10.

 

Un­se­re Si­tua­ti­on war schlecht. Wir wuß­ten schon viel, zu­ge­ge­ben; den­noch wa­ren wir zu ei­ner er­schre­cken­den Hilf­lo­sig­keit ver­dammt. Un­ser fun­dier­tes Wis­sen über die wah­ren Hin­ter­grün­de der Seu­che nütz­te uns über­haupt nichts.

So­gar mit Ma­jor Need­le konn­ten wir nichts an­fan­gen, ob­wohl es kei­nes Be­wei­ses mehr be­durf­te, daß man ihn geis­tig aus­ge­schal­tet hat­te. Pro­fes­sor Ab­dil Tar­stu hät­te ihm so­fort hel­fen kön­nen. Für den ge­nia­len Chir­ur­gen wä­re es nicht schwie­rig ge­we­sen, den Sug­ge­s­ti­v­emp­fän­ger aus Need­les Ge­hirn zu ent­fer­nen und un­se­rem Kol­le­gen die völ­li­ge Nor­ma­li­tät zu­rück­zu­ge­ben.

Ich hat­te schwe­ren Her­zens die An­wei­sung er­tei­len müs­sen, vor­läu­fig noch auf die Ope­ra­ti­on zu ver­zich­ten. Die Ent­fer­nung des Emp­fän­gers hät­te un­se­re ge­rin­gen An­fangs­er­fol­ge zu­nich­te ge­macht.

Wir wa­ren mit un­se­rem La­tein am En­de, wie man so schön sagt! Un­se­re Leu­te hat­ten die ehe­ma­li­ge Raum­ab­wehr­fes­tung ge­nau durch­sucht. Die gi­gan­ti­sche Kup­pel aus MA-Me­tall ent­hielt die fürch­ter­lichs­ten Waf­fen, die sich ein mensch­li­cher Geist über­haupt aus­den­ken konn­te. Wir durf­ten es nicht wa­gen, auch nur ei­ne ein­zi­ge Schal­tung zum Zwe­cke der For­schung vor­zu­neh­men. Wir wa­ren hilflo­ser denn je.

Die Kup­pel rag­te nur mit ih­rer obe­ren Run­dung aus dem ro­ten Sand her­aus. In Wirk­lich­keit reich­ten die MA-Stahl­wän­de bis zum über­weh­ten Be­lag des al­ten Raum­ha­fens hin­ab.

Aber auch dort fan­den sie noch kein En­de! Die Fach­leu­te der Mars­ex­pe­di­ti­on hat­ten schon vor ei­nem hal­b­en Jahr fest­ge­stellt, daß die un­ter der Ober­flä­che lie­gen­den An­la­gen der Fes­tung fast ein­tau­send Me­ter tief reich­ten.

Es war al­les so un­ge­heu­er­lich, so schwer er­faß­bar. Die Räum­lich­kei­ten konn­ten über­haupt nicht über­se­hen, ge­schwei­ge denn ge­nau er­forscht wer­den. Wir wa­ren an un­se­ren Gren­zen an­ge­kom­men. Es muß­te vie­le Jahr­zehn­te dau­ern, bis wir fä­hig wa­ren, nur einen Teil die­ser zahl­lo­sen Ma­schi­nen und Waf­fen ei­ni­ger­ma­ßen zu be­herr­schen. Es war ei­ne Auf­ga­be für Ge­ne­ra­tio­nen.

Die Raum­ab­wehr­fes­tung bil­de­te aber nicht ein­mal den Kern­punkt un­se­rer in­di­rek­ten Nie­der­la­ge!

Un­ter ihr, noch­mals tau­send Me­ter tiefer, be­gann die mar­sia­ni­sche Stadt Top­thar.

Stel­len Sie sich ein­mal vor, man wür­de bei­spiels­wei­se New York mit all den Vor­or­ten und au­ßer­halb lie­gen­den In­dus­trie­be­zir­ken tief im Schoß der Er­de ein­bet­ten kön­nen. Das er­gä­be ein be­bau­tes Ge­biet von ge­wiß rie­sen­haf­ter Aus­deh­nung, größ­ter Ver­schach­te­lun­gen und zwangs­läu­fi­ger Un­über­sicht­lich­keit.

