Was geht bei der Nachbarin vor?

Mit den Katzen hatte es angefangen.

Frau Arnold war nie sehr beliebt in der Föhren-Allee gewesen. Schon vor dem Tod ihres Mannes galt sie als ungesellig und eigenbrötlerisch.

Nachdem er gestorben war, kapselte sie sich vollends ab.

Sie verhielt sich einsilbig und menschenscheu bei ihren gelegentlichen Einkäufen in den Geschäften der Straße. Wenn sie zum Friedhof ging, um das Grab ihres Mannes zu besuchen, strebte sie mit gesenktem Kopf an den Leuten vorbei.

Eines Tages lief ihr ein verletzter, halbverhungerter Kater zu. Frau Arnold nahm ihn auf und pflegte ihn gesund.

Sie fand Freude an diesem Hausgenossen. Es machte sie glücklich, das Tier zu betreuen und zu sehen, wie es sich erholte. Sie trat dem Tierschutzverein bei, und sie bot dem Städtischen Tierheim ihre Mitarbeit an.

Diese Aufgaben ließen sie vorübergehend gelöster und auch den Menschen gegenüber duldsamer erscheinen.

Kinder brachten ihr kranke Meerschweinchen oder Hasen, und sie brachten ihr die Jungen, die ihre Katzen geboren hatten, und die die Kinder nicht behalten durften. So wollten sie die Tiere davor bewahren, eingeschläfert zu werden. Bald kamen alte oder kranke Hunde hinzu, mit deren Pflege das Tierheim überfordert war.

Die Leute in der Föhren-Allee konnten nicht verstehen, daß die alte Frau ihre kleine Rente für die Tiere opferte. Sie gaben ihr den Namen „Katzen-Marie“ und behaupteten, sie sei nicht mehr ganz richtig im Kopf.

Manche fanden auch, das verwahrloste Grundstück sei eine Schande für die gepflegte Föhren-Allee. Vor allem ihr Nachbar zur Rechten, ein junger Bauunternehmer mit einer attraktiven Frau und vielen Partygästen, empörte sich über den Gestank des Ententeiches und das Bellen der Hunde.

Selbst Florian Seibold und Frau Ansbach verwünschten oft Frau Arnolds Menagerie. Die Tiere gelangten immer wieder in ihren Garten, und sie ärgerten sich über die streunenden Katzen und die Verwüstung, die sie in ihren Beeten anrichteten, obwohl sie andererseits auch Verständnis dafür hatten, daß Frau Arnold in ihrer Einsamkeit die Gesellschaft der Tiere brauchte.

Nur Sandra und Joschi ließen sich von der allgemeinen Feindseligkeit gegenüber der Katzen-Marie nicht anstecken.

Sie liebten die Katzen-Marie seit ihren Kindertagen. In ihrem Haus hatten sie viele schöne Ferienstunden verbracht, ohne überflüssige Ermahnungen, sich nicht schmutzig zu machen oder kranken, räudigen Katzen und Hunden aus dem Weg zu gehen.

Sie halfen Frau Arnold, die Tiere zu füttern. Sie behandelten deren Wunden, bürsteten sie und befreiten sie von Kletten und Zecken.

An Regentagen kostümierten sie sich mit alten Kleidern und Hüten, die sie in den Truhen auf Frau Arnolds Speicher fanden, und sie spielten laut, falsch und ausdauernd auf dem alten Harmonium, das Herrn Arnold gehört hatte, der von Beruf Organist gewesen war.

Für Sandra und Joschi bedeutete das verwahrloste Grundstück ein Ferienparadies, dessen Zauber die Jahre überdauerte. Wann immer sie aus der Stadt zu Sandras Großmutter herauskamen, begrüßten sie auch die Katzen-Marie.

„Hoffentlich kommt Frau Arnold zurück, bevor ihr heimfahrt, sonst weiß ich nicht, wer ihr den Draht hinübertragen soll“, sorgte sich Frau Ansbach, als sie mit Sandra und Joschi in der Küche saß, um sich mit Schinkenbroten und heißen Biskuits zu stärken.

„Wir haben noch mindestens eine Stunde zu pflücken“, nuschelte Joschi mit vollem Mund.

