Kapitel 20

Kapitel-20.tif

ich hasse ich hasse ich hasse ich hasse ich hasse

Mein Mantra, jetzt meine einzige Selbstdefinition. Ich klammere mich daran, während ich tiefer und tiefer in unseren Geist eindringe – fort von jeglichem Bewusstsein, weg von Madigan –, um nach einer Stelle zu suchen, an der ich mir einen Rückzugsort einrichten kann, ein Bollwerk, eine Festung, die selbst Madigan nicht erobern kann.

ich hasse ich hasse ich hasse ich hasse ich hasse

Ich bin jetzt unendlich viel weiser, errichte meine Verteidigung mit größerer Sorgfalt, weniger Hast. Denn diese Barriere muss halten, muss Madigan nicht nur sicher draußen halten, sondern muss, endlich, sobald es erledigt ist, auch mich darin halten. Wird es so enden, wird sie so schließlich gewinnen? Keine heftige Entscheidungsschlacht von Psyche und Willen, sondern ein langsames, selbstauferlegtes Verblassen, eine schrittweise Auflösung? Ich kenne die Antwort darauf nicht, ich mache mir nicht einmal die Mühe, die Frage zu stellen. Sie ist belanglos, unwichtig.

Nur der Hass ist wichtig.

ich hasse ich hasse ich hasse ich hasse ich hasse

Ab und zu gleite ich nach vorne, nicht, weil mich die Welt da draußen wirklich interessiert, sondern weil ich Treibstoff sammeln muss, um das Feuer meines Hasses immer weiter am Brennen zu halten. Vielleicht bin ich besiegt, aber noch bin ich nicht bereit, ganz aufzugeben, also. Also:

ich hasse dich

Ich flüstere es Madigan zu, während sie die nötigen Anrufe erledigt und als Erstes mit Ruths Bruder spricht: »Stephen, hast du sie gesehen? Sie hat sich das Auto ausgeliehen, aber das ist jetzt zwei Tage her. Ich mache mir wirklich Sorgen um sie.« Dann die Polizei: »Nein, ich will es nicht gestohlen melden oder irgendwas, kann ich sie nicht einfach vermisst melden? Oh, dann geht es schneller, wenn ich das Auto als gestohlen melde?«

ich hasse dich

Die Worte sind so laut, dass selbst die anderen sie hören müssen, diese Cops mit den ausdruckslosen Gesichtern, die kommen, um mir mitzuteilen, dass sie mein Auto gefunden haben und noch Schlimmeres. Aber sie reagieren überhaupt nicht. Genauso wenig wie Madigan, die den trauernden Freund perfekt spielt, inklusive zitternder Hände und zusammenhanglosen Sätzen. »Gott, ich hatte keine Ahnung. Sie schien in letzter Zeit ein wenig down, manchmal habe ich sie in ihrem Zimmer weinen hören, meistens nachts, aber ich hätte nie gedacht …«

Eine Zugabe für Stephen, der kommt, um die Besitztümer seiner Schwester abzuholen, zum letzten Mal. Stephen, der mit glasigem Blick und einer Kiste in den Armen in der Tür stehen bleibt. »Was läuft hier? Zwei zum Preis von einer? Mann, du solltest dir wirklich ein Warnschild umhängen.« Seine Worte sind absichtlich grausam, aber all das hilft mir, den Hass zu nähren. Sobald er verschwunden ist, lacht Madigan einfach, weil solche Worte wie Wasser auf dem Rücken ihrer Psychopathie abgleiten.

»Hast du das gehört, Lexi? Potenzielle Freundinnen, seid gewarnt! Betreten auf eigene Gefahr.«

ich hasse dich ich hasse dich ich hasse dich

Aber das scheint ihr nichts auszumachen, sie scheint sich überhaupt keine Mühe mehr zu machen, meine Handlungen zu unterdrücken oder zu kontrollieren. Weil sie weiß, dass sie gewonnen hat? Weil sie glaubt, dass ich keine echte Bedrohung mehr darstelle? Vielleicht. Aber warum befreit sie sich dann nicht ganz von mir, warum versucht sie ständig, mich in ein Gespräch zu ziehen, mich dazu zu bringen, etwas anderes zu sagen als

