Ivy setzte sich auf die Arbeitsfläche neben meine Vierzig-Liter-Wanne mit Salzwasser und schlang die Arme um die Knie. Es gelang ihr, auch in dieser Haltung wie ein Raubtier auszusehen, während sie ihren Kaffee trank und dabei zusah, wie Kisten mit meinen Gefühlen spielte.

Kisten warf ihr einen Blick zu, der wirkte, als wol e er um Erlaubnis fragen, und ich runzelte die Stirn. Dann stand er mit einem leisen Rascheln von Stoff auf und lehnte sich mir gegenüber auf die Arbeitsfläche. Seine Kette war ins Schwingen geraten und zog meine Aufmerksamkeit auf seinen Hals, der vol er matter, kaum sichtbarer Narben war.

»Ich mag Actionfilme«, sagte er schließlich, und mein Atem ging plötzlich schnel er. Unter dem trockenen Geruch von Seide konnte ich immer noch Leder an ihm riechen.

»Und?«, erwiderte ich angriffslustig, sauer darüber, dass Ivy ihm wahrscheinlich von Nick erzählt hatte und von meinen Wochenenden vor dem Actionkanal im Fernsehen.

»Und somit kann ich dich zum Lachen bringen.«

Ich blätterte zum fleckenübersätesten Rezept in dem Buch, das ich meiner Mutter geklaut hatte, weil ich wusste, dass es das Rezept für Zuckercookies war. »Das kann Bozo der Clown auch, aber ich würde trotzdem nicht mit ihm ausgehen.«

Ivy leckte sich den Finger und machte ein Häkchen in die Luft - eins zu nul für mich. s

Kisten lächelte mit der Andeutung eines Fangzahns und lehnte sich wie von einem Schlag getroffen zurück. »Lass mich dich ausführen«, sagte er. »Ein platonisches erstes Date, um dir zu beweisen, dass Nick nichts Besonderes war.«

»Oh bitte«, spottete ich mit einem gekünstelten Lächeln und konnte kaum glauben, dass er so tief sank.

Mit einem Grinsen verwandelte sich Kisten in den verwöhnten reichen Jungen. »Wenn du dich amüsierst, dann musst zu zugeben, dass er nichts Besonderes war.«

Ich ging in die Hocke, um das Mehl zu holen.

»Nein«, sagte ich, als ich mich wieder aufrichtete und es schwungvol auf dem Tresen abstel te.

Ein verletzter Ausdruck huschte über sein attraktives Gesicht. Er war nur gespielt, aber trotzdem sehr effektiv.

»Warum nicht?«

Ich warf einen Blick zu Ivy, die uns immer noch schweigend beobachtete. »Du hast Geld. Jeder kann dafür sorgen, dass ein Mädchen sich amüsiert, wenn er nur genug Geld ausgibt.«

Ivy malte noch einen Haken in die Luft. »Zwei zu nul «, verkündete sie, und Kistens Miene verfinsterte sich.

»Nick war ein Pfennigfuchser, hm?«, behauptete Kisten in dem vergeblichen Versuch, seine Wut zu verstecken.

»Pass auf, was du sagst«, schoss ich zurück.

»Ja, Miss Morgan.«

Die Unterwürfigkeit in seiner Stimme katapultierte meine Gedanken zurück in den Aufzug. Ivy hatte mir mal erzählt, dass Kisten einen Kick davon bekam, devot zu sein. Ich hatte al erdings herausgefunden, dass ein devoter Vampir für die meisten Leute immer noch zu aggressiv war. Aber ich war nicht die meisten Leute. Ich war eine Hexe.

Ich sah ihm prüfend in die Augen und stel te fest, dass sie ein gleichmäßig klares Blau zeigten. Anders als Ivy gab Kisten seinem Blutdurst ungehemmt nach, sodass der Hunger nicht der al es bestimmende Faktor in seinem Leben war.

»Einhundertfünfundsiebzig Dol ar?«, bot er an, und ich beugte mich über den Zucker.

Der Mann dachte, ein günstiges Date kostete fast zweihundert Dol ar?

»Hundert?«, versuchte er es weiter. Ich sah ihn an und merkte, dass er wirklich überrascht war.

»Unser durchschnittliches Date lag bei sechzig«, sagte ich.

»Verdammt«, fluchte er und zögerte dann. »Ich darf verdammt sagen, oder?«

»Zur Höl e, ja.«

Ivy kicherte. Kistens Brauen zogen sich zusammen, und es sah aus, als wäre er wirklich besorgt.

»Okay«, sagte er, tief in Gedanken. »Ein Sechzig-Dol ar-Date.«

Ich warf ihm einen vielsagenden Blick zu. »Ich habe noch nicht Ja gesagt.«

Er atmete langsam und tief ein, um meine Stimmung aus der Luft zu schmecken. »Du hast aber auch noch nicht Nein gesagt.«

»Nein.«

Er fiel theatralisch in sich zusammen und brachte mich damit gegen meinen Wil en zum Lächeln. »Ich werde dich nicht beißen«, protestierte er mit einem schelmisch unschuldigen Ausdruck in den blauen Augen.

Ich zog meinen größten kupfernen Zauberkessel unter der Arbeitsfläche hervor, um ihn als Rührschüssel zu verwenden.

Für Zauber war er mir nicht mehr sicher genug, da er eine Del e abbekommen hatte, als Nick ihn auf Ivys Kopf geschlagen hatte. Die handflächengroße Splat Gun, die ich in dem Kessel aufbewahrte, schlug mit einem beruhigenden Geräusch gegen das Metal . Ich nahm die Pistole heraus und verstaute sie wieder in Knöchelhöhe unter der Arbeitsfläche.

»Und ich sol dir glauben, weil. .«

Kistens Augen schossen kurz zu Ivy. ». .sie mich zweimal tötet, wenn ich dich beiße.«

Ich holte Eier, Milch und Butter aus dem Kühlschrank und hoffte, dass keiner von beiden merkte, wie mein Puls sich beschleunigte. Aber ich wusste, dass die Versuchung nicht in den Vamp-Pheromonen lag, welche die beiden unbewusst verbreiteten. Ich vermisste es, begehrt zu werden, gebraucht zu werden. Und Kisten hatte einen Doktortitel im Umwerben von Frauen, selbst wenn seine Motive einseitig und falsch waren. Wie es aussah, nahm er sich ab und zu unverfänglich Blut wie andere Männer Sex. Ich wol te nicht einer der Schatten sein, die ihm folgten, gefangen durch den bindenden Speichel in seinem Biss, der mich dazu brachte, mich nach seiner Berührung zu verzehren und nach dem Gefühl seiner Zähne in mir, um mich mit Euphorie zu erfül en. . Mist, es passierte schon wieder.

»Warum sol te ich?«, fragte ich unbehaglich. »Ich mag dich nicht mal.«

Kisten lehnte sich zu mir herüber, als ich zurückkam. Das hel e Blau seiner Augen fing meinen Blick ein und hielt ihn fest. An seinem verwegenen Grinsen konnte ich erkennen, dass er merkte, dass ich langsam schwach wurde.

»Ein zusätzlicher Grund, mit mir auszugehen«, sagte er.

»Wenn ich für lausige sechzig Dol ar dafür sorgen kann, dass du dich amüsierst, was könnte dann erst jemand schaffen, den du magst? Al es, was ich brauche, ist ein Versprechen.«

Das Ei in meiner Hand war kalt, und ich legte es ab.

»Was?«, fragte ich, und Ivy bewegte sich unruhig.

»Nicht kneifen.«

»Wie bitte?«

Er öffnete die Butterdose und steckte seinen Finger hinein, um ihn dann langsam sauber zu lecken. »Ich kann dir nicht das Gefühl geben, attraktiv zu sein, wenn du dich bei jeder Berührung versteifst.«

»Habe ich doch bis jetzt auch nicht getan«, widersprach ich, und meine Gedanken wanderten wieder in den Aufzug.

Gott steh mir bei, ich hatte es dort an der Wand fast mit ihm getrieben.

»Das ist etwas anderes«, sagte er. »Es ist ein Date. Ich würde einen Fangzahn dafür geben, zu erfahren, warum Frauen von einem erwarten, dass man sich auf einem Date völ ig anders verhält als sonst.«

»Weil ihr es einfach tun sol t.«

Er sah fragend zu Ivy, richtete sich dann auf und streckte seinen Arm über den Tresen, um mit einer Hand mein Kinn zu umfassen. Ich machte mit gerunzelter Stirn einen Sprung nach hinten.

»Nö«, verkündete er, als er sich zurückzog. »Ich werde mir nicht meinen Ruf versauen, indem ich dich völ ig umsonst zu einem Sechzig-Dol ar-Date ausführe. Wenn ich dich nicht anfassen darf, geht es nicht.«

Ich starrte ihn an und spürte, wie mein Herz klopfte. »Gut.«

Kisten blinzelte geschockt. »Gut?«, fragte er, und Ivy feixte.

»Yeah«, bestätigte ich, zog die Butter zu mir und schaufelte mit einem hölzernen Löffel ungefähr eine halbe Tasse heraus.

»Ich wol te sowieso nicht mit dir ausgehen. Du bist zu selbstverliebt. Denkst, du kannst jeden dazu bringen, al es zu tun. Deine egomanische Schwanzträger-Einstel ung macht mich krank.«

Ivy lachte, als sie sich aufrichtete und leichtfüßig zu Boden sprang. »Ich habe es dir gesagt«, trumpfte sie auf. »Zahltag.«

Seine Schultern sanken herab, und er seufzte, bevor er in der hinteren Hosentasche nach seinem Geldbeutel griff. Er zog einen Fünfziger heraus und klatschte ihn Ivy in die Hand.

Sie hob eine schmale Augenbraue und zeichnete einen weiteren Haken in die Luft. Auf ihrem Gesicht lag ein seltenes Lächeln, als sie sich streckte, um das Geld in die Keksdose auf dem Kühlschrank fal en zu lassen.

»Typisch«, sagte Kisten, und seine Augen waren vol von theatralischem Kummer. »Versuch, etwas Nettes für jemanden zu tun, sie aufzumuntern, und wie stehe ich da?

Geschmäht und ausgeraubt.«

Mit drei langen Schritten war Ivy hinter ihm. Sie legte einen Arm über seine Brust, lehnte sich an ihn und flüsterte ihm in sein zerrissenes Ohr: »Armes Baby.« Sie sahen gut zusammen aus, ihre geschmeidige Attraktivität und seine selbstsichere Männlichkeit.

Ihre Finger schoben sich zwischen die Knöpfe seines Hemds, doch er reagierte nicht. »Du hättest Spaß gehabt«, sagte er zu mir.

Ich schob die Butter vom Löffel und leckte meinen Finger sauber. Ich fühlte mich, als hätte ich eine Art Test bestanden.

»Woher wil st du das wissen?«

»Weil du jetzt gerade auch Spaß hattest«, erklärte er. »Du hast deinen oberflächlichen, selbstzentrierten Menschen völ ig vergessen, der etwas Gutes nicht mal erkennt, wenn es ihn in seinen. .« Er sah Ivy an. »Wo, sagtest du, hat sie ihn gebissen?«

»Sein Handgelenk.« Ivy richtete sich auf und drehte mir den Rücken zu, um ihren Kaffee zu holen.

»Der etwas Gutes nicht mal erkennt, wenn es ihn in sein Handgelenk beißt«, beendete Kisten den Satz.

Mein Gesicht glühte. »Das ist das letzte Mal, dass ich dir irgendwas erzähle«, schnauzte ich Ivy an. Und ich hatte schließlich nicht mal fest genug gebissen, um es zum Bluten zu bringen. Guter Gott!

»Gib es zu, es hat dir Spaß gemacht, mit mir zu reden, den Kampf gegen mich aufzunehmen. Du hättest dich amüsiert«, wiederholte Kisten und sah mich durch den Vorhang seiner Haare hindurch an. »Und du siehst aus, als könntest du ein bisschen Spaß gebrauchen. Du bist seit was weiß ich wann in dieser Kirche eingesperrt. Wann hast du dich das letzte Mal schick gemacht? Dich schön gefühlt? Dich begehrt gefühlt?«

Ich stand absolut stil . Meine Gedanken wanderten zu Nick, der sich darauf vorbereitet hatte, die Stadt zu verlassen, ohne es mir zu sagen; unsere Nähe und die Umarmungen, die so abrupt geendet hatten. Es war so lange her. Ich vermisste seine Berührungen, die mir das Gefühl gaben, begehrt zu sein, lebendig zu sein, und die meine Leidenschaft erregten. Ich wol te mich wieder so fühlen –

selbst, wenn es nur eine Lüge war. Nur für eine Nacht, um nicht zu vergessen, wie es sich anfühlte, bis ich es wiederfand.

»Kein Beißen«, vergewisserte ich mich. Ich mache einen Fehler.

Ivy riss mit versteinertem Gesicht ihren Kopf hoch.

»Kein Kneifen«, hielte er leise und mit funkelnden Augen dagegen. Für ihn war ich durchschaubar wie Glas.

»Obergrenze sechzig Dol ar«, parierte ich.

Kisten stand auf und nahm seinen Mantel von der Stuhl ehne. »Ich hole dich übermorgen Nacht um ein Uhr ab.

Trag was Hübsches.«

»Keine Spielchen mit meiner Narbe«, sagte ich atemlos.

Was zur Höl e tue ich gerade?

Mit raubtierhafter Eleganz schlüpfte er in seinen Mantel. Er zögerte, offenbar in Gedanken. »Ich werde nicht mal da-raufhauchen.« Sein nachdenklicher Gesichtsausdruck verwandelte sich in durchtriebene Vorfreude, als er im Türbogen zum Flur stand. Er hielt Ivy auffordernd die Handfläche entgegen.

Mit steifen Bewegungen holte Ivy den Fünfziger wieder aus der Keksdose und gab ihn ihm. Er stand einfach nur da und wartete, bis sie noch einen zweiten holte und ihm in die Hand klatschte.

»Danke, Ivy, Liebes«, sagte er. »Jetzt habe ich genug für mein Date und noch einen Haarschnitt.« Er suchte meinen Blick und hielt ihn, bis ich nicht mehr atmen konnte. »Wir sehen uns später, Rachel.«

Das Geräusch seiner Lackschuhe war in der dunklen Kirche deutlich zu verfolgen. Ich konnte noch hören, wie er etwas zu Jenks sagte und dann, wie sich die Eingangstür schloss.

Ivy war nicht erfreut. »Das war wirklich dumm«, sagte sie.

»Ich weiß.« Ich wol te sie nicht ansehen und vermischte stattdessen schnel und mit heftigen Bewegungen den Zucker mit der Butter.

»Warum machst du es dann?«

Ich rührte weiter. »Viel eicht, weil ich - anders als du -gerne berührt werde«, sagte ich müde. »Viel eicht, weil ich Nick vermisse. Viel eicht, weil er bereits seit drei Monaten weg ist und ich zu dumm war, es zu merken. Gib Ruhe, Ivy. Ich bin nicht dein Schatten.«

»Nein«, stimmte sie zu, weniger wütend als ich gedacht hätte. »Ich bin deine Mitbewohnerin, und Kisten ist gefährlicher als er sich gibt. Ich habe so etwas schon früher bei ihm gesehen. Er wil dich jagen. Langsam jagen.«

Ich hielt inne und sah sie an. »Langsamer als du es tust?«, fragte ich bitter.

Sie starrte mich an. »Ich jage dich nicht«, sagte sie verletzt.

»Du lässt mich ja nicht.«

Ich ließ den Löffel los, stützte mich rechts und links von der Schüssel ab und beugte meinen Kopf darüber. Wir waren ein Paar. Eine zu vol von Angst, um irgendwelche Gefühle zuzulassen, weil sie ja viel eicht die Kontrol e darüber verlieren könnte, und die andere so hungrig nach Gefühlen, dass sie für eine Nacht vol er Spaß ihren freien Wil en riskierte. Es war ein Wunder, dass ich noch nicht längst der Lakai eines Vampirs war.

»Er wartet auf dich«, sagte ich leise, als ich Kistens Auto durch die schal isolierten Wände der Kirche hindurch aufheulen hörte. »Geh und sättige dich. Ich mag es nicht, wenn du es nicht tust.«

Ivy setzte sich in Bewegung. Ohne ein Wort zu sagen, verließ sie den Raum. Das Geräusch der sich schließenden Kirchentür war gedämpft. Langsam wurde das Ticken der Kirchenuhr deutlicher. Ich atmete tief ein, hob den Kopf und fragte mich, wann ich ihr Hüter geworden war.

8

Die rhythmischen Schläge, die mir die Laufschritte durch die Wirbelsäule trieben, waren eine gute Ablenkung von den Gedanken an Nick. Es war hel . Die Sonne wurde von den Schneehaufen reflektiert und brachte mich sogar durch meine Sonnenbril e zum Blinzeln. Ich hatte meine alte Bril e in Takatas Limo liegen gelassen und die neue passte nicht so gut. Das war der zweite Tag in Folge, an dem ich zu der unchristlichen Stunde von 10 Uhr am Morgen aufgestanden war, um laufen zu gehen. Und beim Wandel, diesmal würde ich wirklich laufen. Nach Mitternacht machte das Joggen einfach weniger Spaß - zu viele Irre. Außerdem hatte ich morgen ein Date mit Kisten.

Dieser Gedanke ließ mich schnel er werden. Jedes Ausatmen war mit meinen Schritten koordiniert, um den hypnotischen Rhythmus zu erzeugen, der schließlich das Läuferhigh auslöste. Ich legte noch einen Zahn zu und schwelgte in meiner Geschwindigkeit. Als ich am Bärenkäfig vorbeikam, erschien vor mir ein altes Hexenpärchen, das in flottem Tempo abwechselnd lief und ging. Sie beobachteten mich mit hungrigem Interesse - also die Bären, nicht die Hexen. Ich glaube, das war ein Grund, warum die Verwaltung die Läufer in den Zoo ließ. Wir gaben den großen Raubtieren etwas anderes zu sehen als Kinder in Kinderwägen und müde Eltern.

Tatsächlich hatte die gesammelte Gruppe der Läufer genau das im Sinn gehabt, als sie beschlossen hatte, die indischen Tiger zu adoptieren. Die Mittel für ihren Unterhalt wurden ausschließlich aus unseren Laufpässen bestritten -und sie fraßen sehr gut.

»Bahn!«, rief ich zwischen zwei Atemzügen. Die beiden Hexen wichen aus und machten Platz für mich.

»Danke«, sagte ich, als ich an ihnen vorbeizog und in der frischen, fast schmerzhaft trockenen Luft ihren Rotholzgeruch in mich aufnahm.

Ich ließ das Geräusch ihrer gesel igen Unterhaltung schnel hinter mir. Noch einmal verschwendete ich einen kurzen Gedanken an Nick. Ich brauchte ihn nicht, um zu laufen; das konnte ich auch al eine. In letzter Zeit war er sowieso kaum mit mir gelaufen, nicht, seitdem ich mein eigenes Auto hatte und er mich nicht mehr mitnehmen musste.

Yeah, genau, dachte ich, und mein Kiefer verkrampfte sich.

Es war nicht das Auto, sondern etwas anderes. Etwas, von dem er mir nichts erzählen wol te. Etwas, das mich »nichts anging«. »Bahn!«, hörte ich einen leisen Ruf nicht weiter hinter mir. Die Stimme klang tief und kontrol iert. Wer auch immer es war, er hielt ohne Probleme mit mir Schritt. Al meine Warnsignale liefen Amok. Mal sehen, ob du laufen kannst, dachte ich und nahm einen tiefen Atemzug.

Andere Muskeln kamen ins Spiel, als hätte ich einen Gang hochgeschaltet, indem ich mein Tempo beschleunigte. Mein Herz raste, und die kalte Luft schoss in meine Lungen und wieder hinaus. Ich war schon ziemlich schnel unterwegs, denn meine normale Geschwindigkeit lag zwischen einem Langstreckenlauf und einem Sprint. Dadurch war ich in der Schule beim Achthundertmeterlauf sehr beliebt gewesen, und es hatte mir auch geholfen, als ich für die I.S. gearbeitet hatte, wenn ich ab und zu eine Zielperson verfolgen musste.

Jetzt protestierten meine Waden gegen das erhöhte Tempo, und meine Lungen begannen zu brennen. Als ich an den Nashörnern vorbeikam und nach links abbog, schwor ich mir, hier öfter herzukommen; ich wurde langsam weich.

Vor mir war niemand. Nicht einmal Wärter waren zu sehen.

Ich lauschte und hörte, dass er immer noch mit mir Schritt hielt. Als ich scharf nach links abbog, warf ich einen kurzen Blick nach hinten.

Es war ein Tiermensch, nicht besonders groß aber schlaksig, der in seinen grauen Laufhosen mit dem passenden Hemd glänzend aussah. Seine langen schwarzen Haare wurden von einem Stirnband zurückgehalten, und auf seinem Gesicht zeigte sich keinerlei Anstrengung, während er sich hinter mir hielt. s Mist. Mein Herz machte einen Sprung. Selbst ohne den Cowboyhut erkannte ich ihn. Mist, Mist, Mist.

Durch den Adrenalinschub wurde ich noch schnel er. Es war derselbe Tiermensch. Warum folgte er mir? Meine Gedanken wanderten noch weiter zurück als gestern. Ich hatte ihn schon früher gesehen. Sehr oft sogar. Er stand letzte Woche an der Uhrenauslage, als Ivy und ich nach einem neuen Parfüm gesucht hatten, um zu verhindern, dass sich mein natürlicher Geruch mit dem ihren mischte. Vor drei Wochen hatte er gerade Luft in seine Reifen gepumpt, als ich getankt und mich aus meinem Auto ausgesperrt hatte. Und vor drei Monaten hatte er an einem Baum gelehnt, als Trent und ich unsere Unterredung im Eden Park hatten.

Ich biss die Zähne zusammen. Vielleicht ist es Zeit, dass wir uns einmal unterhalten?, dachte ich, als ich am Raubkatzenhaus vorbeilief.

Bei den Adlern ging es einen Hügel hinunter. Ich bog nach rechts ab und lehnte mich beim Abwärtslaufen nach hinten.

Mr. Tiermensch folgte mir. Während ich hinter der Adlervoliere entlangrannte, machte ich eine Bestandsaufnahme von dem, was ich bei mir hatte. In meiner Gürteltasche waren meine Schlüssel, mein Telefon, ein schon aktiviertes mildes Schmerzamulett und meine kleine Splat Gun, vol geladen mit Gute-Nacht-Tränken. Was mir nichts half, weil ich mit ihm reden wol te, nicht ihn schlafen legen.

Der Weg öffnete sich in einen weitläufigen, fast verlassenen Teil des Zoos. Hier lief niemand, weil der Anstieg des Hügels die Höl e war. Perfekt. Mit klopfendem Herzen bog ich nach links ab, um Richtung Hang zu laufen, statt direkt zum Vine-Street-Eingang. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht, als er kurz aus dem Tritt geriet. Damit hatte er nicht gerechnet. Ich lehnte mich in die Steigung und rannte jetzt vol es Tempo, auch wenn es mir wie Zeitlupe vorkam.

Der Weg war eng und schneebedeckt. Er folgte mir.

Hier, dachte ich, als ich die Kuppe erreichte. Keuchend warf ich einen kurzen Blick hinter mich und schlug mich seitlich in das dichte Gebüsch. Meine Lungen brannten, als ich die Luft anhielt.

Das Geräusch seiner Füße, begleitet von seinem schweren Atmen, passierte mein Versteck. Als er oben angekommen war, zögerte er, um zu sehen, wohin ich gelaufen war. Seine dunklen Augen waren zusammengekniffen, und sein Gesicht zeigte die ersten Spuren von Anstrengung.

Mit einem tiefen Atemzug sprang ich.

Er hörte mich, aber es war zu spät. Ich rammte ihn, als er herumwirbelte, und nagelte ihn gegen eine alte Eiche. Sein Rücken knal te gegen den Stamm, er keuchte, und seine Augen weiteten sich überrascht. Ich legte meine Hand in einem Würgegriff unter sein Kinn, um ihn dort zu fixieren, und schlug meine Faust in seinen Solarplexus.

Hustend beugte er sich nach vorne. Ich ließ ihn los, und er rutschte nach unten, um schließlich unter dem Baum zu landen und sich den Bauch zu halten. Ein dünner Rucksack glitt über seinen Kopf.

»Wer zum Teufel sind Sie, und warum verfolgen Sie mich seit drei Monaten?«, schrie ich. Wegen der außergewöhnlichen Uhrzeit und weil der Zoo noch geschlossen hatte, vertraute ich darauf, dass unsere Unterhaltung nicht belauscht werden würde.

Den Kopf auf die Brust gesenkt, hob der Tiermensch eine Hand. Sie war klein für einen Mann, mit kurzen Fingern, die sehr kräftig aussahen. Schweiß hatte sein Lycra-Hemd dunkelgrau gefärbt, und langsam verschob er seine Beine in eine weniger unbequeme Position. s Ich trat mit den Händen in der Hüfte einen Schritt zurück.

Ich atmete immer noch schwer, auch wenn ich mich langsam vom Aufstieg erholte. Wütend nahm ich meine Sonnenbril e ab, hängte sie an meinen Gürtel und wartete.

»David«, sagte er mit kratziger Stimme, als er zu mir aufsah. Er ließ den Kopf al erdings sofort wieder hängen und kämpfte um den nächsten Atemzug. In seinen Augen hatten Schmerzen und ein Anflug von Verlegenheit gelegen.

Schweiß überzog sein wildes Gesicht. Die dunklen Bartstoppeln passten gut zu den Haaren. »Lieber Gott«, sagte er zum Boden gerichtet. »Warum mussten Sie mich schlagen? Was ist nur mit euch Rotschöpfen los, dass ihr ununterbrochen zuschlagen müsst?«

»Warum folgen Sie mir?«

Mit immer noch gesenktem Kopf hob er wieder die Hand, und zeigte mir so, dass ich warten musste. Ich trat nervös von einem Fuß auf den anderen, während er einmal tief einatmete und dann noch einmal. Seine Hand sank herab, und sein Kopf hob sich. »Mein Name ist David Hue«, sagte er schließlich. »Ich bin ein Versicherungsagent. Stört es Sie, wenn ich aufstehe? Ich werde nass.«

Meine Kinnlade fiel nach unten, und ich trat mehrere Schritte zurück, als er aufstand und sich den Schnee vom Hintern wischte. »Ein Versicherungsagent«, stammelte ich.