Sandra setzte ihre Teetasse ab. „Bei dem Wind steige ich nicht mehr auf die Leiter“, erklärte sie bestimmt. „Außerdem muß ich los. Meine Mutter hat Dienst. Wenn sie heute abend heimkommt, und die Betten sind nicht gemacht, brauche ich gar nicht erst zu fragen, ob ich zum Flippern ins Jugendheim gehen darf.“

„Kann dein Bruder nicht auch mal was tun?“ empörte sich Joschi. „Ich muß bei uns auch Hausarbeit machen.“

Sandra pustete verächtlich in die Luft. „Der liebe Rainer putzt eher stundenlang an seiner Mühle herum. Und wehe, es stört ihn jemand dabei! Der kann ganz schön unverschämt werden, sage ich euch.“

„Sprich nicht so abfällig von deinem Bruder, Sandra. Vertragt euch!“ mahnte Frau Ansbach.

Sandra lachte. „Tun wir ja! Bloß daß Rainer so auf seine neunzehn Jahre pocht und Mama zu ihm hält, das mag ich nicht leiden. Sie hat ihn verzogen, daran liegt es.“

„Deine Mutter mußte euch ganz allein großziehen. Sie hat es bei ihrem Schichtdienst auf dem Fernmeldeamt gewiß nicht leicht.“

„Ist ja gut, Oma! Reg dich nicht auf“, sagte Sandra. „Wir Fabers halten zusammen, wenn’s drauf ankommt.“ Sie hob die Teemütze von der Kanne. „Magst du auch noch Tee, Joschi?“

Joschi hielt ihr seine Tasse hin. „Also, was ist jetzt?“ fragte er. „Soll ich nicht doch noch mal rauf auf den Baum? Einen Korb voll Birnen bringe ich bestimmt noch zusammen. Wäre doch schade, wenn sie hängen blieben“, meinte er.

Noch einigem Hin und Her willigte Sandra ein.

Doch kurz nachdem Joschi in den Garten gegangen war, kam er in die Küche zurückgelaufen. „Die Katzen-Marie ist jetzt da. Sie liest ihre Kartoffeln auf. Sollen wir den Draht hinüberbringen?“

„Ja, sicher. Sag Frau Arnold Bescheid, damit sie euch die Tür aufschließt“, bat Frau Ansbach.

„Ich warte hier“, sagte Joschi, der Sandra hinausbegleitet hatte, und setzte sich auf die unterste Terrassenstufe.

Die Katzen-Marie, umgeben von Hühnern und dem Hund Käpten, einer hochbeinigen, zotteligen Promenadenmischung, sammelte kniend ihre Kartoffeln in den Korb.

Sie war eine große, schwere Frau mit dicken Oberarmen und einem breiten Rücken. Wie sie da auf dem Boden hockte, glich ihre mächtige, gekrümmte Gestalt in der grauen Kleiderschürze einem in Stein gehauenen Monument.

Käpten sprang auf und kam schwanzwedelnd zum Zaun gelaufen, als Sandra sich unter den Fliederzweigen durchzwängte. Er kannte Sandra und wußte, daß er bei ihren Besuchen meistens mit einem Leckerbissen rechnen durfte.

Die anderen Hunde waren nicht zu sehen. Vermutlich hatte die Katzen-Marie sie wegen des Spektakels, das sie vorhin aufführten, in den Schuppen gesperrt.

„Hallo, Frau Arnold!" sagte Sandra und kratzte Käpten zur Begrüßung durch den Maschendraht mit dem Zeigefinger an der Nase.

Die Katzen-Marie wandte ihren Kopf, ohne ihre Körperhaltung zu verändern. „Ach, Sandra! Wie ist euer Ertrag in diesem Jahr? Seid ihr zufrieden?“

„Ja, der Baum hing ganz schön voll. Wo waren Sie denn vorhin? Ich habe gerufen und gerufen! Haben Sie mich nicht gehört? Die Hunde haben wie verrückt gebellt.“

„Weshalb bist du nicht über die Mauer hereingekommen? Ich war im Haus.“

Die an der Flußseite gelegenen Grundstücke der Föhren-Allee waren am Flußuferweg von hohen Mauern begrenzt. Sandra wählte selten den Weg über die Straße, wenn sie die Katzen-Marie besuchte. Sie kletterte über die Gartenmauer und an dem dicken Eisenpfahl vorbei, an dem der Drahtzaun zwischen den beiden Grundstücken festgemacht war.