ich hasse dich

»Du klingst wie eine hängen gebliebene Schallplatte, Lexi. Kannst du nicht mal die andere Seite auflegen?«

ich hasse dich

Das sind die einzigen Worte, die ich jemals noch zu ihr sagen werde. Mein Mantra, meine Existenzberechtigung. Es ist alles, was ich habe, das Einzige, das sie mir nicht nehmen kann – das und meinen Rückzug, mein selbstgeschaffenes Gefängnis, das ich immer weiter verbessere, die Schwachstellen suche und verstärke, die Verteidigungslinien perfektioniere. Mein eigenes, kaltes Labyrinth aus falschen Erinnerungen und Albträumen, übersät mit Fallen für den Unachtsamen. Sobald es vollendet ist, wird Madigan nie ihren Weg hinein finden, und ja, vielleicht werde ich auch nie mehr den Weg hinaus finden.

Es könnte Schlimmeres geschehen. Es ist schon Schlimmeres geschehen.

Also baue ich weiter, während ich mich gleichzeitig so klein wie möglich mache, mich einkoche zu einer dünnen blauen Flamme des Hasses, die hell und süß brennt. Alle anderen Gefühle werden verbrannt, jede überflüssige Erinnerung, jeder entbehrliche Traum wird verpackt und tief, tief in mir verstaut, wo mich nichts davon mehr berühren kann. Ich habe so etwas nicht mehr nötig, brauche keine Liebe, brauche kein Bedauern, brauche keine Trauer oder Freude oder Wut, brauche nichts davon. Und es ist so erleichternd, all das zurückzulassen, die Beschränkungen und oberflächlichen Empfindungen von Haut und Haar abzuwerfen. Ich habe mich noch nie so rein, so absolut gefühlt, wie ich es jetzt im Moment tue, während ich mich mit seltsamer Ungerührtheit durch die Überbleibsel meines Lebens grabe und nur die Dinge aufhebe, die ich nutzen kann, um mein neues Selbst zu perfektionieren, um den Hass anzufachen.

Und, an der heißesten Stelle des Hasses, tief in der Mitte, ruht ein Bild von Madigan, ihrem bösartigen Grinsen und ihrem anzüglichen grünen Blick, den roten Locken, die sich um ihr Gesicht winden wie Schlangen aus Feuer.

Madigan.

ich hasse ich hasse ich hasse ich hasse ich hasse

»Alex, bist du noch da?« Ich stehe mit meinem Telefon in der Hand in der Küche, aus dem Hörer schallt schrill und entfernt eine weibliche Stimme und alles um mich herum ist ein wenig neblig, als sähe ich es durch eine dicke, nur halb durchsichtige Linse. Ich bin nicht vollkommen aufgetaucht, wurde gerade weit genug ins Bewusstsein gestoßen, um zu funktionieren. Es ist, als würde man gegen eine üble Erkältung kämpfen, eine wirklich üble Erkältung. Nichts dringt durch, nichts spielt eine Rolle. Ich will einfach nur wieder absinken.

»Alex?« Die Stimme meiner Mutter, zittrig vor Sorge.

»Ja«, antworte ich mechanisch. »Bin noch da.«

Die Erinnerung daran, diese Frau geliebt zu haben, ist jetzt nur noch ein abstraktes Konzept. Ich kann mich nicht dazu bringen, etwas anderes zu empfinden als eine leise Bewegung in dem Hass, eine Farbveränderung, gegen Madigan gerichtet wegen dieses neuen Tricks. Madigan, die mich, aus welchen Gründen auch immer, nicht gehen lassen will. Vielleicht aus Boshaftigkeit, oder vielleicht ist es nur ein Spiel, das sie erst beenden wird, wenn es den Spaß restlos verloren hat. Oder vielleicht gibt es einen anderen, unverständlichen Grund für Momente wie diesen, in denen ich mich plötzlich wieder in diesem schwerfälligen, plumpen Körper wiederfinde, während Madigan sich auf die niedrigere Stufe zurückzieht – obwohl sie immer wachsam über meine Schulter blickt.

Ich kann sie jetzt dort fühlen. Sie lauscht und weidet sich.