Die Überraschung spülte die letzten Reste von Adrenalin aus meinem Blut. Ich schlang die Arme um mich und wünschte, ich hätte meinen Mantel dabei, da mir die Luft plötzlich um einiges kälter vorkam, jetzt, wo ich mich nicht mehr bewegte.

»Ich habe meine Rechnung bezahlt«, sagte ich schnel und wurde langsam wütend. »Ich habe nicht eine Zahlung verpasst. Man sol te meinen, dass für sechshundert Dol ar im Monat. .«

»Sechshundert im Monat!«, rief er mit schockiertem Gesichtsausdruck. »Oh, meine Liebe, wir müssen uns wirklich dringend unterhalten.«

Beleidigt wich ich noch weiter zurück. Aus seinem Gesicht und dem winzigen Bauchansatz, den sein Elasthan-Hemd nicht verbergen konnte, schloss ich, dass er ungefähr Mitte dreißig war. Seine schmalen Schultern waren sehr muskulös -

auch das konnte sein Hemd nicht verbergen. Und seine Beine waren einfach fantastisch. Manche Menschen sol ten niemals Elasthan tragen, doch obwohl David etwas älter war, als ich meine Männer gewöhnlich bevorzugte, gehörte er definitiv nicht dazu.

»Geht es darum?«, fragte ich, gleichzeitig genervt und erleichtert. »Kriegen Sie so ihre Kunden? In dem Sie sie verfolgen?« Ich runzelte die Stirn und wandte mich ab. »Das ist bemitleidenswert. Sogar für einen Tiermenschen.«

»Warten Sie«, bat er und folgte mir zurück auf den Weg.

»Nein. Eigentlich bin ich wegen des Fischs hier.«

Ich hielt ruckartig an, aber wenigstens standen meine Füße jetzt wieder in der Sonne. Der Fisch, den ich letzten September aus Mr. Rays Büro geklaut hatte. Verdammt.

»Ahm«, stotterte ich, und plötzlich waren meine Knie nicht mehr nur vom Laufen weich. »Was für ein Fisch?« Mit unsicheren Fingern nahm ich meine Sonnenbril e, setzte sie auf und ging Richtung Ausgang.

David folgte mir und tastete währenddessen seinen Bauch nach bleibenden Schäden ab. Trotzdem blieb er auf meiner Höhe. »Sehen Sie«, sagte er, fast mehr zu sich selbst, »genau deswegen bin ich ihnen gefolgt. Jetzt werde ich nie eine ehrliche Antwort und den Schaden nie reguliert bekommen.«

Mein Magen schmerzte, und ich zwang mich, schnel er zu gehen. »Es war ein Missverständnis«, sagte ich und errötete.

»Ich dachte, der Fisch gehört den Howlers.«

David nahm das Schweißband ab, strich seine Haare zurück und zog es wieder an. »Gerüchten zufolge wurde der Fisch vernichtet. Ich halte das für sehr unwahrscheinlich.

Wenn Sie mir das bestätigen könnten, kann ich es in meinen Bericht schreiben, dann der Partei, von der Mr. Ray den Fisch gestohlen hatte, einen Scheck schicken, und Sie müssten mich niemals wieder sehen.«

Ich warf ihm einen Seitenblick zu und war wirklich erleichtert, dass er mir nicht mit einer Klage kam. Ich hatte schon vermutet, dass Mr. Ray den Fisch auch gestohlen hatte, nachdem niemand mich verfolgt hatte. Aber trotzdem kam es unerwartet. »Jemand hat seinen Fisch versichert?«, spottete ich ungläubig und verstand dann, dass er es völ ig ernst meinte. »Sie scherzen.«

Der Mann schüttelte den Kopf. »Ich bin Ihnen gefolgt, um herauszufinden, ob Sie ihn haben oder nicht.«

Wir hatten den Eingang des Zoos erreicht, und ich hielt an, weil ich ihn nicht zu meinem Auto führen wol te. Nicht, dass er nicht sowieso schon wusste, welches es war.

»Warum haben Sie mich nicht einfach gefragt, Mr.

Versicherungsagent?«

Er sah verärgert aus und baute sich breitbeinig vor mir auf.

Er war genauso groß wie ich - was ihn für einen Mann eher klein machte -, aber die meisten Tiermenschen waren nach außen hin nicht gerade große Menschen. »Sie erwarten wirklich von mir, dass ich Ihnen glaube, dass Sie es nicht wissen?«

Ich warf ihm einen ausdruckslosen Blick zu. »Was weiß?«

Er fuhr sich mit der Hand über die Bartstoppeln und sah dann zum Himmel. »Die meisten Menschen würden das Blaue vom Himmel erzählen, wenn sie einmal im Besitz eines Wunschfisches sind. Wenn Sie ihn haben, sagen Sie es mir einfach. Mich interessiert es nicht. Al es, was ich wil , ist, diesen Schadensfal von meinem Schreibtisch kriegen.«

Wieder klappte meine Kinnlade nach unten. »Ein. . ein Wunsch. .«

Er nickte. »Ein Wunschfisch, ja.« Seine dichten Augenbrauen hoben sich. »Sie wussten es wirklich nicht?

Haben Sie ihn noch?«

Ich setzte mich auf eine der kalten Bänke. »Jenks hat ihn gegessen.«

Der Tiermensch starrte mich an. »Entschuldigung?«

Ich konnte ihn nicht ansehen. Meine Gedanken wanderten zum vergangenen Herbst und meine Augen zu meinem strahlendroten Cabrio, das auf dem Parkplatz auf mich wartete. Ich hatte mir ein Auto gewünscht. Verdammt, ich hatte mir ein Auto gewünscht und hatte es gekriegt. Jenks hatte einen Wunschfisch gegessen?

Ein Schatten fiel auf mich. Ich blickte auf und sah nur Davids Silhouette, die sich schwarz gegen das klare Blau des Mittagshimmels abhob. »Mein Partner und seine Familie haben ihn gegessen.«

David starrte immer noch. »Sie machen Scherze.«

Mir war übel, und ich senkte den Blick. »Wir wussten es nicht. Er hat ihn über einem offenen Feuer gegril t, und seine Familie hat ihn gegessen.«

Davids kleine Füße bewegten sich rasend schnel . Er wechselte die Stel ung und zog ein gefaltetes Stück Papier und einen Stift aus seinem Rucksack. Während ich mit den El bogen auf den Knien dasaß und ins Leere starrte, hockte er neben mir und kritzelte vor sich hin, wobei er die Betonbank als Schreibunterlage benutzte. »Wenn Sie hier unterschreiben würden, Miss Morgan«, sagte er schließlich und hielt mir den Stift entgegen.

Ich nahm den Stift und dann das Papier. Seine Handschrift war steif und präzise und ließ mich vermuten, dass er sehr sorgfältig und organisiert war. Ivy würde ihn lieben. Als ich das Schriftstück überflog, realisierte ich, dass es ein juristisches Dokument war. Davids handschriftliche Ergänzung erklärte, dass ich bezeugen konnte, dass der Fisch zerstört worden war, weil man sich seiner Fähigkeiten nicht bewusst gewesen war. Mit einem Stirnrunzeln kritzelte ich meinen Namen darunter und schob es ihm wieder hin.

Sein Blick war sowohl ungläubig als auch amüsiert, als er mir den Stift abnahm und selbst unterschrieb. Ich unterdrückte ein Schnauben, als er anschließend ein Notar-Set aus seinem Rucksack zog und das Dokument rechtsverbindlich machte. Er fragte mich nicht nach einem Ausweis, aber zur Höl e, er war mir die letzten drei Monate gefolgt. »Sie sind auch Notar?«, fragte ich, und er nickte, packte al es zurück in seinen Rucksack und verschluss ihn.

»In meinem Beruf ist das absolut notwendig.« Er stand lächelnd auf. »Ich danke Ihnen, Miss Morgan.«

»Kein Problem.« Ich war völ ig durcheinander. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich es Jenks erzählen sol te oder nicht. Mein Blick wanderte zurück zu David, und ich sah, dass er mir seine Karte entgegenhielt. Verwundert nahm ich sie.

»Da ich Sie gerade hier habe«, sagte er und stel te sich so hin, dass ich nicht in die Sonne schauen musste, um ihn anzusehen, »wenn Sie an einem besseren Preis für Ihre Versicherung interessiert sind. .«

Ich seufzte und ließ die Karte fal en. Was für ein Ko-rinthenkacker.

Er lachte kurz und beugte sich mühelos runter, um sie aufzuheben. »Ich bekomme meine Kranken- und Krankenhausversicherung für zweihundertfünfzig im Monat, über meine Gewerkschaft.«

Er hatte mein Interesse geweckt. »Runner sind fast unversicherbar.«

»Stimmt.« Er zog eine schwarze Nylonjacke aus seinem Rucksack und zog sie an. »Genau wie Versicherungsagenten.

Aber nachdem es von uns nur so wenige gibt im Vergleich zu den Schreibtischhengsten, die den Großteil der Firma ausmachen, kriegen wir gute Bedingungen. Die Gewerkschaftsbeiträge belaufen sich auf hundertfünfzig im Jahr und bringen Ihnen verbil igte Versicherungen, Mietautos und auf dem jährlichen Picknickausflug so viel Steak wie Sie essen können.«

Das war einfach zu schön, um es zu glauben. »Warum?«, fragte ich und nahm seine Karte zurück.

»Mein Partner hat sich letztes Jahr zur Ruhe gesetzt. Ich brauche jemanden.«

Mein Mund öffnete sich, als ich verstand. Er dachte, ich wol te Versicherungsagentin werden? Oh, bitte. »Tut mir leid.

Ich habe schon einen Job«, sagte ich kichernd.

David gab ein entnervtes Geräusch von sich. »Nein, Sie verstehen mich falsch. Ich wil keinen Partner. Al e Praktikanten, die sie mir aufs Auge gedrückt haben, habe ich verschreckt, und al e anderen sind klug genug, dass sie es nicht mal versuchen. Ich habe zwei Monate Zeit, jemanden zu finden, oder sie rasieren mir den Schwanz. Ich mag meinen Beruf, und ich bin gut, aber ich wil keinen Partner.«

Er zögerte und musterte mit professionel aufmerksamem Blick das Gelände hinter mir. »Ich arbeite al ein. Sie unterschreiben den Vertrag, Sie gehören zur Gewerkschaft, Sie bekommen einen Nachlass auf Ihre Versicherungsbeiträge, und Sie sehen mich nur beim jährlichen Picknick, wo wir so tun, als wären wir dick befreundet und dann zusammen beim Dreibeinrennen antreten. Ich helfe Ihnen; Sie helfen mir.«

Ich konnte meine Augenbrauen nicht -davon abhalten, sich zu heben, und lenkte meine Aufmerksamkeit von ihm auf seine Karte in meiner Hand. Vierhundert Dol ar im Monat weniger klang fantastisch. Und ich würde wetten, dass sie auch bei der Autoversicherung bil iger waren. Ich war schwer in Versuchung. »Was für eine Krankenhausabsicherung haben Sie?«

Seine dünnen Lippen hoben sich in einem Lächeln und zeigten eine Andeutung von kleinen Zähnen. »Silbernes Kreuz.«

Ich nickte. Das war eine Versicherung für Tiermenschen, aber es war flexibel genug, um funktionieren zu können. Ein gebrochener Knochen ist ein gebrochener Knochen. »Also«, sagte ich gedehnt, »wo ist der Haken?«

Er grinste noch breiter. »Ihr Lohn geht an mich, weil ich derjenige bin, der die ganze Arbeit macht.«

Ahhh, dachte ich. Er würde zweimal Lohn einstreichen. Das war Betrug von der feinsten Sorte. Mit einem süffisanten Lächeln reichte ich ihm seine Karte zurück. »Danke, aber nein danke.«

David gab ein enttäuschtes Geräusch von sich und wich ein Stück zurück. »Sie können mir nicht übel nehmen, dass ich es versucht habe. Tatsächlich war es ein Vorschlag meines ehemaligen Partners. Ich hätte mir denken können, dass Sie nicht drauf anspringen.« Er zögerte. »Ihr Backup hat diesen Fisch wirklich gegessen?«

Ich nickte - schon bei dem Gedanken daran hätte ich heulen können. Wenigstens hatte ich vorher noch ein Auto rausgeschlagen.

»Nun. .« Er legte die Karte neben mich auf die Bank.

»Rufen Sie mich an, fal s Sie Ihre Meinung ändern. Die Durchwahl auf der Karte bringt Sie an meiner Sekretärin vorbei. Wenn ich nicht im Außendienst bin, sitze ich von drei bis Mitternacht im Büro. Ich könnte mir überlegen, Sie wirklich als Lehrling anzunehmen. Mein letzter Partner war eine Hexe, und Sie sehen aus, als hätten Sie Mumm.«

»Danke«, sagte ich abfäl ig.

»Es ist nicht so langweilig wie es aussieht. Und definitiv sicherer als das, was Sie jetzt machen. Viel eicht ändern Sie Ihre Meinung, wenn sie ein paar Mal zusammengeschlagen wurden.«

Ich fragte mich, ob dieser Typ wirklich real war. »Ich arbeite für niemanden außer mich selbst.«

Er nickte und tippte sich in einem formlosen Salut an die Stirn, bevor er sich umdrehte und ging. Ich richtete mich auf, als seine schnittige Figur durch das Tor schlüpfte. Er stieg in einen grauen Zweisitzer, der weit von meinem kleinen roten Cabrio entfernt stand, und fuhr weg. Ich schauderte, als ich das Auto wiedererkannte und mir klar wurde, dass er mich und Nick gestern beobachtet hatte.

Mein Hintern war steif gefroren, als ich von dem kalten Beton aufstand. Ich nahm seine Karte, riss sie in der Hälfte durch und ging zum nächsten Mül eimer. Doch als ich sie über die Öffnung hielt, zögerte ich. Langsam steckte ich die zwei Teile in meine Tasche.

Ein Versicherungssachverständigef! ', spottete eine kleine Stimme in meinem Kopf. Ich verzog das Gesicht zu einer Grimasse, holte die Fetzen wieder raus und ließ sie in den Eimer fal en. Wieder für jemanden arbeiten? Nein. Niemals.

9

Ich fühlte mich warm und friedvol , als ich gelben Zucker auf den glasierten Cookie in Sonnenform streute. Okay, er war einfach rund, aber mit dem Zucker konnte es die Sonne sein. Ich war der langen Nächte müde, und die physische Bestätigung, dass die Jahreszeiten wieder wechselten, erfül te mich mit stil er Stärke. Besonders die Wintersonnenwende machte mich glücklich.

Ich legte den fertigen Cookie auf ein Stück Küchenrol e und nahm den nächsten zur Hand. Bis auf die Musik, die leise aus dem Wohnzimmer herüberdrang, war es ruhig.

Takata hatte »Red Ribbons« an WVMP herausgegeben, und der Sender spielte es jetzt rauf und runter. Der Refrain war der, von dem ich ihm gesagt hatte, dass er besser zum Inhalt des Liedes passte, und ich freute mich, dass ich in seiner Entstehung eine, wenn auch nur kleine, Rol e gespielt hatte.

Die Pixies schliefen für noch mindestens zwei Stunden in meinem Schreibtisch. Ivy würde wahrscheinlich noch später aufstehen und auf der Suche nach Kaffee durch die Wohnung stolpern. Sie war kurz vor Sonnenaufgang nach Hause gekommen und hatte zufrieden und ruhig ausgesehen. Trotzdem hatte sie verlegen meine Bil igung dafür gesucht, dass sie an irgendeinem armen Trottel ihren Blutdurst gestil t hatte, und war dann wie ein Brimstone-Abhängiger ins Bett gefal en. Ich hatte die Kirche für mich al ein und würde meine wohlige Einsamkeit vol auskosten.

Ich wiegte mich zu den Trommelschlägen des Liedes, wie ich es nie tun würde, wenn jemand zusah, und lächelte. Ab und zu war es wirklich schön, al ein zu sein.

Jenks hatte seine Kinder zu mehr gezwungen als nur einer Entschuldigung. Ich war am Nachmittag von dem Geruch frischen Kaffees aufgewacht und hatte eine perfekt saubere Küche vorgefunden. Al es blitzte und blinkte. Sie hatten sogar aus dem Kreis, den ich um die Arbeitsfläche in den Küchenboden gezogen hatte, die angesammelten Reste rausgekratzt. Weder Staubkörnchen noch Spinnweben verschmutzten Decke oder Wände, und als ich nun mein Messer in den grünen Zuckerguss dippte, schwor ich mir, dass ich den Raum von jetzt an immer so sauber halten würde.

Ja, genau, dachte ich, als ich die klebrige Masse auf den Zopf goss. Ich würde es aufschieben, bis die Küche wieder genauso tief im Chaos versunken war wie vor der Putzaktion der Pixies. Und das würde al erhöchstens zwei Wochen dauern.

Mit Bewegungen, die an den Rhythmus der Musik angepasst waren, legte ich drei kleine, rote, beerenförmige Bonbons auf den Zopf. Ich seufzte, als ich ihn zur Seite legte.

Dann nahm ich den Kerzencookie in Angriff und versuchte zu entscheiden, ob er purpurfarben werden sol te für Weisheit oder Grün für Veränderung.

ich streckte gerade die Hand nach dem purpurfarbenen Zuckerguss aus, als im Wohnzimmer das Telefon klingelte.

Ich hielt für einen Moment inne, dann stel te ich die Schüssel hin und rannte ans Telefon, bevor das Klingeln die Pixies wecken konnte. Mit ihnen zu leben war schlimmer als ein Baby im Haus zu haben. Ich schnappte mir die Fernbedienung von der Couch und richtete sie auf die Anlage, um die Musik leiser zu stel en. »Vampirische Hexenkunst«, meldete ich mich, als ich das Telefon abhob, und hoffte dabei, dass ich nicht atemlos klang. »Hier ist Rachel.«

»Wie viel kostet eine Begleitung am einundzwanzigsten?«, fragte eine junge Stimme unsicher.

»Das kommt auf die Situation an.« Ich sah mich verzweifelt nach dem Kalender und einem Stift um. Sie lagen nicht da, wo ich sie liegen gelassen hatte, also fischte ich letztendlich meinen Terminkalender aus meiner Tasche. Ich glaubte, dass der einundzwanzigste ein Samstag war. »Haben Sie Morddrohungen erhalten, oder geht es um al gemeinen Personenschutz?«

»Morddrohungen?«, rief die Stimme aus. »Al es, was ich wil , ist ein gut aussehendes Mädchen, damit meine Freunde mich nicht für eine trübe Tasse halten.»

Ich schloss die Augen, um Kraft zu sammeln. Dafür ist es schon zu spät, dachte ich. »Wir sind ein unabhängiger Runner-Service«, sagte ich müde, »und kein Bluthaus. Und Junge? Tu dir selbst einen Gefal en und nimm das schüchterne Mädchen. Sie ist cooler als du denkst, und wenigstens gehört ihr am nächsten Morgen nicht deine Seele.«

Der Anrufer legte auf, und ich runzelte die Stirn. Das war schon der dritte Anruf dieser Art in diesem Monat. Viel eicht sol te ich mal einen Blick auf die Anzeige werfen, die Ivy in die Gelben Seiten gestel t hatte.

Ich wischte mir die letzten Zuckerreste von den Händen, tauchte in das Schränkchen, auf dem unser Anrufbeantworter stand, zog das Telefonbuch heraus und ließ es auf den Couchtisch fal en. Das rote Licht an der Maschine blinkte, und ich drückte die Abspieltaste, um dann in dem schweren Buch bis zu >Privatermittler< zu blättern.

Ich erstarrte, als stockend und mit einem schuldigen Unterton Nicks Stimme erklang, die mir mitteilte, dass er um sechs Uhr morgens vorbeigekommen war, um Jax abzuholen, und dass er mich in ein paar Tagen anrufen würde.

»Feigling«, murmelte ich und sah es als ein weiteres Kreuz auf seinem Sarg. Er wusste, dass um diese Zeit außer den Pixies niemand wach war. Ich schwor mir, dass ich mich bei dem Date mit Kisten amüsieren würde, egal, ob Ivy ihn hinterher töten musste oder nicht. Ich drückte den Knopf, um die Nachricht zu löschen, und konzentrierte mich wieder auf das Telefonbuch.

Wir waren einer der letzten Einträge, und meine Augenbrauen hoben sich, als ich das freundliche Schriftbild von »Vampirische Hexenkunst« sah. Es war eine schöne Anzeige, ansprechender als die ganzseitigen Anzeigen davor, mit der Strichzeichnung einer mysteriösen Frau mit Hut und Umhang im Hintergrund.

»Schnel . Diskret. Wir stel en keine Fragen«, las ich.

»Gestaffelte Tarife. Flexible Zahlungsweisen. Versichert.

Wöchentliche, tägliche und stündliche Sätze.« Darunter standen unsere drei Namen, unsere Adresse und die Telefonnummer. Ich verstand es nicht. Nichts in der Anzeige konnte einen auf die Idee bringen, dass wir ein Bluthaus oder auch nur ein Escortservice waren. Dann sah ich die winzige Schrift am unteren Rand der Anzeige, die auf weitere Einträge verwies.

Ich blätterte durch die dünnen Seiten zur ersten genannten und fand dieselbe Anzeige. Dann schaute ich etwas genauer hin; nicht auf unsere Anzeige, sondern auf die drumherum. Heiliger Mist, diese Frau hatte kaum etwas an und präsentierte einen wohlgerundeten Körper, der an die Figur eines Anime-Cartoons erinnerte. Meine Augen schössen zur Überschrift. »Escortservice?«, rief ich und errötete beim Anblick der heißen, suggestiven Anzeigen.

Mein Blick senkte sich wieder zu unserer Anzeige, und die Worte nahmen eine völ ig neue Bedeutung an. Wir stel en keine Fragen? Wöchentliche, tägliche oder stündliche Sätze?

Flexible Zahlungsweisen? Mit zusammengepressten Lippen schloss ich das Buch, ließ es aber auf dem Tisch liegen, um später mit Ivy darüber zu reden. Kein Wunder, dass wir seltsame Anrufe bekamen.

Mehr als nur ein bisschen wütend drehte ich die Lautstärke an der Anlage wieder hoch und ging zurück in die Küche.

Steppenwolfs »Magic Carpet Ride« tat sein Bestes, um meine Laune wieder zu heben.

Nur durch die Andeutung eines Luftzuges und den kaum wahrnehmbaren Geruch von nassem Pflaster verlangsamten sich meine Schritte ein wenig, und die Handfläche, die am Türrahmen der Küche vorbeischoss, verfehlte mein Kinn.

»Gott verdammt!«, fluchte ich, als ich an dem Arm vorbei einen Hechtsprung in die Küche machte, statt mich in den engen Flur zurückfal en zu lassen.

Ich dachte an Jenks' Kinder, als ich die Kraftlinie anzapfte, aber sonst nichts weiter unternahm außer in defensiver Haltung zwischen Spüle und Arbeitsfläche zu kauern. Als ich sah, wer neben der Tür stand, stockte mir der Atem.

»Quen?«, stammelte ich, rührte mich aber nicht vom Fleck, als der athletische Mann mich ausdruckslos anstarrte. Der Leiter von Trents Security war ganz in Schwarz gekleidet, und seine eng anliegende Kleidung erinnerte vage an eine Uniform. »Was zum Teufel tun Sie?«, fragte ich. »Wissen Sie, dass ich eigentlich die I.S. rufen sol te, damit die Ihren Arsch wegen unerlaubtem Eindringen aus meiner Küche schleifen?

Wenn Trent mich sehen wil , kann er zu mir kommen wie jeder andere auch. Ich werde ihm sagen, dass er Spülwasser saufen kann, aber er sol te wenigstens den Anstand haben, mir die Gelegenheit zu geben, es ihm persönlich mitzuteilen!«

Quen schüttelte den Kopf. »Ich habe ein Problem, aber ich glaube nicht, dass Sie damit umgehen können.«

Ich zog eine Grimasse. »Stel en Sie mich nicht auf die Probe, Quen. Sie werden verlieren.«

»Wir werden sehen.«

Das war die einzige Warnung, die ich bekam, als der Mann sich von der Wand abstieß und direkt auf mich losging.

Mit einem Keuchen sprang ich wieder an ihm vorbei, statt zurückzuweichen, wie ich es eigentlich wol te. Quen lebte und dachte Security. Zurückzuweichen würde mich nur in die Fal e treiben. Mit klopfendem Herzen schnappte ich mir meinen Kupferkessel mit dem weißen Zuckerguss und holte aus.

Quen fing ihn ab und riss mich nach vorne. Adrenalin überschwemmte mich, als ich losließ und er ihn zur Seite warf. Der Kessel schlug mit einem harten Geräusch auf dem Boden auf und schlitterte in den Flur.

Ich schnappte mir die Kaffeemaschine und warf sie. Der Apparat wurde von seinem Kabel zurückgerissen, und die Kanne fiel auf den Boden, wo sie zerbrach. Quen wich aus, und seine grünen Augen funkelten wütend, als ob er sich fragte, was zur Höl e ich da tat. Aber wenn er mich erwischte, hatte ich verloren. Ich hatte zwar einen ganzen Schrank vol er Amulette, aber nicht die Zeit, um auch nur ein einziges zu beschwören.

Er spannte seine Muskeln zum Sprung. Ich erinnerte mich daran, wie er Piscary mit unglaublichen Sprüngen entkommen war, und griff nach meiner Reinigungswanne.

Mit zusammengebissenen Zähnen kippte ich sie um.

Quen schrie angewidert auf, als sich vierzig Liter Salzwasser auf den Boden ergossen, um sich dort mit dem Kaffee und den Scherben zu vermischen. Mit rudernden Armen rutschte er aus.

Ich schwang mich auf die Arbeitsfläche, zertrampelte die Cookies und stieß die diversen Behälter mit gefärbtem Zuckerguss um. Ich duckte mich, um den tief hängenden Küchenutensilien auszuweichen, und sprang Quen genau in dem Moment, als er wieder aufstand, mit den Füßen voran an.

Meine Füße trafen ihn mitten in die Brust, und zusammen fielen wir zu Boden.

Wo sind al e?, dachte ich, als ich auf die Hüfte fiel und vor Schmerz aufstöhnte. Ich machte genug Lärm, um Untote aufzuwecken. Aber Lärm war bei uns in letzter Zeit normaler als Ruhe, und Ivy und Jenks würden ihn wahrscheinlich einfach ignorieren und hoffen, dass es vorbeiging.

Schlitternd zog ich mich von Quen zurück. Ohne hinzusehen suchte ich mit beiden Händen nach der Splat Gun, die ich extra in Kriechhöhe aufbewahrte. Ich riss sie an mich und zog dabei einige aufeinandergestapelte Kupfertöpfe mit heraus, die lärmend zu Boden fielen.

