10. KAPITEL

Hätte Susan gewusst, was sie drei Tage später im Büro erwartete, wäre sie gar nicht erst hingegangen. Beryl war bereits da und hatte Kaffee gemacht.

„Guten Morgen, Beryl. Ist Mr. Blackstone schon da?“

„Nein, noch nicht. Möchten Sie einen Kaffee?“

Susan lächelte die junge Frau an. „Gern. Sieht aus, als hätten Sie heute genug zu tun“, meinte sie und nickte zu den Unterlagen, die verstreut auf Beryls Schreibtisch lagen.

„Ja, Mr. Blackstone hat gestern offenbar bis Mitternacht gearbeitet. Er hat mir das alles dagelassen und noch einige Bänder für das Diktiergerät, für die ich wohl das ganze Wochenende brauchen werde.“

„Wirklich? Er ist doch gestern zusammen mit mir gegangen. Ich wusste gar nicht, dass er noch einmal zurückkommen wollte. Gab es denn etwas Dringendes?“

Sie goss sich Kaffee in eine Tasse und ging damit in ihr Büro, wo sie die Vorhänge zurückzog, um die helle Morgensonne hereinzulassen. Es war bereits so schwül, dass Susan sich nach einem Urlaub sehnte, irgendwo am Strand, wo sie nichts Anstrengenderes tun musste, als in der Sonne zu liegen.

Erst nachdem sie ihre Zimmerpflanzen begutachtet hatte, fiel ihr der dicke braune Umschlag auf ihrem Schreibtisch auf, auf dem in Blockbuchstaben ihr Name stand. Stirnrunzelnd öffnete sie das Kuvert, das einen Packen Unterlagen enthielt.

Als sie das obenauf liegende Schreiben las, wurde sie blass. Cord hatte eine weitere Anleihe aufgekauft und forderte sie jetzt ein.

Mein Gott, er würde es wirklich tun. Dagegen kamen sie nicht mehr an. Sie konnten nicht zahlen, und die Schockwelle, die er dadurch auslösen würde, würde alle Firmen der Gesellschaft und die betreffenden Banken erschüttern. Ihre Kreditwürdigkeit wäre ruiniert. Bezahlen und gleichzeitig weiterbestehen, war unmöglich.

Wo war Preston? Sie wollte von ihm hören, dass er ein Wunder bewirken könne und das benötigte Geld doch irgendwo auftreiben würde.

Er selbst hatte ihr den Umschlag hingelegt. Unter den Papieren fand Susan einen Brief von ihm in zittriger Handschrift. Nachdem sie ihn gelesen hatte, ließ sie ihn auf den Boden fallen. Tränen brannten ihr in den Augen.

Wenn es Cord nur darum ging, Preston zu schlagen, hatte er gewonnen. Preston hatte die Stadt verlassen. Sein Brief klang niedergeschlagen und verzweifelt: Er kam nicht mehr gegen Cord an. Durch seinen Rück-zug hoffte er nun, dass Cord vielleicht von seinen Racheplänen abließ.

Cord hatte ihm den Bescheid durch einen persönlichen Boten nach Hause liefern lassen, was Susan besonders grausam vorkam, weil es so berechnend war. Daraufhin war Preston wieder ins Büro gefahren, hatte erledigt, was zu erledigen war, den Brief an Susan geschrieben und war dann verschwunden.

Sie konnte ihm keine Vorwürfe machen, denn es war sein letzter Versuch, die Gesellschaft zu retten. Er hoffte, dass Cord seine Forderung zurückziehen würde, wenn nur noch Susan die Gesellschaft leitete. Denn sonst würde Cord die Frau angreifen müssen, an der er bisher sehr interessiert gewesen war.

Als ob ihn das aufhalten könnte, dachte Susan verzweifelt. Dann straffte sie sich. Niemals würde sie zu ihm laufen und um Gnade betteln! Um Prestons willen hatte sie Cord schon einmal um etwas gebeten, und er hatte ihr die kalte Schulter gezeigt.

Zorn ergriff sie. So schnell würde sie nicht aufgeben, und wenn sie bis zum letzten Cent kämpfen musste. Entschlossen griff sie zum Telefon und wählte Imogenes Nummer.

„Imogene, weißt du, wo Preston ist?“, fragte sie, ohne Zeit mit höf-lichen Begrüßungsfloskeln zu verschwenden.

„Nein. Er sagte nur, er geht weg.“ Imogene hörte sich gepresst an, als hätte sie geweint.