»Wir machen uns alle solche Sorgen um dich, Liebling. Du solltest für eine Weile nach Hause kommen.«

Ich kann zu der Frau am anderen Ende der Leitung keine Verbindung aufbauen. Es ist, als wären wir Fremde, die zwei verschiedene Universen bewohnen, nur durch Zufall zusammengeworfen und unfähig, miteinander zu kommunizieren. Ich reagiere instinktiv, murmle halbzusammenhängende Antworten zu halbpassenden Momenten, bis sie zusammenbricht, ein Schluchzen ihre vorsichtig formulierten Sätze durchbricht und ich irgendwo in mir einen Stich verspüre. Überrascht kämpfe ich dagegen an, versuche, diesen unerwarteten Riss in meinem Panzer zu kitten.

Madigan lacht.

also fühlst du doch noch etwas, Lexi

Dann kommt meine Schwester ans Telefon und beschimpft mich auf diese unnachahmlich sanfte Weise, die nur Sarah zu eigen ist. Sie weiß, wie schlecht ich mich fühlen muss, aber ich kann mich nicht vor der Welt verstecken, das hilft gar nichts, und Mum macht sich wirklich Sorgen. Kann ich das nicht hören?

»Ich verstecke mich nicht.«

Warum öffne ich dann nicht die Tür? Sie ist nicht dumm, sie weiß, wann ich zu Hause bin, jedes Mal, wenn sie vorbeigekommen ist, stand mein Auto in der Einfahrt und gewöhnlich ist die Stereoanlage voll aufgedreht.

»Ich habe einfach keine Lust, jemanden zu sehen.«

»Ich bin nicht jemand, Alex, ich bin deine Schwester. Ich mache mir Sorgen um dich.«

Ich mache mir Sorgen um dich.

Ruth hat das einmal gesagt. Das kurze Bild ihres Gesichtes, das vor meinem inneren Auge aufsteigt – die Unterlippe zwischen den Zähnen eingeklemmt, die Augenbrauen besorgt zusammengezogen –, reicht aus, um ein wenig Trauer aufsteigen zu lassen, genug, damit dieser geistlose Körper zum Verräter wird und mit Tränen und Schmerz droht. Ich stemme mich dagegen, ziehe mich zurück, lasse mich sinken. Sarahs Stimme ist jetzt zu weit weg, um noch Sinn zu ergeben, und so versuche ich es nicht mehr. Meine Antworten bestehen aus kaum mehr als Grunzen, bis sie schließlich auflegt, wütend und selbst fast am Heulen. Sie wird später wieder anrufen, hat sie das zuletzt gesagt?

Ich lasse Wasser in die Spüle laufen, werfe das Handy hinein und beobachte, wie es stirbt. Dann bin ich weg.

Madigan, du bist dran

Ich frage mich, was passieren wird, wenn sie sich weigert zu kommen, sich weigert, die Kontrolle zu übernehmen. Wird mein Körper hier einfach mit hängendem Kiefer stehen bleiben, die Augen leer wie ein Zombie, oder würde er fallen, mit dem Kopf auf den Boden knallen, vielleicht hart genug, um uns den Schädel zu spalten? Aber hier kommt sie, mit der kühlen Grazie einer Schlange, und dreht den Wasserhahn ab, bevor die Spüle überlaufen kann.

warum hast du das getan?

»Ich räume nicht deinen Dreck auf.«

Nein, warum mich an die Oberfläche drängen, warum mich dazu zwingen, mit meiner Mutter, meiner Schwester zu reden? Was versucht sie damit zu erreichen?

Madigan zuckt mit den Achseln. »Sie rufen ständig an, ich war es einfach leid. Sarah war gestern hier – schon wieder – hat fast eine Viertelstunde lang an die Tür geklopft und durch die Fenster gelinst. Sie schaltet nicht gerade schnell, oder?«

lass mich in Ruhe

»Nur, weil du …«

Aber ich bin bereits weg, ziehe mich in meine Zufluchtsstätte zurück, weit, weit innen, wo es nichts gibt außer Hass, wo ich nichts bin außer Hass, nichts außer, nichts außer, nichts außer.

