2. Auflage

Deutsche Erstausgabe 07/2009

Redaktion: Charlotte Lungstrass

Copyright © 2007 by Kim Harrison

Copyright © 2009 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Printed in Germany 2009

Umschlagillustration: Mauritius (Auge), Shutterstock (Engel) Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München Satz: Leingärtner, Nabburg

Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN: 978-3-453-52472-9

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www.heyne.de

Für den Mann,

der weiß, dass die Rose schöner ist,

wenn sie ihre Dornen noch hat

1

Mit der Faust gegen die Rückwand meines Schrankes zu schlagen, war nicht gerade einer meiner schönsten Träume.

Tatsächlich tat es weh. Der Schmerz durchdrang die angenehme Schlafschwere, und ich fühlte, wie der primitive, nie schlafende Teil von mir kühl das langsame Auftauchen meines Wil ens registrierte, als ich versuchte aufzuwachen.

Mit einem unheimlichen Gefühl von Unverbundenheit beobachtete ich, wie es geschah, während ich in meinem Traum meine Klamotten von der Kleiderstange riss und aufs Bett schmiss.

Aber irgendetwas war nicht in Ordnung. Ich wachte nicht auf. Der Traum zerstob nicht einfach in seine Einzelteile, an die man sich später nur schwer erinnert. Und plötzlich wurde mir bewusst, dass ich bei Bewusstsein war, aber nicht wach.

Was zur Höl e? Irgendetwas lief wirklich, wirklich falsch.

Mein Instinkt jagte Adrenalin in meine Blutbahn und forderte von mir aufzuwachen. Aber ich konnte nicht.

Mein Atem kam schnel und stoßweise. Nachdem ich meinen Schrank geleert hatte, ließ ich mich auf den Boden fal en und klopfte mit den Fingerknöcheln die Bodendielen ab, auf der Suche nach einem Geheimversteck, von dem ich genau wusste, dass es nicht da war. Verängstigt konzentrierte ich meinen Wil en und zwang mich, wach zu werden.

Schmerz pulsierte hinter meiner Stirn. Ich fiel in mich zusammen, weil plötzlich al e Muskeln in meinem Körper erschlafften. Es gelang mir, den Kopf zu drehen, und so tat mir jetzt statt des Nasenbeins nur das Ohr weh.

Hartes Holz presste sich gegen mich, kalt durch meinen Pyjama. Mein Aufschrei war nur ein Gurgeln. Ich konnte nicht atmen! Etwas. . Etwas war hier drin. In meinem Kopf. Als wäre es in mich gefahren und ich davon besessen.

Angst nahm mir den Atem. Ich konnte es nicht sehen, konnte es nicht hören, konnte es kaum fühlen. Aber mein Körper war zu einem Schlachtfeld geworden - eines, auf dem ich keine Ahnung hatte, wie ich gewinnen sol te.

Besessenheit war eine schwarze Kunst, und ich hatte nicht die richtigen Kurse belegt. Verdammt noch mal, mein Leben sol so nicht sein!

Absolute Panik verlieh mir Stärke. Ich bemühte mich, meine Arme und Beine unter mich zu bringen und mich hochzuschieben. Ich schaffte es, mich auf Hände und Knie zu stemmen, dann fiel ich gegen meinen Nachttisch. Er fiel um, knal te auf den Boden und rol te zu meinem leeren Schrank.

Die Angst zu ersticken überwältigte mich. Mühsam stolperte ich auf der Suche nach Hilfe in den Flur. Mein unbekannter Angreifer und ich fanden ein gemeinsames Ziel, und indem wir zusammenarbeiteten, holten wir in einem fast schreienden Atemzug Luft. Wo zur Höl e war Ivy? War sie taub? Viel eicht war sie noch nicht von dem Auftrag zurück, den sie zusammen mit Jenks erledigen wol te. Sie hatte gesagt, dass es spät werden würde.

Als ob ihn unsere Zusammenarbeit geärgert hätte, umklammerte mein Angreifer mich fester, und ich fiel. Meine Augen waren offen, und der Vorhang meiner roten Haare verbarg das dämmrige Ende des Flurs vor meinem Blick.

Es hatte gewonnen. Was auch immer es war, es hatte gewonnen, und ich verfiel in Panik, als ich feststel te, dass ich mich mit unheimlicher Langsamkeit aufrichtete. Der beißende Gestank von verbranntem Bernstein hing in der Luft - und stieg aus meiner Haut auf.

Nein!, schrie ich in Gedanken - aber ich konnte nicht einmal sprechen. Ich wol te schreien, aber das Wesen, von dem ich besessen war, ließ mich stattdessen langsam und ruhig Luft holen.

»Malum«, hörte ich mich selbst fluchen, und meine Stimme hatte einen seltsamen Akzent und ein kultiviertes Lispeln - beides hatte ich noch nie gehabt.

Das war der letzte Tropfen. Angst verwandelte sich in Wut.

Ich wusste nicht, was hier mit mir drin war, aber was auch immer es war, es würde verschwinden. Sofort. Mich in Zungen sprechen zu lassen, war einfach unhöflich.

Ich ließ mich in meine Gedanken fal en und spürte die leichteste Andeutung von Verwirrung bei dem anderen.

Prima. Daraus konnte ich etwas machen. Bevor der Eindringling herausfinden konnte, was ich tat, zapfte ich die Kraftlinie in unserem Garten an. Absolute, mir fremde Überraschung breitete sich in mir aus, und während mein Angreifer sich bemühte, die Kraftlinie loszulassen, errichtete ich in meinen Gedanken einen Schutzkreis.

Übung macht den Meister, dachte ich selbstgefäl ig und wappnete mich. Das würde höl isch wehtun.

Ich öffnete der Kraftlinie meinen Geist in einem Maße, wie ich es bis jetzt noch nie gewagt hatte. Und sie kam. Magie brandete in mich. Sie brachte mein Chi zum Überlaufen, ergoss sich in meinen Körper und brannte in al en Synapsen und Neuronen. Tulpa, dachte ich gequält, und das Wort öffnete die mentalen Kanäle, um die Energie zu speichern.

Der Ansturm hätte mich getötet, wenn ich nicht bereits einen Pfad von meinem Chi zu meinem Geist gebildet hätte.

Stöhnend fühlte ich, wie die Macht sich ein weiteres Mal ihren Weg durch meinen Körper brannte zu dem Schutzkreis in meinen Gedanken, der sich dann vergrößerte wie ein Bal on, der aufgeblasen wird. So speicherte ich Kraftlinienenergie in meinem Kopf, um sie später parat zu haben, aber bei dieser Geschwindigkeit war es, als würde ich in eine Wanne mit geschmolzenem Metal springen.

In mir spürte ich einen schmerzhaften Aufschrei, und mit einem mentalen Stoß, den ich mit einer heftigen Handbewegung unterstützte, schob ich es von mir weg.

Ein Knacken erschütterte mich, und dann war ich frei von der unbekannten Gegenwart. Aus dem Turm der Kirche erklang das Läuten einer Glocke - ein Echo meiner Taten.

Etwas rol te und polterte den Flur entlang, um letztendlich gegen die Wand zu pral en. Ich keuchte und hob mühsam den Kopf, nur um dann schmerzvol aufzustöhnen. Bewegen tat weh. Ich hatte zu viel Kraftlinienenergie in mir. Es fühlte sich an, als hätte sie sich in meinen Muskeln niedergelassen und als würde jede Bewegung die Energie wieder daraus hervorpressen.

»Au«, keuchte ich und war mir währenddessen nur al zu bewusst, dass das etwas am anderen Ende des Flurs aufstand. Aber zumindest war es nicht mehr in meinem Kopf.

Mein Herz raste, und das tat auch weh. Oh Gott. So viel Kraftlinienenergie hatte ich noch nie gehalten. Und ich stank.

Ich stank nach verbranntem Bernstein. Was zum Wandel ging hier vor?

Mit schmerzvol er Entschlossenheit presste ich den Schutzkreis in meinem Kopf zusammen, bis die Energie durch mein Chi zurück in die Kraftlinie floss. Es tat fast genauso weh wie der umgekehrte Prozess. Aber nachdem ich die Energie wieder auf das verringert hatte, was mein Chi al eine halten konnte, konnte ich keuchend durch den Vorhang meiner verhedderten Haare aufschauen.

Oh Gott. Es war Newt.

»Was tust du hier?«, fragte ich und fühlte mich, als wäre ich von schleimigem Jenseits überzogen.

Der mächtige Dämon sah verwirrt aus. Aber ich war immer noch zu fertig, um seinen schockierten Ausdruck zu würdigen, der auf einem Gesicht stand, das entweder einem glattgesichtigen Pubertierenden oder einem Mädchen mit klar gezeichneten Gesichtszügen gehören konnte.

Seine schlanke Gestalt stand in meinem Flur zwischen der Küche und dem Wohnzimmer. Ich kniff die Augen zusammen und schaute noch einmal hin - yeah, der Dämon stand diesmal und schwebte nicht über dem Boden, seine langen, knochigen Füße berührten definitiv die Dielen -, und ich fragte mich, wie es Newt gelungen war, mich anzugreifen, wenn ich mich doch auf geweihtem Boden befand. Der Anbau an die Kirche, wo er jetzt stand, war al erdings nicht geweiht worden. Er sah verwundert aus, wie er da in seiner roten Robe stand, die an eine Mischung zwischen einem Kimono und etwas, das Lawrence von Arabien an seinem freien Tag tragen würde, erinnerte.

Plötzlich schimmerte die Luft vor schwarzer Jenseitsenergie, und in Newts Griff materialisierte sich ein schmaler Obsidianstab, der ungefähr so groß war wie ich.

Jetzt sah er genauso aus wie in meiner Erinnerung, als ich im Jenseits gefangen gewesen war und von Newt einen Trip zurück hatte kaufen müssen. Die Augen des Dämons waren absolut schwarz - selbst dort, wo sie eigentlich hätten weiß sein sol en -, aber sie waren lebendiger als al e, die ich jemals gesehen hatte. Jetzt starrten sie mich ohne zu blinzeln an.

Uns trennten nur sechs Meter und ein Streifen geheiligter Boden. Zumindest hoffte ich, dass es immer noch geheiligter Boden war.

»Wo hast du das gelernt?«, fragte der Dämon, und ich versteifte mich bei dem seltsamen Akzent, dessen Vokale direkt in meine Gehirnwindungen einzudringen schienen.

»AI«, flüsterte ich, und der Dämon hob seine fast unsichtbaren Augenbrauen. Ich stemmte meine Schulter gegen die Wand und hielt meinen Blick unverwandt auf den Dämon gerichtet, während ich mich langsam nach oben schob, um aufzustehen. Das war nicht die Art, wie ich meinen Tag beginnen wol te. Gott helfe mir, wenn ich nach dem Licht ging, hatte ich gerade mal eine Stunde geschlafen.

»Was ist los mit dir? Du kannst nicht einfach so auftauchen!«, rief ich und bemühte mich so, ein wenig von dem Adrenalin abzulassen, das immer noch durch meine Adern schoss, während ich im Flur stand, nur mit dem windigen Hemdchen und den Shorts bekleidet, die ich zum Schlafen trug. »Keiner hat dich beschworen! Und wieso konntest du auf geheiligtem Boden stehen? Dämonen können geweihte Erde nicht betreten. Das steht in jedem Buch.«

»Ich tue, was ich wil .« Newt linste ins Wohnzimmer und stocherte mit seinem Stab über die Türschwel e, als würde er nach Fal en suchen. »Und Annahmen wie diese können dich umbringen«, fügte der Dämon hinzu und rückte den Strang aus schwarzem Gold zurecht, der dunkel vor dem Blutrot seiner Robe glitzerte. »Ich stand nicht auf geheiligtem Boden. . du warst das. Und Minias. . Minias sagt, ich hätte die meisten dieser Bücher geschrieben, also wer weiß schon, wie richtig sie sind?«

Seine glatten Gesichtszüge verzogen sich verärgert, aber offensichtlich über sich selbst, nicht über mich. »Manchmal erinnere ich mich nicht richtig an die Vergangenheit«, sagte Newt mit distanzierter Stimme. »Oder sie ändern sie einfach und sagen mir nichts.«

Mein Gesicht wurde kalt, und es lag nicht an der Kühle der Nacht kurz vor der Morgendämmerung. Newt war wahnsinnig.

In meinem Flur stand ein wahnsinniger Dämon, und in ungefähr zwanzig Minuten würden meine Mitbewohner nach Hause kommen. Wie konnte etwas so Mächtiges es überleben, so verwirrt zu sein? Aber verwirrt hieß nicht unbedingt dumm, obwohl mächtig und verwirrt oft Hand in Hand gingen. Und clever. Und skrupel os. Dämonisch eben.

»Was wil st du?« Ich fragte mich, wie lange es wohl noch dauern würde, bis die Sonne aufging.

Mit einem besorgten Gesichtsausdruck sagte Newt schließlich: »Ich erinnere mich nicht. Aber du hast etwas von mir, und ich wil es zurück.«

Während unlesbare Emotionen über Newts Gesicht huschten und er sich bemühte, seine Gedanken zu ordnen, blinzelte ich den dunklen Flur entlang und versuchte zu entscheiden, ob der Dämon männlich oder weiblich war.

Dämonen konnten aussehen, wie immer sie wol ten. Im Moment hatte Newt hel e Augenbrauen und einen hel en, absolut ebenmäßigen Teint. Ich hätte gesagt, er wäre weiblich, aber das Kinn war zu deutlich ausgeprägt, und die Füße waren einfach zu knochig, um schön zu sein. Nagel ack würde darauf einfach falsch aussehen.

Er trug denselben Hut wie schon beim letzten Mal -rund, mit einem glatten Rand und einer flachen Erhebung, die aus einem fabelhaft opulenten dunkelroten Gewebe gefertigt war. Das kurze, nichtssagende Haar, das gerade bis über die Ohren fiel, gab mir auch keinen Hinweis auf ein Geschlecht.

Das eine Mal, als ich Newt gefragt hatte, ob er männlich oder weiblich war, hatte er erwidert, ob es einen Unterschied machen würde. Und während ich Newt dabei zuschaute, wie er nach einem Gedankengang suchte, hatte ich so ein Gefühl, dass der Dämon nicht eigentlich dachte, dass es unwichtig war, sondern sich einfach nicht mehr erinnern konnte, mit was für Teilen er geboren worden war. Viel eicht wusste es Minias. Wer auch immer Minias war.

»Newt«, sagte ich und konnte nur hoffen, dass das Zittern in meiner Stimme nicht zu offensichtlich war. »Ich verlange, dass du gehst. Geh von diesem Ort direkt ins Jenseits, und kehre nicht zurück, um mich zu belästigen.«

Es war eine gute Austreibung - wenn man davon absah, dass ich ihn nicht vorher in einem Schutzkreis eingeschlossen hatte. Newt hob eine Augenbraue, und seine Verwirrung war so schnel verschwunden, dass eine gewisse Übung darin zu erkennen war. »Das ist nicht mein Beschwörungsname.«

Der Dämon setzte sich in Bewegung. Ich wich zurück, um einen Schutzkreis zu errichten - egal wie erbärmlich er wäre, wenn ich ihn vorher nicht wirklich gezogen hatte -, aber Newt ging ins Wohnzimmer. Das Letzte, was ich von ihm sah, war der Saum seiner Robe, der durch den Türrahmen verschwand. Außerhalb meines Sichtfeldes erklang das Geräusch von Nägeln, die aus Holz gezogen wurden, dann hörte ich ein scharfes Splittern und Newts klangvol e lateinische Flüche.

Jenks' Katze Rex tapste an mir vorbei, ein klarer Beweis dafür, dass die sprichwörtliche Neugier tatsächlich ihre Aufgabe erfül en wol te. Ich stürzte mich auf das dämliche Tier, aber sie mochte mich nicht und schoss deswegen davon. Das karamel farbene Kätzchen stoppte auf der Türschwel e zum Wohnzimmer und spitzte die Ohren. Mit peitschendem Schwanz setzte es sich und beobachtete.

Newt versuchte nicht, mich ins Jenseits zu ziehen, und er versuchte auch nicht, mich zu töten. Er suchte nach etwas, und ich glaubte, dass er wahrscheinlich nur in mich gefahren war, um die geweihte Kirche durchsuchen zu können. Was ein gutes Zeichen dafür war, dass der Boden wohl immer noch geweiht war. Aber das verdammte Dreckswesen war verrückt. Wer wusste schon, wie lange es mich ignorieren würde? Bis es beschloss, dass ich ihm viel eicht sagen konnte, wo es war? Was auch immer es war?

Ein Knal aus dem Wohnzimmer ließ mich zusammenzucken. Mit gekrümmtem Schwanz tapste Rex in den Raum.

Plötzlich klopfte es an der Vordertür, und ich wirbelte zum leeren Altarraum herum. Aber noch bevor ich eine Warnung rufen konnte, öffnete sich die schwere Eichentür. Sie war in Erwartung von Ivys Rückkehr unverschlossen. Super. Was jetzt?

»Rachel?«, rief eine besorgte Stimme, und Ceri schritt in den Raum, vol angezogen in verblichenen Jeans mit erdverschmierten Knien. Es war offensichtlich, dass sie im Garten gearbeitet hatte, obwohl es noch vor Sonnenaufgang war. Ihre Augen waren sorgenvol geweitet, und ihr langes blondes Haar wehte um sie herum, als sie eilig durch den leeren Altarraum ging und mit ihren völ ig gartenungeeigneten Slippern Dreck über den Boden verteilte. Sie war eine Elfe im Untergrund, und ich wusste, dass ihr Lebensrhythmus ungefähr dem eines Pixies entsprach: Tag und Nacht wach, bis auf die vier Stunden um Mittag und Mitternacht herum.

Panisch wedelte ich mit den Händen und versuchte, meine Aufmerksamkeit zwischen dem leeren Flur und ihr aufzuteilen. »Raus!«, jaulte ich fast. »Ceri, verschwinde!«

»Deine Kirchenglocke hat geläutet«, sagte sie mit vor Sorge bleichen Wangen und nahm meine Hände in ihre. Sie roch wundervol - der elfische Geruch von Wein und Zimt, vermischt mit dem ehrlichen Geruch von Erde -, und das Kruzifix, das Ivy ihr geschenkt hatte, glitzerte im fahlen Licht.

»Bist du in Ordnung?«

Oh, yeah, dachte ich, weil ich mich daran erinnerte, dass ich die Glocke im Kirchenturm hatte läuten hören, als ich Newt aus meinen Gedanken gedrängt hatte. Der Ausdruck

»die Glocken läuten hören« war nicht nur ein Sprichwort, und ich fragte mich, wie viel Energie ich kanalisiert hatte, um die Glocke im Turm läuten zu lassen.

Aus dem Wohnzimmer erklang das scheußliche Geräusch von Wandverkleidung, die von der Wand gerissen wurde.

Ceri hob ihre blonden Augenbrauen. Dreck, sie war ruhig und gefasst, und ich zitterte in meiner Unterwäsche.

»Es ist ein Dämon«, flüsterte ich und fragte mich, ob wir verschwinden oder es mit dem Schutzkreis versuchen sol ten, den ich in meinen Küchenboden geritzt hatte. Der Altarraum war immer noch geweihter Boden, aber ich vertraute eigentlich nur einem stabil errichteten Schutzkreis, um mich vor einem Dämon zu schützen. Besonders vor diesem.

Der fragende Ausdruck auf Ceris fein geschnittenem, herzförmigem Gesicht verwandelte sich zu Wut. Sie hatte tausend Jahre als Vertraute eines Dämons verbracht, und sie behandelte sie wie Schlangen. Vorsichtig, ja, aber sie hatte ihre Angst schon lange verloren.

»Warum beschwörst du Dämonen?«, beschuldigte sie mich. »Und in deiner Schlafkleidung?« Ihre schmalen Schultern versteiften sich. »Ich habe gesagt, dass ich dir mit deiner Magie helfen würde. Vielen Dank, Miss Rachel Mariana Morgan, dass ich mich jetzt wertlos fühle.«

Ich nahm ihren El bogen und fing an, sie nach hinten zu ziehen. »Ceri«, flehte ich, weil ich nicht glauben konnte, dass sie das al es falsch aufgefasst hatte. »Ich habe ihn nicht beschworen. Er ist von al eine aufgetaucht.« Als ob ich jetzt Dämonenmagie auch nur anrühren würde. Meine Seele war bereits mit genug Dämonendreck verschmutzt, um eine ganze Turnhal e damit zu streichen.

Sobald ich das gesagt hatte, zwang Ceri mich stehen zu bleiben, nur wenige Schritte vor der Tür zum Altarraum.

»Dämonen können nicht von al eine auftauchen«, sagte sie, und der besorgte Ausdruck kehrte auf ihr Gesicht zurück, während ihre weißen Finger ihr Kruzifix berührten. »Jemand muss ihn beschworen und ihn dann nicht richtig gebannt haben.«

Das sanfte Schlurfen nackter Füße am Ende des Flurs durchfuhr mich wie ein Schuss. Mit rasendem Puls drehte ich mich um. Ceris Aufmerksamkeit folgte meiner einen Moment später.

»Können es nicht, oder tun es nur nicht?«, fragte Newt. Er hatte das schnurrende Kätzchen im Arm.

Ceris Knie gaben nach, und ich streckte den Arm nach ihr aus. »Fass mich nicht an!«, kreischte sie, und plötzlich musste ich gegen sie kämpfen, weil sie blind ausholte, sich aus meinem Griff riss und in den Altarraum verschwand.

Scheiße. Ich glaube, wir stecken in Schwierigkeiten.

Ich schlurfte hinter ihr her. Sie riss mich zurück, als wir in der Mitte des leeren Raumes standen. »Sitz«, befahl sie, und ihre Hände zitterten, als sie versuchte, mich nach unten zu ziehen.

Okay, wir flohen nicht. »Ceri-«, setzte ich an. Dann entgleiste mir das Gesicht, als sie ein schmutzüberzogenes Klappmesser aus ihrer hinteren Hosentasche zog.

»Ceri!«, rief ich, als sie sich ihren Daumen aufschlitzte. Blut quol hervor, und während ich nur starren konnte, zog sie einen großen Schutzkreis und murmelte währenddessen auf Latein. Ihr hüftlanges, fast durchsichtiges Haar verbarg ihr Gesicht, aber sie zitterte. Mein Gott, sie hatte panische Angst.

