SONNTAG, 7. MÄRZ

Schritte knirschten auf dem schneebedeckten Wegstück. Das Brummen des Motors, der im Leerlauf lief, war das einzige Geräusch, das die winterliche Stille durchbrach, als die Frau den Eispickel und die Schaufel über die Schulter legte, über den Schneewall am Wegrand stieg und durch den knietiefen Schnee watete. Die weiße Fläche glitzerte. Die Sonne hing tief am Himmel und ließ die Rinde der Baumstämme golden leuchten.

Langsam bahnte sich die Frau einen Weg hinunter zur Eisdecke, kniff die Augen zusammen, um sie vor dem grellen Sonnenlicht zu schützen, und stapfte vorwärts. Sie musste sich warm laufen. Unter der losen oberen Schneeschicht lag eine ältere, komprimierte Schicht, die viel Muskelkraft erforderte. Die Frau arbeitete systematisch und rhythmisch, schaufelte sich ein rechteckiges Stück von zwei mal vier Metern frei. Sie grub tiefer. Bald reichte ihr der Schnee bis zur Taille.

Dann begann die Arbeit mit der Eishacke. Bei jedem Schlag spritzten feine Eisstücke in die Luft. Die Sonnenstrahlen reichten nicht bis in das Loch hinunter. Glanzlos blieben die Splitter liegen, bis sie weggeschaufelt wurden oder unter ihren Füßen zu feinem Pulver zerbröselten. Die Eishacke war wie ein Speer mit dem Blatt einer schmalen Axt. Der Schaft saß etwas locker in der schmiedeeisernen Fassung. Am Anfang waren die Eisstücke leicht wegzuschippen, aber je tiefer die Hacke ins Eis vordrang, desto mehr Arbeit machte es, die lose Masse wegzuschaufeln. Sie arbeitete sich warm. Ihr Atem wurde am Rand der Pelzmütze zu Reif. Manchmal streckte sie den Rücken und maß mit dem Schaft der Eishacke. Dreißig Zentimeter blauen Eises und noch immer kein Wasser. Vierzig Zentimeter und noch kein Wasser, fünfzig Zentimeter und noch kein Wasser. Da! Plötzlich steckte die Eishacke fest, und ein dünner Strahl Wasser sprudelte hervor. Der Anblick gab ihr neue Energie. Sie riss die Hacke los und schlug das Loch größer. Jetzt schob sie loses Eis und Schmutz einfach unter die Eiskante, wenn das Wasser hochdrückte. Als das Loch sauber und quadratisch war, kam die Treppe dran. Das Eis spritzte zur Seite, als sie die Stufen ausschlug.

Dann stellte sie die Hacke wie einen Ast schräg in den Schnee. Wieder war der laufende Motor das einzige Geräusch. Die Abgase stiegen wie eine graue Skulptur in die eisige Luft. Sie ging zum Auto zurück, setzte die Stiefel in die alten Spuren.