»Du solltest ihr das nicht durchgehen lassen, weißt du?« Von ihrem Platz auf der Couch deutet Ruth auf die Leinwände, die in Dreierreihen an der Wohnzimmerwand lehnen. Das Haus ist still, Madigan ist bei einer Vorlesung, die Marionetten sind irgendwohin verschwunden. »Sie übernimmt das Haus.«

Ich zucke mit den Achseln. »Sie lebt jetzt hier. Sie hat das Recht auf den Platz.«

Ruth tippt sich mit dem Finger auf die Lippen. »Weißt du, ich kann mich irgendwie nicht erinnern … wann genau hast du sie eingeladen?«

Die Unterhaltung wird unangenehm, kommt meinen eigenen Gedanken ein wenig zu nahe und so versuche ich, sie mit einem Lachen abzutun. Es ist einfach so passiert, nehme ich an, ein glücklicher Zufall.

»Diese Frau ist eher ein Unfall.«

Genug. Ruth ist eine Freundin, aber es reicht. »Lass gut sein, ja? Ich liebe sie.«

»Nein.«

So seltsam, der Ausdruck, der sich auf ihr Gesicht legt, Verwirrung und Schmerz und Vorwurf kämpfen um die Vorherrschaft. Ihre Haut ist plötzlich unnatürlich bleich, mit einer leicht bläulichen Färbung. Ich weiß, dass sie kalt sein wird, wenn ich sie berühre. Schwindel droht, mir die Beine unter dem Körper wegzuziehen, und mein Mund füllt sich mit dem Geschmack von abgestandenem Blut, als sie vorsichtig aufsteht und sich mir nähert.

»Nein, tust du nicht.«

Wo sie gesessen hat, bleibt ein nasser Fleck auf der Couch zurück, und ihre Schritte geben bei jedem langsamen Schritt ein platschendes Geräusch von sich. Wasser rinnt aus dem T-Shirt, das sie jetzt anhat, und läuft an ihren nackten Beinen herunter. Das Shirt ist hellblau und klebt nass an ihren Rippen.

»Du liebst mich.«

O Gott! Ich greife nach ihr, halte sie fest in den Armen, ignoriere die Feuchtigkeit und den salzigen Geruch ihrer Haare, ignoriere die Kälte ihrer Haut. »Es tut mir leid, Ruth. Es tut mir so leid.«

»Dann erinnere dich daran.« Ihre Stimme ist nicht wirklich ein Flüstern, sondern belegt, als hätte sie Wasser im Hals oder Algen. »Erinnere dich an mich.«

»Oh, mein Herz blutet nur noch.«

Ich drehe mich um und sehe, wie Madigan durch die Tür stiefelt. Dieses vertraute breite Grinsen und der geschmeidige Gang. Ruth ist weg, verschwunden, meine Arme sind leer. Ich lasse sie sinken.

»Raus«, flüstere ich. Der Hass steigt bereits in mir auf, brennt noch die letzten kalten Reste von Ruth aus.

»Schau dich an«, sagt Madigan. »Siechst hier unten in Träumen und Phantasien dahin.«

»Ich habe gesagt, du sollst verschwinden.«

Sie hebt den Stoff von der Leinwand und schnalzt mit der Zunge, als sie das Bild sieht. Ihr Selbstporträt, immer noch brillant und schön, immer noch beängstigend. »Du erinnerst das viel schöner, als ich das je gemalt habe.« Für einen Moment huscht Trauer über ihr Gesicht. »Das muss wohl die rosarote Brille sein.«

Wortlos richte ich meinen Blick auf die Leinwand, beobachte, wie die Farbe schmilzt und verläuft, sich in hässliches Braun verwandelt. Die letzten Reste des menschlichen Gesichts machen es nur grotesker.

Madigan grinst. »Oh, übel.«

Ich balle die Hände zu Fäusten, knirsche mit den Zähnen, während ich meine Wut herunterschlucke, weil ich ihr die Befriedigung nicht gönnen will. Wie zur Hölle ist sie hierhergekommen, wie hat sie es geschafft, mich zu finden? Das ist mein Revier, mein Territorium; wenn sie denkt, sie könnte einfach –

»Einfach was, Lexi? Durch deinen Geist wandern? Wann immer es mir gefällt?«

Sie lächelt bösartig, will, dass ich es verstehe, will, dass ich meine lächerliche Macht – oder meine Machtlosigkeit – begreife, will absolut sicherstellen, dass ich weiß, dass es nichts gibt, das ich tun kann, keinen Ort, an den ich gehen kann. Sie wird immer in der Lage sein, mich zu finden.