„Weißt du, warum er gegangen ist?“

„Ja. Ich habe versucht, ihn davon abzubringen, aber er wollte nicht auf mich hören“, seufzte sie. „Er glaubt, dass er Cord nur so stoppen kann. Was … was willst du tun? Willst du dich mit Cord treffen?“

„Nein!“, erwiderte Susan heftig. Sie atmete tief ein, um ruhig zu bleiben. „Ich werde überhaupt nicht mit ihm sprechen. Ich werde mit allen Mitteln kämpfen, die mir zur Verfügung stehen, aber ich brauche deine Hilfe.“

„Meine Hilfe?“, wiederholte Imogene resigniert. „Was kann ich denn schon tun?“

„Du kennst die Gesellschaft seit Jahren. Du hast eine Menge Kontakte und weißt Bescheid, auch wenn du nicht im Büro mitarbeitest. Es gibt zu viel zu tun, als dass ich es allein schaffen könnte. Hilfst du mir? Willst du ihn aufhalten oder nicht?“

Am anderen Ende der Leitung folgte langes Schweigen. Angespannt wartete Susan, denn sie war tatsächlich auf Imogenes Hilfe angewiesen und machte sich nicht vor, dass sie es allein schaffen könnte.

„Ich will ihn nicht aufhalten“, erwiderte Imogene schließlich leise. „Dieser Wahnsinn hat schon viel zu lange gedauert. Wenn ich über-zeugt wäre, dass es etwas nützt, würde ich ihm alles übereignen, was mir gehört, nur damit der Familienfrieden wiederhergestellt wird. Ich trage auch Schuld an diesem Schlamassel, und ich bin nicht stolz darauf. Ich hätte mir Cord nicht zum Feind machen sollen, schließlich gehört er zur Familie. Ich bedaure es jetzt sehr, aber das nützt nun auch nichts mehr.“

Susans Mut sank. „Du willst mir also nicht helfen?“

„Das habe ich nicht gesagt. Ich komme so bald wie möglich rüber, aber nicht, um ihn zu bekämpfen, Liebes. Um dir zu helfen und alles zu tun, was in meiner Macht steht, um die Gesellschaft vor dem Bankrott zu bewahren. Das ist das Einzige, was jetzt zählt. Und wenn es vorbei ist, werde ich auf den Knien zu Cord kriechen, wenn ihn das nur glücklich macht und er diesen Krieg beendet.“

Der Gedanke, dass die stolze Imogene sich so demütigen wollte, trieb Susan die Tränen in die Augen. „Ich warte hier“, flüsterte sie und hängte ein, bevor Imogene hören könnte, dass sie weinte.

In den folgenden Tagen arbeitete Susan wie eine Besessene. Morgens kam sie vor Tagesanbruch ins Büro und blieb bis weit nach Mitternacht.

Auf den ersten Blick hin schien es unmöglich, Cords Forderungen nachzukommen, aber sie gab nicht auf. Imogene versuchte, bei Freunden Kredite aufzunehmen, die den Fortbestand der Gesellschaft sichern sollten. Aber selbst alte Freunde waren plötzlich misstrauisch geworden, denn die Geschäftswelt war sehr empfindlich für Gerüchte, und es war durchgesickert, dass die Blackstone Company auf unsicherem finanziellen Grund stand.

Der Verkauf ihrer eigenen Aktien reichte bei weitem nicht. Susan musste weitere Maßnahmen ergreifen. Sie verkaufte ihre besten Geldanlagen, ohne es Imogene zu sagen, die bei der Vorstellung genauso entsetzt gewesen wäre wie Preston.

Imogene selbst hielt sich tapfer und entwickelte bei der Arbeit eine erstaunliche Zähigkeit. Susan war froh, dass sie sich nicht von den Sorgen überwältigen ließ, die ihr das Verschwinden ihres einzigen Sohnes verursachen mussten.

Jeden Morgen vor dem Spiegel sah Susan, dass sie am Rand eines Nervenzusammenbruchs lebte. Sie fragte sich, wie lange sie das noch durchhalten würde. Die Schatten unter ihren Augen ließen sich mittlerweile nicht einmal mehr mit Make-up überdecken. Sie ging aus dem Haus, bevor Emily kam, und war so angespannt, dass sie sich nicht einmal ein Frühstück gönnte.

Abends hatte Emily ihr meist etwas zubereitet, was sie nur noch warm machen musste, aber oft war Susan selbst dafür zu erschöpft. Sie ernährte sich von Kaffee und Sandwiches, die sie zwischendurch hastig aß.

Zusätzlich zehrte das feuchtheiße Wetter an ihrer Gesundheit. Nachts konnte sie nicht schlafen und sah sich das Wetterleuchten über der Bucht an, aber das erlösende Gewitter und kühlere Luft blieben aus. Im Gegenteil, es wurde von Tag zu Tag heißer.