»Ceri, der Altarraum ist geweiht!«, protestierte ich, aber sie zapfte eine Linie an und schloss ihren Kreis. Eine schwarz verschmierte Wand aus Jenseits erhob sich und umschloss uns. Ich schauderte, als ich den Schmutz ihrer früheren Dämonenmagie über mich streichen fühlte. Der Kreis hatte einen Durchmesser von gut einem Meter fünfzig, ziemlich groß dafür, von einer Person gehalten zu werden, aber Ceri war wahrscheinlich die beste Kraftlinienmagierin in Cincinnati. Sie schnitt sich in den Mittelfinger, und ich packte ihren Arm. »Ceri, hör auf! Wir sind sicher!«

Mit weit aufgerissenen Augen schob sie mich von sich. Ich fiel gegen ihren Kreis wie gegen eine Wand und rutschte zu Boden. »Geh aus dem Weg«, befahl sie und begann damit, innerhalb des ersten einen zweiten Schutzkreis zu ziehen.

Geschockt rutschte ich in die Mitte, und sie verschmierte ihr Blut hinter mir.

»Ceri. .«, versuchte ich es noch einmal, schwieg aber, als ich sah, wie sie die Kraftlinie mit dem ersten Band verwob, um es zu stärken. Das hatte ich noch nie gesehen.

Lateinische Worte fielen von ihren Lippen, dunkel und bedrohlich. Meine Haut kribbelte wie von tausend Nadelstichen, ein Zeichen der Macht, die sie benutzte, und ich konnte nur starren, als sie sich in den kleinen Finger schnitt und zu einem dritten Kreis ansetzte.

Stil e, verzweifelte Tränen liefen über ihre Wangen, als sie ihn beendete und errichtete. Sie wechselte das Gartenmesser in ihre blutige Hand und bereitete sich zitternd darauf vor, auch ihren linken Daumen anzuritzen.

»Stopp!«, protestierte ich. Verängstigt umklammerte ich ihr Handgelenk, das klebrig war von ihrem eigenen Blut.

Sie riss den Kopf hoch. Aus blauen Augen, die leer waren bis auf einen Ausdruck absoluten Terrors, starrte sie mich an.

Ihre Haut war kreidebleich.

»Es ist okay«, sagte ich und fragte mich, was Newt getan hatte, um diese selbstbewusste, unerschütterliche Frau so durchdrehen zu lassen. »Wir sind in der Kirche. Sie ist geweiht. Du errichtest wirklich tol e Schutzkreise.« Ich schaute besorgt auf den Kreis über meinem Kopf. Der dreifache Schutzwal war schwarz von tausend Jahren vol er Flüche. Algaliarept, der Dämon, vor dem ich sie gerettet hatte, hatte sie gezwungen, die Kosten zu tragen. Ich hatte noch nie eine so starke Barriere gespürt.

Ceri schüttelte den Kopf. »Du musst Minias rufen. Gott helfe uns. Du musst ihn rufen!«

»Minias?«, fragte ich. »Wer zur Höl e ist Minias?«

»Newts Vertrauter«, stammelte Ceri.

War sie verrückt geworden? Newts Vertrauter war ein anderer Dämon. »Gib mir dieses Messer«, befahl ich und rang es ihr aus der Hand. Ihr Daumen blutete immer noch, und ich suchte nach etwas, um ihn zu verbinden. Wir waren sicher. Soweit es mich anging, konnte Newt mit dem Anbau machen, was er wol te. Der Sonnenaufgang war nah, und ich hatte schon öfter in einem Schutzkreis gesessen und darauf gewartet. Erinnerungen an meinen Exfreund Nick tauchten auf und verschwanden wieder.

»Du musst ihn rufen«, babbelte Ceri, und ich konnte nur starren, als sie auf die Knie fiel und damit begann, mit ihrem eigenen Blut einen tel ergroßen Kreis zu ziehen, während ihre Tränen auf den alten Eichenboden fielen.

»Ceri, es ist okay«, sagte ich und stand verwirrt über ihr.

Aber als sie zu mir aufsah, verschwand meine Zuversicht.

»Nein, ist es nicht«, sagte sie mit leiser Stimme. Der kultivierte Akzent, der sonst ihre königliche Abstammung verriet, klang nun nach Kapitulation.

Eine Wel e von etwas brandete auf und verbog die Blase aus Macht, die uns beschützte. Mein Blick wanderte zu den Halbkugeln um uns herum, als über uns das klare Tönen der Kirchenglocke erklang. Die schwarzen Wände, die uns beschützten, zitterten und blitzten kurz in der reinen Farbe von Ceris blauer Aura auf, bevor sie in ihren dämonenverschmutzten Zustand zurückkehrten.

Aus dem Türrahmen im hinteren Teil der Kirche erklang Newts sanfte Stimme. »Weine nicht, Ceri. Es wird beim zweiten Mal nicht so wehtun.«

Ceri zuckte zusammen, und ich griff ihren Arm, um sie davon abzuhalten, zur offenen Tür zu laufen und damit ihre eigenen Schutzkreise zu brechen. Ihr wild rudernder Arm schlug gegen mein Gesicht. Bei meinem Aufschrei sank sie vor meinen Füßen zusammen. »Newt hat die Weihe gebrochen«, presste sie um ihr Schluchzen herum heraus.

»Sie hat sie gebrochen. Ich kann nicht zurück. AI hat eine Wette verloren, und ich habe einmal zehn Jahre Flüche für sie gewunden. Ich kann nicht dahin zurück, Rachel!«

Verängstigt legte ich meine Hand auf ihre Schulter, zögerte dann aber. Newt ist weihlich. Dann wurde mein Gesicht schlaff. Newt war im Flur, dem geweihten Teil.

Meine Gedanken wanderten zu der mächtigen Erschütterung. Ceri hatte einmal gesagt, dass es einem Dämon möglich war, eine Kirche zu entweihen, aber dass es unwahrscheinlich war, weil es zu viel kostete. Und Newt hatte es getan, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden.

Scheiße.

Ich schluckte und schaute mich um, nur um Newt in der Tür stehen zu sehen, eindeutig in dem Bereich, der einmal geweihter Boden gewesen war. Rex lag immer noch in den Armen des Dämons und zeigte ein dämliches Katzengrinsen.

Die orangefarbene Katze ließ nicht zu, dass ich sie berührte, aber sie schnurrte, wenn ein verrückter Dämon sie kraulte.

Typisch.

Mit ihrem schwarzen Stab in der Armbeuge und gekleidet in ihre elegante Robe sah Newt fast biblisch aus. Ihre Weiblichkeit war offensichtlich, wenn man es wusste. Ihre schwarzen Augen musterten starr Ceris Schutzkreis in dem fast leeren Altarraum.

Ich verschränkte die Arme, um meine quasi Nacktheit zu verstecken. Nicht, dass es da viel zu verstecken gegeben hätte. Mein Herz raste, und ich atmete stoßweise. Das Dämonenmal auf meiner Fußsohle - der Beweis dafür, dass ich Newt einen Gefal en schuldete, weil sie mich bei der letzten Sonnenwende aus dem Jenseits zurückgebracht hatte

- pulsierte, als wusste es, dass sein Schöpfer im Raum war.

Hinter den Buntglasfenstern und durch die offene Vordertür war das sanfte Rauschen eines vorbeifahrenden Autos zu hören und das Zwitschern früher Vögel. Ich betete, dass die Pixies im Garten bleiben würden. Das Messer in meiner Hand war rot und klebrig von Ceris Blut, und mir war schlecht.

»Es ist zu spät für Flucht«, sagte Ceri und holte sich das Messer zurück. »Ruf Minias.«

Newt versteifte sich. Rex sprang aus ihren Armen, um auf meinem Schreibtisch zu landen. Von da aus raste die Katze panisch in den Flur, wobei sie Papiere hinter sich verstreute.

Mit wehender roter Robe schritt Newt zu Ceris Schutzkreis und schlug wirbelnd ihren Stab dagegen. »Minias hat hier nichts zu suchen!«, schrie sie. »Gib es mir! Es gehört mir! Ich wil es zurück!«

Das Adrenalin in meinem Blut verursachte mir Kopfschmerzen. Ich beobachtete, wie der Schutzkreis erzitterte, aber dann hielt.

»Wir haben nur noch wenige Augenblicke, bevor es ernst wird«, flüsterte Ceri, immer noch bleich, aber mit einem gefassteren Gesichtsausdruck. »Kannst du sie ablenken?«

Ich nickte, und Ceri begann, ihren Zauber vorzubereiten.

Anspannung ließ meine Schultern verkrampfen, und ich konnte nur beten, dass mein Gesprächstalent größer war als meine Begabung für Magie. »Was wil st du? Sag es mir, und ich gebe es dir«, versprach ich mit bebender Stimme.

Newt begann, den Schutzkreis zu umschreiten. Sie sah aus wie ein gefangener Tiger, und ihre rote Robe rauschte über den Boden. »Ich erinnere mich nicht.« Verwirrung ließ ihre Gesichtszüge hart werden. »Ruf ihn nicht«, warnte der Dämon mit leuchtenden schwarzen Augen.

»Jedes Mal lässt er mich wieder vergessen. Ich wil es zurück, und du hast es.«

Oh, das wird immer besser und besser. Newts Augen wanderten zu Ceri. Ich trat in ihr Blickfeld.

Ich hatte nur eine Vorwarnung von viel eicht einer halben Sekunde, bevor der Dämon wieder seinen Stab gegen den Schutzkreis schlug. »Corrumpro!«, schrie sie, als er aufschlug.

Zu meinen Füßen zitterte Ceri, als der äußerste Kreis plötzlich völ ig schwarz aufblitzte und Newt ihn übernahm. Mit einem winzigen Lächeln berührte Newt den Kreis, und er verschwand, um nur noch zwei dünne, durchscheinende Bänder zwischen uns und dem Tod zurückzulassen, der eine dunkelrote Robe trug und einen schwarzen Stab schwang.

»Deine Fähigkeiten haben sich stark verbessert, Ceridwen Merriam Dulciate«, sagte Newt. »AI ist ein herausragender Lehrer. Viel eicht gut genug, dass du meine Küche wert bist.«

Ceri sah nicht auf. Der Vorhang ihrer fahlen Haare, deren Spitzen von ihrem Blut rot gefärbt waren, verbarg, was sie tat. Ich atmete schnel und drehte mich immer weiter, um Newt im Blick zu behalten, bis ich schließlich mit dem Rücken zur offenen Eingangstür stand.

»Ich erinnere mich an dich«, erklärte Newt und klopfte mit dem Ende ihres Stabes gegen den unteren Rand des Schutzkreises, wo er auf den Boden traf. Jede Berührung ließ ein wenig mehr Schwarz über die Oberfläche schimmern.

»Ich habe deine Seele wieder zusammengesetzt, nachdem du durch die Linien gereist warst. Du schuldest mir einen Gefal en.« Ich unterdrückte ein Schaudern, als der Blick des Dämons an meinen nackten, bleichen Beinen vorbei auf Ceri fiel. »Gib mir Ceri, und wir sind quitt.«

Ich versteifte mich. In ihrer knieenden Position hinter mir fand Ceri ihre Kraft wieder. »Ich habe meine Seele«, verkündete sie mit zitternder Stimme. »Ich gehöre niemandem.«

Newt schien mit den Schultern zu zucken, und ihre Finger spielten mit ihrer Halskette. »Ceris Handschrift ist überal auf dem Ungleichgewicht auf deiner Seele zu sehen«, sagte der Dämon zu mir, während sie zu Ivys Klavier ging und mir den Rücken zukehrte. »Sie windet Flüche für dich, und du verwendest sie. Wenn sie das nicht zu deiner Vertrauten macht, was dann?«

»Sie hat einen Fluch für mich gewunden«, gab ich zu und beobachtete, wie die langen Finger des Dämons das dunkle Holz streichelten. »Aber ich habe das Ungleichgewicht auf mich genommen, nicht sie. Das macht sie zu meiner Freundin, nicht meiner Vertrauten.«

Aber Newt hatte uns anscheinend vergessen. Die Gestalt in der Robe, die neben Ivys Klavier stand, schien die Macht des Raumes in sich aufzusagen und damit al es, was einst heilig und rein gewesen war, zu ihrem eigenen Nutzen zu korrumpieren. »Hier«, murmelte sie. »Ich bin hierhergekommen, um etwas zu finden, was du mir gestohlen hast. . aber das. .« Newt schob sich ihren Stab in die Armbeuge, senkte den Kopf und verharrte so. »Das beunruhigt mich. Ich mag es hier nicht. Es tut weh. Warum tut es hier weh?«

Newt abzulenken, während Ceri arbeitete, war ja gut und schön, aber der Dämon war irre. Das letzte Mal, als ich auf Newt getroffen war, war sie wenigstens vernunftbegabt erschienen, aber das hier war unvorstel bare Macht kanalisiert in Wahnsinn.

»Es war hier!«, schrie der Dämon. Ich unterdrückte ein Zucken und keuchte. Ceris Atem stockte hörbar, als Newt herumwirbelte und ihre bösartigen schwarzen Augen auf uns richtete. »Mir gefäl t das nicht«, sagte Newt anklagend. »Es tut weh. Es sol te nicht wehtun.«

»Du sol test nicht hier sein«, sagte ich und fühlte mich dabei leicht und unwirklich, als ob ich auf Messers Schneide balancierte. »Du sol test zu Hause sein.«

»Ich erinnere mich nicht, wo zu Hause ist«, antwortete Newt. Inbrünstige Wut lag in ihrer leisen Stimme.

Ceri zupfte an meinem Hemd. »Es ist fertig«, flüsterte sie.

»Ruf ihn.«

Ich riss meinen Blick von Newt, als der Dämon wieder anfing, uns zu umkreisen, und richtete meine Aufmerksamkeit stattdessen auf das hässliche, aufwendige, zweifach von Kreisen umgebene Pentagramm, das Ceri mit ihrem eigenen Blut gezeichnet hatte. »Du glaubst, dass es eine gute Idee ist, einen Dämon zu rufen, damit er sich um einen anderen kümmert?«, flüsterte ich. Newt begann, schnel er zu gehen.

»Er ist der Einzige, der vernünftig mit ihr reden kann«, erwiderte sie verzweifelt. »Bitte, Rachel. Ich würde es tun, aber ich kann nicht. Es ist Dämonenmagie.«

Ich schüttelte den Kopf. »Ihr Vertrauter? Hättest du AI geholfen?«

Während Newt über meinen Spitznamen für AI, Ceris dämonischen Kerkermeister, kicherte, fing Ceris Kinn an zu zittern. »Newt ist wahnsinnig«, flüsterte sie.

»Glaubst du?«, schnauzte ich und sprang fast senkrecht in die Luft, als Newt einen seitlichen Schlag gegen die Schutzwand ausführte, während ihre Robe dramatisch um sie herumwehte. Super, sie konnte zu al em anderen auch noch Karate. Warum nicht? Es gab sie ja offensichtlich schon eine Weile.

»Deswegen hat sie einen Dämon als Vertrauten«, erklärte Ceri, und ihre Augen huschten nervös hin und her. »Sie hatten einen Wettbewerb. Der Verlierer wurde zu ihrem Vertrauten. Er ist mehr ein Pfleger, und wahrscheinlich sucht er schon nach ihr. Sie mögen es nicht, wenn sie seiner Aufsicht entkommt.«

Mir gingen ein paar Lichter auf, und fassungslos starrte ich sie an. Als sie sah, dass ich verstanden hatte, zog Ceri mich nach unten zu ihrem Pentagramm. Sie umfasste mein Handgelenk, drehte meine Hand mit der Handfläche nach oben und zielte mit ihrem Messer auf meine Finger.

»Hey!«, schrie ich und riss meine Hand zurück.

Ceri schaute mich mit zusammengepressten Lippen an. Sie wurde zickig. Das war gut. Das bedeutete, dass sie dachte, dass sie - wir - das hier viel eicht überleben würden.

»Hast du einen Fingerstick?«, meinte sie bissig.

»Nein.«

»Dann lass mich deinen Finger anschneiden.«

»Du blutest schon. Benutz dein Blut.«

»Meines würde nicht funktionieren«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen. »Es ist Dämonenmagie, und-«

»Yeah, schon verstanden«, unterbrach ich sie. Ihr Blut hatte nicht die richtigen Enzyme, und dank ein bisschen il egaler Genmanipulation, die mein Leben retten sol te, hatte ich es überlebt, damit geboren zu werden.

Die summende Gegenwart des Schutzkreises über uns schien zu zögern, und Newt gab ein befriedigtes Geräusch von sich. Ceri erschauderte, als sie die Kontrol e über den mittleren Kreis verlor und Newt ihn fal en ließ. Nur noch ein dünner, zerbrechlicher Schutzkreis übrig. Ich streckte vol er Furcht die Hand aus. Ceris Augen suchten meine, und der Stress ließ ihre gleichmäßigen Züge wunderschön wirken. Ich sah einfach nur hässlich aus, wenn ich Angst hatte. Newts Hand schwebte über dem letzten Kreis, und sie lächelte bösartig, als sie anfing, auf Latein zu murmeln. Das Ganze war zu einem Wettrennen geworden.

Ceri zog schnel ihr Messer über meinen Finger, und ich zuckte schmerzerfül t zusammen, während ich gleichzeitig beobachtete, wie Rot hervorquol . »Was muss ich tun?«, fragte ich. Mir gefiel das al es überhaupt nicht.

Ceri senkte die blauen Augen und führte meine Handfläche in den Kreis. Der alte Eichenboden schien zu vibrieren, als ob seine gespeicherte Lebenskraft durch mich liefe und mich mit der Erddrehung und dem Glühen der Sonne verbände.

»Es ist ein öffentlicher Fluch«, sagte sie so schnel , dass ihre Worte fast ineinander verschmolzen. »Die Anrufung heißt mater tintinnabulum. Sag das und Minias' Namen in deinen Gedanken, und der Fluch wird dich verbinden.«

»Hol nicht Minias«, drohte Newt, und ich fühlte, wie Ceris Kontrol e über den letzten Kreis zunahm, während der Dämon abgelenkt war. »Er wird dich schnel er töten als ich.«

»Du beschwörst ihn nicht, du bittest nur um seine Aufmerksamkeit«, erklärte Ceri verzweifelt. »Das Ungleichgewicht würde normalerweise an dich fal en, aber du kannst mit Newts Aufenthaltsort verhandeln, und dann wird er es übernehmen. Wenn er es nicht tut, tue ich es.«

Das war ein riesiges Zugeständnis von der dämonenverschmutzten Elfe. Das wurde immer besser, aber die Sonne war noch nicht aufgegangen, und Newt sah aus, als wäre sie bereit, uns in Stücke zu reißen. Ich glaubte nicht, dass Ceris Konzentration noch lange gegen einen Meisterdämon ankommen konnte. Und ich musste einfach glauben, dass Dämonen einen Weg kannten, einen der ihren zu kontrol ieren, anderenfal s wären sie schon al e tot. Wenn sein Name Minias war und er sich als ihr Vertrauter ausgab, dann war es eben so.

»Beeil dich«, flüsterte Ceri, und der Schweiß lief ihr übers Gesicht. »Du wirst vermutlich als unregistrierter Benutzer erscheinen, aber wenn sie ihn nicht wieder verflucht hat, dann sucht er sie und wird wahrscheinlich antworten.«

Unregistriert? Ich leckte mir über die Lippen und schloss die Augen. Ich war bereits mit der Linie verbunden, also musste ich nur noch den Fluch aktivieren und seinen Namen denken. Mater tintinnabulum, Minias, dachte ich und erwartete nicht, dass irgendetwas passieren würde.

Ich holte tief Luft und fühlte Ceris Hand, die mein Gelenk umklammerte, um mich zu zwingen, im Schutzkreis zu bleiben. Ein Stoß Jenseits schoss aus mir, gefärbt wie meine Aura. Ich fühlte, wie er mich gleich einem fliegenden Vogel verließ und kämpfte darum, mich selbst zusammenzuhalten, als ich ihn in meiner Vorstel ung fliehen und ein Stück meiner Aura mitnehmen sah.

»Ich werde es mir von ihm nicht stehlen lassen!«, schrie Newt. »Es gehört mir! Ich wil es zurück!«

»Konzentrier dich«, flüsterte Ceri. Ich fiel in mich und fühlte, wie der von mir befreite Teil gleich einem Klingeln durch das gesamte Jenseits schoss. Und wie ein Klingeln wurde es beantwortet.

Ich bin ein bisschen beschäftigt, erklang ein irritierter Gedanke. Hinterlassen Sie eine Nachricht auf dieser verdammten Leitung, und ich rufe zurück.

Mich schauderte bei dem Gefühl von Gedanken in meinem Kopf, die nicht mir gehörten, aber Ceri hielt meine Hand unbeweglich. In Minias fühlte ich ein Hintergrundgefühl von Sorge, Schuldgefühlen, Verärgerung. Aber er hatte mich abgewürgt wie einen Werbeanrufer und war kurz davor, die Verbindung zu unterbrechen.

Newt, dachte ich. Nimm das Ungleichgewicht dafür, dass ich dich gerufen habe, und ich werde dir sagen, wo sie ist. Und versprich, dass du uns nicht verletzen wirst. Oder zulassen, dass sie uns verletzt. Und schaff sie zur Höl e aus meiner Kirche!

»Beeil dich!«, rief Ceri, und meine Konzentration geriet ins Wanken.

Abgemacht, dachte die Stimme entschieden. Wo bist du?

Mein kurzes Hochgefühl verschwand. Ahm, dachte ich und fragte mich, wie man einem Dämon eine Wegbeschreibung gab, aber Minias eigene Gedanken versanken ebenfal s in Verwirrung.

Was zum Teufel tut sie jenseits der Linien? Es ist fast Sonnenaufgang.

Sie versucht, mich zu töten!, dachte ich. Schaff deinen Arsch hier rüber und sammle sie ein!

Du bist nicht registriert. Woher sol ich wissen, wo du bist?