„Ich dachte, Sie wären ausgegangen. Es ist jemand von der Firma Scheuer dagewesen. Er wollte zu Ihnen.“

Die Nachricht schien die Katzen-Marie nicht zu interessieren. „Mein Birnbaum trägt in diesem Jahr schlecht. Es lohnt sich kaum, für die paar Birnen die schwere Leiter anzustellen“, beklagte sie sich.

Sie stützte sich schwerfällig auf den Stiel der Harke und stand ächzend auf. „Die Knochen, die Knochen...! Wir werden anderes Wetter kriegen. Das wußte ich schon, bevor der Wind aufkam. Ich spüre es seit Tagen im Kreuz.“

„Frau Arnold, der Mann hatte Draht für Sie“, sagte Sandra.

Frau Arnold warf ihr einen mißtrauischen Blick zu. Oder wirkte sie eher erschrocken? „Ich habe keinen Draht bestellt“, erwiderte sie kurz.

„Aber der Mann hatte einen Lieferschein! Da steht Ihr Name und Ihre Adresse drauf.“

„Ich habe nichts bestellt, und ich brauche auch nichts“, beharrte die Katzen-Marie.

„Das ist unmöglich“, widersprach Sandra. „Überlegen Sie doch mal! Vielleicht haben Sie die Bestellung schon vor einiger Zeit aufgegeben und es inzwischen vergessen?“

Die Katzen-Marie hielt diese Unterstellung für keiner Antwort wert. Sie bückte sich nach ihrem Kartoffelkorb.

„Was soll denn jetzt geschehen?“ fragte Sandra. „Meine Großmutter hat die Lieferung angenommen. Rufen Sie die Firma an, damit sie den Draht zurücknimmt?“

„Das ist nicht mein Problem. Ich habe deine Großmutter nicht gebeten, etwas für mich anzunehmen“, sagte die Katzen-Marie scharf und wandte sich, auf ihre Harke gestützt, zum Gehen.

„Meine Großmutter hat es nur gut gemeint. Sie glaubte, Ihnen einen Gefallen zu tun. Jetzt hat sie den Ärger deswegen. Bitte, setzen Sie sich mit der Firma Scheuer in Verbindung, damit sie den Draht abholen läßt. Ja, Frau Arnold? Werden Sie das tun?“ rief Sandra ihr nach.

Doch die Katzen-Marie schlurfte davon, ohne sich weiter um Sandra zu kümmern.

Wütend rannte Sandra ins Haus.

Joschi sprang auf, als er Sandra zurückkommen sah. „Faßt du mit an?“ fragte er in der Meinung, sie würden nun die Drahtrolle hinübertragen.

Doch Sandra winkte ab. „Sie sind nicht für die Katzen-Marie bestimmt. Sie sagt, sie weiß nichts von dieser Bestellung.“

„Das gibt es doch nicht“, sagte Frau Ansbach, nachdem Sandra ihr die gleiche Nachricht überbracht hatte.

Sie holte die Durchschrift des Lieferscheines und prüfte die darauf vermerkten Angaben. „Die Anschrift stimmt“, stellte sie fest. „Und soviel ich weiß, gibt es in der Föhren-Allee auch keine zweite Frau Marie-Loise Arnold.“

Sandra beugte sich über den Arm ihrer Großmutter und blickte auf den Lieferschein. „Wann wurde die Bestellung aufgegeben?“

Ihre Großmutter suchte das Datum. „Vor vier Tagen. Telefonisch. Hier steht: ,4 Rollen à 25 m laut telefonischer Bestellung.’ Ich rufe die Firma an.“

Sie verließ die Küche mit dem Lieferschein der Firma Mathias Scheuer. Als sie zurückkehrte, schüttelte sie den Kopf. „Das Mädchen in der Vermittlung sagt, das Versandbüro sei geschlossen. Samstags ist nur das Geschäft geöffnet.“

