Wer steckt hinter den Bestellungen?

Am Montag besuchte Florian Seibold den Drahtlieferanten. Er hoffte, im Bauhaus Scheuer einiges über den anonymen Anrufer zu erfahren.

Den geschulten und von Berufs wegen neugierigen Strafverteidiger interessierte der Vorfall. Er hielt es für möglich, daß ein Plan dahintersteckte. Doch worauf zielte er ab?

Der Bauunternehmer an der anderen Seite des Arnoldschen Grundstückes fühlte sich offenbar von nächtlichem Hundegebell belästigt. Doch würde er, um sich dafür zu rächen, so weit gehen, eine alte Frau mit einer solchen Methode zur Verzweiflung zu treiben?

Florian Seibold hielt das für unwahrscheinlich, zumal der Bauunternehmer die Woche über meistens in seiner Stadtwohnung lebte, wo er auch sein Büro hatte, und sich nur an Sommerwochenenden in seinem Bungalow am Fluß aufhielt.

Das Bauhaus Scheuer war ein Kaufhaus mittlerer Größe. In seinen zwei Verkaufsetagen führte es vom kleinsten Drahtstift bis zur teuersten Bohrmaschine alles, was ein Heimwerker für sein Hobby benötigt.

Florian Seibold fragte sich zur Versandabteilung durch. „Ich komme wegen der Drahtlieferung an Frau Arnold in der Föhren-Allee", sagte er zu dem Mädchen am Schreibtisch neben der Tür.

Das Mädchen rührte sich nicht. Es schien an Herrn Seibolds Anliegen nicht interessiert zu sein.

„War etwas nicht in Ordnung damit?“ fragte ein junger Mann von einem anderen Schreibtisch her.

„Seibold“, stellte Florian Seibold sich vor. „Ich bin der Nachbar von Frau Arnold. Meine Haushälterin hat die Lieferung angenommen, weil Frau Arnold nicht zu Hause war, als Ihr Fahrer kam. Frau Arnold behauptet, den Draht nicht bestellt zu haben.“

„Haben Sie den Lieferschein dabei?“ fragte der junge Mann.

Florian Seibold holte den Lieferschein aus seiner Brieftasche.

Der junge Mann winkte Herrn Seibold zu sich heran. „Zeigen Sie mal her!“

Manieren haben diese Leute! wunderte sich Herr Seibold, während er zu dem jungen Mann ging und ihm den Lieferschein übergab.

„Ist die Drahtgröße verwechselt worden? Stimmt die Meterzahl nicht? Oder was ist sonst falsch gelaufen?“ wollte der junge Mann wissen.

„Alles“, sagte Herr Seibold. „Es wurde Draht geliefert, der nicht bestellt worden ist, und...“

„Ja, gut! Wir wissen inzwischen, daß Sie hier sind, um die Lieferung zu reklamieren. Aber was für Draht wurde nun bestellt? Engmaschiger, wieviel Millimeter starker?“ fiel ihm der junge Mann ungeduldig ins Wort.

Die beiden Mädchen hatten aufgehört zu tippen und lauschten der Diskussion.

„Es wurde überhaupt nichts bestellt“, erklärte Herr Seibold.

„Nichts bestellt? Die Lieferung wurde doch angenommen und...“, der junge Mann blickte auf den Lieferschein, „...quittiert.“

„Von meiner Haushälterin. Irrtümlich! Aber Frau Arnold sagt..:

„Sind Sie Herr Arnold?“

„Mein Name ist Seibold. Ich bin der Nachbar von Frau Arnold, die versichert, keinen Draht bestellt zu haben“, wiederholte Florian Seibold ungeduldig.

Der junge Mann gab ihm höflich den Lieferschein wieder zurück. „Damit habe ich nichts zu tun. Wenden Sie sich bitte ans Verkaufsbüro.“

Herr Seibold faltete den Lieferschein zusammen und verließ den Raum.

Die Angestellten vom Verkaufsbüro zeigten sich freundlich und hilfsbereit.

Ein lang aufgeschossener männlicher Auszubildender suchte anhand der Auftragsnummer den Bestellschein heraus.