Ich werde.. Ich versteifte mich und riss meine Hand aus dem Kreis und Ceris Griff, als die Präsenz hinter der Stimme heftiger in meine Gedanken griff. Keuchend fiel ich auf den Hintern, eine körperliche Darstel ung meines Versuches, mich von Minias' Gegenwart loszureißen.

«. .durch deine Gedanken kommen müssen«, sagte eine samtige Stimme.

»Heiliger Vater, rette uns«, keuchte Ceri.

Mein Kopf flog herum, und ich sah Ceri, wie sie nach hinten fiel. Sie berührte ihren Schutzkreis, und Panik schoss mir eiskalt durch den Körper, als er in einem Aufblitzen von Schwarz zusammenbrach.

Oh Gott. Wir sind tot.

Sie begegnete meinem Blick, während sie halb aufgerichtet auf dem Boden lag, und ihre Augen sagten mir, dass sie davon ausging, uns getötet zu haben. Newt schrie auf, und ich wirbelte, wo ich saß, herum, nur um sofort zu erstarren.

Nichts stand zwischen Newt und uns außer einem Mann, dessen purpurne Robe ihrer bis auf die Farbe völ ig glich. Er war barfuß, und erst jetzt erinnerte ich mich an ein Aufblitzen dieser Robe, das sich zwischen mich und Ceri gedrängt hatte, um die Elfe beiseitezustoßen, den Kreis zu brechen und zu Newt zu gelangen.

»Lass mich los, Minias«, knurrte Newt, und meine Augen weiteten sich, als ich bemerkte, dass seine Hand ihren Oberarm umklammerte. »Sie hat etwas von mir. Ich wil es zurück.«

»Was hat sie von dir?«, fragte er ruhig. Newt war einen guten Kopf kleiner als Minias, und das ließ sie trotz der beißenden Schärfe in ihrer Stimme verletzlich aussehen.

Seine Stimme trug den entschlossenen Unterton einer mehr als beiläufigen Frage, und mein Blick wanderte wieder zu dem Griff, mit dem er ihren Stab umklammerte, direkt über ihrer Hand. Er ließ niemals nach, nicht einmal als seine honig-bernsteinartige Stimme sich wie ein Balsam in dem missbrauchten Altarraum ausbreitete. Beruhigend, ja, aber auch mit einer gewissen Spannung.

Newt sagte nichts. Ich sah an Minias vorbei und bemerkte, dass der Saum ihrer Robe zitterte.

Ich kämpfte mich auf die Füße, und Ceri folgte meinem Beispiel. Sie hielt es nicht für nötig, den Schutzkreis wieder zu errichten. Was sol te es helfen? Minias bewegte sich, um Newts Blickfeld zu begrenzen. Er war völ ig auf sie konzentriert, aber ich war mir sicher, dass er sich unserer Anwesenheit bewusst war. Und er sah aus, als wüsste er, was er tat.

Ich musste sein Gesicht erst noch sehen, aber sein braunes Haar war kurz, und die Locken wurden von einem Hut bedeckt, der genauso aussah wie der von Newt.

»Atme«, sagte Minias, wie um etwas auszulösen. »Sag mir, was du wil st.«

»Ich wil mich erinnern«, flüsterte sie. Es war, als wären wir nicht einmal mehr im Raum, so konzentriert waren die beiden aufeinander, und erst jetzt wurde Minias' Griff sanfter.

»Aber warum tust du dann -«

»Weil es wehtut«, sagte sie und trat von einem bloßen Fuß auf den anderen.

Er lehnte sich zu ihr - als wäre er besorgt -, und fragte sanft: »Warum bist du hierhergekommen?«

Sie schwieg und sagte dann schließlich: »Ich erinnere mich nicht.« Es klang aufgeregt, gleichzeitig leise und bedrohlich, und der einzige Grund, warum ich ihr glaubte, war, dass sie es offensichtlich schon vergessen hatte, bevor Minias aufgetaucht war.

Minias verlor den letzten Rest von Wut. Ich fühlte mich, als wäre ich Zeuge einer häufigen, aber selten beobachteten Szene. Ich konnte nur hoffen, dass er sein Versprechen halten würde, dass sie uns nicht mitnahmen, wenn sie bereit waren zu verschwinden. »Dann lass uns gehen«, sagte er beruhigend, und ich fragte mich, wie viel davon das Verhalten eines Pflegers war, und wie viel echte Sorge.

Konnten sich Dämonen Sorgen um andere Dämonen machen?

»Viel eicht erinnerst du dich, wenn wir zurück sind«, sagte er und drehte Newt, als ob er sie wegführen wol te. »Wenn du etwas vergisst, sol test du dahin gehen, wo du zum ersten Mal daran gedacht hast, und es wird auf dich warten.«

Newt weigerte sich mit ihm zu gehen, und unsere Blicke trafen sich, als Minias zur Seite trat.

»Zu Hause ist es nicht«, sagte sie mit zusammengezogenen Brauen, die einen tiefen inneren Schmerz und, noch darunter, eine kochende Macht verrieten, die nur von dem Dämon kontrol iert wurde, dessen Griff von ihrem Stab zu ihrer Hand gerutscht war. »Es ist hier, nicht dort. Was auch immer es ist, es ist hier. Oder es war hier. Ich. .

ich weiß es.« Frustrierte Wut glitt über ihr Gesicht. »Du wil st nicht, dass ich mich erinnere«, beschuldigte sie Minias.

»Ich wil nicht, dass du dich erinnerst?«, fragte er rau, und seine Hand fiel von ihr ab und streckte sich fordernd aus.

»Gib sie mir. Jetzt.«

Mein Blick huschte zwischen den beiden hin und her. Er war in einem Wimpernschlag vom Liebhaber zum Gefängniswärter geworden. »Ich vermisse meinen Vorrat an Eibenblättern«, sagte er. »Ich habe nicht dafür gesorgt, dass du vergisst. Gib sie mir.«

Newt presste die Lippen aufeinander, und auf ihren Wanden erschienen Flecken. Es fing an, einen Sinn zu ergeben. Eibe war hochgiftig und wurde fast ausschließlich verwendet, um mit den Toten zu kommunizieren und Vergesslichkeitszauber anzufertigen. Il egale Vergesslichkeitszauber. Ich hatte im hinteren Teil des Friedhofes eine Eibe neben einem aufgegebenen Mausoleum gefunden, und obwohl ich nicht mit den Toten kommunizierte, hatte ich sie stehen lassen in der Hoffnung, dass ein glaubwürdiges Dementi meinen Hintern aus dem Gerichtssaal halten würde, fal s irgendwer sie dort fand. Eiben anzupflanzen war nicht il egal, aber sie auf einem Friedhof wachsen zu lassen, wo die Wirkstoffe mächtiger wurden, war es durchaus.

»Ich habe sie gemacht«, schoss Newt zurück. »Sie gehören mir! Ich habe sie selbst gemacht!«

Sie drehte sich um, als wol te sie gehen, und er streckte den Arm aus und wirbelte sie wieder herum. Jetzt konnte ich Minias' Gesicht sehen. Er hatte ein ausdrucksstarkes Kinn.

Seine roten Dämonenaugen waren so dunkel, dass sie fast die typischen Ziegenpupil en verbargen, und seine Nase war sehr römisch. In seiner Miene stand deutliche Wut, ein perfektes Spiegelbild von Newts Laune.

Gefühle zeichneten sich in rasantem Wechselspiel auf ihren Gesichtern ab. Es war, als würde eine fünfminütige Diskussion auf drei Sekunden verkürzt.

Ihre Miene veränderte sich, seine antwortete, was wiederum einen Wechsel in ihrer Stimmung auslöste, woran er dann seine Körpersprache anpasste. Er manipulierte sie vorsichtig, diesen Dämon, der die Weihe der Kirche ohne einen Gedanken zerstört hatte, der einen dreifachen Blutkreis mit seinem Wil en übernommen hatte - etwas, wovon ich gedacht hatte, dass es unmöglich sei, von dem Ceri aber gewusst hatte, dass Newt absolut dazu fähig war. Ich wusste nicht, vor wem ich mehr Angst haben sol te - Newt, die die Welt terrorisieren konnte, oder Minias, der sie kontrol ierte.

»Bitte«, flehte er, als ihre Miene zu Verlegenheit wechselte und sie den Blick senkte.

Sie zögerte kurz, griff dann in ihren weiten Ärmel und übergab ihm eine Handvol Phiolen.

»Wie viele hast du aktiviert, als du dich erinnert hast?«, fragte er zum Klappern der Glasfläschchen.

Newts Blick senkte sich besiegt auf den Boden, aber der verschlagene Ausdruck in ihrem Gesicht sagte mir, dass es ihr nicht leidtat. »Ich erinnere mich nicht.«

Er wog die Flaschen in der Hand, bevor er sie einsteckte, und es war deutlich, dass er den Mangel an Schuldbe-wusstsein bemerkte. »Es fehlen vier.«

Sie schaute ihn an, und in ihren Augen standen echte Tränen. »Es tut weh«, sagte sie, und das machte mir eine Scheißangst. Newt hatte sich den Gedächtnisverlust selbst zugefügt? Woran hatte sie sich erinnert, woran sie nicht erinnert werden wol te?

Ceri stand fast vergessen neben mir. Als sie leicht in sich zusammensackte, wusste ich, dass es fast vorbei war. Ich fragte mich, wie oft sie dieses Spiel schon beobachtet hatte.

Besänftigt zog Minias Newt an sich, und das Purpur seiner Robe legte sich um sie. Newt umarmte sich selbst und ließ zu, dass er sie hielt, mit geschlossenen Augen und ihrem Kopf unter seinem Kinn. Sie wirkten elegant und selbstbewusst, wie sie da in ihren farbenprächtigen Roben und stolzer Haltung standen. Ich fragte mich, wie ich jemals Zweifel über Newts Geschlecht hatte haben können. Es war jetzt so offensichtlich, bis mir der Gedanke kam, dass sie ihr Aussehen viel eicht subtil angepasst hatte. Sie zusammen zu sehen, ließ einen Schauer über meine Haut laufen. Minias war das Einzige, was Newt an ihrer geistigen Gesundheit festhalten ließ. Ich glaubte nicht, dass er nur ihr Vertrauter war. Ich glaubte nicht, dass er jemals nur irgendwas gewesen war.

»Du sol test sie nicht nehmen«, flüsterte er, und sein Atem strich über ihre Stirn. Seine Stimme war einnehmend und hob und senkte sich wie ein Musikstück.

»Es tut weh«, sagte sie mit gedämpfter Stimme.

»Ich weiß.« Seine Dämonenaugen trafen meine, und ich zitterte kurz. »Deswegen mag ich es nicht, wenn du ohne mich ausgehst«, sagte er. Er redete mit ihr, aber er schaute mich an. »Du brauchst sie nicht.« Minias brach den Blickkontakt mit mir, drehte ihr Gesicht zu seinem und umfasste ihre Wangen mit seinen Händen.

Ich hatte die Arme um mich geschlungen und fragte mich, wie lange sie wohl schon zusammen waren. Lang genug, dass eine aufgezwungene Last zu einer freiwil ig übernommenen Bürde wurde?

»Ich wil mich nicht erinnern«, sagte Newt. »Die Dinge, die ich getan habe. .«

Ein Dämon mit einem Gewissen? Warum nicht? Sie hatten Seelen.

»Nicht«, unterbrach er sie. Er hielt sie noch sanfter.

»Versprich mir, dass du mir das nächste Mal sagst, wenn du dich an etwas erinnerst, statt nach Antworten suchen zu gehen?«

Newt nickte, dann versteifte sie sich in seinen Armen. »Das war es, wo ich war«, flüsterte sie, und mein Magen verkrampfte sich bei dem Tonfal von Erkenntnis in ihrer Stimme. Minias erstarrte, und Ceri neben mir wurde bleich.

»Es war in deinen Tagebüchern!«, rief Newt und stieß ihn von sich. Minias wich zurück, wachsam, aber der Dämon bemerkte nichts mehr. »Du hast es aufgeschrieben. Du hast al es aufgeschrieben, woran ich mich erinnere! Wie viel hast du in deinen Büchern, Minias? Wie viel von dem, was ich vergessen wil , weißt du?«

»Newt. .«, sagte er warnend, und seine Finger wühlten in seinen Taschen herum.

»Ich habe sie gefunden!«, schrie Newt. »Du weißt, warum ich hier bin! Sag mir, warum ich hier drüben bin!«

Ich zuckte zusammen, als Ceri sich an meinen Arm klammerte. Mit einem wütenden Aufschrei schwang Newt ihren Stab nach ihm. Minias' Finger tanzten in der Luft, als ob er in Zeichensprache sprechen würde, und formten einen Kraftlinienzauber. Ich fühlte einen heftigen Abfal , als jemand die Linie hinter der Kirche anzapfte, und mit einem überraschenden Schrei beendete Minias seinen Zauber, indem er den Pfropfen aus einer der Phiolen zog, die Newt ihm gegeben hatte, und sie ihr entgegenschleuderte.

Newt schrie bestürzt auf, als das Funkeln in der Luft hing.

Die Wut, die Frustration und der Schmerz in ihrer Stimme waren in ihrer Tiefe erschreckend. Dann traf der Trank sie, und ihr Gesicht wurde leer.

Sie kam schlitternd zum Stehen, blinzelte kurz, dann glitt ihr Blick verständnislos durch den leeren Altarraum und über Ceri und mich. Sie sah Minias, dann warf sie ihren Stab auf den Boden, als wäre er eine Schlange. Er kam klappernd auf und rol te davon. Draußen, vor den Buntglasfenstern, sangen die Rotkehlchen im morgendlichen Zwielicht, aber hier drin war es, als wäre die Luft tot.

»Minias?«, fragte sie verwirrt.

»Es ist geschehen«, sagte er sanft. Er ging auf sie zu, hob ihren Stab auf und gab ihn ihr.

»Habe ich dich verletzt?« Ihre Stimme war besorgt, und als Minias den Kopf schüttelte, breitete sich Erleichterung auf ihrem Gesicht aus, nur um sich schnel in Niedergeschlagenheit zu verwandeln.

Ich fühlte mich krank.

»Bring mich nach Hause«, bat der Dämon mit einem kurzen Blick zu mir. »Mein Kopf tut weh.«

»Warte auf mich.« Minias' Blick glitt zu mir, dann wieder zu Newt. »Wir gehen zusammen.«

Ceri hielt den Atem an, als der Dämon auf uns zukam, mit gesenktem Blick und gebeugten Schultern. Ich dachte kurz daran, den Schutzkreis wieder zu errichten, ließ es aber dann.

Minias blieb vor mir stehen, für meinen Geschmack zu nahe, um angenehm zu sein. Seine Augen registrierten meine Schlafkleidung, Ceris Blut an meinen Händen, und die drei Kreise, denen es fast nicht gelungen wäre, Newt aufzuhalten.

Sein Blick hob sich, um auch den Rest des Altarraums aufzunehmen, mit meinem Schreibtisch, Ivys Klavier und der krassen Leere dazwischen.

»Du warst diejenige, die Ceri von ihrem Dämon gestohlen hat?«, fragte er völ ig überraschend.

Ich wol te erklären, dass es eine Befreiung und kein Diebstahl gewesen war, nickte dann aber einfach nur.

Er musterte mich spöttisch. Ich hielt seinem Blick stand.

Das Rot seiner Iris war so dunkel, dass es braun wirkte, und die geschlitzten Pupil en ließen mich zögern.

»Dein Blut hat den Zauber entzündet«, sagte er, und seine ziegenartigen Augen huschten zu den Blutkreisen neben mir.

»Sie hat mir erzählt, wie sie dich letzten Winter durch die Linien geschoben hat.« Wieder glitten seine Augen abschätzend über mich. »Kein Wunder, dass AI an dir interessiert ist. Hast du irgendetwas, was sie viel eicht angezogen hat?«

»Außer dem Gefal en, den ich ihr schulde?«, fragte ich mit zitternder Stimme. »Ich glaube nicht.«

Sein Blick wanderte zu dem aufwendigen Kreis, den Ceri gezogen hatte, um den Kontakt mit ihm herzustel en. »Wenn dir irgendetwas einfäl t, ruf mich. Ich werde das Ungleichgewicht auf mich nehmen. Ich wil nicht, dass sie noch einmal hierherkommt.«

Ceris Griff an meinem Arm verstärkte sich. Yeah, ich auch nicht, dachte ich.

»Bleib hier«, sagte er, als er sich abwandte. »Ich werde zurückkommen, um abzurechnen.«

Alarmiert entzog ich Ceri meinen Arm. »Hey, warte mal, Dämonenjunge. Ich schulde dir überhaupt nichts.«

Er zog spöttisch die Augenbrauen nach oben, während er sich umdrehte. »Ich schulde dir etwas, Idiot. Die Sonne ist fast aufgegangen. Ich muss hier verschwinden. Ich komme zurück, sobald ich kann.«

Ceris Augen waren weit aufgerissen. Irgendwie hatte ich nicht das Gefühl, dass es etwas Gutes war, wenn ein Dämon einem einen Gefal en schuldete. »Hey«, sagte ich wieder und trat einen Schritt nach vorne.

»Ich wil nicht, dass du einfach auftauchst. Das ist unhöflich.« Und wirklich, wirklich unheimlich.

Er sah aus, als wäre er ungeduldig wegzukommen, und rückte seine Kleidung zurecht. »Ja, das weiß ich. Warum, glaubst du, töten Dämonen ihre Beschwörer? Ihr seid plumpe, unintel igente, gierige Trampel ohne irgendein Gefühl für Umgangsformen, und ihr verlangt, dass wir die Kraftlinien durchqueren und die Kosten dafür tragen?«

Mein Gesicht wurde warm, aber bevor ich ihm sagen konnte, wo er es sich hinstecken sol te, sagte er: »Ich kündige mich vorher an. Aber dafür übernimmst du das Ungleichgewicht, da du darum gebeten hast.«

Ich warf einen hilfesuchenden Blick zu Ceri, und sie nickte.

Die Garantie, dass er nicht auftauchen würde, während ich duschte, war es wert.

»Abgemacht«, sagte ich und versteckte meine Hand, damit er nicht einschlagen konnte.

Hinter seinem Rücken hervor musterte mich Newt mit gerunzelter Stirn. Minias' Schritte waren lautlos, als er zu ihr ging, um besitzergreifend ihren El bogen zu umfassen, während seine besorgten Augen noch einmal zu mir glitten.

Sein Kopf hob sich, um an Ceri und mir vorbei zur offenen Tür zu schauen, und ich hörte das Brummen eines Motorrads, das in den Carport einfuhr. In der Zeit zwischen einem Herzschlag und dem nächsten verschwanden sie.

Ich fiel erleichtert in mich zusammen. Ceri lehnte sich gegen das Klavier und verschmierte Blut darauf. Ihre Schultern begannen zu zittern, und ich legte ihr eine Hand auf die Schulter, während ich mir gleichzeitig nichts mehr wünschte, als dasselbe zu tun. Draußen erstarb das Geräusch von Ivys Motorrad, und dann erklangen ihre vertrauten Schritte auf dem Gehweg.

»Und dann sagt der Pixie zu dem Apotheker«, sagte Jenks, begleitet von dem klar zu erkennenden Geräusch seiner Flügelschläge. »Steuer? Ich dachte, sie lenken sich selbst.«

Der Pixie lachte, ein Geräusch wie das Klingeln eines Windspiels. »Kapiert, Ivy? Steuer und Steuer?«

»Ja, ich hab's kapiert«, murmelte sie, und ihre Schritte zeigten an, dass sie die Stufen hinaufstieg. »Super, Jenks.

Hey, die Tür ist offen.«

Das Licht, das in die Kirche fiel, verdunkelte sich, und Ceri richtete sich auf, wischte sich übers Gesicht und verschmierte es damit mit Blut, Tränen und Erde. Ich konnte den Gestank von verbranntem Bernstein an mir und in der Kirche riechen und fragte mich, ob ich mich jemals wieder sauber fühlen würde. Zusammen standen wir wie betäubt, als Ivy an der Schwel e zum Foyer stehen blieb. Jenks schwebte für drei Sekunden auf der Stel e und schoss dann davon, um nach seiner Frau und seinen Kindern zu sehen.

Ivy stemmte eine Hand in die Hüfte und musterte die drei

- nein, vier - mit Blut gezogenen Schutzkreise, mich in meiner Schlafkleidung und Ceri, die lautlos weinte, während ihre blutverschmierte Hand ihr Kruzifix umklammerte.

»Was auf Gottes grüner Erde hast du jetzt wieder angestel t?«

Ich fragte mich, ob ich jemals wieder schlafen würde, und warf einen Blick zu Ceri. »Ich habe keinen blassen Schimmer.«

2

Ich fühlte mich nicht gut und hatte ein flaues Gefühl in der Magengrube, als ich in der Küche auf meinem Stuhl an Ivys wirklich riesigem antikem Tisch saß, der an der Innenwand stand. Die Sonne war eine dünne goldene Scheibe, die sich in unserem Edelstahlkühlschrank spiegelte. Das sah ich nicht oft. Ich war es nicht gewohnt, so früh wach zu sein, und mein Körper fing an, mich das spüren zu lassen. Ich glaubte nicht, dass es von den Schwierigkeiten des Morgens kam. Ja, genau.

Ich band meinen Frotteebademantel enger und blätterte durch die Gelben Seiten, während Jenks und Ivy neben dem Waschbecken diskutierten. Das Telefon lag auf meinem Schoß, damit Ivy die Sache nicht an sich riss, während ich nach jemandem suchte, der die Kirche wieder weihen konnte. Die Kerle, die unser Dach neu gedeckt hatten, hatte ich schon für einen Kostenvoranschlag fürs Wohnzimmer angerufen. Sie waren Menschen, und Ivy und ich beauftragten sie gerne, weil sie gewöhnlich fröhlich und wach gegen Mittag auftauchten. Newt hatte den Teppich herausgerissen und Teile der Verkleidung von der Wand gelöst. Was zur Höl e hatte sie gesucht?

Jenks' Kinder waren gerade dort drin, obwohl sie eigentlich nicht mal in der Kirche sein durften. Nach dem Kreischen und dem klingelnden Lachen zu schließen, amüsierten sie sich prächtig mit der frei liegenden Isolierung.