„Ich habe mir gerade etwas überlegt, Oma“, sagte Sandra. „Vor vier Tagen war Mittwoch. Da waren Joschi und ich nachmittags hier und haben Birnen gepflückt. Das war doch der Tag, an dem Herr Seibold den furchtbaren Krach machte, als er entdeckte, daß Frau Arnolds Enten dabei waren, seine jungen Erdbeerpflanzen auszureißen. Sie waren durch ein Loch unter dem Zaun, das die Hunde gescharrt hatten, in euren Garten geraten. Herr Seibold hatte die Pflanzen am Morgen erst aus der Gärtnerei geholt und gesetzt.“

„Ja und?“ fragte Frau Ansbach, die nicht wußte, worauf Sandra hinauswollte.

„Herr Seibold hat ganz furchtbar getobt und die Katzen-Marie angeschrien, wenn sie nicht endlich ihre verdammten Viecher aus seinem Garten heraushalte, würde er sie abknallen.“

„Das hat Herr Seibold nicht ernst gemeint. Er war eben außer sich. Du weißt doch, wie er poltert, wenn er sich aufregt.“

„Klar weiß ich das. Aber die Katzen-Marie wurde kreideweiß im Gesicht. Vielleicht hat sie die Drohung ernst genommen. Sie hängt an ihren Tieren. Und vielleicht ist sie in ihrer Panik zum Telefon gelaufen und hat den Draht bestellt, um einen neuen Zaun zu ziehen.“

„Der Draht allein nützt ja nichts“, sagte die Großmutter. „Man müßte einen Zementsockel in die Erde mauern und darauf den Drahtzaun anbringen. So wie der Zaun jetzt ist, wühlen die Tiere sich immer wieder unter dem Draht hindurch.“

„Vielleicht hat Frau Arnold das nicht bedacht“, meinte Joschi.

„Aber weshalb will sie jetzt von der Drahtbestellung nichts mehr wissen?“ fragte Frau Ansbach.

„Weil sie sich inzwischen überlegt hat, daß sie eine Dummheit beging. Du hast doch selbst gesagt, Oma, daß Frau Arnold das nicht bezahlen könne. Was kosten die vier Rollen Draht?“ fragte Sandra.

Die Großmutter sah auf dem Lieferschein nach. „Zweihundertachtundneunzig Mark siebzig.“

„Puh...!“ machte Sandra. „Ganz schön happig für jemand, der nur eine kleine Rente bezieht. Jetzt wird mir auch klar, weshalb sie mich so entsetzt ansah, als ich ihr von der Lieferung berichtete.“

„Ich rede mit ihr. Vielleicht kann ich Herrn Seibold dazu bewegen, die Hälfte der Kosten zu übernehmen. Der alte Zaun ist sowieso erneuerungsbedürftig. Aber dann müssen wir endlich ganze Arbeit machen und den Zaun einzementieren. Geh hinüber und bestelle Frau Arnold, deine Großmutter sei unterwegs zu ihr“, sagte Frau Ansbach energisch.

„Kommst du mit, Joschi?“ fragte Sandra.

„Was soll ich dabei? Ich pflücke besser die restlichen Birnen, wenn wir doch noch nicht heimfahren“, entschied Joschi.

Die Katzen-Marie saß an ihrem Küchentisch und vesperte, als Sandra durch die Hintertür eintrat.

Vor ihr standen eine große Kaffeetasse und eine Milchkanne. Ein Laib Roggenbrot lag auf der blanken Tischplatte. Eine Schüssel voll Quark und ein großer Topf selbstgemachte Marmelade vervollständigten die Mahlzeit.

Wann immer Sandra die Katzen-Marie beim Essen antraf, saß sie vor Quark und selbstgekochter Marmelade. Lange Zeit hatte Sandra sich darüber gewundert, wieso die Katzen-Marie bei dieser gesunden Kost so dick werden konnte. Bis sie dahinterkam, daß es an der Marmelade liegen mußte. Frau Arnold aß sie mit einem Löffel aus dem Topf.

„Setz dich, Sandra. Magst du ein Marmeladenbrot mit Quark?“ fragte die Katzen-Marie freundlich. Ihre Meinungsverschiedenheit wegen der Lieferung schien sie vergessen zu haben.