Top­thar war die Haupt­stadt des Mars ge­we­sen. Sie hat­te et­wa acht­zehn Mil­lio­nen Ein­woh­ner be­her­bergt!

Mir schwin­del­te, wenn ich an die wahr­haft ti­ta­ni­sche Aus­deh­nung die­ser un­ter­mar­sia­ni­schen Sied­lung dach­te. Al­lein die voll­au­to­ma­ti­schen Raum­schif­fa­bri­ken be­an­spruch­ten mehr Platz als un­ser größ­ter ir­di­scher Raum­ha­fen. Auch war Top­thar nicht auf nur ei­ner Ebe­ne er­baut wor­den. Die mar­sia­ni­schen Tief­bau­in­ge­nieu­re hat­ten die Sied­lung in zehn Ter­ras­sen an­ge­legt! Das be­deu­te­te, daß wir mit tie­fen­mä­ßig ver­schie­de­nen Ebe­nen zwi­schen zwei­tau­send und fünf­tau­send Me­ter zu rech­nen hat­ten.

Un­ter die­sen Vor­aus­set­zun­gen su­chen Sie ein­mal die Räu­me, in de­nen sich die Zen­tra­le der Ve­nu­sier be­fin­den könn­te. Es war ein­fach un­mög­lich.

Die Schwie­rig­kei­ten bei der Er­mitt­lung stei­ger­ten sich. Dar­über hin­aus konn­te nicht mit Si­cher­heit an­ge­nom­men wer­den, daß sich die me­ta­bo­li­schen We­sen über­haupt in Top­thar auf­hiel­ten, denn der Mars war in der fer­nen Ver­gan­gen­heit wäh­rend des Hun­dert­jäh­ri­gen Krie­ges förm­lich aus­ge­höhlt wor­den. Ei­ne radar­tech­ni­sche Über­wa­chung des Luft- und Welt­rau­mes über dem Him­mels­kör­per war eben­falls un­durch­führ­bar. Wir be­fan­den uns eben nicht auf der Er­de mit ih­rem lücken­lo­sen Or­tungs­ring aus hoch­wer­ti­gen Ra­dar- und In­fra­rot­sta­tio­nen.

Auf dem Ro­ten Pla­ne­ten hat­ten wir le­dig­lich einen win­zi­gen Fleck der Ober­flä­che be­setzt. Wie soll­ten wir fest­stel­len, ob nun ve­nu­si­sche Ein­flü­ge er­folg­ten oder nicht? Es wa­ren un­lös­ba­re Pro­ble­me; es war zum Ver­zwei­feln.

Trotz un­se­res Wis­sens um die Hin­ter­grün­de tapp­ten wir im dun­keln. Wir ka­men nicht an den Geg­ner her­an.

Man­zo hat­te die füh­ren­den Wis­sen­schaft­ler und Of­fi­zie­re aus dem In­ter­na­tio­na­len-Mars­kom­man­do ge­tes­tet. Au­ßer Ma­jor Need­le tru­gen noch sechs Män­ner die Sug­ge­s­ti­v­emp­fän­ger un­ter der Schä­del­de­cke. Wir konn­ten uns dement­spre­chend ver­hal­ten und ein­rich­ten, aber das war auch al­les.

Die aus­führ­li­chen Ver­hö­re der Män­ner des Stütz­punk­tes hat­ten kaum An­halts­punk­te er­ge­ben. Wir hat­ten ver­sucht, her­aus­zu­fin­den, wie es zu der In­fi­zie­rung je­ner ein­und­drei­ßig Mars-Sol­da­ten ge­kom­men war, die im End­ef­fekt die Seu­che ein­ge­schleppt hat­ten.

Wir hat­ten ei­ne Teil­lö­sung ge­fun­den. TS-19 konn­te er­mit­teln, daß die­se Sol­da­ten zu ei­nem Strei­fen­kom­man­do ge­hört hat­ten. Bei ei­ner der aus­ge­dehn­ten Fahr­ten in die wei­te­re Um­ge­bung des al­ten Raum­ha­fens muß­ten die Leu­te ge­faßt und in­fi­ziert wor­den sein.

