
Das Buch
Nach einer weltumspannenden Seuche hat sich das Leben auf der Erde grundlegend verändert. Die magischen Wesen sind aus dem Schatten getreten: Vampire, Kobolde und andere Untote machen die Straßen unsicher.
Dies sind die Abenteuer der Hexe und Kopfgeldjägerin Rachel Morgan, deren Job es ist, diese finsteren Kreaturen zur Strecke zu bringen.
Ein Dämon, der ihre Seele in Besitz nehmen wil , ein Werwolf, der mit ihr ein Rudel gründen wil und ein Vampir, der ihr den Schlaf raubt - Rachel Morgan hat jede Menge Probleme. Und neben diesen privaten Schwierigkeiten muss sie auch noch einen Krieg verhindern, der ihre Heimatstadt Cincinnati zu zerreißen droht. Denn ihr alter Bekannter Trent Kalamack wird von einem Feind bedrängt, der mächtige Verbündete auf seiner Seite hat -und er engagiert ausgerechnet Rachel als seine persönliche Leibwache. Doch der Gegner kämpft mit harten Bandagen, und plötzlich sieht sich Rachel in einen Kampf verwickelt, der nicht nur ihr Leben sondern auch das ihrer Freunde für immer verändern könnte.
DIE RACHEL-MORGAN-SERIE
Bd. 1: Blutspur
Bd. 2: Blutspiel
Bd. 3: Blutjagd
Bd. 4: Blutpakt
Bd. 5: Blutlied
Bd. 6: Blutnacht
Die Autorin
Kim Harrison, geboren im Mittleren Westen der USA, wurde schon des Öfteren als Hexe bezeichnet, ist aber - soweit sie sich erinnern kann - noch nie einem Vampir begegnet. Sie hegt eine Vorliebe für Friedhöfe, Midnight Jazz und schwarze Kleidung und ist bei Neumond nicht auffindbar. Mit ihrer RACHEL-MORGAN-Serie hat sie einen internationalen Bestsel er gelandet.
Kim Harrison
BLUTJAGD
Roman
SCANNED & CORRECTED
BY
TATALUS
DEZEMBER 2009
Deutsche Erstausgabe
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
Titel der amerikanischen Originalausgabe
EVERY WHICH WAY BUT DEAD
Deutsche Übersetzung von Vanessa Lamatsch
Verlagsgruppe Random House
FSC-DEU-0100
Das für dieses Buch verwendete
FSC-zertifizierte Papier Super Snowbright liefert Hellefoss AS, Hokksund, Norwegen.
4. Auflage
Deutsche Erstausgabe 09/2008
Redaktion: Charlotte Lungstrass
Copyright © 2005 by Kim Harrison
Copyright © 2008 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Printed in Germany 2009
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München Satz: Leingärtner, Nabburg
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN: 978-3-453-53279-3
Für den Mann,
der mir mein erstes Paar Handschellen schenkte.
Danke, dass du für mich da warst.
1
Ich atmete zur Beruhigung noch einmal tief ein und zog meine Handschuhe hoch, um die bloße Haut an meinem Handgelenk zu verdecken. Meine Finger fühlten sich trotz der Fleecehandschuhe taub an, als ich meinen zweitgrößten Zauberkessel neben einem kleinen, angeschlagenen Grabstein abstel te, wobei ich darauf achtete, nichts vom Transfermedium zu verschütten. Die Luft war kalt, und mein Atem dampfte im Licht der bil igen weißen Kerze, die ich letzte Woche im Ausverkauf erstanden hatte.
Ich tropfte ein bisschen Wachs auf den Grabstein, um die Kerze festzukleben. Mein Magen verkrampfte sich, als ich meine Aufmerksamkeit auf den hel en Schimmer am Horizont richtete, der sich kaum von den mich umgebenden Lichtern der Stadt abhob. Der Mond - noch fast vol aber abnehmend - würde bald aufgehen. Keine gute Zeit, um Dämonen zu beschwören, aber dieser Dämon würde auch kommen, wenn ich ihn nicht rief. Ich wol te Algaliarept lieber zu meinen Bedingungen begegnen - vor Mitternacht.
Ich verzog das Gesicht und schaute auf die hel erleuchtete Kirche hinter mir, in der Ivy und ich lebten. Ivy war einkaufen und sich nicht einmal bewusst, dass ich einen Pakt mit einem Dämon eingegangen war. Noch viel weniger war ihr klar, dass es nun an der Zeit war, für seine Dienste zu bezahlen.
Wahrscheinlich konnte ich die ganze Veranstaltung genauso gut drinnen abhalten, wo es warm war, in meiner wunderbaren Küche mit meinen Zauberzutaten und al en modernen Annehmlichkeiten, aber in der Mitte eines Friedhofs Dämonen zu beschwören, fühlte sich einfach trotz des Schnees und der Kälte auf eine perverse Art richtig an.
Und ich wol te ihn hier rufen, damit Ivy nicht den gesamten morgigen Tag damit verbringen musste, Blut von der Decke zu wischen.
Ob es Dämonenblut sein würde oder mein eigenes war eine Frage, die ich hoffte, nicht beantworten zu müssen. Ich würde mich nicht ins Jenseits ziehen lassen, um dort Algaliarepts Familiaris zu werden. Ich konnte nicht. Einmal hatte ich ihn verletzt, und er hatte geblutet. Wenn er bluten konnte, konnte er auch sterben. Gott, hilf mir, das zu überleben. Hilf mir, einen Weg zu finden, dass al es gut wird.
Der Stoff meines Mantels kratzte, als ich die Arme um mich schlang. Ungeschickt zog ich mit dem Stiefelabsatz einen Kreis in den knöchelhohen Schnee, der die rote Zementplatte bedeckte, auf der ich bereits einen Kreis gesehen hatte. Die raumgroße, rechteckige Steinplatte war eine deutliche Markierung dafür, wo Gottes Gnade endete und die Herrschaft des Chaos begann. Die frühere Geistlichkeit hatte Zement über den entweihten Platz in der einst gesegneten Erde gegossen. Entweder wol ten sie sicherstel en, dass dort nicht aus Versehen noch jemand zur Ruhe gebettet wurde, oder sie wol ten den aufwendig gestalteten, halb knienden, kampfesmüden Engel unverrückbar im Boden verankern. Der Name auf dem massiven Grabstein war abgeschlagen worden, nur die Daten waren noch zu erkennen. Wer auch immer es gewesen war, war 1852 im Alter von 24 Jahren gestorben. Ich konnte nur hoffen, dass das kein Omen war.
Jemanden einzuzementieren konnte manchmal verhindern, dass dieser wiederkehrte - manchmal auch nicht-, aber auf jeden Fal war diese Stel e nicht mehr geweiht. Da die Platte jedoch noch immer von geheiligter Erde umgeben war, war es ein guter Ort, um einen Dämon zu beschwören. Wenn al es schief lief, konnte ich mich immer noch auf geheiligten Boden zurückziehen und war sicher, bis die Sonne aufging und Algaliarept zurück ins Jenseits gezogen wurde.
Meine Finger zitterten, als ich aus meiner Manteltasche den weißen Seidenbeutel mit dem Salz zog, das ich aus meinem Fünfundzwanzig-Pfund-Sack gekratzt hatte. Die Menge war viel eicht etwas übertrieben, aber ich wol te einen haltbaren Kreis, und einiges von dem Salz würde den Schnee schmelzen und sich so verdünnen. Ich warf einen Blick zum Himmel, um abzuschätzen, wo Norden war, und fand dann im eingelassenen Kreis genau da eine Markierung.
Dass jemand diesen Kreis bereits dazu benutzt hatte, Dämonen zu beschwören, erfül te mich nicht gerade mit Optimismus. Es war nicht il egal oder unmoralisch, Dämonen rufen - nur sehr, sehr dumm.
Von Norden aus folgte ich im Uhrzeigersinn langsam dem Kreis, und meine Fußabdrücke verliefen paral el zu der Salzspur, die ich zog. Sie umschloss das Engelsdenkmal und einen Großteil des unheiligen Bodens. Der Durchmesser des Kreises betrug fast fünf Meter. Das ergab einen ziemlich großen Schutzkreis, für dessen Errichtung und Aufrechterhaltung normalerweise mindestens drei Hexen nötig gewesen wären, aber ich war gut genug, um diese Menge an Kraftlinienenergie al ein zu kanalisieren. Wenn ich darüber nachdachte, war das wohl der Grund, warum der Dämon so daran interessiert war, mich als seinen neuen Schutzgeist zu kriegen.
Heute Nacht würde ich herausfinden, ob der sorgfältig formulierte mündliche Vertrag, den ich drei Monate zuvor mit dem Dämon geschlossen hatte, mich am Leben und auf der richtigen Seite der Kraftlinien halten würde. Ich hatte eingewil igt, freiwil ig Algaliarepts Familiaris zu werden, wenn er gegen Piscary aussagte, al erdings unter der Bedingung, dass ich meine Seele behalten durfte.
Zwei Stunden nach Sonnenuntergang war der Prozess offiziel zu Ende gegangen, womit der Dämon seine Seite der Abmachung erfül t hatte und meine Seite des Handels vol streckbar wurde. Jetzt schien es kaum noch eine Rol e zu spielen, dass der untote Vampir, der einen Großteil von Cincinnatis Unterwelt kontrol ierte, für die Morde an den besten Kraftlinienhexen der Stadt zu fünf Jahrhunderten verurteilt worden war. Besonders, wenn man darauf wetten konnte, dass seine Anwälte ihn schon nach einem mageren Jahrhundert wieder freikriegen würden.
Im Moment stel te man sich auf beiden Seiten der Kraftlinien die Frage, ob Kisten, Piscarys ehemaliger Nachkomme, al es zusammenhalten konnte, bis der untote Vampir wieder freikam. Ivy würde es nicht tun, Nachkomme oder nicht. Wenn es mir gelang, diese Nacht zu überleben und meine Seele zu behalten, würde ich mir ein bisschen weniger Sorgen um mich und ein paar mehr um meine Mitbewohnerin machen. Aber erst einmal musste ich meine Schulden bei dem Dämon begleichen.
Meine Schultern waren so verkrampft, dass sie schmerzten, als ich die milchig grünen Kerzen aus meiner Manteltasche holte und sie auf dem Kreis verteilte. Sie sol ten die Spitzen des Pentagramms symbolisieren, das ich nicht zeichnen würde. Ich zündete sie mit der weißen Kerze an, die ich bei der Herstel ung des Transfermediums verwendet hatte. Die kleinen Flammen flackerten, und ich beobachtete sie einen Moment, um sicherzugehen, dass sie nicht ausgingen, bevor ich die weiße Kerze wieder auf den zerbrochenen Grabstein außerhalb des Kreises stel te.
Das gedämpfte Geräusch eines Autos lenkte meine Aufmerksamkeit kurz auf die hohen Mauern, die den Friedhof von der Nachbarschaft trennten. Während ich mich darauf vorbereitete, die Kraftlinie anzuzapfen, zog ich meine Wol mütze tiefer ins Gesicht, schüttelte den Schnee von den Aufschlägen meiner Jeans und kontrol ierte ein letztes Mal, ob ich al es hatte. Aber es gab nichts mehr zu tun, um mein Vorhaben hinauszuzögern.
Noch ein tiefer Atemzug, dann berührte ich mit meinem Wil en die winzige Kraftlinie, die durch den Friedhof der Kirche verlief. Mein Atem pfiff durch die Nase, und ich versteifte mich, verlor das Gleichgewicht und fiel fast um. Die Kraftlinie schien im Winterfrost an Kraft gewonnen zu haben.
Sie durchschnitt mich mit ungewöhnlicher Kälte. Mit einer Hand stützte ich mich an dem von Kerzenschein erleuchteten Grabstein ab, während die in mich fließenden Energien sich weiter aufbauten.
Wenn sich die Kräfte einmal ausgeglichen hatten, würde die überschüssige Kraft zurück in die Linie fließen. Bis dahin musste ich die Zähne zusammenbeißen und ertragen, dass die imaginären Gliedmaßen in meinem Kopf von einem Kribbeln durchzogen wurden. Jedes Mal war es schlimmer.
Jedes Mal geschah es schnel er. Jedes Mal erschien es mir mehr wie ein Angriff.
Obwohl es mir wie eine Ewigkeit vorkam, glichen sich die Kräfte in kaum einem Herzschlag aus. Meine Hände begannen zu schwitzen, und ich fühlte mich auf einmal gleichzeitig kalt und heiß, so als hätte ich Fieber. Ich zog meine Handschuhe aus und stopfte sie in die Tasche. Die Amulette an meinem Armband klingelten laut in der winterstil en Luft. Sie würden mir nicht helfen können. Nicht einmal das Kreuz.
Ich wol te den Schutzkreis schnel errichten. Auf irgendeine Weise wusste Algaliarept, wenn ich eine Linie anzapfte, und ich musste ihn beschwören, bevor er von selbst auftauchte und mir das bisschen Macht nahm, das ich als sein Beschwörer über ihn hatte. Der kupferne Zauberkessel mit dem Transfermedium war kalt, als ich ihn aufhob und dann etwas tat, was keine Hexe je getan und es überlebt hatte, um davon zu erzählen: Ich trat nach vorne und damit in denselben Kreis, in den ich Algaliarept rufen würde.
Ich stand vor dem menschengroßen, einzementierten Monument und atmete tief aus. Der Monolith war durch Bakterien und städtische Luftverschmutzung mit einer schwarzen Schmiere überzogen und glich einem gefal enen Engel. Das unheimliche Gefühl wurde noch davon verstärkt, dass die Figur sich weinend über ein Schwert beugte, das sie wie eine Sühnegabe quer vor sich hielt. Ein Vogelnest war in die Höhlung gebaut, welche die Flügel am Rücken der Figur bildeten, und das Gesicht sah einfach falsch aus. Auch die Arme waren viel zu lang, um einem Inderlander oder Menschen zu gehören. Sogar Jenks ließ seine Kinder nicht um den Engel herum spielen.
»Bitte lass mich recht haben«, flüsterte ich der Statue zu, als ich die weiße Salzril e durch die Kraft meines Geistes aus der Realität ins Jenseits verschob. Ich stolperte, als ein Großteil der Energie, die in meinem innersten Zentrum gelagert war, herausgerissen wurde, um die Verschiebung zu erzwingen. Das Transfermedium im Topf schwappte, und da ich mein Gleichgewicht noch nicht wiedergefunden hatte, stel te ich den Topf im Schnee ab, bevor etwas verschüttet wurde. Mein Blick fiel auf die grünen Kerzen. Sie waren auf schaurige Art durchsichtig, da sie mit dem Salz ins Jenseits verschoben worden waren. Die Flammen existierten al erdings in beiden Welten und erhel ten die Nacht.
Die Kraft aus der Linie begann sich wieder aufzubauen, der langsame Anstieg war genauso unangenehm wie das erste schnel e Einströmen beim Berühren der Linie, aber das Band aus Salz war durch eine gleiche Menge an jenseitiger Energie ersetzt worden, die sich nun hochwölbte, um sich über meinem Kopf zu schließen. Nichts, das mehr Substanz hatte als Luft, konnte die sich bewegenden Bänder der Realitäten durchdringen. Und da ich es war, die den Kreis geschlossen hatte, konnte auch nur ich ihn wieder brechen -
vorausgesetzt, ich hatte grundsätzlich al es richtig gemacht.
»Algaliarept, ich beschwöre dich«, flüsterte ich mit klopfendem Herzen. Die meisten Menschen verwendeten al en möglichen Schnickschnack, um einen Dämon zu beschwören und zu halten, aber da ich bereits eine Abmachung mit ihm hatte, würde auch die Nennung seines Namens und der Wunsch seiner Anwesenheit ihn auf diese Seite der Kraftlinien ziehen. Was war ich doch für ein Glückspilz.
Mein Magen verkrampfte sich, als der Schnee zwischen dem Engelskrieger und mir zu schmelzen begann. Der Boden dampfte, und die rötliche Wolke wogte nach oben, wo sie die Umrisse eines Körpers bildete, der sich noch nicht ganz für eine Form entschieden hatte. Ich wartete mit steigender Anspannung. Algaliarept veränderte seine Form, während er, ohne dass ich es auch nur bemerkte, meinen Geist nach dem durchkämmte, was mir am meisten Angst machte. Früher einmal war es Ivy gewesen. Dann Kisten -bis ich ihn in einem verrückten Moment von vampirisch ausgelöster Leidenschaft in einem Aufzug festgenagelt hatte. Es ist schwer, sich vor jemandem zu fürchten, mit dem man leidenschaftliche Zungenküsse ausgetauscht hat.
Nick, mein Freund, bekam immer einen geifernden Hund von der Größe eines Ponys präsentiert.
Dieses Mal bildete der Nebel al erdings ganz klar eine menschliche Gestalt, und ich vermutete, dass der Dämon entweder als Piscary erscheinen würde - der Vampir, den ich gerade ins Gefängnis gebracht hatte -, oder viel eicht in seiner typischeren Erscheinungsform eines jungen britischen Gentleman in grünem Samtanzug,
»Keiner davon macht dir noch Angst«, erklang eine Stimme aus dem Nebel, die mich herumwirbeln ließ.
Es war meine Stimme. »Ach, verdammt«, fluchte ich, hob meinen Zauberkessel hoch und wich zurück, bis ich fast meinen Kreis brach. Er würde in meiner Gestalt erscheinen, und das hasste ich. »Ich habe keine Angst vor mir selbst!«, schrie ich, noch bevor die Form sich verfestigt hatte.
»Oh, und ob du die hast.«
Die Stimme hatte den richtigen Klang, aber die Kadenzen und der Akzent waren falsch. Ich starrte wie gebannt, als Algaliarept meinen Körper ausformte und seine Hände anzüglich an sich herabgleiten ließ. Seine Brust flachte zu meiner lahmen Entschuldigung von Weiblichkeit ab, und er gab mir Hüften, die viel eicht etwas kurviger waren als ich sie verdiente. Er kleidete sich in eine schwarze Lederhose, ein rotes Trägeroberteil und hochhackige schwarze Sandalen, die mitten auf einem verschneiten Friedhof einfach lächerlich aussahen.
Mit geschlossenen Augen und geöffneten Lippen schüttelte der Dämon seinen Kopf, um aus den Resten des Dunstschleiers der Jenseitsenergie meine krausen, schulterlangen roten Locken zu erschaffen. Er verpasste mir mehr Sommersprossen als ich jemals haben konnte, und meine Augen waren nicht rot wie seine, wenn er sie öffnete, sondem grün. Meine Pupil en waren auch nicht geschlitzt wie die einer Ziege.
»Die Augen stimmen nicht«, sagte ich abweisend und setzte den Zauberkessel am Rande des Kreises ab. Ich biss die Zähne zusammen, weil ich es verabscheute, dass meine Stimme gebebt hatte.
Mit eingeknickter Hüfte stel te der Dämon ein Bein nach vorne und schnippte mit den Fingern. Eine schwarze Sonnenbril e materialisierte sich in seiner Hand, und er setzte sie auf, um seine unnatürlichen Augen zu verdecken. »Jetzt sind sie richtig«, sagte er, und ich erschauerte, weil seine Stimme meiner so ähnlich war.
»Du siehst kein bisschen aus wie ich«, log ich. Mir war nicht klar gewesen, dass ich so viel abgenommen hatte, und ich beschloss, dass ich ruhig zu meiner Ernährungsweise aus Milchshakes und Pommes zurückkehren konnte.
Algaliarept lächelte. »Viel eicht, wenn ich mein Haar hochnehme?«, spottete er gespielt scheu, als er die ungezähmte Masse zusammenfasste und auf meinem, äh, seinem Kopf drapierte. Er biss sich auf die Lippen und wand sich stöhnend, als wären seine Hände über dem Kopf zusammengebunden und er mitten in einem Fesselspielchen.
Dann ließ er sich auf das Schwert des Engels zurückfal en und posierte wie eine Hure.
Ich verkroch mich tiefer in meinem Mantel mit dem unechten Pelzbesatz am Kragen. Von der entfernten Straße hörte ich gedämpft das Geräusch eines langsam vorbeifahrenden Autos. »Können wir jetzt mal weitermachen? Meine Füße werden kalt.«
Er hob den Kopf und lächelte. »Du bist so eine Spaßbremse, Rachel Mariana Morgan«, sagte er mit meiner Stimme, aber jetzt mit seinem üblichen britischen Intel ektuel enakzent. »Aber so ein guter Verlierer. Mich nicht zu zwingen, dich ins Jenseits zu zerren, zeigt wirklich Charakterstärke. Es wird mir Spaß machen, dich zu brechen.«
Ich zuckte zusammen, als plötzlich Jenseitsenergie seine Umrisse hinabrann. Er veränderte wieder die Gestalt, und meine Schultern entspannten sich, als er seine übliche Erscheinung aus Spitze und grünem Samt annahm. Dunkle, lange Haare und runde getönte Bril engläser entstanden.
Hel e Haut und ein starkes Gesicht erschienen, perfekt passend zur Eleganz der durchtrainierten, schmalhüftigen Gestalt. Hochhackige Stiefel und ein maßgeschneiderter Anzug vervol ständigten das Ensemble und ließen den Dämon als einen charismatischen jungen Geschäftsmann des achtzehnten Jahrhunderts auftreten, ausgestattet mit Reichtum und für Höheres bestimmt.
Meine Gedanken schweiften kurz zu dem schrecklichen Tatort, den ich letzten Herbst verunreinigt hatte in dem Versuch, die Morde an Cincinnatis besten Kraftlinienhexen Trent Kalamack anzuhängen. AI hatte sie in Piscarys Namen hingerichtet. Und jede von ihnen war unter Qualen gestorben, um ihm Freude zu bereiten. AI war ein Sadist, egal wie gut der Dämon aussah.
»Ja, lass uns weitermachen«, sagte er, als er eine Dose mit schwarzem Staub hervorzog, der nach Brimstone roch, und eine Prise nahm. Er massierte seine Nase und bewegte sich, um mit einem Stiefel gegen meinen Kreis zu treten. »Schön und sicher. Aber es ist kalt hier. Ceri mag es warm.«
Ceri?, fragte ich mich gerade, als der gesamte Schnee innerhalb des Kreises in einer Dampfwolke verschwand. Der Geruch von nassem Asphalt stieg mir in die Nase, nur um zu verschwinden, als der Zement trocknete und sein übliches fahles Rot annahm.
»Ceri«, sagte Algaliarept mit einer Stimme, die mich durch ihren sanften, gleichzeitig schmeichelnden und doch fordernden Tonfal schockierte. »Komm.«
Ich konnte nur starren, als eine Frau aus dem Nichts hinter Algaliarept heraustrat. Sie war dünn und hatte ein herzförmiges Gesicht, in dem die Wangenknochen zu deutlich hervortraten. Dadurch, dass sie ein gutes Stück kleiner war als ich, wirkte sie so zierlich, dass sie etwas Kindliches an sich hatte. Ihr Kopf war gesenkt, und ihr fahles, fast durchscheinendes Haar fiel glatt über ihre Schultern bis zur Mitte ihres Rückens. Sie trug ein fantastisches Kleid, das bis auf ihre nackten Füße reichte. Es war wunderschön -
reiche Seide gefärbt in vol en Tönen von Purpur, Grün und Gold -und passte sich ihrem kurvenreichen Körper an, als wäre es daraufgemalt. Trotz ihrer geringen Größe war sie wohlproportioniert, wenn auch viel eicht ein wenig zu zerbrechlich.
»Ceri«, sagte Algaliarept und streckte sine Hand aus, um ihren Kopf zu heben. Ihre Augen waren grün, weit geöffnet und leer. »Was habe ich dir über das Barfußlaufen gesagt?«
Ein kurzer Schimmer von Ärger, weit entfernt und versteckt hinter dem betäubten Zustand, in dem sie sich befand, glitt über ihr Gesicht. Meine Aufmerksamkeit glitt nach unten, als ein passendes Paar bestickter Schuhe sich um ihre Füße schloss.
»Das ist besser.« Algaliarept wandte sich von ihr ab, und ich bemerkte plötzlich, dass sie in ihrer Aufmachung wie das perfekte Paar aussahen. Sie war entzückend in ihrem Kleid, aber ihr Geist war so leer wie sie schön war. Sie war verrückt geworden durch die rohe Magie, die sie für den Dämon halten musste. Er filterte die Kraftlinienmagie durch ihren Geist, um sich selbst zu schützen. Furcht verkrampfte meine Eingeweide.
»Töte sie nicht«, flüsterte ich mit trockenem Mund. »Du brauchst sie nicht mehr. Lass sie leben.«
Algaliarept schob seine getönte Sonnenbril e nach unten, um mich mit seinen roten Augen über ihren Rand hinweg anzustarren. »Du magst sie?«, fragte er. »Sie ist hübsch, oder? Über eintausend Jahre alt und keinen Moment gealtert seit dem Tag, an dem ich ihr die Seele nahm. Um ehrlich zu sein, sie war der Grund, warum ich zu den meisten Partys eingeladen wurde. Sie gibt, ohne Ärger zu machen. Obwohl sie natürlich die ersten hundert Jahre nur geweint und gejammert hat. Auch ganz lustig, aber irgendwann wird es langweilig. Du wirst gegen mich kämpfen, oder?«
Mein Kiefer verkrampfte sich. »Gib ihr ihre Seele zurück, jetzt, wo du mit ihr fertig bist.«
Algaliarept lachte. »Oh, du bist wirklich wunderbar!«, sagte er und klatschte in die weiß behandschuhten Hände. »Die gebe ich ihr sowieso zurück. Ich habe sie weit über jede Säuberung hinaus verschmutzt und so meine relativ sauber gehalten. Und ich werde sie töten, bevor sie die Chance hat, bei ihrem Gott um Erlösung zu betteln.« Seine vol en Lippen öffneten sich zu einem bösartigen Grinsen. »Weißt du, das ist sowieso al es Lüge.«
Mir wurde kalt, als die Frau plötzlich in einem kleinen Haufen aus Purpur, Grün und Gold zu seinen Füßen zusammenbrach. Ich würde eher sterben als zuzulassen, dass er mich ins Jenseits verschleppte, um so. . um so zu enden.
»Bastard«, flüsterte ich.
Algaliarept machte eine Geste, die wohl so etwas wie
»Und?« bedeuten sol te. Er wandte sich Ceri zu, fand in der Masse des Stoffes ihre kleine Hand und half ihr, aufzustehen.
Sie war wieder barfuß. »Ceri«, schmeichelte der Dämon und warf mir dann einen Seitenblick zu. »Ich hätte sie schon vor vierzig Jahren ersetzen sol en, aber der Wandel hat al es verkompliziert. Sie regiert nicht einmal mehr, wenn man nicht vorher ihren Namen ausspricht.« Dann wandte er sich wieder der Frau zu: »Ceri, sei so lieb und hol das Transfermedium, das du heute bei Sonnenuntergang gemacht hast.«
Mein Magen tat weh. »Ich habe welches hier«, wandte ich ein. Ceri blinzelte und zeigte damit das erste Zeichen von Verständnis. Mit ihren großen Augen schaute sie mich ernst an, als sähe sie mich zum ersten Mal. Dann richtete sich ihre Aufmerksamkeit auf den Zauberkessel zu meinen Füßen und die milchig grünen Kerzen um uns herum. Panik glühte in ihren Augen, als sie vor dem Engelsmonument stand. Ich hatte das Gefühl, dass sie gerade erst verstanden hatte, was hier vorging.
»Wunderbar«, sagte Algaliarept. »Du machst dich schon nützlich. Aber ich wil Ceris.« Er sah Ceri an, die mit offenem Mund dastand und dabei kleine weiße Zähne zeigte. »Ja, Liebes. Zeit für deinen Ruhestand. Bring mir meiuen Zauberkessel und das Transfermedium.«
Angespannt und fast ausweichend vol führte Ceri eine Geste, und ein spielzeuggroßer Kessel mit Kupferwänden, die dicker waren als mein Handgelenk, erschien zwischen uns. Er war bereits mit einer gelartigen, bernsteinfarbenen Flüssigkeit gefül t, auf der Tupfen von Geranien lagen.
Der Geruch von Ozon breitete sich aus, während es immer wärmer wurde. Ich machte meinen Mantel auf. Algaliarept summte vor sich hin, offensichtlich in fantastischer Stimmung. Er winkte mich näher heran, und ich trat einen Schritt vor, meine Hand an dem silbernen Messer, das in meinem Ärmel versteckt war. Mein Puls beschleunigte sich, und ich fragte mich, ob mein Vertrag mich tatsächlich retten könnte. Ein Messer wäre wahrscheinlich keine große Hilfe.
Der Dämon grinste und zeigte mir flache, gleichmäßige Zähne, als er Ceri einen Wink gab. »Mein Spiegel«, erinnerte er sie, und die zierliche Frau bückte sich, um einen Wahrsagespiegel aufzuheben, der einen Moment zuvor noch nicht dort gewesen war. Sie hielt ihn wie einen Tisch vor Algaliarept.
Ich schluckte, als ich mich an das widerliche Gefühl erinnerte, das ich beim Abstreifen meiner Aura in meinen Wahrsagespiegel gehabt hatte. Der Dämon zog seine Handschuhe aus, einen nach dem anderen, und legte seine rötlichen Hände mit den dicken Gelenken auf das Glas, die langen Finger gespreizt. Er schauderte und schloss die Augen, während seine Aura in den Spiegel rann. Sie tropfte von seinen Händen wie Tinte, um auf der Reflexion im Spiegel umherzuwirbeln und schließlich zusammenzulaufen.