Sandra blieb an der Tür stehen. „Meine Großmutter möchte mit Ihnen sprechen, Frau Arnold“, sagte sie. „Kann ich ihr aufmachen?“

Es schien der Katzen-Marie unangenehm zu sein, Frau Ansbach in ihrem Haus zu empfangen. Sie schob unschlüssig ihre Tasse auf der Tischplatte hin und her.

Schließlich überwand sie sich, holte den Schlüssel zur Seitenpforte aus der Tischschublade und reichte ihn Sandra. „Aber schließ wieder ab.“

Sandra lief ums Haus herum und ließ ihre Großmutter herein.

Die Katzen-Marie wartete vor der Hintertür auf sie. Käpten lag neben ihr und blickte dem Besuch wachsam entgegen.

„Guten Tag, Frau Arnold“, grüßte Sandras Großmutter, während sie ein paar gelangweilt gähnende Katzen umschritt und sich bemühte, Hunde- und Entenkot auszuweichen.

„Tag“, erwiderte die Katzen-Marie einsilbig.

„Tja“, sagte Sandras Großmutter. „Das ist ja nun eine dumme Geschichte mit dem Draht. Ich habe das Bauhaus Scheuer angerufen, aber im Büro war niemand mehr.“

„Die können Ihnen auch nicht helfen“, sagte die Katzen-Marie.

„Wieso? Wenn es ein Irrtum ist, muß er sich doch aufklären lassen“, meinte Frau Ansbach verwundert.

Die Katzen-Marie zog sich einen der beiden alten Gartenstühle heran, die neben dem wackligen Tisch vor der Hauswand standen.

Der Wind hatte sich gelegt. Es waren ein paar Regentropfen gefallen. Der Himmel war heller geworden. Im dichten Blätterwald der knorrigen alten Bäume funkelte Spinngewebe in der Sonne. Trotz des Durcheinanders, das ringsum herrschte, schien es Frau Ansbach ein romantischer Aufenthaltsort zu sein.

„Wollen Sie sich setzen?“ fragte die Katzen-Marie.

Frau Ansbach setzte sich auf den zweiten Stuhl und legte den Lieferschein auf den Tisch. Sandra nahm auf einem Holzklotz Platz.

„Oder ist es vielleicht doch kein Irrtum?“ fragte Frau Ansbach und klopfte mit dem Zeigefingerknöchel auf den Lieferschein.

„Auf jeden Fall wird man Ihnen sagen, daß der Draht von mir bestellt worden ist“, erklärte Frau Arnold seufzend.

„Dann haben Sie also doch dort angerufen!“ Frau Ansbach lachte erleichtert. „Es wird ja auch wirklich Zeit, daß etwas mit dem Zaun geschieht. Herr Seibold verzweifelt fast über Ihre Katzen und Hunde. Die haben aber auch ein Geschick, sich unter dem Zaun durchzuwühlen!“ Frau Ansbach räusperte sich verlegen und fuhr behutsam fort: „Um die Kosten brauchen Sie sich nicht zu sorgen. Ich bin überzeugt, Herr Seibold wird sich daran beteiligen und nicht zulassen, daß Sie den Draht allein bezahlen. Ich spreche mit ihm.“

„Ich werde gar nichts bezahlen. Ich habe den Draht nicht bestellt“, sagte die Katzen-Marie.

„Aber... Sie sagten doch gerade...!“ Frau Ansbach wußte vor Verwunderung nicht weiter.

Auch Sandra beugte sich ungläubig vor. Einen Augenblick lang fürchtete sie, die Katzen-Marie hätte ihren Verstand verloren.

„Das geht nämlich schon ein paar Wochen so“, berichtete die Katzen-Marie. „Ich kriege Sachen geliefert, die ich nicht bestellt habe. Deshalb halte ich jetzt meine Türen verschlossen und mache nicht mehr auf, wenn jemand klingelt. Aber das scheint nichts zu nützen. Heute morgen hat der Briefträger ein Päckchen in meinen Garten geworfen. Und Sie nehmen Draht für mich an.“

„Haben Sie denn nicht herausfinden können, wo die andere Frau Arnold wohnt? Die wartet doch auf ihre Sachen“, sagte Frau Ansbach.