Die junge blonde Mitarbeiterin, deren Zeichen auf dem Bestellschein erkennen ließ, daß sie den Anruf entgegengenommen hatte, bemühte sich, den telefonischen Auftraggeber zu beschreiben.

„Es war eine Frau am Apparat“, versicherte sie. „Ich erinnere mich deshalb so genau, weil ich sie mit Herr Arnold anredete. Aber die Kundin berichtigte mich und betonte, daß sie Frau Arnold und Witwe sei.

„Wieso hatten Sie Frau Arnold mit einem Mann verwechselt?“ wollte Florian Seibold wissen.

„Weil ihre Stimme männlich klang. Es war eine heisere, dunkle, ein bißchen brummige Stimme, wie von einem starken Raucher, würde ich sagen.“

Herr Seibold horchte auf. Er wußte, daß Frau Arnolds Stimme dunkel und männlich klang.

„Würden Sie die Stimme wiedererkennen?“ fragte er.

Die junge Dame zögerte. „Das... weiß ich nicht. Ich habe mich ja nur kurz mit ihr unterhalten. Sie gab mir ihren Auftrag und Name und Adresse durch. Ich habe die Bestellung sicherheitshalber wiederholt... Das tun wir immer, um Irrtümer zu vermeiden... Und das war alles.“ Das Mädchen blickte Florian Seibold ratlos an. „Ich verstehe deshalb nicht, daß ich die Anschrift verkehrt geschrieben haben soll. Ich habe alles so notiert, wie Frau Arnold es mir aufgetragen hat.“

„Vielleicht hast du sie mit einem anderen Auftrag verwechselt?“ meinte ihre Mitarbeiterin, die die Reklamation mitgehört hatte.

Die Blonde schüttelte energisch den Kopf. „Quatsch! Ich übertrage jede Bestellung sofort auf ein Auftragsformular. Außerdem hätte dann der andere Kunde...“ Sie unterbrach sich und sagte: „Die Kundin gibt an, überhaupt nichts von einer Bestellung zu wissen! Was mache ich jetzt?“

„Frag den Chef“, riet ihr die Mitarbeiterin.

Die Blonde stand seufzend auf und sammelte ihre Unterlagen ein.

Doch Florian Seibold hielt sie zurück. „Ich brauche auch Draht und behalte die Lieferung. Ich muß Sie nur bitten, meinen Namen auf die Rechnung zu setzen. Ich bezahle sie gleich an der Kasse.“

Die beiden jungen Damen blickten ihn überrascht und mißtrauisch an. Herrn Seibolds Verhalten kam ihnen merkwürdig vor. Weshalb veranstaltete der Kunde erst einen solchen Wirbel um die Lieferung, wenn er sie dann behalten und bezahlen wollte? Der Firma war es schließlich egal, wer die Rechnung beglich.

„Sie bekommen eine Quittung an der Kasse. Das genügt. Wichtig ist nur die Auftragsnummer, und die steht auf dem Lieferschein“, sagte die Blonde ärgerlich.

Du hast dich ziemlich ungeschickt benommen, Florian, dachte Herr Seibold, während er mit dem Lieferschein zur Hauptkasse ging.

Doch wie sonst hätte er Näheres über die Anruferin erfahren können? Es wäre dem Büropersonal noch seltsamer erschienen, wenn er die Rechnung widerspruchslos bezahlt hätte, um dann anschließend zu fragen, wer eigentlich die Lieferung bestellt habe, und wer die Anruferin gewesen sei. Die hätten ihn doch glatt für geistesgestört gehalten.

Als Florian Seibold nach Hause kam, suchte er seine Haushälterin in der Küche auf.

„Sie waren doch am Samstag drüben, Frau Ansbach. Welchen Eindruck machte die Katzen-Marie auf Sie?“ fragte er.

