1.

 

Ge­nau­ge­nom­men hat­ten wir un­se­ren Er­folg nur dem Mann mit den gu­ten Au­gen zu ver­dan­ken. So hat­ten wir Pa­ter Fer­n­an­do un­ter uns ge­nannt.

»Der Mann mit den gu­ten Au­gen« – ei­ne zwar et­was un­ge­bräuch­li­che Ti­tu­lie­rung, die aber aus ei­nem Ge­fühl der Hoch­ach­tung und des Re­spekts ent­stan­den war. Schließ­lich hat­te Pa­ter Fer­n­an­do et­was er­reicht, was vor ihm noch nie­mand ge­schafft hat­te.

Ei­nes Ta­ges war er still und völ­lig un­auf­fäl­lig in der ge­wal­tigs­ten Ab­wehr­fes­tung der Neu­zeit er­schie­nen; im tau­send­fäl­tig ab­ge­si­cher­ten Haupt­quar­tier der Ge­hei­men-Wis­sen­schaft­li­chen-Ab­wehr.

Was mir, be­son­ders aber dem Chef der GWA, Vier-Ster­ne-Ge­ne­ral Ar­nold G. Re­ling, als völ­lig un­mög­lich er­schie­nen war, hat­te der Pa­ter in kür­zes­ter Zeit ge­schafft. Er hat­te das HQ im Sturm er­obert. Ge­ne­ral Re­ling hat­te ver­geb­lich nach Aus­flüch­ten und so­ge­nann­ten »Ar­gu­men­ten der Ver­nunft« ge­sucht. Schließ­lich hat­te er sich in sei­ner Rat­lo­sig­keit mei­ner er­in­nert und den so ziel­stre­big vor­ge­hen­den Je­sui­ten-Pa­ter an mei­ne Adres­se ver­wie­sen.

Pro­feß Fer­n­an­do hat­te sich aber durch die Tücken des Dienst­we­ges nicht auf­hal­ten las­sen. Ehe sei­ne hoch­ge­wach­se­ne, ha­ge­re Ge­stalt auf den Bild­flä­chen un­se­rer Über­wa­chungs­ge­rä­te er­schi­en, war mir durch die Rohr­post des HQ ein dun­kelblau­er Ak­ten­de­ckel zu­ge­stellt wor­den, auf dem in ro­ten Buch­sta­ben die Be­zeich­nung »Ge­hei­me Kom­man­do­sa­che, streng ver­trau­lich« stand.

Mit sei­nen mar­kan­ten Schrift­zü­gen hat­te der Al­te hin­zu­ge­fügt:

»Zur Be­ar­bei­tung an Ma­jor HC-9, Chef GWA-Raum­korps. Se­hen Sie zu, daß Sie dem Geist­li­chen die un­aus­führ­ba­ren Ide­en aus­re­den. Le­gen Sie ei­ne Ak­ten­no­tiz an. Für Ih­re Ent­schei­dung er­hal­ten Sie al­le Voll­mach­ten.«

Da­mit hat­te mir der Al­te ei­ne Sa­che auf­ge­bür­det, von der ich bis da­hin nichts wuß­te. Bis auf die­se No­tiz war der Ord­ner leer ge­we­sen!

Wäh­rend ich noch stirn­run­zelnd über den Sinn die­ser Mit­tei­lung nach­dach­te, hat­te Pa­ter Fer­n­an­do be­reits den Vor­raum mei­nes Ar­beits­zim­mers be­tre­ten. Au­gen­bli­cke spä­ter saß er mir ge­gen­über, und ich blick­te in sei­ne Au­gen, von de­nen ei­ne selt­sa­me Fas­zi­na­ti­on aus­ging.

Sie wa­ren groß und dun­kel; rät­sel­haft wie ein ru­hi­ger Kra­ter­see und von ei­nem un­be­stimm­ba­ren Leuch­ten er­füllt, das mich in mei­nem tiefs­ten In­ne­ren un­si­cher mach­te.

Er wä­re an den Chef des GWA-Raum­korps ver­wie­sen wor­den, ließ er mich wis­sen und frag­te, ob ich Ma­jor HC-9 wä­re?

