Ausgesprochen schwierig, unausgesprochen eine Katastrophe

Wer die Aussage der Überschrift verinnerlicht hat, versteht, dass vermutlich ein Großteil der Konflikte gar nicht erst so weit hätte eskalieren müssen – und wird es in Zukunft anders und besser machen. Miteinander reden kann enorm anstrengend sein, aber solange alle Beteiligten dies noch tun, ist längst nicht alles verloren. Der Verhaltensforscher Konrad Lorenz brachte es auf den Punkt:

„Gesagt heißt nicht immer gehört, gehört heißt nicht immer verstanden. Verstanden heißt nicht immer einverstanden, einverstanden heißt nicht immer angewendet. Angewendet heißt nicht immer beibehalten.“

Absprachen werden nicht eingehalten, man fühlt sich nicht verstanden, ist ratlos. „Störfaktoren“, die die Lösungsfindung in einer Konfliktsituation erschweren, sind so vielfältig wie die Menschen selbst. Man kann nicht alle kennen, auf sie eingehen, verstehen, weder Menschen noch Faktoren, man kann jedoch mit Übung selbst sehr viel dazu beitragen, dass man sich wenigstens über seine eigenen Eigenschaften und Blockaden im Klaren ist.

Auch dies bedeutet Verantwortung zu übernehmen, Position zu beziehen und für sich einzustehen. Die Erkenntnis führt zwar nicht auch zwangsläufig dazu, dass Glaubenssätze oder negative Einstellungen sich auflösen, aber sie ist der erste Schritt, um die eigenen Hindernisse in Zukunft aus dem Weg zu räumen und nur für die ist jeder in letzter Konsequenz verantwortlich. Ausgesprochen schwierig sind Gespräche, in denen nicht miteinander gesprochen, dafür aber viel gesagt wird, doch mit ein bisschen Übung wird es oft leichter, sich klar und unmissverständlich auszudrücken. Negative Ereignisse oder Missverständnisse, die unausgesprochen bleiben, führen bald in einen großen Konflikt.

Es ist alles gesagt. Das Drama fängt jetzt richtig an?!

Die Fakten und Emotionen liegen auf dem Tisch, jeder kam zu Wort, die Lage ist klar, aber die Konfliktspirale wurde nicht aufgehalten, sondern noch verschlimmert. Der Weg nach unten geht über Verletzungen und Vorwürfe auf beiden Seiten. Man kann den Weg nicht stoppen, keiner kann wirklich aufhören und so geht es weiter. Die Situation ist vermutlich schon älter, die Ereignisse haben sich in Wochen oder Monaten angesammelt und nun, da man versucht hat sich auszusprechen, ist es schlimmer als in den Zeiten, in denen man sich halbwegs bemüht hat, irgendwie miteinander klarzukommen und die Störfaktoren zu vertuschen oder zu ignorieren.

Ist die Situation nun wirklich schlimmer geworden? Oder ist es nicht eher so, dass aus einem schwelenden Konflikt, der die ganze Zeit bereits anwesend war und Energie und Nerven geraubt hat, nun ein sichtbarer Konflikt geworden ist? In vielen Fällen wird Letzteres der Fall sein, doch wie können Sie nun handeln?

  1. Geben Sie sich Zeit! Konflikte entstehen nicht von jetzt auf gleich und die Lösung ist nicht immer gleich zu spüren. Zu viel ist passiert, fehlendes Vertrauen und Angst können eine Rolle spielen. Gestatten Sie sich, dass nach lang anhaltenden Streitsituationen die Ruhe ein wenig auf sich warten lässt und:
  2. Reden und fragen Sie.
    1. Ist wirklich alles geklärt oder bedarf es weiterer Gespräche?
    2. Woran sehen Sie, dass das Verhältnis noch nicht wiederhergestellt ist? Keine Bewertung!
    3. Was fehlt Ihnen und was Ihrem Gegenüber?