»In das Medium, Ceri, Liebes. Beeil dich.«
Sie keuchte fast, als sie den Spiegel mit Algaliarepts Aura zum Zauberkessel trug. Es war nicht das Gewicht des Glases; es war die Gewichtigkeit dessen, was gerade geschah. Ich stel te mir vor, dass sie gerade die Nacht wieder durchlebte, als sie an meiner Stel e stand und ihren Vorgänger beobachtet hatte, wie ich nun sie beobachtete. Sie musste gewusst haben, was passieren würde, aber sie war innerlich schon so tot, dass sie nur noch tun konnte, was von ihr erwartet wurde. Und durch ihre offensichtliche, hilflose Panik wusste ich, dass es in ihr noch etwas gab, das es wert war, gerettet zu werden.
»Gib sie frei«, sagte ich, tief in meinen Mantel verkrochen, als meine Augen von Ceri zum Kessel und dann zu Algaliarept huschten. »Gib sie erst frei.«
»Warum?« Er inspizierte gelangweilt seine Nägel, bevor er die Handschuhe wieder anzog.
»Ich werde dich eher töten, als dir zu erlauben mich ins Jenseits zu verschleppen, und ich wil sie vorher frei sehen.«
Darüber lachte Algaliarept, lang und herzlich. Er stützte sich mit einer Hand auf dem Engel ab und krümmte sich vor Heiterkeit. Ein gedämpfter Schlag ließ meine Beine zittern, und das steinerne Fundament zerbrach mit einem Geräusch wie ein Schuss. Ceri starrte mit schlaffen Lippen, doch ihre Augen glitten schnel über mich hinweg. In ihr schien sich etwas zu regen, lange unterdrückte Erinnerungen und Gedanken.
»Du wirst kämpfen«, stel te Algaliarept entzückt fest.
»Umwerfend. Ich habe so darauf gehofft.« Er sah mir in die Augen, grinste affektiert und berührte den Rand seiner Sonnenbril e. »Adsimulo calefacio.«
Das Messer in meinem Ärmel ging in Flammen auf. Mit einem Schrei warf ich meinen Mantel ab, der gegen meine Barriere pral te und dort zu Boden glitt. Der Dämon musterte mich. »Strapazier nicht länger meine Geduld, Rachel Mariana Morgan. Komm hierher und rezitiere die verdammte Beschwörungsformel.«
Ich hatte keine Wahl. Wenn ich es nicht tat, würde er unseren Deal für geplatzt erklären, meine Seele als Bußgeld nehmen und mich ins Jenseits ziehen. Meine einzige Chance bestand darin, mich peinlich genau an die Abmachung zu halten. Ich warf einen Blick auf Ceri und wünschte mir, sie würde von Algaliarept zurücktreten, aber sie ließ nur ihre Finger über die in den Grabstein gemeißelten Daten gleiten.
Ihr sonnenentwöhnter Teint war nun noch bleicher.
»Erinnerst du dich an den Fluch?«, fragte Algaliarept, als ich auf Höhe des kniehohen Kessels stand.
Ich warf einen Blick hinein und war nicht überrascht, dass die Aura des Dämons schwarz war. Ich nickte und fühlte mich schwach, als meine Gedanken unwil kürlich zu dem Tag zurück wanderten, an dem ich aus Versehen meinen Freund Nick zu meinem Schutzgeist gemacht hatte. War das erst drei Monate her? »Ich kann ihn auf Englisch sprechen«, flüsterte ich. Nick. Oh Gott, ich hatte nicht Aufwiedersehen gesagt. Er war in der letzten Zeit so distanziert gewesen, dass ich nicht den Mut gefunden hatte, es ihm zu sagen. Ich hatte es niemandem gesagt.
»Das genügt.« Seine Sonnenbril e verschwand, und seine verdammten Augen mit den ziegenartigen Pupil en richteten sich auf mich. Mein Herz raste, aber ich hatte meine Wahl getroffen. Sie würde mich am Leben halten oder töten.
Tief und dröhnend erklang Algaliarepts Stimme und schien mein gesamtes Inneres zu erschüttern. Er sprach Latein, die Worte gleichzeitig vertraut und auch wieder nicht, wie die Erinnerung an einen Traum. »Pars tibi, totum mihi. Vinctus vinculis, prece fractis.«
»Etwas für dich«, sprach ich die Worte aus dem Gedächtnis nach, »aber al es für mich. Verbunden sei mit mir, das erbitte ich von dir.«
Das Lächeln des Dämons wurde breiter und erschütterte mich durch seine Zuversicht. »Luna servata, lux sanata.
Chaos statutum, pejus minutum.«
Ich schluckte schwer. »Mondschein gefeit, altes Licht geheilt«, flüsterte ich. »Das Chaos verfügt, bringt im Sturze Verderben.«
An Algaliarepts Händen, mit denen er in freudiger Erwartung den Rand des Kessels umklammerte, traten die Knöchel weiß hervor. »Mentem tegens, malum ferens. Semper servus dum duret mundus«, sagte er, und Ceri schluchzte auf, ein schnel unterdrücktes Geräusch wie von einem Kätzchen.
»Los«, ermunterte mich Algaliarept, und die Aufregung ließ seine Ränder verschwimmen. »Sag es und steck deine Hände hinein.«
Ich zögerte, meine Augen auf Ceris zusammengesunkene Gestalt vor dem Grabstein gerichtet, die in den Falten ihres Kleides kauerte wie in einer farbigen Pfütze. »Nimm erst eine Schuld zurück, die ich bei dir offen habe.«
»Du bist ein unersättliches Flittchen, Rachel Mariana Morgan.«
»Tu es!«, forderte ich. »Du hast gesagt, dass du es tun würdest. Nimm wie vereinbart eines deiner Zeichen von mir.«
Er lehnte sich über den Topf, bis ich in den Gläsern seiner Sonnenbril e mein Spiegelbild sehen konnte. »Es macht keinen Unterschied. Beende den Fluch und bring es hinter dich.«
»Sagst du damit, dass du dich nicht an deine Seite des Handels hältst?«, forderte ich ihn heraus, und er lachte.
»Nein. Absolut nicht, und wenn du gehofft hast, dass du unsere Abmachung deswegen für ungültig erklären kannst, dann bist du ein bemitleidenswerter Dummkopf. Ich nehme eines meiner Zeichen von dir, aber du schuldest mir immer noch einen Gefal en.« Er leckte sich über die Lippen. »Und als mein Familiaris gehörst du - mir.«
Eine verstörende Mischung aus Furcht und Erleichterung ergriff mich, und ich hielt die Luft an, um mich nicht zu übergeben. Aber ich musste meine Seite des Vertrags vol ständig erfül en, bevor ich erfahren würde, ob meine Überlegungen richtig waren und ich der Fal e des Dämons durch eine kleine Spitzfindigkeit namens freie Wahl entkommen konnte.
»Den Schutz sich erinnern«, sagte ich zitternd, »den Träger des Wahren. An mich gebunden, bevor die Welt neu an Jahren.«
Algaliarept gab ein zufriedenes Geräusch von sich, und mit verkrampftem Kiefer senkte ich meine Hände in den Kessel.
Kälte ergriff und betäubte meine Hände. Ich riss sie heraus und starrte vol er Entsetzen darauf, ohne an meinen rotlackierten Fingern einen Unterschied zu sehen.
Und dann drang Algaliarepts Aura tiefer in mich ein und berührte mein Chi.
Meine Augen schienen vor Schmerz aus ihren Höhlen treten zu wol en. Ich atmete tief ein, um zu schreien, konnte aber nicht. Für einen kurzen Moment sah ich Ceri, in deren Augen furchtbare Erinnerung flackerten. Auf der anderen Seite des Zauberkessels grinste Algaliarept mich an. Mit zusammengeschnürter Kehle kämpfte ich um einen Atemzug, doch die Luft schien sich in Öl verwandelt zu haben. Ich fiel auf Hände und Knie und schlug sie mir auf dem Beton auf. Meine Haare bedeckten mein Gesicht, und ich versuchte, nicht zu würgen. Ich konnte nicht atmen. Ich konnte nicht denken!
Die Aura des Dämons war wie eine nasse Decke, tropfend vor Säure, die mich erstickte. Sie überzog mich, innen wie außen, und meine Stärke wurde von seiner Macht erdrosselt.
Sie zerquetschte meinen Wil en. Ich hörte, wie mein Herz einmal schlug, dann ein weiteres Mal. Mir gelang ein bebender Atemzug, und ich schluckte den scharfen Geschmack von Erbrochenem hinunter. Ich würde leben.
Seine Aura konnte mich nicht töten. Ich konnte das durchziehen. Ich konnte es schaffen.
Zitternd schaute ich auf, als der Schock langsam nachließ und sich in etwas verwandelte, mit dem ich umgehen konnte. Der Kessel war verschwunden, und Ceri kauerte neben Algaliarept hinter dem riesigen Grabstein. Ich atmete tief ein, unfähig, die Luft durch die Aura des Dämons zu schmecken. Ich bewegte mich und konnte den rauen Beton, der meine Fingerspitzen aufschürfte, nicht spüren. Al es war taub. Al es war gedämpft, als wäre ich in Watte gepackt.
Al es, außer der Energie der nahe liegenden Kraftlinie. Ich konnte sie dreißig Yards entfernt vibrieren fühlen, als wäre sie eine Starkstromleitung. Keuchend stolperte ich auf die Füße, schockiert, als mir auffiel, dass ich die Kraftlinie sehen konnte. Ich sah al es so, als würde ich mit meinem zweiten Gesicht darauf blicken - was ich nicht tat. Mein Magen drehte sich um, als ich bemerkte, dass mein Kreis, einst von meiner Aura in fröhlichem Gold eingefärbt, jetzt von Schwarz überzogen war.
Ich wandte mich dem Dämon zu, sah die schwarze Aura, die ihn umgab, und wusste, dass ein guter Teil davon nun auch meine Aura bedeckte. Dann schaute ich Ceri an und konnte kaum ihr Gesicht erkennen, so dicht schloss Alga-Iiarepts Schwärze sie ein. Sie hatte keine eigene Aura, um sich gegen die des Dämons zu wehren, da sie ihre Seele an ihn verloren hatte. Und genau darauf hatte ich meine gesamte Hoffnung gesetzt.
Wenn ich meine Seele noch hatte, verfügte ich auch noch über eine Aura, auch wenn sie unter Algaliarepts verborgen war. Und mit meiner Seele hatte ich einen freien Wil en.
Anders als Ceri konnte ich Nein sagen. Langsam erinnerte ich mich daran, wie.
»Befrei sie«, presste ich hervor. »Ich habe deine verdammte Aura angenommen. Jetzt befrei sie.«
»Oh, warum nicht?«, kicherte der Dämon und rieb sich die behandschuhten Hände. »Sie zu töten wird ein wirklich fantastischer Anfang für deine Lehrzeit sein. Ceri?«
Die schlanke Frau kam auf die Füße, den Kopf hoch erhoben. Panik stand ihr ins Gesicht geschrieben.
»Ceridwen Merriam Duciate«, sagte Algaliarept. »Ich gebe dir deine Seele zurück, bevor ich dich töte. Dafür kannst du Rachel danken.«
Ich zuckte zusammen. Rachel? Bis jetzt war ich immer Rachel Mariana Morgan gewesen. Anscheinend war ich als Familiaris nicht mehr meinen vol en Namen wert. Das brachte mich auf die Palme.
Ceri gab ein unterdrücktes Stöhnen von sich und stolperte.
Ich beobachtete mit meiner neuen Sicht, wie Algaliarepts Knechtschaft von ihr abfiel. Ein winziger, sehr schwacher Schimmer von klarem Blau umgab sie. Ihre wiederbelebte Seele versuchte, sie in ihrem Schutz zu baden - und ging dann in den tausend Jahren Dunkelheit unter, mit denen der Dämon ihre Seele verschmutzt hatte, während er sie kontrol iert hatte. Ihr Mund bewegte sich, aber sie konnte nicht sprechen. Ihre Augen wurden glasig, als sie keuchte, fast hyperventilierte, und ich sprang auf sie zu, um sie aufzufangen, als sie fiel. Mühsam schleppte ich sie auf meine Seite des Kreises.
Algaliarept streckte die Hand nach ihr aus, und Adrenalin überschwemmte meinen Körper. Ich ließ Ceri fal en, richtete mich auf und griff nach der Kraftlinie. »Rhombus!«, rief ich, das Wort der Anrufung, um einen Kreis zu errichten, ohne ihn vorher zu ziehen. Um das zu schaffen, hatte ich drei Monate lang geübt.
Mit einer Macht, die mich taumeln ließ, explodierte der Kreis um mich herum und schloss Ceri und mich in einen zweiten, kleineren Schutzkreis innerhalb des ersten ein.
Meinem Schutzkreis fehlte ein physisches Bezugsobjekt, und so floss die überschüssige Energie überal hin statt zurück in die Kraftlinie, wo sie hingehörte. Der Dämon fluchte, als er mit Macht zurückgeworfen wurde, bis er gegen die Barriere des ersten Kreises pral te, der immer noch aktiv war. Mit einem Pfeifen, das mir noch lange in den Ohren klang, brach der erste Schutzkreis, und Algaliarept fiel zu Boden.
Schwer atmend kauerte ich mich mit den Händen auf den Knien zusammen. Algaliarept blinzelte mich vom Betonboden aus an und lächelte dann verschlagen. »Wir teilen eine Aura, Liebes«, sagte er. »Dein Schutzkreis kann mich nicht mehr aufhalten.« Sein Grinsen wurde breiter.
»Überraschung«, sang er fröhlich, als er aufstand und in al er Ruhe den Staub von seinem Samtmantel klopfte.
Oh Gott. Wenn mein erster Schutzkreis ihn jetzt nicht mehr halten konnte, konnte es mein zweiter genauso wenig. Ich hatte mir schon gedacht, dass so etwas passieren würde.
»Ceri?«, flüsterte ich. »Steh auf. Wir müssen hier weg.«
Algaliarepts Augen wandten sich von mir ab und wanderten über den heiligen Boden, der uns umgab. Meine Muskeln spannten sich an.
Der Dämon sprang. Kreischend riss ich mich und Ceri nach hinten. Ich bemerkte kaum den Stoß des Jenseits, der in mich floss, als ich den Kreis brach. Der Aufpral auf dem Boden, mit Ceri auf mir, ließ mich atemlos zurück. Ohne Luft zu holen, grub ich meine Absätze in den Schnee und stieß uns noch weiter nach hinten. Der goldene Besatz an Ceris Bal kleid fühlte sich rau an, als ich an ihr zerrte, bis ich mir absolut sicher war, dass wir beide auf heiligem Boden waren.
»Zur Höl e mit euch!« Algaliarept stand wutentbrannt am äußersten Rand der Betonplatte und brül te.
Zitternd stand ich auf und starrte den frustrierten Dämon an.
»Ceri!«, forderte er herrisch, und der Geruch von verbranntem Bernstein stieg auf, als er einen Fuß über die unsichtbare Grenze setzte. Sofort riss er ihn zurück. »Stoß sie zu mir! Oder ich werde deine Seele so sehr verschmutzen, dass dein hochgeschätzter Gott dich niemals reinlässt, egal, wie sehr du bettelst!«
Ceri stöhnte und klammerte sich ängstlich an mein Bein, ihr Gesicht versteckt, als sie versuchte, eine tausendjährige Konditionierung zu durchbrechen. Mein Gesicht verhärtete sich vor Wut. Das hätte ich sein können. Das könnte ich immer noch sein. »Ich werde nicht zulassen, dass er dich weiterhin verletzt«, sagte ich und ließ eine Hand auf ihre Schulter sinken. »Wenn ich verhindern kann, dass er dir wehtut, dann werde ich es tun.«
Ihr Griff an meinem Bein zitterte, und ich fand, dass sie aussah wie ein geschlagenes Kind.
»Du bist mein Familiaris! Mein Schutzgeist! Mein Vertrauter!«, schrie der Dämon, und Spucke flog aus seinem Mund. »Rachel, komm hierher.«
Ich schüttelte den Kopf und fühlte mich um einiges kälter, als der Schnee um mich herum es rechtfertigte.
»Nein«, sagte ich schlicht. »Ich werde nicht ins Jenseits gehen. Du kannst mich nicht dazu zwingen.«
Algaliarept starrte mich ungläubig an. »Du wirst kommen«, donnerte er, und Ceri umklammerte mein Bein noch fester.
»Du gehörst mir! Du bist mein verdammter Vertrauter. Ich habe dir meine Aura gegeben. Dein Wil e gehört mir!«
»Nein, tut er nicht«, widersprach ich bestimmt, während ich innerlich bebte. Es funktioniert. Gott sei mir gnädig, es funktioniert. Mir wurde warm, und ich merkte, dass mir vor Erleichterung fast die Tränen kamen. Er konnte mich nicht in Besitz nehmen. Ich mochte sein Schutzgeist sein, sein Vertrauter, wie er sagte, aber er hatte keinen Zugriff auf meine Seele. Ich konnte Nein sagen.
»Du bist mein Familiaris! Mein Vertrauter!«, wütete er wieder. Sowohl Ceri als auch ich schrien auf, als er versuchte, den heiligen Boden zu betreten, und dann wieder zurückwich.
»Ich bin dein Familiaris!«, schrie ich angsterfül t. »Und ich sage Nein! Ich habe mich bereiterklärt, dein Schutzgeist zu werden, und ich bin es, aber ich gehe nicht mit dir ins Jenseits, und du kannst mich nicht dazu zwingen!«
Algaliarepts ziegenartige Augen verengten sich. Ich trat einen Schritt zurück und versteifte mich, als seine Wut abkühlte. »Du hast zugestimmt, mein Familiaris zu sein«, sagte er sanft, und von seinen glänzenden, mit Schnal en verzierten Stiefeln stieg Rauch auf, als er am Rand des entweihten Grundes balancierte. »Komm jetzt her, oder ich erkläre unseren Pakt als gebrochen, und deine Seele gehört aufgrund des Vertragsbruches mir.«
Doppelter Einsatz. Ich hatte gewusst, dass es dazu kommen würde. »Ich habe deine stinkende Aura überal «, sagte ich, während Ceri bebte. »Ich bin dein Familiaris, dein Schutzgeist, dein Vertrauter, wie immer du es auch nennen wil st. Wenn du denkst, dass es einen Vertragsbruch gegeben hat, dann hol vor Sonnenaufgang jemanden her, der darüber richten kann. Und nimm eines dieser verdammten Dämonenmale von mir!«, forderte ich und hielt ihm mein Handgelenk entgegen.
Mein Arm zitterte, und Algaliarept gab ein schreckliches, tief aus der Kehle kommendes Geräusch von sich, das meine Eingeweide zum Erbeben brachte. Ceri wagte es, einen Blick auf den Dämon zu werfen. »Ich kann dich nicht als Familiaris benutzen, wenn du auf der falschen Seite der Kraftlinien bist«, sagte er. Offensichtlich dachte er laut nach. »Die Bindung ist nicht stark genug . .«
»Das ist nicht mein Problem«, unterbrach ich ihn mit zitternden Knien.
»Nein«, stimmte Algaliarept mir zu. Er faltete die Hände hinter dem Rücken, und sein Blick fiel auf Ceri. Der brodelnde Zorn in seinen Augen jagte mir eine beschissene Angst ein. »Aber ich mache es zu deinem Problem. Du hast meinen Vertrauten gestohlen und mich mit nichts zurückgelassen. Du hast mich überlistet und so die Bezahlung für einen Dienst umgangen. Wenn ich dich nicht ins Jenseits ziehen kann, werde ich einen Weg finden, dich durch die Kraftlinien zu benutzen. Und ich werde dich niemals sterben lassen. Frag sie. Frag sie, wie die immerwährende Höl e so ist. Sie wartet auf dich, Rachel. Und ich bin kein geduldiger Dämon. Du kannst dich nicht ewig auf heiligem Boden verstecken.«
»Geh weg«, sagte ich mit zitternder Stimme. »Ich habe dich gerufen. Jetzt befehle ich dir, zu gehen. Nimm eines dieser Male von mir und verschwinde. Sofort.« Ich hatte ihn beschworen, und somit unterlag er den Regeln der Beschwörung - selbst wenn ich sein Schutzgeist war.
Er atmete langsam aus, und ich glaubte zu spüren, dass der Boden sich bewegte. Seine Augen wurden schwarz.
Schwarz, schwarz, immer schwärzer. Oh verdammt.
»Ich werde einen Weg finden, durch die Kraftlinien eine Bindung zu erschaffen, die stark genug ist««, verkündete er.
»Und dann werde ich dich durch sie nach unten ziehen, mit unbeschädigter Seele. Deine Zeit auf dieser Seite der Linien ist nur geliehen.«
»Ich war schon früher so gut wie tot«, sagte ich. »Und mein Name ist Rachel Mariana Morgan. Benutz ihn. Und nimm eines dieser Male von mir, oder du verwirkst al es.«
Ich komme damit durch. Ich habe einen Dämon übers Ohr gehauen. Das Wissen war berauschend, aber ich hatte noch zu viel Angst, als dass es momentan viel bedeutet hätte.
Algaliarept schenkte mir einen eisigen Blick, sah kurz Ceri an und verschwand.
Mein Handgelenk brannte plötzlich, und ich schrie auf, aber es war ein wil kommener Schmerz, als ich mich zusammenkauerte und mein dämonengezeichnetes Gelenk mit der anderen Hand umklammerte. Es tat weh - es tat so weh, als würden Höl enhunde darauf herumkauen -, aber als mein verschwommener Blick wieder klar wurde, durchzog nur noch eine gerade Narbe den schwieligen Kreis, nicht zwei.
Von den letzten Wel en des Schmerzes ausgelaugt sackte ich in mich zusammen. Mein gesamter Körper schien den Halt zu verlieren. Ich hob den Kopf und atmete tief ein in dem Versuch, meinen Bauch zu entkrampfen. Er konnte mich nicht benutzen, wenn wir auf verschiedenen Seiten der Kraftlinien waren. Ich war immer noch ich selbst, auch wenn ich mit Algaliarepts Aura überzogen war. Langsam ließ das zweite Gesicht nach, und die rote Linie der Kraftlinie verschwand. Algaliarepts Aura war leichter zu tragen, ihre Existenz fast nicht mehr zu spüren, jetzt, da der Dämon fort war.
Ceri ließ mich los und machte dadurch wieder auf sich aufmerksam. Ich beugte mich zu ihr, um ihr eine helfende Hand anzubieten. Sie starrte sie verwundert an und beobachtete sich selbst, als sie eine dünne, bleiche Hand in die meine legte. Immer noch zu meinen Füßen, küsste sie meinen Handrücken in einer ritualisierten Geste der Dankbarkeit.
»Nein. Lass das«, sagte ich und drehte meine Hand, um ihre fester zu fassen und sie auf die Beine und aus dem Schnee zu ziehen.
Ceris Augen fül ten sich und flössen über, als sie stumm über ihre Freiheit weinte. Die gut gekleidete, missbrauchte Frau war in ihrer tränenreichen, stil en Freude wunderschön.
Ich legte meinen Arm um sie, um ihr ein wenig Trost zu spenden. Ceri krümmte sich und zitterte nur noch stärker.
Ich ließ al es, wo es war - die Kerzen konnten von al eine ausgehen - und stolperte zur Kirche. Mein Blick war auf den Schnee zu meinen Füßen gerichtet und auf die eine Fährte, die nach draußen führte, die wir jetzt mit unseren zwei Spuren zerstörten. Ich fragte mich, was um Himmels wil en ich mit ihr anstel en sol te.
2
Wir hatten bereits den halben Weg zur Kirche zurückgelegt, als mir auffiel, dass Ceri barfuß durch den Schnee lief. »Ceri«, sagte ich entsetzt. »Wo sind deine Schuhe?«
Die weinende Frau verschluckte sich fast. Sie wischte sich die Augen und blickte nach unten. Ein roter Schein von Jenseits wirbelte um ihre Zehen, und verbrannte Tanzschuhe erschienen an ihren Füßen. Überraschung glitt über ihre delikaten Gesichtszüge, die im Schein der Verandalichter klar zu erkennen waren.
»Sie sind verbrannt«, sagte ich, als sie die Schuhe abschüttelte. Kleine Kohlestücke blieben an ihren Füßen hängen und sahen aus wie schwarze Wunden. »Viel eicht hat Big AI gerade einen Tobsuchtsanfal und verbrennt deine Sachen.«
Ceri nickte stil , und die kleinste Spur eines Lächelns huschte über ihr Gesicht, als sie den beleidigenden Spitznamen hörte, den ich verwendete, um den Namen des Dämons nicht vor jemandem auszusprechen, der ihn noch nicht wusste.
Ich setzte mich wieder in Bewegung. »Na ja, ich habe noch ein Paar Pantoffeln, das du anziehen kannst. Und wie wäre es mit Kaffee? Ich bin völ ig durchgefroren.« Wir sind gerade einem Dämon entkommen, und ich biete ihr Kaffee an?
Sie sagte nichts, aber ihre Augen wanderten zu der hölzernen Veranda, die zu den Wohnräumen im hinteren Teil der Kirche führte. Dann ließ sie den Blick weiterschweifen zum Altarraum dahinter und dem Kirchturm mit seinem Glockenhaus. »Priester?«, flüsterte sie und ihre Stimme passte zu dem eisüberzogenen Garten, kristal klar und rein.
»Nein«, sagte ich, während ich mich bemühte, nicht auf den Stufen auszurutschen. »Ich lebe hier nur. Es ist keine wirkliche Kirche mehr.« Ceri blinzelte, und ich fügte hinzu:
»Es ist ein bisschen schwer zu erklären. Komm erst mal rein.«
Ich öffnete die Hintertür und ging zuerst hinein, da Ceri nur den Kopf senkte und keine Anstalten dazu machte. Die Wärme des Wohnzimmers strich wie eine wohltuende Wel e über mein kaltes Gesicht. Ceri blieb stocksteif auf der Schwel e stehen, als eine Handvol Pixiemädchen sich kreischend vom Sims des kalten Kamins erhoben, um vor der Kälte zu fliehen. Zwei halbwüchsige Pixiejungs warfen Ceri vielsagende Blicke zu, bevor sie den Mädchen folgten.
»Pixies?«, sagte ich fragend und erinnerte mich daran, dass sie über tausend Jahre alt war. Wenn sie kein Inderlander war, hatte sie so etwas vorher noch nie gesehen und würde wahrscheinlich glauben, sie wären, äh, Märchenwesen. »Weißt du von Pixies?«, fragte ich und stampfte den Schnee von meinen Stiefeln.
Sie nickte und schloss die Tür hinter sich, und ich fühlte mich besser. Die Anpassung an das moderne Leben war um einiges einfacher, wenn sie nicht Tiermenschen, Pixies, Vampire und Ähnliches zusätzlich zu Fernsehern, Handys und al em anderen begreifen musste. Und als ihre Augen lediglich mit mildem Interesse über Ivys teure elektronische Ausrüstung glitten, hätte ich wetten können, dass die andere Seite der Kraftlinien technisch genauso fortgeschritten war wie unsere.
»Jenks!«, rief ich in den vorderen Teil der Kirche, wo er und seine Familie für die Dauer der Wintermonate lebten. »Kann ich dich kurz sprechen?«
Das Geräusch von Libel enflügeln erklang leise in der warmen Luft. »Hey, Rachel«, sagte der kleine Pixie, als er hereingeflogen kam. »Was sagen meine Kinder da über einen Engel?« Abrupt kam er in der Luft zum Stehen, die Augen weit aufgerissen. Sein kurzes blondes Haar wehte, als er hinter mich sah.
Engel, hm?, dachte ich, als ich mich zu Ceri umdrehte, um sie vorzustel en. »Oh Gott, nein«, sagte ich und richtete sie wieder auf. Sie hatte den Schnee aufgesammelt, den ich von meinen Stiefeln geschüttelt hatte, und hielt ihn in der I land.
Der Anblick, wie das zierliche Mädchen in dem feinen Kleid meinen Dreck aufräumte, war zu viel. »Bitte, Ceri«, sagte ich, nahm ihr den Schnee ab und ließ ihn auf den Teppich fal en.
»Lass das.«
Ein Ausdruck von Selbsthass glitt über das Gesicht der kleinen Frau. Mit einem Seufzen verzog sie entschuldigend den Mund. Ich glaube nicht, dass sie begriffen hatte, was sie tat, bis ich sie davon abgehalten hatte.
Ich drehte mich wieder zu Jenks um und sah, dass seine Flügel leicht rötlich eingefärbt waren, weil seine Blutzirkulation sich erhöht hatte. »Was zur Höl e?«, murmelte er, als seine Augen auf ihre Füße fielen. Vor Überraschung versprühte er Pixiestaub und hinterließ auf dem grauen Teppich einen glitzernden Sonnenfleck. Er hatte seine gemütlichen Gärtnerklamotten aus eng anliegender grüner Seide an und sah aus wie ein winziger Peter Pan, al erdings ohne den Hut.
»Jenks«, sagte ich, als ich eine Hand auf Ceris Schulter legte und sie nach vorne zog. »Das ist Ceri. Sie wird eine Weile bei uns bleiben. Ceri, das ist Jenks, mein Partner.«
Jenks flog vor und zurück. Ceri machte ein erstauntes Gesicht und blickte von ihm zu mir. »Partner?«, fragte sie und studierte meine linke Hand.