Das konn­te ich schlecht ab­strei­ten, zu­mal ich als ak­ti­ver GWA-Agent Zi­vil­klei­dung trug und au­ßer­dem die vor­ge­schrie­be­ne Dienst­mas­ke an­ge­legt hat­te. Auch Pa­ter Fer­n­an­do ge­gen­über be­stand der strik­te Be­fehl, nie­mals das wah­re Ge­sicht zu zei­gen. Ich konn­te es nicht än­dern.

Se­kun­den spä­ter war ich vor Über­ra­schung bei­na­he vom Stuhl ge­fal­len. Die­ser ha­ge­re Mann mit den un­er­gründ­li­chen Au­gen hat­te nicht mehr und nicht we­ni­ger vor, als auf dem Pla­ne­ten Mars ei­ne Missi­ons­sta­ti­on zu grün­den, was nach der Er­rich­tung ei­nes von Er­den­menschen be­setz­ten Stütz­punk­tes un­er­läß­lich sei.

Ich be­gann be­schwö­rend auf ihn ein­zu­re­den und wies auf die un­glaub­li­chen Ge­fah­ren hin. Au­ßer­dem deu­te­te ich an, daß die stra­pa­zi­öse Raum­rei­se zum Ro­ten Pla­ne­ten vor­läu­fig den hoch­s­pe­zia­li­sier­ten Wis­sen­schaft­lern, Tech­ni­kern und Sol­da­ten der Raum­gar­de vor­be­hal­ten sein müs­se. Ich er­wähn­te, daß wir mit je­dem Gramm Nutz­last zu rech­nen hät­ten, da un­se­re Fern­raum­schif­fe trotz der Plas­ma-Trieb­wer­ke noch längst nicht vollen­det wä­ren.

Da hat­te mir Pa­ter Fer­n­an­do nach­ge­wie­sen, welch her­vor­ra­gen­der Bio­lo­ge er war! Ich be­gann ver­zwei­felt zu schlu­cken, als er sehr nett und freund­lich an­führ­te, die Auf­ga­be sei­ner Or­dens­brü­der hät­te schon im­mer in der Hei­den­mis­si­on, Seel­sor­ge und in der Er­grün­dung der Wis­sen­schaf­ten be­stan­den.

Nach drei Stun­den in­ten­si­ver Un­ter­hal­tung, die von sei­ner Sei­te aus sach­lich und in ver­bind­li­chem Ton ge­führt wur­de, muß­te auch ich mich ge­schla­gen ge­ben. Auf mein Ver­lan­gen hin un­ter­zog sich Pa­ter Fer­n­an­do ei­nem kur­z­en, aber sehr har­ten Zen­tri­fu­gen­test.

Nach­dem wir ihn in der Gon­del je­nen An­drucks­wer­ten aus­ge­setzt hat­ten, die bei ei­ner Be­schleu­ni­gung zwi­schen acht und sech­zehn Gra­vos auf­tre­ten, war er so ru­hig und ge­las­sen von sei­nem Kon­tur­la­ger ge­klet­tert, daß mich die Tech­ni­ker er­staunt an­ge­se­hen hat­ten.

Zehn Mi­nu­ten spä­ter hat­te ich von mei­nen Voll­mach­ten Ge­brauch ge­macht. Ich hat­te dem Kom­man­dan­ten un­se­res GWA-Ex­pe­di­ti­ons­schif­fes IN­TER­SPACE die An­wei­sung er­teilt, den mit ei­ner Zu­brin­ger­ra­ke­te ein­tref­fen­den Pa­ter an Bord zu neh­men und auf dem Mars da­für zu sor­gen, daß ei­ni­ge un­se­rer dort ge­lan­de­ten Sol­da­ten bei der Er­rich­tung ei­ner be­schei­de­nen Ka­pel­le ein­ge­setzt wur­den.

So war Pro­feß Fer­n­an­do auf ei­ne Welt ge­kom­men, die er bei un­se­rem Ge­spräch als »Staub­korn Got­tes« be­zeich­net hat­te.

Es war al­les gut­ge­gan­gen. Mehr als tau­send Män­ner aus al­len Na­tio­nen un­se­rer Er­de hat­ten sich an­fäng­lich ge­wun­dert, doch da­nach wa­ren sie dem in­ter­pla­ne­ta­ri­schen Missio­nar nach Kräf­ten be­hilf­lich ge­we­sen.