Mein Gegenüber versteht mich nicht

Keiner versteht den anderen

Herr Meyer und Frau Schmidt haben nach Monaten des Streits das Gespräch aufgenommen, sich ausgetauscht, Fragen gestellt und gemeinsam Antworten gesucht. Beide möchten den Konflikt klären, doch immer wieder geraten sie an Grenzen: Es fallen erneut Vorwürfe, der Dialog wird unterbrochen und beide sind unzufrieden mit der aktuellen Situation. Geredet, Fragen gestellt, zugehört, nicht interpretiert doch der Konflikt ist immer noch präsent. Beide sagen über den jeweils anderen: „Ich kann machen was ich will, mein Gesprächspartner versteht mich nicht.“

Keine Lösung in Sicht!? Wenn alle den Streit wirklich beilegen wollen, beantwortet jeder folgende Fragen für sich:

  1. Woran würden Sie merken, dass Sie verstanden werden? Und woran noch?

Notieren Sie sich, was genau Sie benötigen. Gar nicht selten kommt es vor, dass es einfach nur ein Gefühl ist, dass der Konflikt noch nicht geklärt ist, man gleichzeitig auch nicht weiß, was genau man denn nun braucht. Es empfiehlt sich an dieser Stelle wie immer, die Situation zu beobachten und nicht zu bewerten. Frau Schmidt schafft das noch nicht – es ist ja auch wirklich schwierig:

Beobachtung und Bewertung

„Herr Meyer ging nach unserem gestrigen Gespräch wortlos in der Kantine an mir vorbei. Er ist wohl doch noch wütend und das Lösungsgespräch war erfolglos.“

Die Beobachtung: Herr Meyer ist wortlos an Frau Schmidt vorbeigegangen. Die Bewertung: Das Gespräch war erfolglos.

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Es bedarf einiger Erfahrung und Konzentration, sich bewusst zu werden, dass nicht der Gesprächspartner etwas falsch macht, sondern man selbst dafür sorgt, dass die Spirale kein Ende nimmt.

Die Bewertungsfalle

Der schreckliche Kollege

„Noch nie hatte ich einen Kollegen wie Herrn Strauber. Er ist dumm, ignorant, spielt sich auf und glaubt, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben.“

Bewertungen sind schnell zur Hand, einfach und bequem und ganz wunderbare Helfer, unserem eigenen Frust einen Weg nach draußen zu bahnen. Andere Menschen sind dumm, unfähig, sozial inkompetent, haben keine Ahnung oder sind schlicht nur Besserwisser.

Das Einordnen in Schubladen gibt uns Sicherheit und damit geht es direkt hinein in die Konfliktspirale auf dem Weg nach unten. Verurteilung und Kritik an anderen Menschen fallen uns meistens leicht.

Der Bewertungsfalle entkommt man, wenn man

  1. sich ihrer bewusst wird,
  2. sich darüber klar ist, dass so kein Dialog möglich ist und
  3. gewillt ist, Beobachtung von Bewertung zu trennen.

Einige Beispiele, an denen Sie sehen, wie groß der Unterschied zwischen getrennter Beobachtung und Bewertung ist.

Bewertung

Beobachtung

Herr Müller ist ein schlechter Mitarbeiter.

Herr Müller hat in den letzten drei Wochen seine Umsatzzahlen nicht erreicht.

„Frau Schmidt, Sie arbeiten nicht zuverlässig.“

„Frau Schmidt, in den letzten sechs Tagen ist mir aufgefallen, dass die Präsentationen nicht zum vereinbarten Zeitpunkt fertig waren.“

Herr Meyer ist faul.

Herr Meyer kommt seit vier Wochen jeden Tag 20 Minuten zu spät und verlässt bereits um 16.30 Uhr statt um 17.00 Uhr das Büro.

Jede Bewertung ist in diesen Situationen eine Ohrfeige an unser Gegenüber, das sich im Konfliktgespräch sehr sicher rechtfertigen würde bzw. mit gleichen Waffen den Kampf führen wird. Genaue Beobachtungen hingegen sind Tatsachen, die Grundlage für eine Diskussion bilden.

Eine weitere, in Konfliktsituationen besonders spannende Frage ist, wie man mit Bewertungen anderer umgeht. Wenn Ihr Vorgesetzter zu Ihnen sagt „Sie sind faul!“, werden Sie vermutlich nach einer Schrecksekunde anfangen, sich zu rechtfertigen, oder nach Entschuldigungen suchen oder aber sich lieber Ihren Teil denken und die Wut für sich behalten – womit der Konflikt noch einen Grund erhält, weiter anzuwachsen.