Ich blätterte eine weitere dünne Seite um und fragte mich, ob Ivy und ich wohl die Chance ergreifen sol ten, ein wenig zu renovieren.

Unter dem Teppich war ein schöner Dielenboden zum Vorschein gekommen, und Ivy hatte ein gutes Auge für Inneneinrichtung. Sie hatte die Küche renoviert, bevor ich eingezogen war, und ich liebte sie.

Der große, fast gastronomiegroße Raum war niemals geweiht worden, weil er später an die Kirche angefügt worden war, um einen Platz für Hochzeitsgesel schaften und Ähnliches zu bieten. Er hatte zwei Herde - einen elektrischen, einen mit Gas -, sodass ich nicht unser Essen und meine Zauber auf derselben Kochplatte zubereiten musste. Nicht dass ich al zu oft Essen kochen würde. Normalerweise war es irgendetwas aus der Mikrowel e oder von Ivys fantastischem Gril , der in dem kleinen Hexengarten zwischen der Kirche und dem Friedhof stand.

Tatsächlich rührte ich die meisten meiner Tränke auf der Kücheninsel zusammen, die zwischen der Spüle und Ivys Farmhaus-Tisch stand. Es gab ein Regal darüber, an dem ich die Kräuter aufgehängt hatte, mit denen ich momentan herumexperimentierte, und auch meine Zauberausrüstung, die nicht in die Schränke darunter passte.

Und nachdem in das Linoleum darum herum ein Kreis geritzt war, ergab es einen sicheren Platz, um einen Schutzkreis zu errichten; darunter oder auch darüber auf dem Speicher gab es keine Rohre oder Kabel, die ihn brechen könnten. Ich wusste das. Ich hatte es kontrol iert.

Das einzige Fenster überblickte den Garten und Friedhof.

Insgesamt ergab die Mischung aus meinen Erdzauberzutaten und Ivys organisiertem Arbeitsplatz mit Computer einen gemütlichen Raum, meinen Lieblingsraum in der Kirche, auch wenn die meisten unserer Diskussionen hier stattfanden.

Von dem Tee, den Ceri mir gemacht hatte, bevor sie ging, stieg der beißende Geruch von Hagebutte auf.

Ich starrte die hel rosa Flüssigkeit angewidert an. Ich hätte lieber Kaffee gehabt, aber Ivy machte mir keinen, und ich würde schlafen gehen, sobald ich den Geruch von verbranntem Bernstein von mir runterbekommen hatte.

Jenks stand in seiner Peter-Pan-Pose auf dem Fensterbrett, mit in die Hüfte gestemmten Händen und frech wie die Höl e. Die Sonne traf auf sein blondes Haar und seine Libel enflügel, die das Licht in al e Richtungen reflektierten, wenn er sie bewegte.

»Scheiß auf die Kosten«, sagte er, von seinem Platz zwischen meinem Beta Mr. Fish, der in einem Brandyglas seine Runden zog, und seinem Tank mit Urzeitkrebsen aus.

»Geld hilft einem nicht, wenn man tot ist.« Seine winzigen, ebenmäßigen Gesichtszüge verhärteten sich. »Zumindest uns nicht, Ivy.«

Ivy versteifte sich, und ihr perfekt ovales Gesicht verlor jeden Ausdruck. Mit einem tiefen Seufzer richtete sie ihre gut eins achtzig große Gestalt auf, rückte ihre Lederhose zurecht, die sie normalerweise zu Aufträgen trug, und warf aus Gewohnheit ihr beneidenswert glattes schwarzes Haar nach hinten. Sie hatte es vor ein paar Monaten abgeschnitten, und ich wusste, dass sie immer wieder vergaß, dass es nur noch knapp bis über ihre Ohren ging. Letzte Woche hatte ich einen Kommentar fal en lassen, dass es mir gefiel, und danach hatte sie es in nach unten gerichtete Stachel stylen lassen, mit blondierten Spitzen. Es sah fantastisch aus, und ich fragte mich, woher ihr plötzliches Interesse an ihrem Aussehen kam. Vielleicht Skimmer?

Sie warf mir mit zusammengepressten Lippen einen Blick zu. Auf ihrem sonst bleichen Gesicht waren rote Flecken zu sehen. Die leichte Mandelform ihrer Augen verriet ihr asiatisches Erbe, und das, zusammen mit ihren klar geschnittenen Zügen, machte sie unglaublich attraktiv.

Ihre Augen waren die meiste Zeit braun und wurden von den Pupil en aus schwarz, wenn ihre vampirische Seite sie überwältigte.

Ich hatte einmal zugelassen, dass sie ihre Zähne in mich schlug, und auch wenn es unglaublich aufregend und wunderbar gewesen war, hatte es uns doch beiden eine Scheißangst gemacht, weil sie die Kontrol e verloren und mich fast getötet hatte. Trotzdem war ich wil ig, mich vorsichtig daran zu wagen, ein Blutgleichgewicht mit ihr zu finden. Ivy hatte gerade heraus abgelehnt, obwohl es schmerzhaft offensichtlich wurde, dass der Druck uns beide belastete. Sie hatte panische Angst, dass sie mich in einem Anfal von Blutlust verletzen könnte.

Ivy ging mit ihrer Angst so um, dass sie ihre Existenz ignorierte und den Auslöser vermied, aber ihre selbst auferlegte Verweigerungshaltung tötete sie in gleichem Maße, wie sie ihr Stärke verlieh.

Wenn man meinen Mitbewohnern/Geschäftspartnern glauben konnte, richtete ich mein gesamtes Leben - sowohl Beruf als auch Sex - nur darauf aus, den nächsten Kick zu finden. Jenks nannte mich einen Adrenalin-Junkie, aber wenn ich damit Geld verdienen konnte und meine Grenzen akzeptierte, wo war das Problem? Und ich wusste bis in die Tiefen meiner Seele, dass Ivy nicht unter den »Nach Kicks suchen«-Deckel passte. Ja, das Hoch war unglaublich gewesen, aber es war der Selbstwert, den ich ihr vermittelt hatte, der mir klargemacht hatte, dass es kein Fehler gewesen war - nicht etwa die Blutekstase, die sie ausgelöst hatte.

Für einen Moment hatte Ivy sich selbst so gesehen, wie ich sie sah: stark, kompetent und fähig, jemanden absolut zu lieben und auch zurückgeliebt zu werden. Dadurch, dass ich ihr mein Blut gegeben hatte, hatte ich ihr gesagt, dass sie es wert war, sich für sie zu opfern; dass ich sie für das mochte, was sie war, und dass ihre Bedürfnisse nicht falsch waren.

Bedürfnisse waren Bedürfnisse. Wir waren es, die sie als richtig oder falsch einordneten. Ich wol te, dass sie sich immer so fühlte.

Aber Gott helfe mir, es war ein unglaubliches Hoch.

Als ob sie meine Gedanken gelesen hätte, wandte sich Ivy von Jenks ab. »Hör auf damit«, befahl sie, und ich wurde rot.

Sie konnte zwar nicht meine Gedanken lesen, aber das wäre auch nicht schlimmer. Der Geruchssinn eines Vampirs reagierte auf Pheromone. Sie konnte meine Stimmungen so einfach lesen, wie ich den scharfen Geruch von Hagebutte von meinem unberührten Tee identifizieren konnte. Dreck, erwartete Ceri wirklich, dass ich das Zeug trank?

Jenks' Flügel wurden rot. Offensichtlich gefiel ihm der Themenwechsel von »Wie wir unser gespartes Geschäftskapital ausgeben« zu »Wie wir unsere Zähne bei uns behalten« nicht besonders. Ivy wedelte mit einer schlanken Hand, um mich in ihre Diskussion einzubeziehen.

»Es ist nicht so, dass ich das Geld nicht ausgeben wil «, sagte sie, gleichzeitig bestimmt und beruhigend. »Aber warum sol ten wir es tun, wenn es dann ein Dämon nur wieder kaputt macht?«

Ich schnaubte, wandte mich wieder dem Telefonbuch zu und blätterte eine weitere Seite um. »Newt ist nicht nur ein Dämon. Ceri sagt, sie ist eine der ältesten und mächtigsten Dämonen im Jenseits. Und sie ist absolut völ ig irre«, murmelte ich. »Und außerdem glaubt Ceri nicht, dass sie zurückkommt.«

Ivy verschränkte die Arme und sah damit gleichzeitig aufreizend und elegant aus. »Also, warum sol ten wir sie überhaupt neu weihen lassen?«

Jenks kicherte. »Yeah, Rachel. Warum sol ten wir? Ich meine, das könnte tol werden. Ivy könnte ihre Mutter zu einer Einweihungsfete einladen. Wir wohnen hier seit einem Jahr und die Frau würde dafür sterben, mal hierherzukommen. Naja, zumindest würde sie es, wenn sie noch leben würde.«

Besorgt schaute ich von dem Telefonbuch hoch. Besorgnis glitt auch über Ivys Gesicht. Für einen Moment war es so stil , dass ich die Uhr über der Spüle ticken hören konnte. Dann bewegte sich Ivy mit der unheimlichen Geschwindigkeit eines lebenden Vampirs, die sie sonst mühsam verbarg. »Gib mir das Telefon«, sagte sie und schnappte es sich.

Das schwarze Plastikteil verschwand von meinem Schoß, und Ivy nahm das schwere Buch vom Tisch. Sie zog sich mit schnel en Schritten an ihr Ende des Tisches zurück, legte das Buch auf ihre Knie und zog einen Notizblock aus einem Stapel. Während Jenks lachte, zeichnete sie schnel eine Tabel e mit Spalten für Telefonnummer, Verfügbarkeit, Kosten und religiöse Richtung. Das beruhigende Gefühl, dass wir noch vor Ende der Woche wieder auf heiligem Boden leben würden, brachte mich dazu, meine Wut darüber zu unterdrücken, dass sie das Projekt an sich gerissen hatte.

Jenks lächelte, als er sich vom Fensterbrett erhob. Goldene Funken regneten in meine Teetasse, bevor er daneben landete. »Danke«, sagte ich und wusste, das Ivy mich hören würde, selbst wenn ich flüsterte. »Ich glaube nicht, dass ich schlafen kann, bevor wir wieder geweiht sind -und ich mag Schlaf.«

Sein Kopf hob und senkte sich in einem übertriebenen Nicken. »Warum hül st du die Kirche nicht einfach in einen Schutzkreis?«, fragte er. »Da kann nichts durch.«

»Das wäre nicht sicher, außer, wir entfernen al e Stromkabel und Gasleitungen, die hereinführen«, sagte ich, weil ich nicht erklären wol te, dass Newt anscheinend durch jeden Kreis durchkam, wenn sie es wol te. »Wil st du ohne dein MTV leben?«

»Oh, zur Höl e, nein«, antwortete er und warf einen Seitenblick zu Ivy, die gerade der Person am anderen Ende der Leitung die doppelte Summe anbot, wenn er den Auftrag noch heute vor Sonnenuntergang erledigte. Ivy kam nicht besonders gut mit ihrer Mutter zurecht.

Müde sank ich in meinem Stuhl zusammen und fühlte, wie sich die Last der absolut kranken Morgenstunde auf meine Schultern legte. Jenks' Frau Matalina hatte die Pixiekinder aus dem Wohnzimmer geholt, und ihre Stimmen wurden jetzt von der Brise durchs Fenster in den Raum getragen.

»Ceri sagt, wenn Newt nicht in den nächsten drei Wochen noch mal auftaucht, dann hat sie uns wahrscheinlich vergessen«, erklärte ich gähnend, »aber ich wil die Kirche trotzdem wieder geweiht haben.« Ich schaute verärgert auf meinen abgeplatzten Nagel ack. »Minias hat sie mit einem Vergesslichkeitszauber belegt, aber dieser Dämon ist total irre. Und sie taucht auf, ohne beschworen worden zu sein.«

Ivy hörte auf zu reden, und nachdem sie und Jenks einen Blick gewechselt hatten, legte sie ohne Verabschiedung auf.

»Wer ist Minias?«

»Newts Vertrauter.« Ich warf ihr ein kurzes Lächeln zu, um die Kürze meiner Antwort zu entschuldigen. Manchmal war Ivy wie ein Exfreund. Zur Höl e, sie war meistens so, während ihre Vampirinstinkte mit ihrer Vernunft kämpften.

Ich war nicht ihr Schatten, ergo ihre Blutquel e, aber mit ihr zusammenzuleben, ließ die Grenzen zwischen dem, was sie wusste, und dem, von dem ihre Instinkte sagten, dass sie es fühlen sol te, etwas verschwimmen.

Sie schwieg. Offensichtlich hatte sie die Lücken in meiner Erklärung gehört. Ich wol te nicht darüber reden, weil mir die Angst einfach noch zu tief unter der Haut saß. Wortwörtlich.

Ich stank wie das Jenseits, und ich wol te mich nur saubermachen und für die nächsten drei Tage unter meiner Bettdecke verstecken. Newt in meinem Kopf gehabt zu haben, war einfach nur gruselig, selbst wenn ich die Kontrol e schnel zurückgewonnen hatte.

Ivy holte Luft, um nachzufragen, wurde aber von einem warnenden Flügelklappern von Jenks gestoppt. Ich würde die ganze Geschichte erzählen. Nur nicht jetzt.

Mein Blutdruck fiel bei Jenks' unterstützender Geste.

Mühsam stemmte ich mich auf die Füße und schlurfte zur Vorratskammer, um Wischmob und Eimer zu holen. Wenn wir einen Priester in unserer Kirche haben würden, wol te ich die Blutkreise verschwinden lassen. Ich meine, wirklich. .

»Du bist seit gestern Mittag wach. Ich kann das machen«, protestierte Ivy, aber der Schlafmangel machte mich zickig.

Ich ließ den Eimer in die Spüle fal en, knal te die Schranktür darunter zu, nachdem ich das Desinfektionsmittel herausgeholt hatte, und warf die Bürste in den Eimer.

»Du bist genauso lang wach wie ich«, erklärte ich über das Rauschen des Wassers hinweg. »Und du bereitest das Weihen der Kirche vor. Je eher wir das über die Bühne kriegen, desto besser werde ich schlafen.«

Etwas, worum ich mich gekümmert habe, bevor du dich eingemischt hast, dachte ich schlecht gelaunt, als ich das metal ene Armband abnahm, das Kisten mir geschenkt hatte, und es um den Fuß von Mr. Fishs Glas legte. Das schwarze Gold der Kette und die unspektakulären Amulette glitzerten, und ich fragte mich, ob ich mir die Zeit nehmen sol te zu versuchen, Kraftlinienzauber in sie zu übertragen, oder ob ich es weiterhin einfach als ein hübsches Schmuckstück betrachten sol te.

Der scharfe Orangengeruch des Putzmittels kitzelte mich in der Nase, und ich drehte den Wasserhahn ab. Mit protestierendem Rücken stemmte ich den Eimer über die Ecke der Arbeitsfläche und verschüttete dabei etwas Wasser.

Ungeschickt schob ich den Mob ein paarmal über die Tropfen und ging dann aus dem Raum. »Es ist keine große Sache, Ivy«, meinte ich. »Fünf Minuten.«

Das Klappern von Pixieflügeln folgte mir. »Ist Newts Vertrauter nicht auch ein Dämon?«, fragte Jenks, als er auf meiner Schulter landete.

Okay, also hatte er mich viel eicht gar nicht unterstützen, sondern mich nur als Erster aushorchen wol en, um zu entscheiden, welche Infos ich Ivy geben konnte. Sie war eine Schwarzseherin, und das Letzte, was ich brauchen konnte, war Ivy, die der Meinung war, dass ich nicht mal ohne ihren

»Schutz« in den Supermarkt gehen konnte.

Jenks konnte ihre Stimmungen besser abschätzen als ich, also stel te ich den Eimer neben die Kreise und flüsterte:

»Yeah, aber er ist mehr ein Pfleger.«

»Disneyhure Tink«, fluchte er in einem Seitenhieb auf seine berüchtigte Verwandte, während ich den Mob ein paarmal eintauchte und dann das überschüssige Wasser ausdrückte.

»Sag mir nicht, dass du jetzt noch ein Dämonenmal hast.«

Als ich anfing, den Mopp über den Boden zu schieben, verließ er meine Schulter, weil ihm das ständige Vor und Zurück offensichtlich zu viel war. »Nein, er schuldet mir was«, erklärte ich nervös, und Jenks fiel die Kinnlade runter. »Ich werde schauen, ob er im Austausch Als Mal von mir nimmt.

Oder viel eicht Newts.«

Jenks schwebte vor mir. Ich richtete mich auf und lehnte mich müde auf den Mopp. Seine Augen waren weit und ungläubig. Der Pixie hatte eine Ehefrau und viel zu viele Kinder, die in einem Baumstumpf im Garten lebten.

Er war ein Familienpixie, aber er hatte das Gesicht und den Körper eines Achtzehnjährigen. Eines sehr sexy Achtzehnjährigen mit Flügeln, und Funkeln, und vol em blondem Haar, das dringend eine Frisur brauchte. Seine Frau, Matalina, war eine sehr glückliche Pixiefrau, und sie kleidete ihn in hautenge Klamotten, die ablenkend wirkten, obwohl er so winzig war. Dass er sich langsam dem Ende seiner Lebenszeit näherte, brachte sowohl mich als auch Ivy fast um. Er war mehr als ein zuverlässiger Partner mit tiefem Wissen in Beschattung, Infiltration und Security - er war unser Freund.

»Du glaubst, das wird der Dämon tun?«, fragte Jenks.

»Verdammt, Rache, das wäre tol !«

Ich zuckte mit den Schultern. »Es ist einen Versuch wert, aber ich habe ihm ja nur gesagt, wo Newt war.«

Aus der Küche erklang Ivys gereizte Stimme. »Es ist 1597

Oakstaff. Ja.« Es gab eine Pause, dann: »Wirklich? Ich wusste nicht, dass Sie diese Art von Aufzeichnungen führen. Es wäre nett gewesen, wenn uns jemand gesagt hätte, dass wir ein paranormales Obdachlosenheim sind. Kriegen wir dafür Steuervergünstigungen oder so etwas?« Ihre Stimme hatte einen wachsamen Ton angenommen, und ich fragte mich, was im Busch war.

Jenks landete auf dem Rand des Eimers, wischte eine Stel e trocken und setzte sich dann. Seine Flügel wurden stil und wirkten wie aus Spinnweben gesponnen. Der Mopp half nichts; ich würde schrubben müssen. Seufzend ging ich auf die Knie und fühlte auf dem Boden des Eimers nach der Bürste.

»Nein, sie war geweiht«, sprach Ivy mit lauter Stimme weiter, sodass sie auch über das Zischen der Borsten deutlich zu hören blieb. »Jetzt ist sie das nicht mehr.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Wir hatten einen Zwischenfal .« Noch ein Zögern, dann: »Wir hatten einen Zwischenfal . Wie viel würde die gesamte Kirche kosten?«

Mein Magen verkrampfte sich, als sie kurz darauf fragte:

»Wie viel für nur die Schlafzimmer?«

Ich schaute Jenks an, und in mir stiegen Schuldgefühle auf.

Viel eicht konnten wir die Stadt dazu bringen, die Kosten zu tragen, wenn wir uns wieder als städtisches Heim anmeldeten. Es war ja nicht so, als könnten wir den Vermieter bitten, es in Ordnung zu bringen.

Die Kirche gehörte Piscary, und obwohl Ivy aufgehört hatte, auch nur so zu tun, als würde sie dem Meistervampir, dem sie folgte, Miete zahlen, waren doch wir für die Instandhaltung verantwortlich.

Es war ein wenig wie mietfrei im Haus deiner Eltern zu wohnen, während die einen längeren Urlaub machen - der Urlaub war in diesem Fal das Gefängnis, und das hatte er mir zu verdanken. Es war eine hässliche Geschichte, aber zumindest hatte ich ihn nicht getötet. . endgültig.

Ivys Seufzen war sogar über mein Schrubben hörbar.

»Können Sie es vor heute Abend hierher schaffen?«, fragte sie, und ich fühlte mich ein wenig besser.

Ich hörte die Antwort darauf nicht, aber es gab auch kein weiteres Gespräch, und so konzentrierte ich mich darauf, die Schlieren wegzuwischen. Jenks beobachtete mich einen Moment vom Rand des Eimers aus, dann sagte er: »Du siehst aus wie ein Pornostar, wie du da in Unterwäsche auf den Knien liegst und den Boden schrubbst. Fester, Baby«, stöhnte er. »Fester!«

Ich warf ihm einen Seitenblick zu und stel te fest, dass er das Ganze auch noch mit unanständigen Gesten unterlegte.

Hatte er nichts Besseres zu tun? Aber ich wusste, dass er nur versuchte, mich aufzumuntern - zumindest wol te ich mir das einreden.

Während seine Flügel sich vor Lachen rot verfärbten, zog ich meinen Bademantel zu und lehnte mich zurück, bevor ich mir eine schulterlange rote Strähne aus dem Gesicht blies.

Nach ihm zu schlagen, wäre nutzlos - er war richtig schnel geworden, seitdem er einen Dämonenfluch geschluckt hatte, um für kurze Zeit groß zu werden. Und ihm den Rücken zuzuwenden, würde al es nur noch schlimmer machen.

»Könntest du meinen Schreibtisch für mich aufräumen?«, fragte ich stattdessen und ließ einen Hauch meiner Gereiztheit in meine Stimme einfließen. »Deine Katze hat meine Papiere runtergeworfen.«

»Klar«, sagte er und schoss davon. Sofort fühlte ich, wie mein Blutdruck sank.

Ivys sanfte Schritte erklangen, und Jenks fluchte ausdauernd über sie, als sie die Papiere vom Boden aufhob und für ihn auf die Schreibfläche legte. Sie erklärte ihm höflich, dass er sich eine Schnecke in den Arsch schieben sol te, und ging an mir vorbei zu ihrem Klavier. In einer Hand trug sie eine Sprühflasche und in der anderen ein Polierleder.