Die Katzen-Marie lächelte verächtlich. „Es gibt keine andere Marie-Loise Arnold in unserer Straße. Ich habe mich beim Einwohnermeldeamt erkundigt. Ich bin in der ganzen Stadt die einzige, die so heißt. Es gibt sich jemand am Telefon für mich aus und bestellt Sachen in meinem Namen.“

„Ja, wer tut denn so etwas?“ rief Frau Ansbach.

„Was hat er denn davon?“ rief Sandra.

Die Katzen-Marie zuckte die Schultern.

„Das müssen Sie der Polizei melden. Das dürfen Sie nicht auf sich beruhen lassen“, ereiferte sich Frau Ansbach.

„Was hat man Ihnen denn sonst noch geliefert?“ fragte Sandra interessiert.

Die Katzen-Marie zögerte. Dann sagte sie feindselig: „Wer’s bestellt hat, wird’s schon wissen.“

Sandra blickte ihre Großmutter an.

„Sie vermuten doch nicht etwa, daß wir damit etwas zu tun haben könnten?“ fragte Frau Ansbach empört.

„Man kann niemandem trauen“, murmelte die Katzen-Marie.

„Aber das ist doch zu albern! Weshalb sollten wir Ihnen solche Unannehmlichkeiten bereiten?“ rief Frau Ansbach entrüstet.

„Vielleicht, weil Sie sich über meine Tiere ärgern?“ sagte die Katzen-Marie lauernd.

„Also, wissen Sie...!“ protestierte Frau Ansbach empört.

„Wie oft habe ich Ihnen schon Essensreste für Ihre Hunde und Katzen gebracht, die meine Großmutter mir für Sie gab“, erinnerte Sandra die Katzen-Marie. „Das würde meine Großmutter nicht tun, wenn sie Sie haßte und Ihnen schaden wollte, Frau Arnold.“

„Aber irgend jemand kann mich nicht leiden“, erwiderte die Katzen-Marie.

„Wir sind das jedenfalls nicht“, stellte Frau Ansbach energisch fest.

Die Katzen-Marie schwieg.

Frau Ansbach hob hilflos die Schultern und stand auf. „Ja, was mache ich nun mit dem Draht? Hoffentlich nimmt die Firma ihn zurück“, sagte sie mehr zu sich selbst.

„Das bißchen Draht! Was meinen Sie, was für Probleme ich habe“, entfuhr es der Katzen-Marie.

„Frau Arnold, weshalb sprechen Sie nicht mal mit Herrn Seibold darüber? Vielleicht kann er Ihnen raten“, schlug Sandra vor.

„Wann hat das alles denn angefangen?“ fragte Frau Ansbach, als die Katzen-Marie schwieg.

Frau Arnold beugte sich zu der grauen Katze hinunter, die um ihre Beine strich, und hob sie auf ihren Schoß. Und während sie das Tier hinter den Ohren kraulte, berichtete sie zögernd: „Vor fünf Wochen etwa. Da hat der Junge von der Bäckerei Steinbach mir eine Käsetorte gebracht. Es war zufällig der Todestag meines Mannes. Ich habe sie zuerst nicht annehmen wollen, aber weil doch vorher schon... und weil der Junge darauf bestand, daß die Torte für mich sei...“

„Eine Torte...? Eine ganze Torte?“ rief Sandra verwundert.

Frau Arnold nickte. „Ich dachte, jemand, dem ich gefällig gewesen bin — es kommen ja immer mal Kinder mit ihren kranken Haustieren und holen sich Rat bei mir — wollte sich damit erkenntlich zeigen.“

Sandra und ihre Großmutter blickten einander betroffen an. Trotz ihrer zur Schau getragenen Menschenfeindlichkeit schien Frau Arnold sich über eine freundschaftliche Geste genauso zu freuen wie jedermann.