Plötzlich verstand ich, und mir wurde warm. »Mein Geschäftspartner«, erwiderte ich und erkannte, dass sie glaubte, wir wären verheiratet. Wie um Himmels wil en könnte ich einen Pixie heiraten? Und warum um Himmels wil en sol te jemand das wol en?
»Wir arbeiten zusammen als Runner.« Ich nahm meine Mütze ab und warf die Kopfbedeckung aus roter Wol e Richtung Heizung, wo sie auf dem Steinboden trocknen konnte. Dann schüttelte ich meine zusammengedrückten Haare aus. Ich hatte meinen Mantel draußen liegen gelassen, aber ich würde ihn jetzt auch bestimmt nicht holen gehen.
Verwirrt biss sich Ceri auf die Lippen. Die Wärme des Raumes hatte sie gerötet, und auch ihre Wangen bekamen langsam wieder Farbe. Mit einem trockenen Rasseln schwebte Jenks so nah an mich heran, dass meine Locken sich im Luftzug seiner Flügel bewegten. »Scheint nicht al zu hel e zu sein, oder?«, merkte er an, und als ich ihn genervt wegscheuchte, stemmte er die Hände in die Hüften. Dann schwebte er vor Ceri und sagte laut und langsam, als wäre sie schwerhörig: »Wir - sind - die - Guten. Wir - stoppen -die
- Bösen.«
»Krieger«, sagte Ceri und sah dabei nicht auf ihn, sondern auf Ivys lederne Vorhänge, die gemütlichen Wildledersessel und das dazu passende Sofa. Der Raum war eine Offenbarung der Gemütlichkeit, und al es darin war aus Ivys Tasche bezahlt worden und nicht aus meiner. Jenks lachte und klang dabei wie ein Windspiel. »Krieger«, sagte er grinsend. »Jawohl. Wir sind Krieger. Ich bin sofort zurück-den muss ich Matalina erzählen.«
Er flitzte in Kopfhöhe aus dem Raum, und meine Schultern entspannten sich.
»Entschuldigung«, sagte ich. »Ich habe Jenks gebeten, im Winter zu uns nach drinnen zu ziehen, nachdem er zugegeben hatte, dass er jedes Frühjahr zwei seiner Kinder an die Überwinterungskrankheit verliert. Sie treiben mich und Ivy in den Wahnsinn, aber ich habe lieber für vier Monate keine Privatsphäre als dass Jenks seinen Frühling mit zwei winzigen Särgen beginnt.«
Ceri nickte. »Ivy«, sagte sie leise. »Ist sie dein Partner?«
»Jup. Genau wie Jenks«, sagte ich beiläufig, um sicherzustel en, dass sie es richtig verstand. Ihre unruhigen Augen katalogisierten al es und jedes. Langsam bewegte ich mich in den Flur. »Ahm, Ceri?«, sagte ich und zögerte, bis sie mir folgte. »Wäre es dir lieber, wenn ich dich Ceridwen nenne?«
Sie spähte den dunklen Korridor entlang zum erleuchteten Altarraum, wobei ihr Blick anscheinend den Geräuschen der Pixiekinder folgte. Sie sol ten eigentlich im hinteren Bereich der Kirche bleiben, aber sie steckten ihre Nase einlach überal hin, und ihr Schreien und Quietschen war Normalität geworden. »Ceri, bitte.«
Ihre Persönlichkeit kehrte viel schnel er zurück als ich es für möglich gehalten hätte, von Schweigen zu kurzen Sätzen in wenigen Momenten. Ihre Sprache war eine seltsame Mischung aus moderner Aussprache und charmanter Altertümlichkeit, was wahrscheinlich davon kam, dass sie so lange unter Dämonen gelebt hatte. Sie hielt auf der Türschwel e zu meiner Küche an und blickte mit großen Augen um sich. Ich nahm nicht an, dass es der Kulturschock war - viele Leute zeigten diese Reaktion, wenn sie meine Küche sahen.
Sie war riesig und sowohl mit einem Gasherd als auch einem Elektroherd ausgestattet, sodass ich auf dem einen kochen und auf dem anderen Zauber zubereiten konnte. Der Kühlschrank war aus Edelstahl und groß genug, um eine ganze Kuh darin zu verstauen. Es gab ein großes Schiebefenster, das den verschneiten Garten und Friedhof überblickte, und auf dem Fensterbrett schwamm glücklich mein Beta, Mr. Fish, in einem Cognacschwenker.
Leuchtstoffröhren beschienen edles Chrom und weitläufige Arbeitsflächen, die auch in einer Fernseh-Kochshow nicht aus dem Rahmen gefal en wären.
Eine zentrale Arbeitsfläche in der Mitte des Raums nahm den meisten Platz ein. Darüber hing ein Regal mit meinen Zauberzutaten und getrockneten Kräutern, die Jenks und seine Familie gesammelt hatten. Ivys massiver antiker Tisch fül te den Rest. Eine Hälfte des Tisches war akribisch als ihr Büro eingerichtet, mit ihrem Computer, der schnel er und stärker war als eine Familienpackung Abführmittel sowie farbcodierten Unterlagen, Straßenkarten und den Leuchtmarkern, die sie verwendete, um ihre Fäl e zu organisieren. Die andere Hälfte des Tisches gehörte mir und war leer. Ich wünschte, ich könnte sagen, dass dieser Fakt meiner Ordnungsliebe entsprang, aber wenn ich einen Auftrag hatte, erledigte ich ihn einfach. Ich analysierte ihn nicht zuerst zu Tode.
»Nimm dir einen Stuhl«, sagte ich beiläufig. »Wie wäre es mit einer Tasse Kaffee?« Kaffee?, dachte ich, als ich zur Maschine hinüberging und den alten Kaffeesatz entfernte.
Was sol te ich nur mit ihr tun? Sie war ja kein streunendes Kätzchen. Sie brauchte Hilfe. Professionel e Hilfe.
Ceri starrte mich an, und ihre Miene sah wieder wie betäubt aus. »Ich. .«, stotterte sie und sah in ihrer prunkvol en Kleidung ängstlich und klein aus. Ich schaute auf meine Jeans herunter und auf den roten Pul over, den ich trug. Ich hatte immer noch meine Schneestiefel an und fühlte mich wie ein Trottel.
»Hier«, sagte ich und schob ihr einen Stuhl hin. »Ich mache dir einen Tee.« Drei Schritte vorwärts, einer zurück, lachte ich, als sie den Stuhl verschmähte, den ich ihr angeboten hatte, und sich stattdessen auf den vor Ivys Computer setzte. Tee war wahrscheinlich angemessener, wenn man daran dachte, dass sie über tausend Jahre alt war. Kannte man im Mittelalter überhaupt Kaffee?
Ich starrte gerade in meine Schränke und versuchte mich daran zu erinnern, wo ich meine Teekanne aufbewahrte, als Jenks und ungefähr fünfzehn seiner Kinder in den Kaum geflogen kamen und al e gleichzeitig zu reden begannen.
Die Stimmen waren so hoch, und sie sprachen so schnel , dass ich davon Kopfweh bekam. »Jenks«, bettelte ich mit einem Seitenblick auf Ceri. Sie sah schon jetzt überwältigt genug aus.
»Sie werden nichts tun«, wehrte er kampfeslustig ab.
Außerdem wil ich, dass sie ihren Geruch einmal tief einatmen. Ich kann einfach nicht sagen, was sie ist, weil sie so heftig nach verbranntem Bernstein riecht. Wer ist sie überhaupt, und was hat sie barfuß in unserem Garten gemacht?«
»Ahm«, sagte ich, auf einmal wachsam. Pixies hatten einen ausgezeichneten Geruchssinn und konnten jederzeit erschnüffeln, was jemand war. Ich hatte eine böse Vermutung zu Ceris Spezies, und ich wol te wirklich nicht, dass Jenks es herausfand.
Ceri hob ihre Hand und lächelte engelsgleich, als prompt zwei Pixiemädchen darauf landeten. Ihre pink-grünen Seidenkleider bewegten sich in dem Luftzug, den ihre Libel enflügel verursachten. Sie plapperten glücklich vor sich hin, wie es Pixiemädchen so tun, scheinbar gedankenlos, während sie sich in Wirklichkeit ihrer gesamten Umgebung, bis hin zu der Maus hinter dem Kühlschrank, bewusst waren.
Offensichtlich hatte Ceri schon früher Pixies gesehen, was sie zumindest zu einem Inderlander machte, wenn sie wirklich tausend Jahre alt war. Der Wandel, also die Zeit, als wir al e aus unseren Verstecken gekommen waren, um offen mit den Menschen zu leben, war erst vierzig Jahre her.
»Hey«, protestierte Jenks, als er sah, dass seine Kinder einen al einigen Anspruch auf Ceri erhoben, und sie wirbelten hastig in einem Kaleidoskop von Farben und Geräuschen in die Luft und aus der Küche. Sofort nahm er ihren Platz ein und winkte seinen ältesten Sohn, Jax, heran, damit er sich auf dem Computerbildschirm vor ihr niederließ.
»Du riechst wie Trent Kalamack«, erklärte er undiplomatisch. »Was bist du?«
Eine Woge existenziel er Angst überkam mich, und ich wandte ihnen den Rücken zu. Verdammt, ich hatte recht. Sie war eine Elfe. Wenn Jenks das erfuhr, würde er es, sobald die Temperaturen über den Nul punkt stiegen und er die Kirche wieder verlassen konnte, ganz Cincinnati erzählen. Trent wol te nicht, dass die Welt wusste, dass die Elfen den Wandel überlebt hatten, und er würde ohne zu zögern den gesamten Block mit Agent Orange besprühen lassen, um Jenks zum Schweigen zu bringen.
Ich drehte mich um, winkte Ceri panisch mit dem Finger und zog meinen Mund pantomimisch wie einen Reißverschluss zu. Dann fiel mir auf, dass sie wahrscheinlich keine Ahnung hatte, was das heißen sol te, und hielt einen Finger vor die Lippen. Sie warf mir einen fragenden Blick zu und sah dann Jenks an. »Ceri«, sagte sie ernst.
»Ja, ja«, erwiderte Jenks ungeduldig und stemmte die Hände in die Hüften. »Ich weiß. Du Ceri. Ich Jenks. Aber was bist du? Bist du eine Hexe? Rachel ist eine Hexe.«
Ceri ließ ihren Blick kurz über mich gleiten. »Ich bin Ceri.«
Jenks' Flügel verschwommen, und der Schein, den sie in der Luft hinterließen, wechselte von Blau zu Rot.
»Jaaa«, wiederholte er. »Aber welche Spezies? Schau: Ich bin ein Pixie, Rachel ist eine Hexe. Du bist. .«
»Ceri««, beharrte sie.
»Ähm, Jenks?«, unterbrach ich, als sich ihre Augen verengten. Die Frage, was die Kalamacks waren, wurmte die Pixies, seit es die Familie gab. Es herauszufinden würde Jenks unter seinen Artgenossen mehr Prestige verleihen, als wenn er einen ganzen Fairieclan al ein ausschaltete. Ich konnte sehen, dass er am Ende seiner Geduld war, als er sich in die Luft erhob, um vor ihr zu schweben.
»Verdammt!«, fluchte Jenks frustriert. »Was zur Höl e bist du, Frau?«
»Jenks!«, rief ich alarmiert, als Ceris Hand nach vorne schoss und ihn einfing. Jax stieß einen Schrei aus, und er hinterließ eine Wolke von Pixiestaub, als er zur Decke schoss.
Jenks' älteste Tochter Jih spähte in Deckenhöhe aus dem Flur herein. Ihre Flügel waren nur noch ein pink-farbenes Glitzern.
»Hey! Lass los!«, rief Jenks. Seine Flügel klapperten angestrengt, aber er kam nicht voran. Ceri hielt sein Hosenbein zwischen Daumen und Zeigefinger. Ihre Reflexe waren sogar besser als Ivys, wenn sie die Kontrol e hatte, so präzise zu sein.
»Ich bin Ceri«, sagte sie mit schmalen Lippen, während Jenks gefangen vor ihr schwebte. »Und sogar mein dämonischer Kerkermeister hatte genug Respekt vor mir, um nicht auf mich zu fluchen, kleiner Krieger.«
»Ja, meine Dame«, sagte Jenks unterwürfig. »Kann ich jetzt gehen?«
Sie hob eine fahle Augenbraue - eine Fähigkeit, um die ich sie beneidete - und sah mich dann fragend an. Ich nickte betont deutlich, immer noch entsetzt, wie schnel sie gewesen war. Ohne zu lächeln ließ Ceri Jenks frei.
»Anscheinend bist du nicht so langsam wie ich gedacht habe«, sagte Jenks verdrossen.
Der zerzauste Pixie trug den Geruch von Blumenerde zu mir herüber, als er sich auf meine Schulter zurückzog, und ich runzelte die Stirn, während ich mich umdrehte, um in den unteren Schränken nach meiner Teekanne zu suchen. Ich hörte ein vertrautes Klicken und erkannte, dass Ceri Ivys Schreibtisch aufräumte. Die Jahrhunderte der Sklaverei kamen wieder an die Oberfläche. Ihre Mischung aus unterwürfigem Dienstwil en und schnel überkochendem Stolz machte mich ratlos, wie ich mit ihr umgehen sol te.
»Wer ist sie?«, flüsterte Jenks in mein Ohr.
Ich ging in die Knie, um in den Schrank langen zu können, und holte eine Kanne hervor, die vom Tee so dunkel war, dass sie fast die Farbe einer Kastanie hatte. »Sie war Big Als Familiaris.«
»Big AI!«, quietschte der Pixie und flog hoch, um dann auf dem Wasserhahn zu landen. »Das hast du also da draußen gemacht? Bei Tinks Unterhosen, Rachel, du wirst schon genauso schlimm wie Nick! Du weißt, dass das nicht sicher ist.«
Jetzt konnte ich es ihm erzählen, jetzt, wo es vorbei war.
Ich war mir nur zu bewusst, dass Ceri uns zuhörte, als ich Wasser in die Teekanne laufen ließ und sie ausspülte. »Big AI hat nicht gegen Piscary ausgesagt, weil er so ein großes Herz hat. Ich musste dafür bezahlen.«
Mit einem trockenen Flügelklappern erhob sich Jenks, um sich vor meiner Nase zu postieren. Überraschung, Schock und dann Ärger glitten über sein Gesicht. »Was hast du dem Kerl versprochen?«, fragte er kalt.
»Er ist ein Dämon, kein Kerl«, verbesserte ich. »Und es ist schon passiert.« Ich konnte Jenks nicht ansehen. »Ich habe versprochen, sein Familiaris zu werden, solange ich meine Seele behalten darf.«
»Rachel!« Eine Wolke aus Pixiestaub ließ die Spüle aufleuchten. »Wann? Wann kommt er, um dich zu holen? Wir müssen da einen Weg drumrum finden. Es muss etwas geben!« Er zog schimmernde Bahnen, als er wieder und wieder zwischen meinen Zauberbüchern unter der Arbeitsfläche und mir hin und her flog. »Steht viel eicht irgendwas in deinen Büchern? Ruf Nick an. Er weiß sicher etwas!«
Die Aufregung war mir unangenehm, und ich wischte schweigend das Wasser vom Boden der Teekanne. Meine Stiefel machten dumpfe Geräusche auf dem Linoleum, als ich durch die Küche ging. Das Gas entzündete sich mit einem vol en Geräusch, und mein Gesicht wurde vor Verlegenheit warm. »Es ist zu spät«, wiederholte ich. »Ich bin sein Vertrauter. Aber die Bindung ist nicht stark genug, als dass er mich auf dieser Seite der Kraftlinien benutzen könnte, und solange ich ihn davon abhalten kann, mich ins Jenseits zu ziehen, ist al es in Ordnung.« Ich wandte mich vom Herd ab, nur um Ceri zu sehen, die immer noch vor Ivys Computer saß und mich mit weitäugiger Bewunderung anstarrte. »Ich kann Nein sagen. Es ist passiert.«
Jenks hielt entrüstet vor mir an. »Passiert?«, fragte er, so nah vor meinem Gesicht, dass ich ihn nicht genau erkennen konnte. »Rachel, warum? Piscary wegzusperren ist das nicht wert!«
»Ich hatte keine Wahl!« Frustriert verschränkte ich die Arme und lehnte mich gegen die Arbeitsfläche. »Piscary hat versucht mich zu töten. Ich musste ihn, sol te ich überleben, im Gefängnis haben und nicht frei, sonst hätte er mich doch weiter gejagt. Der Dämon kann mich nicht benutzen. Ich habe ihn. .« - ich hielt kurz inne und erinnerte mich daran, wie gekonnt sich Algaliarept in meiner Form produziert hatte
- ». .oder sie ausgetrickst!«
»Ihn«, sagte Ceri leise, und Jenks wirbelte herum. Ich hatte vergessen, dass sie dort saß, weil sie so leise war. »AI ist männlich. Weibliche Dämonen lassen sich nicht über die Kraftlinien rufen. So kannst du sie unterscheiden.
Überwiegend.«
Ich blinzelte verwirrt. »AI ist definitiv männlich? Warum erscheint er dann immer wieder auch als Frau?«
Sie hob ihre Schulter in einer sehr modernen Geste der Ratlosigkeit.
Ich schnaubte kurz und drehte mich wieder zu Jenks um, nur um dann zu erschrecken, als er mit roten Flügeln direkt vor meiner Nase schwebte. »Du bist ein Esel«, sagte er, seine winzigen, ebenmäßigen Gesichtszüge in wütende Falten gelegt. »Du hättest es uns sagen sol en. Was, wenn er dich erwischt hätte? Was wäre dann mit Ivy und mir gewesen?
Hä? Wir hätten immer weiter nach dir gesucht, weil wir nicht gewusst hätten, was mit dir passiert ist. Wenn du es uns gesagt hättest, hätten wir viel eicht einen Weg gefunden, dich zurückzuholen. Haben Sie darüber jemals nachgedacht, Miss Morgan? Wir sind ein Team, und du bist gerade einfach über uns al e hinweggetrampelt!«
Meine wütende Antwort blieb mir im Hals stecken. »Aber es gab nichts, was ihr hättet tun können«, protestierte ich lahm.
»Woher wil st du das wissen?«, erwiderte Jenks bissig.
Ich seufzte, peinlich berührt davon, dass ein zehn Zentimeter großer Mann mir eine Gardinenpredigt hielt -
und auch noch jedes Recht dazu hatte.
»Ja, okay, du hast recht«, sagte ich und sackte in mich zusammen. »Ich bin. . ich bin es einfach nicht gewöhnt, jemanden zu haben, auf den ich mich verlassen kann, Jenks.
Es tut mir leid.«
Jenks sank vor Überraschung fast einen Meter ab. »Du. .
du gibst mir recht?«
Ceris Kopf wandte sich in einer geschmeidigen Bewegung zur offenen Tür. Ich folgte ihrem Blick in den dunklen Flur und war nicht überrascht, dort Ivys schlanke Silhouette zu sehen, die Hüfte eingeknickt und eine Hand an der schmalen Tail e. Sie sah elegant aus in ihrer engen Lederkleidung.
Plötzlich wieder wachsam, stieß ich mich von der Arbeitsfläche ab und richtete mich auf. Ich hasste es, wenn sie einfach so erschien. Ich hatte noch nicht einmal den L.uftzug gespürt, als sie die Eingangstür geöffnet hatte. »Hi, Ivy«, sagte ich, und meine Stimme klang nach der Diskussion mit Jenks immer noch frustriert.
Ivys ausdrucksloses Gesicht war eine fast perfekte Spiegelung von Ceris, als sie ihre Augen über die kleine Frau gleiten ließ, die in ihrem Stuhl saß. Dann kam Bewegung in sie, und sie glitt mit der Anmut eines lebenden Vampirs mit fast lautlosen Schritten durch den Raum. Sie ging zum Kühlschrank, holte den Orangensaft heraus und strich sich dabei eine Strähne ihres beneidenswerten langen schwarzen Haares zurück. In ihrer legeren Lederhose und dem in den Bund geschobenen schwarzen Hemd sah sie aus wie eine kultivierte Motorradbraut. Ihre Wangen waren von der Kälte gerötet, und sie schien durchgefroren zu sein, obwohl sie immer noch ihre kurze Lederjacke trug.
Jenks schwebte neben mir. Unsere Diskussion war vergessen über dem dringenderen Problem, wie Ivy reagieren würde, wenn sie jemand Unbekannten in ihrer Küche Vorland. Meinen letzten Gast hatte sie an die Wand gepinnt und ihm gedroht, ihn zur Ader zu lassen. Ivy mochte keine Überraschungen. Es war ein gutes Zeichen, dass sie Orangensaft trank, denn das hieß, dass sie ihrem verdammten Blutdurst nachgegeben hatte und Jenks und ich es nun nur mit einem von Schuldgefühlen geplagten Vampir zu tun hatten statt mit einem reizbaren, von Schuldgefühlen geplagten und hungrigen Vampir. Das Zusammenleben mit Ivy war um einiges leichter geworden, seitdem sie wieder praktizierte.
»Äh, Ivy, das ist Ceridwen«, warf ich in den Raum. »Sie bleibt bei uns, bis sie wieder Boden unter den Füßen hat.«
Ivy drehte sich um, lehnte sich gegen die Arbeitsfläche, um raubtierartig und sexy auszusehen, öffnete den Deckel und trank direkt aus dem Kanister. Als oh ich irgendetwas sagen würde.
Ivys Blick huschte über Ceri hinweg, registrierte dann Jenks offensichtliche Erregung und blieb schließlich an mir hängen.
»Also«, sagte sie mit ihrer melodiösen Stimme, die mich an graue Seide auf Schnee denken ließ. »Du hast dich aus der Abmachung mit diesem Dämon rausgewunden. Prima. Gut gemacht.«
Mir fiel die Kinnlade runter. »Woher wusstest du. .«, stotterte ich im selben Moment, in dem Jenks einen überraschten Schrei ausstieß.
Eines ihrer seltenen leisen Lächeln zog ihre Mundwinkel nach oben. Ein Fangzahn blitzte auf. Ihre Reißzähne waren zwar nicht größer als meine, aber spitz, wie die einer Katze.
Sie würde auf ihren Tod warten müssen, um die Luxusausstattung zu kriegen.
»Du redest im Schlaf«, erklärte sie gelassen,
»Du wusstest es?«, wiederholte ich, wie erschlagen. »Du hast nie etwas gesagt!«
»Gut gemacht?« Jenks Flügel knatterten wie die eines Maikäfers. »Du findest es gut, der Vertraute eines Dämons zu sein? Was für ein Zug hat dich denn auf dem Heimweg gerammt?«
Ivy holte sich ein Glas aus dem Schrank. »Wäre Piscary freigelassen worden, wäre Rachel bei Sonnenaufgang bereits tot gewesen«, sagte sie, als sie sich den Saft eingoss. »Sie ist der Familiaris eines Dämons? Und? Sie sagt, dass der Dämon sie nicht benutzen kann, außer, er zieht sie ins Jenseits. Und sie ist am Leben. Man kann nur sehr wenig tun, wenn man tot ist.« Sie nippte an ihrem Getränk. »Außer, man ist ein Vampir.«
Jenks gab ein angewidertes Geräusch von sich und verzog sich in eine Ecke, um zu schmol en. Jih ergriff die Gelegenheit, um in den Schöpflöffel zu huschen, der über der Arbeitsinsel hing. Nur die roten Spitzen ihrer Flügel lugten aus dem kupfernen Ding hervor.
Ivy sah mich über den Rand ihres Glases hinweg an. Ihr perfekt ovales Gesicht war fast ausdruckslos, als sie ihre Gefühle hinter der kühlen unnahbaren Fassade versteckte, die sie meist errichtete, wenn irgendjemand außer uns beiden im Raum war, Jenks eingeschlossen. »Ich bin froh, dass es funktioniert hat«, sagte sie, als sie ihr Glas abstel te.
»Bist du in Ordnung?«
Ich nickte und erkannte ihre Erleichterung in dem kurzen Zittern ihrer eleganten Pianistenfinger. Sie würde mir nie sagen, wie besorgt sie gewesen war, und ich fragte mich, wie lange sie wohl im Flur gestanden, zugehört und sich gesammelt hatte. Sie blinzelte mehrmals, und ihr Kiefer spannte sich an, während sie versuchte, ihre Emotionen zu unterdrücken. »Ich wusste nicht, dass es heute sein würde«, sagte sie leise. »Ich wäre sonst nicht weggegangen.«
»Danke«, sagte ich und gab im Stil en Jenks recht. Ich hatte mich wie ein Esel benommen, als ich ihnen nichts erzählt hatte. Ich war es nur einfach nicht gewöhnt, dass sich außer meiner Mutter irgendjemand für mich interessierte.
Ceri beobachtete Ivy verwirrt, aber gespannt. »Partner?«, warf sie ein, und Ivy wandte daraufhin ihre Aufmerksamkeit der kleinen Frau zu.
»Ja«, sagte Ivy. »Partner. Was interessiert Sie das?«
»Ceri, das ist Ivy«, sagte ich, als die zierliche Frau aufstand.
Ivy runzelte die Stirn, als sie bemerkte, dass die penible Ordnung auf ihrem Schreibtisch verändert worden war.
»Sie war Big Als Vertraute«, warnte ich. »Sie braucht einfach ein paar Tage, um wieder auf die Beine zu kommen.«
Jenks erzeugte mit seinen Flügeln ein Geräusch, das mir in den Augen wehtat, und Ivy warf mir einen vielsagenden Blick zu. Dann, als Ceri vor ihr zum Stehen kam, veränderte sich der Ausdruck zu einer Art genervter Wachsamkeit. Die kleine Frau blickte verwirrt auf Ivy. »Ihr seid ein Vampir«, sagte sie und streckte die Hand aus, um Ivys Kruzifix zu berühren.
Ivy sprang mit erschreckender Schnel igkeit zurück, und ihre Augen wurden tiefschwarz.
»Hey, hey, hey«, wiegelte ich ab, als ich zwischen sie trat, auf al es vorbereitet. »Ivy, keine Panik. Sie war für tausend Jahre im Jenseits. Sie hat viel eicht noch keinen lebenden Vampir gesehen. Ich glaube, dass sie ein Inderlander ist, aber sie riecht so sehr nach Jenseits, dass Jenks nicht sagen kann, was sie ist.« Ich zögerte und versuchte ihr mit meinen Augen und diesem letzten Satz zu sagen, dass Ceri eine Elfe war und somit, was Magie betraf, völ ig unberechenbar.
Ivys Pupil en hatten sich fast vol ständig zum vampirischen Schwarz erweitert. Ihre Haltung war dominant und sexuel aufgeladen, aber sie hatte ihren Blutdurst gerade gestil t und war daher fähig, zuzuhören. Ich warf einen kurzen Blick auf Ceri und war froh zu sehen, dass sie sich klugerweise nicht bewegt hatte. »Al es okay hier?«, fragte ich mit der deutlichen Forderung an beide, nachzugeben.
Mit zusammengepressten Lippen drehte Ivy uns den Rücken zu. Jenks ließ sich auf meine Schulter fal en. »Gut gemacht«, sagte er. »Du hast deine Hündinnen offensichtlich unter Kontrol e.«
»Jenks!«, zischte ich, und wusste, dass Ivy ihn gehört hatte, als sie die Hände so fest um das Glas schloss, dass die Knöchel weiß hervortraten. Ich schnipste ihn von meiner Schulter, und er erhob sich lachend, nur um dann wieder zu landen.
Ceri stand einfach da, die Arme locker an den Seiten, und beobachtete, wie Ivy immer angespannter wurde.
»Oh-h-h-h-h«, sagte Jenks gedehnt. »Deine Freundin wird gleich etwas tun.«
»Ahm, Ceri?«, fragte ich zögernd, und mein Herz klopfte, als die winzige Frau sich neben Ivy an die Spüle stel te und klar ihre Aufmerksamkeit forderte.
Das Gesicht blass von unterdrücktem Ärger drehte sich Ivy um: »Was?«
Ceri nickte hoheitsvol mit dem Kopf, ohne den Blick ihrer grünen Augen von Ivys braunen zu lösen, deren Pupil en immer größer wurden. »Ich entschuldige mich«, sagte sie in ihrer klaren, hel en Stimme, jede Silbe sorgsam betont. »Ich habe Euch gekränkt.« Ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf das kunstvol e Kruzifix an der Silberkette um Ivys Hals. »Ihr seid eine Vampirkriegerin, und trotzdem könnt Ihr das Kreuz tragen?«
Ceris Hand zuckte, und ich wusste, dass sie es anfassen wol te. Ivy wusste es auch. Sie musterte Ceri noch einmal, diesmal aufmerksamer, und registrierte dabei die getrockneten Tränen, das prächtige Bal kleid, ihre bloßen Füße und ihren offensichtlichen Stolz, der sich in ihrer hochaufgerichteten Haltung zeigte. Während ich die Luft anhielt, nahm Ivy ihr Kruzifix ab. Die Kette zog ihre Haare nach vorne, als sie sie über den Kopf streifte.
