkäufer stand, der mich vorhin so nett beraten hatte.

»Haben Sie noch etwas vergessen?«, fragte er überrascht.

»Ja, die Gewürze«, erwiderte ich.

Der Verkäufer gab mir einen Wink, ihm zu folgen. In der Lebensmittelabteilung blieb er vor einem schmalen Regal mit unzähligen Döschen darin stehen und sah mich fragend an. »Was brauchen Sie denn für Gewürze?«

»Salz, Pfeffer, Nudeln oder Reis, Petersilie, Sellerie und Lauch«, sagte ich wie aus der Pistole geschossen.

»Nudeln, Reis und Lauch sind definitiv keine Gewürze. Den Lauch haben wir frisch in Stangen oder aber bereits gehackt und trockengefroren in Tüten. Nudeln und Reis gelten im Allgemeinen als Beilagen. Frischen Nudelteig finden Sie in der Kühltheke, getrocknete Nudeln verschiedenster Ausführungen drei Gänge links von hier. Dort steht auch der Reis, bei dem Sie sich zwischen klebenden und nicht klebenden Sorten entscheiden müssten. Sellerie haben wir in abgepackten Scheiben, in ganzer Knolle oder als Selleriesalz im Döschen. Die Petersilie gibt es frisch als Sträußchen oder aber getrocknet. Salz entweder jodiert oder nicht jodiert, als Meersalz oder Knoblauchsalz, grobkörnig oder fein. Brauchen Sie schwarzen, weißen, grünen oder roten Pfeffer, frisch oder getrocknet, in ganzen Körnern oder gemahlen?«

»Ach herrje.«

Meine offensichtliche Ahnungslosigkeit verleitete den Verkäufer zu einem gutmütigen Lächeln. »Sie wollten doch eine Suppe kochen, richtig?«

»Ja, eine Hühnersuppe«, erwiderte ich matt. Wer hätte gedacht, dass Kochen an eine Wissenschaft grenzte, für die man jahrelang studieren musste?

»Erlauben Sie mir, Ihnen die passenden Produkte herauszusuchen?«

»Sehr gern, Sie würden mir wirklich sehr damit helfen«, sagte ich.

Der Verkäufer nickte kurz und wieselte an mir vorbei den Gang hinunter.

Nur wenige Augenblicke später war er wieder da und hatte ein rotes Tragekörbchen dabei. »Schauen Sie, ich habe Ihnen ein Paket kleine Suppennudeln eingepackt, die sind nach wenigen Minuten gar. Dazu ein Bündchen frische Petersilie, die Sie einfach nur waschen und klein schneiden. Daneben eine Stange Lauch, dort entfernen Sie die äußeren Blätter und schneiden die Stange in kleine Ringe. Das Weiße hier ist eine Scheibe Sellerie, die schälen Sie einmal rundherum ab und schneiden sie in Stückchen.« Er griff an mir vorbei in das Gewürzregal und holte zwei kleine Dosen heraus. »Hier ist ganz normales Salz und gemahlener weißer Pfeffer. Das sollte für Ihre Zwecke reichen.« Er legte die zwei Döschen in meinen Korb und sah zufrieden zu mir herüber.

»Das ist wirklich, wirklich, wirklich sehr nett von Ihnen, ich bin Ihnen sehr dankbar.«

»Schon gut«, winkte der Verkäufer lächelnd ab. »Es freut mich, wenn ich helfen kann.«

 

Ich bezahlte und fuhr zurück nach Hause. Natürlich erzählte ich nicht, dass ich mich so erfolgreich blamiert hatte, stattdessen tat ich so, als wäre es das Einfachste auf der Welt, solch seltsame Dinge einzukaufen. Als Levian mir erklären wollte, wie ich den Lauch und den Sellerie zubereiten sollte, winkte ich lässig ab und verordnete ihm strikte Bettruhe, während ich mich mit professionellem Blick an meine Küchenzeile verzog.

Levian wirkte tatsächlich beeindruckt. Das freute mich ungemein nach meiner Niederlage von vorhin. Das Hähnchen und das bereits gekochte Gemüse fischte ich aus der Suppe, um es später zu bearbeiten. Den verbliebenen Rest in der Schüssel kippte ich zurück in den Topf und schaltete die Herdplatte an. Während die Brühe sich erhitzte, gab ich Lauchringe, Selleriestückchen und geschnittene Petersilie hinein. Als es dieses Mal im Topf zu brodeln begann, roch es deutlich angenehmer. Währenddessen entfernte ich die Haut des Hühnchens und zupfte vorsichtig das Fleisch ab, was eine ziemlich rutschige Angelegenheit war. Als Nächstes schnitt ich das bereits gekochte Gemüse in kleine Stücke.