Mit der Er­kennt­nis ließ sich aber auch nichts an­fan­gen. Wir wa­ren »aus­ge­brannt«, wie sich die ZBV-Agen­ten der GWA aus­drück­ten, wenn sich ih­re Mög­lich­kei­ten er­schöpft hat­ten.

Für uns gab es nur noch ei­ne Lö­sung, die aber mit je­der ver­strei­chen­den Stun­de in end­lo­se­re Fer­nen zu rücken schi­en. Wir muß­ten dar­auf hof­fen, daß sich die Frem­den von selbst mel­de­ten. Nur so konn­ten wir zum er­sehn­ten Er­folg kom­men; nur so konn­ten wir her­aus­fin­den, wo die­se Bur­schen zu su­chen wa­ren.

Was nütz­ten uns un­se­re Waf­fen und un­se­re fä­hi­gen Män­ner, wenn sich kei­ne An­griffs­punk­te bo­ten! Un­se­re Ge­duld wur­de auf ei­ne har­te Pro­be ge­stellt. Ich durf­te gar nicht an die ver­zwei­fel­te Si­tua­ti­on auf der Er­de den­ken, wenn ich nicht ei­ne Ner­ven­kri­se her­auf­be­schwö­ren woll­te.

 

Han­ni­bal saß in ei­ner Ecke des großen Raum­es, des­sen Ein­rich­tung fremd und ver­wir­rend war. Die fla­chen Lie­gen kann­ten wir be­reits vom Mond her. Das dif­fu­se Licht der strah­len­den Wän­de er­laub­te na­he­zu kei­ne Schat­ten­bil­dung. Wenn die wech­seln­den Farb­tö­ne auf mar­sia­ni­sche Ge­mü­ter be­ru­hi­gend und ent­span­nend ge­wirkt hat­ten, so gin­gen sie uns auf die Ner­ven. Wir wa­ren eben an­ders­ge­ar­tet. Wir wa­ren Men­schen, und wir konn­ten nicht aus un­se­rer Haut her­aus.

Die »Licht­schal­ter« hat­ten wir zwar ge­fun­den; aber wie man das wech­sel­haf­te Leuch­ten be­sei­ti­gen oder we­nigs­tens mil­dern konn­te, das wuß­ten wir na­tür­lich wie­der ein­mal nicht.

Es war wie ein Hohn des Schick­sals, daß un­se­re Leu­te mü­he­voll her­an­trans­por­tier­te Atom­re­ak­to­ren zur Strom­ver­sor­gung auf­ge­stellt hat­ten, ob­wohl es in der Raum­fes­tung Ener­gie­sta­tio­nen gab, über die un­se­re Atom­phy­si­ker je­doch nur rat­los stau­nen konn­ten. Wir hat­ten so­gar un­se­re ei­ge­nen Ka­bel­ver­bin­dun­gen ge­legt und ei­ne se­pa­ra­te Kli­ma­sta­ti­on ge­schaf­fen. Um das zu er­mög­li­chen, hat­ten wir ei­ni­ge hun­dert kost­spie­li­ge Trans­port­flü­ge zum Mars aus­füh­ren müs­sen.

Die Iro­nie be­stand dar­in, daß es hier al­les gab, was den­ken­de We­sen un­se­rer Art zum Le­ben be­nö­tig­ten. Wir konn­ten nur nichts da­mit an­fan­gen.

So kam es, daß wir nur einen win­zi­gen Teil der Fes­tung be­setzt hat­ten. Wenn wir die durch Schleu­sen ab­ge­rie­gel­ten Räu­me ver­lie­ßen, muß­ten wir be­reits Luft­ver­dich­ter tra­gen. Ich konn­te es in­fol­ge der un­kla­ren Ver­hält­nis­se nicht ein­mal wa­gen, den De­ne­ber zur Hil­fe­leis­tung in die Raum­ab­wehr­fes­tung zu brin­gen. Für ihn wä­re es ei­ne Klei­nig­keit ge­we­sen, die ta­del­los er­hal­te­nen An­la­gen zu ak­ti­vie­ren. Es gab zu vie­le wach­sa­me Au­gen, dar­un­ter sol­che von Leu­ten, die den Emp­fän­ger im Ge­hirn tru­gen.

So al­so sah un­ser hoff­nungs­voll be­gon­ne­ner Ein­satz aus.