Als uns dies­be­züg­li­che Funk­sprü­che vor et­wa sechs Mo­na­ten er­reich­ten, war ich doch froh ge­we­sen, daß mir der Chef die be­wuß­ten Voll­mach­ten er­teilt hat­te. Mit Pa­ter Fer­n­an­do war ein Stück ech­ter Er­den­mensch­heit auf den le­bens­feind­li­chen Mars ge­kom­men.

 

Dann, vor ge­nau drei­zehn Ta­gen hat­te Pro­feß Fer­n­an­do ein zwei­tes Mal das Haupt­quar­tier der Ge­hei­men-Wis­sen­schaft­li­chen-Ab­wehr er­obert. Dies­mal nicht durch sein per­sön­li­ches Er­schei­nen, son­dern durch einen kur­z­en Funk­spruch, der von un­se­rer gi­gan­ti­schen Mond­sta­ti­on »Lu­na-Port« auf­ge­fan­gen und an den Chef wei­ter­ge­lei­tet wor­den war.

Das war am 31. Ok­to­ber 2005. We­nigs­tens hat­ten die Fun­ker der Mond­sta­ti­on den Wort­laut des Spru­ches un­ter die­sem Da­tum in die Lis­te ein­ge­tra­gen.

Ehe wir den Text über Richt­strah­ler er­hiel­ten, war im Haupt­quar­tier der GWA die Höl­le los ge­we­sen. Der Be­griff »Sor­ge« reich­te für un­se­re Pa­nik­stim­mung schon nicht mehr aus.

Et­wa vier­zehn Ta­ge vor dem Ein­tref­fen des Mars-Funk­spru­ches wa­ren aus Eu­ro­pa, Afri­ka, Asi­en und na­tür­lich auch aus den Staa­ten der ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nen­te Nach­rich­ten ein­ge­gan­gen, die das ge­sam­te HQ schlag­ar­tig in hek­ti­sche Ak­ti­vi­tät ver­setz­ten.

Nor­ma­ler­wei­se wen­det man sich so­fort an die staat­li­chen Ge­sund­heits­äm­ter, wenn ir­gend­wo und ir­gend­wann der Aus­bruch ei­ner Seu­che ge­mel­det wird. So­bald es sich um ei­ne ei­ni­ger­ma­ßen nor­ma­le Epi­de­mie han­delt, wird es kein Ge­heim­dienst der Er­de für er­for­der­lich hal­ten, be­son­de­re Er­mitt­lun­gen an­zu­stel­len und den Ärz­ten da­mit ins Hand­werk zu pfu­schen.

Nach­dem die Seu­che je­doch trotz Ein­satz mo­d­erns­ter Hilfs­mit­tel nicht ein­ge­dämmt wer­den konn­te, wur­den wir be­nach­rich­tigt. Der Chef schal­te­te vor­sichts­hal­ber die For­schungs­ab­tei­lun­gen der GWA ein, doch da war es schon zu spät.

Ehe die Me­di­zi­ner in den Seu­chen­ge­bie­ten klar er­kannt hat­ten, daß es sich bei den Sym­pto­men um ei­ne neu­ar­ti­ge, völ­lig un­be­kann­te In­fek­ti­ons­krank­heit han­del­te, wa­ren be­reits über zwei­hun­dert­tau­send Men­schen auf al­len Kon­ti­nen­ten der Er­de er­krankt.

Nie­mals zu­vor hat­te die me­di­zi­ni­sche Wis­sen­schaft vor ei­ner der­ar­ti­gen Auf­ga­be ge­stan­den, zu­mal al­le be­kann­ten An­ti­bio­ti­ka rest­los ver­sag­ten.

Es war selbst­ver­ständ­lich, daß die von Na­tur aus miß­traui­schen GWA-Agen­ten ver­such­ten, der rät­sel­haf­ten An­ge­le­gen­heit auf den Grund zu ge­hen. Wenn die Krank­heit nur in den Staa­ten oder nur in Eu­ro­pa aus­ge­bro­chen wä­re, hät­ten wir viel­leicht noch an einen Zu­fall ge­glaubt. So aber war das Un­heil fast auf die Stun­de ge­nau über al­le Erd­tei­le her­ein­ge­bro­chen.

Das GWA-Haupt­quar­tier er­hielt Alarm­stu­fe I. Sämt­li­che Trup­pen­ein­hei­ten der ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nen­te wur­den dem HQ un­ter­stellt. In Eu­ro­pa, Afri­ka, Asi­en und Aus­tra­li­en han­del­ten die ver­ant­wort­li­chen Leu­te ge­nau nach un­se­rem Vor­bild.