»Ich bin ein lebender Vampir«, sagte sie, als sie der Elfe das religiöse Symbol in die Hand legte. »Ich wurde mit dem Vampir-Virus geboren. Sie wissen, was ein Virus ist, oder?«
Ceris Finger folgten den Linien in dem geschmiedeten Silber. »Mein Dämon ließ mich lesen, was ich wol te. Ein Virus tötet meine Sippe.« Sie blickte hoch. »Nicht der Vampir-Virus. Etwas Andersartiges.«
Ivys Blick flog kurz zu mir und kehrte dann zu der kleinen Frau zurück, die einen Hauch zu nah vor ihr stand. »Der Virus hat mich verändert, als ich im Mutterleib gebildet wurde. Ich habe ein bisschen von beiden. Ich kann unter der Sonne wandeln und ohne Schmerzen beten«, sagte Ivy. »Ich bin stärker als Sie«, fügte sie hinzu, als sie unauffäl ig etwas mehr Abstand zwischen sich und Geri brachte. »Aber nicht so stark wie ein wahrer Untoter. Und ich habe eine Seele.« Den letzten Satz sagte sie, als erwarte sie, dass Ceri widersprach.
Ceris Gesicht verlor jeden Ausdruck. »Ihr werdet sie verlieren.«
Ivys Lid zuckte. »Ich weiß.«
Ich hielt den Atem an und lauschte dem Ticken der Uhr und dem fast unhörbaren Summen der Pixieflügel. Mit ernster Miene hielt die zerbrechliche Frau Ivy das Kreuz entgegen. »Bitte verzeiht mir. Das ist die Höl e, aus der Rachel Mariana Morgan mich errettet hat.«
Ivy sah auf das Kreuz in Ceris Hand, ohne irgendeine Emotion zu zeigen. »Ich hoffe, dass sie dasselbe für mich tun kann.«
Ich wand mich. Ivy hatte ihre geistige Gesundheit an den Glauben geknüpft, dass es Hexenmagie gab, die sie vom Vampir-Virus reinigen konnte; dass es nur den richtigen Zauber brauchte, um es ihr zu ermöglichen, sich von dem Blut und der Gewalt abzuwenden. Aber es gab keinen Zauber. Ich wartete darauf, dass Ceri Ivy sagte, dass jeder erlöst werden konnte, aber sie nickte nur, und ihr Haar wal te um ihren Kopf. »Ich hoffe, dass es ihr gelingt.«
»Ich auch.« Ivy warf noch einen Blick auf das Kreuz, das Ceri ihr entgegenstreckte. »Behalten Sie es. Es hilft nicht mehr.«
Meine Lippen öffneten sich überrascht, und Jenks landete verwirrt auf meinem Ohrring, als Ceri sich die Kette um den Hals legte. Das kunstvol bearbeitete Silber sah auf dem reichen Purpur und Gold ihres Kleides einfach richtig aus.
»Ivy -«, setzte ich an und schwieg, als sie mich mit schmalen Augen ansah.
»Es hilft nicht mehr«, wiederholte sie gepresst. »Sie wil es, und ich gebe es ihr.«
Ceri berührte das Kreuz und fand offensichtlich Frieden In dem Symbol. »Ich danke Euch«, flüsterte sie.
Ivy runzelte die Stirn. »Wenn Sie noch einmal meinen Schreibtisch auch nur berühren, werde ich Ihnen jeden Finder brechen.«
Ceri reagierte auf die Drohung mit einem Verständnis, das mich überraschte. Es war offensichtlich, dass sie schon früher mit Vampiren zu tun gehabt hatte. Ich fragte mich wo -
nachdem Vampire die Kraftlinien nicht manipulieren konnten und somit furchtbare Schutzgeister wären.
»Wie wäre es mit Tee«, schlug ich vor, weil ich etwas Normales zu tun haben wol te. Teekochen war nicht wirklich normal, aber nah genug dran. Das Wasser kochte, und ich suchte in den Schränken nach einer Tasse, die gut genug lür einen Gast war, während Jenks kicherte und wie in einem schwingenden Reifen in meinem Ohrring schaukelte. Seine Kinder flitzten in Zweier- und Dreiergruppen in die Küche -
sehr zu Ivys Verdruss -, angezogen von Ceri und ihrer Andersartigkeit. Sie schwebten über ihr, Jih ganz vorne mit dabei.
Ivy stand in abwehrender Haltung vor ihrem Computer, und nach einem kurzen Zögern setzte sich Ceri auf den Platz, der am weitesten von ihr entfernt war. Sie sah verloren aus, als sie immer wieder das Kruzifix befühlte. Während ich die Vorratskammer nach Teebeuteln durchsuchte, fragte ich mich, wie ich das zum Laufen bringen sol te. Ivy wäre von noch einer Mitbewohnerin sicher nicht begeistert. Und wo sol ten wir sie unterbringen?
Unter vorwurfsvol em Klappern ordnete Ivy ihre Stiftdose wieder nach ihren Vorstel ungen. »Hab einen«, sagte ich erleichtert, als ich endlich einen Teebeutel fand. Jenks verließ mich, um stattdessen Ivy zu belästigen, vertrieben vom heißen Dampf des kochenden Wassers, als ich es in die Tasse goss.
»Hier, Ceri«, sagte ich, wedelte die Pixies weg und stel te die Tasse vor ihr auf den Tisch. »Brauchst du noch etwas dazu?«
Sie sah die Tasse an, als hätte sie so etwas noch nie gesehen. Mit großen Augen schüttelte sie den Kopf. Ich zögerte und fragte mich, was ich falsch gemacht hatte. Sie sah aus, als würde sie jeden Moment wieder anfangen zu weinen. »Ist es okay so?«, fragte ich, und sie nickte, als sie eine zitternde Hand nach der Tasse ausstreckte.
Ivy und Jenks starrten sie an. »Sicher, dass du keinen Zucker wil st oder irgendwas?«, fragte ich noch einmal, aber sie schüttelte den Kopf. Ihr schmales Kinn bebte, als sie den Tee an die Lippen führte.
Mit gerunzelter Stirn ging ich und holte das Kaffeepulver aus dem Kühlschrank. Ivy erhob sich, um die Kanne zu säubern. Sie lehnte sich zu mir und ließ das Wasser laufen, um ihre Worte zu überdecken. »Was stimmt nicht mit ihr? Sie weint in ihren Tee.«
Ich wirbelte herum. »Ceri!«, rief ich alarmiert. »Wenn du Zucker wil st, ist das wirklich okay!«
Sie suchte meinen Blick, ihr Gesicht tränenüberströmt.
Ich habe nichts gegessen seit - tausend Jahren«, presste sie hervor.
Ich fühlte mich, als hätte mir jemand in den Magen geschlagen. »Wil st du Zucker?«
Immer noch weinend schüttelte sie wieder den Kopf.
Ivy wartete nur darauf, dass ich mich wieder umdrehte. Sie kann hier nicht bleiben, Rachel«, sagte der Vampir mit zusammengezogenen Augenbrauen.
»Sie kommt in Ordnung«, flüsterte ich, entsetzt, dass Ivy bereit war, sie vor die Tür zu setzen. »Ich hole mein altes Klappbett aus dem Glockenturm und baue es im Wohnzimmer auf. Ich habe noch ein paar alte T-Shirts, die sie tragen kann, bis ich mit ihr einkaufen gehen kann.«
Jenks summte mit den Flügeln, um meine Aufmerksamkeit zu erregen. »Und dann?«, fragte er vom Wasserhahn aus.
Ich fuchtelte frustriert mit den Händen. »Ich weiß es nicht.
Es geht ihr schon so viel besser. Vor einer Stunde hat sie nicht mal geredet. Seht sie euch jetzt an.«
Wir drehten uns geschlossen um und betrachteten die immer noch weinende Ceri, die in kleinen, fast ehrfürchtigen Schlucken ihren Tee trank, während eine Gruppe von Pixiemädchen über ihr schwebte. Drei von ihnen flochten ihr langes, goldenes Haar zu einem Zopf, und eines der Mädchen sang ihr etwas vor.
»Okay«, sagte ich, als wir uns wieder umdrehten. »Schlechtes Beispiel.«
Jenks schüttelte den Kopf. »Rachel, ich fühl mich auch schlecht dabei, aber Ivy hat recht. Sie kann nicht hierbleiben.
Sie braucht professionel e Hilfe.«
»Ach, wirklich?«, erwiderte ich aggressiv, während mir wieder warm wurde. »Ich habe in letzter Zeit nichts von Gruppentherapietreffen für ehemalige Dämonenschutzgeis-ter gehört. Ihr etwa?«
»Rachel. .«, versuchte Ivy es wieder.
Plötzliches Geschrei von den Pixiekindern ließ Jenks vom Wasserhahn aufsteigen. Sein Blick wanderte von uns zu seinen Kindern, die sich gerade auf die Maus stürzten, die es schließlich gewagt hatte, einen Ausfal ins Wohnzimmer zu versuchen und sich nun in ihrer persönlichen Höl e wiederfand.
»Entschuldigt mich«, sagte er und flitzte ab, um das Tier zu retten.
»Nein«, sagte ich zu Ivy. »Ich werde sie nicht in irgendeiner Anstalt abgeben.«
»Ich habe nie gesagt, dass du das sol st.« Ivys Gesicht bekam auf einmal Farbe, und der braune Ring ihrer Iris wurde kleiner, als meine gestiegene Körpertemperatur und die Erwärmung meines Bluts ihre Instinkte ansprachen. »Aber sie kann nicht hierbleiben. Die Frau braucht Normalität, und Rachel - wir sind nicht normal.«
Ich holte Luft, um zu protestieren, und atmete dann einfach nur wieder aus. Nachdenklich blickte ich auf Ceri. Sie wischte sich die Augen, und ihre Hand um die Tasse zitterte, sodass ihr Tee kleine Wel en schlug. Ich sah zu den Pixiekindern hinüber, die gerade darüber diskutierten, wer die Maus zuerst reiten durfte. Die kleine Jessie gewann, und die junge Pixie schrie vor Vergnügen, als das Nagetier mit ihr auf dem Rücken aus der Küche stürmte. In einer Wolke aus goldenen Blitzen folgten al e außer Jih. Viel eicht hatte Ivy recht.
»Was sol ich deiner Meinung nach tun, Ivy?«, meinte ich etwas ruhiger. »Ich würde ja meine Mom bitten, sie aufzunehmen, aber Mom ist auch nicht weit von der Anstalt entfernt.«
Jenks kam zurückgesummt. »Was ist mit Keasley?«
Überrascht schaute ich Ivy an.
»Der alte Kerl von der anderen Straßenseite?«, fragte Ivy vorsichtig. »Wir wissen doch überhaupt nichts über ihn.«
Jenks landete neben Mr. Fish auf dem Fensterbrett und stemmte die Hände in die Hüften. »Er ist alt, und er hat ein festes Einkommen. Was müssen wir mehr wissen?«
Während Ceri sich langsam wieder beruhigte, wälzte ich die Idee in meinem Kopf hin und her. Ich mochte die alte Hexe. Hinter seiner langsamen Sprechweise verbargen sich ein scharfer Humor und ein noch schärferer Verstand. Er hatte mich wieder zusammengeflickt, nachdem Algaliarept mir den Hals aufgerissen hatte. Er hatte auch meinen Wil en und mein Selbstvertrauen geflickt. Der arthritische Mann verbarg etwas. Ich glaubte ihm genauso wenig, dass sein Name Keasley war, wie ich ihm glaubte, dass er deshalb mehr medizinische Ausrüstung besaß als eine kleine Notaufnahme, weil er keine Ärzte mochte. Aber ich vertraute Ihm.
»Er mag das Gesetz nicht besonders und weiß, wie man den Mund hält«, sinnierte ich und beschloss, dass er perfekt war. Mit zusammengekniffenen Augen schaute ich mir Ceri an, die gerade leise mit Jih sprach. Ivys Blick war zweifelnd und bockig. »Ich rufe ihn an«, entschied ich, bedeutete Ceri, dass ich gleich wieder da wäre, und ging ins Wohnzimmer, um das Telefon zu holen.
3
»Ceri«, rief Jenks, als ich den Schalter umlegte und eine Kanne Kaffee aufsetzte. »Wenn Tee dich zum Weinen bringt, musst du Pommes probieren. Komm her, ich zeig dir, wie man die Mikrowel e benutzt.«
Keasley war auf dem Weg zu uns. Es würde viel eicht eine Weile dauern, da seine Arthritis zurzeit so schlimm war, dass sogar die meisten Schmerzamulette nichts mehr ausrichteten. Ich fühlte mich schlecht, weil ich ihn in den Schnee hinausjagte, aber bei ihm einzufal en wäre noch unhöflicher gewesen.
Mit einem Eifer, den ich nicht verstand, saß Jenks auf Ce~
ris Schulter und erklärte ihr Schritt für Schritt, wie man tiefgefrorene Pommes mit der Mikrowel e auftaute. Sie bückte sich, um den Karton dabei zu beobachten, wie er sich drehte, und meine pinkfarbenen Pantoffeln sahen an ihren Füßen riesig aus und ließen sie unbeholfen wirken.
Pixiemädchen umschwirrten sie in einem Gewirr von pastel farbener Seide und Geplapper, blieben aber unbeachtet. Der nicht enden wol ende Lärm hatte Ivy ins Wohnzimmer vertrieben, wo sie sich nun unter ihren Kopfhörern versteckte.
Ich schreckte hoch, als sich der Luftdruck veränderte.
»Hal o?«, erklang eine laute, raue Stimme aus dem vorderen Teil der Kirche. »Rachel? Die Pixies haben mich reingelassen.
Wo seid ihr, meine Damen?«
Ich warf einen Blick auf Ceri und sah ihre plötzliche Anspannung. »Das ist Keasley, ein Nachbar«, sagte ich. »Er wird sich dich mal anschauen. Sicherstel en, dass du gesund bist.«
»Mir geht es gut«, sagte sie nachdenklich.
Da ich das Gefühl hatte, dass das schwieriger werden würde als gedacht, ging ich in den Flur, um mit Keasley zu reden, bevor er Ceri traf. »Hi, Keasley, wir sind hier hinten.«
Seine gebeugte, eingeschrumpfte Gestalt humpelte den Flur entlang und blockierte das Licht. Noch mehr Pixiekinder begleiteten ihn und umgaben ihn mit Wirbeln aus schimmerndem Pixiestaub. Keasley hatte eine braune Papiertüte in der Hand und brachte den kalten Geruch von Schnee mit sich, der sich wunderbar mit dem charakteristischen Rotholzgeruch der Hexe verband.
»Rachel«, begann er und kniff die Augen zusammen, als er näher kam. »Wie geht's meinem Lieblingsrotschopf?«
»Gut«, versicherte ich, umarmte ihn kurz und dachte, dass
»gut« die Untertreibung des Jahrhunderts war, nachdem ich Algaliarept entkommen war. Seine Latzhose war abgetragen und roch nach Seife. Für mich war Keasley gleichzeitig der weise alte Mann der Nachbarschaft und Ersatzgroßvater, und es störte mich nicht, dass er eine Vergangenheit hatte, über die er nicht reden wol te. Er war ein guter Mensch; das war al es, was ich wissen musste.
»Komm rein. Ich möchte, dass du jemanden kennenlernst«, sagte ich. Wachsame Vorsicht verlangsamte seinen Schritt.
»Sie braucht deine Hilfe«, fügte ich leise hinzu.
Er presste seine dicken Lippen zusammen, und die Falten auf seiner Stirn wurden tiefer. Dann atmete er einmal tief ein, und seine arthritische Hand brachte die Papiertüte zum Rascheln. Schließlich nickte er. Erleichtert führte ich ihn in die Küche und hielt mich dann im Hintergrund, um seine Reaktion auf Ceri beobachten zu können.
Die alte Hexe kam abrupt zum Stehen und starrte nur. Als ich die zierliche Frau in ihrem Bal kleid und den pinken Plüschpantoffeln vor der Mikrowel e stehen sah, ein Paket mit dampfenden Pommes in der Hand, konnte ich auch verstehen, warum.
»Ich brauche keinen Doktor«, sagte Ceri sofort.
Jenks erhob sich von ihrer Schulter. »Hi, Keasley. Schaust du dir Ceri mal an?«
Keasley nickte und humpelte zum Tisch, um sich einen Stuhl zu nehmen. Er wies Ceri durch Gesten an, sich zu setzen, und ließ sich dann vorsichtig auf dem benachbarten Stuhl nieder. Schwer atmend stel te er die Tüte zwischen seinen Füßen ab und öffnete sie, um ein Blutdruck-Messgerät hervorzuziehen.
»Ich bin kein Arzt« sagte er schließlich. »Mein Name ist Keasley.«
Ohne sich hinzusetzen, sah Ceri erst mich und dann ihn an.
»Ich bin Ceri«, erwiderte sie leise.
»Also, Ceri, es ist schön, dich kennenzulernen.« Er legte das Messgerät auf den Tisch und streckte seine von der Arthritis entstel te Hand aus. Mit unsicherem Gesicht legte Ceri ihre Hand in die seine. Keasley schüttelte sie und lächelte sie mit seinen kaffeeverfärbten Zähnen an. Der alte Mann wies auf den Stuhl, und Ceri ließ sich umständlich nieder, stel te widerwil ig ihre Pommes ab und beäugte misstrauisch das Messgerät.
»Rachel wil , dass ich mir dich mal angucke«, sagte er, als er noch mehr medizinisches Zeug hervorzog.
Ceri warf mir einen Blick zu, seufzte dann und gab auf. Der Kaffee war fertig, und während Keasley ihre Temperatur maß, ihre Reflexe und ihren Blutdruck kontrol ierte und sie
»Aaahh« sagen ließ, brachte ich Ivy eine Tasse ins Wohnzimmer. Sie saß quer in ihrem bequemen Sessel, hatte die Kopfhörer aufgesetzt, den Kopf auf die eine Armlehne gelegt, die Füße auf die andere. Ihre Augen waren geschlossen, aber sie streckte ohne zu zögern die Hand aus und ergriff die Tasse in dem Moment, als ich sie abstel te.
»Danke«, hauchte sie lautlos, und ohne ihre Augen gesehen zu haben, ging ich wieder. Manchmal machte Ivy mir wirklich Angst.
»Kaffee, Keasley?«, fragte ich, als ich zurückkam.
»Ja, danke.« Er lächelte Ceri an. »Du bist gesund.«
»Ich danke Euch, mein Herr«, sagte Ceri artig. Sie hatte angefangen, ihre Pommes zu essen, während Keasley arbeitete, und starrte jetzt schlecht gelaunt auf den Boden des Kartons.
Sofort war Jenks bei ihr. »Mehr?«, bot er an. »Und versuch sie mal mit Ketchup.«
Plötzlich wurde mir klar, warum Jenks so darauf bedacht war, sie Pommes essen zu lassen. Es ging nicht um die Pommes frites, es ging um den Ketchup.
»Jenks«, sagte ich müde, als ich Keasley seinen Kaffee brachte und mich gegen die Arbeitsfläche lehnte. »Sie ist über eintausend Jahre alt. Sogar Menschen haben damals Tomaten gegessen.« Ich zögerte. »Es gab damals doch schon Tomaten, oder?«
Das Summen von Jenks Flügeln wurde hörbar leiser.
»Mist«, murmelte er, um dann wieder zu grinsen.
»Los«, sagte er zu Ceri, »versuch diesmal, die Mikro ohne meine Hilfe zu bedienen.«
»Mikro?«, erkundigte sie sich und wischte sich die Hände sorgfältig an ihrer Serviette ab, bevor sie aufstand.
»Yeah. Gibt es im Jenseits keine Mikrowel en?«
Sie schüttelte den Kopf, was die Spitzen ihrer feinen Haare zum Schweben brachte. »Nein. Ich habe Als Essen mit Kraftlinienenergie zubereitet. Das hier ist. . altmodisch.«
Keasley fuhr herum und verschüttete fast seinen Kaffee.
Seine Augen folgten Ceris eleganter Gestalt, als sie zum Kühlschrank ging und dann, begleitet von Jenks ständiger Ermutigung, die Knöpfe der Mikrowel e bediente, wobei sie sich konzentriert auf die Lippen biss. Ich fand es seltsam, dass eine über tausend Jahre alte Frau eine Mikrowel e für primitiv hielt.
»Das Jenseits?«, fragte Keasley sanft, und ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder ihm zu.
Ich hielt meinen Kaffee mit zwei Händen, um meine Finger aufzuwärmen. »Wie geht es ihr?«
Er zuckte mit den Schultern. »Sie ist gesund genug, viel eicht ein bisschen untergewichtig. Sie wurde mental missbraucht. Ich kann nicht sagen, wie. Sie braucht Hilfe.«
Ich atmete tief ein und schaute in meine Tasse. »Ich muss dich um einen großen Gefal en bitten.«
Keasley richtete sich auf. »Nein«, sagte er, stel te die Tüte auf seinen Schoß und begann, die Sachen wieder einzuräumen. »Ich weiß nicht wer - oder auch nur was - sie ist.«
»Ich habe sie dem Dämon gestohlen, dessen Arbeit du letzten Herbst gesehen hast«, erklärte ich und berührte vielsagend meinen Hals. »Sie war sein Schutzgeist. Sein Vertrauter. Ich zahle für ihre Kost und Logis.«
»Das ist es nicht«, protestierte er. Er hielt die Tüte in der Hand, während seine müden braunen Augen einen besorgten Ausdruck annahmen. »Ich weiß nichts über sie, Rachel. Ich kann es nicht riskieren, sie aufzunehmen. Bitte mich nicht, das zu tun.«
Ich lehnte mich fast wütend zu ihm rüber. »Sie war die letzten tausend Jahre im Jenseits. Ich glaube nicht, dass sie vorhat, dich zu töten«, sagte ich anklagend, und sein verwittertes Gesicht zeigte auf einmal überraschte Besorgnis.
»Al es, was sie braucht«, fuhr ich fort, unangenehm berührt davon, dass ich offenbar mit einer seiner Ängste gespielt hatte, »ist eine normale Umgebung, in der sie ihre Persönlichkeit zurückgewinnen kann. Und eine Hexe, ein Vampir und ein Pixie, die in einer Kirche leben und böse Jungs zur Strecke bringen, sind nicht normal.«
Jenks schaute von Ceris Schulter zu uns herüber, während die Frau ihre Pommes aufwärmte. Das Gesicht des Pixies war ernst er konnte unsere Unterhaltung so deutlich verstehen, als stünde er rieben uns auf dem Tisch. Ceri stel te eine leise Frage, und er wandte sich wieder ab, um ihr gut gelaunt zu antworten. Er hatte al e außer Jih aus der Küche vertrieben, und es war wunderbar ruhig.
»Bitte, Keasley?«, flüsterte ich.
Jihs himmlische Stimme erhob sich zu einem Lied, und Ceris Gesicht hel te sich auf. Sie stimmte ein, genauso klar wie die kleine Pixie. Sie schaffte nur drei Töne, bevor sie anfing zu weinen. Ich starrte, als eine Wolke von Pixies in die Küche rol te und sie fast erstickte. Aus dem Wohnzimmer erklang ein protestierender Schrei von Ivy, da die Pixies wohl wieder den Empfang der Stereoanlage beeinflussten.
Jenks schrie seine Kinder an, und al e außer Jih flitzten hinaus. Zusammen trösteten sie Ceri, Jih leise und beruhigend, Jenks eher ungeschickt.
Keasley fiel in sich zusammen, und ich wusste, dass er es tun würde. »Okay«, sagte er. »Ich versuche es für ein paar Tage, aber wenn es nicht läuft, kommt sie zurück.«
»Das ist fair«, sagte ich und fühlte, wie mir eine Zentnerlast von der Seele fiel.
Ceri sah mit immer noch feuchten Augen auf. »Du hast mich nicht nach meiner Meinung gefragt.«
Meine Augen weiteten sich, und mein Gesicht wurde heiß.
Ihr Gehör war genauso gut wie Ivys. »Ahm«, stotterte ich. »Es tut mir leid, Ceri. Es ist nicht so, dass ich dich nicht hier haben wil . .«
Ihr herzförmiges Gesicht war ernst, als sie nickte. »Ich bin ein Stolperstein in einer Festung vol er Krieger«, unterbrach sie mich. »Ich würde mich geehrt fühlen, bei dem Krieger im Ruhestand zu bleiben und seine Schmerzen zu lindern.«
Krieger im Ruhestand?, dachte ich und fragte mich, was sie in Keasley entdeckt hatte, das ich nicht sehen konnte. In einer Ecke kam es zu einer hochfrequenten Auseinandersetzung zwischen Jenks und seiner Tochter. Das Pixiemädchen knetete den Saum seines Kleides, und man sah ihre winzigen Füße, während sie ihren Vater anflehte.
»Warte einen Moment«, sagte Keasley und rol te seine Papiertüte zusammen. »Ich kann auf mich selbst aufpassen.
Ich brauche niemanden, der meine Schmerzen lindert«.«
Ceri lächelte. Meine Pantoffeln gaben auf dem Linoleum ein sanftes Rauschen von sich, als sie zu ihm kam und sich vor ihn kniete. »Ceri«, protestierte ich gleichzeitig mit Keasley, aber die junge Frau schlug seine Hand zur Seite. Der plötzliche entschlossene Ausdruck in ihren Augen machte klar, dass Widerspruch sinnlos war.
»Steh auf«, grummelte Keasley. »Ich weiß, dass du der Familiaris eines Dämons warst, und es mag ja sein, dass er so etwas von dir verlangt, aber. .«
»Seid stil , Keasley«, befahl Ceri, und ein fahler Schein von Jenseits umhül te ihre bleichen Hände. »Ich wil mit Euch gehen, aber nur, wenn ich Eure Freundlichkeit erwidern darf.«
Sie lächelte ihn an, und ihre grünen Augen wurden leer. »Es wird mir ein Gefühl von Wert vermitteln, das ich dringend brauche.«
Mein Atem stockte, als ich spürte, wie sie die Kraftlinie hinter der Kirche anzapfte. »Keasley?«, fragte ich mit hoher Stimme.
Seine braunen Augen wurden groß, und er erstarrte in seinem Stuhl, als Ceri ihre Hände ausstreckte und sie auf seine Knie legte. Ich beobachtete, wie sein Gesicht sich auf einmal entspannte. Seine Falten verschoben sich und ließen ihn auf einmal älter aussehen. Er nahm einen tiefen Atemzug.
Ceri, die immer noch vor ihm kniete, zitterte. Ihre Hände rutschten schlaff von seinen Knien. »Ceri«, sagte Keasley, und seine raue Stimme brach fast. Er berührte seine Knie. »Es ist weg«, flüsterte er, und seine müden Augen fül ten sich mit Tränen. »Oh, liebes Kind«, seufzte er, stand auf und half ihr hoch. »Es ist eine Ewigkeit her, dass ich keine Schmerzen hatte. Ich danke dir.«
Ceri lächelte, und ihr rannen Tränen übers Gesicht, als sie nickte. »Genau wie ich. Das hilft mir.«
Ich wandte mich mit zugeschnürter Kehle ab. »Ich habe ein paar T-Shirts, die du tragen kannst, bis ich mit dir einkaufen gehe«, sagte ich. »Und behalt meine Pantoffeln einfach.
Damit kommst du zumindest über die Straße.«
Keasley umfasste ihren Arm mit seiner Hand und hielt die Tüte in der anderen. »Ich gehe morgen mit ihr einkaufen«, bestimmte er, als er Richtung Flur ging. »Ich habe mich seit drei Jahren nicht wohl genug gefühlt, um ins Einkaufszentrum zu gehen. Es wird mir gut tun, mal rauszukommen.« Er drehte sich zu mir um, und sein altes, von Falten gezeichnetes Gesicht war völ ig verändert. »Ich werde dir al erdings die Rechnung zuschicken. Ich kann al en sagen, dass sie die Nichte meiner Schwester ist. Aus Schweden.«
Ich lachte und stel te fest, dass auch ich kurz vorm Heulen war. Das lief al es besser, als ich es geplant hatte, und ich konnte nicht aufhören zu lächeln.
Jenks gab ein scharfes Geräusch von sich, und seine Tochter ließ sich langsam absinken, um schließlich auf der Mikrowel e zu landen.
»Na gut, ich frage!«, rief der geplagte Vater, und sie stieg mit hoffnungsvol em Gesicht und gefalteten Händen wieder in die Höhe. »Wenn es mit deiner Mutter in Ordnung geht und natürlich mit Keasley, dann ist auch für mich okay«, verkündete Jenks, seine Flügel in missbil igendes Blau getaucht.
Jih stieg und sank in offensichtlicher Nervosität, als Jenks sich vor Keasley aufbaute. »Ahm, hast du irgendwelche Pflanzen in deinem Haus, um die Jih sich kümmern könnte?«, fragte er und sah dabei unendlich verlegen aus. Er strich sich die blonden Haare aus den Augen und verzog das Gesicht.
»Sie wil bei Ceri bleiben, aber ich werde sie nicht gehen lassen, wenn sie sich nicht nützlich machen kann.«
Meine Lippen öffneten sich. Ich beobachtete Ceri und erkannte an ihrem angehaltenen Atem, dass sie die Gesel schaft haben wol te. »Ich habe einen Topf Basilikum«, sagte Keasley zögernd. »Wenn sie auch bleiben wil , wenn es wärmer wird, kann sie sich um den Garten kümmern, soweit es ihn gibt.«
Jih quietschte und verteilte weiß-goldenen Pixiestaub um sich herum.
»Frag deine Mutter!«, mahnte Jenks und sah völ ig durcheinander aus. Er landete auf meiner Schulter und ließ die Flügel hängen. Ich glaubte, Herbstlaub zu riechen. Bevor ich Jenks fragen konnte, schwappte eine schril e Flut aus Pink und Grün in meine Küche. Entsetzt fragte ich mich, ob es noch einen einzigen Pixie in der Kirche gab, der sich nicht in dem knappen Meter Radius um Ceri befand.