»Jemand kommt noch heute«, sagte sie und fing an, Ceris Blut von dem lackierten Holz zu wischen. Altes Blut legte bei lebenden Vampiren keine Schalter um - nicht so, wie es die Chance tat, Blut zu nehmen. »Sie machen uns einen Kostenvoranschlag, und wenn wir es zahlen können, machen sie die ganze Kirche. Wil st du die zusätzlichen fünftausend investieren, um es zu versichern?«

»Fünftausend, um es zu versichern? Heilige Scheiße. Wie viel würde das kosten? Benommen richtete ich mich auf und tauchte die Bürste ins Wasser. Mein hochgerol ter Ärmel rutschte nach unten und war sofort patschnass. Von meinem Schreibtisch aus rief Jenks mir zu: »Los, Rachel. Hier steht, dass du eine Mil ion Dol ar gewonnen hast.«

Ich schaute hinter mich und entdeckte, dass er in meiner Post herumgrub. Irritiert ließ ich die Bürste fal en und wrang meinen Ärmel aus. »Können wir erst einmal herausfinden, was es kosten wird?«, fragte ich, und Ivy nickte, während sie ihrem Flügel eine heftige Schicht von dem verpasste, was in der unbeschrifteten Sprühflasche war. Es verdampfte schnel , und sie polierte, bis es glänzte.

»Hier«, sagte sie und stel te die Flasche neben den Eimer.

»Das lässt das. .« Sie hielt inne. »Wisch einfach den Boden damit«, erklärte sie dann, und ich zog die Augenbrauen hoch.

»O-kay.« Ich beugte mich wieder über den Boden und zögerte kurz vor dem Kreis, den Ceri gezeichnet hatte, um Minias zu rufen, dann verschmierte ich ihn. Ceri konnte mir dabei helfen, einen neuen zu machen, und ich würde keine dämonischen Blutkreise auf dem Boden meiner Kirche dulden.

»Hey, Ivy«, rief Jenks. »Wil st du das behalten?«

Sie setzte sich in Bewegung, und ich drehte mich, um sie im Blick zu behalten. Jenks hielt einen Coupon für Pizza hoch, und ich grinste höhnisch. Genau. Also ob sie auch nur darüber nachdenken würde, etwas anderes zu bestellen als Piscarys Pizza.

»Was hat sie noch da drin?«, fragte Ivy und warf den Coupon weg. Ich drehte ihr den Rücken zu, weil ich wusste, dass das Chaos auf meinem Schreibtisch Ivy in den Wahnsinn trieb. Wahrscheinlich würde sie die Gelegenheit nutzen, um aufzuräumen. Gott, ich würde nie wieder irgendwas finden.

»Zauber-des-Monats-Club. . weg«, sagte Jenks, und ich hörte, wie etwas in den Mül eimer plumpste. »Kostenlose Ausgabe von Witch Weekly. . weg. Kreditauskunft. . weg.

Dreck, Rachel. Wirfst du nie etwas weg?«

Ich ignorierte ihn. Ich hatte nur noch ein kleines Stück.

Auftragen, polieren. Meine Arme taten weh.

»Der Zoo wil wissen, ob du deinen Läuferpass verlängern wil st.«

»Heb das auf!«, rief ich.

Jenks stieß einen langen Pfiff aus, und ich fragte mich, was sie jetzt wohl gefunden hatten.

»Eine Einladung zu El asbeth Withons Hochzeit?«, fragte Ivy schleppend.

Oh, stimmt. Das hatte ich vergessen.

»Tink tritt mich in die Eier«, rief Jenks, und ich setzte mich auf die Fersen. »Rachel!« Er schwebte über der Einladung, die wahrscheinlich mehr gekostet hatte als mein letzter Restaurantbesuch. »Wann hast du eine Einladung von Trent bekommen? Zu seiner Hochzeit?«

»Weiß ich nicht mehr.« Ich tauchte die Bürste ein und fing wieder an zu schrubben, aber das Säuseln von Papier an Leinen riss mich wieder nach oben.

»Hey!«, protestierte ich und wischte meine Hände an meinem Bademantel trocken, was nur dafür sorgte, dass der Gürtel sich löste. »Das könnt ihr nicht machen. Es ist il egal, Post zu öffnen, die an jemand anderen adressiert ist.«

Jenks war auf Ivys Schulter gelandet. Beide warfen mir nur einen langen Blick zu, während Ivy die Einladung in Händen hielt. »Das Siegel war schon gebrochen«, erklärte Ivy und ließ das dämliche weiße Seidenpapier fal en, das ich so sorgfältig zurückgesteckt hatte.

Trent Kalamack war der Fluch meiner Existenz, der in Cincinnati meistgeliebte Stadtrat und der attraktivste Junggesel e in der nördlichen Hemisphäre. Es schien niemanden zu interessieren, dass er die halbe Unterwelt der Stadt regierte und einen guten Teil des weltweiten il egalen Handels mit Brimstone kontrol ierte. Und da waren noch nicht einmal seine bei Todesstrafe verbotenen Geschäfte mit genetischer Manipulation und verbotenen Medikamenten mit eingerechnet.

Dass ich nur deswegen überhaupt am Leben war, war ein ziemlich großer Teil des Grundes, warum ich die Klappe hielt.

Ich mochte die Antarktis auch nicht lieber als jeder andere, und da würde ich enden, wenn es herauskam. Wenn sie mich nicht einfach töten, verbrennen und meine Asche in al e Winde verstreuen würden.

Plötzlich erschien es mir als gar nicht mehr so schlimm, dass ein Dämon mein Wohnzimmer auseinandergenommen hatte.

»Heilige Scheiße«, fluchte Jenks wieder. »El asbeth wil , dass du Brautjungfer bist?«

Ich zog meinen Bademantel wieder zu, stampfte quer durch den Altarraum und schnappte mir die Einladung aus Ivys Hand. »Es ist keine Einladung, es ist ein schlecht getarnter Versuch, mich als Security arbeiten zu lassen. Die Frau hasst mich. Schaut, sie hat nicht einmal unterschrieben.

Ich wette, sie weiß nicht mal, dass diese Einladung existiert.«

Ich wedelte damit in der Luft herum, stopfte das Papier dann in eine Schublade und knal te diese zu. Trents Verlobte war eine Zicke in jeder Bedeutung des Wortes außer der wortwörtlichen. Dünn, elegant, reich und beißend höflich.

Wir waren wirklich fantastisch miteinander ausgekommen in der Nacht, als wir zusammen gefrühstückt hatten, nur sie, ich und Trent, der zwischen uns gefangen gewesen war.

Natürlich konnte ein Teil der Stimmung auch daher gekommen sein, dass ich sie hatte glauben lassen, Trents Kindheitsschwarm gewesen zu sein. Aber sie war diejenige, die beschlossen hatte, dass ich eine Edelnutte war. Dämliche Anzeige in den Gelben Seiten.

Ivys Gesichtsausdruck war wachsam. Sie wusste, dass sie mich besser nicht drängte, wenn es mit Trent zu tun hatte, aber Jenks konnte einfach nicht aufhören. »Yeah, aber denk drüber nach, Rache. Das wird eine Höl enparty. Die Creme de la Creme von Cincinnati wird da sein. Du weißt nie, wer auftaucht.«

Ich hob eine Pflanze hoch und wischte mit der Hand darunter durch - meine Version von Staubwischen.

»Leute, die Trent töten wol en«, sagte ich leichtfertig. »Ich mag Aufregung, aber ich bin nicht verrückt.«

Ivy verschob meinen Eimer und den Mopp auf eine trockene Stel e und sprühte eine dicke Schicht aus der mysteriösen Flasche auf den geputzten Fleck. »Wirst du es tun?«, fragte sie, als ob ich nicht bereits Nein gesagt hätte.

»Nein.«

Mit einer ausholenden Bewegung wischte ich al e Papiere von der Schreibfläche in die oberste Schublade. Jenks landete auf der leeren Oberfläche. Seine Flügel verharrten regungslos, als er sich gegen den Stiftständer lehnte und die Beine an den Knöcheln überschlug, was für einen zehn Zentimeter großen Mann erstaunlich attraktiv aussah.

»Warum nicht?«, beschuldigte er mich. »Glaubst du, er wil dich kaltmachen?«

Wieder, fügte ich in Gedanken hinzu. »Weil ich seinen verdammten Elfenhintern schon einmal gerettet habe«, erklärte ich. »Wenn man es einmal macht, ist es ein Fehler.

Wenn man es zweimal macht, ist es kein Fehler mehr.«

Ivy ging kichernd aus dem Raum und nahm Eimer und Mopp mit.

»Die u.A.w.g.-Frist geht bis morgen«, nörgelte Jenks. »Die Probe ist Freitag. Du bist eingeladen.«

»Das weiß ich.« Außerdem war es mein Geburtstag, und den würde ich nicht mit Trent verbringen. Genervt ging ich hinter Ivy her in die Küche.

Jenks flog rückwärts vor meinem Gesicht den Flur entlang.

»Ich habe zwei Gründe, warum du es tun sol test«, erklärte er.

»Einmal, es wird El asbeth wahnsinnig machen, und zweitens, du könntest genug verlangen, um die Kirche wieder weihen zu lassen.«

Meine Schritte wurden langsamer, und ich versuchte, meine Miene unter Kontrol e zu halten. Das war unfair.

Neben der Spüle runzelte Ivy die Stirn, weil sie offensichtlich dasselbe dachte. »Jenks. .«

»Ich sag ja nur. .«

»Sie arbeitet nicht für Kalamack«, betonte Ivy, und dieses Mal klappte er seinen Mund zu.

Ich stand in der Küche und wusste nicht so recht, was ich hier wol te. »Ich muss duschen«, meinte ich.

»Geh«, sagte Ivy, die gerade sorgfältig - und überflüssigerweise - den Eimer mit Seife auswusch, bevor sie ihn wegräumte. »Ich bleibe wach und warte auf den Mann, der wegen des Kostenvoranschlages vorbeikommt.«

Das gefiel mir nicht. Sie würde wahrscheinlich bei der Summe schummeln, weil sie wusste, dass ihre Taschen tiefer waren als meine. Sie hatte mir erzählt, dass sie fast pleite war, aber fast pleite war bei dem letzten lebenden Mitglied der Tamwood-Familie nicht dasselbe wie mein Pleite, sondern mehr ein >Pleite, weil nur noch eine sechsstel ige Summe auf dem Konto ist<. Aber ich war einfach zu müde, um mit ihr zu streiten.

»Ich schulde dir was«, sagte ich, als ich mir den inzwischen kalten Tee schnappte, den Ceri mir gemacht hatte, und aus dem Raum schlurfte.

»Gott, Jenks«, sagte Ivy, als ich an meinem Zimmer mit den überal verstreuten Kleidern vorbeiging und direkt aufs Bad zuhielt. »Das Letzte, was sie braucht, ist für Kalamack arbeiten.«

»Ich dachte ja nur. .«

»Nein, du hast nicht gedacht«, beschuldigte Ivy ihn. »Trent ist nicht irgendein schwuchteliger reicher Depp, er ist ein machtgieriger, mordender Drogenbaron, der im Anzug gut aussieht. Glaubst du nicht, dass er irgendeinen Grund dafür hat, sie als Security einzuladen, außer seiner persönlichen Sicherheit?«

»Ich wol te sie ja nicht al ein gehen lassen«, protestierte er, als ich die Tür schloss. Ich nippte an dem bitteren Tee, ließ meinen Pyjama in die Waschmaschine fal en und stel te die Dusche an, damit ich ihnen nicht weiter zuhören musste.

Manchmal hatte ich das Gefühl, sie dachten, ich wäre quasi taub, nur weil ich nicht quer über den Friedhof einen Pixie rülpsen hören konnte. Ja, sie hatten einmal einen Wettbewerb veranstaltet. Jenks hatte gewonnen.

Die Wärme des Wassers war wundervol , und nachdem der scharfe Geruch von Kiefernseife den erstickenden Gestank von verbranntem Bernstein abgewaschen hatte, stieg ich erfrischt und fast wach aus der Dusche. Ich wickelte ein purpurnes Handtuch um mich, wischte den Wasserdampf vom Spiegel und lehnte mich vor, um zu sehen, ob ich irgendwelche neuen Sommersprossen hatte. Nö. Noch nicht.

Dann öffnete ich den Mund, um meine wunderschönen, makel osen Zähne zu bewundern. Es war schön, keine Plomben zu haben.

Viel eicht hatte ich ja meine Seele mit Schwärze überzogen, als ich einen Dämonenfluch gewunden hatte, um mich dieses Frühjahr in einen Wolf zu verwandeln, aber ich würde mich nicht schuldig fühlen wegen der wundervol en Haut, die ich plötzlich wieder hatte, als ich mich zurückverwandelte. Die angesammelten Schäden aus fünfundzwanzig Lebensjahren waren weg, aber wenn ich keinen Weg fand, den Dämonenschmutz loszuwerden, bevor ich starb, würde ich dafür in der Höl e schmoren.

Zumindest werde ich mich deswegen nicht al zu schuldig fühlen, dachte ich, als ich die Hand nach meiner Creme ausstreckte, die einen heftigen Sonnenschutzfaktor hatte.

Und ich würde es auch sicherlich nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Lange vor dem Wandel war die Familie meiner Mutter aus Irland eingewandert, und von meiner Mutter hatte ich mein rotes Haar, meine grünen Augen und meine bleiche Haut geerbt, die momentan so weich und zart war wie die eines Neugeborenen. Von meinem Vater hatte ich meine Größe, meinen schlanken, athletischen Körper und meine Geisteshaltung. Von beiden zusammen hatte ich eine seltene genetische Kombination geerbt, die mich noch vor meinem ersten Geburtstag getötet hätte, wenn Trents Vater sich nicht über das Gesetz gestel t und es in seinem il egalen Genlabor in Ordnung gebracht hätte.

Unsere Väter waren Freunde gewesen, und sie waren nur eine Woche zeitversetzt unter verdächtigen Umständen gestorben. Zumindest kamen sie mir verdächtig vor. Und das war der Grund, warum ich Trent misstraute, wenn es nicht schon genug war, dass er ein Drogenbaron und ein Mörder war und noch dazu ziemlich gut darin, mich zu manipulieren.

Plötzlich fast überwältigt von der Sehnsucht nach meinem Dad, wühlte ich durch den Schrank hinter dem Spiegel, bis ich den hölzernen Ring fand, den er mir zu meinem dreizehnten Geburtstag geschenkt hatte.

Es war der letzte Geburtstag gewesen, bevor er gestorben war. Ich schaute auf den Ring, wie er klein und perfekt auf meiner Handfläche lag, und steckte ihn impulsiv an meinen kleinen Finger. Ich hatte ihn nicht mehr getragen, seitdem der darin enthaltene Zauber, der meine Sommersprossen verschwinden ließ, gebrochen worden war, und seit dem Fluch hatte ich ihn auch nicht mehr gebraucht. Aber ich vermisste meinen Dad, und nachdem ich heute Morgen von einem Dämon angegriffen worden war, konnte ich ein großes Stück emotionalen Rückhalt gebrauchen.

Ich lächelte, als der Ring auf meinem kleinen Finger steckte, und fühlte mich sofort besser. Der Ring hatte eine lebenslange Zauberauffrischungsgarantie, und ich hatte jeden vierten Freitag im Juli einen Termin. Viel eicht würde ich die Madam stattdessen zu einem Kaffee ausführen und sie einmal fragen, ob man es in einen Sonnenschutzzauber umwandeln konnte - wenn es so was gab.

Der Wechsel von männlicher und weiblicher Stimme in der Küche wurde offensichtlich, als ich meine Haare trocknete.

»Er ist schon hier?«, grummelte ich und suchte mir Unterwäsche, Jeans und ein rotes Mieder aus dem Trockner.

Ich zog mich an und tupfte mir ein wenig Parfüm hinter die Ohren, um Ivys und meinen Geruch davon abzuhalten, sich zu vermischen. Dann kämmte ich mein feuchtes Haar kurz mit den Fingern durch und ging in die Küche.

Aber es war kein Priester, den ich dort bedeckt von Pi-xiekindern vorfand, sondern Glenn.

3

»Hi, Glenn«, sagte ich und ließ mich barfuß in meinen Stuhl fal en. »Was ist heute schiefgelaufen?«

Der ziemlich große FIB-Detective im Anzug fühlte sich offensichtlich unwohl, und das war kein gutes Zeichen.

Jenks Kinder schossen überal um ihn herum, was seltsam war. Und Ivy starrte ihn hinter ihrem Computer hervor böse an, was auch etwas beunruhigend war. Aber wenn man in Betracht zog, dass sie ihn bei ihrem ersten Treffen fast ausgesaugt und er sie fast erschossen hätte, lief es doch eigentlich ganz gut.

Jenks rieb seine Flügel aneinander, und seine Kinder schossen auseinander, sausten in einem Wirbel aus Seide und Schreien, die mir in den Augen wehtaten, durch mein Regal mit den aufhängten Zauberzutaten und Kräutern und verschwanden in den Flur und anschließend wahrscheinlich durch den Kamin im Wohnzimmer nach draußen. Ich hatte Jenks bis jetzt gar nicht gesehen. Er stand auf dem Fensterbrett neben seinem Tank mit Urzeitkrebsen. Wieso hat ein Pixie mehr Haustiere als ich?

Ich warf Glenn über den Tisch hinweg ein müdes Lächeln zu, in dem Versuch, die ablehnende Haltung meiner Mitbewohnerin auszugleichen. Zwischen uns stand ein Papptablett mit zwei dampfenden Bechern, und die warme Brise aus dem Garten wehte den himmlischen Geruch von frischem Kaffee in meine Richtung. Ich wol te einen, unbedingt.

Ivys Finger hackten aggressiv auf die Tastatur ein, als sie ihre Mails durchsah. »Detective Glenn wol te gerade gehen.

Nicht wahr?«

Der große schwarze Mann biss nur stumm die Zähne zusammen. Seitdem ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, hatte er sich seinen Ziegenbart und Schnauzer abrasiert und stattdessen Ohrstecker angeschafft. Ich fragte mich, was sein Dad wohl davon hielt, aber ich persönlich fand, dass es zu seinem sorgsam gehüteten, gepflegten Image des jungen, fähigen Gesetzeshüters passte.

Sein Anzug war immer noch von der Stange, aber er schmiegte sich an seine ziemlich gute Figur, als wäre er für ihn gemacht. Seine Lederschuhe, die unter den Hosenbeinen hervorlugten, sahen bequem genug aus, um auch darin rennen zu können, wenn es sein musste. Sein durchtrainierter Körper war sicherlich dafür geeignet, wenn man sich die breite Brust und die schmalen Hüften so ansah.

Der Griff einer Waffe, der aus einem Halfter an seinem Gürtel hervorragte, verlieh ihm einen interessanten Hauch von Gefahr.

Nicht dass ich für einen neuen Freund auf dem Markt bin, dachte ich. Ich hatte einen verdammt tol en Freund, Kisten, und Glenn war nicht interessiert, obwohl ich mir sicher war, dass er genau wie viele »mit einer Hexe versucht, für immer gebucht« werden könnte. Aber nachdem sein Mangel an Interesse nicht aus Vorurteilen geboren wurde, war es in Ordnung.

Ich atmete tief durch, und meine Hände zitterten vor Erschöpfung. Mein Blick glitt von seinen ausdrucksstarken braunen Augen, die besorgt und genervt zusammengekniffen waren, zu dem Kaffee. »Ist einer davon viel eicht für mich?«, fragte ich, und als er nickte, streckte ich die Hand aus und sagte: »Gott segne dich bis zurück zum Wandel.« Ich öffnete den Plastikdeckel und nahm einen Schluck. Dann schloss ich die Augen und hielt den zweiten Schluck für einen Moment im Mund. Es war ein doppelter Espresso: heiß, schwarz und so genau das, was ich gerade brauchte.

Ivy tippte weiter, und während Jenks sich entschuldigte, um einem vergessenen Kleinkind, das in meinem Schöpflöffel vor sich hinweinte, zurück zum Baumstumpf zu helfen, nahm ich mir die Zeit, darüber nachzudenken, was Glenn wohl hier wol te. Und so unchristlich früh. Es war verdammt nochmal sieben Uhr morgens. Ich hatte doch nichts getan, um das FIB zu verärgern - oder?

Glenn arbeitete für das Federal Inderland Bureau, die menschengeführte Institution, die auf lokaler und nationaler Ebene arbeitete. Das FIB wurde, was die Vol streckung des Gesetzes anging, absolut in den Schatten gestel t von der I.S., was die inderlandergeführte Seite der Medail e war, aber während früherer Untersuchungen, bei denen ich Glenn geholfen hatte, hatte ich herausgefunden, dass das FIB

beängstigend viel über uns Inderlander wusste.

Das ließ mich wünschen, dass ich letzten Herbst nicht diese Spezies-Zusammenfassungen für seinen Dad geschrieben hätte. Glenn war Cincys FIB-Inderlander-Spezialist, was bedeutete, dass er genug Mut hatte, um auf beiden Seiten der Gesel schaft zu arbeiten. Es war die Idee seines Dads gewesen, und nachdem ich seinem Dad eine Menge schuldete, half ich, wenn ich darum gebeten wurde.

Keiner sagte etwas, und ich beschloss, dass ich besser den Auftakt machen sol te, bevor ich am Tisch einschlief.

»Was ist im Busch, Glenn?«, fragte ich, nahm noch einen Schluck und wünschte mir, das Koffein würde anfangen zu wirken.

Glenn stand auf und rückte seine Dienstmarke am Gürtel zurecht. Seine Wangen spannten sich, und er warf einen vorsichtigen Blick zu Ivy. »Ich habe letzte Nacht eine Nachricht hinterlassen. Haben Sie sie nicht bekommen?«

Seine tiefe Stimme war so beruhigend wie der Kaffee, den er mitgebracht hatte, aber Jenks, der gerade durch das Pixieloch im Fenster geflogen kam, drehte sofort ab. »Ich glaube, ich höre Matalina«, sagte er und schoss wieder davon. Er hinterließ eine Spur von goldenem Funkeln. Meine Augen glitten von dem Pixiestaub zu Ivy, und sie zuckte mit den Schultern. »Nein«, antwortete ich.

Ivys Augen wechselten die Farbe. »Jenks!«, rief sie, aber der Pixie tauchte nicht auf. Ich zuckte auch mit den Schultern und warf Glenn einen entschuldigenden Blick zu.