»Zehn Ta­ge, vier­zehn Stun­den und vier Mi­nu­ten«, mein­te Han­ni­bal hei­ser. Sei­ne Au­gen ver­folg­ten wie ge­bannt die Zei­ger der Spe­zial­uhr für mar­sia­ni­sche Ver­hält­nis­se. »So lan­ge sind wir schon in die­sem Fuchs­bau ein­ge­sperrt. Nichts rührt sich, nichts regt sich, nie­mand mel­det sich. Kein Teu­fels­ding un­ter­nimmt den Ver­such, sich mit uns ›De­ne­bern‹ in Ver­bin­dung zu set­zen, um uns ›Su­per­in­tel­li­gen­zen‹ viel­leicht auf sei­ne Sei­te zu brin­gen.«

»Hal­te ge­fäl­ligst den Mund«, sag­te ich un­wirsch. »Wir ha­ben ein Ab­kom­men ge­trof­fen, den­ke ich. Nie­mand re­det über die La­ge.«

»Bis heu­te ha­be ich mich dar­an ge­hal­ten, jetzt nicht mehr«, er­klär­te der Klei­ne ka­te­go­risch. Er hat­te einen Teil sei­nes Hu­mors ver­lo­ren. Wenn Cap­tain Utan jetzt einen Scherz mach­te, wirk­te er in­halts­los und an den Haa­ren her­bei­ge­zo­gen.

Er er­hob sich von der brei­ten Lie­ge, die mit ei­nem lei­sen Zi­schen in ih­re al­te Stel­lung zu­rück­g­litt. Han­ni­bal fluch­te un­be­herrscht. Sei­ne Stim­mung war nicht die bes­te.

Et­was schwer­fäl­lig ging er auf mich zu. Ich stand vor der dop­pel­wan­di­gen Her­me­tik­tür aus MA-Me­tall. In der Fes­tung war je­der Raum in sich ab­ge­schlos­sen. Kein Wun­der, daß es den De­ne­bern nicht ge­lun­gen war, das Fort zu er­obern.

Han­ni­bal blieb vor mir ste­hen und leg­te den Kopf in den Nacken. Ich sah in sei­ne hell­blau­en Au­gen.

»So geht es nicht wei­ter«, flüs­ter­te er ge­preßt, »so nicht, Großer! Un­ser Plan schlägt fehl. Ent­we­der glaubt man nicht an un­ser an­geb­li­ches De­ne­ber­tum, oder man hält es nicht für er­for­der­lich, un­se­re Diens­te zu be­an­spru­chen. Das sagt mir mei­ne Lo­gik, ver­stehst du! Wenn wir für die Ge­schöp­fe so un­end­lich wich­tig wä­ren wie an­ge­nom­men, hät­ten sie sich längst ge­mel­det. Schmack­haf­ter konn­ten wir es ih­nen nicht ma­chen. Leich­ter auch nicht mehr. Ich fra­ge mich, was wir falsch ge­macht oder was wir un­ter­las­sen ha­ben.«

»Nichts, über­haupt nichts«, warf Ta­ly ein. Sie brach­te so­gar ein Lä­cheln zu­stan­de.

Seit ei­ni­gen Ta­gen Mars­zeit hat­te sie dar­auf ver­zich­tet, das Bild ih­res Jun­gen in un­se­rer Ge­gen­wart aus der Ta­sche zu zie­hen und zu be­trach­ten. Sie tat es nur noch, wenn sie uns im tie­fen Schlaf glaub­te. Ich hat­te sie oft heim­lich be­ob­ach­tet.

Ta­ly war ei­ne be­wun­derns­wer­te Frau. Sie hat­te sich zum ru­hen­den Pol in­ner­halb un­se­rer klei­nen Ge­mein­schaft ent­wi­ckelt. Da­bei war es für sie nicht im­mer leicht, mit zwei Män­nern und ei­nem Mu­tan­ten auf engs­tem Raum zu­sam­men­zu­le­ben.

Wir ka­men prak­tisch nicht aus den Klei­dern her­aus. Die Wasch­ge­le­gen­heit in dem Ne­ben­raum war mar­sia­ni­schen Ur­sprungs. Wir konn­ten sie nicht in Be­trieb set­zen, so daß wir auf Kunst­stoff­schüs­seln an­ge­wie­sen wa­ren.