Wenn sie so ohne Decke dalag, weil ihr selbst ein dünnes Laken noch zu viel war, dachte sie an Cord. Tagsüber war es leicht, gegen ihn anzukämpfen und ihm Widerstand zu leisten, aber in der Nacht konnte sie die Erinnerungen nicht länger unterdrücken, und sie weinte lautlos in die Kissen.

Auf diesem Bett hatte er mit ihr gelegen, seinen dunklen Kopf neben ihr. Sie hatte die Beine um ihn geschlungen, als er tief in sie eingedrungen war und ihr Herz erobert hatte. Ihr Körper schmerzte vor Sehnsucht nach ihm.

Sie wollte ihn nur sehen, seinen Mund mit dem umwerfenden Lä-cheln. Wenn sie eindöste, träumte sie von ihm, dann schreckte sie hoch und tastete nach ihm. In diesen heißen schwülen Nächten war der Drang, ihn aufzusuchen, manchmal fast zu stark, und Susan litt entsetzlich.

Gerüchte kamen ihr zu Ohren, dass Cord wieder aus Biloxi verschwunden sei. Es hätte sie nicht gewundert, wenn er gar nicht mehr zurückkommen würde. Vermutlich schmiedete er nur neue Pläne gegen sie. Vielleicht wusste er gar nicht, dass Preston verschwunden war und ihr alles überlassen hatte. Offiziell hieß es, Preston sei auf einer Geschäftsreise. Dieses Märchen hatten Susan und Imogene in die Welt gesetzt, um Klatsch und Tratsch so lange wie möglich zu verhindern.

Trotz allem hatte Susan keine Angst, als sie hörte, dass Cord wieder da war. Einen verrückten Moment lang war sie sogar froh darüber. Irgendwie spürte sie, dass noch nicht alles vorbei sein konnte, wenn er wieder in der Stadt war.

Die vergangene Nacht hatte sie wieder nicht geschlafen, bis ihre Gedanken sich nur noch im Kreise gedreht hatten. Der Ventilator im Büro nützte nichts mehr gegen die Hitze, das leichte Sommerkostüm klebte ihr an der Haut. Beryl und Imogene waren längst gegangen. Ein entferntes Donnergrollen versprach dem ausgedörrten Land den ersehnten Regen, aber Susan glaubte längst nicht mehr daran.

Sie hatte alles getan, was ihr einfiel, aber die Summe, die sie aufbringen konnte, reichte immer noch nicht aus. Sogar das Vermögen, das Vance für sie angelegt hatte, war aufgebraucht, alles, außer ihrem Haus und … und den Hügeln.

Natürlich. Die Hügel! Sie konnten eine Goldmine sein, wenn die Gas- oder Ölvorkommen tatsächlich so reich waren, wie vermutet wurde. Und die ganze Zeit hatten sie vor ihrer Nase gelegen! Wenn sie sie verpachtete, hätte sie genug Geld, um den Betrag für Cord aufzu-bringen. In ihrer Erschöpfung fand sie es nur passend, dass sie Cord ausgerechnet mit den Hügeln schlagen würde, denn genau deswegen hatte ja überhaupt alles angefangen.

Dennoch verstand sie nicht ganz, warum Cord sie bisher nicht gedrängt hatte, ihm das Gelände zu verpachten. Egal, der Gedanke gab ihr jedenfalls neue Kraft und Zuversicht. Sie wollte zu ihm hinausfahren und ihm die Pacht anbieten. Er konnte sie entweder annehmen oder ablehnen. Wenn er die Hügel nicht annehmen wollte, würde sie das Gelände der erstbesten Ölfirma anbieten, die Interesse zeigte. Nur wollte sie Cord eben die erste Chance einräumen.

Ohne weiter über die Idee zu grübeln, schloss sie das Büro ab und ging. Susan wusste, sobald sie nachdachte, würde sie nur Zweifel bekommen und es sich am Ende anders überlegen.

Ihre Hände zitterten, als sie den Wagen über die Straßen zum Jubilee River lenkte. Zerstreut bemerkte sie, dass der Benzinanzeiger fast auf null stand, aber sie hatte jetzt keine Zeit zum Tanken. Für die Heimfahrt nachher reichte es sicher noch.

Die Radiomusik zerrte an ihren Nerven, und sie schaltete sie aus. Es war so heiß! Als ihr die Klimaanlage kühle Luft ins Gesicht blies, fühlte sie sich besser.

Cords Geländewagen war unter den gewaltigen Eichen geparkt, die Vordertür der Hütte stand offen. Susan fuhr bis zur Veranda, und als sie ausstieg, schlenderte Cord aus der Hütte und lehnte sich an einen der Pfosten, die das Vordach stützten. Er trug nur Stiefel und alte Jeans.