Wenn Sie eine Bewertung gehört haben, können Sie damit aber auch so umgehen: „Herr Müller, welche Beobachtungen haben Sie konkret gemacht, dass Sie der Meinung sind, ich sei faul?“ Andere Möglichkeit: „Herr Müller, verstehe ich es richtig, dass Sie mit unserem Projekt unzufrieden sind und deshalb vermuten, dass wir zu wenig arbeiten?“

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Versuchen Sie, mithilfe von Fragen herauszubekommen, worum es Ihrem Gesprächspartner wirklich geht und welche Beobachtung hinter der Bewertung steht.

Wenn Sie anfangen, Bewertungen zu hinterfragen, probieren Sie das doch auch einmal mit den positiven Sätzen! Wenn Ihr Chef sagt: „Das haben Sie ausgezeichnet gemacht!“ können Sie durchaus rückfragen: „Was genau gefällt Ihnen?“. Ein Vorgesetzter, der mit den Worten „Tolle Präsentation, Frau Lum!“ lobt, darf sich fragen lassen, was an ihr besonders gut war. Man lernt Menschen auf diesem Weg sehr gut kennen und kleine Missverständnisse können so sehr schnell geklärt werden.

Viel mehr aber noch: Sie werden vermutlich schnell feststellen, dass viele Menschen bei einer Antwort auf die Frage zögern. Ein Lob ist schnell ausgesprochen, eine pauschale Abwertung leider ebenso. Oft machen sich Menschen nicht klar, was sie wirklich ausdrücken und sagen wollen, verfallen in eigene Denkmuster, sind gefangen in ihrem Verhalten. Hinterfragt man diese Aussagen, haben Menschen die Möglichkeit sich ihrer eigenen Aussagen bewusst zu werden und nicht selten erhält man als Antwort ein „Ach, so habe ich das gar nicht gemeint“ oder ein „Nein, ich bin nicht unzufrieden mit Ihrer Arbeit, ich ärgere mich gerade nur über etwas, was aber eigentlich nichts mit Ihnen zu tun hat“.

Verständnis in Streitsituationen

Wer auf Vorwürfe oder Bewertungen demnächst anders als bisher reagieren möchte, hat ein Stück Arbeit vor sich: Angefeindet zu werden, sich in die Ecke gedrängt zu fühlen, der Meinung zu sein, nicht ernst genommen zu werden und dann noch mit Verständnis reagieren, scheint fast ausgeschlossen zu sein. Ist es aber nicht.

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Verständnis hat auch etwas mit Gelassenheit zu tun, mit der Einsicht, dass alle Fehler machen.

Allerdings: Dem Lieblingskollegen verzeiht man Fehler viel schneller mit den Worten „Ach, ist doch nicht so schlimm!“, während der verhasste Kollege aus der Personalabteilung lange für einen Fehler büßen muss – und außerdem nur die eigene Meinung bestätigt, er sei fehl an seinem Arbeitsplatz. Verständnis fängt bei jedem selbst an: Je entspannter man mit sich selbst umgeht, desto leichter gelingt dies auch bei Menschen, die nicht die besten Freunde sind.

Besonders hier zeigt sich aber auch, wie ungemein wichtig es ist, dass Streitsituationen so früh wie möglich geklärt werden. Denn je kleiner der Konflikt, desto leichter fällt es Menschen, auf andere zuzugehen – und selbst eine bewertende Äußerung kann anders gehört werden. Hören Sie in den nächsten Tagen genau hin, wenn Kollegen miteinander sprechen und sich eine Bewertung an die nächste reiht: Kollege A ist ignorant, Chef B ein Tyrann, Kollegin C hat keine Ahnung. Wenn Ihnen das noch nicht reicht, nehmen Sie diese Aufgabe mit in Ihr Privatleben. Ich wünsche Ihnen tolle Erkenntnisse beim Hinterfragen!

Gibt es immer ein Happy End?

Filme und Bücher leben von Konflikten: Die Protagonisten geraten in schwierige Situationen, sind unglücklich verliebt oder in einer zunächst nicht zu lösendem Situation. Wie auch immer die letzte Szene aussieht, es gibt ein Ende, ob dies nun glücklich ist und Zuschauern und Lesern gefällt, ist eine andere Frage.