»Jenks!«, schrie Ivy. »Wenn du schon den Abhörknopf drückst, dann schreib es gefäl igst auch auf!«

Ich holte langsam und tief Luft, aber Ivy unterbrach mich.

»Glenn, Rachel war noch nicht im Bett. Könnten Sie gegen vier wiederkommen?«

»Im Leichenschauhaus hat bis dahin die Schicht gewechselt«, protestierte er. »Es tut mir leid, dass du die Nachricht nicht bekommen hast, aber würdest du es dir trotzdem anschauen? Ich dachte, du wärst deswegen schon wach.«

Ärger ließ mich die Schultern anspannen. Ich war müde und schlecht gelaunt, und ich wol te nicht, dass Ivy meine Aufträge abfing. In einem plötzlichen Anfal von Zickigkeit stand ich auf.

Auf Ivys Gesicht stand ein fragender Ausdruck. »Wo gehst du hin?«

Ich schnappte mir meine Tasche, die bereits mit verschiedenen Zaubern und Amuletten gefül t war, und knal te den Deckel zurück auf meinen Kaffeebecher.

»Anscheinend ins Leichenschauhaus. Ich war schon öfter so lange wach.«

»Aber nicht nach einer Nacht, wie du sie gerade hattest.«

Schweigend zog ich mein Armband vom Fuß von Mr. Fishs Glas und kämpfte mit dem Verschluss. Glenn nahm eine wachsame Haltung an. Er hatte mich einmal gefragt, warum ich mit Ivy zusammenlebte und die Gefahr akzeptierte, die sie für mein Leben und meinen freien Wil en darstel te, und auch wenn ich inzwischen wusste warum, würde es ihm nur noch mehr Sorgen bereiten, wenn ich es ihm sagte.

»Herrje, Ivy«, stöhnte ich und war mir bewusst, dass er uns professionel analysierte. »Ich würde es lieber jetzt hinter mich bringen. Sieh es einfach als meine Gutenachtgeschichte.«

Ich ging in den Flur und versuchte mich daran zu erinnern, wo ich meine Sandalen gelassen hatte. Im Foyer. Aus der Küche sagte Ivy: »Du musst nicht jedes Mal losrennen, wenn das FIB piep sagt.«

»Nein!«, schrie ich zurück, und die Erschöpfung machte mich dämlich. »Aber ich muss irgendwoher Geld bekommen, um die Kirche wieder weihen zu lassen.«

Glenns Schritte hinter mir gerieten ins Stocken. »Sie ist nicht mehr geweiht?«, fragte er, als wir in den hel eren Altarraum traten. »Was ist passiert?«

»Wir hatten einen Zwischenfal .« Die Dunkelheit im Foyer war beruhigend, und ich seufzte, als ich meine Füße in die Sandalen schob und dann die schwere Tür öffnete. Guter Gott, dachte ich und blinzelte in das hel e Licht eines Morgens im späten Juli. Kein Wunder, dass ich das lieber verschlief. Kreischende Vögel lärmten, und es war bereits heiß. Hätte ich gewusst, dass ich ausgehen würde, hätte ich kurze Hosen angezogen.

Glenn nahm meinen El bogen, als ich auf der Stufe strauchelte, und ich hätte meinen Kaffee verschüttet, wenn ich nicht den Deckel wieder aufgesetzt hätte. »Kein Morgenmensch, hm?«, neckte er mich, und ich riss den Arm weg.

»Jenks!«, schrie ich, als meine Füße auf dem Gehweg landeten. Das Mindeste, was er tun konnte, war mitzukommen. Als ich Glenns Streifenwagen am Randstein parken sah, zögerte ich. »Lass uns mit zwei Autos fahren«, schlug ich vor, weil ich nicht in einem FIB-Streifenwagen gesehen werden wol te, wenn ich auch mein rotes Cabrio fahren konnte. Es war heiß; ich könnte das Dach aufmachen.

Glenn lachte leise. »Mit deinem ungültigen Führerschein?

Keine Chance.«

Ich schaute ihn schief von der Seite an und war beunruhigt, als ich die Belustigung in seinen dunklen Augen sah. »Dreck, wie hast du das rausgefunden?«

Er öffnete die Beifahrertür für mich.

»Dummkopf, ich arbeite für das FIB? Unsere Straßenbeamten haben dich jedes Mal gedeckt, wenn du einkaufen gegangen bist. Wenn du mit einem ungültigen Führerschein erwischt wirst, schafft die I. S. deinen Hintern in den Knast, und wir mögen deinen Hintern auf der Straße, wo er Gutes tun kann, Miss Morgan.«

Ich setzte mich in den Wagen und stel te meine Tasche auf den Schoß. Ich hatte nicht gewusst, dass das FIB auch nur davon gehört hatte, und noch weniger, dass sie die I.S. für mich abgelenkt hatten.

»Danke«, sagte ich leise, und er schloss die Tür mit einem leisen, anerkennenden Grunzen.

Glenn ging um den Wagen herum, während ich mich anschnal te. Es war stickig, also spielte ich mit dem Fensteröffner herum. Das Auto war noch nicht an, aber ich war genervt. Ich rammte meinen Kaffee in den Tassenhalter und spielte weiter mit dem Fenster herum, bis Glenn seinen langen Körper in den Fahrersitz faltete und mir einen prüfenden Blick zuwarf. Ich zog frustriert die Brauen zusammen. »Es ist nicht fair, Glenn«, beschwerte ich mich.

»Sie hatten kein Recht, mir den Führerschein zu entziehen.

Sie haben es auf mich abgesehen.«

»Mach einfach den Verkehrserziehungskurs und bring es hinter dich.«

»Aber es ist nicht fair! Sie machen mir das Leben absichtlich schwer.«

»Menschenskind, stel dir das einmal vor!« Der Schlüssel glitt ins Zündschloss, dann zog Glenn noch seine Sonnenbril e aus seiner Tasche und setzte sie auf, was seinen Coolheitsfaktor um ungefähr zehn Punkte steigerte. Sein Gesicht entspannte sich, und er schaute die ruhige Straße entlang, die von fast achtzig Jahre alten Bäumen gesäumt wurde. »Was hast du erwartet?«, fragte er. »Du hast ihnen eine Entschuldigung geliefert. Sie haben sie genutzt.«

Ich holte frustriert Luft und hielt dann den Atem an. Dann war ich eben über eine rote Ampel gefahren. Eigentlich war sie fast noch gelb gewesen. Und ich war einmal auf der Schnel straße ein bisschen zu rasant gefahren. Aber ich musste annehmen, dass es schon ein paar Punkte gegeben hatte, als ich mich von meinem Exfreund mit einem Lastwagen hatte rammen lassen, um einem Vampir dabei zu helfen, seine untote Existenz zu beginnen. Niemand außer dem Vampir war gestorben - und er hatte es so gewol t.

Ich spielte wieder mit dem Knopf, und Glenn kapierte den Hinweis. Warme Luft drang ein, als das Fenster nach unten fuhr, und vermengte den Geruch meines Parfüms mit dem Duft von frisch geschnittenem Gras. »Jenks!«, rief ich wieder, als Glenn das Auto startete. »Lass uns gehen

Das Brummein des großen Wagens überdeckte das Klappern von Jenks Flügeln, als er zu uns geschossen kam.

»Tut mir leid mit der Nachricht, Rache«, murmelte er, als er auf dem Rückspiegel landete.

»Mach dir nichts draus.« Ich legte meinen Unterarm in das offene Fenster. Ich hatte keine Lust, ihn deswegen zusammen zuscheißen. Mein Bruder hatte mir oft genug Ärger gemacht, weil ich genau dasselbe getan hatte, und ich wusste, dass es keine Absicht gewesen war.

Ich ließ mich in den Ledersitz zurücksinken, als Glenn in die leere Straße einfuhr. Sie würde bis ungefähr Mittag auch leer bleiben, bis der Großteil der Hol ows aufwachte. Mein Puls war langsam, und die Hitze des Tages machte mich schläfrig. Glenn hielt sein Auto so ordentlich wie sich selbst; kein einziger alter Kaffeebecher oder Papierfetzen verunreinigte Fußraum oder Rücksitz.

»Alsoooo«, sagte ich gähnend, »was ist im Leichenschauhaus außer dem Offensichtlichen?«

Glenn warf mir einen Blick zu, als er an einem Stoppschild anhielt. »Selbstmord, aber es ist Mord.«

Natürlich ist es das. Mit einem Nicken winkte ich dem I.S.-

Streifenwagen zu, der hinter einem Busch geparkt war, und warf dann dem kleinen Werwolf in Tarnkleidung, der halb schlafend auf einer Parkbank saß und sie beobachtete, eine hasenohrige »Küsschen, Küsschen«-Geste zu. Es war Bret.

Der militärische Werwolf war aus seinem Rudel geworfen worden, weil er vor ein paar Monaten bei dem Versuch versagt hatte, mich zu kidnappen, und jetzt war ich natürlich diejenige, deren Rudel er sich als Nächstes anschließen wol te. Ich hatte seine Alpha besiegt; also war ich die Stärkere.

David, mein Alpha, hatte damit nichts am Hut, vor al em, da er in erster Linie nie ein Rudel gewol t hatte. Deswegen hatte er ja das System beschissen und ein Rudel mit einer Hexe gegründet, nur um seinen Job zu behalten. Also war Brad darauf reduziert, an der Peripherie meines Lebens herumzuhängen und nach einem Weg hinein zu suchen.

Es war unglaublich schmeichelhaft, aber gleichzeitig auch deprimierend. Ich würde mit David sprechen müssen. Einen paramilitärischen Werwolf in meinem Leben zu haben war keine schlechte Idee, und Brad wol te wirklich jemanden, zu dem er aufsehen konnte. So waren die meisten Werwölfe gebaut.

Davids Einwand, dass Brad nur versuchte, bei seinem eigentlichen Alpha wieder Boden zu gewinnen, indem er ausspionierte, ob ich das Werwolf-Artefakt hatte, wegen dem es überhaupt zu dem Entführungsversuch gekommen war, war Quatsch. Jeder ging davon aus, dass es von der Mackinac-Brücke gefal en war, auch wenn es in Wirklichkeit in Davids Katzenklo vergraben war.

Jenks räusperte sich, und als ich ihm einen Blick zuwarf, rieb er in der universel en Geste für Geld Daumen und Zeigefinger zusammen. Meine Augen glitten zu Glenn.

»Hey«, sagte ich und rückte in meinem Sitz herum. »Das hier bringt Geld, richtig?« Glenn lächelte, und meine Stimme wurde schärfer. »Es bringt Geld, richtig?«

Mit einem leisen Lächeln warf der FIB-Detective durch den Rückspiegel einen Blick auf Brad und nickte. »Warum. .«, setzte er an, und ich unterbrach ihn.

»Er wil in mein Rudel, aber David mauert«, erklärte ich.

»Was ist so wichtig an dieser Leiche, dass du mich brauchst, um sie sich anzuschauen? Ich bin ein lausiger Ermittler. Das ist nicht mein Job.«

Glenns kantiges Gesicht war besorgt, als er von mir wieder zu dem Werwolf hinter uns schaute. »Sie ist eine Werwölfin.

Die I.S. sagt Selbstmord, aber ich glaube, es ist Mord, und sie vertuschen es.«

Ich ließ den Fahrtwind meine Hand nach oben drücken, hielt dann dagegen und genoss den Wind in meinen noch feuchten Haaren und das Gefühl meines Armbandes an meinem Handgelenk.

Die I.S. vertuscht einen Mord? Große Überraschung. Jenks sah glücklich aus und war ruhig, jetzt wo klar war, dass wir arbeiteten und die Frage nach dem Geld zumindest gestel t worden war, wenn auch noch nicht geklärt. »Standard-Beratungshonorar«, sagte ich.

»Fünfhundert pro Tag plus Ausgaben«, antwortete Glenn, und ich lachte.

»Versuch es mal mit dem Doppelten, Ketchupjunge. Ich habe Versicherungen zu zahlen.« Und eine Kirche zu weihen, und ein Wohnzimmer zu renovieren.

Glenns Augen wurden kurz abwesend. »Für zwei Stunden wären das dann was? Zweihundertfünfzig?«

Dreck. Er wol te nach Stunden abrechnen. Ich runzelte die Stirn, und Jenks Flügel verstummten. Das würde viel eicht die Wandverkleidung bezahlen und die Kerle, die sie einbauten.

Viel eicht.

»Okay«, sagte ich und durchwühlte meine Tasche nach dem Kalender, den Ivy mir letztes Jahr geschenkt hatte. Er war nicht mehr aktuel , aber die Seiten waren leer, und ich brauchte etwas, wo ich meine Zeit aufschreiben konnte.

»Aber du kannst von einer aufgeschlüsselten Rechnung ausgehen.«

Glenn grinste. »Was?«, fragte ich und blinzelte gegen die grel e Sonne an.

Er hob eine Schulter und ließ sie wieder fal en. »Du siehst so. . organisiert aus«, stel te er fest, und als Jenks kicherte, hob ich die Hand und schlug Glenn leicht auf die Schulter.

»Wegen dem Spruch gibt es jetzt keinen Ketchup mehr für dich«, murmelte ich und ließ mich tiefer in den Sitz sinken.

Sein Griff am Lenkrad wurde fester, und ich wusste, dass ich einen wunden Punkt getroffen hatte.

»Ach, mach dir keine Sorgen, Glenn«, zog Jenks ihn auf.

»Weihnachten kommt irgendwann. Ich besorge dir ein Glas zungenverbrennende Jalapeno-Soße, die dir die Socken auszieht, selbst wenn Rachel wirklich keine Tomaten mehr für dich dealt.«

Glenn warf mir einen Seitenblick zu. »Ahm, tatsächlich hätte ich eine Liste«, sagte er und grub in der Innentasche seines Jacketts herum, um einen schmalen Streifen Papier mit seiner präzisen Handschrift darauf hervorzuziehen. Ich zog die Augenbrauen hoch, als ich sie las: scharfer Ketchup, gewürzte Barbecue-Soße, Tomatenmark, Salsa. Das Übliche.

»Du brauchst ein neues Paar Handschel en, richtig?«, fragte er nervös.

»Yeah«, sagte ich und war plötzlich um einiges wacher.

»Aber wenn du einen von diesen Zip-Strips ergattern könntest, wie sie die I. S. benutzt, um Kraftlinienhexen davon abzuhalten, ihre Magie zu benutzen, wäre das fantastisch.«

»Ich schaue, was ich tun kann«, sagte er, und ich nickte befriedigt.

Auch wenn Glenns verspannter Nacken mir sagte, dass er sich unwohl dabei fühlte, die Werkzeuge des Gesetzesvol zugs gegen Ketchup zu tauschen, fand ich es einfach lustig, dass der stoische, korrekte Mensch sich zu sehr schämte, um in einen Laden zu gehen, der Tomaten verkaufte. Die Menschheit mied sie wie die Pest, nachdem eine Tomate den Virus getragen hatte, der vor vierzig Jahren einen Großteil der menschlichen Bevölkerung getötet und so ans Licht gebracht hatte, welche übernatürlichen Arten sich bisher in der schieren Menge der Menschen verborgen hatten.

Aber Glenn war dazu gezwungen worden, Pizza zu essen, echte Pizza, nicht diesen Alfredo-Dreck, den die Menschen servierten, und von da an war es mit ihm nur noch bergab gegangen.

Ich würde ihm deswegen nicht das Leben schwer machen.

Wir al e hatten unsere Ängste. Dass Glenns Furcht darin bestand, dass jemand entdecken könnte, dass er sich nach etwas verzehrte, was jeder andere Mensch auf dem Planeten hasste, war die geringste meiner Sorgen.

Und wenn es mir ein paar Zip-Strips beschafft, die mir vielleicht irgendwann das Leben retten, dachte ich, als ich mich wieder in den Sitz zurücklehnte, dann ist es ein Geheimnis, das zu bewahren sich lohnt.

4

Das Leichenschauhaus war ruhig und kühl, wie ein schnel er Wechsel vom Juli in den September, und ich war froh, dass ich Jeans anhatte. Meine Sandalen klapperten auf den dreckigen Zementstufen, als ich seitwärts die Treppe herunterging.

Das Neonlicht auf der Treppe unterstützte nur noch den trostlosen Eindruck. Jenks saß auf meiner Schulter, um sich zu wärmen. Als wir unten ankamen, bog Glenn scharf nach rechts ab und folgte den großen blauen Pfeilen, die auf die Wand gemalt waren. Wir gingen an großen Aufzügen vorbei auf Doppeltüren zu, deren Aufschrift fröhlich verkündete: Leichenschauhaus von Cincinnati, gleichberechtigter Service seit 1966.

Die Kombination aus der Düsternis hier unten und dem Kaffee in meiner Hand sorgte dafür, dass ich mich besser fühlte, aber der größte Teil meiner guten Laune stammte von dem coolen Namensschild, das Glenn mir gegeben hatte, als wir die Treppen heruntergingen. Es war nicht so ein verbogenes, scheußliches, vergilbt-laminiertes kleines Kärtchen, wie al e anderen es bekamen, sondern ein richtiger, schwerer Plastikanstecker, in den mein Name graviert war.

Jenks hatte auch einen, und er war widerwärtig stolz darauf, obwohl ich diejenige war, die ihn trug - direkt unter meinem eigenen. Das würde mich ins Leichenschauhaus bringen, wenn nichts anderes es schaffte. Naja, außer sterben.

Ich arbeitete nicht oft für das FIB, aber irgendwie war ich zu ihrem Liebling geworden.

Das arme kleine Hexenmädchen, das aus der Tyrannei der I.S. geflohen war, um ihren eigenen Weg zu gehen. Sie hatten mir mein Auto gegeben statt eines monetären Ausgleichs, als die I.S. falschgespielt hatte, nachdem ich dem FIB dabei geholfen hatte, ein Verbrechen aufzuklären, das die I.S. nicht hatte lösen können. Seitdem heuerte mich das FIB

jederzeit auf freier Basis an wie jede andere Firma, weil ich nicht auf ihrer Gehaltsliste stand. Nä-nä, nä-nä, nänänänä-

nänä.

Es waren die kleinen Dinge, die einen wirklich glücklich machen konnten.

Glenn drückte die Doppeltüren auf und trat beiseite, sodass ich zuerst reingehen konnte. Ich überblickte den großen Empfangsraum, eher rechteckig als quadratisch.

Die Hälfte davon war leer, die andere Hälfte war gefül t mit Aktenschränken und einem hässlichen Metal tisch, den man schon in den Siebzigern hätte entsorgen sol en. Ein Junge im Col egealter saß dahinter, mit seinen Füßen auf dem Tisch und einem Computerspiel in den Händen. Eine Krankenbahre mit einer zugedeckten Leiche wartete auf Aufmerksamkeit, aber offensichtlich mussten erst ein paar Außerirdische plattgemacht werden.

Als wir reinkamen, schaute der blonde Junge auf und legte, nachdem er mich einmal von Kopf bis Fuß gemustert hatte, sein Spiel weg und stand auf. Hier drin muffelte es: Kiefernholz und totes Fleisch. Bäh.

»Hey, Iceman«, sagte Glenn, und Jenks grunzte überrascht, als der korrekte FIB-Detective eine komplizierte Hand-, Faust-, El bogen-Schlag-Geste mit dem Kerl am Tisch austauschte.

»Glenn«, sagte der blonde Junge und warf mir immer wieder Blicke zu. »Du hast ungefähr zehn Minuten.«

Glenn schob ihm einen Fünfziger zu, woraufhin Jenks keuchte. »Danke. Ich schulde dir was.«

»Ist cool. Aber mach schnel .« Er gab Glenn einen Schlüssel, der an einer nackten Bite-me-Betty-Puppe hing.

Auf keinen Fal würde hier jemand mit dem Schlüssel zum Leichenschauhaus rausstiefeln.

Ich warf ihm ein zweideutiges Lächeln zu und hielt auf eine andere Doppeltür zu.

»Miss!«, rief der Junge, und sein aufwendiger Akzent zer-floss in Farmeramerikanisch.

Jenks kicherte. »Da wil jemand ein Date.«

Ich drehte mich um, um Iceman direkt hinter mir zu finden.

»Miss Morgan«, sagte der Kerl mit einem Blick auf meine zwei Namensschilder. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, könnten Sie Ihren Kaffee hierlassen?« Als ich ihn ausdruckslos anstarrte, fügte er hinzu: »Er könnte jemanden viel eicht zu früh aufwecken, und nachdem der Vampirpfleger gerade Mittagessen holt, wäre es. .« Er verzog das Gesicht. »Es könnte schlimm werden.«

Ich verstand. »Sicher«, sagte ich und gab ihm meinen Becher. »Kein Problem.«

Sofort entspannte er sich. »Danke.« Er drehte sich wieder zu seinem Tisch um, zögerte dann aber. »Ahm, Sie sind nicht Rachel Morgan, der Runner, oder?«

Auf meiner Schulter kicherte Jenks wieder. »Was sind wir doch für eine kleine Berühmtheit, hm?«

Aber ich strahlte und wandte mich dem Jungen vol zu, während Glenn von einem Fuß auf den anderen trat. Ich wurde nicht oft erkannt - und es war noch seltener, dass jemand nicht davonrannte, wenn er es tat.

»Doch, bin ich«, sagte ich fröhlich und schüttelte enthusiastisch seine Hand. »Schön, Sie kennenzulernen.«

Icemans Hände waren warm und seine Augen verrieten seine Freude. »Super«, sagte er und tänzelte hin und her.

»Warten Sie hier. Ich habe etwas für Sie.«

Glenns Griff um die Bite-me-Betty-Puppe verstärkte sich, bis ihm auffiel, wo seine Finger gerade waren, woraufhin er sie zu dem winzigen Schlüssel verschob. Iceman war zurückgegangen zu seinem Schreibtisch und wühlte in einer Schublade herum.

»Es ist hier«, sagte er. »Nur eine Sekunde.« Jenks begann, die Melodie von Jeopardy zu summen und hörte erst auf, als der Junge triumphierend die Schublade zuschlug.

»Gefunden.« Er joggte zu uns zurück, und ich fühlte, wie mein Gesicht jeden Ausdruck verlor, als ich sah, was er mir so stolz entgegenhielt. Ein Zehenetikett?