Keasleys zerfurchtes Gesicht trug eine stoische Akzeptanz zur Schau, als er die Tüte mit den Instrumenten öffnete und Jih sich hineinfal en ließ, um den Weg vor der Kälte geschützt zurückzulegen. Über der verknitterten Öffnung der Tüte riefen und winkten al e Pixies zum Abschied.
Mit rol enden Augen übergab Keasley die Tüte an Ceri.
»Pixies«, hörte ich ihn murmeln. Er nahm Ceri am El bogen, nickte mir zu und ging in den Flur. Seine Schritte waren leichter, und er ging aufrechter, als ich es je zuvor gesehen hatte. »Ich habe ein zweites Schlafzimmer«, sagte er.
»Schlafen Sie nachts oder tagsüber?«
»Beides«, erwiderte Ceri leise. »Ist das in Ordnung?«
Er grinste breit. »Eine Schläferin, hm? Gut. Dann fühle ich mich nicht so schlecht, wenn ich einpenne.«
Glücklich beobachtete ich, wie sie durch den Altarraum zur Tür gingen. Das würde auf so viele Arten gut für al e Beteiligten sein. »Was ist los, Jenks?«, fragte ich, als er auf meiner Schulter sitzen blieb, während seine Familie Ceri und Keasley in den vorderen Teil der Kirche begleitete.
Er schniefte. »Ich dachte, Jax würde der Erste sein, der uns verlässt, um seinen eigenen Garten aufzubauen.«
Ich verstand plötzlich. »Es tut mir leid, Jenks. Es wird ihr gut gehen.«
»Ich weiß, ich weiß.« Seine Flügel begannen sich zu bewegen und schickten jetzt definitiv den Geruch von Herbstlaub in meine Richtung. »Ein Pixie weniger in der Kirche«, sagte er leise. »Das ist gut. Aber niemand hat mir gesagt, dass es wehtun würde.«
Ich lehnte an meinem Auto und schielte über meine Sonnenbril e, um den Parkplatz abzusuchen. Mein kirschrotes Cabrio wirkte zwischen der Versammlung von Minivans und verrosteten alten Autos irgendwie fehl am Platz. Im hinteren Teil, weit entfernt von eventuel en Kratzern und Del en, stand ein tiefer gelegter grauer Sportwagen. Wahrscheinlich das Auto vom PR-Typen des Zoos, nachdem al e anderen hier entweder nur Teilzeit arbeiteten oder engagierte Biologen waren, denen es völ ig egal war, was für ein Auto sie fuhren.
Trotz des Sonnenscheins war es so früh am Morgen kalt, und mein Atem dampfte. Ich versuchte mich zu entspannen, aber ich konnte spüren, wie sich mein Magen verkrampfte, während ich immer wütender wurde. Nick sol te mich heute Morgen hier zu einem kurzen Lauf im Zoo treffen. Und es sah so aus, als würde er nicht auftauchen. Wieder einmal.
Ich löste die Arme, die ich vor der Brust verschränkt hatte, und schüttelte meine Hände aus, um sie zu lockern, bevor ich mich aus der Hüfte vorbeugte und die Handflächen gegen den eiskalten, schneebedeckten Asphalt drückte. Ich atmete während des Stretchings aus und fühlte, wie es in meinen Muskeln zog. Die leisen, vertrauten Geräusche des Zoos, kurz bevor er öffnete, umgaben mich und mischten sich mit dem Geruch von exotischem Dung. Wenn Nick nicht innerhalb der nächsten fünf Minuten auftauchte, wäre keine Zeit mehr für eine anständige Runde.
Ich hatte uns beiden vor Monaten schon Läuferpässe gekauft, sodass wir zu jeder Zeit zwischen Mitternacht und Mittag laufen konnten, auch wenn der Park geschlossen war.
Ich war zwei Stunden vor meiner üblichen Zeit aufgestanden, um hier zu sein. Ich versuchte wirklich, unsere Beziehung am Laufen zu halten; ich bemühte mich, meine Hexen-Lebenszeiten von Mittag bis Morgengrauen in Einklang zu bringen mit Nicks menschlicher Sonnenaufgang-bis-Mitternacht-Uhr. Früher war das nie ein Problem gewesen, weil auch Nick sich angestrengt hatte. In letzter Zeit hing al es an mir.
Ein lautes Scharren brachte mich dazu, mich wieder aufzurichten. Die Mül tonnen wurden herausgebracht, und meine Wut wuchs. Wo war er? Er konnte es nicht vergessen haben. Nick vergaß nie etwas.
»Außer, er wil es vergessen«, flüsterte ich. Ich gab mir einen Ruck und schwang mein rechtes Bein hoch, um einen Fuß auf die Motorhaube meines Autos zu legen.
»Au«, hauchte ich, als meine Muskeln protestierten, aber ich lehnte mich dagegen. Ich hatte in letzter Zeit nicht viel trainiert, da Ivy und ich keine Trainingskämpfe mehr abhielten, seitdem sie wieder ihrer Blutlust frönte. Mein Lid begann zu zucken, und ich schloss beide Augen, als ich die Stretchposition noch verschärfte, indem ich nach meinem Knöchel griff und zog.
Nick hatte es nicht vergessen - dafür war er zu clever -, er wich mir aus. Ich wusste warum, aber es war trotzdem deprimierend. Es war drei Monate her, und er war trotzdem noch distanziert und zögerlich. Das Schlimmste war, dass ich nicht glaubte, dass er mich absägen wol te. Der Mann rief in seiner Abstel kammer Dämonen, aber er hatte trotzdem Angst davor, mich zu berühren.
Letzten Herbst hatte ich versucht, einen Fisch an mich zu binden, um eine dämliche Anforderung in einem Kraftlinienkurs zu erfül en, und hatte aus Versehen stattdessen Nick zu meinem Familiaris gemacht. Blöd, blöd, blöd.
Ich war eine Erdhexe. Meine Magie kam aus wachsenden Pflanzen und wurde durch Hitze und mein Blut verstärkt. Ich wusste nicht viel über Kraftlinienmagie - außer, dass ich sie nicht mochte. Normalerweise benutzte ich sie nur, um Schutzkreise zu schließen, wenn ich gerade einen besonders empfindlichen Zauber kochte. Und, um die Howlers dazu zu bringen, ihre Schulden bei mir zu bezahlen. Und ab und zu, um meine Mitbewohnerin abzuwehren, wenn sie die Kontrol e über ihre Blutgier verlor. Und ich hatte sie benutzt, um Piscary die Beine wegzuhauen, damit ich ihn mit einem Stuhlbein bewusstlos prügeln konnte. Dieses letzte Mal war es gewesen, das Nick vom heißen, viel eicht-ist-das-der-richtige Freund in jemanden verwandelt hatte, mit dem ich ab und zu telefonierte und der mir unterkühlte Küsschen auf die Wange gab.
Ich zog mein rechtes Bein nach unten und schwang mein linkes nach oben, während ich langsam begann, mich selbst zu bemitleiden.
Kraftlinienmagie war in ihrer Stärke berauschend und konnte eine Hexe in den Wahnsinn treiben. Es war kein Zufal , dass es mehr schwarze Kraftlinienhexen gab als schwarze Erdhexen. Einen Familiaris zu benutzen machte es sicherer, da die Energie der Kraftlinie durch die einfacheren Gemüter von Tieren gefiltert wurde statt durch Pflanzen wie in der Erdmagie. Aus offensichtlichen Gründen wurden nur Tiere als Vertraute benutzt - zumindest auf dieser Seite der Kraftlinien -, und tatsächlich gab es keine von Hexen genutzten Sprüche, um einen Menschen zum Familiaris zu machen. Aber da ich ziemlich unwissend in Bezug auf Kraftlinienmagie gewesen war und unter Zeitdruck gestanden hatte, hatte ich den ersten Zauber verwendet, den ich gefunden hatte, um einen Vertrauten zu binden.
Und so hatte ich ahnungslos Nick zu meinem Familiaris gemacht - wir bemühten uns, das rückgängig zu machen
-und hatte dann al es noch unendlich verschlimmert, als ich eine riesige Menge Kraftlinienenergie durch ihn gezogen hatte, um Piscary zu besiegen. Seitdem hatte mich Nick kaum berührt. Aber das war Monate her. Ich hatte es nicht wieder getan. Er musste darüber hinwegkommen. Es war ja nicht so, als würde ich Kraftlinienmagie praktizieren. Nicht oft, zumindest.
Nervös richtete ich mich auf, atmete gegen meine Angst an und machte ein paar Seitendehnungen, die meinen Pferdeschwanz zum Wippen brachten. Nachdem ich erfahren hatte, dass es möglich war, einen Schutzkreis zu schließen, ohne ihn erst aufzumalen, hatte ich drei Monate damit verbracht, es mir beizubringen. Ich wusste, dass das viel eicht meine einzige Chance war, Algaliarept zu entkommen. Ich hatte immer nur morgens um drei geübt, da ich wusste, dass Nick dann schlief - und ich hatte die Energie immer direkt aus der Kraftlinie gezogen, damit nichts durch Nick gefiltert wurde -, aber viel eicht hatte ich ihn damit trotzdem aufgeweckt. Er hatte nichts gesagt, aber ich kannte Nick -er hätte geschwiegen.
Das Quietschen des sich öffnenden Tores stoppte mich, und meine Schultern sanken herab. Der Zoo war offen. Ein paar Läufer verließen ihn erschöpft, mit geröteten Wangen und einem zufriedenen Ausdruck auf dem Gesicht. Sie schwebten förmlich, immer noch high von ihrem Lauf.
Verdammt. Er hätte anrufen können.
Genervt öffnete ich meine Gürteltasche und holte mein Handy heraus. Ich lehnte mich gegen mein Auto und durchsuchte mit gesenktem Kopf, damit ich keinen Blickkontakt mit den vorbeigehenden Leuten aufnehmen musste, meine Kurzwahl iste. Nick war die zweite Nummer, direkt nach Ivys und direkt über meiner Mutter. Meine Finger waren kalt, und ich hauchte sie an, während das Telefon klingelte.
Ich atmete tief ein, als die Verbindung hergestel t wurde, und hielt dann den Atem an, als eine Frauenstimme mir mitteilte, dass die Telefonnummer nicht länger vergeben sei.
Geld?, dachte ich. Viel eicht war das der Grund, warum wir die letzten drei Wochen nicht aus gewesen waren. Besorgt versuchte ich es auf seinem Handy.
Es klingelte immer noch, als das vertraute knatternde Brummen von Nicks Truck erklang. Ich atmete auf und ließ mein Handy zuschnappen. Nicks klappriger blauer Ford-Truck bog von der Hauptstraße in den Parkplatz ein und manövrierte sich langsam voran, während wegfahrende Autos die Vorschriften missachteten und quer über den Platz schossen.
Wenigstens ist er aufgetaucht, dachte ich, als ich meine Sonnenbril e zurechtrückte und mich bemühte, nicht verärgert auszusehen. Viel eicht konnten wir ja einen Kaffee trinken gehen. Ich hatte ihn seit Tagen nicht gesehen, und ich wol te jetzt nicht al es durch schlechte Laune versauen.
Während der letzten drei Monate hatte ich mich fast krank gegrübelt, wie ich dem Abkommen mit AI entkommen sol te, und jetzt, da ich es geschafft hatte, wol te ich mich für eine Weile gut fühlen.
Ich hatte Nick nichts erzählt, und die Möglichkeit, endlich al es zu gestehen, würde eine weitere Last von mir nehmen.
Ich hatte mir selbst vorgelogen, dass ich nichts gesagt hatte, weil ich Angst hatte, dass er versuchen würde, mir diese Sorge abzunehmen - schließlich hatte er eine ritterliche Ader, die breiter war als eine vierspurige Autobahn -, aber in Wirklichkeit hatte ich befürchtet, dass er mich der Heuchelei beschuldigen würde, weil ich ihn ständig vor dem Umgang mit Dämonen gewarnt hatte, nur um jetzt selbst dazustehen und der Familiaris eines Dämons zu sein. Nick wies einen ungesunden Mangel an Respekt gegenüber Dämonen auf und glaubte, dass es nur darauf ankam, richtig mit ihnen umzugehen, dann wären sie nicht gefährlicher als. . sagen wir, eine Grubenotter.
Also stand ich da und zappelte in der Kälte vor mich hin, während er seinen streusalzverkrusteten, hässlichen Truck ein paar Plätze neben meinem Auto einparkte. Sein undeutlicher Schatten bewegte sich im Innenraum, als er noch herumräumte und schließlich ausstieg. Er knal te die Tür mit einer Kraft zu, von der ich wusste, dass sie nichts mit mir zu tun hatte, sondern schlichtweg notwendig war, damit das Ding auch zublieb.
»Ray-ray«, sagte er, hielt sein Telefon hoch und kam mit weiten Schritten um die Motorhaube herum. Ein Lächeln lag auf seinem früher hageren Gesicht, das sich inzwischen zu einer attraktiven rauen Ernsthaftigkeit gewandelt hatte.
»Hast du gerade angerufen?«
Ich nickte und ließ die Arme hängen. Er war offensichtlich nicht zum Laufen angezogen, da er ausgeblichene Jeans und Stiefel trug. Ein dicker Stoffmantel hing offen über seinen Schultern und zeigte ein einfaches Flannelhemd, das ordentlich in die Hose gesteckt war. Er war glatt rasiert, aber mit seinem eigentlich kurzen schwarzen Haar, das ein bisschen zu lang war, gelang es ihm trotzdem zerzaust auszusehen. Er hatte mehr die Ausstrahlung eines Bücherwurms als jene Andeutung von Gefahr, die ich normalerweise an meinen Männern schätzte. Aber viel eicht hatte ich ja beschlossen, dass die Gefahr in Nick seine Intel igenz war.
Nick war der klügste Mann, den ich kannte. Hinter seiner unauffäl igen Erscheinung und seinem täuschend milden Wesen verbargen sich plötzliche bril ante Schlussfolgerungen. Im Rückblick war es wahrscheinlich dieser seltene Mix aus gefährlicher Intel igenz und harmlosem Menschen, der ihn für mich attraktiv gemacht hatte. Oder viel eicht auch, dass er mein Leben gerettet hatte, indem er Al gebannt hatte, als dieser mir die Kehle zerfetzen wol te.
Und trotz Nicks Interesse an alten Büchern und neuester Elektronik war er kein Nerd: Seine Schultern waren zu breit, und sein Hintern war zu knackig. Seine langen, schlanken Beine sorgten dafür, dass er beim Laufen mit mir Schritt halten konnte. Seine Arme waren erstaunlich stark, das hatte ich früher immer wieder bei regelmäßigen, heute quälend nonexistenten, spielerischen Ringkämpfen feststel en können, die oft in, ahm, intimere Aktivitäten übergegangen waren. Es war die Erinnerung an diese frühere Nähe, die den Ärger von meinem Gesicht fernhielt, als er mit entschuldigend zusammengekniffenen Augen vor seinem Truck vorbeiging.
»Ich habe es nicht vergessen«, sagte er. Sein langes Gesicht wirkte noch länger, als er sich den Pony aus der Stirn strich. Das Dämonenmal auf seiner Stirn, das er am selben Tag bekommen hatte wie ich mein erstes und verbleibendes Mal, blitzte kurz auf. »Ich bin in meiner Recherche versunken und habe die Zeit vergessen. Es tut mir leid, Rachel. Ich weiß, dass du dich drauf gefreut hast, aber ich war noch nicht mal im Bett und bin zum Umfal en müde. Wol en wir es auf morgen verschieben?«
Ich seufzte nur und versuchte, meine Enttäuschung für mich zu behalten. »Nein«, sagte ich mit einem weiteren Seufzer. Er umarmte mich zögerlich. Ich lehnte mich trotz dieser Zurückhaltung gegen ihn, denn ich wol te mehr. Die Entfernung zwischen uns war schon so lange da, dass sie sich fast normal anfühlte. Er zog sich zurück und scharrte verlegen mit den Füßen.
»Hart am Arbeiten?«, bot ich an. Das war das erste Mal in einer Woche, dass ich ihn sah, wenn man die gelegentlichen Telefonate nicht mitrechnete, und ich wol te nicht einfach wieder gehen.
Auch Nick schien nicht unbedingt wieder gehen zu wol en.
»Ja, und nein.« Er blinzelte in die Sonne. »Ich habe mich durch die alten Postings eines Chatrooms gegraben, nachdem ich dort eine Erwähnung des Buches gefunden hatte, das Al mitgenommen hat.«
Meine Aufmerksamkeit war sofort vol da. »Hast du. .«, stammelte ich, und mein Puls beschleunigte sich.
Meine aufkeimende Hoffnung wurde sofort zerstört, als er den Blick senkte und den Kopf schüttelte. »Es war al es nur Möchtegern-Gelaber. Er hat kein Exemplar. Al es nur erfundener Blödsinn.«
Ich streckte die Hand aus, berührte ihn kurz am Arm und verzieh ihm, dass er unseren morgendlichen Lauf verpasst hatte. »Es ist okay. Früher oder später finden wir was.«
»Yeah«, murmelte er. »Aber mir wäre früher lieber.«
Trostlosigkeit überschwemmte mich, und ich erstarrte. Wir waren so ein gutes Team gewesen, und jetzt war nur noch diese schreckliche Entfremdung übrig. Nick nahm meine Hand, als er bemerkte, wie bedrückt ich war, und trat einen Schritt vor, um mich noch einmal zu umarmen. Seine Lippen streiften meine Wange, als er sagte: »Es tut mir leid, Ray-ray.
Wir versuchen es. Ich versuche es. Ich wil , dass das klappt.«
Ich bewegte mich nicht und atmete seinen Geruch nach alten Büchern und frischem Aftershave ein, bis meine Hände zögerlich auf der Suche nach Trost um ihn herumglitten -und ihn endlich fanden.
Mein Atem stockte, und ich hielt ihn an, weil ich nicht weinen wol te. Wir suchten seit Monaten nach dem Gegenzauber, aber AI hatte das Buch geschrieben, in dem stand, wie man Menschen zu Schutzgeistern machte, und das Buch hatte die sehr kleine Auflage von einem Exemplar.
Und wir konnten schließlich keine Anzeige schalten, um einen Kraftlinienprofessor darum zu bitten, uns zu helfen, weil dieser mich wahrscheinlich wegen Ausübung der dunklen Künste an die Polizei ausliefern würde. Und dann säße ich wirklich in der Klemme. Oder wäre tot. Oder beides.
Langsam ließ Nick mich los, und ich trat zurück. Zumindest wusste ich, dass es keine andere Frau gab.
»Hey, ahm, der Zoo ist geöffnet«, sagte ich, und meine Stimme brach vor Erleichterung darüber, dass die Blockade, die er um sich errichtet hatte, endlich ein wenig nachließ.
»Wil st du stattdessen einen Kaffee trinken gehen? Ich habe gehört, dass deren Makaken-Macchiato gut genug sein sol , um dafür von den Toten aufzuerstehen.«
»Nein«, lehnte er ab, aber in seiner Stimme klang echtes Bedauern mit. Ich fragte mich, ob er die ganze Zeit meine Sorge wegen Al gespürt und viel eicht gedacht hatte, dass ich wütend auf ihn war und mich zurückzog. Viel eicht war das al es mehr mein Fehler als ich gedacht hatte. Viel eicht hätte es die Verbindung zwischen uns stärker gemacht, wenn ich ihm al es erzählt hätte, statt mich vor ihm zu verstecken und ihn von mir wegzutreiben.
Die schiere Größe dessen, was ich mit meinem Schweigen viel eicht angerichtet hatte, überwältigte mich, und ich fühlte, wie mein Gesicht kalt wurde. »Nick, es tut mir leid«, hauchte ich.
»Es war nicht dein Fehler«, sagte er mit verzeihendem Blick, ohne zu wissen, was ich gerade dachte. »Ich war derjenige, der ihm gesagt hat, er könne das Buch haben.«
»Nein, ich meine. .«
Er umarmte mich und brachte mich damit zum Schweigen.
Ein Klumpen bildete sich in meinem Hals und ließ mich schlucken, als meine Stirn seine Schulter berührte. Ich hätte es ihm sagen müssen. Ich hätte es ihm bereits nach der ersten Nacht sagen müssen.
Nick fühlte die Veränderung in mir, und langsam, nach einem Moment des Nachdenkens, gab er mir einen vorsichtigen Kuss auf die Wange. Es fühlte sich zum ersten Mal nicht wie sein übliches Zögern an, sondern nur als ob er nicht mehr gewöhnt wäre, das zu tun.
»Nick?« Ich hörte selbst die unterdrückten Tränen in meiner Stimme.
Sofort zog er sich zurück. »Hey«, sagte er und lächelte, während seine Hand noch auf meiner Schulter lag. »Ich muss gehen. Ich bin seit gestern wach und muss ein bisschen schlafen.«
Ich trat zögerlich einen Schritt zurück und hoffte, dass er nicht sehen konnte, wie kurz ich vorm Heulen war. Es waren lange, einsame drei Monate gewesen. Aber jetzt schienen wir auf dem Weg der Besserung zu sein. »Okay. Wil st du heute Abend zum Essen kommen?«
Und endlich, nach Wochen schnel er Ausreden, hielt er kurz inne. »Wie wäre es stattdessen mit einem Film und Abendessen? Auf mich? So ein richtiges Date. .-Ding.«
Ich richtete mich ruckartig auf und fühlte mich auch größer. »Ein Date-Ding«, widerholte ich und trat wie eine trottelige Pubertierende, die zu ihrem ersten Bal eingeladen wird, von einem Fuß auf den anderen. »Woran hast du gedacht?«
Er lächelte sanft. »Etwas mit jeder Menge Explosionen, vielen Waffen. .« Er berührte mich nicht, aber ich sah in seinen Augen, dass er es tun wol te. »Eng anliegenden Kleidern. .«
Ich nickte lächelnd, und er sah auf die Uhr.
»Heute Abend«, sagte er und fing noch mal meinen Blick auf, als er schon zu seinem Truck ging. »Sieben Uhr?«
»Sieben Uhr«, rief ich zurück und fühlte mich immer besser.
Er stieg ein, und der ganze Truck bebte, als er die Tür zuknal te. Der Motor knatterte, und mit einem fröhlichen Winken fuhr Nick davon.
»Sieben Uhr«, sagte ich und beobachtete, wie seine Bremslichter aufleuchteten, bevor er in die Straße einbog.
5
Die Plastikbügel klapperten, als ich die Kleider neben der Kasse stapelte. Die gelangweilte Wasserstoffblondine mit den halblangen Haaren sah nicht einmal auf, während ihre Hände mit den grässlichen Metal klammern hantierten.
Mit ploppendem Kaugummi zielte sie mit ihrer Laserpistole nacheinander auf die Etiketten und addierte meine Einkäufe für Ceri. Zwischen Kopf und Schulter geklemmt hielt sie ein Telefon. Sie hörte keinen Moment auf zu reden. Sie plapperte ununterbrochen darüber, dass sie gestern ihre Mitbewohnerin mit Brimstone high gemacht hatte.
Ich betrachtete sie nachdenklich und atmete den schwachen Geruch der Straßendroge ein, der noch an ihr haftete. Sie war dümmer als sie aussah, wenn sie Brimstone nahm, besonders im Moment. In letzter Zeit war es mit irgendetwas verschnitten worden und hatte einen Ausbruch von plötzlichen Todesfäl en in al en gesel schaftlichen Schichten ausgelöst. Viel eicht war das Trents Idee eines Weihnachtsgeschenks.
Das Mädchen sah aus, als wäre sie noch minderjährig, also konnte ich entweder die Gesundheits- und Inderlanderbehörde auf sie hetzen oder sie gleich selbst in den I.S.Knast schleppen. Das Zweite würde wahrscheinlich Spaß machen, aber mein Sonnenwendeeinkaufsnachmittag wäre hin. Ich wusste immer noch nicht, was ich Ivy zur Sonnenwende schenken sol te. Die Stiefel, Jeans, Socken, Unterwäsche und zwei Pul over auf dem Tresen waren für Ceri. Sie konnte schließlich nicht mit Keäsley ausgehen, wenn sie nur eines meiner T-Shirts und rosa Pantoffeln trug.
Das Mädchen faltete den letzten Pul over zusammen, und ihre Fingernägel leuchteten mir grel rot entgegen. An ihrem Hals klapperten Amulette, aber der Teint-Zauber, den sie trug, musste dringend ersetzt werden. Sie musste ein Hexer sein, denn eine Hexe würde sich nicht mal tot mit einem so total veralteten Zauber erwischen lassen. Ich warf einen Blick auf den hölzernen Ring an meinem kleinen Finger. Er mochte klein sein, aber er war stark genug, um meine Sommersprossen zu verbergen und trotzdem einen kleineren Zaubercheck zu unterlaufen.
Ätsch!, dachte ich und fühlte mich gleich um Klassen besser. Ein Summen erklang scheinbar aus dem Nichts. Ich fühlte mich noch überlegener, als ich nicht wie das Kassenmädchen erschrak, als Jenks mehr auf den Tresen fiel als flog. Er trug zwei schwarze Strumpfhosen übereinander und hatte einen roten Hut und rote Stiefel an, um sich gegen die Kälte zu schützen. Es war eigentlich zu kalt für ihn, um draußen zu sein, aber Jihs Auszug hatte ihn deprimiert, und er war noch nie auf einem Sonnenwendeinkauf gewesen.
Meine Augen weiteten sich, als ich die Puppe bemerkte, die er an den Tresen geschleppt hatte. Sie war dreimal so groß wie er.
»Rachel!«, rief er aus und keuchte, als er die schwarzhaarige, kurvenreiche Plastikhommage an die feuchten Träume al er Jugendlichen aufrichtete. »Schau, was ich in der Spielwarenabteilung gefunden habe!«
»Jenks. .«, jammerte ich und hörte das Paar hinter uns kichern.
»Das ist eine Bite-Me-Betty-Puppe!«, rief er begeistert, während seine Flügel wie wild schlugen, um ihn aufrechtzuhalten. Seine Hände lagen auf den Schenkeln der Puppe. »Ich wil sie. Ich wil sie Ivy kaufen. Sie sieht genau aus wie Ivy!«
Ich beäugte den glänzenden Pseudo-Lederrock aus Plastik und das rote Vinyl-Oberteil und holte tief Luft, um zu protestieren.
»Schau, siehst du?«, fragte er aufgeregt. »Du drückst den Knopf auf dem Rücken, und dann spritzt künstliches Blut raus. Ist das nicht super?«
Ich zuckte zusammen, als eine gal ertartige Schmiere aus dem Mund der schwarzäugigen Puppe schoss und fast einen halben Meter weit flog, bevor sie auf dem Tresen landete. Ein rotes Rinnsal lief über das spitze Kinn der Puppe. Das Kassenmädchen beäugte es und würgte dann ihren Freund am Telefon ab. Er wol te Ivy das da schenken?
Seufzend schob ich Ceris Jeans aus dem Weg. Jenks drückte noch mal auf den Knopf und beobachtete vol gespannter Erwartung, wie mit einem unappetitlichen Geräusch rote Schmiere hervorquol . Das Paar hinter mir lachte, die Frau hing am Arm ihres Begleiters und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Ich errötete und schnappte mir die Puppe.
»Ich kaufe sie für dich, wenn du damit aufhörst«, zischte ich.
Mit leuchtenden Augen stieg Jenks auf, um auf meiner Schulter zu landen. Er positionierte sich zwischen meinem Hals und dem Schal, um warm zu bleiben. »Sie wird sie lieben«, behauptete er. »Du wirst schon sehen.«
Ich schob die Puppe über den Tresen und warf einen Blick auf das kichernde Pärchen. Sie waren lebende Vamps. Beide waren gut gekleidet und offenbar völ ig unfähig, ihre Hände mehr als dreißig Sekunden vom anderen zu lassen. Da sie wusste, dass ich sie beobachtete, richtete sich die Frau ein wenig auf und zupfte am Kragen ihrer Lederjacke, um ihren leicht vernarbten Hals zu zeigen. Ich musste an Nick denken, und der Gedanke an ihn zauberte zum ersten Mal seit Wochen wieder ein Lächeln auf meine Lippen.
Während das Mädchen die Summe neu berechnete, grub ich in meiner Tasche nach meinem Scheckbuch. Es war tol , Geld zu haben. Wirklich tol .
»Rachel«, frage Jenks, »kannst du noch eine Tüte M&Ms dazulegen?« Seine Flügel schickten einen kalten Luftzug gegen meinen Hals, als er sie vibrieren ließ, um Körperwärme zu erzeugen. Schließlich konnte er keinen Mantel tragen
-nicht mit seinen Flügeln -, und jede wirklich dicke Kleidung war zu einschränkend.
Ich schnappte mir eine Tüte der überteuerten Süßigkeiten, neben denen ein handgeschriebenes Schild verkündete, dass jeder Einkauf dabei helfen würde, die Kinderheime der Stadt, die von einem Feuer beschädigt worden waren, wieder aufzubauen. Die Kassentussi hatte mir meine Gesamtsumme zwar schon gesagt, aber sie konnte den Preis ja noch drauf rechnen. Und wenn die Vamps hinter mir ein Problem damit hatten, konnten sie sich ja hinlegen und zweimal sterben. Es war schließlich für die Waisen, in Gottes Namen.