»Es reicht!«, schrie ich, während ich mit steifen Armen auf ihn zielte und gleichzeitig würdeloserweise mit meinem Hintern in Salzwasser saß. Die Waffe war nur mit wassergefül ten Bäl en für Übungsstunden geladen, aber das wusste er nicht. »Was wol en Sie?«

Quen, auf dessen Hose das Wasser dunkle Flecken hinterlassen hatte, zögerte. Sein Auge zuckte.

Wieder schoss das Adrenalin in meine Adern. Er würde es riskieren.

Instinkt und die Übungsstunden mit Ivy ließen mich abdrücken, als er auf den Tresen sprang, um dort mit der Eleganz einer Katze zu landen. Ich folgte seinen Bewegungen und beschoss ihn mit al en Bäl en, die ich hatte.

Er blickte beleidigt drein, als er in der Hocke zur Ruhe kam und seine Aufmerksamkeit auf die sechs neuen Spritzer auf seinem Hemd richtete. Mist. Ich hatte ihn einmal verfehlt.

Sein Kinn war verkrampft, und seine Augen zogen sich wütend zusammen. »Wasser?«, fragte er, »Sie laden ihre Zauberpistole mit Wasser?«

»Sind Sie nicht glücklich, so viel Glück zu haben?«, fauchte ich. »Was wol en Sie?« Er schüttelte den Kopf, und ich zischte, als ich plötzlich das Gefühl hatte, ins Bodenlose zu stürzen.

Er zapfte die Kraftlinie hinter dem Haus an.

Panik riss mich auf die Füße. Auf seinem günstigen Aussichtspunkt auf dem Tisch richtete sich Quen langsam auf, und seine Hände bewegten sich, während er lateinische Worte flüsterte.

»Lass das, zur Höl e!«, schrie ich und warf meine Splat Gun nach ihm. Er duckte sich, und ich schnappte mir al es in Reichweite, um es in dem verzweifelten Versuch, ihn von der Vol endung des Zaubers abzuhalten, nach ihm zu schmeißen.

Quen wich dem Butterfass vol er Zuckerguss aus, das hinter ihm an die Wand knal te und einen grünen Fleck hinterließ. Ich schnappte mir die Keksdose, schwang sie wie ein Brett und lief um die Arbeitsfläche herum. Um auszuweichen, sprang er vom Tisch und verfluchte mich.

Cookies und blutrote Bonbons flogen umher.

Ich folgte ihm und schlang die Arme um seine Knie. Damit warf ich uns beide in einem nassen Platschen zu Boden. Er drehte sich in meinem Griff, bis seine grünen Augen auf meine trafen. Meine scharrenden Hände fanden eine Mischung aus Salzwasser und aufgelösten Cookies, und ich stopfte es ihm in den Mund, damit er keinen gesprochenen Zauber wirken konnte.

Er spuckte die Mischung auf mich, und sein gebräuntes, mit Pockennarben übersätes Gesicht war rot vor Wut. »Du kleiner Hundsfott. .«, brachte er heraus, bevor ich noch mehr in seinen Mund stopfte.

Seine Zähne schlössen sich über meinem Finger, bis ich aufschrie und meine Hand zurückriss. »Du hast mich gebissen!«, kreischte ich erbost und schwang meine Faust, doch er rol te sich auf die Füße und knal te in die Stühle.

Keuchend stand er auf. Er war völ ig durchnässt und mit gefärbtem Zucker überzogen. Sofort knurrte er ein unverständliches Wort und sprang.

Ich taumelte auf die Füße, um zu fliehen. Schmerzen breiteten sich auf meiner Kopfhaut aus, als er nach meinen Haaren griff und mich herumwirbelte, um mich zu fixieren, mein Rücken an seiner Brust. Ein Arm legte sich würgend um meinen Hals, der andere glitt zwischen meine Beine und riss mich hoch, bis ich nur noch auf einem Fuß stand.

Wutentbrannt rammte ich ihm den El bogen meines freien Arms in die Magengrube. »Finger weg. .«, presste ich hervor und sprang auf einem Fuß rückwärts, ». .von meinen Haaren!« Ich erreichte die Wand und rammte ihn dagegen.

Ihm wurde die Luft aus den Lungen gepresst, als ich noch einmal seine Rippen traf, und der Arm um meinen Hals verschwand. Ich schoss herum, um ihn gegen den Kiefer zu schlagen, aber er war weg. Ich starrte auf die gelbe Wand.

Mit einem Schrei fiel ich zu Boden, als plötzlich meine Beine unter mir weggezogen wurden. Sein Gewicht landete auf mir und nagelte mich mit erhobenen Händen auf dem nassen Boden fest.

»Ich gewinne«, keuchte er, als er mich mit wilden grünen Augen unter seinem kurzen Haar hervor anstarrte. Ich kämpfte gegen ihn, richtete aber nichts aus. Es wurmte mich, dass etwas so Dämliches wie schieres Gewicht diesen Kampf entschied.

»Sie vergessen etwas, Quen«, stieß ich hervor. »Ich habe siebenundfünfzig Mitbewohner.«

Seine von feinen Linien durchzogene Stirn legte sich in Falten. Ich holte tief Luft und pfiff. Quens Augen weiteten sich. Ich grunzte vor Anstrengung, als ich meinen rechten Arm losriss und ihm meinen Handbal en auf die Nase schlug.

Er wich ruckartig zurück, sodass ich ihn von mir runterstoßen und mich wegrol en konnte. Immer noch auf al en vieren schob ich mir mein strähniges Haar aus dem Gesicht.

Quen war auf die Füße gekommen, aber er bewegte sich nicht. Er stand wie erstarrt und hielt seine cookieverschmierten Hände in einer Geste der Kapitulation über den Kopf. Jenks schwebte vor ihm; er hatte das Schwert, das er normalerweise benutzte, um angreifende Fairies abzuwehren, auf Quens rechtes Auge gerichtet. Der Pixie sah angepisst aus, und Pixiestaub rieselte in einem beständigen Strahl von ihm auf den Boden.

»Atme«, drohte Jenks. »Blinzle. Gib mir einen Grund, du verdammte Missgeburt.«

Ich stolperte in dem Moment auf die Beine, als Ivy in den Raum hechtete. Sie bewegte sich schnel er als ich es je für möglich gehalten hätte. Ihr Morgenmantel war offen und wehte hinter ihr her, als sie Quen an der Kehle packte.

Die Lampen flackerten, und die Küchenutensilien schwangen an ihren Haken, als sie ihn gegen die Wand neben der Tür rammte. »Was tun Sie hier?«, knurrte sie. Jenks war Quen gefolgt, und sein Schwert berührte immer noch das Auge des Mannes.

»Wartet!«, rief ich, weil ich fürchtete, dass sie ihn töten könnte. Nicht, dass es mich wirklich gestört hätte, aber dann hätte ich I.S.-Leute in meiner Küche, und eine Menge Papierkram am Hals.

»Macht langsam«, beruhigte ich sie.

Meine Augen schossen zu Ivy, die Quen immer noch festhielt. An meiner Hand klebte Zuckerguss, und ich wischte ihn an meiner nassen Jeans ab, während ich langsam wieder zu Atem kam. Ich hatte Krümel und Zucker in meinen Haaren, und die Küche sah aus, als wäre der Marshmel ow-Mann explodiert. Ich schielte zu dem purpurfarbenen Zuckerguss hoch, der an der Decke klebte. Wann war das passiert?

»Miss Morgan«, sagte Quen und gurgelte dann nur noch, da Ivy ihren Griff verstärkte. Ich befühlte meine Rippen und zuckte zusammen. Wütend stampfte ich zu ihm rüber. »Miss Morgan?«, schrie ich ungefähr fünfzehn Zentimeter vor seinem Gesicht. »Miss Morgan? Jetzt bin ich Miss Morgan?

Was zur Höl e stimmt nicht mit Ihnen? Sie kommen in mein Haus! Verderben meine Cookies! Wissen Sie, wie lang es dauern wird, das hier aufzuräumen?«

Er gurgelte wieder, und meine Wut ließ langsam nach. Ivy starrte ihn mit beängstigender Intensität an. Der Geruch seiner Angst hatte sie über die Kante getrieben. Sie verlor bereits mittags die Kontrol e. Das war nicht gut, und ich trat, plötzlich ernüchtert, einen Schritt zurück.

»Ahm, Ivy?«

»Es geht mir gut«, behauptete sie heiser, aber ihre Augen sagten mir, dass das Gegenteil der Fal war. »Sol ich ihn stil und leise zur Ader lassen?«

»Nein!«, protestierte ich und spürte plötzlich wieder diesen Taumel. Quen zapfte die Linie an. Ich atmete alarmiert ein. Die Dinge gerieten langsam außer Kontrol e, und irgendjemand würde verletzt werden. Ich konnte einen Schutzkreis errichten, aber er würde um mich herum sein, nicht um ihn. »Lass ihn fal en!«, befahl ich. »Jenks, du auch, zurück!« Keiner von beiden bewegte sich. »Jetzt!«

Ivy stieß ihn ein letztes Mal gegen die Wand, bevor sie ihn fal en ließ und zurücktrat. Er sackte auf dem Boden in sich zusammen, hob eine Hand an die Kehle und hustete heftig.

Langsam brachte er seine Beine in eine normale Position. Er schob sich das sehr schwarze Haar aus den Augen und sah aus dem Schneidersitz zu uns auf.

»Morgan«, sagte er rau und verdeckte seine Kehle mit der Hand. »Ich brauche Ihre Hilfe.«

Ich warf einen Blick auf Ivy, die ihren schwarzseidenen Mantel wieder um sich schlang. Er braucht meine Hilfe.

Genau. »Bist du in Ordnung?«, fragte ich Ivy, und sie nickte.

Der braune Ring um ihre Augen war zu schmal, um mich zu beruhigen, aber die Sonne stand hoch, und die Spannung im Raum ließ langsam nach. Als sie meine Sorge sah, presste sie die Lippen zusammen.

»Mir geht es gut«, wiederholte sie. »Sol ich die l.S. jetzt rufen oder nachdem ich ihn getötet habe?«

Mein Blick wanderte durch die Küche. Meine Cookies waren durchnässt und vol kommen ruiniert. Die Zuckergussklumpen an der Wand begannen langsam herabzulaufen. Das Salzwasser bahnte sich seinen Weg aus der Küche und drohte, den Flurteppich zu ruinieren. Quen von Ivy töten zu lassen erschien mir momentan wirklich verlockend.

»Ich wil hören, was er zu sagen hat«, entschied ich, öffnete eine Schublade und legte drei Küchenhandtücher als Deich auf die Türschwel e. Jenks Kinder spähten aus dem Flur zu uns herein. Der wütende Pixie rieb seine Flügel aneinander, um ein schril es Pfeifen zu erzeugen, und die Kinder verschwanden mit einem tril ernden Geräusch.

Mit einem vierten Handtuch wischte ich mir den Zuckerguss vom El bogen. Dann stel te ich mich breitbeinig und mit in die Hüfte gestemmten Fäusten vor Quen auf und wartete.

Da er mit dieser Aktion riskierte, dass Jenks herausfand, dass er ein Elf war, musste es wirklich wichtig sein. Meine Gedanken wanderten zu Ceri auf der anderen Straßenseite, und meine Sorge wuchs. Von mir würde Trent nicht erfahren, dass es sie gab. Er würde sie mit Sicherheit für irgendetwas benutzen - für irgendetwas Grässliches.

Der Elf rieb sich durch sein schwarzes Hemd die Rippen.

»Ich glaube, Sie haben sie angebrochen.«

»Habe ich bestanden?«, fragte ich höhnisch.

»Nein. Aber Sie sind das Beste, was ich habe.«

Ivy gab ein ungläubiges Geräusch von sich, und Jenks ließ sich fal en, bis er vor ihm schwebte, blieb dabei aber gerade außer Reichweite.

»Du Arsch«, fluchte der zehn Zentimeter große Mann. »Wir hätten dich mindestens dreimal töten können.«

Quen starrte ihn verärgert an. »Wir. Ich war an ihr interessiert, nicht an euch. Sie ist durchgefal en.«

»Ich nehme an, das heißt, dass Sie uns jetzt verlassen«, sagte ich, obwohl ich genau wusste, dass mir dieses Glück nicht vergönnt sein würde. Ich betrachtete seine unauffäl ige Kleidung und seufzte. Elfen schliefen, wenn die Sonne im Mittag stand und mitten in der Nacht, wie Pixies auch. Quen war ohne Trents Wissen hier.

Etwas selbstsicherer zog ich einen Stuhl hervor und setzte mich, bevor Quen sehen konnte, dass mir die Beine zitterten.

»Trent weiß nicht, dass Sie hier sind«, mutmaßte ich, und er nickte feierlich.

»Es ist mein Problem, nicht seines«, sagte Quen. »Ich bezahle Sie, nicht er.«

Ich blinzelte und versuchte, mein Unbehagen zu verbergen. Trent wusste von nichts. Interessant. »Sie haben einen Job für mich, von dem er nichts weiß«, fasste ich zusammen. »Was ist es?«

Quens Blick wanderte von Ivy zu Jenks.

Verärgert schlug ich die Beine übereinander und schüttelte den Kopf. »Wir sind ein Team. Ich werde sie nicht bitten, zu gehen, nur damit Sie mir erzählen können, was für ein gotterbärmliches Problem Sie haben.«

Der Elf runzelte die Stirn und atmete wütend ein.

»Schauen Sie«, sagte ich und stach mit dem Finger in die Luft vor seinem Gesicht. »Ich mag Sie nicht. Jenks mag Sie nicht. Und Ivy wil Sie aussaugen. Reden Sie einfach.«

Er erstarrte, und in diesem Moment sah ich kurz die Verzweiflung, die in seinen Augen stand. »Ich habe ein Problem«, begann er wieder, und in seiner tiefen, kontrol ierten Stimme lag ein feiner Unterton der Angst.

Ich warf einen kurzen Blick auf Ivy. Ihr Atem ging schnel er, sie hatte die Arme um sich geschlungen und hielt ihren Morgenmantel geschlossen. Sie sah erschüttert aus, und ihr Gesicht war noch weißer als normalerweise.

»Mr. Kalamack wird bald eine gesel schaftliche Veranstaltung besuchen und. .«

Ich schürzte die Lippen. »Ich habe heute schon einmal abgelehnt, als Hure zu dienen.«

Quens Augen blitzten auf. »Halten Sie den Mund«, sagte er kalt. »Jemand mischt sich in Mr. Kalamacks Nebengeschäfte ein. Das Meeting ist ein Versuch, zu einer friedlichen Übereinkunft zu kommen. Ich möchte, dass Sie mitgehen, um sicherzustel en, dass das wirklich al es ist, was passiert.«

Friedliche Übereinkunft? Es war also eine Ich-bin-härter-als-du-also-raus-aus-meiner-Stadt Party. »Saladan?«, riet ich.

Er zeigte echte Überraschung. »Sie kennen ihn?«

Jenks flitzte über Quen hin und her in dem Versuch, herauszufinden, was er war. Der Pixie wurde offensichtlich immer frustrierter, denn seine Richtungswechsel wurden ruckartiger, unterlegt von einem knal enden Geräusch seiner Libel enflügel. »Ich habe von ihm gehört«, sagte ich unverbindlich und dachte an Takata. Meine Augen verengten sich. »Was sol te es mich interessieren, wenn er Trents Nebengeschäfte an sich reißt? Es geht um Brimstone, richtig?

Sie können Ihr Problem nehmen und damit zur Höl e gehen.

Trent tötet Leute. Nicht, dass er es nicht schon früher getan hätte, aber diesmal tötet er ohne Grund.« Meine Wut ließ mich aufstehen. »Ihr Boss ist Mottenscheiße. Ich sol te ihn festnehmen, nicht ihm helfen. Und Sie«, ich wurde lauter und zeigte auf ihn, »sind weniger als Mottenscheiße, weil sie nichts unternehmen, während er es tut!«

Quen wurde rot, was dafür sorgte, dass ich mich um einiges besser fühlte. »Sind Sie so dumm?«, fragte er ausdruckslos, und ich versteifte mich. »Das verschnittene Brimstone kommt nicht von Mr. Kalamack, es kommt von Saladan. Darum geht es bei diesem Treffen. Mr. Kalamack versucht, es aus dem Verkehr zu ziehen, und wenn Sie nicht wol en, dass Saladan die Stadt übernimmt, dann Sol ten sie lieber damit anfangen, Mr. Trent am Leben zu erhalten, so, wie wir anderen es tun. Übernehmen Sie den Job oder nicht?

Ich zahle Ihnen zehntausend.«

Jenks gab ein überraschtes Geräusch im Ultraschal bereich von sich.

»Bezahlung im Voraus«, fügte Quen hinzu, zog ein schmales Bündel Banknoten aus seiner Kleidung und warf es mir vor die Füße.

Ich starrte auf das Geld. Es war nicht genug. Eine Mil ion Dol ar wäre nicht genug. Ich bewegte meinen Fuß und stieß es wieder zu Quen zurück. »Nein.«

»Nimm das Geld und lass ihn sterben, Rachel«, sagte Jenks vom sonnenüberfluteten Fensterbrett aus.

Der schwarz gekleidete Elf lächelte. »So arbeitet Miss Morgan nicht.« Sein von Pockennarben gezeichnetes Gesicht war vol er Zuversicht, und ich hasste den selbstsicheren Ausdruck in seinen Augen. »Wenn Sie das Geld nimmt, wird Sie Mr. Kalamack bis zum letzten Atemzug verteidigen.

Stimmt doch, oder?«

»Nein«, sagte ich und wusste, dass es wahr war. Aber ich würde seine lausigen zehn Riesen nicht nehmen.

»Und Sie werden das Geld und den Job annehmen«, prophezeite Quen, »weil ich sonst der ganzen Welt von Ihren Sommern in dem Camp seines Vaters erzähle. Sie sind die Einzige, die viel eicht den Hauch einer Chance hat, ihn am Leben zu erhalten.«

Mein Gesicht wurde kalt. »Bastard«, flüsterte ich und weigerte mich, die Angst hochkommen zu lassen. »Warum lassen Sie mich nicht einfach in Ruhe? Warum ich? Sie haben gerade den Boden mit mir gewischt.«

Er senkte den Blick. »Dort werden Vampire sein«, sagte er leise. »Mächtige Vampire. Es besteht die Möglichkeit. .«, er nahm einen tiefen Atemzug und sah mir in die Augen. »Ich weiß nicht, ob. .«

Ich schüttelte teilweise beruhigt den Kopf. Quen würde nichts sagen. Trent wäre ziemlich irritiert, wenn ich plötzlich verhaftet und in die Antarktis deportiert werden würde; er machte sich immer noch Hoffnungen, mich auf seine Gehaltsliste setzen zu können. »Wenn Sie Angst vor Vampiren haben, ist das Ihr Problem«, sagte ich. »Ich werde es nicht zu meinem machen. Ivy, schaff ihn aus meiner Küche.«

Sie bewegte sich nicht, also drehte ich mich zu ihr um.

Meine Wut verpuffte in dem Moment, als ich den leeren Ausdruck auf ihrem Gesicht sah. »Er ist gebissen worden«, flüsterte sie, und das wehmütige Zögern in ihrer Stimme schockierte mich. Zusammengekauert lehnte sie sich gegen die Wand, schloss die Augen und sog witternd die Luft ein.

Mein Mund öffnete sich, als ich verstand. Piscary hatte ihn gebissen, kurz bevor ich den untoten Vampir bewusstlos geschlagen hatte. Quen war ein Inderlander, also konnte er nicht mit dem Vamp-Virus infiziert und verwandelt werden, aber er war viel eicht geistig an den Meistervampir gebunden. Ich ertappte mich dabei, dass meine Hand meinen Hals bedeckte. Mir war kalt.

Big Al hatte die Form und Fähigkeiten eines Vampirs angenommen, als er mir den Hals aufgerissen hatte, um mich zu töten. Er hatte meine Venen mit derselben kraftvol en Mixtur aus Neurotransmittern gefül t, die jetzt durch Quen floss. Es half Vampiren beim Überleben, weil sie dadurch immer einen wil igen Blutspender hatten, und es sorgte dafür, dass Vampirpheromone Schmerzen in Genuss verwandelten. Wenn der Vampir genug Erfahrung hatte, konnte er die Reaktion so sensibilisieren, dass er, und nur er, dafür sorgen konnte, dass der Biss sich gut anfühlte. Sie banden die Person an sich und verhinderten so das Wildern an ihrer privaten Bezugsquel e.

Algaliarept hatte sich keine Mühe gegeben, die Neurotransmitter zu sensibilisieren – da er ja eigentlich darauf aus war, mich zu töten. Mir blieb eine Narbe, die jeder Vamp manipulieren konnte. Ich gehörte niemandem, und solange ich dafür sorgte, dass jegliche Vampirzähne auf der richtigen Seite meiner Haut blieben, würde es auch so bleiben. Innerhalb der in der Vampirwelt geltenden Hierarchie war ein ungebundener Gebissener das Niedrigste vom Niedrigen, ein Partyspaß, ein pathetisches Überbleibsel, absolut keiner Beachtung wert. Jeder Vampir konnte ihn sich nehmen, wenn er wol te. Als herrenloser Besitz lebte man nicht lange. Man wurde von Vamp zu Vamp weitergereicht, bis einem al e Lebenskraft und jeder Wil e entzogen worden waren, um dann betrogen in verwirrter, schrecklicher Einsamkeit zu verrotten. Ohne Ivys Schutz wäre auch ich zu einem dieser Opfer geworden.

Und Quen war entweder wie ich gebissen worden und nicht gebunden, oder er war gebissen und an Piscary gebunden. Ich starrte den Mann mitleidsvol an und erkannte, dass er jeden Grund hatte, Angst zu haben.

Als er mein Verständnis sah, kam Quen geschmeidig auf die Füße. Ivy spannte sich an, und ich hob die Hand, um ihr zu bedeuten, dass es in Ordnung war. »Ich weiß nicht, ob der Biss mich an ihn gebunden hat oder nicht«, sagte Quen, und es gelang ihm nicht, die Angst in seiner Stimme zu verbergen. »Ich kann nicht riskieren, dass Mr. Kalamack sich auf mich verlässt. Ich wäre viel eicht. . abgelenkt, wenn ich es nicht sein sol te.«

Von der Narbe ausgehende Wel en der Glückseligkeit, die baldigen Genuss versprachen, konnten al erdings eine heftige Ablenkung darstel en. Sogar mitten in einem Kampf.

Mitleid ließ mich einen Schritt vortreten. Auf seiner Stirn standen Schweißtropfen. Er hatte das Alter, das jetzt auch mein Vater gehabt hätte, wenn er noch am Leben gewesen wäre, aber mit der Stärke eines Zwanzigjährigen und der geistigen Stabilität der Reife.

»Hat irgendein anderer Vampir Ihre Narbe prickeln lassen?«, frage ich ihn und war mir bewusst, dass das eine verdammt persönliche Frage war. Aber er war zu mir gekommen.

Er sah mir fest in die Augen, als er sagte: »Ich muss erst noch in eine Situation kommen, wo es passieren könnte.«

»Rachel?«, rief Jenks und ließ sich mit einem Flügelklappern fal en, um neben mir zu schweben.

»Dann weiß ich nicht, ob Piscary Sie gebunden hat oder nicht«, sagte ich und erstarrte plötzlich, als mir klar wurde, dass meine Narbe kribbelte. Ansätze von tieferen Gefühlen gingen von ihr aus, die mich sofort wachsam werden ließen.

Quen versteifte sich. Unsere Blicke trafen sich, und ich konnte an seinen erschrockenen Augen ablesen, dass er es ebenfal s spürte.

»Rache!«, schrie Jenks. Seine Flügel waren rot, als er mir vor das Gesicht flog und mich zwang, zurückzuweichen.

»Quen ist nicht der Einzige hier, der ein Problem hat!«

Ich folgte seinem panischen Blick zu Ivy. »Oh. . Mist«, flüsterte ich.

Ivy hatte sich in eine Ecke gedrückt. Ihr Morgenmantel stand offen und gab den Blick auf ihr seidenes schwarzes Nachthemd frei. Ihre Kontrol e war weg, ihre Augen schwarz und leer. Ich erstarrte, weil ich nicht wusste, was geschah.

»Bring ihn hier raus«, flüsterte sie, und ein Tropfen Speichel fiel von ihrem Reißzahn. »Oh Gott, Rachel. Er ist an niemanden gebunden. Piscary. . Er ist in meinem Kopf.« Sie atmete keuchend ein. »Er wil , dass ich ihn nehme. Ich weiß nicht, ob ich ihn aufhalten kann. Bring Quen hier raus!«

Ich starrte nur, immer noch unsicher, was ich tun sol te.

»Schaff ihn aus meinem Kopf!«, stöhnte sie. »Schaff ihn raus!« Entsetzt beobachtete ich, wie sie an der Wand herunterglitt, um sich mit den Händen über den Ohren zusammenzukauern. »Schaff ihn weg!«

Mit klopfendem Herzen wirbelte ich zu Quen herum. Mein Hals schickte brennende Versprechungen durch meinen Körper. Ich konnte an seinem Gesichtsausdruck sehen, dass auch seine Narbe aktiv war. Und bei Gott, es fühlte sich gut an.

»Öffne die Tür«, sagte ich zu Jenks. Ich packte mir Quens Arm und zog ihn in den Flur. Hinter uns erklang ein angsterfül tes, kehliges Stöhnen. Ich fing an zu rennen und zog Quen hinter mir her. Er versteifte sich, als wir den Altarraum betraten, und befreite sich aus meinem Griff. »Sie gehen! Jetzt!«

Der Kampfsportmeister stand zusammengekauert und zitternd da, was ihn verwundbar aussehen ließ. Auf seinem Gesicht konnte man den Kampf ablesen, der sich in seinem Inneren abspielte, und seine Augen zeigten einen gebrochenen Geist. »Sie werden Mr. Kalamack an meiner Stel e begleiten«, sagte er mit einem wilden Gesichtsausdruck.

»Nein, werde ich nicht.« Ich griff nach seinem Arm.