Jenks verließ meine Schulter und erschreckte Iceman aus einem ganzen Jahr Wachstum, als er auf meinem Handgelenk landete, um besser sehen zu können. Ich glaubte nicht, dass er überhaupt gewusst hatte, dass Jenks da war. »Da steht dein Name drauf! Sogar in Tinte.« Er hob es lachend in die Luft. »Ist das nicht süß?«, spottete er, aber der Junge war zu aufgeregt, um es zu merken.

Ein Zehenetikett? Ich hielt es lose in der Hand, ein wenig betäubt. »Ahm, danke«, quetschte ich hervor.

Glenn gab ein abschätziges Geräusch von sich. Ich fühlte mich langsam wie die Pointe eines Witzes, als Iceman grinste und erklärte: »Ich habe in der Nacht gearbeitet, als letzte Weihnachten das Boot explodiert ist. Ich habe es für Sie vorbereitet, aber Sie sind nie reingekommen. Ich habe es als Souvenir behalten.« Sein unschuldiges Gesicht wurde plötzlich besorgt. »Ich. . ahm, dachte, Sie hätten es viel eicht gerne.«

Ich entspannte mich, als ich verstand, und steckte das Etikett in meine Tasche. »Ja, danke.« Ich berührte leicht seine Schulter, damit er begriff, dass es in Ordnung war. »Vielen Dank.«

»Können wir jetzt reingehen?«, grummelte Glenn, und Iceman warf mir noch ein betretenes Lächeln zu, bevor er zu seinem Tisch zurückging, so schnel , dass sich sein Laborkittel bauschte. Seufzend hielt der FIB-Detective eine der Türen für mich auf.

Tatsächlich war ich ziemlich froh darüber, das Zehenetikett zu haben. Es war mit der Absicht zur Benutzung hergestel t worden und hatte daher eine starke Verbindung zu mir, die eine Kraftlinienhexe verwenden konnte, um mich ausfindig zu machen. Besser ich hatte es, als jemand anderes. Ich würde es auf sichere Art loswerden, sobald ich Zeit dafür fand.

Hinter der Tür war noch eine zweite, was eine Art Luftschleuse ergab. Der Geruch nach Tod nahm zu, und Jenks landete auf meiner Schulter und stel te sich direkt neben meinen Hals, wo ich vorhin ein wenig Parfüm aufgetragen hatte. »Verbringst du viel Zeit hier unten?«, fragte ich Glenn, als wir den Leichenschauraum betraten.

»Relativ.« Er sah mich nicht an, sondern war interessierter an den Nummern und Indexkarten, die an den personengroßen Türen der Schubfächer befestigt waren. Mir wurde unheimlich zumute. Ich war noch nie im Leichenschauhaus gewesen, und zweifelnd beäugte ich die gemütlichen Stühle, die am Ende des Raumes um einen Tisch herumstanden und aussahen wie aus dem Wartezimmer einer Arztpraxis.

Der Raum war lang und auf jeder Seite des Mittelgangs befanden sich vier Reihen von Schubfächern. Es war nur ein Aufbewahrungs- und Selbstreparierbereich. Keine Autopsien, Nekropsien oder unterstützte Gewebeheilung. Menschen auf der einen Seite, Inderlander auf der anderen, obwohl Ivy mir erzählt hatte, dass sie al e innen noch mal Karten hatten, fal s mal jemand aus Versehen falsch eingeordnet wurde.

Ich folgte Glenn ungefähr bis zur Mitte der Inderlander-Seite und beobachtete, wie er sorgfältig einen Zettel mit der Karte abglich, bevor er die Tür aufschloss und öffnete.

»Kam Montag rein«, sagte er über das Geräusch des schleifenden Metal s hinweg, als die Bahre herausglitt.

»Iceman gefiel die Aufmerksamkeit nicht, die ihr zuteil wurde, also hat er mich angerufen.«

Montag. Wie in gestern? »Vol mond ist erst nächste Woche«, merkte ich an und vermied es, den mit einem Tuch bedeckten Körper anzuschauen. »Ist das nicht ein bisschen früh für einen Werwolf-Selbstmord?«

Ich suchte seine tiefbraunen Augen und las darin trauriges Verständnis. »Das habe ich auch gedacht.«

Ohne zu wissen, was mich erwartete, schaute ich nach unten, als Glenn das Tuch zurückklappte.

»Heilige Scheiße«, rief Jenks. »Mr. Rays Sekretärin?«

Meine Miene verfinsterte sich. Wann war Sekretärin zu einem gefährlichen Job geworden? Auf keinen Fal hatte Vanessa Selbstmord begangen. Sie war keine Alpha, aber sie war ziemlich nah dran.

Glenns Überraschung verwandelte sich in Verständnis.

»Stimmt«, erklang seine tiefe Stimme. »Du hast ja diesen Fisch aus Mr. Rays Büro gestohlen.«

Leichte Irritation machte sich in mir breit. »Ich dachte, ich würde ihn retten. Und es war nicht sein Fisch. David hat gesagt, Mr. Ray hatte ihn zuerst gestohlen.«

Wenn man nach seinen zusammengezogenen Augenbrauen ging schien Glenn zu denken, dass das keinen großen Unterschied machte.

»Sie kam als Wolf rein«, erklärte er mit professionel er Stimme, während seine Augen über die zerkratzten und verletzten Bereiche ihres nackten Körpers glitten. Ein kleines, aber kunstvol es Koi-Tattoo bedeckte in orange und schwarz ein Stück Haut auf ihrer Schulter, ein permanentes Zeichen ihrer Zugehörigkeit zum Ray-Rudel.

»Das Standardvorgehen ist, sie nach dem ersten Überblick zurückzuverwandeln. Es ist einfacher, an einer Person die Todesursache zu finden als an einem Wolf.«

Der Geruch von Tod in einem Kiefernwald setzte mir zu. Es half auch nicht, dass ich auf Notfal reserve lief. Der Kaffee lag mir nicht mehr ruhig im Magen. Und ich kannte das Standardvorgehen, nachdem ich mal kurze Zeit einen Kerl gedated hatte, der die Zauber herstel te, mit denen man die Verwandlung zurück in einen Menschen erzwingen konnte.

Er war ein Spinner, aber er hatte jede Menge Geld - es war kein leichter Job, und niemand wol te ihn.

Jenks war ein kalter Fleck an meinem Hals, und da ich nichts Außergewöhnliches sehen konnte - außer dass sie tot und ihr Arm bis auf den Knochen zerfetzt war -, murmelte ich: »Was sol te ich sehen?«

Glenn nickte und ging zu einem tieferen Schubfach am Ende des Raumes und öffnete es, nachdem er die Beschriftung kontrol iert hatte. »Das ist ein Werwolf-Selbstmord, der letzten Monat reinkam«, sagte er. »Du kannst die Unterschiede sehen. Sie wäre eigentlich schon eingeäschert worden, aber wir wissen nicht, wer sie ist. In derselben Nacht kamen noch zwei Jane Wolfs rein, und sie geben ihnen noch ein wenig Extrazeit.«

»Sie kamen al e zusammen rein?«, fragte ich und ging zu ihm, um zu schauen.

»Nein«, sagte er leise und schaute mitleidig auf die Frau hinunter. »Es gibt keine Verbindung außer der Zeit und dass keine von ihnen im Computer ist. Niemand hat Anspruch auf sie erhoben, und keine passt zu einer Beschreibung einer vermissten Person - amerikaweit.«

Von meiner Schulter erklang Jenks' erstickte Stimme: »Sie riecht nicht wie ein Werwolf. Sie riecht nach Parfüm.«

Ich zuckte zusammen, als Glenn den Reißverschluss am Leichensack öffnete, um mir zu zeigen, dass die gesamte Seite der Frau zerfetzt worden war.

»Selbst zugefügt«, sagte er. »Sie haben Gewebe zwischen ihren Zähnen gefunden. Das ist nicht ungewöhnlich, al erdings gehen sie normalerweise sehr viel weniger brutal vor, öffnen einfach eine Vene und bluten aus. Ein Jogger hat sie in einer Gasse in Cincinnati gefunden. Er hat das Tierheim angerufen.« Die leisen Falten um Glenns Augen vertieften sich verärgert. Er musste nicht dazusagen, dass der Jogger ein Mensch gewesen war.

Jenks war stil , und ich bemühte mich um kühlen Abstand, während ich sie musterte. Sie war groß für einen Werwolf, aber nicht übermäßig. Gute Oberweite, mit schulterlangem Haar, das dort, wo es nicht verfilzt war, in Locken lag.

Hübsch. Keine Tattoos, die ich sehen konnte. Mitte dreißig?

So wie es aussah, hatte sie auf sich geachtet. Ich fragte mich, was so schlimm gewesen war, dass ihre Antwort darin bestanden hatte, al es zu beenden.

Als er sah, dass ich fertig war, öffnete Glenn ein drittes Schubfach. »Die hier wurde von einem Auto angefahren«, sagte er, als er den Reißverschluss öffnete. »Der Beamte hat erkannt, dass sie ein Tiermensch ist, und sie hat es bis ins Krankenhaus geschafft. Sie hatten sie auch schon zurückverwandelt, aber sie ist gestorben.« Seine Stirn runzelte sich, als er ihren zerstörten Körper musterte. »Ihr Herz hat ausgesetzt. Direkt auf dem Tisch.«

Ich zwang meinen Blick nach unten und schreckte vor den Verletzungen und Prel ungen zurück, die der Unfal verursacht hatte. In ihren Venen steckten immer noch Injektionsnadeln, Beweise für den Versuch, ihr Leben zu retten.

Jane Wolf Nummer zwei hatte auch braunes Haar, diesmal länger, aber genauso lockig. Sie sah ungefähr gleich alt aus und hatte dasselbe schmale Kinn. Bis auf einen Kratzer an ihrer Wange war ihr Gesicht unverletzt, und sie wirkte ruhig und gefasst.

Vor ein Auto zu laufen, war nicht ungewöhnlich, das Tiermensch-Äquivalent zum menschlichen Springer. Meistens war es nicht erfolgreich, und sie landeten nur bei einem Arzt, wo sie von Anfang an hätten sein sol en.

Ich folgte Glenn zu einem vierten Schubfach und fand heraus, warum Jenks so stil war, als er würgte und zum Mül eimer flog. »Zug«, sagte Glenn einfach, und in seiner Stimme lag nur Bedauern.

Kaffee und Schlafmangel kämpften in mir, aber ich hatte das Ergebnis eines Dämonengemetzels gesehen, und dagegen war das hier wie friedlich im Schlaf zu sterben. Ich glaubte, Punkte bei Glenn zu gewinnen, als ich sie genau musterte, während ich gleichzeitig versuchte, nicht den Verwesungsgeruch einzuatmen, dessen Entstehung auch die Kühle des Raumes nicht verhindern konnte. Es schien, als wäre Jane Wolf Nummer drei so groß wie die erste Frau und sie hatte auch einen ähnlichen, athletischen Körperbau.

Braunes Haar bis zu den Schultern. Ich konnte nicht mehr sagen, ob sie hübsch gewesen war oder nicht.

Als Glenn mich nicken sah, schloss er den Leichensack wieder und dann auf seinem Weg zurück zu Vanessa auch al e Schubfächer. Als ich ihm folgte, war ich mir nicht völ ig sicher, warum er gewol t hatte, dass ich mir das ansah.

Jenks' Flügel schwirrten leise, als er zurückkehrte, und ich warf ihm ein mitfühlendes Lächeln zu. »Sag Ivy nicht, dass ich zusammengeklappt bin«, bat er, und ich nickte. »Sie riechen al e gleich«, erklärte er dann, und ich fühlte, dass er sich an meinem Ohr festhielt, um das Gleichgewicht zu halten, während er so nah wie möglich an meinem parfümierten Hals stand.

»Ach, Jenks, für mich sehen sie al e gleich aus.« Aber ich ging nicht davon aus, dass er meinen Versuch eines Witzes zu schätzen wusste.

Glenns Schritte verlangsamten sich. Zusammen schauten wir auf Mr. Rays Sekretärin runter. »Diese drei Frauen waren Selbstmorde«, sagte er, »die erste starb an Selbstverstümmelung, wie auch Mr. Rays Sekretärin angeblich gestorben ist. Ich glaube, dass sie umgebracht und erst hinterher so hergerichtet wurde, dass es wirkte wie ein Selbstmord.«

Ich warf ihm einen kurzen Blick zu und fragte mich, ob er Gespenster jagte. Als er meinen Zweifel sah, fuhr er mit der Hand durch sein kurzes, lockiges Haar. »Schau dir das an«, sagte er, lehnte sich über Vanessa und hob eine schlaffe Hand an. »Siehst du?«, fragte er, und seine dunklen Finger, die in scharfem Kontrast zu ihrer hel en Haut standen, zeigten auf eine Stel e an ihrem Handgelenk. »Das sieht aus wie die Male, die durch Fesselung entstehen. Eine weiche Fessel, aber trotzdem eine Fessel. Die Frau, die sie noch ins Krankenhaus bringen konnten, hat keine, und ich weiß, dass sie die festbinden mussten.«

Okay. Jetzt war ich interessiert. Viel eicht hatte Vanessa gerne Sexspielchen gespielt und eines davon war zu weit gegangen? Ich lehnte mich vor und musste zustimmen, dass der leichte rote Ring von einer Fesselung stammen konnte, aber es waren ihre Fingernägel, die meine Aufmerksamkeit fesselten. Sie waren professionel manikürt gewesen, aber die Spitzen waren rau und abgesplittert. Eine Frau, die über Selbstmord nachdenkt, zahlt nicht Unmengen Geld, um sich die Nägel machen zu lassen, nur um sie dann zu zerstören, bevor sie sich aus dem Leben schafft. »Wo wurde sie gefunden?«

Glenn hörte das Interesse in meiner Stimme und zeigte ein kurzes Grinsen, das schnel wieder verschwand. »Unter einem Dock in den Hol ows. Die Teilnehmer einer Gruppenreise haben sie entdeckt, bevor sie kalt war.«

Weil er nicht außen vor sein wol te, flog Jenks von meiner Schulter auf, um über ihr zu schweben. »Sie riecht wie ein Tiermensch«, verkündete er. »Und Fisch. Und Desinfektionsmittel.«

Glenn zog das Tuch, mit dem sie - im Gegensatz zu den anderen - bedeckt war, ganz herunter. »An ihren Knöcheln sind auch Fesselmale.«

Ich runzelte die Stirn. »Also hat sie jemand gegen ihren Wil en festgehalten und dann umgebracht?«

Jenks' Flügel klapperten. »In ihren Zähnen hängt ein Stückchen Klebeband.«

Die Luft, die Glenn geholt hatte, um mir zu antworten, schoss explosionsartig aus ihm heraus. »Du machst Witze!«

Adrenalin floss in meine Blutbahn, und als ich mich vorbeugte, um genau zu schauen, fühlte ich mich schwindelig. »Ich bin für so was nicht ausgebildet«, erklärte ich, als Glenn eine kleine Lampe aus seiner Tasche zog und mir bedeutete, ihren Mund offen zu halten. Vorsichtig nahm ich ihren Kiefer in die Hand. »Ich werde kein Messer nehmen und anfangen herumzugraben.«

»Gut.« Er richtete das Licht auf ihre Zähne. »Dafür habe ich auch keine Berechtigung.«

Das Quietschen der Türen ließ mich ruckartig den Kopf heben. Jenks fluchte, als ich Vanessa Kinn so abrupt losließ, dass die Bewegung meines Armes ihn fast traf. Anspannung kippte einen Moment in Furcht um, als ich Denon sah, meinen alten Boss von der I.S., wie er in der Mitte des Raumes stand, als wäre er der König der Toten.

»Das ist eine Inderlander-Angelegenheit. Sie haben nicht das Recht, sie auch nur anzuschauen«, erklärte er, und seine honigsanfte Stimme lief meine Wirbelsäule herunter wie Wasser über Steine.

Verdammt und zur Höl e, dachte ich und unterdrückte meine Angst. Er war nicht mehr mein Boss. Er war überhaupt nichts. Aber ich war zu tief unter der Erde, um eine Linie anzuzapfen, und das gefiel mir nicht.

Der niedrigkastige lebende Vampir lächelte und zeigte dabei seine menschlichen Zähne, die vor seiner mahagoni-farbenen Haut erstaunlich weiß erschienen. Iceman stand mit einem zweiten lebenden Vampir hinter ihm, der einer höheren Kaste angehörte, wenn man nach seinen kleinen, aber scharfen Reißzähnen ging. Der Geruch von Burgern und Pommes war mit ihnen in den Raum geweht. Es sah aus, als hätten Glenns fünfzig Dol ar ihm weniger Zeit erkauft, als er gehofft hatte.

Jenks erhob sich mit einem Surren. »Schau mal, was die Katze reingeschleppt und ausgespuckt hat«, knurrte er. »Es riecht, als wäre es mal etwas gewesen, aber ich kann nicht sagen, was, Rache. Schimmlige Rattenköttel viel eicht?«

Denon ignorierte ihn, so wie er jeden ignorierte, den er seiner Aufmerksamkeit nicht für würdig erachtete. Aber ich sah, dass sein Auge leicht zuckte, während er lächelnd dort stand und versuchte, mich mit seiner schieren Gegenwart zu beeindrucken.

Glenn machte die Taschenlampe aus und steckte sie weg.

Sein Gesicht zeigte keine Reue. Denon war niemand, vor dem man Angst haben musste. Nicht dass er es je gewesen wäre, aber jetzt ganz sicher nicht mehr. Er war aber wahrscheinlich der Grund, warum ich meinen Führerschein verloren hatte, und das machte mich sauer.

Der große, muskulöse Mann kam in einem routinierten Schlendern auf uns zu. Technisch betrachtet war er ein Ghoul, eine unhöfliche Bezeichnung für einen Menschen, der von einem Untoten gebissen und absichtlich mit genug Vampirvirus infiziert worden war, um ihn teilweise zu verwandeln. Aber während hochkastige lebende Vampire wie Ivy in ihren Status geboren und darum beneidet wurden, dass sie Teile der Kraft eines Untoten hatten, ohne deswegen die Nachteile zu haben, war ein niedrigkastiger Vampir kaum mehr als eine Blutquel e, während er versuchte, sich bei demjenigen anzubiedern, der ihm Unsterblichkeit versprochen hatte.

Denon arbeitete sicherlich hart, um seine menschliche Stärke zu verbessern, und obwohl sein Bizeps fast sein Polohemd sprengte und seine Schenkel vor aufgepumpten Muskeln nur so strotzten, war er doch immer schwächer als seine Brüder und würde es immer sein, bis er starb und wirklich untot wurde. Und das hing davon ab, ob sein

»Sponsor« sich daran erinnerte und/oder es die Mühe wert fand, den Job zu Ende zu bringen. Und nachdem man Denon die Schuld dafür gegeben hatte, dass Ivy zusammen mit mir gegangen war, standen die Chancen schlecht.

Sein Meister hatte es ignoriert, und Denon wusste es. Das machte ihn unberechenbar und gefährlich, da er versuchte, sich wieder bei seinem Meister einzuschmeicheln. Al ein der Fakt, dass er die Morgenschicht arbeitete, sprach schon Bände.

Obwohl er immer noch gut aussehend war, hatte er das alterslose Aussehen von jemandem, der das Blut der Untoten trinkt, verloren. Es war al erdings wahrscheinlich, dass sie immer noch seines tranken. Früher hatte er ein ganzes Stockwerk vol er Runner unter sich gehabt, aber jetzt sah ich ihn seit meinem Weggang schon zum zweiten Mal auf der Straße arbeiten.

»Wie geht es dem Auto, Morgan?«, spottete er mit seiner wunderschönen Stimme, und ich verspannte mich.

»Prima.« Wut besiegte meine Müdigkeit und ließ mich dämlich werden. Die zwei Techniker glitten leise aus dem Raum. Ich konnte eine leise Unterhaltung und das Klappern einer Bahre hören.

Denons Augen hoben sich von der toten Sekretärin.

»Wol test du dir dein Werk anschauen?«, höhnte er, und Jenks erleuchtete den Raum mit einem Ausbruch von Pixiestaub.

»Geh weg von der Leiche, Jenks«, murmelte ich und trat hinter dem Schubfach hervor, um mir Bewegungsfreiheit zu verschaffen. »Du staubst al es vol .«

Denon grinste verschlagen und versteckte dabei seine menschlichen Zähne, was auch besser war, weil sie ein Witz waren. Ich stemmte die Hände in die Hüften und warf mein Haar nach hinten.

»Wil st du damit etwa sagen, es ist kein Selbstmord?«, stichelte ich, weil ich die Möglichkeit sah, ihn zu ärgern.

»Denn wenn du sagst, dass ich für den Mord an ihr verantwortlich bin, werde ich deinen kleinen braunen Knackarsch von hier bis zum nächsten Wandel verklagen.«

»Die Beweise sprechen für sich selbst.« Denon trat vor, um Glenn und Jenks nach hinten zu drängen. »Ich gebe sie frei, damit ihre Verwandtschaft sie einäschern lassen kann.

Bewegen Sie sich.«

Verdammt bis zum Wandel, in ein paar Stunden wäre al es weg. Sogar die Dokumente und Computerdateien.

Deswegen machte er das zu einer solch verrückten Uhrzeit.

Bis al e in der Arbeit waren, wäre es zu spät. Ich verengte bewusst meine Augen und zwang mich zu einem Lachen. Es war bitter, und mir gefiel das Geräusch nicht besonders. »Ist es das, was du jetzt machst?«, spottete ich. »Bist du zum Papiertiger degradiert worden?«

Denons Augen versuchten, zu schwarz zu wechseln. Es war dämlich, ihn so auf die Palme zu bringen, aber ich fühlte den Schlafmangel jetzt deutlich, und ich hatte ja Glenn neben mir. Was sol te Denon schon tun?

Das Klappern einer Krankenbahre zerstörte die Spannung, und Denon stolzierte nach vorne in dem Versuch, Glenn durch seine Gegenwart zu verdrängen. Glenn bewegte sich kein Stück.