„Keinen anderen als auch sonst immer. Weshalb fragen Sie?“

„Halten Sie es für möglich, daß sie an Verfolgungswahn leiden könnte? Oder daß sie nicht mehr weiß, was sie tut?“

„Wie kommen Sie darauf?“ fragte Frau Ansbach erschrocken. „Nun, Sie haben mir erzählt, daß Frau Arnold eine Torte entgegennahm und sie seelenruhig und vermutlich genüßlich aufaß, obwohl sie angeblich genau wußte, daß sie diese Torte nicht bestellt hatte und auch den Spender nicht kannte.“

„Sie glaubte, es wäre ein Geschenk.“

„Würden Sie ohne weiteres eine Torte annehmen, ohne sich nach dem Namen des Spenders zu erkundigen oder nachzuforschen, ob nicht ein Irrtum vorliegt?“

„Selbstverständlich würde ich die Konditorei anrufen.“

„Eben!“ Florian Seibold schritt nachdenklich in der Küche auf und ab. „Die Katzen-Marie hat Ihnen berichtet, daß ihr noch andere Waren geliefert wurden. Sie hat diese Sachen aber nicht zurückgegeben, nicht wahr? Sie haben sie sogar dabei angetroffen, wie sie ein Päckchen öffnete, obwohl Sie sich Ihnen gegenüber noch kurz zuvor empört über die anonymen Lieferungen gezeigt und behauptet hatte, nichts mehr anzunehmen.“

Frau Ansbach nickte. Das stimmte. Nachdem Sandra und Joschi am Samstag nach Hause gefahren waren, stellte Frau Ansbach fest, daß sie den Lieferschein bei Frau Arnold vergessen hatte. Als sie ihn holte, traf sie die Katzen-Marie dabei an, wie sie ein Päckchen von einem Versandhaus auswickelte, das der Briefträger über die Gartentür geworfen hatte. Es enthielt Hundehalsbänder.

Frau Ansbach hielt ihr vor, daß sie das Päckchen nicht öffnen durfte. „Sie hätten es annahmeverweigert zurückgehen lassen müssen, Frau Arnold!"

Doch Frau Arnold meinte: „Ich muß doch nachsehen, was darin ist. Es könnte ja eine Bombe enthalten.“

Frau Ansbach hatte das Herrn Seibold erzählt, als er am Abend von seinem Besuch bei Freunden zurückkehrte.

Das fiel Frau Ansbach jetzt wieder ein.

Sie blickte Herrn Seibold entsetzt an. „Und Sie schließen daraus...?“

Herr Seibold hob abwehrend die Hände. „Noch nichts. Ich finde Frau Arnolds Verhalten nur äußerst merkwürdig. Vielleicht spielt sie uns etwas vor? Sie ist nicht auf Rosen gebettet. Könnte es nicht sein, daß sie selbst diese Waren bestellt? Die Frau ist fast achtzig. Vielleicht weiß sie nicht mehr, daß man Waren, die man verbraucht, auch bezahlen muß, egal, wer diese Waren orderte. Sie meint, sie brauche nur zu behaupten, es handele sich um Geschenke, damit sei die Sache für sie erledigt und die Firmen sollten sehen, von wem sie ihr Geld bekämen.“

„Das spricht aber eigentlich gegen Ihre Theorie, Herr Seibold. Eine solche Betrugsaktion setzt ein überlegtes Vorgehen voraus. Auch, daß sie sich so energisch gegen die Annahme der Drahtlieferung sträubte, deutet eher auf ihre Unschuld hin. Das Offnen der Päckchen könnte man ihrer Neugierde zuschreiben“, hielt Frau Ansbach ihm entgegen. „Haben Sie im Bauhaus Scheuer denn nichts über den telefonischen Auftraggeber erfahren können?“

„Doch! Daß es sich um eine Frau mit einer männlich-brummigen Stimme gehandelt habe.“

„O Gott, die arme Frau!“ rief Frau Ansbach. Auch sie fürchtete nun, daß die Katzen-Marie sich entweder in Betrügereien verstrickt hatte, oder daß sie in einer Art Altersverkalkung nicht mehr überschaute, was sie tat.

„Gehen Sie hinüber, Herr Seibold. Sprechen Sie mit ihr“, bat Frau Ansbach. „Wir können sie nicht sich selbst überlassen. Sie macht sich unglücklich.“

„Na, schön, ich schaue später mal rüber“, versprach Florian Seibold widerstrebend. Er blickte forschend zum Elektroherd, auf dem ihm die fehlenden Kochtöpfe auffielen. „Was gibt’s denn zu Mittag?“ erkundigte er sich.