»Ab­war­ten«, er­tön­te Man­zos Stim­me. »Nur nicht den Mut ver­lie­ren. Sie mel­den sich noch, ich füh­le es. Un­se­re Zeit wird kom­men.«

Er form­te sei­ne pran­ken­ar­ti­gen Hän­de zu ei­nem ima­gi­nären Griff. Mich frös­tel­te, als ich die­se Be­we­gung sah. Der Mu­tant trug seit zehn Ta­gen sei­nen so­ge­nann­ten »Ein­satz­hö­cker«, der sich bei frü­he­ren Ein­sät­zen glän­zend be­währt hat­te. Ei­ne bes­se­re Tar­nung gab es nicht. Man­zos oh­ne­hin mons­trö­se Ge­stalt war durch den Hö­cker aus künst­lich ge­züch­te­tem Ge­we­be noch furchter­re­gen­der ge­wor­den. In dem großen Hohl­raum des von un­se­ren Bio­me­di­zi­nern auf­ge­pflanz­ten Bu­ckels be­fand sich un­se­re Spe­zi­al­aus­rüs­tung. Es war al­ler­dings frag­lich, ob wir sie dies­mal an­wen­den konn­ten.

»Wir müß­ten Pa­ter Fer­n­an­do fin­den«, sag­te Ta­ly lei­se. »Ich glau­be nicht, daß man ihn ge­tö­tet hat, ob­wohl er be­stimmt et­was zu­viel wuß­te. Wo mag er sein? Kann er sich nicht mel­den?«

Mein Auf­la­chen klang ver­bit­tert. Die Si­tua­ti­on war wirk­lich ver­zwei­felt. Oben­drein war Ge­ne­ral Staf­ford nach wie vor der Mei­nung, Pro­feß Fer­n­an­do be­fän­de sich längst auf der Er­de. Ei­gen­ar­ti­ger­wei­se ge­hör­te der Ge­ne­ral nicht zu den be­ein­fluß­ten Men­schen. Man hat­te ihn aus un­er­klär­ba­ren Grün­den ver­schont. Zu­min­dest hat­te Man­zo bei dem un­auf­fäl­li­gen Test nichts be­mer­ken kön­nen.

Auch das war ei­ne Nie­der­la­ge ge­we­sen, denn mei­ner An­sicht nach hät­te man zu­erst den Kom­man­die­ren­den Ge­ne­ral des Mar­s­stütz­punk­tes an­grei­fen müs­sen. All das zeug­te für ei­ne nicht­mensch­li­che Lo­gik; für ein durch und durch frem­des, un­ver­ständ­li­ches Ver­hal­ten.

»Setz dich wie­der, es ist bes­ser«, sag­te ich mit mög­lichst aus­ge­gli­chen klin­gen­der Stim­me. »Wir ha­ben ta­ge­lang das Für und Wi­der dis­ku­tiert. Da­mit kom­men wir nicht wei­ter. Setz dich, Klei­ner. Wir ha­ben kei­ne Feh­ler ge­macht.«

»Kei­ne er­kenn­ba­ren, ja«, murr­te er. »Eben das macht mich ner­vös.«

Als er sich um­dreh­te, ver­nahm ich das Zi­schen der äu­ße­ren Her­me­tik­tür. Gleich dar­auf glitt das In­nen­schott auf.

Mei­ne an­ge­spann­te Hal­tung lo­cker­te sich. TS-19 trat in Be­glei­tung ei­ni­ger un­se­rer Män­ner ein. Ka­pi­tän Ste­pan Tronss­kij war zur Zeit Chef der Wa­che. Er grins­te mich breit an. Die Atem­mas­ke sei­nes Luft­ver­dich­ters bau­mel­te an den Hal­te­klam­mern des Ab­sor­ber­helms. Wir spra­chen kein Wort, bis Man­zo die Prü­fung be­en­det hat­te. Sei­ne Wei­sung lau­te­te da­hin­ge­hend, je­den ein­tre­ten­den Men­schen, egal um wen es sich han­del­te, au­gen­blick­lich zu tes­ten. Mehr konn­ten wir zu un­se­rer Si­cher­heit nicht tun.