Einen Moment lang stockte Susan der Atem. Cord hatte sich den Bart wieder wachsen lassen und wirkte wie ein Abenteurer. Sein muskulöser Oberkörper war braun gebrannt, das Haar länger, und der Blick seiner blauen Augen fesselte sie mehr als je zuvor.

Mit zittrigen Knien stieg sie die Stufen zur Veranda hinauf und machte sich auf alles gefasst.

„Komm rein. Willst du einen Eistee?“, lud er sie ein. „Du siehst aus, als würdest du gleich schmelzen.“

Wie bitte? Susan musste ein spöttisches Lachen unterdrücken. Sie hatte eine solche Panik gehabt, wie er auf ihr Kommen reagieren würde, und jetzt lud er sie höflich zu einem Eistee ein?

Sie setzte sich an den Küchentisch, während Cord an der Spüle hantierte. „Ich wollte sowieso gerade essen“, erklärte er leichthin. „Nichts Heißes bei dem Wetter, nur ein Schinkensandwich und einen Salat, aber es reicht auch für zwei.“

„O nein, danke …“

Er unterbrach sie, indem er ihr einen Teller hinschob. Susan starrte auf das Sandwich und fragte sich, wie sie auch nur einen Bissen davon herunterbringen sollte. Daneben stellte Cord eine kleine Salatschüs-sel und ein großes Glas mit bernsteinfarbenem Eistee und Eiswürfeln. Dann setzte er sich Susan gegenüber.

„Iss“, forderte er sie freundlich auf. „Danach geht’s dir besser.“ Wann hatte sie zum letzten Mal richtig gegessen? Die Tage waren ein einziger verschwommener Albtraum gewesen. Angebissene Sandwiches, Kaffee und ab und zu ein Schokoriegel waren das Einzige gewesen, was sie seit Prestons Verschwinden zu sich genommen hatte.

Langsam begann sie zu essen. Plötzlich schien ihr der frische knackige Salat das Beste, was sie je gekostet hatte. Sie genoss jeden Bissen, und der Eistee kühlte sie angenehm von innen. Schließlich räumte Cord den Tisch ab und stellte das Geschirr in die Spüle, bevor er Susan Tee nachschenkte und sich wieder setzte.

„Nun siehst du wenigstens nicht mehr so aus, als würdest du gleich vom Stuhl kippen. Also, warum bist du hier?“

Susan hielt das angenehm kalte Glas mit beiden Händen fest. „Ich will mit dir über die Hügel sprechen“, sagte sie, aber sie konnte sich nicht auf ihr Anliegen konzentrieren. Stattdessen starrte sie Cord an, als wollte sie sich seine Züge für immer in ihr Gedächtnis einprägen.

„Was ist damit?“ Er verschränkte die Arme und legte die Beine hoch.

Nervös nippte sie an ihrem Tee und stellte das Glas wieder auf dem Tisch ab. „Wenn du sie immer noch willst, dann pachte sie jetzt. Ich habe beschlossen, nicht auf die Gutachten zu warten. Wenn du sie nicht willst, werde ich sie einer anderen Gesellschaft anbieten.“

„Oh, ich will sie immer noch“, meinte er sanft, „aber ich werde dir das Geld dafür nicht sofort geben. Du würdest damit nur gleich zu Preston rennen, und ich will verdammt sein, wenn ich dir auch nur einen Dollar gebe, bevor das hier alles vorbei ist. Das Geld aus den Hü-geln ist für dich, damit du dein gewohntes Leben weiterführen kannst, wenn Preston keinen Cent mehr besitzt.“ Er lächelte zynisch.

Susan sprang auf, ihre Wangen waren gerötet. „Dann werde ich sie jemand anderem verpachten!“

„Das glaube ich nicht.“ Er nahm die Füße vom Stuhl und stand auf. „Wenn du denkst, ich habe meine Mittel gegen Preston ausgeschöpft, täuschst du dich. Solltest du das Land jemand anderem überlassen, werde ich ihn zermalmen, darauf kannst du wetten.“

Susan prallte zurück. Sie war so erschöpft, dass sie unfähig war, sich zu wehren, als er ihre Taille umfasste.

Er zog die Brauen zusammen. „Wie viel hast du abgenommen?“

Susan hielt sich aufrecht, obwohl sie innerlich zitterte. „Das geht dich nichts an.“ Sie versuchte Cord wegzuschieben, aber er stand da, unbeweglich wie ein Felsblock.

Ohne sie loszulassen, strich er mit einer Hand über ihre ausgezehrte Figur. Seine Augen blitzten vor Wut. „Was hat er dir angetan?“

Sie zuckte zusammen und schaffte es irgendwie, sich aus Cords Griff zu befreien und ihn wegzustoßen. In ihrer Verzweiflung konnte sie Cord nur noch anschreien.