Frau Ansbach stützte die Hände in die Hüften. „Herrschaft noch mal! Selbst wenn neben Ihnen ein Kapitalverbrechen geschähe, wären Sie zunächst um Ihren Magen besorgt!“

„Mit leerem Bauch kann ich nicht denken“, verteidigte sich Herr Seibold. „Außerdem ist es mir unangenehm, die alte Frau mit meinen Fragen zu quälen und sie vielleicht in die Enge zu treiben. Was gibt’s denn nun zu Mittag? Doch nicht wieder Rohkost, hoffe ich?“

„Fischauflauf. Er ist fertig und steht im Ofen.“

„Und zum Nachtisch?“

„Birnenkompott.“

„Ausgezeichnet!“ Florian Seibold rieb sich die Hände. „Dann mache ich mich jetzt frisch. Sie können den Tisch schon decken.“

Das Essen war ausgezeichnet. Florian Seibold liebte gutes Essen. Satt und gut gelaunt ging er ins Wohnzimmer hinüber, stopfte seine Tabakspfeife und freute sich auf den anschließenden Mittagsschlaf.

Frau Ansbach spülte das Geschirr und freute sich auf Sandra. Sie hatte die Bügelmaschine hergerichtet, denn einmal in der Woche, meistens am Montag, brachte Sandra ihre Familienwäsche, die Frau Ansbach bügelte, um ihre berufstätige Tochter zu entlasten.

Susi meldete Sandras Ankunft, noch bevor Herr Seibold seine Pfeife zu Ende geraucht hatte.

„Unser Chemielehrer ist krank. Sie haben uns die beiden letzten Stunden geschenkt“, verkündete Sandra strahlend, als sie mit Joschi über die Terrasse ins Haus stürmte. „Tag, Herr Seibold. Hast du noch was zu essen für uns, Oma?“ fragte sie ihre an der Tür erscheinende Großmutter.

„Es gibt keinen Fischauflauf mehr. Wie wäre es mit Eierkuchen und Birnenkompott?“ schlug Frau Ansbach vor. „Optimal! Wir holen inzwischen die Wäsche herein.“

„Ich lege mich jetzt aufs Ohr“, sagte Herr Seibold, klopfte seine Pfeife aus und stand auf.

„Ich glaube, daraus wird nichts“, bemerkte Frau Ansbach und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Terrasse hinaus.

Die Katzen-Marie unterhielt sich mit Sandra und Joschi am Fuß der Steintreppe, wobei sie der mißtrauisch schnuppernden Susi beruhigend den Rücken tätschelte.

„Ach herrje!“ Florian Seibold kehrte seufzend zu seinem Sessel zurück.

Groß und massig trat die Katzen-Marie ins Zimmer, sie füllte mit ihrer Gestalt den Türrahmen aus.

Florian Seibold bemerkte verblüfft ihre stattliche Erscheinung in dem grau-weiß gemusterten Jäckchenkleid, das sorgsam frisierte Haar und die schwarze Lederhandtasche, die Frau Arnold verlegen an sich gepreßt hielt. Er kannte die Nachbarin nur in speckigen Kleiderschürzen und mit zerzausten Haaren. Wie sie jetzt dastand, wirkte sie gepflegt und gar nicht wunderlich.

Doch dann fiel sein Blick auf Frau Arnolds Schuhe. Es waren Männerschuhe, schwarze, dicksohlige Männerschuhe mit breiten, flachen Absätzen. Größe 44 schätzte Florian Seibold. Vermutlich stammten sie aus dem Nachlaß ihres verstorbenen Mannes. Sie wirkten grotesk unter dem wadenlangen Seidenkleid.

Und doch waren es gerade die Schuhe an den dick geschwollenen Füßen, die Florian Seibold mitleidig stimmten und ihn die Katzen-Marie mit einem freundlichen Gruß willkommen heißen ließen.

„Ihre Haushälterin meinte, ich sollte Sie mal um Rat fragen“, brummte die Katzen-Marie.

Florian Seibold stand auf. „Worum dreht es sich?“

„Ich dachte, das wüßten Sie. Hat Frau Ansbach Ihnen nicht erzählt, wie man mich schikaniert?“ erwiderte Frau Arnold verwundert.