Er sprang zurück. »Sie werden Mr. Kalamack an meiner Stel e begleiten«, wiederholte er mit jetzt verzweifelter Miene. »Oder ich gebe auf und gehe zurück in die Küche.«

Sein Gesicht verzerrte sich, und ich befürchtete, dass er auf jeden Fal zurückgehen würde. »Er flüstert mir Dinge zu, Morgan. Ich kann ihn hören, durch sie. .«

Mein Mund wurde plötzlich trocken, und meine Gedanken schossen zu Kisten. Wenn ich mich an ihn binden ließ, könnte ich so enden. »Warum ich?«, fragte ich. »Es gibt eine ganze Universität vol er Leute, die besser in Magie sind als ich.«

»Al e anderen verlassen sich auf ihre Magie«, keuchte er.

»Sie benutzen sie nur als letzte Rettung. Das verschafft Ihnen. . einen Vorteil.« Er schnappte nach Luft. »Sie wird schwächer. Ich kann es fühlen.«

»Okay!«, rief ich panisch. »Ich werde gehen, verdammt noch mal. Verschwinden Sie nur einfach!«

Ihm entkam ein gequältes Geräusch, leise wie ein Luftzug.

»Helfen Sie mir«, flüsterte er. »Ich kann mich nicht mehr bewegen.«

Mit rasendem Herzen schnappte ich mir seinen Arm und zog ihn zur Tür. Hinter uns gab Ivy einen gequälten Schrei von sich. Mir drehte sich der Magen um. Was hatte ich mir nur bei dem Date mit Kisten gedacht?

Ein hel er Schein von auf Schnee reflektiertem Licht fiel in die Kirche, als Jenks und seine Brut das ausgefeilte Fla-schenzugsystem bedienten, das wir instal iert hatten, damit sie die Tür öffnen konnten. Quen scheute vor dem kalten Luftzug zurück, der die Pixies dazu brachte, sich zu verstecken. »Verschwinden Sie!«, schrie ich frustriert und verängstigt, als ich ihn auf die Türschwel e zog.

Eine große Gray Ghost Limousine stand am Straßenrand.

Ich atmete erleichtert auf, als Jonathan, Trents Lakai Nummer eins, die Fahrertür öffnete und ausstieg. Ich hätte nie geglaubt, dass ich einmal glücklich sein würde, den widerwärtig großen, ekelhaften Mann einmal zu sehen. Sie hingen gemeinsam in der Sache drin und handelten hinter Trents Rücken. Das war ein noch üblerer Fehler als sonst. Ich konnte es jetzt schon fühlen.

Quen keuchte, als ich ihm die Stufen runterhalf. »Schaffen Sie ihn hier weg«, befahl ich.

Jonathan riss die Beifahrertür auf. »Werden Sie es machen?«, fragte er. Seine dünnen Lippen waren zusammengepresst, als er meine mit Cookieteig verschmierten Haare und die nassen Jeans musterte.

»Ja!« Ich schob Quen in das Auto. Er fiel auf dem Ledersitz in sich zusammen wie ein Betrunkener. »Fahren Sie!«

Der große Elf schloss die Tür und starrte mich an. »Was haben Sie mit ihm gemacht?«, fragte er kalt.

»Nichts! Es ist Piscary! Schaffen Sie ihn hier weg!«

Anscheinend befriedigt schritt er zur Fahrertür. Bald darauf beschleunigte das Auto erstaunlich leise. Ich stand auf dem vereisten Bürgersteig, zitterte und beobachtete, wie die Limousine um eine Ecke verschwand.

Mein Puls verlangsamte sich, und ich schlang die Arme um mich. Die Wintersonne wärmte mich nicht. Zögernd ging ich wieder hinein, ohne zu wissen, was ich auf meinem Küchenboden vorfinden würde.

10

Ich betrachtete mich im Spiegel über meiner neuen Frisierkommode aus solider Esche, als ich meine ringförmigen Ohrringe anzog. Es waren jene, die groß genug waren, dass Jenks darin sitzen konnte. Das kurze schwarze Kleid stand mir gut, und die über kniehohen Stiefel, die ich dazu angezogen hatte, würden dafür sorgen, dass mir nicht zu kalt wurde. Ich ging nicht davon aus, dass Kisten eine Schneebal schlacht im Park geplant hatte, so schmalzig und bil ig das auch wäre. Und er hatte gesagt, dass ich etwas Hübsches anziehen sol te. Ich drehte mich zur Seite und begutachtete mich. Das war hübsch. Das war sogar sehr hübsch.

Zufrieden setzte ich mich auf mein Bett und schloss meine Stiefel, wobei ich die letzten paar Zentimeter offen ließ, damit ich leichter laufen konnte. Ich wol te mich nicht zu sehr in die Aufregung hineinsteigern, dass ich mit Kisten ausging, aber die Chancen, mich hübsch anzuziehen und mich zu amüsieren, waren in letzter Zeit so selten gewesen, dass es schwer war, es nicht zu tun. Ich redete mir ein, dass ich genauso gut mit Freundinnen ausgehen könnte und mich ebenso gut fühlen. Es war nicht Kisten; es war einfach nur das Ausgehen.

Weil ich noch eine zweite Meinung hören wol te, klapperte ich auf der Suche nach Ivy den Flur entlang. Die Erinnerung daran, wie sie Piscary in ihrem Kopf bekämpft hatte, war immer noch sehr lebendig. Der untote Vampir hatte aufgegeben, sobald Quen verschwunden war, aber für den Rest des Tages war sie sehr bedrückt gewesen und hatte sich geweigert, darüber zu reden, während sie mir half, die Küche sauber zu machen. Sie wol te nicht, dass ich jetzt mit Kisten ausging, und ich war fast versucht, zuzugeben, dass es eine dumme Idee war. Aber es war ja nicht so, als könnte ich Kisten nicht aufhalten. Er hatte gesagt, dass er mich nicht beißen würde, und ich würde bestimmt nicht wegen einem kurzen Moment der Leidenschaft meine Meinung ändern.

Heute nicht. Niemals.

Als ich das Wohnzimmer betrat, strich ich mit den Händen mein glitzerndes Partykleid glatt und hielt dann inne, um auf Ivys Urteil zu warten. Sie lag zusammengerol t auf der Couch und schaute von ihrem Magazin hoch. Ich konnte nicht anders als zu bemerken, dass sie immer noch dieselbe Seite aufgeschlagen hatte wie vor einer halben Stunde, als ich mich umziehen gegangen war.

»Was denkst du?«, fragte ich und drehte mich langsam im Kreis. In den Stiefeln mit den hohen Pfennigabsätzen fühlte ich mich groß.

Sie seufzte und schloss das Magazin über ihre Finger, um sich die Seite zu merken. »Ich denke, es ist ein Fehler.«

Ich runzelte die Stirn und schaute an mir herunter. »Ja, du hast recht«, sagte ich unsicher, und meine Gedanken wanderten durch meinen Schrank. »Ich ziehe etwas anderes an.«

Als ich mich umdrehte, um zu gehen, schmiss sie ihr Heft quer durch den Raum, sodass es die Wand vor mir traf.

»Das meine ich nicht!«, rief sie, und ich wirbelte erschrocken herum.

Ivys ovales Gesicht war zerknittert, und ihre dünnen Augenbrauen waren zusammengezogen, als sie sich aufsetzte und unruhig herumzappelte.

»Rachel. .«, flehte sie, und ich wusste, wohin uns diese Unterhaltung führen würde.

»Ich werde mich nicht von ihm beißen lassen«, fauchte ich wütend. »Ich bin schon groß. Ich kann mich um mich selbst kümmern. Und nach heute Nachmittag kannst du dir verdammt sicher sein, dass seine Zähne nicht mal in meine Nähe kommen werden.«

Ihre braunen Augen waren besorgt, als sie die Füße unter sich anzog und damit noch unsicherer aussah. Das sah ich nicht oft an ihr. Ihre Augen schlossen sich, als sie tief einatmete, um sich zu sammeln. »Du siehst gut aus«, erklärte sie, und ich konnte fast fühlen, wie mein Blutdruck wieder sank. »Lass dich nicht von ihm beißen«, fügte sie leise hinzu.

»Ich wil Kisten nicht töten müssen, weil er dich an sich gebunden hat.«

»Bestimmt nicht«, sagte ich, als ich aus dem Raum ging, und versuchte damit ihre Laune zu bessern. Ich wusste, dass sie es wirklich tun würde. Es wäre der einzig sichere Weg, seinen Einfluss über mich zu brechen. Zeit und räumliche Entfernung könnten es letzten Endes auch tun, aber Ivy war niemand, der Risiken einging. Und meine Bindung an Kisten, nachdem ich sie abgelehnt hatte, wäre mehr als sie ertragen konnte. Meine Schritte wurden ein bisschen langsamer, als ich zurück in mein Zimmer ging, um mir etwas weniger Schril es anzuziehen. Dieses Outfit bettelte quasi um Ärger.

Ich stand vor meinem Schrank und schob Bügel hin und her in der Hoffnung, dass mich etwas anspringen und sagen würde »Trag mich! Trag mich!«. Ich hatte bereits al es angeschaut und begann langsam zu glauben, dass ich nichts hatte, was nicht zu sexy, aber trotzdem attraktiv genug für einen Abend in der Stadt war. Bei al dem Geld, das ich im letzten Monat darauf verwendet hatte, meinen Schrank zu fül en, hätte man meinen sol en, dass es etwas gab. Mein Magen verkrampfte sich beim Gedanken an mein schwindendes Guthaben, aber Quen hatte seine zehntausend auf dem Küchenboden liegen gelassen. Und ich hatte zugestimmt, den Babysitter für Trent zu spielen. .

Ich erschrak, als es leise an meiner Tür klopfte, und wirbelte mit der Hand am Hals herum.

»Ahm«, sagte Ivy, und ihr dünnes Lächeln sagte mir, dass sie es lustig fand, mich überrascht zu haben. »Es tut mir leid.

Ich weiß, dass du nicht zulassen wirst, dass er dich beißt.« Sie hob in einer verzweifelten Geste die Hand. »Es ist die Vamp-Geschichte. Sonst nichts.«

Ich nickte verständnisvol . Ich lebte inzwischen so lange mit Ivy zusammen, dass ihre Vampir-Instinkte mich als ihr Eigentum betrachteten, auch wenn ihr Bewusstsein sich darüber im Klaren war, dass das Gegenteil der Fal war. Das war der Grund, warum ich keine Übungskämpfe mehr mit ihr austrug, meine Kleidung nicht mehr zusammen mit ihrer wusch, nicht über Familien- oder Blutsbande redete oder ihr folgte, wenn sie plötzlich mitten in einem Gespräch scheinbar ohne Grund den Raum verließ. Al das drückte die Knöpfe an ihren Vampir-Instinkten und brachte uns zurück an den Punkt vor sieben Monaten, als wir mühsam herausgefunden hatten, wie wir zusammenleben konnten.

»Hier«, sagte Ivy, trat einen Schritt in den Raum und hielt mir ein faustgroßes Paket entgegen, das in grünes Geschenkpapier mit einer purpurnen Schleife verpackt war.

»Es ist ein verfrühtes Sonnenwend-Geschenk. Ich dachte, du wil st es für dein Date mit Kisten viel eicht verwenden.«

»Oh, Ivy«, rief ich überrascht und nahm das aufwändig und offensichtlich im Laden verpackte Geschenk entgegen.

»Danke. Ich, äh, habe deins noch nicht eingepackt . .«

Eingepackt? Ich hatte es noch nicht mal gekauft.

»Das ist okay«, sagte sie, offensichtlich nervös. »Ich wol te eigentlich auch warten, aber ich dachte, du könntest es gebrauchen. Für dein Date«, erklärte sie ungeschickt. Sie schaute eifrig auf das Paket in meiner Hand. »Los. Mach's auf!«

»Okay.« Ich setzte mich auf mein Bett und öffnete vorsichtig die Schleife und das Papier, da ich es viel eicht nächstes Jahr noch einmal verwenden konnte. Auf dem Papier war das Black-Kiss-Logo eingestanzt, und ich ließ mir Zeit, da ich die Spannung auskosten wol te. Black Kiss war ein exklusiver Laden, der ausschließlich auf Vamps ausgerichtet war. Ich ging nicht einmal beim Schaufensterbummel dort vorbei. Die Mitarbeiter wussten schon vom Hinsehen, dass ich mir bei ihnen nicht mal ein Taschentuch leisten konnte.

Das Papier fiel ab und gab eine kleine hölzerne Box frei, in der auf einem roten Samtkissen eine Kristal glasflasche lag.

»Ooooh«, hauchte ich. »Danke.« Ivy kaufte mir Parfüm, seitdem ich eingezogen war. Wir versuchten einen Duft zu finden, der ihren an mir haftenden Geruch überdeckte und ihr dabei half, ihre vampirischen Neigungen zu zügeln. Es war also nicht das romantische Geschenk, als das es viel eicht rüberkam, sondern eher eine Art Vampir-Antiaphro-disiakum. Meine Kommode war vol von ausgeschiedenen Düften, die eine schwankende Effektivität aufgewiesen hatten. Tatsächlich war dieses Parfüm mehr für sie als für mich.

»Es ist wirklich schwer zu finden«, erläuterte sie und sah plötzlich unangenehm berührt aus. »Man muss es extra bestel en. Mein Vater hat mir davon erzählt. Ich hoffe, du magst es.«

»Mmmmm«, murmelte ich, öffnete es und tupfte etwas davon hinter meine Ohren und auf meine Handgelenke. Ich atmete tief ein und dachte, dass es nach grünem Holz und einem Hauch von Zitrone roch: sauber und frisch, mit einer Andeutung von dunkleren Abgründen. Zum Anbeißen.

»Oh, das ist wundervol «, versicherte ich ihr, stand auf und umarmte sie spontan.

Sie hielt sehr stil , und ich räumte danach auf meiner Kommode herum und tat so, als hätte ich ihre Überraschung nicht bemerkt.

»Hey«, sagte sie schließlich, und ich drehte mich um. Sie sah verwirrt aus. »Es funktioniert.«

»Was. .«, fragte ich wachsam und fragte mich, was ich da gerade aufgetragen hatte.

Ihre Augen wanderten durch den Raum, bevor ihr Blick den meinen traf. »Es blockiert den Geruchssinn von Vampiren«, erklärte sie. »Zumindest die heikleren Aromen, die das Unterbewusstsein ansprechen.« Sie warf mir ein schiefes Lächeln zu, um harmlos auszusehen. »Ich kann dich überhaupt nicht riechen.«

»Cool«, sagte ich beeindruckt. »Ich sol te es einfach immer tragen.«

Ivys sah ein wenig schuldbewusst drein. »Könntest du, aber ich habe die letzte Flasche gekauft, und ich weiß nicht, ob ich es wieder finde.«

Ich nickte. Was sie meinte war, dass es teurer war als ein Fass Wasser auf dem Mond.

»Ich danke dir, Ivy«, sagte ich ernst.

»Gern geschehen.« Ihr Lächeln war echt. »Fröhliche vorgezogene Sonnenwende.« Ihre Aufmerksamkeit wandte sich dem vorderen Teil der Kirche zu. »Er ist da.«

Durch mein dünnes Buntglasfenster hörte man das Grol en eines Autos im Leerlauf. Ich holte tief Luft und warf einen Blick auf den Wecker neben meinem Bett. »Genau pünktlich.« Ich drehte mich zu ihr um und flehte sie mit den Augen an, an die Tür zu gehen.

»Nö.« Sie grinste mich an und zeigte dabei unbewusst ihre Reißzähne. »Du machst auf.«

Sie drehte sich um und ging. Ich schaute an mir selbst herunter und kam zu dem Schluss, dass ich absolut unpassend gekleidet war, aber wohl trotzdem so die Tür öffnen musste. »Ivy. .«, beschwerte ich mich, als ich ihr aus dem Raum folgte. Sie wurde nicht einmal langsamer, sondern hob nur abwehrend eine Hand, als sie in die Küche abbog.

»Na gut«, murrte ich und ging mit klappernden Absätzen nach vorn. Im Vorbeigehen machte ich die Lichter im Altarraum an, aber die hoch hängenden Lampen konnten die Dunkelheit kaum erhel en. Es war ein Uhr morgens, und die Pixies lagen al e sicher und gemütlich in meinem Schreibtisch. Sie würden erst gegen vier wieder aufwachen.

Im Foyer gab es kein Licht, und als ich eine Seite der schweren Tür aufschob, dachte ich, dass wir das mal ändern sol ten.

Kisten trat mit dem leisen Geräusch von Schuhsohlen auf Streusalz einen Schritt zurück.

»Hi, Rachel«, sagte er und ließ den Blick über meine Kleidung wandern. Ein leichtes Zucken der Haut um seine Augen sagte mir, dass ich richtig vermutet hatte; ich war für das, was er geplant hatte, nicht richtig angezogen. Ich wünschte mir, ich wüsste, was er unter dem fantastischen Wol mantel anhatte, der bis auf seine Stiefelspitzen fiel und sehr elegant aussah. Kisten hatte sich auch rasiert - seine üblichen Bartstoppeln waren verschwunden -, was ihn irgendwie poliert aussehen ließ. Das war ein Look, den ich an ihm nicht gewöhnt war.

»Das ist nicht, was ich anziehen werde«, sagte ich zur Begrüßung. »Komm rein. Ich brauche nur eine Minute, um mich umzuziehen.«

»Sicher.« Hinter ihm am Randstein stand seine schwarze Corvette, auf deren Motorhaube der fal ende Schnee schmolz. Er drückte sich an mir vorbei, und ich warf die Tür mit einem Knal en hinter ihm zu.

»Ivy ist in der Küche«, sagte ich und machte mich auf den Weg zurück zu meinem Zimmer. Seine leisen Schritte folgten mir. »Sie hatte einen schlimmen Nachmittag. Mit mir redet sie nicht, aber viel eicht mit dir.«

»Sie hat mich angerufen«, meinte er, und die vorsichtige Betonung seiner Worte sagte mir, dass er wusste, dass Piscary versucht hatte, seine Dominanz über sie durchzusetzen.

»Du wirst dir schon andere Stiefel anziehen, oder?«

Ich blieb abrupt vor meiner Zimmertür stehen. »Was stimmt nicht mit meinen Stiefeln?«, fragte ich, weil sie eigentlich das Einzige waren, was ich anbehalten wol te.

Ahm. . das Einzige aus diesem Outfit, nicht das Einzige überhaupt.

Er musterte sie mit hochgezogenen Brauen. »Sie sind, was, zwölf Zentimeter hoch?«

»Yeah.«

»Al es ist vereist. Du wirst hinfal en und dir den Arsch brechen.« Seine blauen Augen weiteten sich kurz. »Ich meine, dein Hinterteil.«

Bei dem Gedanken, dass er meinetwegen versuchte, auf seinen Wortschatz zu achten, huschte ein Lächeln über mein Gesicht. »Und sie sorgen dafür, dass ich genauso groß bin wie du«, stel te ich selbstgefäl ig fest.

»Ist mir aufgefal en.« Er zögerte, dann ging er an mir vorbei in mein Zimmer.

»Hey!«, protestierte ich, als er direkt auf meinen Schrank zusteuerte.

Er ignorierte mich und schob sich nach ganz hinten durch, genau dahin, wo ich al e Sachen hin verbannte, die ich nicht mochte. »Ich habe hier neulich etwas gesehen«, sagte er und stieß einen leisen Schrei aus, als er sich nach vorne lehnte und an etwas zog. »Hier«, er hielt ein Paar langweiliger schwarzer Stiefel hoch, »fang damit an.«

»Damit?«, beschwerte ich mich, als er sie abstel te und seine Arme wieder in meinem Schrank versenkte. »Die haben so gut wie keinen Absatz. Und sie sind vier Jahre alt und völ ig aus der Mode. Und was hast du überhaupt in meinem Schrank gesucht?«

»Das sind klassische Stiefel«, sagte Kisten beleidigt. »Die kommen nie aus der Mode. Zieh sie an.« Er suchte weiter und zog etwas hervor, was er nur erfühlt haben konnte, denn es war unmöglich, dass er da hinten etwas sah. Ich errötete, als ich erkannte, dass es ein alter Anzug war, von dem ich völ ig vergessen hatte, dass ich ihn besaß. »Oh, das ist einfach nur hässlich«, sagte er, und-ich riss ihm das Teil aus der Hand.

»Das ist mein alter Anzug für Vorstel ungsgespräche«, sagte ich. »Der sol hässlich sein.«

»Wirf ihn weg. Aber behalt die Hosen. Die ziehst du heute Abend an.«

»Tue ich nicht!«, widersprach ich. »Kisten, ich bin absolut dazu fähig, mir meine eigenen Kleider auszusuchen.«

Er hob schweigend die Augenbrauen und tauchte wieder ab, um ein schwarzes, langärmliges Oberteil aus meiner Denk-nicht-mal-dran-Abteilung hervorzuziehen, das meine Mutter mir vor drei Jahren geschenkt hatte. Ich hatte es nicht übers Herz gebracht, es wegzuschmeißen, weil es aus Seide war, auch wenn es so lang war, dass es mir bis auf die Oberschenkel fiel. Und der Ausschnitt so tief, dass meine flache Brust noch alberner aussah.

»Das auch«, befahl er, und ich schüttelte empört den Kopf.

»Nein«, sagte ich bestimmt. »Es ist zu lang, und es ist etwas, das meine Mutter anziehen würde.«

»Dann hat deine Mutter einen besseren Geschmack als du«, erwiderte er gut gelaunt. »Trag ein Trägertop drunter und steck es um Himmels wil en nicht in die Hose.«

»Kisten, raus aus meinem Schrank!«

Aber er griff wieder hinein und beugte dann seinen Kopf über etwas, das er hervorgekramt hatte. Ich vermutete, dass es die hässliche Handtasche mit den Pail etten war, von der ich mir wünschte, ich hätte sie nie gekauft, aber ich fühlte mich komplett gedemütigt, als er sich umdrehte und ich das unscheinbare Buch in seiner Hand sah. Es hatte keinen sichtbaren Titel und war in weiches braunes Leder gebunden.

Das Glitzern in Kistens Augen sagte mir, dass er wusste, was es war.

»Gib das her«, forderte ich schroff und streckte die Hand danach aus.

Mit einem miesen Lächeln hielt Kisten das Buch über seinen Kopf. Ich hätte es wahrscheinlich immer noch kriegen können, aber dafür hätte ich an ihm hochklettern müssen.

»So, so, so. .«, sagte er gedehnt. »Miss Morgan. Sie haben mich schockiert und entzückt. Wo haben Sie denn eine Ausgabe von Rynn Cormels Anleitung zum Daten von Untoten gefunden?«

Ich presste meine Lippen zusammen und schäumte vor Wut, war aber hilflos. Ich konnte nichts tun, als er einen Schritt zurücktrat und es durchblätterte.

»Hast du es gelesen?«, fragte er und gab dann einen überraschten Mmmm-Laut von sich, als er bei einer Seite hängen blieb. »Das hatte ich völ ig vergessen. Ich frage mich, ob ich es immer noch könnte.«

»Ja, ich habe es gelesen.« Ich streckte wieder die Hand aus. »Gib es mir.«

Kisten riss seine Aufmerksamkeit von der Seite los, aber seine langgliedrigen maskulinen Hände hielten das Buch offen. Seine Augen waren ein klein wenig schwärzer geworden, und ich verfluchte mich selbst, als nervöse Erregung mich durchzuckte. Verdammte Vamp-Pheromone.

»Oooh, es ist dir wichtig«, sagte Kisten und warf einen Blick aus der Tür, als Ivy in der Küche etwas aneinander-schlug. »Rachel. .«, fuhr er gedämpft fort und kam einen Schritt näher. »Du kennst al meine Geheimnisse.« Ohne hinzuschauen machte er ein Eselsohr in eine Seite. »Was mich verrückt macht. Was mich instinktiv über - die - Kante-treibt.«

Das letzte Wort betonte er bedeutungsvol , und ich unterdrückte ein wohliges Schaudern.

»Du weißt, wie du mich. . manipulieren kannst. Du weißt, wie du mich. . scharf machen kannst«, murmelte er. Das Buch lag unbeachtet in seiner Hand. »Haben Hexen auch ein Handbuch?«

Er hatte sich mir bis auf einen halben Meter genähert, und ich konnte mich nicht mal daran erinnern, dass er sich bewegt hätte. Der Geruch seines Wol mantels war stark, und darunter lag der berauschende Duft von Leder. Nervös schnappte ich mir das Buch, und Kisten trat einen Schritt zurück. »Das hättest du wohl gern«, murmelte ich. »Ivy hat es mir gegeben, weil ich endlich damit aufhören sol te, ihre Knöpfe zu drücken. Das ist al es.« Ich schob das Buch unter mein Kopfkissen, und Kistens Lächeln wurde breiter.

Verdammt, wenn er mich berührte, würde ich ihn schlagen.

»Da gehört es hin«, sagte er. »Nicht in den Schrank.

Bewahr es in der Nähe auf, damit du immer schnel nachschauen kannst.«

Sein langer Mantel wehte über seinen Schuhspitzen, als er sich mit verführerischer Anmut in Richtung Tür bewegte.

»Steck dein Haar hoch«, sagte er, als er durch den Türrahmen schlenderte. »Ich mag deinen Hals. Seite zwölf, dritter Absatz.« Er leckte sich die Lippen, und die Andeutung von Fangzahn war wieder verschwunden, sobald ich ihn gesehen hatte.

»Raus!«, schrie ich, machte zwei Schritte nach vorne und schlug die Tür zu.

Wutentbrannt drehte ich mich zu den Kleidungsstücken um, dankbar dafür, dass ich heute Nachmittag wenigstens mein Bett gemacht hatte. Ein unterschwel iges Kribbeln an meinem Hals ließ mich die Hand heben, und ich presste meine Handfläche gegen die Narbe in dem Versuch, das Gefühl zu verdrängen. Ich starrte auf mein Kopfkissen, dann zog ich zögernd das Buch hervor. Rynn Cormel hatte es geschrieben? Donnerwetter, der Mann hatte al ein das Land durch den Wandel geführt, und er hatte auch noch genug Zeit, ein Handbuch für Vampirsex zu schreiben?

Ein Geruch nach Lilien breitete sich aus, als ich das Buch bei der angemerkten Seite öffnete. Ich war auf al es vorbereitet, da ich das Buch zweimal ganz durchgelesen und mich überwiegend eher abgestoßen als erregt gefühlt hatte, aber der Absatz drehte sich nur um die Verwendung von Halsketten, um seinen Liebhaber zu erregen. Offenbar lud man ihn umso stärker dazu ein, einem den Hals aufzureißen, je mehr man ihn bedeckte. Die Gothic-Halsketten aus metal ener Spitze, die in letzter Zeit so modern waren, hatten ungefähr dieselbe Wirkung wie in einem Neglige herumzulaufen. Den Hals völ ig frei zu lassen war fast genauso schlimm - ein appetitliches Statement von vampirischer Jungfräulichkeit, und absolut unwiderstehlich.