„Er hat überhaupt nichts getan! Du hast es getan! Du zermalmst nicht ihn, sondern mich! Er ist fort …“ Entsetzt über ihren Ausbruch schlug Susan sich die Hände vor den Mund.

Cord schlug mit der Faust auf den Tisch. „Was soll das heißen, er ist fort? Diese verdammte Ratte!“

„Er ist keine Ratte! Er ist weg, weil er hoffte, dass du endlich aufhörst, wenn du siehst, dass du ihm nicht länger schaden kannst! Er versucht die Gesellschaft zu retten, er versucht Hunderte von Arbeitsplät-zen zu erhalten …“

„Du meinst, er dachte, du kommst zu mir gelaufen, um mir das zu erzählen, und dass ich dann einen Rückzieher mache? Verdammt, Susan, warum hast du das getan? Warum hast du dich so ruiniert?“

„Du hast unrecht! Preston benutzt mich nicht als Opferlamm! Wenn du mal eine Minute genau hinsehen würdest, würdest du begreifen, dass er nicht mehr der ist, der er vielleicht mal vor Jahren war! Du kannst deine Rachegelüste befriedigen, indem du ihn bezahlen lässt, aber du liegst falsch!“

„Hast du dich nur deswegen so ruiniert, um mir zu zeigen, wie falsch ich liege?“

Mit Vernunft war ihm nicht beizukommen. Die Wucht dieser Erkenntnis war wie ein Schlag ins Gesicht. „Nein“, flüsterte Susan. „Ich habe mich ruiniert, um die Gesellschaft zu erhalten. Ich schlafe nicht mehr, weil ich die ganze Zeit überlege, wie ich das Geld aufbringen könnte, und ich esse nichts, weil ich keine Zeit dafür habe.“ Sie blitzte ihn an. „Ich habe alles verkauft, was ich besitze, außer meinem Haus und den Hügeln. Willst du das auch noch? Oder vielleicht meine Autoschlüssel?“

„Halt den Mund!“, donnerte er und fasste nach ihrer Hand.

Susan konnte seine Berührung nicht ertragen. Sie riss sich los. „Lass mich“, sagte sie schroff, lief die Stufen hinunter zu ihrem Wagen und startete den Motor. Als sie einen Gang einlegte, machte er einen Ruck und blieb dann stehen.

„Nein, das darf nicht wahr sein“, stöhnte sie und versuchte es noch einmal, ohne Erfolg. Dann sah sie entsetzt, dass die Benzinnadel auf null stand.

„Verdammt“, schrie sie und schlug mit beiden Händen auf das Lenkrad ein. „Verdammt, verdammt, verdammt!“ Tränen stürzten ihr aus den Augen.

„Susan!“ Cord riss die Tür auf und zog sie aus dem Wagen. „Susan, hör auf. Beruhige dich, Honey, beruhige dich. Reg dich nicht so auf. Vielleicht kann ich den Wagen starten.“

„Nein!“, platzte sie heraus und verbarg das Gesicht in den Händen. Es war einfach zu viel. Sie war in Tränen aufgelöst, nur weil der Tank leer war. „Das Benzin ist alle.“

„Ich fahr dich nach Hause.“

„Ich will mich nicht von dir nach Hause fahren lassen!“ Sie wollte zu Fuß losgehen, aber Cord packte sie am Arm.

Im selben Moment erschütterte ein gewaltiger Donnerschlag die Erde. Susan erschrak. Über ihnen hing eine bedrohliche schwarze Wolke, die den ganzen Himmel bedeckte, ein frischer Wind war aufgekommen, die ersten schweren Tropfen fielen bereits.

Cord legte den Arm um Susan und eilte mit ihr gerade rechtzeitig auf die Terrasse zurück, bevor eine ohrenbetäubende Sintflut losbrach.

„Du kannst jetzt nicht nach Hause laufen“, übertönte er den Regen. „Wir müssen warten, bis es aufhört, dann bringe ich dich zurück.“

Entnervt schaute Susan durch den grauen Regenvorhang, der die Umgebung der Hütte im Handumdrehen in einen kleinen Fluss verwandelte, der den Abhang zum Jubilee River hinunterfloss. Wenn sie wirklich zu Fuß gehen wollte, würde sie bis zu den Knöcheln im Wasser waten. Aber hier konnte sie auch nicht bleiben, so nah bei Cord und in der Hütte, wo sie zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten.