»Okay, Sir«, dröhn­te es durch den Raum. »Ein­wand­frei.«

»Welch ein Glück.« Tronss­kij at­me­te auf. Er hat­te sei­nen Zy­nis­mus noch nicht ver­lo­ren. »Wer fängt an? Sie?«

Er sah TS-19 so auf­for­dernd an, daß ich jäh un­ru­hig wur­de. Der Kol­le­ge zog die un­be­que­me Dienst­mas­ke vom Ge­sicht. Er war schweiß­über­strömt. Den­noch gab sich TS-19 ru­hig und ge­las­sen. Er schi­en in der Tat kei­ne Ner­ven zu be­sit­zen.

»Da­mit ich ein­mal Luft in die Po­ren be­kom­me«, mein­te er ent­schul­di­gend. »Schlech­te Nach­rich­ten, Sir. Wir ha­ben wie­der einen Funk­spruch der großen Mond­sta­ti­on auf­ge­fan­gen. Neue Da­ten lie­gen nicht vor. Der Chef wird bald ver­rückt, und die Wis­sen­schaft der Er­de kommt nicht vor­an. Die Seu­chen­ge­bie­te müs­sen im­mer schär­fer ab­ge­rie­gelt wer­den. Sämt­li­che Trup­pen­ein­hei­ten der Welt sind da­für auf­ge­bo­ten wor­den. Die Kran­ken ha­ben nun fast aus­nahms­los die letz­ten Ner­ven­re­fle­xe ver­lo­ren. Es zei­gen sich äu­ßerst be­denk­li­che Ver­falls­er­schei­nun­gen an den Ge­we­be­wu­che­run­gen. Das ist al­les, Sir. Mehr wur­de uns nicht mit­ge­teilt. Es ist klar, daß der Chef am En­de ist. Neue Ein­flü­ge ins Welt­raum-Ho­heits­ge­biet der Er­de sind nicht er­folgt. Ha­ben Sie be­son­de­re An­wei­sun­gen? Oberst Min­hoe frag­te da­nach. Viel­leicht einen Funk­spruch?«

Ich schüt­tel­te wort­los den Kopf. Nein, kei­ne be­son­de­ren An­wei­sun­gen. Es war wie je­den Tag, wenn TS-19 zur Be­richt­er­stat­tung er­schi­en.

»Schön, dann bin ich an der Rei­he!« er­klär­te Tronss­kij mit ei­nem so ei­gen­ar­ti­gen Un­ter­ton, daß mei­ne de­pres­si­ve Stim­mung un­ver­hofft rasch ver­flog. Han­ni­bal fuhr von sei­nem La­ger hoch. Tronss­ki­js Ge­sichts­aus­druck glich dem ei­nes Man­nes, der nach schwers­ten Mü­hen einen Sieg er­run­gen hat.

»Vor ei­ner knap­pen Stun­de wur­de un­se­re Zehn­mann-Ex­pe­di­ti­on un­ter der Füh­rung von Na­ru Ke­no­ne­we jen­seits der öst­li­chen Hü­gel­ket­ten und dicht vor dem äqua­to­ria­len Ring­ka­nal an­ge­grif­fen!«

Es war, als wä­re ei­ne Bom­be ex­plo­diert. Nie­mand sag­te et­was, aber un­se­re Bli­cke und an­ge­spann­ten Ge­sich­ter drück­ten ge­nug aus.

»Wei­ter!« stöhn­te ich. »Mensch, re­den Sie doch schon. Was ge­sch­ah sonst noch?«