Die Seu­chen­ge­bie­te wur­den her­me­tisch ab­ge­rie­gelt, me­di­zi­ni­sche Teams mit hoch­wer­ti­gen Spe­zi­al­aus­rüs­tun­gen ein­ge­flo­gen. Wir un­ter­nah­men al­les, die er­krank­ten Men­schen von den ge­sun­den zu iso­lie­ren, um zu­erst ein­mal einen kla­ren Über­blick zu er­hal­ten.

Nach­dem wir schon si­cher wa­ren, die An­ste­ckungs­her­de lo­ka­li­siert zu ha­ben, ging es plötz­lich in an­de­ren Ge­gen­den los. Men­schen er­krank­ten zum bei­na­he glei­chen Zeit­punkt. Es war, als hät­te ein Un­sicht­ba­rer über Nacht zu­ge­schla­gen.

Die Wis­sen­schaft der ir­di­schen Mensch­heit ar­bei­te­te fie­ber­haft. Bis­her war es trotz al­ler Be­mü­hun­gen noch nicht ge­lun­gen, ei­ni­ger­ma­ßen ge­nau fest­zu­stel­len, wel­che Er­re­ger für die Seu­che ver­ant­wort­lich wa­ren. So­gar die größ­ten Elek­tro­nen­mi­kro­sko­pe in der For­schungs­zen­tra­le der GWA und in Mos­kau hat­ten ver­sagt. Man hat­te ein­fach nichts fin­den kön­nen.

Al­ler­dings wuß­ten wir ziem­lich ge­nau, daß wir ei­ner neu­en Art Leuk­ämie ge­gen­über­stan­den, die mit die­ser Be­zeich­nung ei­gent­lich über­haupt nicht mehr cha­rak­te­ri­siert wer­den konn­te.

Ge­nau­er ge­sagt, han­del­te es sich um ei­ne hoch­in­fek­ti­öse, leuk­ämi­e­ähn­li­che Krank­heit, die nach ih­rem klas­si­schen Vor­bild in ers­ter Li­nie ei­ne un­kon­trol­lier­ba­re Ver­meh­rung der wei­ßen Blut­zel­len be­wirk­te.

Drü­sen- und Milz­schwel­lun­gen konn­ten wir noch als ei­ni­ger­ma­ßen nor­mal an­se­hen, nicht aber die le­prö­sen Er­schei­nun­gen, die mit ei­nem ra­schen Er­lö­schen sämt­li­cher Ner­ven­emp­fin­dun­gen be­gan­nen. Die krebs­ar­ti­gen, schnell fort­schrei­ten­den Wu­che­run­gen führ­ten im wei­te­ren Ver­lauf der Krank­heit zum Ab­fal­len gan­zer Ge­we­be­tei­le. Wie es nach ei­ni­gen Wo­chen oder Mo­na­ten um die Er­krank­ten be­stellt sein muß­te, brauch­te man uns nicht mehr zu sa­gen.

Die GWA-Ma­schi­ne­rie lief seit dem 16. Ok­to­ber 2005 auf Hoch­tou­ren!

Bis­her hat­te es noch kei­nen To­des­fall ge­ge­ben. Die Krank­heit schi­en nie­mals akut und stür­misch zu ver­lau­fen. Die Le­bens­er­war­tung der Kran­ken konn­te recht gut noch Mo­na­te, viel­leicht so­gar ei­ni­ge Jah­re be­tra­gen.

Mit die­ser eher tröst­li­chen Ge­wiß­heit war uns aber nicht ge­dient. Die Me­di­zi­ner der Welt be­stürm­ten uns und die Re­gie­run­gen der an­de­ren Staa­ten, un­ter al­len Um­stän­den für ei­ne hun­dert­pro­zen­ti­ge Iso­lie­rung der Kran­ken zu sor­gen.

Eben das war uns nicht ge­lun­gen!

Ehe wir die be­trof­fe­nen Zo­nen ab­rie­geln konn­ten, muß­te es ei­ni­gen in­fi­zier­ten Per­so­nen ge­lun­gen sein, das Ge­fah­ren­ge­biet zu ver­las­sen und an­ders­wo Un­heil zu sä­en. Wir wuß­ten schon am 21. Ok­to­ber 2005 sehr ge­nau, daß in die­ser Be­zie­hung et­was nicht stim­men konn­te. Es sah da­nach aus, als wä­ren un­be­kann­te Kräf­te am Werk, mit der fes­ten Ab­sicht, die Seu­che im­mer mehr zu ver­brei­ten.

