VI

Bausteine

71. Kostproben

Beginnen Sie mit dem Kosten beim Mise en place und hören Sie damit nicht auf, bis Sie das Essen servieren. Ihr Endprodukt sollte nach seinen Bestandteilen schmecken.

72. Mit Aromen spielen

Es gibt keine Patentlösung, um Aroma und Geschmack zu beeinflussen, aber Sie müssen die Grundnoten kennen: süß, salzig, sauer, bitter. Denken Sie bei süß nicht nur an Honig oder Zucker, sondern auch an Mais oder Portwein; denken Sie nicht nur an die Salzigkeit von Parmesan und Kapern, sondern auch an die von Meertang oder Anchovis; an die Säure von Zitronen und Essig genauso wie an die von Buttermilch und Tamarinde und an das Bittere, das man in Kaffee findet ebenso wie an das in Radieschen und Rhabarber.

Ihre Aufgabe als Koch besteht darin, diese Geschmacksnoten zu berücksichtigen und daraus eine Balance aus Harmonie, Rhythmus und Gegensätzen zu komponieren. Aromen auszubalancieren ist wie ein hinreißendes Lied zu komponieren – dies bringt die Speisen und das Gefühl des gemeinsamen Genießens erst richtig in Schwung.

73. Nicht zu vergessen: umami

Umami bedeutet lecker. Es ist ein köstlicher, erdiger Geschmack, der weder süß noch bitter, sauer oder salzig ist, sondern seinen ganz eigenen Geschmack hat. Dr. Kikunae Ikeda identifizierte 1907 diese schwer fassbare fünfte Geschmacksnote, die die Japaner von ihrem Dashi-Fond seit langem kennen. Etwa zur selben Zeit erforschte George Auguste Escoffier es in Frankreich erstmals in seinem göttlichen Kalbsfond.

Umami-Lebensmittel enthalten Glutamat, eine nichtessenzielle Aminosäure. Wenn Sie Salziges (Natrium) zu umami hinzufügen, verstärkt sich der Geschmack sogar noch, wie bei dem Geschmacksverstärker Mononatriumglutamat (MNG). Seriöse Köche erzeugen umami aber mit natürlichen Mitteln; sie erzielen diesen Geschmack aus reinen Zutaten wie Meersalz auf Pilzen oder frisch gelegten Eiern und nicht aus einer Flasche MNG, die aus hydrolysiertem Weizengluten hergestellt wurde.

Garnelen, Rindfleisch, Pilze und fermentierter Käse wie Roquefort schmecken umami. Einfach gesagt: köstlich.

74. Das Leitungswasser

Ihre meistgenutzte Zutat ist Ihr Leitungswasser. Sein Geschmack wird größtenteils bestimmt vom terroir [terroar] oder den Eigenschaften des Bodens. Das heißt, dass Wasser dazu neigt, den Geschmack der Erdschichten oder der Leitungen anzunehmen, durch die es fließt. Wasser in Florida beispielsweise schmeckt meist sumpfig. Das Wasser des Colorado lässt seinen Ursprung in den Bergen erahnen. Jedes Wasser schmeckt anders.

Schwefelkomponenten des Wassers, hoher Mineralgehalt oder Chlorverbindungen färben auf die Speisen ab, die in diesem Wasser gekocht werden. Der Tee-Sommelier James Labe weist darauf hin, dass beispielsweise der Mineralgehalt des Wassers die natürliche Bitterkeit von pflanzlichen Produkten akzentuieren oder abschwächen kann.

Der Einfluss von Wasser auf den Geschmack ist aber im Vergleich zu dem erheblich stärkeren Eigengeschmack der Lebensmittel unbedeutend. Ihre Aufgabe als Koch besteht darin, sich im Klaren darüber zu sein, inwiefern Ihr Wasser zum endgültigen Ergebnis beiträgt. Falls Verunreinigungen in Ihrem Wasser das Ergebnis Ihrer Kochanstrengungen beeinträchtigen könnten, filtern Sie Ihr Leitungswasser.

75. Alle Lebensmittel haben Textur

Babynahrung und pürierte Karotten haben Textur, nicht weniger als Müsli oder ein frischer Apfel. Textur ist immer vorhanden. Die einzige Frage ist die nach ihrer Qualität: geschmeidig, knusprig, klumpig, sämig. Beachten Sie auch, dass Textur zwei Komponenten hat: die visuelle und die taktile. Die hautähnliche Oberfläche von Bananenfleisch unterscheidet sich vom weichen Mundgefühl.