»Zum Glück nicht viel. Ke­no­ne­we war auf der Hut. Na­tür­lich tru­gen er und sei­ne Män­ner die Ab­sor­ber­hel­me, sonst wä­re be­stimmt et­was pas­siert. Er wur­de von ei­nem flach­ge­bau­ten, of­fen­bar un­be­mann­ten Fahr­zeug über­ra­schend an­ge­grif­fen, aber nicht mit nor­ma­len Waf­fen. Er be­rich­te­te über Funk, er hät­te plötz­lich ein har­tes, sug­ge­s­ti­ves Zie­hen im Kopf be­merkt. Da­nach hät­te ein schnel­les Häm­mern ein­ge­setzt, aus dem ei­ne be­feh­len­de aber un­kla­re Stim­me her­aus­zu­hö­ren ge­we­sen wä­re. Ein rein me­cha­ni­sches Ding war be­strebt, die Wil­lens­kraft un­se­rer Män­ner aus­zu­schal­ten. Ke­no­ne­we ließ das Fahr­zeug so­fort un­ter Feu­er neh­men. Un­se­re nor­ma­len Ma­schi­nen­waf­fen ver­sag­ten kläg­lich. Die Ex­plo­si­ons­ge­schos­se er­reich­ten nicht ein­mal die Wan­dun­gen des frem­den Wa­gens. Sie de­to­nier­ten vor­her in ei­nem röt­li­chen Flim­mern. Wahr­schein­lich ein ener­ge­ti­sches Schutz­feld, wie es die Mar­sia­ner auch ent­wi­ckelt ha­ben. Nur –«, Ka­pi­tän Tronss­kij lach­te rauh auf, »nur mit dem Un­ter­schied, daß die­ses Wa­gen­feld nicht viel taug­te. Als Ke­no­ne­we zehn mar­sia­ni­sche Atom­strah­ler auf ein­mal feu­ern ließ, lös­te sich das Flim­mern in lan­gen Blit­zen auf. Se­kun­den­bruch­tei­le spä­ter war das Fahr­zeug ver­nich­tet.«

»Ich ha­be Ke­no­ne­we die An­wei­sung er­teilt, so­fort zur Fes­tung zu­rück­zu­fah­ren«, sag­te TS-19 ru­hig. »Es ist bes­ser, den­ke ich.«

»Phan­tas­tisch«, sprach ich mei­ne Ge­dan­ken laut aus, »ein­fach phan­tas­tisch! Das ist doch end­lich we­nigs­tens ein Le­bens­zei­chen von der an­de­ren Sei­te. Wir hat­ten doch hof­fent­lich kei­ne Ver­lus­te?«

»Kei­ne«, be­stä­tig­te Tronss­kij. »Un­ver­schäm­tes Glück, wie?«

»Kann man wohl sa­gen. Ab heu­te geht mir kein Mann mehr ins of­fe­ne Ge­län­de hin­aus. Sor­gen Sie da­für. Die Er­kun­dungs­fahr­ten sind so­fort ein­zu­stel­len. Wenn es den Un­be­kann­ten ge­lingt, nur einen un­se­rer Helm­trä­ger zu fas­sen, ha­ben wir end­gül­tig ver­lo­ren. Das war auch der Zweck des An­grif­fes, ver­las­sen Sie sich dar­auf. Un­se­re Ver­zer­rungs­hel­me ver­hin­dern ein Er­for­schen des Ge­dan­ken­in­hal­tes. Was liegt al­so nä­her, als je­mand ein­zu­fan­gen. TS-19, das ist die Ge­fahr Num­mer eins! Ach­ten Sie um Him­mels wil­len dar­auf.«

»Wir wer­den auf­pas­sen, mein Wort dar­auf«, ver­si­cher­te Tronss­kij. »Im­mer­hin war das ein Er­folg, mei­nen Sie nicht auch?«

»Ei­gent­lich ja«, schnauf­te Han­ni­bal. »Es zeigt aber auch, daß die Bur­schen miß­trau­isch sind. Wenn sie un­se­rem Schau­spiel so oh­ne wei­te­res glaub­ten, brauch­ten sie sich nicht um einen un­se­rer Män­ner zu be­mü­hen.«

Un­se­re Be­su­cher gin­gen nach ei­ner hal­b­en Stun­de. Wir hat­ten uns nichts mehr zu sa­gen, nach­dem die Neu­ig­kei­ten nach al­len denk­ba­ren Rich­tun­gen hin durch­ge­spro­chen wor­den wa­ren.

Das War­ten be­gann er­neut; das zer­mür­ben­de, nerv­tö­ten­de War­ten auf ein Er­eig­nis, des­sen Her­bei­füh­rung nicht in un­se­rer Macht lag. Es war auch nicht mehr als ein lo­gisch fun­dier­tes Re­chen­er­geb­nis. Wenn wir falsche Grund­da­ten ein­ge­setzt hat­ten, dann wür­de es nie­mals zu ei­nem Er­eig­nis kom­men.