Am 31. Ok­to­ber 2005 war dann der von Pa­ter Fer­n­an­do un­ter­zeich­ne­te Funk­spruch ein­ge­trof­fen. Plötz­lich er­kann­ten wir, wel­che un­er­hör­te Teu­fe­lei ge­gen die Men­schen un­se­rer Welt ein­ge­lei­tet wor­den war.

Pa­ter Fer­n­an­do hat­te kei­ne ge­nau­en Da­ten an­ge­ben kön­nen, aber er teil­te uns mit, daß et­wa drei­ßig Mann auf dem Mars in­fi­ziert wor­den wa­ren. Es han­del­te sich um die Be­sat­zung ei­nes Vor­pos­tens, den wir im Rah­men des vor­ge­schrie­be­nen Aus­tausch­pro­gramms mit neu­en Leu­ten be­setzt hat­ten.

Na­tür­lich hat­ten wir die ab­ge­lös­ten Män­ner so­fort zur Er­de zu­rück­ge­flo­gen. Sie soll­ten hier ih­ren ver­dien­ten Ur­laub an­tre­ten.

Aus dem Funk­spruch ging nicht her­vor, wo­her Pa­ter Fer­n­an­do von der In­fi­zie­rung die­ser Män­ner wuß­te. Er hat­te sie le­dig­lich als Ba­zil­len­trä­ger be­zeich­net und her­vor­ge­ho­ben, sie be­sä­ßen ei­ne ge­wis­se Im­mu­ni­tät, die bei je­dem Be­ob­ach­ter zu dem Ein­druck füh­ren müß­te, kern­ge­sun­den Men­schen ge­gen­über­zu­ste­hen.

Pro­feß Fer­n­an­do schi­en kei­ne Zeit ge­habt zu ha­ben, sei­nen Funk­spruch aus­führ­li­cher zu ge­stal­ten. Es war uns über­haupt rät­sel­haft, wie es ihm ge­lun­gen war, die Nach­richt ab­zu­strah­len. Da­für war die große Mar­s­sta­ti­on er­for­der­lich. Wie moch­te er in den in­ter­pla­ne­ta­ri­schen Groß­sen­der hin­ein­ge­kom­men sein?

Auf al­le Fäl­le hat­ten wir so­fort ge­han­delt. Wir wuß­ten, daß ein­und­drei­ßig Män­ner mit dem Ur­lau­ber- und Ab­lö­sungs­schiff an­ge­kom­men wa­ren. Sie wa­ren fast drei Mo­na­te un­ter­wegs ge­we­sen.

Der Trans­por­ter, ein schwer­fäl­li­ges Plas­ma-Schiff in Ske­lett-Bau­wei­se, hing noch im­mer auf sei­ner wei­ten Mond­kreis­bahn. Die ab­ge­lös­ten Mars­sol­da­ten wa­ren mit ei­nem Kreu­zer des Space-De­part­ment ab­ge­holt und auf dem neu­en Sa­ha­ra-Raum­flug­ha­fen aus­ge­schifft wor­den.

Da sie ih­ren Ur­laub so­fort an­tra­ten, hat­ten sie sich in al­le Win­de zer­streut. Es war ei­ne ge­misch­te Be­sat­zung ge­we­sen, zu­sam­men­ge­setzt aus Eu­ro­pä­ern, Afri­ka­nern, Asia­ten, ame­ri­ka­ni­schen und aus­tra­li­schen Bür­gern. Wir leg­ten größ­ten Wert dar­auf, den Mars ge­mein­schaft­lich zu er­obern.

Selbst­ver­ständ­lich hat­te uns die Lis­te der Ur­lau­ber vor­ge­le­gen. So­fort nach Er­halt der Nach­richt hat­ten wir die Er­mitt­lun­gen auf­neh­men kön­nen. Wir sa­hen uns mit der Tat­sa­che kon­fron­tiert, daß es ein­und­drei­ßig im­mu­ne Män­ner gab, die aber den­noch das Grau­en ver­brei­te­ten. Wenn sie von der Krank­heit nicht sicht­bar an­ge­grif­fen wur­den, wä­re es oh­ne die War­nung un­mög­lich ge­we­sen, sie von den Ge­sun­den zu un­ter­schei­den.