»Ich hasse dich.«

Madigan rollt die Augen und lässt sich auf die Couch fallen. »Das hast du bereits gesagt. Und gesagt und gesagt. Du nervst ganz schön wie ein verdammter Moskito.«

»Dann lass mich in Ruhe.«

»Kann ich nicht.« Sie reibt sich die Stirn. »Ich will, dass du für ein paar Tage übernimmst. Ich bin müde und brauche ein bisschen Ruhe, tieferen Schlaf, als ich ihn in letzter Zeit bekommen habe. Es gibt Dinge, auf die ich mich vorbereiten muss.«

Ich lache. »Fick dich ins Knie.«

»Ich bitte dich höflich.«

»Und was passiert, wenn keiner von uns auftaucht?«

Sie zuckt so beiläufig mit den Achseln, als hätte sie darüber nicht schon Dutzende Male nachgedacht. »Wir fallen ins Koma, nehme ich an, oder irgendwas anderes in der Art. Aber die Situation ist zu heikel für so was, jemand muss da draußen aufpassen.« Ein zärtliches Lächeln. »Ich brauche dich immer noch, Lexi.«

Ich schüttle den Kopf. Diese großen grünen Augen funktionieren nicht mehr bei mir, und außerdem, wenn wir beide hier drin sind, was passiert dann gerade in der wirklichen Welt?

»Wir schlafen.« Sie tätschelt die Couch neben sich. »Komm her.«

Eher hätte ich einen hungrigen Tiger aus der Hand gefüttert.

Madigan runzelt die Stirn. »Ich gebe dir noch eine Chance, Lexi. Nach allem, was du getan hast, bin ich bereit, dir noch eine Chance zu geben. Du solltest sie wirklich ergreifen.«

»Nach allem, was ich getan habe?«

Sie hebt eine Hand, diese alte, vertraute Geste, die sofortiges Schweigen verlangt, ihre absolute Autorität klarstellen soll – genug, hör mir zu, braver kleiner Schoßhund –, und es macht mich wütend. Die letzten Reste meiner Selbstkontrolle brechen beim Aufblitzen ihrer Handfläche zusammen. Ich werfe mich auf sie, die Arme ausgestreckt in Richtung ihrer langen, fahlen Kehle. Ich freue mich schon auf das Knirschen ihres Kehlkopfes unter meinen Fingern, das erstickte Keuchen ihres letzten Atemzuges.

Aber sie ist nicht mehr da und ich lande ungeschickt auf der Couch, die sofort zusammenbricht, um mich unsanft auf den Boden zu werfen. Der dreckige graue Teppich bewegt sich unter meinen Händen, verwandelt sich erst in Sand, dann in Schnee, dann in Leere, in das Nichts, alles in einem einzigen Augenblick. Ich rolle herum und schlage mir die Fäuste vors Gesicht.

Weg. Verschwunden. Zumindest sehe ich sie nicht mehr, denn ihre Anwesenheit kann ich immer erstickend eng um mich fühlen, die Wärme ihres Atems, den Gestank ihrer Wut und dann ihre Stimme, ein flüssiges, zorniges Geräusch, das nicht wirklich aus Worten besteht und trotzdem verständlich ist: dumm dumm dumm dumm dumm.

Ich keuche. Die Luft ist zu dünn zum Atmen. Der Anti-Ort drängt sich an mich heran, bedrängt mich von allen Seiten. So wird es also enden, ist das der Moment, in dem sie mich schließlich umbringt? Ich reiße den Mund auf, schließe ihn, keuche und schmecke etwas Scharfes, Saures. Wie Blut, aber dicker, süßer; alter Wein dreimal verdickt.

du willst dein Leben zurück, Lexi? willst es so sehr?