Erkennen Sie zunächst das Repertoire von Texturen und ihren Komponenten, erst dann beginnen Sie, sie zu gestalten und auszubalancieren. Wenn Sie eine Sauce herstellen, passieren Sie sie, um Feinheit und Raffinesse zu erreichen, oder lassen Sie sie, wie sie ist, um Rustikalität und Authentizität zum Ausdruck zu bringen? Beides hat gleichermaßen seinen Wert. Welches Erlebnis möchten Sie kreieren?

76. Um die Mengenverhältnisse wissen

Langkornreis: ein Teil Reis auf zwei Teile Wasser (bei kleinen Mengen). Getrockneter Couscous und Wasser: eins zu eins. Vinaigrette: gewöhnlich drei Teile Öl auf einen Teil Essig. Mirepoix [mier-poah]: besteht nicht zu gleichen Teilen aus Karotten, Sellerie und Zwiebeln (das Verhältnis ist 25 % zu 25 % zu 50 %); bei gleichem Verhältnis würde die Süße der Karotten dominieren und der Sellerie sich unangemessen im Gericht aufdrängen. (Siehe 139. Mirepoix zubereiten)

Diese „Mischungen“ können nach persönlichen Vorlieben minimal abgeändert werden, aber wenn Sie zunächst mit diesen grundsätzlichen Mengenverhältnissen anfangen, werden Sie das gewünschte Ergebnis erzielen.

77. Regional denken

Lavendelfelder in Südfrankreich verleihen den äußerst exquisiten Honigen der Provence den Geschmack. Der Honig ist wiederum die perfekte Begleitung für jeden der rund ein Dutzend handwerklich hergestellten Ziegenkäse aus der Region, die köstlich ausbalanciert werden von den Weinen dieser Gegend. Wenn Sie ein Gericht oder ein Menü zusammenstellen, beachten Sie regionale Zusammenhänge. Selbst der versierteste Koch kann nicht besser sein als die Natur. (Erinnern Sie sich an 21. Lassen Sie die Produkte für sich sprechen).

78. An die Komposition denken

Ein insalata caprese mit seinen Tomaten- und Mozzarellascheiben in gleicher Größe, übersät von birnenförmigen Basilikumblättern, erregt das Auge, lange bevor die Geschmacksknospen erfreut werden. Das rot-weiß-grüne Arrangement erinnert uns nicht nur an die Natur, sondern auch an die Region und das Land, aus denen der Salat stammt. Der Kontrast und die Wiederholung von Formen, Farben, Texturen und Größe stellt eine effektvolle Art der kulinarischen Kommunikation dar.

79. Strukturell denken

Struktur ist ein Teil des ästhetischen und funktionalen Dialogs zwischen Koch und Gericht, der sowohl den Prozess der Kreation als auch den des Verzehrs bestimmt. Denken Sie an Sushi. Einzelne Scheiben von rohem Fisch auf einem Reisblock, bekannt als nigiri, unterscheiden sich von chirashi, bei dem mehrere Portionen von rohem Fisch auf einem Reisbett platziert werden. Und dann gibt es da noch maki, bei dem der Fisch und der Reis in ein Seetangblatt eingerollt und danach in mundgerechte Scheiben geschnitten werden, die die Zutaten im Anschnitt präsentieren. Alle drei Sushi-Variationen bestehen aus den gleichen Zutaten, aber die Struktur der Zutaten bestimmt sowohl das Mengenverhältnis von Fisch und Reis als auch die Textur und den Geschmack jedes Bissens, ja sogar die Art und Weise, wie diese gegessen werden sollten.

80. Schrittweise denken

Anspruchsvolles Kochen ist meist ein Prozess in mehreren Schritten. Ein Steak zubereiten? Zuerst braten Sie es auf dem Herd scharf an, um den Geschmack und den Saft einzuschließen, danach geben Sie es zum Garen in den Ofen. Sie machen grüne Bohnen mit Mandeln? Zuerst blanchieren Sie die Bohnen, um Farbe und Geschmack zu erhalten, dann geben Sie sie in eine Pfanne mit etwas Butter und den gerösteten Nüssen. Jede Ebene, jeder Schritt der Zubereitung dient einem bestimmten Zweck; lassen Sie einen aus, stellt sich das angestrebte Ergebnis nicht ein.