So aber kann­ten wir die Na­men! Wir hat­ten selbst­ver­ständ­lich hoch­wer­ti­ge Bil­der von je­dem der Ba­zil­len­trä­ger. Uns war es nur un­ver­ständ­lich, daß sich die ein­und­drei­ßig sorg­fäl­tig ge­schul­ten Spe­zi­al­sol­da­ten nicht so­fort selbst mel­de­ten.

Die Ge­heim­diens­te der Er­de be­gan­nen mit der Jagd, nach­dem Auf­ru­fe über Rund­funk und Te­le­vi­si­on er­folg­los ge­blie­ben wa­ren. Für uns stand es da­her fest, daß die Män­ner be­strebt wa­ren, sich der ärzt­li­chen Kon­trol­le zu ent­zie­hen.

Ei­ne Groß­fahn­dung von nie­mals er­leb­ten Aus­ma­ßen lief an. Al­le ein­und­drei­ßig Per­so­nen wa­ren spur­los ver­schwun­den. Kei­ner der Män­ner war dort an­zu­tref­fen, wo er sich auf Grund sei­ner Ur­laubspa­pie­re hät­te auf­hal­ten müs­sen.

Am 2. No­vem­ber 2005 war dem Großasia­ti­schen Si­cher­heits­dienst der ers­te Schlag ge­lun­gen. Fast auf die Stun­de zur glei­chen Zeit wa­ren zwei der Ur­lau­ber auf­ge­spürt wor­den. Sie hat­ten sich we­der durch gu­te Wor­te noch durch kla­re Be­feh­le be­we­gen las­sen, ih­re Schlupf­win­kel zu ver­las­sen. Nach­dem sie mit ih­ren Dienst­waf­fen er­bit­ter­ten Wi­der­stand leis­te­ten, wa­ren sie von Spe­zi­al­kom­man­dos des GAS-Ge­heim­diens­tes er­schos­sen wor­den.

So war es na­he­zu über­all ge­sche­hen! Ehe sich die ver­ant­wort­li­chen Of­fi­zie­re und Si­cher­heits­be­am­ten auf das Ri­si­ko ein­lie­ßen, von den amok­lau­fen­den Krank­heits­trä­gern in­fi­ziert oder ge­tö­tet zu wer­den, hat­ten sie Feu­er­be­fehl er­teilt.

Auch bei uns hat­te es vier Fäl­le die­ser Art ge­ge­ben. Die Kom­man­deu­re der Trup­pen hat­ten eben­so die Ner­ven ver­lo­ren wie die An­ge­hö­ri­gen der Ge­hei­men Bun­des­kri­mi­nal­po­li­zei. So­gar un­se­re ei­ge­nen Leu­te hat­ten ge­schos­sen, nach­dem ih­nen kei­ne an­de­re Wahl ge­blie­ben war.

Nun schrie­ben wir den 12. No­vem­ber 2005!

Ich stand in ei­nem leich­ten her­me­tisch ge­schlos­se­nen Raum­an­zug auf ei­ner der be­leb­tes­ten Stra­ßen­kreu­zun­gen des New Yor­ker Stadt­teils Man­hat­tan.

Hin­ter mir wur­de die Ful­ton Street von Ein­hei­ten der mi­li­tä­ri­schen GWA ab­ge­rie­gelt. Die vor mir lie­gen­de South Street wur­de auf der an­de­ren Sei­te von den großen La­ger­häu­sern und Si­los der East-Ri­ver-Kais be­grenzt. Über­all sah man die auf­fäl­li­gen Schutz­an­zü­ge un­se­rer Leu­te. Aus die­ser Ge­gend konn­te kei­ne Maus ent­kom­men, das stand fest.

Drü­ben, jen­seits der South Street, be­fand sich je­nes ho­he und weit­räu­mi­ge La­ger­haus, in dem sich der letz­te un­se­rer ein­und­drei­ßig Krank­heits­trä­ger ver­kro­chen hat­te.