Ich gab alles wieder in den großen Topf und schüttete eine gute Handvoll Nudeln hinein, die lustigerweise die Form kleiner Sterne hatten. Es kochte und brodelte und ich fand, es sah extrem gelungen aus. Zum Schluss streute ich noch ein wenig Salz hinein und musste niesen, als der gemahlene Pfeffer durch den Dampf bis in mein Gesicht wirbelte. Endlich war mein Werk vollbracht.

»Es ist fertig«, juchzte ich und hätte am liebsten den kompletten Topf bis an das Bett des Engels geschleppt, nur damit er sehen konnte, wie perfekt alles aussah.

»Her damit«, ertönte es aus dem Schlafzimmer und ich war schrecklich aufgeregt, als ich die Schüssel erneut füllte und sie zurück auf das Tablett stellte.

Im Schlafzimmer hatte Levian sich bereits erwartungsvoll aufgesetzt. »Es riecht fantastisch«, sagte er.

Ich strahlte bis über beide Ohren. »Probieren!«, befahl ich und setzte mich neben das Tablett auf die Bettkante.

Levian tauchte den Löffel in die Suppe, kaute angestrengt auf einem Stückchen Huhn herum und nickte, während er noch schluckte. »Als hättest du nie etwas anderes gemacht.«

»Wirklich?«, hauchte ich gerührt.

»Absolut. Damit wirst du deine Freundin in Grund und Boden beeindrucken.«

»Ja, das wird sie hoffentlich etwas besänftigen.« Ich zog die Augenbrauen zusammen, als ich an meine schwierige Situation mit Yaris dachte. Viel zu viel war in den vergangenen Tagen zwischen uns falsch gelaufen.

»Schau nicht so finster.« Levian löffelte hungrig seine Suppe, und als ich ihn ansah, gestand ich mir erneut ein, dass er der Grund für meine allermeisten Probleme war. Entschlossen stand ich auf, weil ich hoffte, die Distanz würde mich klarer denken lassen.

»Hey, du hast versprochen, wieder ins Bett zu kommen.«

»Nein«, sagte ich leise. Das vorhin war schon zu viel Nähe. Was sollte daraus werden? Wie viele Lügen mussten es noch werden? Und vor allem, wie lange würde es dauern, bis man ihn bei mir fand?

»Nein?«

»Es ist besser so«, sagte ich und drehte mich von ihm weg. »Ich werde mal duschen gehen und dann sollte ich etwas schlafen.« Ich ließ meine Stimme emotionslos klingen und versuchte, ihn nicht zufällig anzusehen, während in meinem Inneren zwei Parteien um die Oberhand kämpften. Die eine, die mir riet, vernünftig zu sein und zu akzeptieren, dass Levian und ich keine Zukunft hatten, für die es sich lohnen würde, sich weiter so leichtsinnig in Gefahr zu begeben. Und die andere, die mir sagte, mir sollte egal sein, was morgen käme und all die Lügen wären es wert, weil ich noch nie für jemanden so empfunden hatte wie für Levian.

 

Als ich unter der Dusche stand und das warme Wasser über meinen Körper lief, dachte ich an Narkas. Flugdämonen waren im Allgemeinen bei der dämonischen Damenwelt sehr beliebt und auch ich war keine Ausnahme. Doch genauso wie bei Mik damals war es bei Narkas so, ich konnte mir vorstellen, tagelang mit ihm im Bett herumzutollen, ohne dass es mich interessieren würde, wie er dachte und fühlte. Bei Levian hingegen war es etwas anderes. Einerseits brachte er mich um den Verstand, wenn er mich nur ansah und ich wollte ihn am liebsten nackt auf das nächste Bett werfen, aber andererseits war da noch ein Gefühl, das tiefer ging als die bloße körperliche Anziehung. Eine Vertrautheit, die ich noch nicht wagte, zuzulassen und eine tiefe Sympathie, die als ein zartes Flattern in meinem Bauch wohnte. Ich glaubte, wenn es darauf ankäme, würde ich so ziemlich alles für ihn tun. Und ich wusste noch nicht, ob mich dieses Gefühl ängstlich oder glücklich machen sollte.

Nach einer nicht wirklich entspannten Dusche schlüpfte ich in meine Nachtsachen, räumte das Tablett weg und versuchte zu ignorieren, dass Levian ganz offensichtlich schlechte Laune hatte, weil ich mich nicht an unsere Abmachung gehalten hatte. Weil ich im Moment nicht in der emotionalen Verfassung war, eine Diskussion mit ihm darüber durchzuhalten, ohne ausfallend zu werden, kroch ich auf die Couch und wollte nur noch schlafen. Die schweren Rollläden schlossen den Tag aus und der Erschöpfungsschlaf kappte meine Gedanken.