Florian Seibold stellte fest, daß die Katzen-Marie es liebte, ohne Umschweife zur Sache zu kommen. Ihre direkte Art gefiel ihm. Er deutete zum Flur: „Gehen wir in mein Arbeitszimmer.“

Frau Arnold folgte ihm, vorbei an Großmutter Ansbach, die ihr aufmunternd zunickte.

„Wo sind sie?“ fragte Sandra, als sie wenig später mit einem Beutel voll Trockenwäsche hereinkam.

„Im Herrenzimmer“, erwiderte Frau Ansbach.

„Was hat Herr Seibold denn zu der Sache gesagt?“ erkundigte sich Joschi.

„Hast du schon mit dem Bauhaus gesprochen? Nehmen sie den Draht zurück?“ fragte Sandra.

„Wir behalten den Draht. Herr Seibold war selbst dort und hat mit dem Mädchen gesprochen, das die Bestellung entgegengenommen hat. Ja, also. . Frau Ansbach zögerte, weiterzusprechen. „Es sieht so aus, als hätte Frau Arnold selbst den Draht bestellt.“

„Das glaubst du doch selber nicht!“ rief Sandra empört. „Vielleicht stecken die mit dem Kerl, der das Ganze angezettelt hat, unter einer Decke.“

„Es war eine Frau mit einer tiefen Männerstimme, die den Draht bestellte.“

Sandra und Joschi blickten überrascht und ungläubig.

„Bringt die Wäsche ins Bügelzimmer und kommt in die Küche. Ich mache euch euer Essen“, sagte Frau Ansbach.

Stumm saßen Sandra und Joschi am Küchentisch und warteten auf ihren Eierkuchen.

„Nehmt euch das nicht so zu Herzen“, sagte Frau Ansbach. „Frau Arnold ist eine wunderliche alte Frau. Viele alte Menschen leiden an Verkalkung und stellen die verrücktesten Sachen an. Mein Vater zum Beispiel hat in seinem letzten Lebensjahr, er starb mit zweiundneunzig, eines nachts unsere Vogelvoliere geöffnet und die Sittiche, Kanarienvögel und was sonst noch alles an Vögeln darin war, hinausgelassen. Meinen Bruder traf fast der Schlag, als er das Vogelhaus halbleer fand. Unser Opa meinte, er hätte ein gutes Werk getan, weil er die Vögel aus ihrer Gefangenschaft erlöste.“

„Man sperrt auch keine Vögel ein“, bemerkte Sandra aufsässig.

Ihre Großmutter hob ärgerlich die Augenbrauen. „Das ist Ansichtssache“, erwiderte sie knapp. „Auf jeden Fall wäre es wohl am besten, wenn die Katzen-Marie ihr Haus aufgäbe und in ein Altenheim ginge.“

„Vielleicht ist es genau das, was der anonyme Warenbesteller bezweckt“, murmelte Joschi.

„Was hätte er davon? Außerdem läßt Frau Arnold ihre Tiere nicht im Stich. Sie geht nie von hier weg!“ sagte Sandra hitzig.

„Und wer wird die alte Frau pflegen, wenn sie krank zu Bett liegt? Manche Menschen muß man vor sich selbst beschützen“, wandte ihre Großmutter ein.

Sandra ging zur Tür, öffnete sie und horchte hinaus. Als sie nichts hörte, kehrte sie an ihren Platz zurück. „Wenn man bloß wüßte, was sie so lange reden.“

„Herr Seibold wird es uns berichten“, meinte ihre Großmutter und ließ eine Hälfte des Eierkuchens auf Sandras und die andere Hälfte auf Joschis Teller gleiten. „Guten Appetit. Nehmt euch Kompott.“

Endlich wurde die Tür des Herrenzimmers geöffnet. Herr Seibold begleitete seine Besucherin über die Terrasse hinaus.

Als er ins Bügelzimmer kam, wo Frau Ansbach an der Bügelmaschine saß, und Sandra und Joschi die geplättete Wäsche zusammenfalteten, wirkte er unzufrieden.