81. Grundlegende Fragen stellen

Stellen Sie sich zur eigenen Kontrolle permanent Fragen: Ist das Mise en place fertig? Habe ich vom Fleisch das überflüssige Fett weggeschnitten? Habe ich den Fisch korrekt gewürzt? Ist die Pfanne heiß genug, um das Öl hineinzugeben? Hat das Fleisch lange genug geruht, um es aufzuschneiden? Ist der Spargel weich genug? Ist der Geschmack der Sauce klar und aufregend? Hat sie die richtige Konsistenz?

Permanentes Fragen hilft Ihnen, die Qualität des Gerichtes mit jedem Schritt zu verbessern und den Fokus auf das Kochen zu legen, bis zu dem Moment, wo das Gericht gegessen wird.

82. Erst Aroma und Aussehen, dann Temperatur und Textur und schließlich der Geschmack

Es gibt eine feststehende Reihenfolge bei dem sensorischen Erlebnis, Speisen zu verzehren. Erst kommt die atmosphärische und ästhetische Wirkung, also die Tatsache, wie die Speise riecht und aussieht.

Dann, bevor die Zunge in der Lage ist, Geschmack und Textur zu identifizieren, fühlt sie die Temperatur. Wenn der erste Eindruck von Duft, Aussehen oder Temperatur nicht stimmt, ist das Gericht nicht mehr zu retten. Speisen müssen richtig riechen, gut aussehen und korrekt temperiert sein, und zwar in dem Moment, in dem sie serviert und gegessen werden. Wenn dies der Fall ist, wird sich beim Essen eine entspannte Atmosphäre entwickeln, die für die Würdigung der Früchte Ihrer Bemühungen wichtig ist.

Als Nächstes kommt die Textur. Man nimmt die Temperatur in dem Augenblick wahr, in dem die Speise die Lippen oder die Zunge berührt. Aber die Textur erfährt man erst, wenn die Zunge die Speise gegen Gaumen, Zähne und Wangeninnenseite drückt. Die taktilen Informationen beeinflussen die Rezeption des Geschmacks und sind, gemeinsam mit Aroma, Aussehen und Temperatur, die Grundlage dafür, wie das Essen schmeckt. Labberige Cornflakes oder zu bissfeste Nudeln können unmöglich schmecken.

Vorausschauend zu kochen ist die halbe Miete. Guter Geschmack ist das Ziel, aber auf dem Weg dahin gibt es zahlreiche Zwischenschritte. Organisieren Sie diesen Weg. Es ist Ihre Aufgabe, ihm Bedeutung zu verleihen.

83. Geräusche fühlen, Gerüche schmecken, Geschmack empfinden

Verknüpfen Sie Ihre sensorischen Erfahrungen miteinander: Atmen Sie während des Kostens ein; riechen Sie den Geschmack, schmecken Sie den Duft. Nehmen Sie das Produkt mit mehreren Sinnen wahr und entwickeln Sie so ein tieferes Verständnis. Augen, Nase, Ohren und Hände nehmen genauso daran teil wie die Zunge und die Zähne.

Wenn Mais beispielsweise reif und prall ist, beginnt das sensorische Erlebnis schon, bevor Sie zum ersten Mal hineinbeißen. Reißen Sie mit einem Ruck die Blätter vom Kolben. Fühlen Sie den leichten Widerstand. Hören Sie auf das quietschende Geräusch, das Ihnen verrät, dass der Inhalt glänzend, fest und zum Bersten frisch ist. Jeder Ihrer Sinne gibt Ihnen Hinweise auf den Geschmack und vergrößert die Vorfreude auf den ersten köstlichen Bissen. Genießen Sie jedes kleine Platzen der Kornschalen und das Gefühl, wie dann der Saft an den Gaumen spritzt. Schmecken Sie diese unmittelbare Süße. Fühlen Sie, wie die milchige Stärke an Ihren Wangeninnenseiten hinabfließt.

„Sex ist gut“, sagt Garrison Keillor, „aber nicht so gut wie frischer, süßer Mais.“

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