„Das habe ich zunächst jedenfalls gedacht“, wiederholte Frau Arnold grimmig. „Aber als ich dann ein paar Tage später mein Brot einkaufte, sagte Frau Steinbach zu mir: ,Da steht noch die Torte offen, Frau Arnold.’ Ich sagte: ,Das muß ein Irrtum sein. Ich habe keine Torte bestellt.’ — ,Aber sie ist Ihnen doch geliefert worden. Erinnern Sie sich nicht? Sie haben sie telefonisch bestellt. Ich war selbst am Apparat, als Sie anriefen’, sagte Frau Steinbach. Ich fragte: ,Haben Sie mich denn an der Stimme erkannt?’ Frau Steinbach guckte mich ganz seltsam an und sagte spitz: ,Natürlich! Außerdem haben Sie ja Ihren Namen und Ihre Adresse genannt.’ Und sie holte ihr Anschreibebuch und zeigte mir die Eintragung.“

„Sie haben die Torte doch nicht etwa bezahlt?“ fragte Frau Ansbach.

„Was sonst hätte ich tun können? Der Laden war voller Leute. Die haben mich alle angesehen, als ob ich eine Betrügerin sei. Also habe ich geschwiegen und die Rechnung beglichen.“

„Mit der Torte hat es also angefangen?“ stellte Sandra fest.

„Nein, eigentlich nicht. Einige Tage vorher brachte die Samen- und Futtermittelhandlung Schmidt aus der Hafengasse zehn Säcke voll Katzen- und Hundetrockenfutter zu mir. Da habe ich gedacht, jemand spendete Futter für meine Tiere. Deshalb war ich auch nicht mißtrauisch, als der Junge von Steinbach mir die Torte brachte.“

„Haben Sie über die Futterlieferung auch eine Rechnung erhalten?“ wollte Frau Ansbach wissen.

„Natürlich.“

„Aber Sie haben sie nicht bezahlt? Sie haben das Futter zurückgegeben?“ fragte Sandra.

Frau Arnold blickte schuldbewußt. „Das konnte ich nicht mehr. Die Rechnung kam ja erst drei Wochen später an. Alle Rechnungen kommen erst Wochen später an. Vor allem die Rechnungen von den Versandhäusern und den großen Geschäften. Als die Futterrechnung ankam, hatte ich einen Teil der Lieferung verfüttert. Die Hälfte war ohnehin ans Tierheim gegangen. Michael hatte sie abgeholt.“ Michael war ein junger Tierpfleger und der einzige Mensch außer Sandra und Joschi, der ständig bei Frau Arnold verkehrte.

„Um Himmels willen, Frau Arnold! Sie müssen unbedingt etwas gegen diese Belästigungen unternehmen“, sagte Frau Ansbach. „Sprechen Sie mit Herrn Seibold darüber. Schließlich war er ein erfolgreicher und angesehener Rechtsanwalt. Er wird Ihnen sagen, wie Sie sich dagegen schützen können.“

Die Katzen-Marie wehrte ab. „Nein, nein, ich werde schon allein damit fertig!“ Doch dann fragte sie zögernd: „Kann man das, ohne die Polizei hinzuzuziehen?“

„Ich fürchte nein“, erwiderte Frau Ansbach. „Sie müssen Anzeige gegen Unbekannt erstatten

Frau Arnold fiel ihr ins Wort: „Ich will nicht, daß die Polizei hier herumschnüffelt. Mein Nachbar...“, sie schickte einen feindseligen Blick zu dem Haus des Bauunternehmers hinter der niedrigen Sandsteinmauer hinüber, „... hat mir schon ein paarmal die Polizeistreife hergeschickt, weil meine Hunde ihn störten. Die Beamten benahmen sich sehr unfreundlich. Ganz junge Polizisten waren es. Mit einer Anzeige wegen nächtlicher Ruhestörung haben sie mir gedroht.“ Frau Arnold blickte ängstlich. „Haben meine Hunde Sie auch schon im Schlaf gestört?“

„Nein, unsere Schlafzimmer liegen an der Straßenseite“, beruhigte sie Frau Ansbach. „Uns stören die Mopeds — und wie! Es wäre gut, wenn die Polizei dagegen etwas unternähme“, fügte sie grimmig hinzu.

„Sie beraten sich mit Herrn Seibold, Frau Arnold, nicht wahr?“ drängte Sandra.

Die Katzen-Marie versprach es sich zu überlegen.