Auf dem Sitz lagen Handtuch, Wolldecke und Eispickel. Der Weg zurück zum Loch ging schneller. Davor blieb sie stehen, betrachtete das schwarze Wasser, zog die Hacke heran und hackte einen scharfen Eiszapfen weg, der gleich neben der Treppe ins Wasser ragte. Sie zog sich die Wollhandschuhe aus. Sofort biss ihr die Kälte in die Finger. Die Jacke wurde auf den Schnee gelegt. Der Reißverschluss an der Seite der Thermohose wurde geöffnet. Die Kleider wurden fein zusammengelegt. Die Schnürbänder wurden gelöst und die Stiefel abgeschüttelt. Sie stand barfuß auf der Thermohose. Bürstete Schnee weg. Zog sich den Wollpullover aus, die Skiunterhose, das Wollhemd. Zum Schluss schälte sie sich aus BH und Slip. Dann stand sie nackt in der eisigen Kälte. Von ihrer Haut dampfte es, der Schweiß verwandelte sich innerhalb von Sekunden in unsichtbaren Eisrauch. Sie spürte, wie die Kälte in ihre Haut drang und sie fast gefühllos machte, trotzdem blieb sie still stehen. Sie wollte kalt und abgekühlt sein, bevor sie sich bewegte. Die Wassertemperatur würde zwei, vielleicht drei Grad betragen. Sie wollte, dass es sich dennoch warm anfühlte, wenn sie hinein stieg. Deshalb badete sie ihren Körper in der sibirischen Kälte, wartete nackt unter dem blauen Himmel, weiße Haut, eine gelbweiße Gestalt vor weißem Schnee. Rotes, kurzes Haar, blaue Augen, rote Lippen, rote Brustwarzen und eine kleine rote Narbe auf der linken Brust. Die Sonne ging schon langsam unter. Ein fast unsichtbarer, aber dennoch schwerer Schatten hatte sich über die Landschaft gelegt. Die Abenddämmerung des späten Winters nahte. Die Baumstämme an Land leuchteten nicht mehr golden. Die Schneekristalle in dem weißen Schneeteppich glitzerten nicht mehr, die Baumstämme warfen keine Schatten mehr. Grauer Dunst am Himmel färbte sich rosa, wie die letzten Zuckungen einer sterbenden Sonne. Sie wartete immer noch. Aber ihr war nicht mehr warm. Sie zitterte. Die Hände zitterten, und die Oberschenkelmuskeln waren bis zum Äußersten gespannt, als sie sich in Bewegung setzte. Sie stieg die Eistreppe hinunter und senkte ihren Körper ins Wasser. Der Körper war ein weißer Stock, der in schwarzer Materie versank, Füße, Waden, Knie, Schenkel, Taille, Brüste, Arme, Hals, Kopf. Der ganze Körper sank unter Wasser, hinein in den entscheidenden Augenblick. Jetzt konnte sie beschließen, zu sterben, alles zu beenden, einfach dort bleiben, die Reise durch dieses Fegefeuer von knisterndem Schmerz weiterführen, weiter hinuntersinken zur großen Mutter aller Schmerzen, die wartete, als sie mit offenen Augen sank, das Loch da oben schimmern sah, wie ein helles Feld in einem dunklen, alles verschlingenden Nichts.

In dieser Sekunde besiegte sie den Tod noch einmal. Ihr Körper begann zu steigen, auf ein helles Feld zu, das weiß wurde, das zu dem Faden wurde, an dem ihr Leben hing. Sie schnappte nach Luft, als ihr Kopf die Wasseroberfläche durchstieß. Die Bewegungen kamen wie von selbst: Ihre Hände griffen nach den Eispickeln, alle Muskeln spannten sich, als sie sich mit einem kräftigen Schwung aus dem Wasser hob, über die harte Eiskante kroch und sich die Brüste und den Bauch aufschürfte. Sie fühlte nichts, konzentrierte sich nur aufs Atmen. Trocknete ihren Körper ab, wickelte ihn in die Wolldecke, konzentrierte sich darauf, ein- und auszuatmen und so dem Blut Sauerstoff zuzuführen, während ihre Finger nach den Kleidern tasteten, sie anzogen. Slip, Hemd, Leggins, Strümpfe, alles ging langsam, der Stoff wollte nicht leicht über die feuchte Haut gleiten, atmen, ein, aus, ein, aus. Nicht dem Wunsch nach einem trägen Schlaf nachgeben, der sie beschlich. Sie zwängte die Füße in die Stiefel, schaffte es, ohne das Gleichgewicht zu verlieren und zu fallen. Es wurde immer schwerer, der Lust zu widerstehen, sich hinzulegen. Sie hielt die Schmerzen nicht mehr aus. Griff nur noch ihre Jacke und die Hose und hastete zurück zum geheizten Auto. Ihre Finger zitterten, die Unterlippe vibrierte. Ihre Beine bewegten sich schwerfälliger, der Widerstand des Pulverschnees wirkte fast unbezwingbar. Die Oberarmmuskeln wurden steif vom Gewicht der Kleider. Ihre Finger waren taub und gefühllos. Es war ein Kampf, die Autotür zu öffnen, sich hineinzuhieven. Die Tür hinter sich zu schließen. Dann – endlich – kam die Wärme, die Haut prickelte, als das Blut sich den Weg durch die feinsten und dünnsten Adern in ihrem Körper, diesem Schöpferwerk Gottes, bahnte. Mit geschlossenen Augen saß sie da und gab sich dem Augenblick hin, genoss es, wie das Leben zurückkehrte, die Lähmungen des Frostes zur Seite drängte und die Haut warm machte, zitternd, lebendig und elektrisiert.