Das Mädchen griff nach der Schokolade und piepte sie mit einem überheblichen Blick auf mich in ihre Kasse. Die Registrierkasse zwitscherte, um mir meine neue Summe zu nennen, und während sie al e warteten, schlug ich mein Scheckbuch auf, blinzelte und erstarrte. Es war in ordentlichen kleinen Nummern bilanziert worden. Ich hatte mir nicht die Mühe gemacht, Buch zu führen, weil ich wusste, dass ich Tonnen von Geld hatte, aber jemand hatte es getan.
Ich hielt mir das Buch näher vor die Augen und starrte.
»Das ist der ganze Rest?«, rief ich aus. »Das ist al es, was noch übrig ist?«
Jenks räusperte sich. »Überraschung«, sagte er kraftlos.
»Es lag in deinem Schreibtisch rum, und ich dachte, ich bilanziere es für dich.« Er zögerte, »'tschuldigung.«
»Es ist fast al es weg!«, stammelte ich. Wahrscheinlich war mein Gesicht gerade so rot wie meine Haare. Die Augen des Kassenmädchens wirkten plötzlich wachsam.
Peinlich berührt schrieb ich meinen Scheck aus. Sie nahm ihn und rief nach ihrem Vorgesetzten, um prüfen zu lassen, ob er auch wirklich gedeckt war. Hinter mir gab das Pärchen einen bösartigen Kommentar ab. Ich ignorierte sie und blätterte stattdessen durch mein Scheckbuch, um herauszufinden, wo mein Geld geblieben war.
Fast zweitausend für meinen neuen Schreibtisch und die Schlafzimmerkommode, weitere vier, um die Kirche isolieren zu lassen und dreitausendfünfhundert für die Garage für mein neues Auto. Ich hatte nicht vor, es im Schnee stehen zu lassen. Dann waren da noch die Versicherung und das Benzin. Ein großer Batzen ging an Ivy für meine geschuldete Miete, ein weiterer Batzen war von der Nacht aufgefressen worden, die ich wegen eines gebrochenen Arms im Krankenhaus verbracht hatte. Damals war ich noch nicht versichert gewesen. Noch ein Riesenbetrag war verschwunden, um endlich versichert zu sein. Und der Rest. .
ich schluckte. Es war immer noch Geld auf meinem Konto, aber ich hatte genussvol in nur drei Monaten meinen Reichtum von zwanzigtausend auf eine hohe vierstel ige Zahl reduziert.
»Ahm, Rache?«, fragte Jenks. »Ich wol te eigentlich später fragen, aber ich kenne da diesen Kerl, der Buchhaltung macht. Wil st du, dass er eine Rentenvorsorge für dich organisiert? Ich habe mir deine Finanzen angeschaut, und du müsstest auch noch ein paar Rücklagen bilden, nachdem du bis jetzt nichts für die Steuern zurückgelegt hast.«
»Eine Steuerrücklage?« Ich fühlte mich krank. »Es gibt nichts mehr, womit ich sie bilden könnte.« Ich nahm dem Mädchen meine Tüten ab und machte mich auf den Weg zur Tür. »Und wieso schaust du dir überhaupt meine Finanzen an?«
»Ich lebe in deinem Schreibtisch«, sagte er trocken. »Da liegt al es mehr so rum.«
Ich seufzte. Mein Schreibtisch. Mein wunderschöner Eichenholzschreibtisch mit dem Geheimfach unter dem Boden der linken Schublade. Der Schreibtisch, den ich nur drei Monate lang benutzen konnte, bis Jenks und seine Brut einzogen. Mein Schreibtisch, der jetzt so dicht mit Topfpflanzen bedeckt war, dass er aussah wie die Kulisse eines Films über Kil erpflanzen, die die Weltherrschaft übernehmen wol ten. Aber entweder so, oder ich hätte sie in die Küchenschränke einziehen lassen müssen. Nein. Nicht meine Küche. Es war schlimm genug, dass sie sich jeden Tag zwischen den aufgehängten Töpfen und Küchenwerkzeugen irgendwelche Schlachten lieferten.
Mechanisch zog ich meinen Mantel enger um mich. Die automatischen Türen öffneten sich, und ich blinzelte in das hel e Licht, das vom Schnee reflektiert wurde.
»Whoa, warte!«, kreischte Jenks in mein Ohr, als uns eine Wel e kalter Luft traf. »Was zur Höl e tust du da gerade, Hexe? Sehe ich aus, als wäre ich aus Fel gemacht?«
»Entschuldigung.« Ich bog schnel nach links ab, um aus dem Zug zu kommen, und öffnete meine Schultertasche für ihn. Immer noch fluchend ließ er sich hineinfal en, um sich darin zu verstecken. Er hasste das, aber es gab keine andere Möglichkeit. Wenn er längere Zeit einer Temperatur unter sieben Grad ausgesetzt war, würde er in einen Überwinterungsschlaf fal en, aus dem man ihn ohne Gefahr bis zum Frühjahr nicht aufwecken konnte. Aber in meiner Tasche sol te es ihm eigentlich gut gehen.
Ein Tiermensch in einem dicken Wol mantel, der ihm bis auf die Stiefelspitzen fiel, wich mit einem unbehaglichen Gesichtsausdruck vor mir zurück. Als ich versuchte, Blickkontakt herzustel en, zog er seinen Cowboyhut ins Gesicht und drehte sich weg. Frustriert runzelte ich die Stirn.
Ich hatte keinen Tiermenschen mehr als Klienten gehabt, seitdem ich die Howlers dazu gezwungen hatte, mich dafür zu bezahlen, dass ich versucht hatte, ihr Maskottchen wiederzubeschaffen. Viel eicht hatte ich da einen Fehler gemacht.
»Hey, gib mir mal die M&Ms, okay?«, grummelte mir Jenks von unten zu. Sein von blonden Haaren umgebenes Gesicht war von der Kälte gerötet. »Ich verhungere hier.«
Brav durchwühlte ich meine Tüten und ließ die Schokolade zu ihm hineinfal en, bevor ich die Bänder meiner Schultertasche zuzog. Ich mochte es nicht, ihn so nach draußen zu bringen, aber ich war sein Partner, nicht seine Mutter. Er genoss es, der einzige erwachsene Pixie in ganz Cincinnati zu sein, der nicht schlief. In seinen Augen war wahrscheinlich die ganze Stadt sein Garten, auch wenn er kalt und schneebedeckt war.
Ich brauchte einen Moment, um meinen Autoschlüssel im Zebra-Look aus der vorderen Tasche zu kramen. Das Pärchen, das an der Kasse hinter mir gestanden hatte, ging auf seinem Weg nach draußen an mir vorbei. Die beiden flirteten gut gelaunt und sahen in ihrer Lederkleidung höl isch sexy aus. Er hatte ihr auch eine Bite-me-Betty-Puppe gekauft, und beide lachten. Meine Gedanken wanderten wieder zu Nick, und die Vorfreude überschwemmte mich wie eine warme Wel e.
Ich setzte gegen die grel e Hel igkeit meine Sonnenbril e auf und trat mit klingelnden Schlüsseln hinaus auf den Bürgersteig. Meine Tasche hielt ich eng am Körper. Sogar in meiner Tasche würde Jenks frieren. Ich nahm mir vor, Cookies zu backen, damit er danach die Wärme des abkühlenden Ofens genießen konnte. Ich hatte schon seit Urzeiten keine Sonnenwend-Cookies mehr gebacken. Und irgendwo in den Tiefen eines Schranks hatte ich in einem ekligen Zip-Lock-Beutel sogar ein paar Cookie-Formen gesehen. Al es, was ich sonst noch für richtige Cookies brauchte, waren die bunten Zuckerkugeln.
Meine Laune besserte sich, als ich mein Auto sah, das bis zur Felge in dem matschigen Schnee am Straßenrand stand.
Sicher, es war im Unterhalt so teuer wie eine Vampirprinzessin, aber es gehörte mir, und ich sah wirklich gut aus, wenn ich hinter dem Steuer saß und der Wind meine langen Haare hinter mir flattern ließ.. Die Gelegenheit nicht zu ergreifen, als mir die Garage angeboten wurde, war mir einfach nicht möglich gewesen.
Mein Wagen piepte glücklich, als ich ihn aufschloss und meine Tüten auf den unbenutzbaren Rücksitz fal en ließ. Ich selbst faltete mich auf den Fahrersitz und stel te die Tasche mit Jenks vorsichtig auf meinen Schoß, wo er viel eicht noch ein wenig mehr Wärme abbekam. Sobald ich den Wagen gestartet hatte, drehte ich die Heizung auf. Ich legte den Gang ein und wol te gerade ausparken, als ein langer weißer Wagen fast lautlos neben mich fuhr.
Beleidigt starrte ich aus dem Fenster, während er sich in zweiter Reihe neben mich stel te und mich zuparkte.
»Hey!«, rief ich, als der Fahrer mitten auf der Straße ausstieg, um seinem Arbeitgeber die Tür zu öffnen.
Angenervt nahm ich den Gang raus, stieg aus und hängte mir die Tasche über die Schulter. »Hey! Ich versuche hier rauszufahren!«, schrie ich und hätte am liebsten auf das Dach des Wagens geschlagen.
Aber mein Protest blieb mir im Hals stecken, als sich die hintere Tür öffnete und ein älterer Mann mit Massen von Goldketten um den Hals den Kopf herausstreckte. Sein krauses blondes Haar stand in al e Richtungen ab. Blaue Augen glitzerten, als er mich heranwinkte.
»Miss Morgan«, rief er leise. »Kann ich mit Ihnen reden?«
Ich nahm meine Sonnenbril e ab und starrte ihn an.
»Takata?«, stammelte ich.
Der alte Rocker zuckte zusammen, und sein Gesicht legte sich in feine Falten, als er einen Blick auf die wenigen Fußgänger in der Nähe warf. Sie hatten die Limo bemerkt, und mit meinem Ausruf war die sprichwörtliche Katze aus dem Sack. Mit wütend zusammengekniffenen Augen streckte Takata eine langgliedrige Hand nach mir aus und zog mich von den Füßen und in die Limo. Ich keuchte und versuchte meine Tasche so zu halten, dass ich Jenks nicht zerquetschte, als ich in den weichen Sitz gegenüber von Takata fiel. »Los!«, rief der Musiker, und der Fahrer schloss die Tür und joggte nach vorne.
»Mein Auto!«, protestierte ich. Die Fahrertür stand offen, und meine Schlüssel steckten im Zündschloss.
»Arron?« Takata machte eine Geste in Richtung eines Mannes im schwarzen T-Shirt, der in einer Ecke der Luxuskarosse saß. Er schlüpfte an mir vorbei und hinterließ einen Hauch von Blutgeruch, der ihn als Vamp identifizierte.
Arron stieg aus und ließ noch einmal kalte Luft in den Innenraum, bevor er schnel die Tür hinter sich zuschlug. Ich beobachtete ihn durch die getönten Scheiben, wie er in mein Auto glitt - mit seinem rasierten Kopf und der dunklen Sonnenbril e wirkte er umwerfend raubtierartig. Ich konnte nur hoffen, dass ich hinter dem Steuer auch nur halb so gut aussah. Gedämpft hörte ich zweimal meinen Motor aufheulen, dann fuhren wir genau in dem Moment an, als die ersten Groupies anfingen, an die Scheiben zu klopfen.
Mit klopfendem Herzen drehte ich mich um, um durch die Heckscheibe zu schauen. Mein Auto schob sich vorsichtig durch die Menschen, die auf der Straße standen und uns hinterherschrien. Langsam erreichte es die freie Straße und holte dann schnel auf. Der Fahrer überfuhr sogar eine rote Ampel, um an uns dranzubleiben.
Völ ig erschlagen, weil al es so schnel gegangen war, drehte ich mich wieder um.
Der alternde Popstar trug unglaubliche orangefarbene Hosen und eine passende Weste über einem beruhigend erdfarbenen Hemd. Al es war aus Seide - meiner Meinung nach das einzig Positive an dem Outfit. Um Himmels wil en, sogar seine Schuhe waren orange. Und die Socken. Ich verzog das Gesicht. Irgendwie passte es zu den Goldketten und seinen Haaren, die so auftoupiert waren, dass sie genug abstanden, um kleine Kinder zum Schreien zu bringen. Sein Teint war noch bleicher als meiner, und ich spürte das dringende Bedürfnis, meine Bril e mit dem hässlichen Holzgestel herauszuziehen, die es mir ermöglichte, hinter Erdzauber zu sehen. Ich wol te wissen, ob er Sommersprossen versteckte.
»Ahm, hi?«, stammelte ich. Der Mann grinste und ließ dabei seine impulsive, scharfe Intel igenz erkennen und seine Veranlagung, in al em den Spaß zu finden, selbst wenn die Welt gerade um ihn herum zusammenbrach. Tatsächlich hatte der innovative Künstler genau das getan: Mit seiner kleinen Garagenband hatte er während des Wandels seinen Aufstieg zum Star begonnen, indem er sich den Fakt zunutze machte, dass sie die erste öffentlich bekannte Inderlander-Band waren. Er war ein Cincy-Junge, der es geschafft hatte, und er gab es seiner Stadt zurück, indem er die Einnahmen aus seinen Wintersonnenwendkonzerten den Wohltätigkeits-projekten der Stadt spendete. Gerade in diesem Jahr war das wichtig, da eine Serie von Brandstiftungen viele der Obdachlosenheime und Waisenhäuser zerstört hatte.
»Miss Morgan«, sagte Takata nun und berührte kurz seine große Nase. Er schien nicht ganz bei der Sache zu sein und blickte über meine Schulter aus dem Rückfenster. »Ich hoffe, ich habe Sie nicht erschreckt.«
Seine Stimme war tief und sorgfältig geschult.
Wunderschön. Ich habe eine Schwäche für schöne Stimmen.
»Ahm, nein.« Ich legte meine Sonnenbril e zur Seite und wickelte meinen Schal ab. »Wie geht es Ihnen? Ihre Haare sehen. . tol aus.« Er lachte und beruhigte damit ein wenig meine Nerven. Wir waren uns vor fünf Jahren begegnet und hatten uns beim Kaffeetrinken hauptsächlich über die Probleme unterhalten, die krauses Haar mit sich bringt. Dass er sich nicht nur an mich erinnerte, sondern auch mit mir reden wol te, schmeichelte mir sehr.
»Es sieht schrecklich aus«, sagte er und berührte die wirren Locken, die, als ich ihn damals getroffen hatte, noch in Dreadlocks gebändigt gewesen waren. »Aber meine PR-Frau sagt, dass es meine Verkäufe um zwei Prozent steigert.« Er streckte seine langen Beine aus und belegte damit fast die Hälfte des Platzes in der Limo.
Ich lächelte. »Brauchen Sie noch einen Zauber, um sie unter Kontrol e zu kriegen?«, fragte ich und griff nach meiner Tasche.
Kurz stockte mir der Atem. »Jenks!«, rief ich alarmiert und riss die Tasche auf. Wutentbrannt schoss Jenks hervor.
»Wurde aber auch Zeit, dass du dich an mich erinnerst«, knurrte er wütend. »Was zum Wandel ist los? Ich habe mir fast den Flügel gebrochen, als ich auf dein Telefon gefal en bin. In deiner Tasche sind jetzt überal M&Ms, und ich werde den Teufel tun, sie wieder aufzusammeln. Wo in Tinks Garten sind wir?«
Ich lächelte Takata schwach an. »Äh, Takata«, begann ich,
»das ist. .«
Da erkannte Jenks ihn. Ein Stoß von Pixiestaub explodierte aus ihm heraus, ließ das Innere des Autos für einen Moment taghel werden und erschreckte mich fast zu Tode. »Heilige Scheiße!«, rief der Pixie. »Du bist Takata! Ich dachte, Rachel hat Märchen erzählt, als sie sagte, sie kennt dich. Heilige Mutter von Tink! Warte, bis ich das Matalina erzähle. Du bist es wirklich. Verdammt, du bist es wirklich!«
Takata streckte den Arm aus, drehte an einem Knopf an einer aufwendigen Bedienkonsole, und Hitze ergoss sich aus der Lüftung. »Ja, ich bin es wirklich. Möchten Sie ein Autogramm?«
»Zur Höl e, ja!«, schrie der Pixie. »Sonst glaubt mir das keiner.«
Ich lächelte und kuschelte mich tiefer in meinen Sitz.
Meine Aufregung war beim Anblick von Jenks offener Star-Anbetung völ ig verschwunden. Takata zog ein Bild von sich und seiner Band auf der Chinesischen Mauer aus einem zerknickten Ordner. »Wem sol ich es widmen?«, fragte er, und Jenks erstarrte.
»Äh. .«, stotterte er, und seine flatternden Flügel stel ten den Dienst ein. Meine Hand schoss blitzschnel nach vorne, um ihn zu fangen, und sein kaum wahrnehmbares Gewicht knal te auf meine Handfläche. »Ahm«, stotterte er wieder völ ig panisch.
»Widmen Sie es Jenks«, sagte ich, und Jenks gab einen kleinen erleichterten Seufzer von sich.
»Yeah, Jenks«, sagte der Pixie und hatte wenigstens die Geistesgegenwart, zu dem Foto hinüberzufliegen und sich daraufzustel en, während Takata seine unleserliche Unterschrift daruntersetzte. »Mein Name ist Jenks.«
Takata gab mir das Bild, damit ich es für ihn mit nach Hause nehmen konnte. »Schön, Sie kennenzulernen, Jenks.«
»Yeah«, quietschte Jenks. »Ich finde es auch schön, dich zu treffen.« Er gab noch so ein hochfrequentes Geräusch von sich, bei dem meine Augenlider wehtaten, und schoss wie ein irre gewordenes Glühwürmchen immer zwischen mir und Takata hin und her.
»Hör auf, Jenks«, flüsterte ich. Ich wusste, dass Jenks mich hören konnte, auch wenn Takata nichts mitbekam.
»Mein Name ist Jenks«, sagte er noch einmal, als er sich auf meiner Schulter niederließ. Er zitterte, als ich das Bild vorsichtig in meine Tasche steckte. Seine Flügel waren ständig in Bewegung, und der Luftzug, den er damit auslöste, tat in der stickig heißen Limo richtig gut.
Ich richtete meinen Blick wieder auf Takata und war bestürzt über seinen leeren Gesichtsausdruck.
»Was?«, fragte ich, weil ich dachte, dass etwas nicht stimmte. Sofort richtete er sich auf. »Nichts«, sagte er. »Ich habe gehört, dass Sie aus der I.S. ausgeschieden sind, um sich selbstständig zu machen.« Er atmete hörbar aus. »Das hat Mumm gebraucht.«
»Es war dumm«, gab ich zu und dachte an das Kopfgeld, das mein Arbeitgeber als Rache auf mich ausgesetzt hatte.
»Aber ich würde nichts anders machen wol en.«
Er lächelte und sah zufrieden aus. »Es gefäl t Ihnen, al ein zu arbeiten?«
»Es ist schwer, ohne eine Organisation hinter sich«, sagte ich, »aber ich habe Leute, die mich auffangen, fal s ich fal en sol te. Ich vertraue ihnen um einiges mehr als der lS.«
Takatas Kopf bewegte sich auf und ab und brachte sein langes Haar zum Wippen. »Da stimme ich Ihnen zu.« Er setzte sich breitbeinig hin, um die Bewegung des Autos auszugleichen, und ich begann mich zu fragen, warum ich überhaupt in Takatas Limousine saß. Nicht, dass ich mich beschweren wol te. Wir fuhren auf der Schnel straße quer durch die Stadt, und mein Cabrio blieb immer drei Autolängen hinter uns.
»Wenn Sie gerade da sind«, sagte er plötzlich, »würde ich gerne Ihre Meinung zu etwas hören.«
»Sicher«, sagte ich und dachte bei mir, dass seine Gedanken noch mehr durch die Gegend sprangen als Nicks.
Ich löste den Kragen meines Mantel. Langsam wurde es wirklich warm.
»Wunderbar«, sagte er, öffnete den Gitarrenkasten neben sich und zog ein wunderschönes Instrument aus dem grünen Samt. Ich riss die Augen auf. »Ich werde zum Sonnenwendkonzert ein neues Lied veröffentlichen.« Er zögerte. »Sie wissen, dass ich im Coliseum auftreten werde?«
»Ich habe Karten«, bestätigte ich. Nick hatte sie gekauft.
Ich hatte mir Sorgen gemacht, ob er mir absagen würde und ich mich wie üblich zur Sonnenwende auf dem Foun-tain Square wiederfinden würde, um am Gewinnspiel teilzunehmen. Die Gewinner durften die Hexen sein, die den zeremoniel en Schutzkreis schlossen. Der große, eingelassene Kreis durfte nur zu den Sonnenwenden und an Hal oween geschlossen werden. Aber jetzt hatte ich das definitive Gefühl, dass wir unsere Sonnenwende zusammen verbringen würden.
»Tol !«, sagte Takata. »Ich hatte darauf gehofft. Also, ich habe dieses Stück über einen Vampir, der sich nach jemandem verzehrt, den er nicht haben kann, und ich weiß nicht, welcher Refrain besser ist. Ripley mag den dunkleren, aber Arron sagt, der andere passt besser.«
Er seufzte und zeigte sich seltsam beunruhigt. Ripley, ein Tiermensch, war sein Schlagzeuger und das einzige Bandmitglied, das fast schon Takatas ganze Karriere über bei ihm war. Man munkelte, dass er der Grund war, warum die anderen immer nur ein oder zwei Jahre durchhielten, bevor sie es auf eigene Faust versuchten.
»Ich hatte vor, es das erste Mal zur Sonnenwende live zu spielen«, fuhr Takata fort. »Aber ich wil es auf WVMP heute Abend schon veröffentlichen, damit Cincinnati die Chance hat, es als Erstes zu hören.« Er grinste und sah dabei um Jahre jünger aus. »Es ist einfach cooler, wenn al e mitsingen.«
Er warf einen Blick auf die Gitarre in seinem Schoß und schlug einen Akkord an. Die Schwingungen erfül ten den Wagen. Meine Schultern sanken entspannt herab, und Jenks gab ein ersticktes Gurgeln von sich. Takata sah fragend hoch.
»Sie werden mir sagen, welches ihnen besser gefäl t?«, vergewisserte er sich, und ich nickte. Ein persönliches Konzert, nur für mich? Yeah, damit konnte ich leben. Jenks gab wieder sein ersticktes Gurgeln von sich.
»Okay. Ich nenne es >Red Ribbons<.« Takata atmete tief ein und fiel in sich zusammen. Mit leeren Augen veränderte er den Akkord, den er gerade gespielt hatte. Seine schmalen Finger bewegten sich elegant. Er hielt den Kopf über die Gitarre gebeugt, während er sang.
»Hear you sing through the curtain, see you smile through the glass. Wipe your tears in my thoughts, no amends for the past. Didn't know it would consume me, no one said the hurt would last.«
Seine Stimme fiel und nahm den gequälten Klang an, der Takata berühmt gemacht hatte. »No one told me. No one told me«, schloss er, fast im Flüsterton.
»Ooooh, schön«, sagte ich und fragte mich, ob er mich wirklich für fähig hielt, ein Urteil zu fäl en.
Er warf mir ein Lächeln zu und streifte dabei sofort sein Bühnen-Ich ab. »Okay«, sagte er. »Das ist die andere Version.« Er spielte einen dunkleren Akkord, der fast falsch klang. Ein Schaudern kroch mir über den Rücken, und ich versuchte, es zu unterdrücken. Takatas Haltung veränderte sich und schien plötzlich vol er Schmerz. Die vibrierenden Saiten erzeugten ein Echo in mir, und ich ließ mich tiefer in die Ledersitze sinken. Das Brummen des Motors trug die Musik in mein Innerstes.
»You're mine«, flüsterte er fast, »You're mine, though you know it not. You're mine, bond born of passion. You're mine, yet whol y you. By way of your wil , by way of your wil , by way of your wil .«
Seine Augen waren geschlossen, und ich bekam das Gefühl, dass er völ ig vergessen hatte, dass ich ihm gegenübersaß. »Ahm . «, stammelte ich, und seine blauen Augen öffneten sich fast in Panik. »Ich denke, die Erste?«, schlug ich vor, und er gewann seine Fassung zurück. Der Mann war schreckhafter als eine Schublade vol er Eidechsen.
»Ich mag den Zweiten lieber, aber der Erste passt besser zu dem Bild eines Vampirs, der beobachtet, was sie nicht haben kann.« Ich blinzelte. »Ich meine, was er nicht haben kann«, verbesserte ich mich und errötete.
Gott hilf mir, jetzt stehe ich da wie ein Idiot. Er wusste wahrscheinlich, dass ich mit einem Vampir zusammenlebte.
Dass sie und ich kein Blut teilten, hatte er in seinem Bericht wahrscheinlich nicht gelesen. Die Narbe an meinem Hals war nicht von ihr, sondern von Big AI, und ich zog meinen Schal hoch, um sie zu verstecken.
Er sah zittrig aus, als er seine Gitarre zur Seite legte. »Die erste?«, fragte er, wirkte dabei al erdings so als wol te er eigentlich etwas anderes sagen. Ich nickte. »Okay«, sagte er und lächelte gezwungen. »Dann wird es die Erste.«
Jenks gab noch ein unterdrücktes Gurgeln von sich. Ich fragte mich, ob er sich irgendwann genug erholen würde, um etwas anderes von sich zu geben als nervige Geräusche.
Takata ließ die Verschlüsse seines Gitarrenkastens zuschnappen, und ich wusste, dass der Smal Talk vorbei war.
»Miss Morgan«, setzte er prompt an. Der opulente Innenraum der Limousine schien ohne seine Musik steril und leer. »Ich wol te, ich könnte sagen, dass ich Sie nur ausfindig gemacht habe, um Ihre Meinung zu hören, welchen Refrain ich veröffentlichen sol , aber tatsächlich befinde ich mich momentan in einer Klemme, und Sie wurden mir von einem vertrauenswürdigen Partner empfohlen. Mr. Felps sagte, er hätte schon früher mit Ihnen gearbeitet, und dass Sie sehr diskret sind.«
»Nennen Sie mich Rachel«, bat ich, als Jenks wieder würgte. Takata warf mir ein unsicheres Lächeln zu, und ich erwiderte es, ohne mir im Klaren zu sein, was hier eigentlich vorging. Es klang, als hätte er einen Auftrag für mich. Etwas, das einen Grad an Anonymität erforderte, den weder die I.S.
noch das FIB gewährleisten konnten.
Während Jenks vor sich hin gurgelte und mich immer wieder ins Ohr kniff, richtete ich mich auf, schlug die Beine übereinander und zog meinen kleinen Terminkalender aus der Tasche, um professionel auszusehen. Ivy hatte ihn mir vor zwei Monaten gekauft, in einem ihrer Versuche, Ordnung in mein chaotisches Leben zu bringen. Ich trug ihn nur mit mir herum, um sie beruhigen, aber viel eicht war ein Auftrag von einem international bekannten Popstar der passende Moment, um damit anzufangen ihn zu benutzen.
»Ein Mr. Felps hat mich Ihnen empfohlen?«, fragte ich, während ich fieberhaft nachdachte, ohne dass der Name irgendetwas bei mir klingeln ließ.
Takatas dichte, ausdrucksstarke Augenbrauen waren verwirrt hochgezogen. »Er sagte, dass er Sie kennt.
Tatsächlich schien er mir fast verliebt zu sein.«
Mir entfuhr ein leiser Seufzer. »Oh, ist er zufäl ig ein lebender Vamp? Blond? Glaubt, er wäre Gottes Geschenk an die Lebenden und die Toten?«, fragte ich und hoffte gleichzeitig, falsch zu liegen.
Takata grinste. »Sie kennen ihn.« Er warf einen Blick auf den zitternden Jenks, dem es anscheinend unmöglich war, etwas zu sagen. »Ich dachte schon, er führt mich an der Nase herum.«
Ich schloss die Augen, um Kraft zu sammeln. Kisten.
Warum überraschte mich das nicht? »Ja, ich kenne ihn«, murmelte ich und öffnete die Augen wieder. Ich war mir nicht sicher, ob ich wütend sein sol te oder geschmeichelt, dass der lebende Vampir mich Takata empfohlen hatte. »Ich wusste nur nicht, dass sein Nachname Felps ist.«
Angewidert gab ich jeden Versuch auf, professionel zu sein. Ich warf den Terminkalender zurück in meine Tasche und drückte mich in meine Ecke. Dabei waren meine Bewegungen leider um einiges weniger elegant als ich gehofft hatte. Natürlich wechselte das Auto gerade dann die Spur und brachte mich aus dem Gleichgewicht.
»Also, was kann ich für Sie tun?«, fragte ich schließlich.
Der ältere Hexer setzte sich aufrecht hin und zog seine orangenen Hosen gerade. Ich hatte noch nie jemanden getroffen, der in Orange gut aussah, aber Takata schaffte es.
»Es geht um das Konzert«, sagte er. »Ich wol te wissen, ob Ihre Firma als Security einsetzbar wäre.«
»Oh.« Ich benetzte mir verwundert die Lippen. »Sicher. Das ist kein Problem, aber haben Sie dafür nicht schon Leute?«
Ich erinnerte mich, dass die Security auf dem Konzert, auf dem ich ihn damals getroffen hatte, sehr streng gewesen war. Vamps mussten ihre Zähne überkappen - was hieß, stumpfe Aufsteckkronen über die scharfen Zähne zu stecken-, und Leute mit mehr als einem Make-up-Zauber durften nicht passieren. Al erdings wurden direkt hinter den Kontrol en natürlich die Kappen abgenommen und die im Schuh versteckten Zauber aktiviert. .