»Hu«, murmelte ich, schloss das Buch und ließ es auf meinen Nachttisch fal en. Viel eicht war es an der Zeit, es mal wieder zu lesen. Mein Blick wanderte zu dem Outfit, das Kisten für mich ausgesucht hatte. Es sah altbacken aus, aber ich würde es anprobieren, und wenn Ivy ihm dann bestätigt hatte, dass ich wie vierzig aussah, konnte er nochmal zehn Minuten warten, bis ich mich wieder umgezogen hatte.

Schnel zog ich meine Stiefel aus und warf sie beiseite. Ich hatte vergessen, dass die graue Hose mit Seide gefüttert war.

Sie fühlte sich gut an, als sie über meine Beine glitt. Ich wählte - ohne Kistens Hilfe - ein schwarzes Trägertop aus und zog die lange Bluse darüber. Das Ding brachte meine Kurven überhaupt nicht zur Geltung, und ich drehte mich stirnrunzelnd zum Spiegel um.

Ich erstarrte, als ich mein Spiegelbild sah. »Verdammt«, flüsterte ich. Vorher, in meinen schwarzen Stiefeln und dem kurzen Kleid, hatte ich gut ausgesehen. Aber in dem hier? In dem hier sah ich . . mondän aus. Ich erinnerte mich an Seite zwölf, kramte meine längste Goldkette heraus und schlang sie mir um den Hals. »Verdammt noch mal«, hauchte ich und drehte mich, um mich aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

Meine Kurven waren weg, verborgen unter den einfachen geraden Linien, aber die schlichte Hose, die seidene Bluse und die Goldkette schrien die unterschwel ige Botschaft von Selbstvertrauen und lässigem Reichtum in die Welt. Meine bleiche Haut wirkte nun sanft alabasterfarben statt kränklich weiß, und mein athletischer Körperbau wirkte geschmeidig.

Für mich war das ein völ ig neuer Look. Ich hatte nicht gewusst, dass ich auch nach reicher Oberschicht aussehen konnte.

Zögernd zog ich meine Haare vom Hals und hielt sie auf meinem Kopf fest. »Wow«, hauchte ich, als ich mich plötzlich von mondän in elegant verwandelte. So gut auszusehen glich bei Weitem die Peinlichkeit aus, Kisten wissen zu lassen, dass er mich besser anziehen konnte als ich mich selbst.

Ich wühlte in einer Schublade nach dem letzten Amulett zur Zähmung der Locken und aktivierte es. Dann steckte ich meine Haare hoch und zog kunstvol ein paar Strähnen heraus, sodass sie vor meinen Ohren schwangen. Ich trug ein wenig von meinem neuen Parfüm auf, kontrol ierte mein Make-up, versteckte das Amulett unter der Bluse und schnappte mir eine kleine Handtasche mit Schnappver-schluss, da meine Umhängetasche al es ruinieren würde. Ich zögerte einen Moment, als mir klar wurde, dass ich meine üblichen Zauber nicht mitnehmen konnte, aber schließlich war es ein Date, kein Auftrag. Und fal s ich Kisten abwehren musste, würde ich das sowieso mit Kraftlinienmagie tun.

Meine Stiefel ohne Absatz waren kaum hörbar, als ich mein Zimmer verließ und dem sanften Gemurmel von Ivys und Kistens Stimmen in den bernsteinfarben erleuchteten Altarraum folgte. Ich verharrte im Türrahmen und schaute hinein.

Sie hatten die Pixies geweckt, die überal herumsausten, besonders um Ivys Klavier, wo sie zwischen den Saiten Fangen spielten. Es lag ein unterschwel iges Summen in der Luft, und mir wurde klar, dass die Vibrationen ihrer Flügel die Saiten zum Klingen brachten.

Ivy und Kisten standen neben der Tür zum Foyer. Sie zeigte denselben unruhigen, trotzigen Gesichtsausdruck, den sie auch vorher gehabt hatte, als sie sich geweigert hatte, mit mir zu reden. Kisten stand nah zu ihr geneigt und hatte eine Hand auf ihrer Schulter. Es war offensichtlich, dass er besorgt war.

Ich räusperte mich, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, und Kistens Hand fiel von Ivys Schulter. Ihre Haltung verwandelte sich in ihren üblichen Gleichmut, aber ich konnte ihr zerstörtes Selbstbewusstsein darunter erkennen.

»Oh, das ist besser«, sagte Kisten, als er sich umdrehte.

Sein Blick blieb kurz an meiner Kette hängen.

Er hatte seinen Mantel aufgemacht, und ich musterte ihn anerkennend, während er auf mich zukam. Kein Wunder, dass er mich hatte anziehen wol en. Er sah fantastisch aus: ein italienischer Nadelstreifen anzug in tiefem Blau, glänzende Schuhe, ein leichter Geruch von Seife. . und er lächelte mich mit dieser attraktiven Selbstsicherheit an. Seine übliche Kette war nur ein kurzes Aufblitzen unter dem Kragen seines gestärkten weißen Hemds. Eine geschmackvol e Krawatte lag um seinen Hals, und eine Uhrenkette zog sich von einer Westentasche durch ein Knopfloch zu der anderen Westentasche. Wenn man sich seine breiten Schultern und seine schmalen Hüften so ansah, gab es nichts zu meckern. Absolut gar nichts.

Ivy blinzelte, als sie mich musterte. »Wann hast du das gekauft?«, fragte sie, und ich lächelte breit.

»Kist hat es aus meinem Schrank gezogen«, sagte ich fröhlich, und das war das einzige Geständnis, das er in Bezug auf meinen Mangel an Schliff bekommen würde.

Es war ein Date, also stel te ich mich neben Kisten; Nick hätte einen Kuss bekommen, aber da Ivy und Jenks über uns schwebten - in Jenks Fal auch wörtlich verstanden -, war wohl ein wenig Diskretion angebracht. Und noch wichtiger war, dass er eben nicht Nick war.

Jenks landete auf Ivys Schulter. »Muss ich noch irgendwas sagen?«, wandte sich der Pixie mit in die Hüften gestemmten Händen an Kisten, vol in der Pose eines beschützenden Vaters.

»Nein, Sir«, sagte Kisten völ ig ernst, und ich kämpfte gegen ein Lächeln an. Das Bild eines zehn Zentimeter großen Pixies, der einem eins achtzig großen lebenden Vampir drohte, wäre lächerlich gewesen, wenn Kisten ihn nicht ernst genommen hätte. Jenks Warnung war real und absolut vol streckbar. Das Einzige, was noch unaufhaltsamer war als Fairy-Kil er, waren Pixies. Sie könnten die Welt regieren, wenn sie wol ten.

»Gut«, sagte Jenks, anscheinend zufriedengestel t.

Ich stand neben Kisten, schaukelte zweimal auf meinen flachen Absätzen vor und zurück und starrte einen nach dem anderen an. Keiner sagte ein Wort. Das war wirklich seltsam.

»Fertig zum Aufbruch?«, regte ich schließlich an.

Jenks kicherte und flog davon, um seine Kinder wieder in den Schreibtisch zu treiben. Ivy warf Kisten einen letzten Blick zu, dann verließ sie den Altarraum. Schnel er als ich erwartet hatte, hörte man den Fernseher brül en. Ich musterte Kisten noch einmal nachdenklich und dachte, dass er heute Abend seinem Biker-Image so ähnlich sah wie eine Ziege einem Baum.

»Kisten?« Ich hob eine Hand an meine Kette. »Was sagt. .

das aus?«

Er lehnte sich zu mir. »Zuversicht. Nicht auf der Suche nach etwas, aber hinter verschlossenen Türen ungezogen.«

Ich unterdrückte ein von Nervenkitzel ausgelöstes Schaudern, als er sich wieder aufrichtete. Okay, das. .

funktioniert.

»Lass mich dir mit deinem Mantel helfen«, sagte er, und ich gab ein betroffenes Geräusch von mir, als ich ihm ins Foyer folgte. Mein Mantel. Mein hässlicher, hässlicher Mantel mit dem falschen Pelz am Kragen.

»Autsch«, sagte Kisten prompt, und ich konnte in dem gedämpften Licht aus dem Altarraum sehen, wie sich seine Brauen zusammenzogen. »Ich sag dir was.« Er schlüpfte aus seinem Mantel. »Du kannst meinen tragen. Es ist ein Unisex-Schnitt.«

»Warte mal«, protestierte ich und trat einen Schritt zurück, bevor er ihn mir über die Schultern legen konnte. »So dumm bin ich nicht, du Fangträger. Am Ende werde ich nach dir riechen. Das ist ein platonisches Date, und ich werde nicht Regel Nummer eins verletzen und unsere Körpergerüche mischen, bevor ich überhaupt aus meiner Kirche trete.«

Er grinste, und seine weißen Zähne leuchteten in dem dämmrigen Licht. »Hast mich kalt erwischt«, gab er zu. »Aber was wil st du dann tragen? Das da?«

Ich verzog mein Gesicht zu einer Grimasse und starrte meinen Mantel an. »In Ordnung«, stimmte ich zu, weil ich mein neues, elegantes Auftreten nicht mit falschem Pelz und Nylon ruinieren wol te. Und da war ja noch mein neues Parfüm. .

»Aber ich ziehe ihn nicht an, um absichtlich unsere Gerüche zu vermischen, verstanden?«

Er nickte, aber sein Lächeln ließ mich Böses ahnen. Ich ließ mir trotzdem in den Mantel helfen. Ich starrte ins Leere, als seine wohlige warme Schwere sich über meine Schultern legte. Kisten konnte viel eicht mich nicht riechen, aber ich konnte Kisten riechen, und seine nachklingende Körperwärme sank in mich ein. Leder, Seide und die leiseste Andeutung von einem sauber riechenden Aftershave ergaben einen Mix, bei dem es schwer war, nicht zu seufzen.

»Kommst du klar?«, fragte ich, als ich sah, dass er jetzt nur noch seine Anzugjacke trug.

»Das Auto ist schon warm.« Er kam mir beim Türöffnen knapp zuvor, und seine Hand traf meine auf der Klinke.

»Erlaube mir«, sagte er galant. »Du bist mein Date. Ich wil dich auch so behandeln.«

Ich fand, dass er sich albern benahm, aber ließ ihn trotzdem die Tür öffnen und meinen Arm nehmen, um mir die mit Schnee bedeckten Stufen hinunterzuhelfen. Kurz nach Sonnenuntergang hatte es zu schneien begonnen, und die hässlichen grauen Kleckse, die die Schneepflüge aufgeworfen hatten, waren von makel osem Weiß verdeckt.

Die Luft war kalt und frisch, und es war windstil .

Ich war nicht überrascht, als er mir die Autotür öffnete. Ich konnte nicht anders als mich besonders zu fühlen, als ich es mir bequem machte. Kisten schloss die Tür und hastete um die Motorhaube herum. Die Ledersitze waren warm, und es hing kein Pappbaum am Rückspiegel. Während er einstieg, warf ich einen kurzen Blick auf die CDs in der Ablage. Sie reichten von Korn über Jeff Beck bis zu einer CD mit singenden Mönchen. Er hörte die Musik von Mönchschören?

Kisten richtete sich ein. Sobald das Auto startete, drehte er die Heizung vol auf. Ich ließ mich in den Sitz sinken und genoss das tiefe Grol en des Motors. Er war um einiges stärker als der Motor meines kleinen Autos und grummelte in meinem Bauch wie Donner. Auch das Leder war von höherer Qualität, und das Mahagoni der Konsolen war echt und nicht nur Imitat. Ich war eine Hexe; ich konnte das erkennen.

Ich weigerte mich, Kistens Auto mit Nicks zugigem, hässlichem Truck zu vergleichen, aber es fiel mir tatsächlich schwer, es nicht zu tun. Es machte Spaß, mich schick zu machen, selbst wenn es damit enden sol te, dass wir bei Mickey-Ds aßen. Und das war definitiv eine Möglichkeit in Anbetracht der Tatsache, dass Kisten nur sechzig Dol ar ausgeben durfte.

Ich warf einen Blick auf den Mann neben mir und musste mir eingestehen, dass es mir egal war.

11

»Also«, sagte ich langsam und kämpfte gegen das Bedürfnis, die Tür zu packen, um sie davon abzuhalten, bei jeder Bodenwel e aufzugehen, wie ich es in Nicks Truck hätte tun müssen. »Wo fahren wir hin?«

Die Lichter des Autos hinter uns beleuchteten Kistens Gesicht, als er mir ein kurzes Lächeln zuwarf. »Das wirst du schon noch sehen.« H

Ich hob die Augenbrauen und holte Luft, um Details einzufordern, als ein sanftes Zwitschern aus seiner Tasche drang. Meine verspielte Stimmung verwandelte sich ziemlich schnel in Frust, als er mir einen entschuldigenden Seitenblick zuwarf und nach seinem Handy griff.

»Ich hoffe doch, dass das nicht den ganzen Abend über so weitergeht«, murmelte ich, legte meinen Arm auf die Beifahrertür und starrte aus dem Fenster. »Fal s doch, dreh einfach um und fahr mich nach Hause. Nick ist nie ans Telefon gegangen, wenn wir zusammen aus waren.«

»Nick hat auch nicht versucht, die halbe Stadt am Laufen zu halten.« Kisten öffnete das silberne Gerät.

»Ja«, meldete er sich, und der Ärger in seiner Stimme war so scharf zu hören, dass ich meinen Arm wieder von der Tür nahm und meine Aufmerksamkeit auf ihn richtete. Aus dem Telefon drangen leise flehende Geräusche. Im Hintergrund konnte ich die polternden Bässe von Musik hören. »Du machst Scherze.« Kisten nahm die Augen von der Straße, warf einen Blick auf mich und konzentrierte sich dann wieder auf die Fahrbahn. »Na, dann verschwinde da und öffne die Tanzfläche.«

»Das habe ich versucht!«, schrie die leise Stimme. »Das sind Tiere, Kist. Verdammte Wilde!« Die Stimme sank wieder zu unverständlicher Lautstärke ab, aber die Panik war deutlich erkennbar.

Kisten seufzte und sah mich an. »Okay, okay. Wir kommen kurz vorbei, und ich kümmere mich darum.«

Die Stimme am anderen Ende quol schier über vor Dankbarkeit, aber Kisten machte sich nicht die Mühe, zuzuhören. Er klappte das Handy wieder zu und steckte es weg. »Tut mir leid, Liebes«, sagte er mit seinem lächerlichen britischen Akzent. »Ein kurzer Halt. Ich verspreche, es sind nur fünf Minuten.«

Und es hatte so schön angefangen. »Fünf Minuten?«, vergewisserte ich mich. »Einer von beiden muss verschwinden«, drohte ich, halb ernsthaft. »Das Handy oder der Akzent.«

»Oh!« Er legte in einer dramatischen Geste die Hand auf die Brust. »Ich bin tief getroffen.« Dann sah er mich schief an, offensichtlich erleichtert, dass ich es so locker nahm. »Ohne mein Telefon kann ich nicht sein. Der Akzent verschwindet. .

Liebes.«

»Oh, bitte«, stöhnte ich und genoss das seichte Geplänkel.

Ich hatte bei Nick so lange jedes Wort auf die Goldwaage gelegt, weil ich Angst gehabt hatte, etwas Falsches zu sagen und al es noch schlimmer zu machen. Anscheinend war ich diese Sorge los.

Ich war nicht überrascht, als Kisten in Richtung Hafenviertel fuhr. Ich hatte mir schon gedacht, dass sich das Problem bei Piscarys Pizza ergeben hatte. Seitdem das Lokal letzten Herbst seine Lizenz für gemischtes Publikum verloren hatte, war es nur noch für rein vampirische Klientel geöffnet, und soweit ich gehört hatte, machte Kisten damit tatsächlich Gewinn. Es war das einzige angesehene Lokal in Cincinnati ohne LGP, dem das gelang.

»Wilde?«, fragte ich nach, als wir auf den Parkplatz des zweistöckigen Restaurants fuhren.

»Mike ist nur theatralisch«, sagte Kisten, als er auf seinem reservierten Platz anhielt. »Es ist nur ein Haufen Frauen.« Er stieg aus, und ich blieb mit den Händen im Schoß sitzen, als sich seine Tür schloss. Ich hätte erwartet, dass er den Motor für mich laufen ließ. Mein Kopf flog hoch, als er mir die Tür öffnete, und ich starrte ihn ausdruckslos an.

»Kommst du nicht mit rein?«, fragte er und zitterte in dem kalten Wind vom Fluss, der seine Haare wehen ließ. »Es ist eiskalt hier draußen.« *

»Ahm, sol te ich?«, stammelte ich überrascht. »Du hast die LGP verloren.«

Kisten streckte eine Hand nach mir aus. »Ich glaube nicht, dass du dir Sorgen machen musst.«

Der Gehweg war vereist, und als ich aus dem Auto stieg, war ich sehr froh, dass ich flache Stiefel anhatte. »Aber Piscarys hat keine LGP«, sagte ich noch mal. Der Parkplatz war vol , und Vampiren dabei zuzusehen, wie sie sich gegenseitig zur Ader ließen, konnte einfach kein schöner Zeitvertreib sein. Und wenn ich freiwil ig hineinging, obwohl ich wusste, dass sie keine LGP hatten, würde das Gesetz mir auch nicht helfen, wenn etwas schief lief.

Kistens Mantel war so lang, dass er hinter mir herschleifte, als der Vampir mich zum dem mit einem Baldachin überdachten Eingang führte. »Jeder da drin weiß, dass du Piscary bewusstlos geschlagen hast«, sagte er nur Zentimeter von meinem Ohr entfernt. Ich war mir seines Atems auf meinem Gesicht sehr bewusst. »Keiner von ihnen hätte auch nur gewagt daran zu denken, etwas Ähnliches zu tun.« Er öffnete die Tür, und Licht und Musik drangen uns entgegen. »Oder machst du dir Sorgen wegen des Bluts?«, fragte er, als ich zurückscheute.

Ich fing seinen Blick ein und nickte. Es kümmerte mich nicht, ob er meine Angst sah.

Mit unbeteiligtem Gesichtsausdruck führte Kisten mich vorsichtig weiter. »Du wirst kein Blut sehen«, erklärte er beruhigend. »Al e hier kommen, um sich zu entspannen, nicht um das Biest zu füttern. Das ist der einzige Ort in Cincinnati, wo Vampire in die Öffentlichkeit gehen können und sie selbst sein, ohne den Erwartungen von irgendwelchen Menschen, Tiermenschen oder Hexen gerecht werden zu müssen. Ohne sich zu fragen, wie sie sich benehmen sol en und wer sie sein sol en. Es gibt hier kein Blut, außer, jemand schneidet sich beim Bieröffnen in den Finger.«

Immer noch unsicher ließ ich mich hineinführen. Er blieb direkt hinter der Tür stehen, um sich den Schnee von den Lackschuhen zu schütteln. Was mich zuerst traf, war die Hitze, und ich ging nicht davon aus, dass sie nur von dem großen Pizzaofen am hinteren Ende des Raumes kam. Es musste fast dreißig Grad haben, und die Luft war erfül t von dem angenehmen Duft von Räucherstäbchen und anderen, dunkleren Aromen. Ich atmete tief ein, als ich Kistens Mantel öffnete, und es schien, als ob die Atmosphäre direkt in mein Hirn eindrang und mich entspannte wie es ein heißes Bad oder ein gutes Essen tat.

Ich fühlte mich ein wenig unbehaglich, als ein lebender Vamp mit beunruhigender Flinkheit auf uns zukam. Seine Schultern sahen aus, als wären sie so breit wie ich groß, und er wog mindestens hundertfünfzig Kilo. Aber seine Augen waren scharf und verrieten Intel igenz, und er bewegte seinen muskulösen Körper mit der unwiderstehlichen Eleganz, die fast al en lebenden Vampiren zu Eigen war.

»Es tut mir leid«, sagte er in einem Slang, der klang, als würde er im Fitness-Studio Gewichte stemmen. Seine Hand war ausgestreckt - nicht, um mich zu berühren, sondern um mir zu bedeuten, dass ich gehen sol te. »Piscarys hat seinen LGP verloren. Nur Vampire.«

Kisten glitt hinter mich und half mir aus dem Mantel.

»Hi, Steve. Gibt es Probleme?«

»Mr. Felps«, rief der große Mann leise aus, und plötzlich sprach er in einem gehobenen Akzent, der besser zu der Intel igenz in seinen Augen passte. »Ich habe Sie noch nicht erwartet. Nein. Keine Probleme, außer bei Mike im ersten Stock. Hier unten ist es schön ruhig.« Er warf mir einen entschuldigenden Blick zu. »Sorry, Ma'am. Ich wusste nicht, dass Sie mit Mr. Felps hier sind.« *

Ich erkannte eine fantastische Gelegenheit, um ein wenig zu schnüffeln: »Bringt Mr. Felps öfter Frauen mit, die nicht der vampirischen Überzeugung anhängen?«

»Nein, Ma'am«, versicherte der Mann so ungezwungen, dass ich ihm einfach glauben musste. Seine Worte und Bewegungen waren so harmlos und unvampirisch, dass ich noch zweimal nachroch, ob er wirklich einer war. Mir war nicht klar gewesen, wie viel der vampirischen Identität offensichtlich an der Attitüde hing. Und als ich mich im Erdgeschoss umsah, wirkte es wie jedes bessere Restaurant, sogar weniger fein, als es zu seinen LGP-Zeiten gewesen war.

Die Bedienungen trugen normale Kleidung, die den Großteil ihrer Narben bedeckte, und sie bewegten sich mit einer effektiven Schnel igkeit, die nicht im Mindesten provokativ war. Meine Augen wanderten zu den Bildern über der Bar. Ich blieb an einem verschwommenen Bild von Ivy in ihrer Ledermontur hängen. Sie saß auf ihrem Motorrad und vor ihr, auf dem Tank, saßen ein Nerz und eine Ratte. Oh Gott. Jemand hat uns gesehen.

Kisten warf mir einen ironischen Blick zu, als er sah, wohin ich gerade schaute. »Steve, das ist Miss Morgan«, sagte er, als er meinen geliehenen Mantel dem Türsteher überreichte.

»Wir werden nicht lange bleiben.«

»Ja, Sir«, sagte der Mann, blieb dann stocksteif stehen und drehte sich noch einmal zu uns um. »Rachel Morgan?«

Mein Lächeln wurde breiter. »Es ist mir ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen, Steve.«

Aufregung durchschoss mich, als Steve meine Hand nahm und sich für einen altmodischen Handkuss darüberbeugte.

»Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite, Miss Morgan.«

Der große Vampir zögerte, und plötzlich lag Dankbarkeit in seinen ausdrucksvol en Augen. »Danke, dass sie Piscary nicht getötet haben. Das hätte Cincinnati zur Höl e werden lassen.«

Ich lachte in mich hinein. »Ach, es war ja nicht ich al ein.

Ich hatte Hilfe bei der Festnahme. Und danken Sie mir noch nicht«, fügte ich hinzu und war mir keineswegs sicher, ob er es ernst gemeint hatte oder nicht. »Zwischen Piscary und mir ist noch eine Rechnung offen, und ich habe mich einfach noch nicht entschieden, ob es die Mühe wert ist, ihn zu töten, oder nicht.«

Kisten lachte, aber es klang gezwungen. »In Ordnung, in Ordnung«, sagte er und zog meine Hand aus Steves. »Das reicht. Steve, lässt du bitte jemanden meinen langen Ledermantel von unten holen? Wir fahren wieder, sobald ich die Tanzfläche geöffnet habe.«

»Natürlich, Sir.«

Ich konnte mein Lächeln nicht verbergen, als Kisten seine Hand an meinen El bogen legte und mich zur Treppe führte.

Ich kam zu dem Schluss, dass er noch kein Ziel damit verfolgte, dass er mich immer wieder berührte - bis jetzt zumindest -, und dass ich damit leben konnte, wenn er mich durch die Gegend schob wie eine Barbiepuppe. Irgendwie passte das zu dem mondänen Look, den ich heute Abend hatte, und sorgte dafür, dass ich mich besonders fühlte.

»Gute Güte, Rachel.« Sein Flüstern an meinem Ohr ließ mich erschauern. »Glaubst du nicht, dass du schon als hart genug giltst, auch ohne dass du Blut auf dem Boden verteilst?«

Steve tratschte bereits mit der Bedienung, und einige Köpfe wandten sich uns zu, um zu beobachten, wie Kisten mich in den ersten Stock geleitete.

»Was?«, fragte ich abwesend und lächelte selbstsicher jeden an, der sich traute, mir in die Augen zu sehen. Ich sah gut aus, ich fühlte mich gut. Jeder konnte es sehen.

Kisten zog mich näher zu sich, um mir eine Hand ins Kreuz zu legen. »Glaubst du wirklich, dass es eine gute Idee war, Steve zu sagen, dass Piscary nur deswegen noch lebt, weil du noch nicht entschieden hast, ob du ihn töten wil st oder nicht? Was glaubst du, was für ein Image du ihm damit vermittelst?«

Ich lächelte ihn an. Ich fühlte mich einfach gut. Entspannt.

Als ob ich den ganzen Nachmittag Wein genippt hätte. Es mussten die Vamp-Pheromone sein, aber bis jetzt hatte meine Narbe nicht das kleinste Kribbeln von sich gegeben.

Das war etwas anderes. Anscheinend gab es nichts Ent-spannteres und Wohligeres als einen satten Vampir, und offensichtlich teilten sie dieses Gefühl gerne mit anderen.

Wie kam es, dass Ivy sich nie so fühlte?

»Na ja, ich habe gesagt, dass ich Hilfe hatte«, schränkte ich ein und fragte mich, ob ich lal te. »Aber Piscary zu töten wird auf Platz eins meiner Wunschliste stehen, wenn er je aus dem Gefängnis kommt.«

Kisten sagte nichts, sondern sah mich nur mit zusammengezogenen Brauen an, und ich fragte mich, ob ich etwas Schlimmes gesagt hatte. Aber er hatte mir in dieser Nacht ägyptische Einbalsamierungsflüssigkeit gegeben, weil er geglaubt hatte, dass es Piscary außer Gefecht setzen würde. Er hatte gesagt, dass er sich wünschte, ich würde ihn töten. Viel eicht hatte er seine Meinung geändert?

Die Musik aus dem ersten Stock wurde immer lauter, je höher wir auf der Treppe stiegen. Es war ein gleichmäßiger Tanzrhythmus, und er drang in mich ein und brachte mich dazu, mich dazu bewegen zu wol en. Ich konnte fühlen, wie das Blut in mir vibrierte, und ich schwankte, als Kisten mich oben an der Treppe zum Stehen brachte.