Schmerzen. Sie heben sich hinter meinen Lidern, kriechen durch meinen Körper. Reiner Schmerz. Ich lasse mich in ihn fallen, weigere mich, weiterzukämpfen, weigere mich, Madigan diese letzte Genugtuung zu geben, während ihre Stimme sich zu einem Kreischen hebt, mit einer derart hohen Frequenz, dass ich erwarte zu spüren, wie meine Trommelfelle platzen und bluten.

dann wach auf

Ich falle und meine panischen Finger finden verschwitzte Bettlaken und noch verschwitztere Haut. Nicht meine, denn sie zuckt und weicht zurück, und eine Stimme blökt protestierend – hey, vorsichtig – in mein Ohr.

Ich öffne die Augen.

Mein Schlafzimmer, mein Bett und ein dunkelhaariger Junge, der gähnend neben mir liegt. Als er sich katzengleich streckt, spannt sich die Haut über seinen Rippen. Alles ist so hell, jedes Gefühl so unglaublich intensiv, nachdem ich so lange von all dem entfernt war. Meine erste Reaktion ist es, mich zurückzuziehen, wie eine Schnecke in mein kleines Haus zu kriechen, aber ich kann nicht. Madigan hat mich diesmal ganz nach draußen gestoßen, hat irgendwie die Rückzugswege verschlossen. Ich kämpfe umsonst, bin unfähig, aus dieser nur allzu körperlichen Welt zu verschwinden. Die Sonne brennt durch die halb geschlossenen Vorhänge, die Decke gleitet wie Schmirgelpapier über meine Haut, und als dieser Junge mich berührt, löst sein Finger ganze Schichten von meinem Arm. Ich schreie auf und dränge mich gegen das Kopfende.

»Hey, Kumpel, bist du okay?«

Es ist nur Joaquin. Er runzelt die Stirn, als er sich vorlehnt, die Hand ausstreckt, um mir die Haare aus dem Gesicht zu streichen. Ich schlage seine Hand zur Seite und versuche, mich zu langsamen, tiefen Atemzügen zu zwingen. Reiß dich zusammen, Alex, das ist dein Körper. Erinnerst du dich, wie er sich anfühlt?

»Albtraum?« Joaquin lächelt, seine Vorderzähne sind schief und ein wenig überlappend, am Zahnfleisch gelb vom Nikotin.

Alles, ich kann alles sehen: die Poren seiner Haut, die verklebte Tusche an seinen Wimpern, das rote Netzwerk von Adern in seinen Augenwinkeln; zu viel, viel zu viel. Ich verschränke die Arme vor dem Gesicht, aber ich kann ihn immer noch hören – irgendein sinnloses Gelaber über Albträume und wie sehr sie stinken, und wie seine in letzter Zeit fast vollkommen aufgehört haben, oder er sich zumindest nicht mehr an sie erinnert und dass es so oder so cool ist – die weinerliche Stimme ist einfach zu schwer zu ertragen.

»Joaquin?« Ich spähe hinter meinen Ellbogen hervor. »Warum bist du hier?«

Er grinst und nickt bedeutungsvoll in Richtung meines Schrittes. »Frühstück im Bett?«

Und jetzt ist es mir nur zu klar. Der Junge trägt nichts außer seinen Silberringen und die vielen schwarzen Bänder, die sich um seine Handgelenke winden. Die Laken sind um seine Hüften zusammengeschoben und ich sitze neben ihm, genauso nackt.

Madigan, du hinterhältiges Flittchen, wie lang geht das schon so?

»Fühlst du dich besser?« Joaquin berührt meine Wange, lehnt sich zu mir – um mich zu küssen, realisiere ich. Ich werfe mich zur Seite und falle fast hin, als ich aus dem Bett springe. Ich schaffe es gerade so, auf den Beinen zu bleiben, stehe jetzt splitternackt unter dem anzüglichen Blick des Jungen, und mein Penis, mein verräterischer Penis ist in einer Morgenlatte halb steif.

»Komm nicht auf dumme Gedanken«, knurre ich, reiße die Decke vom Bett und wickle sie mir um die Hüfte.