Mißgestimmt sagte er: „Ich weiß mir keinen Reim darauf zu machen. Die Firmen drängen auf Bezahlung der gelieferten Waren. Frau Arnold hat schon verschiedene Mahnungen erhalten. Heute früh lud ein Bauer aus Gerresbach eine Fuhre Stroh in ihrem Garten ab. Er warf die Ballen einfach über die Grundstücksmauer, als er Frau Arnolds Tür verschlossen fand. Vorhin rief er an und sagte, er käme am Sonntag, um das Geld zu kassieren. Trotzdem weigert sich die Frau, die Polizei einzuschalten. Was soll man dazu sagen?“

„Haben Sie ihr nicht auf den Kopf zugesagt, daß es Ihnen zu denken gibt, daß eine Frau mit einer dunklen, männlichen Stimme die Bestellungen aufgibt?“

„Doch, das habe ich. Die Katzen-Marie meinte, daß der- oder diejenigen, die dahintersteckten sie gut zu kennen scheinen. Sie machte keinen schuldbewußten Eindruck auf mich. Und ich halte sie auch nicht für geistig verwirrt.“

Florian Seibold kratzte seine Stirnglatze. „Ich bin nicht mehr so sicher, daß unsere Theorie stimmt. Es gefällt mir nur nicht, daß sie unbedingt die Polizei heraushalten will.“

„Es ist ganz und gar ausgeschlossen, daß Frau Arnold die Waren selbst bestellt“, sagte Sandra energisch. „Wir kennen Frau Arnold besser als ihr. Sie ist ganz bestimmt nicht verkalkt. Sie weiß genau, was sie tut. Ich glaube, sie hat Angst, deshalb möchte sie nicht zur Polizei gehen. Frau Arnold hat mir mal erzählt, daß ihr Mann unter einer Bahnsteigbank eine Brieftasche mit Papieren und achthundertfünfzig Mark in Scheinen gefunden habe. Er hob sie auf, um sie zur Bahnpolizei zu bringen, und öffnete sie, um zu sehen, was sie enthielt. Da kam der Verlierer auf ihn zugerannt und beschuldigte ihn, ihm die Brieftasche gestohlen zu haben. Ihr Mann wurde von der Kripo verhört und hatte eine Menge Arger. Obwohl man ihn schließlich gehen ließ, weil man ihm den Diebstahl nicht beweisen konnte, hatte Herr Arnold den Eindruck, daß die Polizei ihm nicht glaubte.“

„Was Frau Arnold jetzt genauso passieren kann, nachdem schon Herr Seibold und deine Großmutter die Katzen-Marie beschuldigen, selbst der Täter zu sein“, sagte Joschi.

„Na, na!“ sagte Herr Seibold ärgerlich.

„Die Stimme der Anruferin gab uns zu denken“, verteidigte sich Frau Ansbach schwach.

Sandra deutete mit dem Zeigefinger auf Herrn Seibold. „Sie müssen ihr helfen. Schon allein, weil Sie Frau Arnold verdächtigt haben, dürfen Sie sie nicht im Stich lassen.“

„Macht die Wäsche nicht wieder schmutzig“, warnte Frau Ansbach, als Sandra und Joschi das Tischtuch, das sie zusammenfalten sollten, auf den Fußboden hängen ließen.

„Gern, aber wie? Hast du einen Vorschlag?“ fragte Herr Seibold.

Sandra legte das Tischtuch in den Wäschekorb. „Es gilt zunächst herauszufinden, wer Frau Arnold so sehr haßt, daß er sie ruinieren möchte.“

„Damit hätten wir dann auch schon den Täter“, bemerkte Florian Seibold trocken.

„Den wir aber noch überführen müßten“, trumpfte Sandra auf.

„Die Bauunternehmer!“ sagte Frau Ansbach. „Sie möchten die Katzen-Marie mit ihren Tieren von ihrem Grundstück vertreiben.“

„Die doch nicht!“ protestierte Joschi. „Herr Lange ist viel zu vornehm dazu. Er würde nie zu solchen schmutzigen Mitteln greifen.“

„Weil seine Bikinimädchen dir schöne Augen machen? Meinst du, ich hätte nicht bemerkt, wie du immer hinglotzt, wenn sie sich auf der Terrasse herumräkeln? Herr Lange und vornehm! Daß ich nicht kichere!“ ereiferte sich Sandra.