Hier oben war es noch wärmer, und ich fächelte mir Luft zu. Die riesigen Glasfenster, die früher einen Ausblick auf den Ohio River geboten hatten, waren anders als im Erdgeschoss durch Wände ersetzt worden. Die Tische waren entfernt und so blieb nur ein leerer Raum mit hohen Decken zurück, der so breit war wie das gesamte Gebäude. An den Wänden standen hohe Cocktailtische ohne Stühle, und uns gegenüber zog sich, auch ohne Stühle, eine lange Bar entlang. Al e Anwesenden standen.

Knapp unter der Decke über der Bar war ein Zwischenboden eingezogen, auf dem sich das DJ-Pult und die Lichtmaschinen befanden. Dahinter stand etwas, das wie ein Bil ardtisch aussah. Ein gequält aussehender Mann stand mit einem Mikrofon in der Hand in der Mitte der Tanzfläche und flehte eine bunt gemischte Menge von Vampiren an: lebende und tote, Frauen und Männer, al e ähnlich angezogen wie ich vor meinem Umstyling. Ich beschloss, dass es ein Tanzclub für Vampire war, und musste der Versuchung wiederstehen, mir die Ohren zuzuhalten, um die lauten Pfiffe etwas zu dämpfen.

Der Mann mit dem Mikrofon sichtete Kisten, und sein langes Gesicht strahlte vor Erleichterung.

»Kisten!«, rief er, und der ins Mikro gesprochene Name brachte die umstehenden Frauen in ihren knappen Kleidern zum Jubeln. »Gott sei Dank!«

Der Mann winkte ihn heran, und Kisten legte seine Hände auf meine Schultern. »Rachel?«, begann er fragend.

»Rachel!« Erst bei diesem zweiten Ausruf schaffte ich es, meine Aufmerksamkeit von den hübschen sich drehenden Lichtern über der Tanzfläche loszureißen. Seine blauen Augen blickten besorgt. »Bist du okay?«

Ich nickte mit wippendem Kopf. »Jau, jau, jau«, sagte ich kichernd. Ich fühlte mich warm und entspannt. Ich mochte Kistens Tanzclub. s Kisten runzelte die Stirn. Er warf einen Blick zu dem viel zu fein angezogenen Mann, der von al en ausgelacht wurde, und schaute dann wieder mich an. »Rachel, das dauert nur einen Moment. Ist das in Ordnung?«

Ich beobachtete wieder die bunten Lichter, und er umfasste mein Kinn, um meinen Kopf zu sich zu drehen. »Ja«, sagte ich ungeduldig und bewegte meinen Mund sehr langsam, damit ich deutlich sprach. »Ich werde genau hier warten. Geh ruhig und eröffne die Tanzfläche.« Jemand rempelte mich an, und ich fiel fast gegen ihn.

»Ich mag deinen Club, Kisten. Er ist klasse.«

Er stel te mich wieder aufrecht hin und wartete, bis ich mein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, bevor er mich losließ. Die Menge hatte angefangen, seinen Namen zu schreien, und er hob eine Hand, um ihre Rufe anzuerkennen.

Sie verdoppelten die Lautstärke, und ich hielt mir die Hände über die Ohren. Die Musik erschütterte mich.

Kisten winkte jemandem am Fuß der Treppe zu, und ich sah, wie Steve zwei Stufen auf einmal nahm. Er bewegte seine riesige Gestalt als wäre sie federleicht. »Ist sie, was ich denke, dass sie ist?«, fragte Kisten den großen Mann, als er näherkam.

»Ye-e-e-ah«, sagte er langsam, als beide mich forschend anstarrten. »Sie ist bluttrunken. Aber sie ist doch eine Hexe.«

Steves Augen wandten sich von mir ab und richteten sich auf Kisten. »Oder nicht?«

»Doch«, bestätigte Kisten und musste fast schreien, um die Laute zu übertönen, mit denen die Menge ihn drängte, das Mikro zu übernehmen. »Sie ist gebissen worden, aber sie ist an niemanden gebunden. Viel eicht ist das der Grund.«

»Vampi, Vampi pher. . äh. . pher-« Ich leckte mir mit einem Stirnrunzeln die Lippen. »Pheromone«, sagte ich mit weit aufgerissenen Augen. »Mmmm, schön. Wie kommt es, dass Ivy sich nie so fühlt?«

»Weil Ivy einfach verklemmt ist.« Kisten schaute finster drein. Dann seufzte er tief, und ich legte meine Arme auf seine Schultern. Er hatte tol e Schultern, muskulös und vielversprechend.

Kisten nahm meine Hände von seinem Körper und hielt sie vor mir fest. »Steve, bleib bei ihr.«

»Klar, Boss«, sagte der große Vampir und stel te sich ein bisschen versetzt hinter mich.

»Danke.« Kisten sah mir forschend in die Augen. »Es tut mir leid, Rachel«, sagte er. »Das ist nicht dein Fehler. Ich wusste nicht, dass das passieren würde. Ich bin gleich wieder da.«

Er wandte sich ab. Ich streckte meine Hand nach ihm aus und blinzelte, als die Menge in Tumult ausbrach, während er in die Mitte des Raums trat. Kisten stand für einen Moment mit gesenktem Kopf da und sammelte sich. Er sah sexy aus in seinem italienischen Anzug. Er fesselte die Menge, ohne ein Wort zu sagen; ich konnte nicht anders als beeindruckt zu sein. Ein schurkisches Lächeln lag auf seinen Lippen, als er den Kopf hob und die Leute unter seinem Pony hervor ansah. »Heilige Scheiße«, sagte er schließlich ins Mikro und die Menge jubelte. »Was zur Höl e macht ihr al e hier?«

»Wir warten auf dich«, rief eine weibliche Stimme.

Kisten grinste und machte mit der Hüfte ein paar eindeutige Bewegungen, während er ein Nicken in Richtung der Stimme schickte. »Hey, Mandy. Du bist heute Abend hier? Wann haben sie dich rausgelassen?«

Sie schrie glücklich auf, und er lächelte. »Ihr seid eine ganz schöne Versammlung von Drachen, wisst ihr das? Macht Mickey das Leben schwer. Was stimmt nicht mit Mickey? Er behandelt euch gut.«

Die Frauen jauchzten, und ich hielt mir die Ohren zu, nur um fast umzufal en, weil ich das Gleichgewicht verlor. Steve nahm meinen Arm.

»Na ja, ich hatte versucht, zu einem Date zu gehen«, fuhr Kisten fort und ließ theatralisch den Kopf hängen. »Mein erstes seit was-weiß-ich-wann. Seht ihr sie, da an der Treppe?«

Der riesige Lichtkegel eines Scheinwerfers wurde auf mich gerichtet, und ich zuckte zusammen und blinzelte. Die Hitze des Strahls brachte meine Haut zum Kribbeln, und ich richtete mich auf, um zu winken, nur um wieder fast umzufal en. Steve fing mich am Arm, und ich lächelte ihn dankbar an. Ich lehnte mich gegen ihn, aber er schüttelte nur freundlich den Kopf und ließ einen Finger über mein Kinn gleiten, bevor er mich wieder aufrecht hinstel te.

»Sie ist heute Abend ein wenig neben der Spur«, erklärte Kisten weiter. »Ihr al e hier amüsiert euch viel zu gut, und es färbt auf sie ab. Wer hätte gedacht, dass Hexenrunner es brauchen, mit uns zu feiern?«

Der Lärm verdoppelte sich, und die Geschwindigkeit der Lichter nahm zu. Sie rasten über den Boden, die Wände hoch und die Decke entlang. Mein Atem wurde passend zum Rhythmus der Musik schnel er.

»Aber ihr wisst ja, was man sagt«, übertönte Kisten die Musik. »Je größer sie sind. .«

»Desto besser!«, schrie jemand.

»Desto mehr brauchen sie die Party!«, rief Kisten über das Gelächter hinweg. »Also schont sie ein bisschen, ja? Sie wil sich einfach nur entspannen und etwas Spaß haben. Keine Verstel ung, keine Spielchen. Ich würde sagen, jede Hexe mit dem Mumm, Piscary zu besiegen und ihn am Leben zu lassen, hat Reißzähne, die lang genug sind, um mit ihr zu feiern. Seid ihr damit al e A-positiv?«

Der erste Stock explodierte vor Begeisterung, sodass die Schal wel en mich gegen Steve pressten. Meine Augen wurden feucht, als meine Gefühle von einem Extrem ins nächste fielen. Sie mochten mich. Wie cool war das denn?

»Dann lasst die Party beginnen!«, schrie Kisten und wirbelte zu dem DJ-Pult herum. »Mickey, gib mir, was ich wil .«

Die Frauen kreischten euphorisch, und ich beobachtete fassungslos, wie die Tanzfläche plötzlich vol er Frauen mit wilden Augen und eleganten Bewegungen war. Kurze, offenherzige Kleider, hohe Absätze und aufwändiges Make-up waren die Regel, obwohl es auch ein paar ältere Vampire gab, die ähnlich stilvol gekleidet waren wie ich. Es waren kaum mehr lebende Vamps als tote.

Musik dröhnte aus den Lautsprechern unter der Decke, laut und eindringlich. Ein schwerer Beat, eine blechern klingende Trommel, ein schmalziger Synthesizer und eine raue Stimme. Es war Rob Zombies »Living Dead Girl«, und ich starrte ungläubig, als sich die verschiedenen Zuckungen der langgliedrigen, spärlich bekleideten Vampire in die rhythmischen, synchronisierten Bewegungen eines cho-reografierten Tanzes verwandelten.

Es sah aus wie Squaredance oder Linedance. Oh - mein

-Gott. Die Vampire machten Linedance.

Wie ein Fischschwarm wiegten und bewegten sie sich miteinander, und das Stampfen ihrer Füße war stark genug, um Staub von der Decke rieseln zu lassen. Nicht eine machte einen Fehler oder einen falschen Schritt. Ich blinzelte, als Kisten sich in einer Michael-Jackson-Imitation an den Anfang der Schlange setzte und darauf noch ein Staying Alive folgen ließ. Er sah unglaublich verlockend aus. Die Frauen hinter ihm folgten ihm nach der ersten Bewegung exakt. Ich war mir nicht sicher, ob sie das geprobt hatten, oder ob ihre schnel eren Reaktionen ihnen solche übergangslosen Improvisationen erlaubten. Nach einem weiteren Blinzeln beschloss ich, dass es keinen Unterschied machte.

Kisten leuchtete fast durch die Macht und Intensität der Hingabe der hinter ihm versammelten Vampire, die ihn vorwärtstrug. Von dem Übermaß an Pheromonen, der Musik und den Lichtern fast betäubt, sah ich nur noch wie durch einen Schleier. Jede Bewegung war von flüssiger Eleganz, jede Geste war präzise und gelassen.

Der Lärm brandete wie eine Wel e über mich hinweg. Als ich beobachtete, wie sie in wilder Ausgelassenheit feierten, verstand ich, dass ihre Freude aus der Tatsache resultierte, dass sie nicht befürchten mussten, dass jemand sie an ihre Rol e als Vampire erinnerte, die gefäl igst düster und depressiv sein mussten und mysteriöse Angst um sich zu verbreiten hatten. Und ich fühlte mich auserwählt, weil sie mich genug respektierten, um mich sie so sehen zu lassen, wie sie sich wünschten, immer sein zu können.

Schwankend lehnte ich mich gegen Steve, während der Bass mein Bewusstsein in wil kommene Benommenheit hämmerte. Meine Augen weigerten sich, offen zu blieben.

Ein lärmendes Donnern schüttelte mich und ließ wieder nach, um sich in den schnel eren Beat eines anderen Liedes zu verwandeln. Jemand berührte meinen Arm, und ich öffnete die Augen.

»Rachel?«

Es war Kisten. Ich schenkte ihm ein schiefes Lächeln.

»Du tanzt gut«, sagte ich. »Tanz mit mir!«

Er schüttelte den Kopf und warf einen Blick auf den Vampir, der mich auf den Beinen hielt. »Hilf mir, sie nach draußen zu bringen. Das ist verdammt seltsam.«

»Schlimme, schlimme Sprache«, lal te ich, und meine Augen fielen wieder zu. »Pass auf, was du sagst.«

Mir entkam ein Kichern, das sich in einen entzückten Schrei verwandelte, als jemand mich hochhob, um mich an sich geschmiegt zu tragen. Ich zitterte, als der Lärm nachließ, und mein Kopf stieß gegen jemandes Brust. Es war warm, und ich kuschelte mich enger an. Der donnernde Beat verwandelte sich in sanfte Gespräche und das Klappern von Geschirr. Eine schwere Decke wurde über mich gelegt, und ich gab ein protestierendes Geräusch von mir, als jemand eine Tür öffnete und kalte Luft mich traf.

Die Musik und das Lachen verklangen hinter mir und wurde ersetzt durch eisiges Schweigen, das nur von den Schritten zweier Personen auf vereistem Schnee und dem Piepen des Autos unterbrochen wurde. »Sol ich jemanden anrufen?«, hörte ich einen Mann fragen, als ein unangenehm kalter Luftzug mich zum Zittern brachte.

»Nein. Ich glaube, al es, was sie braucht ist etwas frische Luft. Wenn sie nicht in Ordnung ist, bis wir ankommen, rufe ich Ivy an.«

»Na dann, viel Glück, Boss«, sagte die erste Stimme.

Ich fühlte mich kurz als würde ich fal en, und dann presste sich das kalte Leder eines Sitzes gegen meine Wange. Ich seufzte und verkroch mich tiefer unter der Decke, die nach Kisten und Leder roch. Meine Finger kribbelten, ich konnte meinen Herzschlag hören und mein Blut fließen fühlen.

Sogar das Zuknal en der Autotür konnte mich nicht erschüttern. Das plötzliche Brummen des Motors war beruhigend, und während mich die Bewegung des Autos in den Schlaf wiegte, hätte ich schwören können, dass ich Mönche singen hörte.

12

Das vertraute Rumpeln eines Autos, das über Gleise fuhr, weckte mich, und meine Hand schoss zur Tür, damit sie nicht aufging. Ich riss die Augen auf, als mein Knöchel gegen eine fremde Tür knal te. Oh ja, ich war ja nicht in Nicks Truck; ich saß in Kistens Corvette.

Ich erstarrte und ließ mich dann zurückfal en, um die Tür anzustarren. Kistens Ledermantel war über mich gebreitet wie eine Decke. Neben mir atmete jemand tief ein, und die Musik wurde leiser. Kisten wusste, dass ich wach war. Mein Gesicht wurde warm, und ich wünschte mir, ich könnte so tun, als würde ich noch schlafen.

Niedergeschlagen setzte ich mich auf und zog den langen Mantel an, was in der Enge des Autos nicht ganz einfach war.

Ich wol te Kisten nicht ansehen und schaute stattdessen aus dem Fenster, um herauszufinden, wo in den Hol ows wir gerade waren. Die Straßen waren belebt, und die Uhr am Armaturenbrett verkündete, dass es fast zwei war. Ich war vor den Augen eines Großteils der bessersituierten Vampire Cincinnatis umgekippt wie eine Betrunkene, weil ich von ihren Pheromonen high geworden war. Sie mussten jetzt glauben, dass ich eine wil ensschwache, magere Hexe war, die sich nicht behaupten konnte.

Kisten bewegte sich in seinem Sitz, als er an einer Ampel anhielt. »Wil kommen zurück«, sagte er sanft.

Mit zusammengepressten Lippen betastete ich unauffäl ig meinen Hals, um festzustel en, ob noch al es so war wie vorher. »Wie lang war ich weg vom Fenster?«, fragte ich ausdruckslos. Das würde Wunder für meinen Ruf bewirken.

Kisten schaltete in den ersten Gang. »Du bist nicht in Ohnmacht gefal en. Du bist eingeschlafen.« Die Ampel schaltete um, und er fuhr auf das Auto vor uns auf, um es dazu zu drängen, sich zu bewegen. »In Ohnmacht fal en bedeutet einen Mangel an Selbstbeherrschung. Einschlafen ist das, was man tut, wenn man müde ist.« Er warf mir einen schnel en Blick zu, als wir über die Kreuzung fuhren. »Jeder wird mal müde.«

»Niemand schläft in einer Disco ein«, widersprach ich. »Ich bin in Ohnmacht gefal en.«

Mein Hirn sortierte die Erinnerungen, die leider so klar waren wie Weihwasser und nicht gnädig verschwommen.

Mein Gesicht wurde knal rot. Trunken hatte er es genannt; ich war bluttrunken gewesen. Ich wol te nach Hause. Ich wol te einfach nur nach Hause, in das Priesterloch kriechen, das die Pixies im Glockenturm gefunden hatten, und dort sterben.

Kisten schwieg, doch die Anspannung in seinem Körper ließ mich erkennen, dass er etwas sagen würde, sobald er es mit seinem inneren Patronisier-Meter gegengecheckt hatte.

»Es tut mir leid«, meinte er schließlich und überraschte mich damit, aber sein Eingeständnis von Schuld machte mich wütend statt mich zu beruhigen. »Ich war ein Trottel, dass ich dich mit reingenommen habe, ohne zu wissen, ob Hexen bluttrunken werden können. Aber darauf wäre ich nie gekommen.« Sein Kiefer spannte sich an. »Und es ist nicht so schlimm wie du denkst.«

»Ja, genau«, brummelte ich und tastete mit der Hand unter dem Sitz herum, bis ich meine Handtasche gefunden hatte. »Ich wette, inzwischen weiß es schon die halbe Stadt.

>Hey, wil irgendwer heute Nacht rüber zu Morgan gehen und zuschauen, wie sie trunken wird? Al es, was es braucht, ist genug Spaß, und schon ist sie weg. Ha, ha!<«

Kistens Aufmerksamkeit war vol kommen auf die Straße gerichtet. »So war es nicht. Und da drin waren über zweihundert Vampire, ein Großteil davon tot.«

»Und das sol dafür sorgen, dass ich mich besser fühle?«

Mit steifen Bewegungen zog er sein Handy aus der Tasche, drückte eine Taste und gab es mir.

»Yeah?«, fragte ich in das Telefon, fast knurrend. »Wer ist da?«

»Rachel? Gott, bist du okay? Ich schwöre dir, ich werde ihn dafür umbringen. Dass er dich mit ins Piscarys genommen hat! Er hat gesagt, dass du trunken geworden bist. Hat er dich gebissen?«

»Ivy!«, stammelte ich und warf Kisten einen bösen Blick zu.

»Du hast es Ivy erzählt? Na vielen Dank auch. Wil st du als Nächstes viel eicht meine Mutter anrufen?«

»Als ob Ivy es nicht herausgefunden hätte«, rechtfertigte er sich. »Ich wol te, dass sie es von mir hört. Und ich habe mir Sorgen um dich gemacht«, fügte er hinzu und stoppte damit meinen nächsten Ausbruch.

»Hat er dich gebissen?«, schrie Ivy und lenkte mich damit von seinen letzten Worten ab. »Hat er?«

Ich wendete mich wieder dem Telefon zu.

»Nein«, sagte ich und befühlte meinen Hals. Obwohl ich nicht weiß, warum nicht. Ich war so ein Idiot.

»Komm nach Hause«, bat sie, und meine Wut verwandelte sich in Rebel ion. »Wenn dich jemand gebissen hat, kann ich es herausfinden. Komm nach Hause, damit ich dich riechen kann.«

Ich gab ein angewidertes Geräusch von mir. »Ich komme nicht nach Hause, damit du mich riechen kannst. Al e dort waren wirklich nett. Und es hat sich gut angefühlt, für verdammte fünf Minuten mal loszulassen.« Ich schaute Kisten finster an, weil ich erkannte, warum er mich mit Ivy hatte sprechen lassen. Der manipulative Bastard lächelte nur.

Wie konnte ich weiter wütend auf ihn sein, wenn ich ihn gerade verteidigte?

»Du bist in fünf Minuten bluttrunken geworden?« Ivy klang entsetzt.

»Yeah«, sagte ich trocken. »Viel eicht sol test du es auch mal versuchen. Setz dich ins Piscarys und saug die Pheromone in dich auf. Al erdings lassen sie dich viel eicht nicht rein. Du versaust sonst al en anderen den Spaß.«

Sie hielt den Atem an, und ich wünschte mir sofort, ich könnte die Worte zurücknehmen. Mist. »Ivy. . es tut mir leid«, ruderte ich schnel zurück. »Das hätte ich nicht sagen dürfen.«

»Lass mich mit Kisten sprechen«, erwiderte sie sanft.

Mit tauben Fingern reichte ich ihm das Telefon. Sein undurchdringlicher Blick traf für einen Moment meinen schuldbewussten. Er hörte einen Augenblick zu, murmelte etwas, das ich nicht verstand, und beendete das Telefonat.

Ich beobachtete ihn, um seine Laune abzuschätzen, als er das kleine silberne Handy wieder in seinen Wol mantel schob.

»Bluttrunken?«, fragte ich, weil ich dachte, dass ich viel eicht wissen sol te, was passiert war. »Wil st du mir viel eicht erklären, was genau das bedeutet?«

Seine Hände verschoben sich auf dem Lenkrad, und er setzte sich bequemer hin. Das flackernde Licht der vorbeihuschenden Laternen warf unheimliche Schatten auf ihn. »Es ist ein mildes Beruhigungsmittel«, sagte er, »das Vampire ausstoßen, wenn sie gesättigt und entspannt sind.

So was wie ein Nachglühen? Es war eine ziemliche Überraschung, als ein paar der jüngsten Untoten bluttrunken wurden, kurz nachdem Piscary zu rein vampirischer Klientel gewechselt hatte. Es tat ihnen unglaublich gut, also habe ich die Tische aus dem ersten Stock geräumt und ein DJ-Pult und eine Lichtanlage eingebaut, um ihn in einen Tanzclub zu verwandeln. Danach wurde jeder trunken.«

Er zögerte, als wir abrupt auf einen riesigen Parkplatz am Flussufer einbogen. An den Rändern häufte sich der Schnee fast zwei Meter hoch. »Es ist ein natürlicher Rausch«, fuhr er fort, während er herunterschaltete und langsam zu einer kleinen Ansammlung von Autos fuhr, die vor dem Dock eines hel erleuchteten Schiffes standen. »Und legal. Jeder mag es, und sie haben angefangen, sich selbst zu überwachen und jeden rauszuschmeißen, der für einen schnel en Aderlass kam. Sie beschützen auch diejenigen, die seelisch angeschlagen reinkommen und einschlafen, wie es dir passiert ist. Und es macht einen Unterschied. Frag deinen FIB-Captain. Gewaltverbrechen, die von al einstehenden jungen Vampiren begangen werden, haben nachgelassen.«

»Wirklich«, sagte ich und dachte, dass es klang wie eine inoffiziel e Vampir-Selbsthilfegruppe. Vielleicht sol te Ivy wirklich hingehen. Nee. Sie würde es nur al en anderen kaputtmachen.

»Du wärst nicht so anfäl ig gewesen, wenn du es nicht so sehr gebraucht hättest«, behauptete er, als er einparkte.

»Oh, also ist es mein Fehler«, antwortete ich trocken.

»Lass es«, sagte er, und seine Stimme war barsch, als er die Handbremse anzog. »Ich habe mich heute Abend schon einmal von dir anschreien lassen. Versuch nicht, mir das in die Schuhe zu schieben. Je mehr du es brauchst, desto heftiger trifft es dich, das ist al es. Und darum hat auch niemand auch nur ansatzweise schlecht von dir gedacht -

viel eicht halten sie jetzt sogar ein bisschen mehr von dir.«

Bestürzung ließ mich eine entschuldigende Miene aufsetzen, »'tschuldigung.« Ich mochte es irgendwie, dass er zu clever war, um sich von verdrehter weiblicher Logik manipulieren zu lassen. Das machte die Sache interessanter.

Langsam entspannte er sich und schaltete Heizung und CD-Player aus.

»Du warst innerlich verletzt«, erklärte er, als er die CD der singenden Mönche aus dem Gerät nahm und wieder in ihre Hül e legte. »Wegen Nick. Ich habe gesehen, wie du gelitten hast, seitdem du diese Linie durch ihn angezapft und dafür gesorgt hast, dass er dich fürchtete. Und die Vamps heute Abend haben es genossen zu sehen, wie du dich entspannst.« Er lächelte mit einem abwesenden Ausdruck in den Augen. »Sie haben sich gut dabei gefühlt, dass die große böse Hexe, die Piscary zusammengeschlagen hat, ihnen vertraut. Vertrauen ist ein Gefühl, das uns nicht oft entgegengebracht wird, Rachel. Lebende Vampire gieren fast so sehr danach wie nach Blut. Deswegen ist Ivy auch bereit, jeden zu töten, der eure Freundschaft bedroht.«

Ich sagte nichts und starrte vor mich hin. Langsam machte vieles Sinn.

»Das wusstest du nicht, richtig?«, fügte er hinzu, und ich schüttelte den Kopf. Ich fühlte mich nicht wohl dabei, in die

>Warums< meiner Freundschaft mit Ivy vorzudringen. Das Auto wurde langsam kalt, und ich fröstelte.

»Und dass du deine Verletzlichkeit gezeigt hast, war wahrscheinlich auch gut für deinen Ruf«, sagte er. »Dass du dich nicht von ihnen bedroht gefühlt hast und es hast geschehen lassen.«

Ich schaute auf das Boot, das vor uns auf dem Fluss lag und mit unzähligen Lichtern übersät war. »Ich hatte keine Wahl.«

Er streckte seinen Arm zu mir aus und rückte den Kragen seines Mantels an meinem Hals zurecht. »Doch, hattest du.«

Gelassen zog er die Hand zurück, und ich schenkte ihm ein schwaches Lächeln. Ich war nicht überzeugt, aber zumindest fühlte ich mich nicht mehr wie ein totaler Idiot. Mein Verstand ging die Sache noch einmal durch, den ganzen langsam Prozess von der Entspannung bis hin zum Schlaf, und auch die Reaktionen der Leute in meiner Nähe. Ich hatte mich getröstet und gut aufgehoben gefühlt. Niemand hatte über mich gelacht. Und keiner von ihnen hatte auch nur einen Hauch von Blutlust gezeigt. Ich hatte nicht gewusst, dass Vampire so sein konnten.

»Linedancing, Kisten?«, fragte ich schließlich und konnte fühlen, wie meine Lippen sich zu einem Lächeln verzogen.