Joaquin bleibt einfach nur liegen, auf einen dürren Ellbogen gestützt. Sein eigener Penis ruht stolz an seinem Bauch. Unbeschnitten, und Gott, warum schaue ich überhaupt hin? Ich werfe die Decke wieder über ihn – deck dich zu, sei so freundlich –, bevor ich mich umdrehe, um den Boden nach etwas zum Anziehen abzusuchen. In einer Ecke liegen zusammengeknüllte Jeans, perfekt. Ich ziehe sie mir über die Hüften und schließe sorgfältig den Reißverschluss.

»Was ist los, Alex?«

»Du, du bist los. Geh einfach, zieh dich an und verschwinde.«

Joaquin schüttelt den Kopf und rollt sich auf den Rücken. »Und es fängt wieder an.«

»Was fängt wieder an?«, blaffe ich und ziehe eine Schublade auf, um dort all meine T-Shirts gefaltet und in sorgfältigen Stapeln zu finden. Madigans Werk. Ich schnappe mir boshaft einen ganzen Stapel und werfe ihn auf den Boden.

»Mann, tickst du mir jetzt wieder aus?«, fragt Joaquin.

»Verpiss dich einfach, ja?«

Er schnaubt. Ja, ja, wie immer, ich sage ihm, er solle verschwinden und nie wiederkommen, wenn wir doch beide wissen, dass ich ihm schon in ein paar Tagen eine SMS schreiben werde – oder sogar in ein paar Stunden –, um zu verlangen, dass er sofort vorbeikommt. Nie eine Entschuldigung, nie ein tut mir leid, und er hat es langsam wirklich satt. Vielleicht wird er eines Tages wirklich nicht zurückkommen, und was halte ich davon?

»Wunderbar, einfach perfekt. Verschwinde.«

»Ja, Sir!« Beleidigt schnappt Joaquin sich schwarze Leggins vom Fußende des Bettes, zieht sie an und streckt sich wieder, die Arme weit über dem Kopf. Sein Rücken knackt laut genug, dass ich das Gesicht verziehe. Dann sehe ich es an seinem rechten Arm, ein kleines Stück unter dem Ellbogen: ein kurzer Schnitt, hell und frisch. Ich packe sein Handgelenk, vergrabe meine Finger zu tief in seinem Fleisch, deute auf die Wunde.

»Was ist das?«

Joaquin entzieht sich mir. »Fick dich, Alex, du solltest wirklich mal zu einem Seelenklempner. Bevor du total austickst.«

Zu spät, oh, dafür ist es viel zu spät.

Denn der Zwilling seiner Wunde findet sich an meinem eigenen Ellbogen, genau an der gleichen Stelle, eine kurze, tiefe, aufgeworfene Wunde, nicht älter als höchstens drei Tage.

Du gehörst jetzt mir, Lexi. Du wirst mir immer gehören. Für immer.

Hat sie dieselben Worte auch bei ihm verwendet, diesem leichtgläubigen, verliebten Kind? Die Erinnerung wäre einfach zu finden, eine kurze Suche im gemeinsamen Lagerraum unseres Geistes, aber es ist nicht nötig; ich kann mir die Szene nur zu gut vor Augen führen. Dunkelheit und Kerzen und das silberne Blitzen einer Klinge, irgendein verdrehter Liebespakt, und Joaquin saugt das Grufti-Drama und das Blut in sich auf, als wäre er Bela Lugosis Welpe.

Für immer.

Ja, für immer. Aber nicht für mich oder für Joaquin oder für die Masse, die ich mir vor ihr aufgereiht vorstelle, Arme und Bäuche und Kehlen in williger Unterwerfung hintereinander angeordnet. Denn sie wird es wieder und wieder und wieder tun, ihre Opfer aussaugen, bevor sie sie für einen neueren, frischeren Anzug aus Fleisch wegwirft.

Aber das wird nicht passieren, ich werde es nicht zulassen. Es ist Zeit, dem Ganzen endlich ein Ende zu machen. Endlich und für immer.

Der Junge ist inzwischen fast vollständig angezogen, ein zerrissenes schwarzes T-Shirt und ausgeleierte kurze Hosen über seinen Leggins. Sein mürrisches Gesicht wendet sich mir hoffnungsvoll zu, als ich auf ihn zugehe und meine Hände auf seine knochigen Schultern lege.

»Eine Sache noch, Joaquin.« Ich halte meine Stimme sanft und gleichmäßig. »Wo ist das Messer?«