Und so ist es auch in den täglichen Konfliktsituationen im Arbeitsleben: Man wünscht sich vielleicht A, bekommt aber B. Es gibt im besten Fall ein Ende, das nicht vor Gericht stattfindet oder in eine Krankheit führt. Alle Regeln wurden berücksichtigt, neue Glaubenssätze erarbeitet und die Einstellung zum Thema Konflikte hat sich deutlich verbessert. Und dennoch läuft nicht immer alles so, wie man es sich wünscht.

Das ist eben der Unterschied zum Film: Das Drehbuch schreibt man nur zur Hälfte selbst, der Konfliktpartner übernimmt die andere. Gleichzeitig muss man sich in Szene setzen und alle Akteure im Blick haben, eine Aufgabe, die größer und komplizierter oft nicht sein kann und bei der es auf der Hand liegt, dass nicht immer alles nach Plan läuft. Doch mit jedem neuen Konflikt lernt man wieder etwas Neues, die Erfolgserlebnisse nehmen zu, die Angst wird weniger, der Umgang mit ihr leichter und die eigene Sprache sowie das Handeln werden klarer.

Mag sein, dass das kurzfristig nicht immer reicht, doch Konflikte sind Situationen, die man mit dem eigenen Verhalten sehr sicher positiv beeinflussen, aber nicht in Gänze kontrollieren kann. Zu unterschiedlich sind manchmal die Ziele, die Einstellungen oder Arbeitsweisen. Wer in schwierigen Situationen aber aufrichtig ist und sich klar äußert, wird diese Fähigkeit auch nutzen können, wenn das Ergebnis zunächst ein anderes ist als erhofft. Hoffentlich sind Sie der Meinung: Ja, das ist ein gutes Ende!

Für alle anderen eine kleine Anregung: Wenn der Konflikt, warum auch immer, gerade nicht zu klären ist, welche Ihrer Bedürfnisse werden damit momentan nicht befriedigt? Was ist es, dass Sie damit nicht gut leben können, dass Sie mit einem Kollegen zusammenarbeiten, den Sie oder der Sie nicht mag? Ist es wirklich nur die Tatsache, dass es mehr Spaß machen würde, wenn man sich richtig versteht? Oder geht es um fehlende Anerkennung, zu wenig Aufmerksamkeit, den Verlust eines guten Miteinanders im Büroalltag? Fühlen Sie sich von dem nicht gelösten Konflikt vielleicht „in die Enge gedrängt“, müssen gar langfristig eine Entscheidung treffen, die Sie lieber aufschieben möchten? Wollen Sie einen Kampf gewinnen oder fühlen sich als Verlierer? Es gibt Konflikte, die sind nicht zu klären, trotz allen Verständnisses, aller Ruhe, jeder ausgeschöpften Möglichkeit verschiedener Dialogformen. Das Erkennen und akzeptieren dieser Tatsache kann zunächst unangenehm sein, langfristig jedoch gibt es Beziehungen, die erst dann gut sind, wenn man unterschiedliche Wege geht.

Auf den Punkt gebracht

So sehr man sich bemüht und anstrengt – nicht immer gibt es ein glückliches Ende, aber man kann selbst sehr viel dazu beitragen, den Konflikt positiv zu beeinflussen. Das bedeutet nicht, dass er komplett kontrolliert werden kann.

Beobachten, nicht bewerten. So helfen Sie nicht nur sich, eine Lösung zu finden.

Wenn ein Konflikt gar nicht zu lösen ist und Sie mit dieser Tatsache schlecht umgehen können, überlegen Sie, was Sie selbst für sich tun können. Akzeptieren Sie die Tatsache, dass es keine Lösung gibt und suchen für sich nach Alternativen. Es gibt sie fast immer, selbst wenn man sie nicht auf den ersten Blick sieht oder sehen will, sich nicht damit abfinden möchte, vielleicht erneut mit Emotionen konfrontiert wird, die man gar nicht haben möchte. Auf Seite 64/65 konnten Sie bereits einiges zu diesem Thema lesen, hier kommt es erneut auf und folgende Fragen könnten beantwortet werden:

  1. Welches Gefühl habe ich, wenn ein Konflikt nicht geklärt werden kann?
  2. Welche Angst steht dahinter?
  3. Wie kann ich zukünftig mit dieser Angst besser umgehen, wer kann mir helfen, wo bekomme ich Unterstützung?