»Sie können sie nicht haben«, sagte der FIB-Detective und legte eine besitzergreifende Hand auf das Schubfach. »Das hier ist inzwischen eine Mordermittlung.«

Denon lachte, aber die zwei Kerle mit der Bahre zögerten und tauschten wissende Blicke. »Es ist als Selbstmord eingestuft worden. Sie haben keine Kompetenzen. Die Leiche gehört mir.«

Dreck. Wir hatten noch nichts, und wenn wir es nicht fänden, würden wir aussehen wie Narren.

»Bis festgestel t wurde, dass es kein Mensch war, der sie umgebracht hat, habe ich al e Kompetenzen, die ich brauche«, erklärte Glenn. »Sie hat Fesselungsmale an ihren Handgelenken. Sie wurde gegen ihren Wil en festgehalten.«

»Indizien.« Denons braune Finger streckten sich nach dem Griff des Schubfachs. Glenn trat nicht zurück, und die Spannung stieg an, bis Jenks' Flügel ein hohes Kreischen von sich gaben.

Ich wühlte in meiner Tasche herum und zog mein Handy heraus. Nicht dass ich hier unten tatsächlich Empfang gehabt hätte. »Wir können in vier Stunden einen Gerichtsbeschluss kriegen. Dein Enthusiasmus dafür, Beweise zu zerstören, wird darauf erwähnt sein. Wil st du sie immer noch freigeben?«

Jenks landete auf meiner Schulter. »Du kannst so schnel keinen Gerichtsbeschluss bekommen«, flüsterte er, und mir brach der kalte Schweiß aus. Yeah, ich wusste, dass es einen Tag dauern würde, fal s wir überhaupt einen bekämen, aber ich konnte Denon hier nicht einfach mit der Leiche rausspazieren lassen.

Denon hatte die Zähne zusammengebissen.

»Fesselungsmale bedeuten einen Dreck.«

Jenks flog vor ihn und schwebte so über Vanessa. »Was ist mit Einstichstel en?«, fragte er.

»Wo?«, brach es aus mir hervor, und ich ging durch den Raum, um zu schauen. »Ich sehe sie nicht.«

Der kleine Pixie grinste selbstgefäl ig. »Weil sie klein sind.

Pixiegroße Nadeln. Wie fiberoptische. Man kann die Schwel ung auf der verletzten Haut sehen. Wer auch immer sie unter Drogen gesetzt hat, hat versucht, es zu verstecken, indem er ihr den Arm aufgerissen hat, als ob es Selbstmord gewesen wäre. Aber sie sind da. Ihr braucht ein Mikroskop, um sie zu sehen.«

Ein grimmiges Lächeln legte sich auf Glenns Lippen, und gemeinsam drehten wir uns zu Denon um. Das Wort eines Pixies hatte vor Gericht überhaupt keine Bedeutung, aber wissentlich Beweise zu zerstören wäre übel. Der Vampir sah wütend aus. Gut. Ich wäre wirklich stinkig geworden, wenn ich die einzige mit einem Drecksmorgen gewesen wäre.

»Lassen Sie den Arm anschauen«, erklärte er abrupt, und seine Muskeln verspannten sich. »Ich wil den Bericht, bevor die Tinte trocken ist.«

Oh Gott, dachte ich und rol te mit den Augen. Hätte er nicht ein noch abgegriffeneres Bild finden können?

Glenn schloss das Schubfach und verschloss es, bevor er Iceman den Schlüssel gab. Jenks schwebte neben mir, und ich sagte nichts, sondern lächelte nur, weil ich wusste, dass wir im Recht waren und Denon im Unrecht. Die I.S. würde nach dieser Geschichte dastehen wie die Idioten.

Aber völ ig überraschend lachte Denon leise. »Wenn du weiterhin jeden gegen dich aufbringst, Morgan, kriegst du schon bald nur noch Aufträge von obdachlosen Brückentrol en und Praktizierenden der schwarzen Künste.

Du bist dafür verantwortlich, dass sie gestorben ist. Niemand anders.«

Mein Gesicht wurde bleich, und Jenks ließ seine Flügel aggressiv schnalzen. Nicht nur wusste Denon, dass sie ermordet worden war, und versuchte es zu vertuschen, sondern er gab mir die Schuld dafür. »Du Hurensohn«, kochte Jenks, und ich bewegte meine Finger, um ihm zu bedeuten, dass er sich raushalten sol te. Ich konnte keinen Pixie fangen, aber ein wütender Vampir konnte es viel eicht.

Mit einem wunderschönen Lächeln drehte sich Denon um, mit derselben Selbstzufriedenheit und Machtgier wie zu dem Zeitpunkt, als er den Raum betreten hatte. Jenks war ein unscharfer Fleck aus Wut und Flügeln. »Hör nicht auf ihn, Rachel. Das war nicht dein Fehler. Kann es gar nicht sein.«

Ich schaute auf das Schubfach mit der Leiche. Bitte, lieber Gott. Lass es nichts mit mir zu tun haben.

»Ja, ich weiß«, sagte ich und konnte nur hoffen, dass er Recht hatte. Meine einzige Verbindung zu ihr war dieser Fisch, und die Aktion war abgeschlossen gewesen. Sie war Mr. Rays Sekretärin gewesen und hatte damit überhaupt nichts zu tun gehabt. Und außerdem hatte der Fisch eigentlich niemals Mr. Ray gehört.

Glenn legte mir eine beruhigende Hand auf die Schulter, und wir gingen langsam zu den Doppeltüren, um Denon genug Zeit zu lassen, um zu verschwinden. Im Empfangsraum waren nur Iceman und das Echo einer sich entfernenden Unterhaltung im Gang. Ich wartete, während Glenn ein paar Worte mit dem Pfleger wechselte und ihm versprach, für den Papierkram zurückzukommen, sobald er mich nach Hause gebracht hatte. Vanessas Körper würde nicht freigegeben werden, bis Mord ausgeschlossen worden war, aber ich fand in dem Gedanken keine Befriedigung. Die I.S. wäre wirklich stinkig, weil ich eine ihrer Vertuschungsaktionen gesprengt hatte. Supi.

Ich zog meine Tasche höher auf die Schulter, winkte dem unruhigen Iceman kurz zu und verließ mit Glenn den Raum.

Jenks war stil . Glenn trug in einer Hand meinen Kaffee und hielt mit der anderen meinen El bogen. Meine Gedanken waren bei Vanessa, während ich mich geistesabwesend von ihm in die höheren Stockwerke des Gebäudes und in die Sonne führen ließ. Ich sagte auf dem gesamten Heimweg kein Wort, und die Unterhaltung zwischen Glenn und Jenks ließ auch zu wünschen übrig. Ich hatte das Gefühl, aus ihrem Schweigen eine Art Zustimmung herauszuhören, dass ich viel eicht doch auf irgendeine Art für den Tod der Frau verantwortlich war. Aber das konnte nicht sein. Ich konnte nichts damit zu tun haben.

Ich schaute nicht vom Armaturenbrett hoch, bis ich den beruhigenden Schatten meiner Straße fühlte. Jenks murmelte etwas und glitt aus dem offenen Fenster, noch bevor Glenn das Auto angehalten hatte. Erst dann schaute ich auf und stel te fest, dass der dunstige Morgen gerade in die Tageszeit überging, zu der ich normalerweise aufstand.

»Danke, dass du mitgekommen bist«, sagte Glenn. Ich drehte mich zu ihm um und war überrascht über die offensichtliche Erleichterung in seinen Augen. »Officer Denon verursacht mir Gänsehaut«, fügte er hinzu, was mir ein Lächeln entlockte.

»Er ist ein Schwächling«, erklärte ich und zog meine Tasche auf meinen Schoß.

Glenn zog die Augenbrauen hoch. »Wenn du es sagst.

Zumindest wird jetzt Vanessas Leiche nicht vernichtet. Und jetzt habe ich Zugang zu al en Akten, die ich einsehen wil , bis klargestel t ist, dass nicht ein Mensch etwas damit zu tun hatte. Ich glaube, von jetzt an kann ich al eine weitermachen.«

Ich schnaubte. »Warum haben Sie mich dann mitgenommen, Mr. FIB-Agent?«

Er grinste breit und zeigte dabei seine Zähne. »Jenks hat die Einstichstel en gefunden, und du hast Denon abgelenkt und ihn dazu gebracht, nachzugeben. Ein Gerichtsbeschluss?«, fragte er lachend. Ich zuckte mit den Schultern, und Glenn fügte hinzu: »Er hat Angst vor dir, weißt du das?«

»Vor mir? Das glaube ich nicht.« Ich tastete nach dem Türöffner. Scheiße, war ich müde. »Ich schicke dir trotzdem eine Rechnung«, sagte ich und schaute auf die Uhr im Auto.

»Ahm, Rachel«, sagte Glenn, bevor ich aussteigen konnte.

»Ich habe noch einen Grund, warum ich vorbeigekommen bin.«

Ich zögerte. Glenn griff mit einem unglücklichen Gesichtsausdruck unter den Sitz und gab mir eine dicke Akte, die von einem Gummiband zugehalten wurde.

»Was ist das?«, fragte ich, und er bedeutete mir, die Akte zu öffnen. Ich legte sie auf meinen Schoß, zog das Gummiband ab und blätterte durch die Dokumente. Es waren überwiegend Kopien von Zeitungsausschnitten und Berichten von FIB und LS., die sich mit Diebstählen in ganz Nordamerika und ein paar in Übersee wie England oder Deutschland befassten: seltene Bücher, magische Artefakte, Schmuck von historischer Bedeutung. . Ich fühlte, wie mir trotz der Julihitze kalt wurde, als mir klar wurde, dass es sich um Nicks Akte handelte.

»Ruf mich an, fal s er sich bei dir meldet«, bat Glenn angespannt. Es gefiel ihm nicht, mich darum zu bitten, aber er tat es.

Ich schluckte und war unfähig, ihn anzusehen. »Er ist von der Mackinac-Brücke gefal en«, sagte ich und fühlte mich irgendwie unwirklich. »Du glaubst, dass er das überlebt hat?«

Ich wusste, dass er das hatte. Er hatte mich angerufen, als ihm auffiel, dass er die Fälschung des Artefakts von mir geklaut hatte und ich das richtige noch hatte.

Ein beklemmender Druck legte sich auf meine Brust und schnürte mir die Luft ab. Scheiße. Danach hat Newt gesucht.

Dreck, Dreck, Dreck - ist Vanessa deswegen ermordet worden?

Die I.S. wusste, dass ich den Fokus einmal besessen hatte, aber sie und jeder andere glaubte, dass er mit Nick Sparagmos von der Brücke gefal en war. Wusste jemand, dass er noch existierte, und tötete jetzt Werwölfe, um herauszufinden, wer ihn hatte? Oh Gott. David.

»Ich wil diesen Kerl, Rachel«, erklärte Glenn und riss mich damit zurück ins Hier und Jetzt. »Ich weiß, dass es Nick ist.«

Ich fühlte mich, als wäre ich in Watte gepackt, und ich wusste, dass ich meine Augen zu weit aufgerissen hatte, als ich mich zu ihm umdrehte. »Ich habe geahnt, dass er ein Dieb ist. Ich wusste es nicht sicher, bis er weg war. Ich wol te es nicht glauben«, erklärte ich.

In seinen Augen lag sanftes Mitleid. »Ich weiß, dass du es nicht wusstest.«

Mein Puls beschleunigte sich und ich keuchte. Glenn berührte meine Schulter. Wahrscheinlich dachte er, es wäre der Schock, dass ich jetzt sicher wusste, dass Nick ein Dieb war, der meine Hände zittern ließ, nicht der Fakt, dass ich jetzt wusste, was Newt wol te und warum Vanessa umgebracht worden war.

Verdammt, sie war unter Drogen gesetzt und dann getötet worden, weil sie nichts darüber gewusst hatte. Glenn etwas zu sagen, würde nichts helfen. Das war eine Inderlander-Sache, und er würde sich nur umbringen lassen. Ich musste David anrufen. Den Fokus zurückholen, bevor Newt ihn zu ihm zurückverfolgen konnte. Er konnte keinen Dämon bekämpfen.

Als ob ich es könnte?

Ich streckte die Hand nach dem Türgriff aus, während in meinem Kopf die Gedanken rasten. »Danke fürs Mitnehmen, Glenn«, sagte ich, meine Manieren auf Autopilot.

»Hey, hey, hey«, protestierte er und legte mir eine dunkle Hand auf den Arm. »Bei dir al es in Ordnung?«

Ich zwang mich dazu, seinen Blick zu erwidern. »Ja, mir geht's gut«, log ich. »Das hat mich ein wenig aus der Bahn geworfen, das ist al es.«

Seine Hand glitt von meinem Arm. Ich legte die Akte auf den Sitz zwischen uns und stieg unsicher aus. Meine Augen schossen zu dem Haus, in dem Ceri lebte. Sie schlief wahrscheinlich, aber sobald sie aufwachte, würde ich mit ihr reden.

»Rachel. .«

Viel eicht kannte sie einen Weg, den Fokus zu zerstören.

»Rachel?«

Seufzend lehnte ich mich wieder ins Auto. Glenn hielt mir die Akte entgegen, seine Muskeln angespannt, weil sie so schwer war. »Behalt sie«, sagte er, und als ich protestieren wol te, fügte er hinzu: »Es sind Kopien. Du sol test wissen, was er getan hat. . in jedem Fal .«

Zögernd nahm ich sie und fühlte, wie ihr Gewicht mich nach unten zog. »Danke«, sagte ich, obwohl es mir egal war.

Ich schlug die Tür zu und hielt auf die Kirche zu.

»Rachel!«, rief er. Ich blieb stehen und drehte mich um.

»Die Namensschilder?«

Oh, stimmt. Ich ging zurück, legte die Akte auf das Autodach, nahm die Schilder ab und reichte sie ihm durch das offene Fenster.

»Versprich mir, dass du nicht Auto fährst, bis du deinen Kurs besucht hast«, sagte er zum Abschied.

»Sicher«, murmelte ich, nahm die Akte und ging. Es war rausgekommen. Die Welt wusste, dass der Fokus nicht verloren gegangen war, und sobald jemand kapierte, dass ich ihn immer noch hatte, würde ich so richtig tief in der Scheiße sitzen.

5

Der heiße Morgen hatte sich in Regen aufgelöst, als ich wieder aufgestanden war, und es fühlte sich seltsam an, so kurz vor Sonnenuntergang aufzustehen. Ich war schlecht gelaunt ins Bett gegangen und auch mit derselben Laune aufgewacht, nachdem ich um vier Uhr von Skimmer wach geklingelt worden war.

Ich war mir sicher, dass Ivy so schnel wie möglich geöffnet hatte, aber es war einfach zu viel Mühe, wieder einzuschlafen. Außerdem kam Ceri heute Abend vorbei, und sie würde mich nicht noch mal in meiner Unterwäsche antreffen.

Mein Arm tat weh, als ich in meinen kurzen Hosen und dem engen Oberteil an der Spüle stand und den kupfernen Teekessel putzte. Ceris unausgesprochener Ekel vor meinem Kessel hatte mich dazu bewogen, ihn sauberzumachen. Sie würde mir dabei helfen, einen weiteren Anrufungskreis zu zeichnen. Viel eicht diesmal in Kreide, damit es nicht so eklig war. Ich begann langsam, mich auf Minias' Besuch zu freuen.

Er würde viel eicht im Austausch dafür, dass ich Newt für ihn gefunden hatte, den Fokus zerstören. Und nachdem ich Ceri dabei beobachtet hatte, wie sie mit AI verhandelte, wol te ich ihre Hilfe mit Minias. Diese Frau war spitzfindiger in ihren Formulierungen als Trent.

Ich hatte noch vor dem Einschlafen David angerufen und eine hitzige Diskussion mit ihm geführt, welche die gesamte Kirche auch noch vom letzten Pixie befreit hatte.

Letztendlich hatte er mir einfach mitgeteilt, dass der Mörder den Fokus entweder schon bis zu ihm verfolgt hatte, oder er es, wenn nicht, auch nicht mehr tun würde - und dass es nur Aufmerksamkeit auf ihn ziehen würde, wenn er den Fokus jetzt aus seinem Gefrierfach entfernte, wo er inzwischen untergekommen war. Ich war nicht überzeugt, aber wenn er ihn mir nicht bringen wol te, würde ich ihn eben holen müssen. Was bedeutete, dass ich ihn entweder im Bus oder auf dem Sozius von Ivys Motorrad befördern müsste. Keins von beidem war eine gute Idee.

Ich blies eine rote Strähne aus dem Weg, spülte den Kessel ab, trocknete ihn und stel te ihn auf die hintere Herdplatte. Er glänzte nicht gerade, aber es war besser. Der widerliche Geruch von Poliermittel hing erdrückend in der Luft. Da es aufgehört hatte, zu regnen, schob ich mit zwei klebrigen Fingern das Fenster auf.

Kühle, feuchte Luft drang in den Raum, und ich schaute in den dunklen, nassen Garten hinaus, während ich mir die Hände wusch. Dann runzelte ich die Stirn, als ich meine Nägel sah - der Lack war ruiniert, und grünes Zeug klebte unter den Nägeln. Dreck. Ich hatte sie gerade erst gemacht.

Seufzend legte ich das Küchentuch beiseite und ging zur Vorratskammer. Ich war am Verhungern, und wenn ich nichts aß, bevor Ceri hier ankam, sähe ich aus wie ein Schwein, wenn ich die gesamte Tüte Cookies für den Abend al ein in mich hineinstopfte. Ich stand in der Kammer und starrte auf die Dosen mit Früchten, Flaschen mit Ketchup und die Kuchenmischungen in ihren ordentlichen Reihen, in die Ivy unsere Einkäufe ordnete. Sie würde sie wahrscheinlich sogar beschriften, wenn ich es zulassen würde. Ich griff nach den Makkaroni und einer Tüte mit Soßenpulver - schnel , einfach, viele Kohlehydrate. Genau das, was der Doktor verschrieben hat.

Aus dem Altarraum erklang ein dumpfer Schlag, gefolgt von einem Lachen, was mich daran erinnerte, dass ich nicht al ein war. Ivy hatte ihre alte Highschool-Zimmergenossin, Skimmer, dazu bewegt, mit ihr die Wohnzimmereinrichtung in den Altarraum zu schaffen, teilweise um den »Drei Kerlen mit dem Werkzeug« Platz für die Verkleidungsarbeiten zu schaffen, teilweise aber auch um einen gewissen Abstand zwischen Skimmer und mich zu bringen.

Obwohl Skimmer frustrierend nett war, war sie gleichzeitig auch Piscarys Anwältin - als ob es noch nicht Furcht erregend genug war, dass sie ein lebender Vampir war -, und ich war nicht wirklich scharf drauf, auch nett zu ihr zu sein.

Ich ließ den Soßentopf auf den Herd fal en und wühlte unter der Arbeitsfläche herum, bis mir wieder einfiel, dass Jenks' Kinder den großen Topf im Garten als Fort benutzten.

Genervt fül te ich meinen größten Zaubertopf mit Wasser und stel te ihn auf den Herd. Essenszubereitung mit Zaubervorbereitungen zu mischen, war keine gute Idee, aber diesen hier verwendete ich nicht mehr für Zauber - jetzt, wo er eine Dul e hatte, die genau der Größe von Ivys Kopf entsprach.

Ich schmolz die Butter für die Soße, während das Wasser sich erhitzte. Aus dem Altarraum ertönte plötzlich Musik, und meine Schultern entspannten sich, als ich eines von NIN's angriffslustigen Liedern erkannte.

Die Lautstärke wurde heruntergedreht, und Skimmers fröhliche Stimme bildete ein schönes Gegenstück zu Ivys leisen Antworten. Mir fiel auf, dass auch wenn sie ein lebender Vampir war, Skimmer in einigen Punkten eher mir ähnelte: sie lachte schnel und ließ nicht zu, dass man ihr anmerkte, wenn etwas sie herunterzog - eine Eigenschaft, die Ivy anscheinend brauchte, um sich selbst auszugleichen.

Skimmer war jetzt seit gut sechs Monaten in Cincinnati. Sie kam aus einer wohlwol enden kalifornischen Vampir-Camaril a und sol te Piscary aus dem Gefängnis holen.

Sie und Ivy hatten sich in den letzten zwei Highschool-Jahren an der Westküste getroffen, wo sie sowohl Blut als auch ihre Körper geteilt hatten, und das, nicht Piscary, war es, was Skimmer von ihrem Meistervampir und ihrer Familie fortgezogen hatte. Ich war ihr letztes Jahr zum ersten Mal begegnet, als sie unsere Bekanntschaft so richtig auf dem falschen Fuß angefangen hatte, weil sie mich für Ivys Schatten gehalten und sich - wie es höflich war -

zuvorkommend um mein Blut beworben hatte.

Die Bewegungen, mit denen ich die Butter im Topf herumschob, wurden langsamer, und ich zwang meine Hand von meinem Hals. Mir gefiel nicht, dass ich versucht hatte, die Narbe zu verdecken, die dort unter meiner perfekten Haut lag. Das Verlangen, das diese Frau mir geweckt hatte, war berauschend und schockierend und wurde nur übertroffen von ihrer Verlegenheit, dass sie die Beziehung missverstanden hatte, die Ivy und mich verband.

Zur Höl e, selbst ich verstand es nicht ganz. Von Skimmer in den ersten dreißig Sekunden Verständnis zu erwarten, war lächerlich.

Ich wusste, dass Ivy und Skimmer da weitergemacht hatten, wo sie aufgehört hatten, was meiner Meinung nach der Grund war, warum Piscary zugestimmt hatte, Skimmer in seine eigene Camaril a aufzunehmen, sol te es dem hübschen Vampir gelingen, den Fal zu gewinnen.

Und während ich Butter, Milch und Soßenpulver zusammenmischte, fragte ich mich, ob Piscary seine Nachsicht inzwischen bereute, mit der er Ivy erlaubt hatte, mit mir eine Freundschaft zu führen, die nicht auf Blut, sondern auf Respekt beruhte. Wahrscheinlich erwartete er von Skimmer, dass sie Ivy wieder in die richtige vampirische Geisteshaltung versetzte.

Es war al erdings in den letzten Monaten um einiges leichter gewesen, mit Ivy zu leben, jetzt, wo sie ihren Blutdurst mit jemandem befriedigen konnte, den sie liebte und der ihre Aufmerksamkeit auch überleben konnte. Sie war glücklich.