Es war re­la­tiv ein­fach ge­we­sen, sie in­ner­halb kür­zes­ter Zeit zu fin­den; denn – wo­hin sie auch ka­men – hat­ten sie die Seu­che ver­brei­tet. Wir brauch­ten nur den letz­ten Mel­dun­gen nach­zu­ge­hen, um zu wis­sen, wo wir die Su­che zu kon­zen­trie­ren hat­ten. Al­les an­de­re war rei­ne Rou­ti­ne­ar­beit.

Ein Mann, der durch je­den Atem­zug, durch je­de Be­rüh­rung den Tod bringt, kann sich nicht lan­ge ver­ber­gen. Wohl hät­te er es ver­mocht, wenn wir nicht sei­nen Na­men ge­wußt hät­ten. Al­so hat­ten wir die­sen Er­folg zwei­fel­los un­se­rem in­ter­pla­ne­ta­ri­schen Missio­nar zu ver­dan­ken.

Der Na­me des Man­nes im La­ger­haus lau­te­te Hen­drik Kos­ter­na. Er war Ser­geant der Raum­gar­de, vier­und­zwan­zig Jah­re alt und in Ed­ge­ley, Nord-Da­ko­ta, ge­bo­ren. Mit ei­nem der ers­ten Ex­pe­di­ti­ons­schif­fe war er zum Mars ge­kom­men. Was dort mit ihm ge­sche­hen war, er­schi­en uns mehr als in­ter­essant! Es war le­bens­wich­tig. Nach­dem so vie­le Feh­ler ge­macht wor­den wa­ren, muß­ten wir nun al­les ver­su­chen, we­nigs­tens einen der rät­sel­haf­ten Krank­heits­trä­ger le­bend in un­se­re Ge­walt zu be­kom­men.

Wie aber konn­ten wir das er­rei­chen! Auf Grund trüber Er­fah­run­gen wuß­ten wir, daß die Män­ner im letz­ten Au­gen­blick von dem Selbst­mord nicht zu­rück­schreck­ten. Das war in Eu­ro­pa und auch in der Nä­he von Los An­ge­les ge­sche­hen.

Un­se­re Leu­te hat­ten ver­sucht, die Kran­ken mit Be­täu­bungs­ga­sen zu über­wäl­ti­gen. Als die Ver­folg­ten je­doch be­grif­fen, daß ihr er­bit­ter­ter Wi­der­stand sinn­los war, hat­ten sie den Tod von ei­ge­ner Hand ge­wählt.

Re­si­gnie­rend lausch­te ich jetzt auf die dröh­nen­de Laut­spre­cher­stim­me, die un­über­hör­bar ver­kün­de­te:

»Hen­drik Kos­ter­na, hier spricht Ge­ne­ral Re­ling, Chef der Ge­heim-Wis­sen­schaft­li­chen-Ab­wehr! Ich for­de­re Sie zum letz­ten Ma­le auf, mit er­ho­be­nen Hän­den aus Ih­rem Ver­steck zu kom­men. Es ist uns ge­nau be­kannt! Mei­ne Leu­te ha­ben Sie be­reits in­ner­halb des La­ger­hau­ses um­stellt. Ser­geant Kos­ter­na, ich ap­pel­lie­re an Ih­ren Treu­e­eid als Sol­dat und an Ih­re Pflicht vor Gott und den Men­schen. Kos­ter­na, kom­men Sie her­vor! Hel­fen Sie uns, die von Ih­nen ein­ge­schlepp­te Seu­che zu be­sie­gen. Ich ga­ran­tie­re Ih­nen ei­ne faire Be­hand­lung und so­gar Ih­re spä­te­re Frei­heit, wenn sich her­aus­stel­len soll­te, daß Sie ge­gen Ih­ren be­wuß­ten Wil­len ge­han­delt ha­ben. Kom­men Sie!«

Der Laut­spre­cher ver­stumm­te. Zwei­tau­send Sol­da­ten ei­ner Eli­te­ein­heit der mi­li­tä­ri­schen GWA starr­ten zu dem Be­ton­spei­cher hin­über, in dem zwi­schen zahl­lo­sen, zur Ver­schif­fung be­stimm­ten Gü­tern un­ser Mann kau­er­te.