„Ich will nach Hause“, schrie sie. „Ich halte es hier keine Sekunde länger aus!“

Er warf ihr einen verärgerten Blick zu. Schließlich zog er Susan in die Hütte und knallte die Tür zu, damit sie sich besser verständigen konnten. „Na gut!“, rief er. „Aber wir werden patschnass sein, bis wir im Auto sind, das ist dir hoffentlich klar!“

„Ist mir vollkommen egal.“ Störrisch starrte sie ihn an, und genauso störrisch blickte er zurück.

„Ich fahre den Geländewagen so nah an die Veranda, wie es geht“, erklärte er. „Nimm die Zeitung da auf dem Tisch und halte sie dir über den Kopf. Aber ich sage dir gleich, viel wird es nicht nützen.“

Aus der Vorratskammer holte er eine große Plastiktüte und verschwand damit im Schlafzimmer. Susan blieb, wo sie war, während ihr eisige Schauer über den Rücken liefen. Einen Augenblick später kam Cord wieder, jetzt mit einem T-Shirt bekleidet. Die Tüte hatte er unter dem Arm.

Ohne ein Wort trat er auf die Veranda, wohin Susan ihm folgte, dann sprang er die Stufen hinunter und raste zu seinem Wagen.

Neben dem Fluss schlug zischend ein Blitz ein. Susan schrie auf und wich zurück, als die Erde vibrierte. Elektrizität lag in der Luft, und plötzlich begriff sie, wie gefährlich dieser Sturm war. Die mächti-gen Eichen schwankten im Wind hin und her, und sie wollte Cord zurückrufen, aber er war schon im Auto. Mit eingeschalteten Scheinwerfern fuhr er an die Veranda heran.

Susan holte die Zeitung aus der Hütte, wo es schon so finster war, dass sie fast nichts mehr sehen konnte. Draußen hupte Cord. Was stand sie noch im Dunkeln herum? Schnell trat sie wieder auf die Veranda. Ihr Haar und ihre Kleidung waren bereits von der hohen Luftfeuchtigkeit durchdrungen, und der Wind blies so heftig, dass sie kaum die Tür hinter sich zubekam.

Ohne zu denken, hielt sie sich die Zeitung über den Kopf und stürmte die Stufen hinunter. Sofort war sie klitschnass und keuchte auf, weil der Regen eiskalt war. Cord lehnte sich hinüber, um ihr die Tür zu öffnen, aber der Geländewagen war so hoch gelagert, dass sie nicht mit einem Satz hineinkam. Fluchend zog Cord sie in den Wagen, bevor Susan die Tür hinter sich zuschlug.

„In der Tüte hinten sind Handtücher“, teilte er ihr knapp mit und legte einen Gang ein.

Susan nahm sich eins vom Rücksitz und rieb sich die Arme und den Kopf damit trocken. Die Sitze waren bereits völlig durchnässt.

„Tut mir leid“, murmelte sie.

Im Scheinwerferlicht tauchten die wirbelnden schlammigen Wassermassen des Jubilee River auf, bevor sie über die Brücke fuhren, und Susan erschrak, wie hoch das Wasser in der kurzen Zeit gestiegen war. Cord warf einen grimmigen Blick darauf. „Ich hoffe, ich komme über-haupt wieder zurück.“

Um den Geländewagen gegen den Sturm ruhig zu halten, musste er mit beiden Händen lenken. Einmal wurde das Auto über den Weg hinaus getrieben, bis es mit zwei Rädern im Schlamm steckte. Cord manövrierte den Wagen wieder auf die schlecht gepflasterte Straße, aber sie kamen nur im Schritttempo voran. Trotz der Scheinwerfer sahen sie kaum durch den dichten Regenvorhang, nicht einmal die Scheibenwischer zeigten Wirkung.

Cord fuhr den Wagen an den Straßenrand, machte den Motor aus und schaltete auf Standlicht. Der Regen trommelte jetzt umso lauter auf das Dach. Fragend sah Susan ihn an.

„So kann ich nicht fahren“, erklärte er. „Wir müssen warten, bis der Regen nachlässt.“

Sie verschränkte die Hände im Schoß und starrte durch die Windschutzscheibe. Es war absolut nichts zu sehen, der Regen schnitt sie völlig von der Außenwelt ab.

Die Sekunden wurden zu Minuten, und der Regen wurde zusehends stärker. Im Radio waren die atmosphärischen Störungen so groß, dass der Sprecher kaum zu verstehen war. Susan fröstelte und rieb sich die Arme. Cord schaltete die Heizung ein.

Der Luftstrom auf ihren Armen und Beinen wärmte sie, und sie zog sich die nassen Schuhe aus, um die Füße direkt an die Heizung zu halten. Das Schweigen zerrte immer stärker an ihren Nerven.