Er lachte nervös und senkte den Kopf. »Hey, ahm, könntest du viel eicht einfach niemandem davon erzählen?« Seine Ohren wurden rot. »Was im Piscarys passiert bleibt im Piscarys. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz.«

Ich war dumm genug, meine Hand auszustrecken und einen Finger über den Rand seiner geröteten Ohrmuschel gleiten zu lassen. Er strahlte und drehte sich, um meine Hand zu nehmen und mit seinen Lippen über meine Finger zu streichen. »Außer, du wil st auch da Hausverbot«, ergänzte er.

Ich erschauderte, als sein Atem meine Finger traf, und zog meine Hand zurück. Sein abschätzender Blick drang direkt bis in mein Innerstes vor und brachte meinen Magen dazu, sich in Vorfreude zu verknoten.

»Du hast gut ausgesehen auf der Tanzfläche«, sagte ich, und es kümmerte mich nicht die Bohne, ob es ein Fehler war.

»Habt ihr auch Karaoke-Nächte?«

»Mmm«, murmelte er und drehte sich in seinem Sitz um, sodass er sich in seiner Böser-Junge-Haltung gegen die Tür lehnen konnte. »Karaoke. Das ist mal eine Idee. Die Dienstage laufen nicht so gut. Wir haben nie genug Leute da, um die richtige Stimmung zu erzeugen. Das ist viel eicht genau das, was wir brauchen.«

Ich wandte den Kopf zum Fenster und schaute auf das Boot, um mein Lächeln zu verbergen. Ein Bild von Ivy auf der Bühne, wie sie »Round Midnight« sang, schoss mir durch den Kopf. Kistens Blick folgte meinem zu dem Dampfer. Es war eines dieser neugebauten zweistöckigen Flussboote. »Wenn du wil st, bringe ich dich heim.«

Mit einem Kopfschütteln rückte ich seine Krawatte gerade.

»Nein, ich wil sehen, wie du eine Flussrundfahrt mit Abendessen auf einem zugefrorenen Fluss mit sechzig Dol ar bezahlst.«

»Das ist nicht das Abendessen. Das ist der Unterhaltungsteil.« Er warf kunstvol seine Haare zurück.

In meinem Hirn gingen die Lichter an. »Es ist ein Casino-Boot«, erkannte ich. »Das ist nicht fair. Al e Casino-Boote gehören Piscary. Du musst für überhaupt nichts bezahlen.«

»Das ist nicht Piscarys Boot.« Kisten stieg aus und kam zu meiner Tür. Er sah wirklich verdammt gut aus in seinem Wol mantel, als er mir die Tür öffnete und darauf wartete, dass ich ausstieg.

»Oh.« Mir ging noch ein Licht auf. »Wir nehmen die Konkurrenz unter die Lupe?«

»So was Ähnliches.« Er beugte sich runter, um mich zu mustern. »Kommst du? Oder fahren wir wieder?«

Wenn er seine Chips nicht umsonst bekam, war es innerhalb der Rahmenbedingungen unserer Abmachung.

Und ich hatte noch nie gezockt. Viel eicht machte es Spaß.

Also nahm ich seine Hand und ließ mir aus dem Auto helfen.

Er ging schnel , als wir zusammen zu dem Landungssteg mit Geländer hasteten. Am Fuß der Rampe wartete ein Mann in Parka und Handschuhen, und während Kisten sich mit ihm unterhielt, warf ich einen Blick auf das Wasser. Blasen, die um den Rumpf herum aufstiegen, hielten es davon ab, zuzufrieren. Es war wahrscheinlich teurer, als das Schiff für den Winter aus dem Wasser zu nehmen, aber nach den Gesetzen der Stadt war Glücksspiel nur auf dem Wasser erlaubt. Und auch wenn das Schiff am Dock befestigt war, es lag auf dem Wasser.

Der kräftige Mann ließ uns passieren, nachdem er in sein Funkgerät gesprochen hatte. Kisten legte mir eine Hand ins Kreuz und schob mich weiter. »Danke, dass ich mir deinen Mantel leihen durfte«, sagte ich, als wir den Steg hinaufgingen und uns auf der Gangway wiederfanden. Der heutige Schneefal hatte sie mit Weiß überzogen, und ich fegte das feine Pulver vom Handlauf ins Wasser, wo es kurz hel e Klumpen bildete.

»Ist mir ein Vergnügen«, sagte er und zeigte auf die Eingangstür, die halb aus Holz, halb aus Glas bestand. Zwei in einander verschlungene große S waren darin eingraviert.

Ich erschauderte, als in dem Moment, in dem Kisten die Tür öffnete und wir die Schwel e überschritten, eine kleine Dosis Kraftlinienenergie spürbar wurde. Wahrscheinlich war es der Anti-Betrugszauber des Casinos, aber es machte mich verrückt, weil es sich anfühlte, als würde ich ölverschmierte Luft atmen.

Ein anderer großer Mann im Smoking - nach dem vertrauten Rotholzduft zu schließen eine Hexe - begrüßte uns und nahm uns die Mäntel ab. Kisten trug sich ins Gästebuch ein und verzeichnete mich als >Gast<. Verärgert schrieb ich in großen Buchstaben meinen Namen über drei Linien hinweg unter seinen. Der Stift ließ meine Finger kribbeln, und ich schaute mir den silbernen Zylinder genau an, bevor ich ihn wieder weglegte. Al meine Alarmglocken fingen an zu schril en, und während Kisten mit dem Großteil unserer Date-Kasse einen einzigen Chip kaufte, strich ich unsere Unterschriften mit einer präzisen Linie durch, um zu verhindern, dass sie als Fokusobjekt für einen Kraftlinienzauber verwendet werden konnten.

»Und das hast du getan, weil. .?«, fragte mich Kisten, als er meinen Arm nahm.

»Vertrau mir.« Ich lächelte die große Hexe an, die für das Gästebuch verantwortlich war und einen versteinerten Gesichtsausdruck zur Schau trug. Es gab subtilere Wege, um den Diebstahl solcher Fokusobjekte zu verhindern, aber ich kannte keinen. Und es kümmerte mich überhaupt nicht, dass ich gerade unseren Gastgeber beleidigt hatte. Als ob ich hier jemals wieder herkommen würde.

Kisten hielt meinen Arm, also konnte ich al en, die von den Spieltischen aufsahen, zunicken als wäre ich wichtig. Ich war glücklich, dass Kisten meine Kleidung ausgewählt hatte; in dem, was ich ausgesucht hatte, hätte ich hier wie eine Nutte ausgesehen. Die Teakholz- und Eichenverkleidungen wirkten beruhigend, und der prächtige grüne Teppich fühlte sich unter meinen Füßen einfach fantastisch an, sogar durch die Stiefel hindurch. An den wenigen Fenstern hingen schwere burgunderfarbene Vorhänge mit schwarzem Muster, die zurückgezogen waren, um den Blick auf die Lichter von Cincinnati freizugeben. Der Raum war warm und roch nach Menschen und Aufregung. Das Klappern von Chips und die kurzen Freudenlaute ließen meinen Puls schnel er gehen.

Die tiefe Decke hätte beengend wirken können, aber sie tat es nicht. Es gab zwei Blackjack-Tische, einen Craps-Tisch, ein Roulette-Rad und eine ganze Wand vol er einarmiger Banditen. In der Ecke stand eine kleine Bar. Der Großteil der Angestel ten waren Hexen oder Hexer, zumindest, wenn mein Bauchgefühl recht hatte. Ich fragte mich, wo wohl der Pokertisch war. Viel eicht im ersten Stock? Poker war das Einzige, was ich spielen konnte. Na ja, ich konnte auch Blackjack, aber das war für Memmen.

»Wie wäre es mit Blackjack?«, fragte Kisten, während er mich unauffäl ig in diese Richtung steuerte.

»Klar«, sagte ich lächelnd.

»Wil st du einen Drink?«

Ich sah mich unter dem Umstehenden um. Cocktails waren die Regel, bis auf einen Mann, der Bier trank. Er trank es aus der Flasche, was sein gesamtes Auftreten versaute, trotz Smoking. »Dead Man's Float?«, fragte ich, als Kisten mir auf einen Hocker half. »Mit doppelt Eis?«

Die Bedienung nickte. Nachdem sie auch Kistens Bestel ung aufgenommen hatte, ging sie. »Kisten?« Mein Blick hob sich, angezogen von einer riesigen runden Metal platte, die unter der Decke hing. Bänder eines glänzenden Materials führten davon weg wie die Strahlen einer Sonne und zogen sich bis zu den Rändern des Raums.

Es hätte eine Dekoration sein können, aber ich war bereit, zu wetten, dass das Metal sich hinter den Holzvertäfelungen weiterzog, und wahrscheinlich auch unter dem Boden.

»Kisten, was ist das?«, flüsterte ich, während ich ihn antippte.

Sein Blick glitt zu der Scheibe. »Wahrscheinlich ihr Sicherheitssystem.« Er sah mich aufmerksam an und lächelte.

»Sommersprossen«, stel te er fest. »Sogar ohne deine Zauber bist du die schönste Frau hier.«

Ich errötete bei dem Kompliment - und war mir jetzt absolut sicher, dass die riesige Scheibe mehr war als Art deco

-, aber als er sich dem Geber zuwandte, schaute ich panisch zu der Spiegelwand in der Nähe der Treppe. Meine Schultern sanken herab, als ich mich in meinem mondänen Outfit sah, nur dass ich jetzt Sommersprossen hatte und mein Haar sich zu kräuseln begann. Das gesamte Boot war eine zauberfreie Zone - zumindest für uns Erdhexen, die auf Zauber in Amuletten angewiesen waren -, und ich vermutete, dass die große runde Scheibe auch etwas zu bieten hatte, um Kraftlinienhexen zu stoppen.

Al ein dadurch, dass das Boot auf dem Wasser lag, hatte es schon einen gewissen Schutz gegen Kraftlinienmagie, da man durch Wasser hindurch keine Linien anzapfen konnte, außer man wählte den umständlichen Weg durch einen Familiaris. Al er Wahrscheinlichkeit nach dämpfte das Sicherheitssystem des Bootes auch schon aktivierte Kraftlinienzauber und würde jeden entdecken, der versuchte, durch einen Vertrauten eine Linie anzuzapfen, um einen neuen zu wirken. Eine kleinere Version eines solchen Zaubers hatte ich einmal in meinen schon lang verschwundenen I.S.Handschel en gehabt.

Während Kisten mit dem Geber über seinen mageren Fünfzig-Dol ar-Chip scherzte, lehnte ich mich zurück und beobachtete die Leute. Es waren ungefähr dreißig im Raum, al e gut gekleidet und zum Großteil älter als Kisten und ich.

Ich runzelte die Stirn, als mir auffiel, dass Kisten der einzige Vampir hier war: Hexen, Tiermenschen und ein paar rotäugige Menschen, die über ihre Schlafenszeit hinaus auf waren, aber keine Vampire.

Das fühlte sich falsch an, deswegen öffnete ich meinen Geist, während Kisten sein Geld in ein paar Partien verdoppelte. Ich wol te den Raum mit dem zweiten Gesicht sehen. Ich benutzte das zweite Gesicht nicht gerne, besonders nicht nachts, wenn ich die Überlagerungen aus dem Jenseits sehen konnte, aber ich setzte mich lieber einem Anfal von üblem Gruseln aus als nicht zu wissen, was vorging. Ich dachte kurz darüber nach, ob Algaliarept wohl wissen konnte, was ich tat, beschloss dann aber, dass er das nicht konnte, solange ich keine Linie anzapfte. Was ich nicht tun würde.

Ich richtete mich ein und schloss die Augen, damit mein selten benutztes zweites Gesicht nicht mit meiner weitlichen Sicht konkurrieren musste, und öffnete nach einem kleinen mentalen Schubs mein inneres Auge. Sofort bewegten sich die Haarsträhnen, die sich aus meiner Frisur befreit hatten, in dem Wind, der immer im Jenseits wehte. Die Präsenz des Schiffs löste sich in nichts auf und stattdessen erschien die deprimierende Landschaft der Dämonenstadt.

Ich gab ein leises, angewidertes Geräusch von mir und erinnerte mich selbst daran, warum ich das sonst niemals so nah am Zentrum von Cincinnati tat; die Dämonenstadt war zerstört und hässlich. Der abnehmende Mond stand inzwischen wahrscheinlich am Himmel, und die Wolken wurden von unten durch ein deutlich erkennbares rotes Glimmen erleuchtet, das die in Stufen angeordneten eingefal enen Gebäude und den mit Vegetation bedeckten Schutt mit einem milchigen Licht zu überziehen schien. Es gab mir das Gefühl, mit Schleim bedeckt zu sein. Man sagte, dass die Dämonen unter der Erde lebten, und nachdem ich gesehen hatte, was sie ihrer Stadt angetan hatten - die auf denselben Kraftlinien gebaut war wie Cincinnati -, fragte ich mich auch nicht mehr, warum. Ich hatte das Jenseits einmal tagsüber gesehen. Da war es auch nicht besser.

Ich war nicht im Jenseits, ich sah es nur an, aber ich fühlte mich trotzdem unwohl, vor al em, als mir bewusst wurde, dass al es klarer erschien als sonst, weil ich mit Algaliarepts Aura überzogen war. Als ich mich an den Handel erinnerte, dem ich gerade entkommen war, öffnete ich hastig die Augen und betete, dass Algaliarept keinen Weg finden würde, mich durch die Kraftlinien zu verwenden, wie er es mir angedroht hatte.

Das Casino-Boot war genau so, wie ich es verlassen hatte, und die Geräusche, die mich geistig mit der Realität verbunden hatten, bekamen nun wieder eine Bedeutung. Ich verwendete nun beide meiner Sichtweisen und schaute mich schnel um, bevor das zweite Gesicht nachließ und verschwand.

Mein Blick wurde sofort von der Metal platte an der Decke angezogen, und ich verzog angewidert den Mund. Sie pulsierte in einem fettigen purpurfarbenen Schein, der al es überzog. Ich hätte darauf gewettet, dass ich das beim Reinkommen gespürt hatte.

Was mich al erdings am meisten interessierte, waren die Auren der Anwesenden. Ich konnte meine eigene nicht sehen, wenn ich in den Spiegel sah. Nick hatte mir einmal gesagt, dass sie golden-gelb war - nicht, dass sie jetzt unter Algaliarepts noch sichtbar gewesen wäre. Kistens Aura hatte ein gesundes, warmes Orangerot mit ein wenig Gelb um den Kopf. Ein Lächeln verzog meine Lippen. Er benutzte also seinen Kopf, um Entscheidungen zu treffen, nicht sein Herz; ich war nicht überrascht. Er hatte kein Schwarz, obwohl fast al e anderen im Raum dunkle Schlieren in ihren Auren hatten, wie ich feststel en konnte, als ich meinen Blick kurz durch den Raum wandern ließ.

Ich konnte mich gerade noch davon abhalten, zusammenzuzucken, als ich einen jungen Mann in einer Ecke dabei ertappte, wie er mich beobachtete. Er trug einen Smoking, aber er trug ihn als wäre er bequem. Der Mann hatte weder das steife, verklemmte Benehmen der Türsteher noch war er wie die Geber professionel gelangweilt. Und das vol e Glas neben seiner Hand sagte Gastgeber, nicht Kel ner.

Seine Aura war so dunkel, dass ich nicht sagen konnte, ob es ein dunkles Grün oder ein dunkles Blau war. In ihr verbarg sich eine Andeutung von Dämonenschwarz. Ich fühlte eine Wel e der Verlegenheit über mich hinwegschwappen bei dem Gedanken, dass er mich mit dem zweiten Gesicht ansah

- und ich war mir sicher, dass er das tat -und sehen konnte, dass ich über und über von Algaliarepts Aura bedeckt war.

Er stützte sein Kinn auf die Hand, lehnte sich zurück und musterte mich abschätzend von der anderen Seite des Raums aus. Er war tief gebräunt - ein guter Trick so kurz vor der Sonnenwende -, und zusammen mit den ausgebleichten Strähnen in seinem schwarzen Haar ergab das den logischen Schluss, dass er definitiv nicht aus unserem Staat, sondern wahrscheinlich von irgendwoher stammte, wo es warm war.

Durchschnittlich groß und durchschnittlich aussehend, wirkte er auf mich nicht übermäßig attraktiv, aber sein selbstsicheres Auftreten rechtfertigte einen zweiten Blick. Er sah auch reich aus, aber andererseits, wer tat das nicht in einem Smoking.

Meine Augen huschten von ihm zu dem Bier trinkenden Kerl, und ich entschied, dass man auch in einem Smoking trashig aussehen konnte. Mit dem Lächeln, das dieser Gedanke auf mein Gesicht zauberte, wandte ich mich wieder dem Surferboy zu.

Er beobachtete mich immer noch und erwiderte mein Lächeln. Dann senkte er ein wenig den Kopf, wie um zu einem Gespräch einzuladen. Ich atmete ein und wol te schon den Kopf schütteln, doch dann stoppte ich mich. Warum zur Höl e nicht? Ich belog mich selbst, wenn ich mir einredete, dass Nick zurückkommen würde. Und mein Date mit Kisten war nur ein Angebot für eine Nacht.

Ich fragte mich, ob das Schwarz in seiner Aura von einem Dämonenmal stammte, und konzentrierte mich, um durch seine ungewöhnlich dunkle Aura hindurchzusehen. Während ich das tat, wurde das purpurfarbene Glühen an der Decke hel er und zeigte den Beginn einer gelblichen Tönung.

Der Mann fuhr zusammen, und seine Aufmerksamkeit richtete sich auf die Decke. Entsetzen verzerrte sein glatt rasiertes Gesicht. Ein abrupter Ruf hal te von ungefähr drei verschiedenen Orten durch den Raum, und neben mir fluchte Kisten, als der Geber sagte, dass dieses Blatt manipuliert worden sein, und dass das Spiel ausgesetzt werde, bis er ein neues Kartenspiel geöffnet habe.

Das zweite Gesicht entglitt mir, als die Hexe am Gästebuch einen zweiten Mann auf mich hinwies. Und der war an dem totalen Mangel an jeder Emotion klar als Security-mann zu erkennen.

»Oh Mist«, fluchte ich, drehte dem Raum den Rücken zu und schnappte mir meinen Dean Man's Float.

»Was?«, fragte Kisten wütend, während er seine Gewinne nach Farben ordnete.

Ich verzog das Gesicht und suchte über den Rand meines Glases hinweg seinen Blick. »Ich fürchte, ich bin in einen Fettnapf getreten.«

13

»Was hast du gemacht, Rachel?«, fragte Kisten tonlos und versteifte sich, als er über meine Schulter sah.

»Nichts«, verteidigte ich mich. Der Geber warf mir einen müden Blick zu, während er das Siegel an einem neuen Kartenspiel aufbrach. Ich drehte mich nicht um, als ich hinter mir eine drohende Präsenz spürte.

»Gibt es ein Problem?«, fragte Kisten höfHch. Sein Blick war auf irgendetwas fast einen Meter über meinem Kopf gerichtet. Langsam wandte ich mich um und sah einen wirklich, wirklich großen Mann in einem wirklich, wirklich großen Smoking.

»Ich muss mit der Lady sprechen«, brummte er.

»Ich habe nichts getan«, sagte ich schnel . »Ich habe mir nur die. . ahm. . Sicherheitsvorkehrungen angesehen.«

Schwach, Rachel. »Aus professionel em Interesse. Hier. Hier ist meine Karte. Ich arbeite selbst im Securitybereich.« Ich wühlte in meiner kleinen Handtasche nach einer Karte und überreichte sie ihm. »Wirklich, ich wol te nichts manipulieren.

Ich habe auch keine Linie angezapft. Ehrlich.«

Ehrlich? Viel lahmer ging es wohl nicht? Meine schwarze Visitenkarte sah in seinen großen Händen winzig aus. Er warf einen schnel en Blick darauf und las sie. Dann suchte sein Blick den einer Frau am Fuß der Treppe. Sie zuckte mit den Schultern und formte mit den Lippen »Sie hat keine Linie angezapft«. Langsam drehte er sich wieder zu mir um. »Ich danke Ihnen, Miss Morgan«, sagte der Mann, und meine Schultern entspannten sich. »Bitte legen Sie ihre Aura nicht über unsere Hauszauber.« Er lächelte nicht einmal. »Bei weiteren Beeinträchtigungen werden wir Sie auffordern müssen zu gehen.«

»Sicher, kein Problem«, ich nickte und begann wieder zu atmen.

Er ging weg, und um uns herum ging das Spiel weiter.

Kisten wirkte leicht angepisst. »Kann man dich denn nirgendwo mit hinnehmen?«, fragte er trocken, warf seine Chips in einen kleinen Eimer und drückte ihn mir in die Hand. »Hier. Ich muss mal für kleine Jungs.«

Ich starrte ihn ausdruckslos an, als er mir einen warnenden Blick zuwarf, bevor er davonschlenderte und mich al ein im Casino zurückließ mit einem Eimer Chips und nicht dem Hauch einer Ahnung, was ich damit anfangen sol te. Ich drehte mich zu dem Blackjack-Geber um, der nur die Augenbrauen hob. »Ich schätze mal, ich spiele etwas Anderes«, schlug ich vor, als ich von meinem Stuhl glitt, und er nickte.

Ich hielt meinen Drink in der einen Hand, meinen Eimer mit den Chips in der anderen, und hatte mir die kleine Tasche unter den Arm geklemmt, während ich einen Blick durch den Raum warf. Surferboy war weg, und ich unterdrückte ein enttäuschtes Seufzen. Mit gesenktem Kopf musterte ich die Chips und sah, dass auf ihnen dieselben in einander verschlungenen S eingraviert waren wie auf der Tür.

Ohne den Geldwert dessen, was ich hatte, überhaupt zu kennen, driftete ich auf die Aufregung um den Craps-Tisch zu.

Ich schenkte den zwei Männern, die zur Seite gingen, um mir Platz zu machen, ein Lächeln, stel te meinen Drink und meine Chips auf dem unteren Rand des Tisches ab und versuchte zu verstehen, warum manche Leute über die gewürfelte Fünf glücklich waren und andere bestürzt. Einer der Hexen, die für mich zur Seite getreten waren, stand sehr dicht neben mir, und ich fragte mich, wann er mir wohl seinen Anmachspruch präsentieren würde. Und tatsächlich, schon beim nächsten Wurf grinste er mich nachlässig an und sagte: »Hier bin ich. Was sind deine anderen zwei Wünsche?«

Meine Hand zitterte, und ich zwang sie, ruhig zu bleiben.

»Bitte«, sagte ich. »Hören Sie einfach auf.«

»Oh, tol e Manieren, Baby«, sagte er möglichst laut in dem Versuch, mich zu beschämen, aber ich konnte mich selbst um einiges besser beschämen als er.

Die Gespräche um den Spieltisch verstummten nach und nach, als ich mich auf ihn konzentrierte. Ich war bereit, ihm Saures zu geben, weil mein Selbstrespekt schon tief genug getroffen war, als Surferboy hinter mir erschien.

»Sir«, sagte er ruhig, »das war der schlimmste Spruch, den ich je gehört habe. Er war nicht nur beleidigend, sondern zeugte auch von einem schweren Mangel an Voraussicht.

Offensichtlich belästigen Sie die junge Frau. Sie sol ten lieber gehen, bevor sie Ihnen ernsthaften Schaden zufügt.«

Er war beschützend, deutete aber gleichzeitig an, dass ich auf mich selbst aufpassen konnte. Das war in so wenigen Sätzen nur schwer zu machen, und ich war beeindruckt.

Der Baggermeister atmete tief ein, hielt inne und änderte bei einem weiteren Blick über meine Schulter seine Meinung.

Grummelnd sammelte er seinen Drink und seinen Kumpel ein und ging.

Ich entspannte mich wieder und hörte mich selbst seufzen, als ich mich zu Surferboy umdrehte. »Danke«, sagte ich und schaute ihn mir bei dieser Gelegenheit genauer an. Seine Augen waren braun und seine Lippen schmal, und wenn er so offen und ehrlich lächelte, war beides daran beteiligt. Er hatte offenbar entfernte asiatische Vorfahren, die ihm glattes schwarzes Haar und sowohl einen kleinen Mund als auch eine kleine Nase vermacht hatten.

Er senkte offenbar beschämt den Kopf. »Kein Dank nötig.

Ich musste etwas tun, um die Männerwelt vor solchen Sprüchen zu bewahren.« Sein Gesicht mit dem charakterstarken Kinn nahm einen Ausdruck von falscher Aufrichtigkeit an. »Was sind deine anderen zwei Wünsche?«, fragte er und lachte in sich hinein.

Ich lachte auch, schaute aber dann schnel auf den Craps-Tisch, als mir meine großen Zähne einfielen.

»Mein Name ist Lee«, sagte er und brach das Schweigen, bevor es unangenehm werden konnte.

»Rachel«, sagte ich und war erleichtert, als er einfach die Hand ausstreckte. Er roch nach Sand und Rotholz, und er ließ seine langen Finger in meinen Griff gleiten und erwiderte den Händedruck mit angemessener Kraft. Wir rissen unsere Hände auseinander, als ein Hauch von Kraftlinienenergie zwischen uns übersprang.

»Entschuldigung«, murmelte er und versteckte seine Hand hinter dem Rücken. »Einer von uns muss zu wenig haben.«

»Wahrscheinlich ich«, gab ich zu und weigerte mich, mir die Hand abzuwischen. »Ich sammle keine Linienenergie in meinem Familiaris.«

Lees Augenbrauen hoben sich. »Wirklich? Ich konnte nicht anders als zu bemerken, dass Sie sich die Security-maßnahmen angesehen haben.«

Das war mir jetzt wirklich peinlich. Ich nahm einen Schluck von meinem Drink und lehnte mich mit dem El bogen auf den Rand des Tisches. »Das war ein Unfal «, sagte ich, als die bernsteinfarbenen Würfel an mir vorbeirol ten.

»Ich wol te den Alarm nicht auslösen. Ich habe nur versucht, einen genaueren Blick auf. . ahm. . na ja, Sie zu werfen«, beendete ich den Satz und war inzwischen wahrscheinlich genauso rot wie meine Haare. Oh Gott, ich setze das gerade wirklich übel in den Sand.

Aber Lee schien amüsiert zu sein, und seine Zähne blitzten weiß in seinem dunklen Gesicht auf. »Ich auch.«

Sein Akzent war sympathisch. Viel eicht Westküste? Ich mochte sein lockeres Auftreten, aber als er an seinem Weißwein nippte, fiel mein Blick auf sein aus dem Hemd hervorschauendes Handgelenk, und mein Herz setzte einen Moment aus. Es war vernarbt. Es war genau so vernarbt wie meines. »Sie haben eine Dämonenma . .« Seine Augen schössen zu meinem Gesicht, und ich hielt den Mund.