Er nickte. »Schon, aber genau da liegt das Problem.«
Ich wartete, während er sich nach vorne lehnte und seine Bewegung den Geruch von Rotholz zu mir herübertrug. Er verschränkte seine langgliedrigen Musikerhände und blickte auf den Boden.
»Ich habe Mr. Felps wie üblich mit der Security beauftragt, bevor ich überhaupt in die Stadt kam«, sagte er, als er schließlich seine Aufmerksamkeit wieder mir zuwandte.
»Aber dann kam ein Mr. Saladan zu mir und behauptete, dass jegliche Security in Cincinnati von jetzt an über ihn läuft. Al e Gelder, die bis jetzt an Piscary geflossen waren, sol ten in Zukunft an ihn gezahlt werden.«
Ich schnaubte kurz. Schutzgeld. Jetzt hatte ich es kapiert.
Kisten handelte als Piscarys Nachkomme, da nur wenige Leute wussten, dass Ivy ihn abgelöst hatte und nun den heiß begehrten Titel trug. Kisten erledigte die Geschäfte des untoten Vampirs, während Ivy sich weigerte. Gott sei Dank.
»Sie zahlen Schutzgeld?«, fragte ich. »Wol en Sie, dass ich mit Kisten und Mr. Saladan rede, damit sie aufhören, Sie zu erpressen?«
Takata ließ den Kopf nach hinten fal en, und seine schöne, tragische Stimme erhob sich in einem Lachen, das schnel von dem dicken Teppich und den Ledersitzen geschluckt wurde. »Nein«, sagte er. »Piscary macht seinen Job, die Inderlander unter Kontrol e zu halten, verdammt gut. Meine Sorge gilt Mr. Saladan.«
Entsetzt, aber nicht wirklich überrascht schob ich meine roten Locken hinter ein Ohr und wünschte mir, ich hätte sie heute Nachmittag irgendwie gebändigt. Ja, auch ich bediente mich manchmal der Erpressung, aber das war, um mich selbst am Leben zu halten, nicht für Geld. Das war ein Unterschied. »Das ist Erpressung«, stel te ich angewidert fest.
Er wurde ernst. »Es ist eine Dienstleistung, und ich bereue keinen einzigen Cent, den ich dafür ausgebe.« Als er mein Stirnrunzeln sah, lehnte sich Takata noch weiter vor und suchte mit seinen blauen Augen meinen Blick, während die Goldketten an seinem Hals hin und her schwangen. »Meine Show hat eine LGP, wie jeder Wanderzirkus oder Jahrmarkt auch. Ich würde nicht einen Abend durchhalten, wenn ich nicht in jeder Stadt, in der wir spielen, Security organisieren würde. Das sind die Kosten des Business.«
LGP war die Kurzform für die >Lizenz für gemischtes Pub-likurn<. Sie garantierte, dass es eine Security gab, die jede Art von Blutsaugen auf dem Gelände verhinderte. Das war eine absolute Notwendigkeit, wenn Inderlander und Menschen sich mischten. Wenn sich zu viele Vampire versammelten und nur einer davon seinem Blutdurst nachgab, würde es den anderen sehr schwerfal en, nicht mitzumachen. Ich hatte nie verstanden, wie ein Stückchen Papier dafür sorgen konnte, dass von Hunger getriebene Vampire ihre Zähne bei sich behielten, aber al e Veranstaltungen oder Kneipen arbeiteten hart daran, ein erstklassiges Image ihrer Lizenz zu bewahren, denn Menschen und lebende Inderlander würden jede Lokalität boykottieren, die keine LGP hatte. Man endete einfach zu leicht an einen Vampir gebunden, den man nicht einmal kannte. Ich persönlich wäre lieber tot als das Spielzeug eines Vampirs. . mal abgesehen von der Tatsache, dass ich mit einem zusammenlebte.
»Es ist Erpressung«, betonte ich noch einmal. Wir hatten gerade die Brücke über den Ohio überquert. Ich fragte mich, wo wir eigentlich hinfuhren, wenn nicht in die Hol ows.
Takatas schmale Schultern hoben sich. »Wenn ich auf Tour bin, bleibe ich überal einen Abend, höchstens zwei. Wenn jemand Ärger anzettelt, bleiben wir nicht lange genug, um ihn ausfindig zu machen, und jeder Grufti da draußen weiß das. Wo bleibt da die Motivation für einen reizbaren Vamp oder Tiermenschen, sich zu benehmen? Piscary hat verlauten lassen, dass jeder, der Ärger macht, ihm direkt Rede und Antwort stehen muss.«
Ich blickte auf, und es gefiel mir überhaupt nicht, dass das al es einen einfachen und eleganten Sinn ergab.
»Ich habe eine Show ohne Vorfäl e«, sagte Takata lächelnd,
»und Piscary bekommt sieben Prozent der Einnahmen aus den Ticketverkäufen. Beide Seiten gewinnen. Bis jetzt war ich mit Piscarys Diensten immer zufrieden. Es hat mich nicht mal gestört, dass er teurer wurde, um seinen Anwalt bezahlen zu können.«
Ich schnaubte und senkte den Blick. »Mein Fehler.«
»Davon habe ich gehört«, meinte der schlaksige Mann trocken. »Mr. Felps war sehr beeindruckt. Aber Saladan?«
Takatas Besorgnis kehrte zurück, und seine ausdrucksvol en Finger trommelten einen komplizierten Rhythmus, als er aus dem Fenster auf die vorbeiziehenden Gebäude starrte. »Ich kann es mir nicht leisten, beide zu bezahlen. Es würde nichts übrig bleiben, um die Heime der Stadt wieder aufzubauen, und das ist ja schließlich der Sinn des Konzerts.«
»Sie wol en sicherstel en, dass nichts passiert«, resümierte ich, und er nickte. Meine Augen blieben an der Jim-Beam-Abfül ungsfabrik neben der Schnel straße hängen, während ich diese Information verarbeitete. Saladan versuchte, auf Piscarys Gebiet vorzudringen, weil der untote Meistervampir für Mord hinter Gittern saß. Mehrere Morde, die ich ihm nachgewiesen hatte.
In einem vergeblichen Versuch, Jenks auf meiner Schulter anzusehen, drehte ich den Kopf. »Ich muss mit meinem anderen Partner reden«, sagte ich. »Wir werden zu dritt sein.
Ich, ein lebender Vampir und ein Mensch.« Ich wol te Nick dabeihaben, auch wenn er kein offiziel er Teil unserer Firma war.
»Und ich«, quietschte Jenks. »Ich auch. Ich auch.«
»Ich wol te nicht für dich sprechen, Jenks«, beruhigte ich ihn. »Es ist viel eicht kalt.«
Takata lachte leise. »Mit der ganzen Körperwärme und den Hunderten Scheinwerfern? Niemals.«
»Dann ist das entschieden«, sagte ich glücklich. »Ich nehme an, wir bekommen besondere Pässe?«
»Ja.« Takata streckte sich, um unter den Ordner mit den Autogrammkarten zu greifen. »Die hier bringen Sie an Clif-ford vorbei. Danach sol te es keine Probleme mehr geben.«
»Super«, sagte ich und wühlte in meiner Tasche nach einer meiner Visitenkarten. »Hier ist meine Karte, fal s Sie uns bis dahin noch einmal kontaktieren wol en.«
Plötzlich ging al es sehr schnel . Ich nahm den Packen aus dickem Karton entgegen, den er mir im Gegenzug für meine schwarze Geschäftskarte reichte. Er lächelte, als er sie ansah, und schob sie sich in die Hemdtasche. Mit demselben sanften Gesichtsausdruck drehte er sich um und klopfte mit dem Knöchel gegen die Scheibe zwischen dem Fahrer und uns. Ich presste meine Tasche an mich, als wir auf den Seitenstreifen einbogen.
»Danke, Rachel«, sagte er, als das Auto einfach auf der Schnel straße anhielt. »Ich sehe Sie am einundzwanzigsten, ungefähr zur Mittagsstunde im Coliseum, damit Sie die Security mit meinem Stab absprechen können.«
»Klingt gut«, stammelte ich. Jenks fluchte und tauchte in meine Tasche ab, als sich die Autotür öffnete. Kalte Luft drang herein, und ich blinzelte in das hel e Nachmittagslicht.
Hinter uns war mein Auto. Er wol te mich einfach hier raussetzen?
»Rachel? Ich meine es ernst. Danke.« Takata streckte die Hand aus. Ich schüttelte sie. Sein Händedruck war fest, und seine Hand fühlte sich dünn und knochig an. Professionel .
»Ich schätze das wirklich«, widerholte er, als er meine Hand losließ. »Es hat Ihnen gut getan, die I.S. zu verlassen. Sie sehen fantastisch aus.«
Ich musste einfach lächeln. »Danke«, sagte ich und ließ mir von dem Fahrer aus der Limousine helfen. Der Vamp, der mein Auto gefahren hatte, glitt an mir vorbei und verschwand in der dunkelsten Ecke der Limo, während ich meinen Mantelkragen zurechtrückte und mir meinen Schal wieder um den Hals wickelte. Takata winkte mir noch einmal zum Abschied zu, als der Fahrer die Tür schloss. Der kleine, ordentliche Mann nickte mir zu, bevor er sich abwandte. Ich stand im Schnee, während die Limousine sich wieder in den fahrenden Verkehr einfädelte und verschwand.
Mit meiner Tasche in der Hand beobachtete ich den Verkehr, bis ich in mein Auto schlüpfen konnte. Die Heizung war vol aufgedreht, und ich konnte noch den Vampir riechen, der es gefahren hatte. Ich atmete den Duft tief ein.
In meinem Kopf summte noch die Musik, die Takata mit mir geteilt hatte. Ich würde auf seinem Sonnenwendkonzert als Security arbeiten. Viel besser konnte es nicht mehr werden.
6
Ich hatte bereits gewendet und war auf meinem Weg zurück über den Ohio River und Richtung Hol ows, und Jenks hatte immer noch kein Wort gesagt. Der überwältigte Pixie saß auf seinem üblichen Platz auf dem Rückspiegel und beobachtete, wie die aufziehenden Wolken den strahlenden Nachmittag immer dunkler und bedrückender werden ließen.
Ich war mir ziemlich sicher, dass seine Flügel nicht wegen der Kälte blau gefärbt waren, da ich schließlich die Heizung vol aufgedreht hatte. Es war Verlegenheit.
»Jenks?«, erkundigte ich mich, und seine Flügel schwirrten plötzlich so schnel , dass ich sie nicht mehr sah.
»Sag nichts«, murmelte er kaum hörbar.
»Jenks, so schlimm war es nicht.«
Er drehte sich mit einem Ausdruck von Selbstekel auf dem Gesicht zu mir um. »Ich habe meinen Namen vergessen, Rachel.«
Ich konnte nicht anders, ich musste lächeln. »Ich werde es niemandem erzählen.«
In seine Flügel kehrte ein wenig Farbe zurück. »Wirklich?«, fragte er, und ich nickte. Man musste kein Genie sein, um sich auszurechnen, dass es für den profilneurotischen Pixie wichtig war, immer selbstbewusst zu sein und al es unter Kontrol e zu haben. Ich war mir sicher, dass daher auch seine große Klappe und sein viel zu dünner Geduldsfaden kamen.
»Erzähl es Ivy nicht«, sagte ich, »aber als ich ihm das erste Mal begegnet bin, bin ich fast vor ihm gekrochen. Er hätte es ausnutzen können und mich dann wegwerfen wie ein benutztes Taschentuch. Er hat es nicht getan. Stattdessen hat er mir das Gefühl gegeben, interessant und wichtig zu sein, obwohl mir bei der LS. zu dieser Zeit wirklich nur Deppenaufgaben übertragen wurden. Er ist cool, weißt du?
Eine wirkliche Persönlichkeit. Ich wette, er hat sich nichts dabei gedacht, dass du deinen Namen vergessen hast.«
Jenks seufzte, und sein ganzer Körper schwankte, als er ausatmete. »Du hast deine Ausfahrt verpasst.«
Ich schüttelte den Kopf und bremste an einer roten Ampel hinter einem nervigen SUV, an dem ich nicht vorbeischauen konnte. Der Aufkleber auf seiner Stoßstange verkündete
>Einige meiner besten Freunde sind Menschen. Lecker!<, und ich lächelte. So was gab es nur in den Hol ows. »Wenn wir schon unterwegs sind, würde ich gerne noch schauen, ob Nick schon wach ist«, erklärte ich. Mein Blick wanderte zu Jenks. »Hältst du es noch eine Weile aus?«
»Yeah«, sagte er. »Mir geht's gut, aber du machst einen Fehler.«
Die Ampel schaltete um, und ich würgte fast mein Auto ab.
Wir rutschten über die Kreuzung, weil die Räder auf dem Schneematsch durchdrehten, als ich Gas gab. »Wir haben heute am Zoo miteinander geredet«, sagte ich und fühlte mich innerlich ganz warm. »Ich glaube, es kommt al es in Ordnung. Und ich wil ihm die Backstage-Karten zeigen.«
Jenks' Flügel gaben ein hörbares Summen von sich. »Bist du sicher, Rachel? Ich meine, du hast ihn wirklich panisch gemacht, als du die Kraftlinie durch ihn gezogen hast.
Viel eicht sol test du ihn nicht unter Druck setzen. Gib ihm seinen Freiraum.«
»Den habe ich ihm drei Monate lang gelassen«, murmelte ich und kümmerte mich nicht darum, dass der Kerl im Auto hinter mir offensichtlich glaubte, dass ich mit ihm flirtete, weil ich dauernd in den Rückspiegel sah. »Noch mehr Freiraum und er wäre auf dem Mond. Ich wil nicht seine Wohnung neu einrichten, ich wil ihm nur die Pässe zeigen.«
Jenks sagte nichts, und sein Schweigen machte mich nervös. Meine Sorge verwandelte sich in Verwirrung, als ich in Nicks Parkplatz einbog und neben seinem zerbeulten blauen Truck anhielt. Auf dem Beifahrersitz stand ein Koffer, der heute Morgen noch nicht dagewesen war.
Mit zusammengepressten Lippen warf ich einen Blick auf Jenks, der nur unglücklich mit den Schultern zuckte. Kälte breitete sich in mir aus. Ich dachte noch einmal an die Unterhaltung heute früh. Wir würden heute Abend ins Kino gehen. Und er hatte gepackt? Er fuhr irgendwo hin?
»Geh in die Tasche«, sagte ich leise und weigerte mich, das Schlimmste zu glauben. Das war nicht das erste Mal, dass ich bei ihm vorbeigefahren war, nur um herauszufinden, dass er nicht da war oder gerade wegfuhr. In den letzten drei Monaten war er immer wieder mal da gewesen und mal nicht. Ich hatte meistens nicht einmal gewusst, dass er weg war, bis er wiederkam. Und jetzt war sein Telefon abgemeldet, und in seinem Truck stand ein Koffer? Hatte ich ihn missverstanden? Fal s das Date heute Abend zum Absägen gedacht war, würde ich einfach nur sterben.
»Rachel. .«
»Ich öffne jetzt die Tür«, sagte ich und steckte mit steifen Bewegungen meinen Schlüssel in die Tasche. »Wil st du hierbleiben und hoffen, dass es nicht zu kalt wird?«
Jenks flitzte zu mir herüber und schwebte vor mir. Er sah besorgt aus, obwohl er die Hände in die Hüften gestemmt hatte. »Lass mich raus, sobald wir im Haus sind«, verlangte er.
Als ich nickte, schnürte sich mir die Kehle zu, und er ließ sich langsam und widerwil ig in die Tasche sinken. Sorgfältig kontrol ierte ich die Verschlüsse und stieg aus. Ein zunehmendes Gefühl von Verrat ließ mich die Tür so heftig zuschlagen, dass mein kleines rotes Auto schwankte. Ich warf einen Blick auf die Ladefläche des Trucks und bemerkte, dass sie trocken und schneefrei war. Also war es sehr wahrscheinlich, dass Nick auch in den letzten Tagen nicht in Cincinnati gewesen war. Kein Wunder, dass ich ihn letzte Woche nicht gesehen hatte.
Ich folgte dem rutschigen Weg zur Eingangstür, und in meinem Kopf schwirrten die Gedanken. Dann riss ich die Tür auf und stampfte die Treppe hoch, wobei ich auf dem grauen Teppich immer kleiner werdende Häufchen von Schneematsch hinterließ. Im dritten Stock dachte ich schließlich daran, Jenks aus der Tasche zu lassen, und er schwebte lautlos neben mir her.
»Wir wol ten heute Abend ausgehen«, erklärte ich, als ich meine Handschuhe auszog und sie in eine Tasche stopfte.
»Es war schon seit Wochen offensichtlich, Jenks. Die kurzen Anrufe, die unangekündigten Trips aus der Stadt, die schon was-weiß-ich-wie-lange fehlenden zärtlichen Berührungen.«
»Zehn Wochen«, verkündete Jenks und hielt ohne Probleme mit mir Schritt.
»Oh, tatsächlich«, sagte ich bitter, »ich bin dir ja so dankbar für diese Information.«
»Immer langsam, Rache«, wiegelte er ab und hinterließ in seiner Sorge eine Spur aus Pixiestaub. »Viel eicht ist es nicht das, was du denkst.«
Ich war schon öfter abgesägt worden. Ich war nicht dämlich. Aber es tat weh. Verdammt, es tat weh.
In dem kahlen Treppenhaus gab es für Jenks keine angenehme Möglichkeit zu landen, und er ließ sich widerwil ig auf meiner Schulter nieder. Ich biss die Zähne so fest zusammen, dass es wehtat, und hob die Faust, um gegen Nicks Tür zu hämmern. Er musste zu Hause sein -
ohne seinen Truck ging er nirgendwohin -, aber bevor ich das erste Mal zuschlagen konnte, öffnete sich die Tür.
Mein Arm fiel nach unten, und ich starrte Nick an. Sein Gesicht zeigte dieselbe Überraschung wie meines. Sein Mantel war offen, und er hatte sich eine selbst gestrickte Mütze aus blauer Wol e tief über die Ohren gezogen.
Während ich ihn anstarrte, nahm er sie ab. Er verschob die Mütze und seine Schlüssel in die Hand, in der er auch eine unheimlich seriös wirkende Aktentasche trug, die überhaupt nicht zu seinem restlichen Outfit passte. Sein Haar war verstrubelt, und er strich es sich mit der freien Hand glatt, während er offenbar um Fassung bemüht war. An seinen Stiefeln klebte Schnee. Im Gegensatz zu seinem Truck.
Er stel te die Tasche auf den Boden. Seine Schlüssel klimperten. Dann nahm er einen tiefen Atemzug und stieß ihn langsam wieder aus. Die Schuld in seinen Augen sagte mir, dass ich recht hatte. »Hi, Ray-ray.«
»Hi, Nick«, sagte ich mit einer scharfen Betonung auf dem K. »Ich nehme an, unsere Verabredung ist abgesagt.«
Jenks Flügel brummten zur Begrüßung, und ich hasste ihn für den entschuldigenden Blick, den er Nick zuwarf. Zehn Zentimeter oder über ein Meter achtzig, sie waren doch al e Mitglied im selben Club. Nick machte keine Anstalten, mich in die Wohnung zu bitten.
»War das heute Abend als Trennungsessen geplant?«, fragte ich unvermittelt, weil ich es einfach nur hinter mich bringen wol te.
»Nein!«, protestierte er, aber sein Blick huschte kurz zu der Aktentasche.
»Gibt es jemand anderen, Nick? Ich bin schon ein großes Mädchen, ich kann damit umgehen.«
»Nein«, wiederholte er mit sanfterer Stimme. Frustriert verlagerte er sein Gewicht. Dann hob er die Hand und hielt kurz vor meiner Schulter inne, nur um sie dann wieder fal en zu lassen. »Nein.«
Ich wol te ihm glauben. Ich wol te es wirklich. »Was dann?«
Warum bat er mich nicht hinein? Warum verdammt noch mal mussten wir das im Treppenhaus regeln?
»Ray-ray«, flüsterte er und runzelte die Stirn. »Es liegt nicht an dir.«
Ich schloss erschöpft die Augen. Wie oft hatte ich das schon gehört?
Sein Fuß schob die teure Aktentasche in den Flur, und das schabende Geräusch ließ mich die Augen wieder öffnen. Ich trat zur Seite, als er aus der Wohnung trat und die Tür hinter sich schloss. »Es liegt nicht an dir«, wiederholte er, »und das heute Abend sol te kein Trennungsessen werden. Ich wil das zwischen uns nicht beenden. Aber es hat sich etwas ergeben, und ehrlich, das geht dich nichts an.«
Überrascht öffneten sich meine Lippen. Jenks Worte schossen mir durch den Kopf.
»Du hast immer noch Angst vor mir«, stel te ich fest, sauer, weil er mir nicht genug vertraute, um zu glauben, dass ich keine Kraftlinie mehr durch ihn ziehen würde.
»Habe ich nicht«, widersprach er wütend. Mit steifen Bewegungen verschloss er seine Wohnungstür, drehte sich wieder um und hielt den Schlüssel zwischen uns in die Höhe.
»Hier«, sagte er kampfeslustig. »Nimm meinen Schlüssel. Ich werde für eine Weile nicht in der Stadt sein. Ich wol te ihn dir heute Abend geben, aber da du schon da bist, kann ich mir die Mühe ja sparen. Ich habe einen Nachsendeauftrag für meine Post, und die Miete ist bis August im Voraus bezahlt.«
»August!«, stammelte ich entsetzt und hatte plötzlich Angst.
Er warf einen Blick zu Jenks. »Jenks, kann Jax herkommen und sich um meine Pflanzen kümmern, bis ich zurück bin?
Letztes Mal hat er es tol gemacht. Viel eicht ist es nur für eine Woche, aber ich habe die Heizung auf Automatik gestel t, fal s es länger dauert.«
»Nick«, protestierte ich, und meine Stimme klang geknickt.
Wie war das jetzt so schnell schiefgelaufen?
»Sicher«, sagte Jenks milde. »Wisst ihr, ich glaube, ich warte unten.«
»Nein, ich bin fertig.« Nick hob seine Aktentasche auf. »Ich werde heute Abend beschäftigt sein, aber ich komme später vorbei und sammle ihn auf, bevor ich die Stadt verlasse.«
»Nick, warte!« Mein Magen verkrampfte sich, und mir war schwindelig. Ich hätte den Mund halten sol en. Ich hätte den gepackten Koffer ignorieren und die dumme Freundin spielen sol en. Ich hätte mit ihm zum Abendessen gehen sol en und Hummer bestel en. Mein erster richtiger Freund seit fünf Jahren, und kaum normalisierten sich die Dinge zwischen uns, kam ich und verschreckte ihn. Wie al e anderen auch.
Jenks gab ein peinlich berührtes Geräusch von sich. »Äh, ihr findet mich bei der Eingangstür«, sagte er und schoss in einer Wolke aus Pixiestaub die Treppen hinunter.
Tiefe Traurigkeit spiegelte sich auf Nicks schmalem Gesicht, als er mir den Schlüssel in die Hand drückte. Seine Finger waren kalt. »Ich kann nicht. .« Er atmete tief ein und schaute mir in die Augen. Ich wartete, während ich gleichzeitig Angst davor hatte, was er sagen würde. Plötzlich wol te ich es nicht mehr hören.
»Rachel, ich wol te dir das eigentlich beim Abendessen sagen, aber. . ich habe es versucht. Ich habe es wirklich versucht. Ich kann das momentan einfach nicht«, begann er leise. »Ich wil dich nicht verlassen«, fügte er hinzu, bevor ich auch nur den Mund öffnen konnte. »Ich liebe dich, und ich wil mit dir zusammen sein. Viel eicht für den Rest meines Lebens. Ich weiß es nicht. Aber jedes Mal, wenn du eine Kraftlinie anzapfst, fühle ich es, und es fühlt sich an, als wäre ich zurück in diesem FIB-Wagen und hätte wieder einen epileptischen Anfal von der Linie, die du durch mich gezogen hast. Ich kann nicht atmen. Ich kann nicht denken.
Ich kann überhaupt nichts tun. Wenn ich weiter weg bin, ist es leichter. Ich muss einfach für eine Weile weg. Ich habe es dir nicht gesagt, weil ich wusste, dass du dich schlecht fühlen würdest.«
Mein Gesicht war kalt, und ich konnte nichts sagen. Er hatte mir nie gesagt, dass er meinetwegen einen Anfal erlitten hatte. Gott helfe mir, ich hatte es nicht gewusst. Jenks war bei ihm gewesen, warum hatte er es mir nicht gesagt?
»Ich brauche eine Atempause«, flüsterte er und drückte meine Hand. »Ein paar Tage, in denen ich nicht daran denke.«
»Ich höre auf«, versprach ich panisch. »Ich werde keine Kraftlinie mehr anzapfen. Nick, du musst nicht weggehen!«
»Doch, muss ich.« Er ließ meine Hände fal en und berührte kurz mein Kinn. Sein Lächeln war gequält. »Ich wil , dass du Kraftlinien anzapfst. Ich wil , dass du übst. Kraftlinien-Magie wird dir irgendwann das Leben retten, und ich wil , dass du die beste verdammte Kraftlinienhexe von ganz Cincinnati wirst.« Er atmete tief ein. »Aber ich muss ein bisschen Abstand zwischen uns bringen. Nur für eine Weile. Und ich habe in einem anderen Bundesstaat etwas zu erledigen. Das hat nichts mit dir zu tun. Ich werde zurückkommen.«
Aber er halte August gesagt. »Du wirst nicht zurückkommen«, sagte ich, und mein Hals wurde eng. »Du kommst noch einmal, um deine Bücher zu holen, und dann bist du weg.«
»Rachel. .«
»Nein.« Ich wandte mich ab. Der Schlüssel lag kalt in meiner Hand und schnitt mir in die Handfläche. Atme, ermahnte ich mich. »Geh einfach. Ich bringe Jax morgen hierher. Geh einfach.«
Ich schloss die Augen, als er mir eine Hand auf die Schulter legte, aber ich drehte mich nicht um. Als er sich näher zu mir lehnte und sein Geruch von alten Büchern und moderner Elektronik an meine Nase drang, riss ich sie wieder auf. »Danke, Rachel«, flüsterte er, und ich fühlte den kaum spürbaren Druck seiner Lippen auf den meinen. »Ich verlasse dich nicht. Ich werde zurückkommen.«
Ich hielt die Luft an und starrte auf den hässlichen grauen Teppich. Ich würde nicht weinen, verdammt noch mal.
Ich hörte, wie er kurz zögerte, und dann das Geräusch seiner Stiefel auf der Treppe. Mein Kopf begann zu schmerzen, als der startende Truckmotor die Fensterscheiben im Flur zum Vibrieren brachte. Erst als ich nichts mehr hören konnte, drehte ich mich um und folgte ihm mit langsamen Schritten und leerem Blick nach draußen.
Ich hatte es wieder getan.
7
Vorsichtig manövrierte ich mein Auto in die winzige Garage und machte erst das Licht und dann den Motor aus.
Deprimiert starrte ich an die verspachtelte Wand kaum einen Schritt vor meiner Motorhaube. Die Stil e wurde nur vom metal ischen Klicken des abkühlenden Motors durchbrochen.
Ivys Motorrad, für den Winter eingelagert, lehnte mit einer Plane bedeckt friedlich an der Seitenwand. Bald würde es dunkel sein. Ich wusste, dass ich Jenks nach drinnen ins Warme bringen sol te, aber mich abzuschnal en und auszusteigen erschien mir einfach zu mühsam.
Jenks forderte mit einem Flügelbrummen meine Aufmerksamkeit und landete auf dem Lenkrad. Meine Hände fielen in den Schoß, und meine Schultern sackten nach vorne. »Na ja, zumindest weißt du jetzt, woran du bist«, sagte er.
Wut flackerte kurz auf, nur um von Verzweiflung erstickt zu werden. »Er hat gesagt, dass er zurückkommt«, wehrte ich mürrisch ab. Ich musste diese Lüge glauben, bis ich mich innerlich auf die Wahrheit vorbereitet hatte.
Jenks schlang die Arme um sich, und seine Libel enflügel standen stil . »Rachel«, beschwor er mich, »ich mag Nick, aber du wirst genau zwei Anrufe bekommen: Einen, in dem er sagt, dass er dich vermisst und sich schon viel besser fühlt, und den zweiten und letzten, in dem er dir sagt, dass es ihm leid tut und du seinen Schlüssel doch bitte seinem Vermieter geben sol st.«
Ich starrte an die Wand. »Lass mich einfach dumm sein und ihm eine Weile lang glauben, okay?«
Der Pixie gab ein zustimmendes Geräusch von sich. Er sah durchgefroren aus. Seine Flügel waren fast schwarz, und er kauerte sich zitternd zusammen. Ich hatte ihn mit meinem Ausflug zu Nick über seine Grenzen hinaus belastet. Heute Abend würde ich definitiv Cookies backen, und sei es nur, weil er nicht so unterkühlt schlafen gehen sol te. Sonst wachte er mir viel eicht bis zum Frühjahr nicht mehr auf.
»Bereit?«, fragte ich, als ich meine Tasche öffnete.