Joschi wurde rot.

„Was soll das, Sandra? Bleib sachlich“, mahnte Herr Seibold.

„Wer sonst könnte es sein?“ überlegte Frau Ansbach.

„Vor vier Wochen etwa war ich nebenan, als eine Frau wütend in den Garten stürmte“, erzählte Sandra. „Sie beschuldigte die Katzen-Marie, ihr das Geschäft zu verderben. Es ging um die Anzeigen in der Zeitung, in denen Frau Arnold junge Hunde und Katzen an tierliebende Familien abzugeben anbot.“

Herr Seibold überlegte. „Kannte Frau Arnold die Frau?“

„Nein. Aber ich denke, daß sie eine Tierhandlung besitzt.“

„Würdest du die Frau wiedererkennen?“

„Na, klar“, versicherte Sandra, schränkte dann jedoch ihre Behauptung ein und meinte: „Es käme auf eine Gegenüberstellung an. Ich weiß auch nicht mehr, ob sie eine dunkle Stimme hatte.“

„Moment mal!“ sagte Frau Ansbach nachdenklich. „Joschi hat vorhin beim Essen eine Bemerkung gemacht, die ich zunächst für abwegig hielt. Doch da wir zu dem Schluß gekommen sind, daß Frau Arnold als Urheberin der Bestellungen ausscheidet... Als ich sagte, ich hielte es für das beste, wenn die Katzen-Marie ihr Haus aufgäbe und in ein Altenheim ginge, meinte Joschi, vielleicht sei es genau das, was der anonyme Warenbesteller bezwecke.“

„Worauf wollen Sie hinaus?“ fragte Florian Seibold.

Frau Ansbach lächelte listig. „Auf Frau Arnolds Neffen! Der Bruder ihres verstorbenen Mannes lebt nicht mehr. Erinnern Sie sich nicht, daß sein Sohn das Testament anzufechten versuchte, als er erfuhr, daß das Ehepaar sich gegenseitig als Alleinerben eingesetzt hatte und er deshalb leer ausging?“

„Hm.“ Florian Seibold dachte darüber nach. „Aber was hätte er davon? Selbst wenn Frau Arnold die Aufregungen nicht verkraftet und sich entschließt, Zuflucht in einem Altenheim zu suchen, fällt das Erbe erst nach ihrem Tode an den Neffen. Und außerdem — weshalb veranstaltet er gerade jetzt diese Vertreibungsjagd? Herr Arnold ist seit sechs Jahren tot.“

Frau Ansbach zuckte die Schultern. „Vielleicht hat er finanzielle Schwierigkeiten und hofft, seine Tante zur Überschreibung des Anwesens an ihn überreden zu können. Vielleicht bietet er ihr an, sie in seinem Haus aufzunehmen und hofft, daß sie einwilligt, nachdem sie lange genug diesen Aufregungen ausgesetzt war. Ich meine, Frau Arnold sollte eine Detektei einschalten. Vielleicht findet die etwas über den Neffen heraus.“

„Das ist viel zu teuer!“ — „Das können wir auch!“ — „Das machen wir selbst!“ riefen Herr Seibold, Sandra und Joschi gleichzeitig.

„Wir haben also zwei Tatverdächtige“, faßte Florian Seibold zusammen. „Jetzt müssen wir uns nur überlegen, wie wir Vorgehen müssen.“

„Joschi und ich kümmern uns um die Tierhandlung“, schlug Sandra vor.

„Vielleicht wird sich die Frau an dich erinnern?“ fürchtete Herr Seibold.

Sandra schüttelte den Kopf. „Sie konnte mich nicht genau sehen. Ich stand im halbdunklen Schuppen und sie draußen im Sonnenschein.“

„Gut, dann fühle ich dem Neffen auf den Zahn“, beschloß Herr Seibold.

„Sie können die Kinder nicht als Detektive einsetzen!“ protestierte Frau Ansbach.

„Als ob es das erste Mal wäre!“ lachte Herr Seibold. Er rieb sich die Hände. Er fühlte sich wohl. Endlich hatte er wieder eine Aufgabe. Sie würde ihm helfen, die Trägheit des Rentnerdaseins abzuschütteln.