„So einen Regen habe ich schon lange nicht mehr erlebt“, fing sie an, nur um etwas zu sagen.

Cord trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad.

„Warum lässt du dir den Bart wieder wachsen?“

„Ich habe keine Lust, mich zu rasieren.“

Die schroffe Antwort tat ihr weh. An einer Unterhaltung war ihm offenbar nicht gelegen. Sie schlang die Arme um sich und dachte an die Jacke, die sie genauso wie ihre Handtasche in ihrem Auto vergessen hatte.

Durch den Regen drang ein metallisches Geräusch an ihr Ohr, das sie nicht einordnen konnte. Susan fuhr erschrocken zusammen. „Was ist das?“

„Eisregen.“

Kaum hatte er es ausgesprochen, wurde das Geräusch lauter. Cord lauschte wachsam.

„Der Donner klingt jetzt weiter weg“, stellte Susan voller Hoffnung fest.

„Ruhig.“ Er neigte den Kopf etwas, um zu lauschen, und umfasste beruhigend Susans Hand. Sie hielt den Atem an und horchte, während ihr immer unbehaglicher wurde. Abrupt hörte der Eisregen auf, und in der darauffolgenden Stille waren nur die Regentropfen zu hören, die von den zerschlagenen Bäumen tropften.

Diese plötzliche Stille war nervtötend. In der Luft lag eine schwere Spannung, die Susan kaum atmen ließ. Sie packte Cords Hand fester. „Jetzt kannst du doch weiterfahren“, schlug sie nervös vor.

Er rutschte über den Mittelsitz bis zu ihr, legte ihr tröstend einen Arm um die Schulter und drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe.

„Wir warten noch etwas“, sagte er. „Wenn der Motor läuft, hören wir ihn nicht kommen.“

Susan schauderte und schloss die Augen. „Ich weiß.“ Jeder Nerv in ihr stand unter Spannung, ihr Herz schlug schneller. Die Ruhe vor dem Sturm war keine reine Redensart, sondern Wirklichkeit. Nur zu gut kannte sie die tödliche Kraft der Tornados, die sich bei Gewittern an der feuchtwarmen Küste entwickeln konnten. Bereits in der Schule hatte sie gelernt, wie man so etwas überlebte. Regel Nummer eins: sich fernhalten.

„Sobald wir etwas hören, verlassen wir sofort den Wagen“, schärfte Cord ihr ein. „Dort links ist ein kleiner Graben, der vermutlich voller Wasser steht, aber das spielt jetzt keine Rolle.“

„Okay.“ Susan kurbelte das Fenster ein wenig nach unten, um besser hören zu können, aber nur das Tröpfeln des Regenwassers auf dem Unterholz drang an ihre Ohren.

Das erste Hagelkorn schlug so heftig auf der Windschutzscheibe auf, dass sie beide hochschraken. Susan unterdrückte einen Schrei, Cord begann zu fluchen, aber seine Worte gingen in dem Hagel der golfballgroßen Eisklumpen unter, die auf den Wagen prasselten und die Blätter von den Bäumen schlugen.

Der Lärm war unglaublich. Susan kam sich vor wie in einer über-dimensionalen Trommel, auf die ein Verrückter einschlug. Sie entzog Cord ihre Hand und presste sich beide Hände auf die Ohren.

Dann war es vorbei. Der Boden draußen war übersät von schimmernden Eisklumpen. Ein tiefes Grollen folgte.

Unvermittelt beugte Cord sich über sie und stieß die Tür auf. Bevor Susan in ihren Strümpfen auf dem Eis ausgleiten konnte, hatte Cord sie um die Taille gefasst. Das Eis war unerträglich kalt und schmerzte an den Füßen, aber mit ihren hochhackigen Schuhen hätte sie auf dem glatten Boden sowieso keinen Halt gefunden.

Ohne auf den Schmerz zu achten, rannte sie mit Cord auf den Graben zu, während das Grollen zunahm. Sie sprangen hinein, dass das Wasser hochspritzte.

Die Kälte nahm Susan fast den Atem. Über ihnen leuchtete ein unheimliches Gelb, das den Nachthimmel seltsam fahl erscheinen ließ. Cord drückte sie tiefer in den Graben.

Der Geschmack von schlammigem Wasser lag ihr auf der Zunge. Sie spuckte aus und hob den Kopf, um Cord anzusehen. Wenn sie schon sterben sollte, dann wenigstens mit ihm gemeinsam. Wieder presste er sie tiefer in das brackige Wasser und schützte sie mit seinem Körper vor dem heranrasenden Tornado.