Unbeholfen sprang er hinein, statt zu fliegen. Besorgt fragte ich mich, ob ich die Tasche viel eicht unter den Mantel stecken sol te, bis ich beschloss, sie noch in die Einkaufstüte zu stecken und diese oben fest zusammenzurol en.
Erst jetzt öffnete ich die Tür und achtete darauf, mit der Tür nicht gegen die Garagenwand zu schlagen. Mit der Tasche in der Hand ging ich über den geräumten Weg zur Eingangstür.
Eine schnittige schwarze Gorvette parkte neben dem Gehweg und wirkte gleichzeitig fehl am Platz und - in diesem Wetter - unsicher. Ich erkannte sie als Kistens, und meine Miene versteinerte. Ich hatte ihn für meinen Geschmack in letzter Zeit zu oft gesehen.
Der Wind biss in die unbedeckten Stel en meiner Haut. Ich warf einen Blick auf den Kirchturm, der sich deutlich vor den immer dunkler werdenden Wolken abzeichnete. Dann ging ich an Kistens fahrbarem Männlichkeitssymbol vorbei und stieg die Stufen zu unserer schweren hölzernen Doppeltür hinauf. Es gab kein normales Schloss. Von innen konnte man einen schweren Eichenbalken vorlegen, was ich auch jeden Morgen tat, bevor ich ins Bett ging. Ungeschickt bückte ich mich und fül te eine Tasse mit Enteisungskügelchen, die ich dann auf die Stufen schüttete, bevor der am Nachmittag geschmolzene Schnee festfrieren konnte.
Ich schob die Tür auf, und meine Haare bewegten sich in dem warmen Luftzug, der mir entgegenschlug. Sanfte Jazzklänge begleiteten ihn, und ich schlüpfte hinein, um dann hinter mir leise den Riegel vorzulegen. Ich wol te Kisten nicht unbedingt sehen - egal, wie sehr er das Auge erfreute
-, aber ich sol te ihm viel eicht dafür danken, dass er mich Takata empfohlen hatte.
In dem kleinen Foyer war es dunkel. Der sanfte Schein des Sonnenuntergangs, der aus dem Altarraum hereinfiel, half nicht viel. Die Luft roch nach Kaffee und Pflanzen, wie eine Mischung aus Gewächshaus und Cafe. Angenehm.
Ich legte Ceris Sachen auf den kleinen antiken Tisch, den Ivy bei ihren Eltern hatte mitgehen lassen, öffnete meine Tasche und schaute hinein. Jenks starrte zu mir herauf.
»Gott sein Dank«, murmelte er und erhob sich langsam in die Luft. Dann zögerte er und legte den Kopf schief, als er angestrengt lauschte. »Wo sind denn al e?«
Ich schüttelte meinen Mantel ab und hängte ihn an einen Haken. »Viel eicht hat Ivy deine Kinder wieder angeschrien, und sie verstecken sich noch. Wil st du dich beschweren?«
Er schüttelte den Kopf. Al erdings hatte er recht. Es war wirklich sehr stil . Zu stil . Normalerweise hörte man die trommelfel zerstörenden Schreie der Pixiekinder beim Fangen spielen, ab und zu das Klappern eines Küchenutensils, das auf dem Boden aufschlug, und Ivys Knurren, wenn sie sie schließlich zumindest aus dem Wohnzimmer verjagte. Die einzige Ruhepause, die wir bekamen, waren vier Stunden am Mittag und vier Stunden nach Mitternacht, in denen sie schliefen.
Die Wärme der Kirche wurde von Jenks aufgesogen, und seine Flügel waren bereits wieder durchscheinend und beweglich. Ich beschloss, Ceris Sachen liegen zu lassen, wo sie waren, bis ich sie ihr bringen konnte. Neben den Pfützen, die Kisten hinterlassen hatte, stampfte auch ich mir den Schnee von den Stiefeln und folgte Jenks aus dem dunklen Foyer in den stil en Altarraum.
Meine Schultern entspannten sich beim Anblick des gedämpften Lichts, das durch die Buntglasfenster fiel, die auf Kniehöhe begannen und bis zur Decke reichten. Ivys imposanter Flügel stand in einer Ecke im hinteren Teil. Er war gut gepflegt, ohne ein Staubkörnchen darauf - aber benutzt wurde er nur, wenn ich nicht zu Hause war. Mein mit Pflanzen übersäter Schreibtisch stand ihm schräg gegenüber auf der anderen Seite des Raums, ungefähr dort, wo sich früher der Altar befunden hatte. Auf der Wand dahinter war immer noch der riesige Schatten eines Kreuzes zu sehen, der gleichzeitig beruhigend und beschützend wirkte. Die Sitzbänke waren schon lange, bevor ich eingezogen war, entfernt worden. Was blieb, war ein hal ender Raum aus Holz und Glas, der Frieden, Einkehr, Gnade und Geborgenheit ausstrahlte. Hier war ich sicher.
Jenks erstarrte, und meine Instinkte schrien auf.
»Jetzt!«, ertönte eine schril e, durchdringende Stimme.
Jenks schoss geradeaus nach oben und ließ eine Wolke aus Pixiestaub hinter sich zurück wie ein Oktopus seine Tinte.
Mit klopfendem Herzen ließ ich mich auf den Holzboden fal en und rol te mich ab.
In scharfem Getrommel schlugen neben mir Geschosse im Parkett ein. Furcht brachte mich dazu, weiterzurol en, bis ich eine Ecke erreicht hatte. Ich zapfte die Kraftlinie im Garten an, und sofort durchfuhr und berauschte mich ihre Kraft.
»Rachel! Das sind meine Kinder!«, schrie Jenks in dem Moment, als mich ein Hagel aus winzigen Schneebäl en traf.
Ich schluckte mühsam das Wort der Beschwörung, mit dem ich meinen Kreis errichten wol te, hinunter und riss die ansteigende Energie in mich selbst zurück. Sie traf mich, und ich stöhnte, als im selben Moment noch mehr Energie aus der Kraftlinie in mich einschoss und denselben Platz in mir fül te. Ich schwankte, fiel auf ein Knie und kämpfte um Atem, bis der Uberschuss schließlich seinen Weg zurück in die Linie fand. Oh Gott. Ich fühlte mich, als stünde ich in Flammen. Ich hätte den Kreis einfach errichten sol en.
»Was bei Tinks heiligen Höschen habt ihr euch dabei gedacht?«, brül te Jenks. Er schwebte über mir, während ich angestrengt den Boden fokussierte. »Ihr sol tet es besser wissen! Einen Runner so anzugreifen! Sie ist ein Profi! Ihr werdet al e sterben! Und ich werde euch genau da verrotten lassen, wo ihr auf den Boden gefal en seid! Wir sind hier Gäste! In den Tisch. Al e. Jax, ich bin wirklich enttäuscht.«
Ich atmete tief ein. Verdammt. Das tat wirklich weh. Memo an mich selbst: Von jetzt an niemals wieder einen Kraftlinienzauber mittendrin abbrechen.
»Matalina!«, schrie Jenks. »Weißt du eigentlich, was unsere Kinder gerade treiben?«
Ich befeuchtete meine Lippen. »Ist in Ordnung«, sagte ich, aber als ich aufsah, war absolut niemand im Altarraum. Sogar Jenks war weg. »Ich liebe mein Leben«, murmelte ich und rappelte mich nach und nach vom Boden auf. Das brennende Kribbeln unter meiner Haut hatte nachgelassen. Mit rasendem Puls unterbrach ich den Kontakt zur Kraftlinie ganz und fühlte, wie die restliche Energie aus meinem Chi strömte und mich zitternd zurückließ.
Wie eine wütende Biene kam Jenks wieder aus den hinteren Zimmern geschossen. »Rachel«, sagte er, als er vor mir anhielt. »Es tut mir leid. Sie hatten den Schnee gefunden, den Kist an seinen Schuhen reingetragen hatte, und er hat ihnen von den Schneebal schlachten seiner Kindheit erzählt.
Oh, schau dir das an. Sie haben dich ganz nass gemacht.«
Matalina, Jenks Ehefrau, schoss in einer Wel e von grauer und blauer Seide in den Raum. Sie warf mir einen verlegenen Blick zu und verschwand unter dem hölzernen Rol o, mit dem man den Schreibtisch verschließen konnte. Plötzlich bekam ich Kopfweh, und meine Augen tränten. Offenbar war Matalinas Schimpftirade so hoch, dass ich sie nicht hören konnte.
Erschöpft richtete ich mich ganz auf und zog meinen Pul over gerade. Kleine nasse Stel en wie von Wassertropfen zeigten, wo ich getroffen worden war. Wären es Fairy-kil er mit Zaubern gewesen statt Pixies mit Schneebäl en, wäre ich jetzt tot. Mein Herzschlag verlangsamte sich, und ich schnappte mir meine Tasche vom Fußboden. »Es ist okay«, sagte ich peinlich berührt und wünschte mir, Jenks würde einfach den Mund halten. »Kein Aufstand. Kinder sind nun mal Kinder.«
Jenks schwebte vor mir, offensichtlich unentschlossen.
»Yeah, aber es sind meine Kinder, und wir sind hier Gäste. Sie werden sich bei dir entschuldigen. Und das ist nur der Anfang.«
Ich bedeutete ihm noch mal, dass er es gut sein lassen sol te, und stolperte auf der Suche nach der Quel e des Kaffeedufts den dunklen Flur entlang. Zumindest hat niemand gesehen, wie ich mich auf dem Boden gewälzt habe, um Pixie-Schneebällen auszuweichen, dachte ich. Tumult dieser Art war seit dem ersten Frost und dem Einzug von Jenks Familie fast al täglich geworden. Al erdings konnte ich jetzt definitiv nicht mehr so tun, als wäre ich nicht da.
Außerdem hatten sie wahrscheinlich sowieso die frische Luft gerochen, als ich reingekommen war.
Ich kam an den gegenüberliegenden, ursprünglich einmal für Damen und Herren konzipierten Toiletten vorbei, die inzwischen in ein normales Badezimmer und ein Bad mit Waschraum umgewandelt worden waren. Das zweite war meins. Mein Zimmer lag auf der rechten Seite des Flurs, Ivys direkt gegenüber. Als Nächstes kam die Küche, und ich bog nach links ab. Der Plan war, mir einen Kaffee zu holen und mich dann in meinem Zimmer zu verkriechen, um Kisten nicht begegnen zu müssen.
Ich hatte den Fehler gemacht, ihn in einem Lift einmal zu küssen, und er ließ sich keine Gelegenheit entgehen, mich daran zu erinnern. Da ich zu diesem Zeitpunkt gedacht hatte, dass ich die Nacht nicht überleben würde, hatte ich al e Vorsicht über Bord geworfen, mich einfach amüsiert und der Verlockung der vampirischen Leidenschaft nachgegeben.
Und was noch schlimmer war: Kisten wusste, dass ich die Kontrol e verloren hatte und kurz davor gewesen war, Ja zu sagen.
Erschöpft betätigte ich mit dem El bogen den Lichtschalter und ließ meine Tasche auf die Anrichte fal en. Neonleuchten gingen flackernd an und ließen Mr. Fish panisch in seinem Glas herumschießen. Sanfte Jazzmusik und eine gemurmelte Unterhaltung drangen aus dem uneinsehbaren Wohnzimmer zu mir herüber. Kistens Ledermantel lag über der Lehne von Ivys Computersessel. Die Kaffeekanne war halb vol , und nach kurzem Nachdenken schüttete ich den gesamten Rest in meine riesige Tasse. Ich setzte neuen Kaffee auf und bemühte mich, dabei möglichst leise zu sein. Ich wol te nicht lauschen, aber Kistens Stimme war warm und schmeichelnd wie ein Schaumbad.
»Ivy, Liebes«, bettelte er, als ich den Kaffee aus dem Kühlschrank holte. »Es ist nur eine Nacht. Viel eicht nur eine Stunde. Rein und wieder raus.«
»Nein.«
Ivys Stimme klang kalt, und die Warnung, die darin lag, war offensichtlich. Kisten bedrängte sie länger, als ich es wagen würde, aber die beiden waren auch zusammen aufgewachsen. Beide waren sie Kinder wohlhabender Eltern, und diese Eltern erwarteten von ihnen, dass sie die Familien vereinten und kleine Vampir-Gören in die Welt setzten, um Piscarys Dynastie von lebenden Vampiren fortzuführen, bevor sie starben und zu richtigen Untoten wurden. Das würde nicht passieren - also die Hochzeit, nicht das zu Untoten werden. Sie hatten es schon einmal mit einer Beziehung probiert, auch wenn keiner von beiden darüber sprach; es war klar, dass es abgekühlt war, bis es nicht viel mehr war als eine etwas ungewöhnliche Geschwisterliebe.
»Du musst nicht mal etwas tun«, bemühte sich Kisten nun mit seinem aufgesetzten britischen Akzent, Ivy zu überzeugen. »Sei einfach nur da. Ich werde reden.«
»Nein.«
Jemand schaltete abrupt die Musik ab, und ich öffnete auf der Suche nach dem Messlöffel für das Kaffeepulver leise die Besteckschublade. Drei Pixiemädchen schossen kreischen daraus hervor. Ich unterdrückte mit Mühe einen Aufschrei, und mein Herz klopfte, als sie in Richtung Flur verschwanden. Meine Bewegungen waren nach dem Schreck hektisch, fahrig wühlte ich in der Schublade herum und fand nichts. Schließlich entdeckte ich den Messlöffel in der Spüle.
Offensichtlich hatte Kisten den Kaffee gemacht, denn wäre es Ivy gewesen, hätte ihr idiotischer Ordnungswahn dazu geführt, dass sie ihn abgespült, getrocknet und wieder in die Schublade gelegt hätte.
»Warum nicht?« Kistens Stimme klang inzwischen gereizt.
»Er verlangt doch wirklich nicht viel.«
Ivys Stimme war kontrol iert, kochte aber gleichzeitig vor Wut. »Ich wil diesen Bastard überhaupt nicht in meinem Geist. Wieso sol te ich ihn durch meine Augen blicken lassen? Meine Gefühle spüren lassen?«
Die Kanne hing in meinen Fingern, während ich regungslos an der Spüle stand. Ich wünschte, ich würde al das nicht hören.
»Aber er liebt dich«, flüsterte Kisten, verletzt und eifersüchtig. »Du bist sein Nachkomme.«
»Er liebt mich nicht. Er liebt es, dass ich gegen ihn kämpfe.« Ihr Ton war bitter, und ich konnte fast sehen, wie sich ihr perfektes, orientalisch angehauchtes Gesicht ärgerlich verzog.
»Ivy«, schmeichelte Kisten. »Es fühlt sich gut an, berauschend. Die Macht, die er mit dir teilt. .«
»Ist eine Lüge!«, schrie sie, und ich zuckte zusammen. »Du wil st das Prestige? Die Macht? Du wil st weiter Piscarys Geschäfte führen? Weiterhin so tun, als wärst du sein Nachkomme? Das interessiert mich nicht! Aber ich werde ihn nicht in meinen Kopf lassen, um dich zu decken!«
Ich ließ deutlich hörbar Wasser in die Kanne laufen, um sie daran zu erinnern, dass ich al es mitbekam. Ich wol te nicht noch mehr belauschen, und ich wünschte mir, sie würden einfach aufhören.
Kistens Seufzer war lang und kam von Herzen. »So funktioniert es nicht. Wenn er dich wirklich wil , kannst du ihn nicht aufhalten, Ivy, Liebste.«
»Halt. Den. Mund.«
Diese Worte waren so vol beherrschtem Zorn, dass ich ein Schaudern unterdrücken musste. Die Kanne floss über, und ich erschrak, als Wasser auf meine Hand floss. Ich drehte es aus und schüttete die überschüssige Flüssigkeit ab.
Aus dem Wohnzimmer drang ein hölzernes Knarren zu mir.
Mein Magen verkrampfte sich. Irgendjemand hatte gerade jemand anderen auf einem Stuhl festgenagelt.
»Mach nur«, murmelte Kisten, und ich hörte ihn über das Plätschern des Wassers, das ich gerade in die Kaffeemaschine schüttete. »Versenk deine Zähne. Ich weiß, dass du es wil st. Wie in alten Zeiten. Piscary fühlt al es, was du fühlst, ob du es wil st oder nicht. Was glaubst du, warum du es in letzter Zeit nicht geschafft hast, dich von Blut fernzuhalten? Drei Jahre Enthaltsamkeit, und jetzt schaffst du es keine drei Tage. Gib auf, Ivy. Es würde ihn freuen, wenn wir beide uns endlich wieder amüsieren. Und viel eicht versteht deine Mitbewohnerin es dann endlich. Sie hat einmal fast Ja gesagt. Al erdings nicht zu dir. Zu mir.«
Ich versteifte mich. Diese Worte waren an mich gerichtet gewesen, aber ich war nicht bei ihnen im Raum, auch wenn ich es genauso gut hätte sein können.
Ein weiteres Knarren von Holz. »Nimm ihr Blut, und ich werde dich töten, Kist. Das schwöre ich.«
Ich sah mich in der Küche nach einem Fluchtweg um, aber es war zu spät. Ivy stand bereits im Türbogen. Sie zögerte und wirkte völ ig durcheinander, als sie mit ihrer unheimlichen Fähigkeit, Körpersprache zu lesen, in einem kurzen Moment mein Unbehagen registrierte. Vor ihr Geheimnisse zu haben war mehr als schwierig. Ihre Stirn war vor Wut auf Kisten gerunzelt, und die aggressive Frustration, die sie ausstrahlte, ließ mich nichts Gutes erwarten, selbst wenn ihre Gefühle nicht gegen mich gerichtet waren. Ihre hel e Haut leuchtete in sanftem Pink, als sie sich bemühte, sich zu beruhigen, und das ließ die feine Narbe an ihrem Hals noch deutlicher hervortreten. Sie hatte sich sogar operieren lassen, um das physische Zeichen von Piscarys Besitzanspruch loszuwerden, aber man sah die Narbe immer, wenn sie aufgebracht war. Und sie wol te einfach keinen Teint-Zauber von mir annehmen. Den Grund dafür musste ich noch herausfinden.
Als sie mich stil neben der Spüle stehen sah, huschten ihre braunen Augen von meiner dampfenden Tasse zur leeren Kaffeekanne. Ich zuckte mit den Schultern und betätigte den Schalter, um die Maschine anzuschmeißen. Was sol te ich schon sagen?
Ivy setzte sich in Bewegung und stel te ihre leere Tasse auf der Arbeitsfläche ab. Sie strich ihre glatten schwarzen Haare zurück und sammelte sich wieder. »Du bist aufgeregt«, stel te sie fest, und die Wut auf Kisten ließ ihre Stimme rau klingen.
»Was ist los?«
Ich zog die Backstage-Pässe hervor und hängte sie mit einem tomatenförmigen Magneten an den Kühlschrank.
Meine Gedanken wanderten zu Nick und dann zu dem Moment, als ich mich über den Boden gewälzt hatte, um den Schneebäl en der Pixies zu entkommen. Und ich durfte nicht vergessen, wie glücklich es mich gemacht hatte, dass sie Kisten wegen meines Bluts bedroht hatte, das sie selbst niemals schmecken würde. Hexenkind, so viele Anlässe zur Wahl.
»Nichts«, sagte ich leise.
Sie sah attraktiv und geschmeidig aus in ihren Jeans mit Hemd, als sie die Arme verschränkte und sich neben der Kaffeemaschine gegen die Arbeitsfläche lehnte, um zu warten, bis der Kaffee fertig war. Ihre schmalen Lippen waren zusammengepresst, und sie atmete schwer. »Du hast geweint. Was ist los?«
Überraschung lähmte mich. Sie wusste, dass ich geweint hatte? Es waren nur drei Tränen gewesen. An der Ampel. Und ich hatte sie sogar schon weggewischt, bevor sie mir überhaupt über die Wange gelaufen waren. Ich warf einen Blick in Richtung Flur, weil ich nicht wol te, dass Kisten es erfuhr. »Ich erzähle es dir später, okay?«
Ivys Blick folgte meinem zum Flur. Verwirrt kniff sie die Augen zusammen, dann breitete sich Verständnis auf ihrem Gesicht aus; sie wusste, dass ich abgesägt worden war. Ich beobachtete sie genau, als sie kurz blinzelte, und war erleichtert, als ich sah, wie der kurze Impuls von Blutdurst, der wohl durch meine neue, freie Position ausgelöst worden war, wieder erstarb.
Lebende Vampire brauchten im Gegensatz zu untoten Vampiren kein Blut, um nicht wahnsinnig zu werden. Es verlangte sie trotzdem danach, und sie wählten die Personen, von denen sie es sich holten, sorgfältig aus. Ihre Wahl folgte meistens ihren sexuel en Vorlieben, in der Hoffnung, dass Sex viel eicht auch noch mit drin war. Aber Blut zu nehmen konnte viele Bedeutungen haben: von der Bestätigung einer tiefen, platonischen Zuneigung bis hin zur Seichtheit eines One-Night-Stands. Wie die meisten lebenden Vampire sagte Ivy immer wieder, dass sie Blut nicht mit Sex gleichsetzte, aber ich tat es. Die Empfindungen, die ein Vampir in mir auslösen konnte, waren sexuel er Ekstase einfach zu ähnlich, um es anders zu sehen.
Nachdem ich sie zweimal mit Kraftlinienenergie gegen die Wand geschmissen hatte, hatte Ivy schließlich verstanden, dass ich zwar ihre Freundin war, dass ich aber nie, wirklich niemals, dazu bereit sein würde. Danach war es einfacher geworden, auch, weil sie wieder praktizierte und ihre Bedürfnisse woanders stil te. Wenn sie nach Hause kam, war sie satt, entspannt und erfül t von unterschwel igem Selbsthass, weil sie wieder nachgegeben hatte.
Im Laufe des Sommers schien sie ihre Bemühungen anders ausgerichtet zu haben: Wo sie vorher versucht hatte, mich davon zu überzeugen, dass mich zu beißen nicht hieß, Sex mit mir zu haben, richtete sie jetzt ihre gesamten Kräfte darauf, sicherzustel en, dass kein anderer Vampir mir nachstel te. Wenn sie mein Blut nicht haben konnte, dann sol te es niemand haben. Sie stürzte sich mit al er Macht in einen beunruhigenden, wenn auch schmeichelhaften Kreuzzug, andere Vampire davon abzuhalten, meine Dämonennarbe auszunutzen und mich in ein Dasein als ihr Schatten zu locken. Mit Ivy zu leben schützte mich vor ihnen
- ein Schutz, den anzunehmen ich keineswegs zu stolz war -, und als Gegenleistung war ich vorbehaltlos ihre Freundin.
Und auch wenn das wahrscheinlich wie eine einseitige Geschichte klang, es war keine.
Ivy war eine sehr pflegebedürftige Freundin und eifersüchtig auf jeden, der meine Aufmerksamkeit erregte, auch wenn sie es gut versteckte. Sie duldete schon Nick kaum. Kisten al erdings schien eine Ausnahme zu sein, was in mir ein ach so warmes und verwirrtes Gefühl aufkommen ließ. Als ich meinen Kaffee zum Mund hob, ertappte ich mich dabei, wie ich mir wünschte, dass sie heute Abend ausging und ihre verdammte Blutlust befriedigte, damit sie mich nicht den Rest der Woche ansah wie ein hungriger Panther.
Ich fühlte, wie sich die Stimmung plötzlich von Ärger zu Erwartung wandelte, starrte auf die laufende Kaffeemaschine und dachte nur noch an Flucht.
»Wil st du meinen?«, fragte ich. »Ich habe noch nichts getrunken.«
Mein Kopf flog herum, als ich Kistens leises Lachen hörte.
Er war ohne Vorwarnung im Türbogen erschienen. »Ich habe auch noch nichts getrunken«, sagte er anzüglich. »Ich hätte gern etwas, wenn du es so nett anbietest.«
Ich erinnerte mich plötzlich an Kisten und mich in diesem Aufzug: wie meine Finger mit den seidigen Strähnen seines blond gefärbten Haares am Nackenansatz gespielt hatten; das Gefühl seines gepflegten Dreitagebarts, mit dem er seinem Gesicht einen wilden Anstrich geben wol te, auf meiner Haut; seine gleichzeitig sanften und fordernden Lippen, die mich schmeckten; das Gefühl seiner Hände auf meinem Nacken, die mich gegen ihn pressten. Verdammt.
Ich riss meinen Blick von ihm los und zwang meine Hand von meinem Hals, wo ich unbewusst meine Dämonennarbe berührt hatte, um das Prickeln zu fühlen, das von seinen Vamp-Pheromonen ausgelöst wurde. Verdammt, verdammt.
Offenbar zufrieden mit sich setzte er sich in Ivys Stuhl.
Anscheinend glaubte er zu wissen, was ich dachte. Aber wenn man sich seinen wohlgeformten Körper so ansah, war es auch schwer, an etwas anderes zu denken.
Kisten war auch ein lebender Vampir, mit einer Abstammung, die mindestens so alt war wie Ivys. Er war früher Piscarys Nachkomme gewesen, und man konnte immer noch sehen, dass er einmal Blut mit einem untoten Vampir getauscht hatte. Obwohl er oft den Playboy spielte, in schwarzem Leder auftrat und mit einem affektierten britischen Akzent sprach, verbarg er dahinter nur seine geschäftlichen Fähigkeiten. Er war intel igent. Und schnel .
Und wenn er auch nicht so mächtig war wie ein untoter Vampir, war er doch stärker, als es sein kompakter Körperbau und seine schmalen Hüften vermuten ließen.
Heute war er fast konservativ gekleidet, mit einem seidenen Hemd, das in dunkle Hosen gesteckt war.
Offensichtlich versuchte er, wie ein Geschäftsmann auszusehen, jetzt, wo er mehr und mehr von Piscarys Angelegenheiten regelte, während der Vampir im Knast saß.
Die einzigen sichtbaren Zeichen von Kistens Rol e als böser Bube waren die graue Metal kette um seinen Hals ~ ein genaues Ebenbild von der, die Ivy um den Knöchel trug -
und die zwei Diamantenstecker, die er in jedem Ohr trug.
Zumindest sol ten es zwei in jedem Ohr sein. Jemand hatte ihm einen Ohrring ausgerissen und dabei eine hässliche Narbe hinterlassen.
Kisten lümmelte mit lässig gespreizten Beinen in Ivys Stuhl und lehnte sich zurück, als er die Stimmungen im Raum einschätzte. Ich ertappte mich dabei, dass meine Hand schon wieder zu meinem Hals wanderte, und zog eine Grimasse. Er versuchte, mich in seinen Bann zu ziehen, in meinen Kopf einzudringen und meine Gedanken und Entscheidungen zu beeinflussen. Es würde nicht funktionieren. Nur die Untoten konnten Widerwil ige in ihren Bann ziehen, und Kisten konnte nicht länger auf Piscarys Stärke zurückgreifen, die ihm die größeren Fähigkeiten eines untoten Vampirs verliehen hatte.
Ivy zog den fertigen Kaffee unter dem Brüharm heraus.
»Lass Rachel in Ruhe«, sagte sie, und es war deutlich, dass sie die dominantere von den beiden war. »Nick hat sie gerade abgesägt.«
Mir stockte der Atem, und ich starrte Ivy bestürzt an. Ich hatte nicht gewol t, dass er es erfuhr!
»Na ja. .«, murmelte Kisten, lehnte sich nach vorne und stützte die El bogen auf die Knie. »Er war sowieso nicht gut für dich, Liebes.«
Irritiert brachte ich die Arbeitsplatte zwischen ihn und mich. »Ich heiße Rachel. Nicht Liebes.«
»Rachel«, sagte er leise, und mein Herz klopfte, als ich den Zwang spürte, den er in das eine, kurze Wort legte. Ich warf einen Blick aus dem Fenster in den verschneiten Garten und die Grabsteine dahinter. Warum zum Wandel stand ich hier kurz vor Sonnenuntergang mit zwei hungrigen Vampiren in meiner Küche? Hatten sie nichts anderes zu tun? Zum Beispiel jemand anderen beißen als mich?
»Er hat mich nicht abgesägt«, sagte ich, schnappte mir das Fischfutter und kümmerte mich um Mr. Fish. Ich konnte im dunklen Fenster Kistens Spiegelbild sehen. »Er ist für ein paar Tage nicht in der Stadt. Hat mir seinen Schlüssel gegeben, damit ich auf al es aufpasse und seinen Briefkasten leere.«
»Oh.« Kisten warf Ivy einen Seitenblick zu. »Ein längerer Ausflug?«
Nervös stel te ich das Fischfutter ab und drehte mich um.
»Er hat gesagt, dass er wiederkommt«, protestierte ich, und meine Miene versteinerte, als ich die hässliche Wahrheit hinter meinen eigenen Worten hörte. Warum sol te Nick so betonen, dass er zurückkommen würde, wenn er nicht daran gedacht hatte, es nicht zu tun?
Während die zwei Vamps weiter schweigend Blicke austauschten, suchte ich ein ganz profanes Kochbuch zwischen meinen Zauberbüchern hervor und ließ es mit einem Knal auf den Tresen fal en. Ich hatte Jenks für heute den Ofen versprochen. »Versuch nicht mal, mich über die Enttäuschung hinwegzutrösten, Kisten«, warnte ich.
»Würde ich nie wagen.« Die sanfte, langsame Betonung seiner Antwort behauptete das Gegenteil.
»Weil du nicht fähig wärst, auch nur halb so viel Mann zu sein, wie Nick es war«, sagte ich dummerweise.
»Hohe Anforderungen, hm?«