»Entschuldigung.«

Lee sah sich kurz unter den umstehenden Gästen um.

Keiner schien etwas gehört zu haben. »Es ist okay«, sagte er leise und vorsichtig. »Es war ein Unfal .«

Ich lehnte mich gegen den Tisch und verstand nun, warum ihn meine verunreinigte Aura nicht verschreckt hatte.

»Kriegen wir sie nicht al e so?«, sagte ich und war überrascht, als er den Kopf schüttelte. Ich dachte an Nick und biss mir auf die Lippe.

»Wie haben Sie Ihres bekommen?«, fragte er, und jetzt war es an mir, nervös zu sein.

»Ich war am Sterben. Er hat mich gerettet. Ich schulde ihm etwas, weil er mich sicher durch die Linien befördert hat.«

Ich hielt es nicht für nötig, Lee zu erzählen, dass ich der Familiaris des Dämons war. »Und Sie?«

»Neugier.« Er zwinkerte und runzelte die Stirn, offenbar in Gedanken bei der näheren Vergangenheit.

Ich sah ihn mir nochmal genauer an, weil ich selbst neugierig war. Ich würde nicht Als richtigen Namen nennen und dadurch die Abmachung brechen, die wir geschlossen hatten, als ich mir seinen Beschwörungsnamen erkauft hatte, aber ich wol te wissen, ob es derselbe Dämon war.

»Hey, äh, trägt Ihrer grünen Samt?«

Lee zuckte zusammen. Seine braunen Augen weiteten sich unter den akkurat geschnittenen Haaren, und dann zeigte sein Gesicht ein Lächeln, das geteiltes Leid widerspiegelte.

»Ja. Und er spricht mit britischem Akzent. .«

»Und hat eine Schwäche für Zuckerguss und Pommes?«

Lee senkte den Kopf und lachte leise. »Ja, wenn er sich nicht gerade in meinen Vater verwandelt.«

»Überraschung!«, rief ich und fühlte eine seltsame Verbundenheit mit ihm. »Es ist derselbe.«

Er zog seinen Ärmel herunter, um das Mal zu verdecken, und lehnte sich gegen den Tisch. »Anscheinend haben Sie eine Begabung für Kraftlinien«, sagte er. »Nehmen Sie Unterricht bei ihm?«

»Nein«, wehrte ich heftig ab. »Ich bin eine Erdhexe.« Ich drehte nervös mein Ringamulett und berührte kurz die Schnur, an dem das Amulett um meinen Hals hing, das eigentlich mein Haar glätten sol te.

Sein Blick w4anderte von der Narbe an meinem Handgelenk zur Decke. »Aber Sie. .«

Ich schüttelte den Kopf und nahm mit dem Rücken zum Spiel einen Schluck von meinem Drink. »Ich habe Ihnen gesagt, dass es ein Unfal war. Ich bin keine Kraftlinienhexe.

Ich habe nur mal einen Kurs besucht. Na ja, einen halben Kurs. Die Dozentin ist gestorben, bevor der Kurs beendet war.«

Er blinzelte ungläubig. »Dr. Anders?«, platzte es aus ihm heraus. »Sie hatten einen Kurs bei Dr. Anders?«

»Sie kannten sie?« Ich richtete mich auf.

»Ich habe von ihr gehört.« Er lehnte sich näher zu mir rüber. »Sie war die beste Kraftlinienhexe westlich des Mississippi. Ich bin hierher gekommen, um bei ihr zu lernen.

Angeblich war sie die Beste.«

»War sie«, sagte ich deprimiert. Sie hatte mir helfen wol en, den Zauber rückgängig zu machen, der Nick als Vertrauten an mich gebunden hatte. Jetzt war nicht nur das Zauberbuch verschwunden, sondern Dr. Anders war tot und ihr gesamtes Wissen mit ihr. Ich zuckte zusammen, als mir auffiel, dass ich in Träumereien versunken war. »Also sind Sie ein Student?«, fragte ich.

Lee stützte seinen El bogen auf das Geländer am Tischrand und beobachtete, wie die Würfel hinter mir flogen und fielen.

»Mehr ein interessierter Reisender«, erwiderte er knapp. »Ich habe schon vor Jahren meinen Abschluss in Berkeley gemacht.«

»Oh, ich würde so gern mal an die Küste fahren«, gab ich zu und spielte an meiner Kette herum, während ich mich darüber wunderte, wie viel unserer Unterhaltung sich in Übertreibungen verwandelt hatte. »Macht das Salz nicht al es schwieriger?«

Er zuckte mit den Schultern. »Für Kraftlinienhexen ist es nicht so schlimm. Ich habe immer Mitleid mit den Erdhexen, festgelegt auf einen Weg ohne Macht, wie sie sind.«

Mir fiel die Kinnlade runter. Keine Macht? Wohl kaum. Die Stärke einer Erdhexe stammte mindestens genauso sehr aus den Linien wie die einer Kraftlinienhexe. Dass die Magie erst durch Pflanzen gefiltert wurde, machte sie verzeihender und viel eicht langsamer, aber kein bisschen schwächer. Es gab keinen aufgezeichneten Kraftlinienzauber, der die physische Form einer Person verändern konnte. Aber das war Macht.

Ich schrieb es einfach als Unwissenheit ab und ließ es unkommentiert, damit ich ihn nicht verschreckte, bevor ich erfahren konnte, ein wie großer Idiot er wirklich war.

»Schauen Sie mich an«, fuhr er hastig fort, weil er offensichtlich erkannt hatte, dass er so tief ins Fettnäpfchen getreten war, dass er Gefahr lief, darin zu ertrinken. »Hier langweile ich Sie, wo Sie doch wahrscheinlich ein bisschen spielen wol en, bevor Ihr Freund zurückkommt.«

»Er ist nicht mein Freund«, stel te ich richtig und war nicht so erfreut über seine subtile Nachfrage zu meinem Beziehungsstand wie ich hätte sein können. »Ich habe ihm gesagt, dass er mich auf ein Date ausführen darf, das nicht mehr als sechzig Dol ar kostet, und er hat die Herausforderung angenommen.«

Lee ließ seinen Blick über das Casino schweifen. »Und wie läuft's?«

Ich nippte an meinem Getränk und wünschte mir, das Eis wäre nicht geschmolzen. Hinter mir erhob sich Geschrei, als offenbar etwas Gutes passiert war. »Na ja, bis jetzt bin ich trunken und in einem Vampir-Tanzclub ohnmächtig geworden, habe meine Mitbewohnerin beleidigt und das Alarmsystem eines Casino-Bootes ausgelöst.« Ich zuckte mit den Schultern. »Nicht schlecht, nehme ich an.«

»Es ist noch früh.« Lees Blick folgte den rol enden Würfeln hinter mir. »Kann ich Ihnen etwas zu trinken spendieren? Ich habe gehört, dass der Hauswein recht gut ist. Ich glaube, es ist Merlot.«

Ich fragte mich, wohin das führen sol te. »Nein danke.

Rotwein. . vertrage ich nicht so gut.«

Er lachte leise. »Ich mag ihn auch nicht besonders. Ich bekomme davon Migräne.«

»Ich auch!«, rief ich gedämpft und wirklich überrascht aus.

Lee schüttelte sich die Ponyfransen aus den Augen. »Also, wenn ich das jetzt gesagt hätte, wäre ich verdächtigt worden, Sie anzumachen.« Ich lächelte und fühlte mich plötzlich schüchtern. Er drehte sich zu dem Jubel am Tisch um. »Sie spielen nicht, oder?«

Ich warf einen Blick hinter mich und dann zurück zu ihm.

»Klar zu erkennen, hm?«

Er legte eine Hand auf meine Schulter und drehte mich um. »Sie haben drei Vierer hintereinander gewürfelt, und Sie haben es nicht bemerkt«, sagte er leise, nah an meinem Ohr.

Ich tat nichts, weder um ihn zu ermutigen noch um ihn abzuwehren, weil mein plötzliches Herzklopfen mir nicht sagte, was ich tun sol te. »Oh, ist das ungewöhnlich?«, fragte ich und versuchte meine Stimme unverfänglich zu halten.

»Hier.« Er winkte dem Craps-Mann zu. »Neuer Werfer!«

»Oh, warten Sie«, protestierte ich. »Ich weiß nicht mal, wie man setzt.«

Lee war nicht aufzuhalten, nahm sich meinen kleinen Chipeimer und führte mich an den Kopf des Tisches. »Sie werfen, ich setze für Sie.« Er zögerte, und seine braunen Augen blickten unschuldig. »Ist das. . in Ordnung?«

»Sicher«, sagte ich grinsend. Was kümmerte es mich?

Kisten hatte mir die Chips gegeben. Dass er nicht hier war, um sie mit mir auszugeben, war nicht mein Problem. Mir beizubringen wie man Craps spielte, wäre seine Aufgabe gewesen, nicht die irgendeines Kerls im Smoking. Wo war Kisten überhaupt?

Ich scannte die Gesichter rund um den Tisch, als ich die Würfel nahm. Sie fühlten sich schlüpfrig an, wie Knochen. Ich schüttelte sie.

»Warten Sie. .« Lee streckte den Arm aus und nahm meine Hand in seine. »Sie müssen sie zuerst küssen. Aber nur einmal«, mahnte er mit ernster Stimme, auch wenn seine Augen vor Schalk blitzten. »Wenn sie glauben, dass ihnen Ihre Liebe sicher ist, tun sie nichts dafür.«

»Okay«, nickte ich, und er zog seine Hand zurück, als ich die Würfel an die Lippen hob, sie aber nicht wirklich berührte. Ich meine, bitte. Bäh. Leute schoben ihre Chips hin und her, und mit einem Puls, der schnel er ging als das Spiel es rechtfertigte, warf ich die Würfel. Ich betrachtete Lee, nicht die Würfel, während sie sprangen und tanzten.

Lee beobachtete sie gespannt. Ich fand, dass er, wenn er auch nicht ganz so gut aussah wie Kisten, trotzdem eher auf einem Titelblatt abgebildet werden würde als Nick. Einfach ein durchschnittlicher Kerl, außerdem eine Hexe mit Abschluss. Meine Mutter wäre überglücklich, wenn ich den mit nach Hause bringen würde. Irgendetwas konnte mit ihm nicht stimmen. Außer seinem Dämonenmal? Gott, rette mich vor mir selbst.

Die Umstehenden zeigten die unterschiedlichsten Reaktionen auf die Acht, die ich gewürfelt hatte. »Nicht gut?«, fragte ich Lee.

Seine Schultern hoben und senkten sich, als er die Würfel aufnahm, die der Crapsmann ihm hinschob. »Es ist okay«, sagte er. »Aber Sie müssen noch eine Acht würfeln, bevor die Sieben kommt und gewinnt.«

»Oh«, sagte ich wenig geistreich und tat so, als würde ich verstehen. Verwirrt ließ ich die Würfel rol en. Dieses Mal wurde es eine Neun. »Weiter?«

Er nickte. »Ich werde ein paar Einsätze auf Einzelwürfe für Sie machen«, sagte er und hielt dann inne. »Wenn das okay ist.«

Al e warteten, also sagte ich eilig: »Sicher, das wäre tol .«

Lee nickte. Er runzelte für einen Moment nachdenklich die Stirn, dann legte er einen Turm von roten Chips auf ein Feld.

Jemand kicherte und lehnte sich zu seinem Nachbarn, um

»Das Unschuldslamm wird geschlachtet« in sein Ohr zu flüstern.

Die Würfel in meiner Hand hatten sich erwärmt, und ich warf sie hastig. Sie pral ten von der Bande ab und kamen zum Stehen. Es war eine Elf, und jeder am Tisch stöhnte auf.

Nur Lee lächelte. »Sie haben gewonnen«, teilte er mir mit und legte eine Hand auf meine Schulter. »Sehen Sie?« Er zeigte. »Die Chancen stehen fünfzehn zu eins, dass eine Elf gewürfelt wird. Ich habe mir gedacht, dass Sie ein Zebra sein könnten.«

Meine Augen weiteten sich, als, nachdem der Crapsmann einen Stapel vor mir abgestel t hatte, die überwiegende Menge meiner Chips nicht mehr rot war, sondern blau. »Wie bitte?«

Lee legte die Würfel wieder in meine Hand. »Wenn Sie Hufgeräusche hören, schauen Sie sich nach Pferden um. Das wäre in diesem Fal ein üblicher Wurf. Ich wusste, dass Sie etwas Außergewöhnliches werfen würden. Ein Zebra.«

Ich grinste, weil mir die Idee irgendwie gefiel, und die Würfel flogen aus meiner Hand, fast noch bevor er meine Chips auf ein anderes Feld verschoben hatte. Mein Puls beschleunigte sich, und während Lee mir die Details der Wettchancen und des Setzens erklärte, würfelte ich wieder, und wieder, und wieder. Die Runde um den Tisch wurde immer lauter und aufgeregter. Es dauerte nicht lange, bis ich mitgerissen wurde. Das Risiko, die Frage, was passieren würde und das atemlose Warten, bis die Würfel lagen, ähnelten der Aufregung bei einem meiner Aufträge, nur war es noch besser, weil hier nur kleine Plastikchips auf dem Spiel standen, nicht mein Leben. Lee erweiterte seine Einführung ins Glücksspiel auf andere Arten des Einsatzes, und als ich es schließlich wagte, auch einen Vorschlag zu machen, bedeutete er mir mit einer galanten Geste, dass der Tisch ganz mir gehörte.

Entzückt übernahm ich die Einsätze. Zuerst ließ ich al es liegen, wo es war, während Lee eine Hand auf meine Schulter legte und mir die Quoten der verschiedenen Würfe zuflüsterte. Er roch wie Sand. Ich konnte seine Aufregung durch das dünne Material meiner Seidenbluse spüren, und die Wärme seiner Hand schien an meiner Schulter zu haften, als er sich bewegte, um mir die Würfel in die Hand zu legen.

Ich schaute auf, während die Menge meinem letzten Wurf zujubelte, und war überrascht, dass fast al e Gäste um uns versammelt waren und wir irgendwie in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt waren. »Sieht aus, als hätten Sie es.«

Lee lächelte und trat einen Schritt zurück.

Sofort entgleiste mir das Gesicht. »Sie gehen?«, fragte ich hilflos, als der rotnasige Biertrinker mir die Würfel in die Hand drückte und mich aufforderte, zu werfen.

»Ich muss«, erwiderte er. »Aber ich konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen, Sie zu treffen.« Er lehnte sich nah zu mir und sagte: »Ich habe es genossen, Ihnen Craps beizubringen. Sie sind eine ganz besondere Frau, Rachel.«

»Lee?« Verwirrt legte ich die Würfel auf den Tisch, und die Leute um den Tisch stöhnten auf.

Lee ließ die Würfel in seine Hand gleiten und schob sie dann in meine. »Sie sind heiß. Hören Sie nicht auf.«

»Wol en Sie meine Telefonnummer?« Oh Gott, ich klang verzweifelt.

Aber Lee lächelte nur. »Sie sind Rachel Morgan, der I.S.-

Runner, der seinen Job aufgegeben hat, um mit dem letzten lebenden Tamwood-Vampir zusammenzuarbeiten. Sie stehen im Telefonbuch - an nicht weniger als vier Stel en.«

Mein Gesicht brannte, aber ich schaffte es, mich zu stoppen, bevor ich al en mitteilte, dass ich keine Nutte war.

»Bis zum nächsten Mal«, sagte Lee, hob seine Hand und nickte mir zu, bevor er davonging.

Ich legte die Würfel wieder ab und zog mich vom Tisch zurück, sodass ich beobachten konnte, wie er die Treppe am Ende des Bootes hinauf verschwand, und wie gut er dabei in seinem Smoking und dem purpurnen Kummerbund aussah.

Er passte zu seiner Aura, entschied ich. Ein neuer Werfer übernahm meinen Platz, und der Lärm erhob sich wieder.

Ich zog mich an einen Tisch neben einem kalten Fenster zurück. Meine gute Laune war versaut. Eine Bedienung brachte mir meine drei Eimer Chips. Eine andere stel te auf einer Leinenserviette einen frischen Dean Man's Float vor mir ab. Eine dritte entzündete eine rote Kerze und fragte mich, ob ich noch irgendetwas brauche. Ich schüttelte den Kopf, und er zog sich zurück. »Was stimmt nicht mit diesem Bild?«, flüsterte ich, als ich mir die Stirn rieb. Hier war ich, angezogen wie eine junge, reiche Witwe, und saß al ein mit drei Eimern vol er Chips in einem Casino. Lee hatte gewusst, wer ich war, es sich aber nicht anmerken lassen. Und wo zur Höl e war Kisten?

Die Stimmung am Craps-Tisch stürzte ab, und die Leute begannen in Zweier- und Dreiergrüppchen davonzudrif-ten.

Ich zählte bis einhundert, dann bis zweihundert. Wütend stand ich auf, bereit, mir meine Chips auszahlen zu lassen und Kisten zu finden. Für kleine Jungs, genau. Er war wahrscheinlich im ersten Stock und spielte Poker - ohne mich.

Mit meinen Chipeimern in der Hand blieb ich abrupt stehen. Kisten kam mit kantigen Bewegungen, aber der Geschwindigkeit eines lebenden Vampirs die Treppe herunter. »Wo warst du?«, moserte ich, als er zu mir kam.

Sein Gesicht war angespannt, und ich konnte Schweiß auf seinem Gesicht sehen.

»Wir gehen«, erklärte er kurz angebunden. »Los.«

»Warte.« Ich riss meinen Arm aus dem Griff, mit dem er meinen El bogen umfasste. »Wo warst du? Du hast mich al ein gelassen! Irgendso ein Kerl musste mir beibringen, wie man Craps spielt. Siehst du, was ich al es gewonnen habe?«

Kisten warf einen Blick auf meine Eimer und war offensichtlich nicht beeindruckt. »Die Tische sind manipuliert.

Sie haben dich unterhalten, während ich mit dem Boss gesprochen habe.«

Ich fühlte mich, als hätte er mir in den Magen geschlagen.

Als er wieder nach meinem El bogen griff, sprang ich zurück.

»Hör auf zu versuchen, mich herumzuzerren«, protestierte ich, und es kümmerte mich nicht, dass wir beobachtet wurden. »Und was meinst du damit, dass du mit dem Boss gesprochen hast?«

Er warf mir einen genervten Blick zu. Auf seinen Wangen waren wieder die ersten Bartstoppel sichtbar. »Können wir draußen darüber reden?«, bat er, offenbar in Eile.

Da registrierte ich die großen Männer, die gerade die Treppe herunterkamen. Wir waren auf einem Kasino-Boot, das nicht Piscary gehörte. Kisten kümmerte sich um die Geschäfte des untoten Vampirs. Er war hier, um Druck auf den Neuen in der Stadt auszuüben, und er hatte mich mitgenommen, fal s es Ärger gab. Mein Herz krampfte sich wütend zusammen, als ich endlich die Puzzleteile zusammensetzte, aber Vorsicht war besser als Nachsicht.

»Schön«, sagte ich. Meine Stiefel machten leise Stampfgeräusche, die genau zum Takt meines Herzschlags passten, als ich zur Tür ging. Ich ließ meine Eimer auf den Tresen fal en und lächelte die Chip-Lady bissig an. »Ich möchte, dass meine Gewinne dem Stadtfonds zum Wiederaufbau der verbrannten Waisenhäuser gespendet werden«, erklärte ich gepresst.

»Natürlich, Ma'am«, erwiderte die Frau höflich und wog den Gewinn ab. Kisten nahm sich einen Chip vom Stapel.

»Den hier möchten wir bitte ausgezahlt bekommen.«

Ich pflückte ihn aus seinen Fingern, wütend, dass er mich so benutzt hatte. Das war der Anlass, zu dem Ivy ihn hatte begleiten sol en. Und ich war drauf reingefal en. Pfeifend warf ich den Chip dem Craps-Geber zu. Er fing ihn und nickte dankend.

»Das war ein Hundert-Dol ar-Chip!«, protestierte Kisten.

»Wirklich?« Gereizt nahm ich noch einen zweiten Chip und warf ihn hinterher. »Ich wil ja nicht als knausrige Kuh dastehen«, zischte ich. Die Frau übergab mir eine Quittung über 8 750 Dol ar, ausgestel t auf den Stadtfonds. Ich starrte einen Moment darauf und stopfte ihn dann in meine Tasche.

»Rachel«, wandte Kisten ein, und sein Gesicht lief verdächtig rot an.

»Wir behalten nichts davon.« Ich ignorierte Kistens Mantel, den mir der Portier entgegenhielt, und stürmte aus der Tür mit ihren zwei S darauf. Viel eicht eines für Saladan? Gott, war ich ein Narr.

»Rachel. .« Kistens Stimme klang hart, als er sich hinter mir aus der Tür lehnte. »Komm zurück und sag ihr, dass Sie dir einen Chip auszahlen sol .«

»Du hast mir die ersten gegeben, und ich habe den Rest gewonnen!«, schrie ich vom Fuß des Landungsstegs und schlang im fal enden Schnee meine Arme um mich. »Und ich spende sie al e. Und ich bin sauer auf dich, du blutsaugender Feigling!« Der Mann am Fuß der Rampe kicherte, zwang sein Gesicht aber wieder in Ausdruckslosigkeit, als ich ihn böse anstarrte. Kisten zögerte, schloss dann die Tür und kam mir hinterher. Meinen geliehenen Mantel trug er über dem Arm.

Ich stampfte zu seinem Auto und wartete darauf, dass er mir die Tür aufschloss oder mir ein Taxi rief.

Immer noch damit beschäftigt, seinen Mantel anzuziehen, hielt Kisten neben mir an. »Warum bist du wütend auf mich?«, fragte er ausdruckslos, und in dem schwachen Licht konnte ich sehen, wie seine blauen Augen schwarz wurden.

»Das ist Saladans Boot, richtig? Ich mag ja nicht die Schnel ste sein, aber irgendwann kapier ich es. Piscary beherrscht das Glücksspiel in Cincinnati. Du bist hierher gekommen, um Piscarys Anteil abzuholen. Und Saladan hat dir einen Korb gegeben, oder etwa nicht? Er drängt sich in Piscarys Revier, und du hast mich als Rückendeckung mitgenommen, weil du wusstest, dass ich für dich kämpfen würde, wenn es aus dem Ruder läuft.«

Rasend vor Wut ignorierte ich seine Zähne und seine Stärke und schob mein Gesicht direkt vor seines.

»Lüg mich nie wieder an, damit ich deine Rückendeckung spiele. Du hättest mich mit deinem kleinen Spielchen töten können. Ich kriege keine zweite Chance, Kisten. Für mich ist tot tot!«

Meine Stimme wurde von den umliegenden Gebäuden zurückgeworfen. Ich dachte an die unbeteiligten Ohren, die wahrscheinlich auf dem Boot zuhörten, und mein Gesicht brannte. Aber ich war sauer, verdammt noch mal, und das musste klargestel t werden, bevor ich wieder in Kistens Auto stieg. »Du kleidest mich ein, damit ich mich als etwas Besonderes fühle«, fuhr ich mit zugeschnürter Kehle fort.

»Behandelst mich, als wäre mit mir auszugehen etwas, das du für mich tun wol test, und sei es nur wegen der geringen Chance, viel eicht deine Zähne in meinen Hals schlagen zu können, und dann finde ich heraus, dass al es geschäftlich war? Und ich war noch nicht mal deine erste Wahl! Du wol test, dass Ivy mit dir kommt, nicht ich! Ich war nur dein Ausweichplan! Wie bil ig, glaubst du, fühle ich mich gerade?«

Er öffnete seinen Mund und schloss ihn dann wieder.

»Ich kann verstehen, dass ich ein Zweite-Wahl-Date bin, weil du ein Mann und daher ein Trottel bist!«, schrie ich.

»Aber du hast mich wissentlich hierher gebracht, in eine potentiel gefährliche Situation, und das ohne meine Zauber, ohne meine Amulette. Du hast gesagt, es sei ein Date, also habe ich al es zu Hause gelassen. Zur Höl e, Kisten, wenn du Rückendeckung gebraucht hättest, hätte ich es gemacht!

Außerdem«, fügte ich hinzu und merkte, wie meine Wut langsam nachließ, weil er anscheinend tatsächlich zuhörte, statt seine gesamte Zeit damit zu verbringen, sich Ausreden auszudenken. »Es hätte mir Spaß gemacht, zu wissen, was abging. Ich hätte Leute aushorchen können und so Zeug.«

Er starrte mich überrascht an. »Wirklich?«

»Ja, wirklich. Glaubst du, ich bin wegen der Zahnvorsorge Runner geworden? Es hätte mir mehr Spaß gemacht, als mir von irgendeinem Kerl Craps beibringen zu lassen. Übrigens wäre das dein Job gewesen.«

Kisten stand regungslos neben mir; auf dem Ledermantel über seinem Arm hatte sich eine dünne Schicht Schnee angesammelt. In dem schummrigen Licht der Straßenlaterne wirkte er unglücklich und unsicher. Er atmete ein, und meine Augen verengten sich. In einem Laut der Resignation entwich die Luft wieder. Ich konnte mein Blut kochen fühlen, und mein Körper war gleichzeitig warm und kalt, das eine von meinem Zorn, das andere von dem schneidenden Wind, der vom Fluss her wehte. Und es gefiel mir überhaupt nicht, dass Kisten meine Gefühle wahrscheinlich besser lesen konnte als ich selbst.

Seine Augen mit dem wieder zunehmenden blauen Rand wandten sich von mir zum Boot. Während ich ihn beobachtete, wurden sie völ ig schwarz und ließen mich frösteln.

»Du hast recht«, sagte er knapp und mit harter Stimme.

»Steig ins Auto.«

Meine Wut kochte wieder hoch. Verdammter Hurensohn . .

»Wage es nicht, mich zu bevormunden«, zischte ich.

Er streckte den Arm nach mir aus, aber ich sprang zurück, bevor er mich berühren konnte. Ansatzlos verwandelte er die Bewegung zu einem Türöffnen. Seine schwarzen Augen sahen in dem dämmrigen Licht völ ig seelenlos aus. »Tue ich nicht«, sagte er, während seine Bewegungen die unheimliche Schnel igkeit eines lebenden Vampirs annahmen. »Drei Männer kommen gerade vom Boot, und ich rieche Schießpulver. Du hast recht und ich unrecht. Und jetzt steig in das verdammte Auto.«