Irgendwie schien die Situation vollkommen unwirklich. Einerseits war Susan von Angst erfüllt, auf der anderen Seite seltsam ruhig, als wäre es gar nicht sie, die da lag. Sie spürte, wie der aufkommende Sturm so heftig an ihnen zerrte, dass er das Wasser mitsamt den Regenmassen aus dem tintenschwarzen Himmel aus dem Graben über das Feld schleuderte.

Der Wolkenbruch jetzt war gar nichts im Vergleich zu vorhin. An unzähligen Stellen bekam Susan Hautabschürfungen von Steinchen und anderen Teilen, die durch die Luft flogen. Außer dem Donnern des Tornados, der über die Erde peitschte, war nichts zu hören.

Sie klammerte sich an Cord und legte die Arme um seinen Kopf, um ihm wenigstens ein bisschen Schutz zu bieten. Ein tiefes Dröhnen erklang, und sie schrie auf, doch ihr Schrei verhallte in dem Getöse.

Cord verstärkte seinen Griff um sie, bis sie dachte, ihre Rippen würden gleich brechen. Als der Tornado alle Luft in seine wirbelnde Röhre saugte, rang sie nach Atem. Sie konnte nur noch denken, wie froh sie war, dass Cord bei ihr war.

Sie musste kurz das Bewusstsein verloren haben, obwohl sie nicht sicher war. Sie fühlte sich wie betäubt und völlig aufgelöst. Jeden Moment hatte sie darauf gewartet, dass der Tornado direkt über sie hinwegzog, doch plötzlich war wieder alles ruhig. Es regnete zwar immer noch, aber es war ein ganz normaler Regen, als hätte die Gewalt von vorhin zu einer anderen Welt gehört. Keine Blitze, kein Donner, kein Hagel … und kein Sturm mehr.

Cord lag noch immer schwer auf ihr und atmete heftig, die ausgestreckten Arme wie Anker in den Schlamm gesenkt. Einige Minuten blieben sie so liegen, während der Regen auf sie niederging, und versuchten zu begreifen, dass ihnen nichts passiert war.

Susan rührte sich unter Cord und wandte ihm das Gesicht zu. Mit den Fingern strich sie ihm übers Haar. Cord rollte von ihr herunter, und sie setzten sich beide auf.

„Bist du okay?“, fragte er rau.

„Ja“, erwiderte sie. Sie war so heiser, dass sie kaum ein Wort herausbrachte.

Mühsam kamen sie auf die Füße, ohne einander loszulassen. Cord fluchte leise, als er zum Geländewagen hinüberspähte. „Ich will verdammt sein“, murmelte er. „Der Sturm hat den Wagen auf die andere Seite der Straße gehoben.“

Susan versuchte sich zu sammeln. Wie lange war es her, dass sie ausgestiegen waren? Minuten oder eine Ewigkeit?

„Wir sind davongekommen.“ Cord konnte es kaum glauben. „Der Sturm hat uns knapp verfehlt.“

Sie folgte der Richtung seines ausgestreckten Arms und erkannte in der Dunkelheit ein verdrehtes Etwas quer über der Straße, offenbar ein riesiger Baum. Es herrschte ein seltsam helles Licht, das in den Augen schmerzte. Umgestürzte Bäume hatten Strommasten mit sich gerissen, ein Stromdraht schwang hin und her und sprühte bei jeder Bodenberührung Funken. Auf seinem Weg hatte der Tornado alles niedergewalzt und sie nur um kaum fünfzig Meter verpasst.

Cord stolperte über die Hagelkörner. Susan war am Ende ihrer Kräfte und dankbar, dass Cord sie jetzt auf seine Arme hob. Sie ließ den Kopf gegen seine Schulter sinken, und einen Moment lang verstärkte er den Druck seiner Arme. Am Wagen angekommen, half er ihr auf den Beifahrersitz und stieg dann selbst ein.

Zu Susans Überraschung sprang der Motor sofort an. Cord manöv-rierte den Wagen durch den Schlamm wieder auf die Straße zurück. „Wir fahren zurück zur Hütte“, erklärte er, während er behutsam über die Hagelkörner steuerte. „Vor morgen früh kann ich dich nicht nach Hause bringen.“

Susan erwiderte nichts. Bestimmt war der Strom in der Hütte ausgefallen, aber sie konnten ja ein Feuer machen. Der Gedanke daran, sich am warmen Feuer zu trocknen, erschien ihr himmlisch.

Im strömenden Regen erreichten sie den Kamm des sanften Hügels, der zum Jubilee River hinunterführte. Cord hielt den Wagen an. „Ich sehe mir erst mal die Brücke an“, erklärte er und stieg aus.

Nach einigen Minuten war er wieder da. „Das Wasser steht bis über die Brücke. Wir können nicht rüber. Wir müssen die Nacht im Wagen verbringen.“