»Sinn­los, Sir«, klang es im Laut­spre­cher mei­nes Helm­ge­rä­tes auf. »Da­mit lo­cken Sie ihn nicht an die fri­sche Luft. Wir ha­ben ihn im drit­ten Stock­werk ein­ge­kes­selt. Er feu­ert mit ei­ner voll­au­to­ma­ti­schen Hen­der­ly auf je­den Uni­for­mier­ten. Ich ha­be be­reits drei Schwer­ver­wun­de­te, Sir. Ge­ben Sie den Feu­er­be­fehl?«

»Ich las­se Sie vor ein Ge­richt stel­len, wenn Sie sich nicht be­herr­schen kön­nen«, kam die schar­fe Ent­geg­nung des Al­ten, der in ei­nem dicht hin­ter mir auf­ge­fah­re­nen Ra­ke­ten­pan­zer saß. Der an­de­re Spre­cher war Ma­jor Wul­fer, Chef des Ein­satz­trupps.

»Ach­tung! An al­le. Es ist Ih­nen strengs­tens ver­bo­ten, auf den Kran­ken zu schie­ßen. Schüch­tern Sie ihn le­dig­lich mit un­ge­fähr­li­chen Warn­schüs­sen ein, da­mit er sei­ne De­ckung nicht noch ein­mal ver­las­sen kann. Ma­chen Sie aber kei­nes­falls von der Waf­fe Ge­brauch, wenn Sie nicht ab­so­lut si­cher sind, daß Ih­re Ge­schos­se we­nigs­tens drei Me­ter das Ziel ver­feh­len. Ach­tung, Ma­jor Wul­fer! Wie weit sind Sie jetzt von dem Kran­ken ent­fernt?«

Die Ge­sich­ter der um­ste­hen­den Män­ner dreh­ten sich in mei­ne Rich­tung. Es han­del­te sich um die Mit­glie­der un­se­res wis­sen­schaft­li­chen Ein­satz­teams. Un­ter den durch­sich­ti­gen Ku­gel­hel­men wa­ren die wach­sa­men Au­gen und zu­sam­men­ge­knif­fe­nen Lip­pen deut­lich zu er­ken­nen.

Es gab prak­tisch nur ei­ne Mög­lich­keit, den Kran­ken le­bend in un­se­re Ge­walt zu be­kom­men. Er muß­te so blitz­ar­tig be­täubt wer­den, daß er kei­ne Zeit mehr hat­te, sei­ne Waf­fe ge­gen sich selbst zu rich­ten. Mit Ga­sen konn­te das nicht er­reicht wer­den, das hat­ten wir er­fah­ren.

An­de­rer­seits wuß­ten wir aus den wis­sen­schaft­li­chen Be­fun­den, daß die Kran­ken bei der Aus­übung des Selbst­mor­des höchst­wahr­schein­lich ge­gen ih­ren be­wuß­ten Wil­len han­del­ten. Un­se­re Spe­zia­lis­ten hat­ten von ei­nem tief­grei­fen­den Hyp­no­se­block ge­spro­chen, der dann wirk­sam wur­de, wenn das wa­che Un­ter­be­wußt­sein der Ver­folg­ten die Ge­fahr er­kann­te. Es muß­te al­so sehr schnell und wir­kungs­voll vor­ge­gan­gen wer­den.

Da ich der Mann sein soll­te, der Hen­drik Kos­ter­na zu über­wäl­ti­gen hat­te, war es nicht ver­wun­der­lich, daß sich die Bli­cke auf mich kon­zen­trier­ten.

Ich fühl­te mei­ne Ner­vo­si­tät. Die schwe­re, mons­trös wir­ken­de Waf­fe in mei­ner Arm­beu­ge war mir frem­der als ein Was­ser­be­woh­ner auf dem Grund un­se­rer Ozea­ne. Das Ge­rät stamm­te nicht von un­se­rem Pla­ne­ten! Wir hat­ten es als wis­sen­schaft­li­che Aus­beu­te vom Mond zur Er­de ge­bracht. Es han­del­te sich um einen je­ner elek­tri­schen Schock­strah­ler, die bei der Ver­nich­tung der lu­na­ren De­ne­ber-Zen­tra­le zum Ein­satz ge­kom­men wa­ren.

Von der Wir­kung des Ge­rä­tes war ich über­zeugt. Je­des Le­be­we­sen mit Ner­ven­sys­tem muß­te un­ter den Aus­wir­kun­gen der gleich­ge­rich­te­ten Ent­la­dung im Bruch­teil ei­ner Se­kun­de ge­lähmt wer­den. Das hat­te ich so­gar bei Mu­tan­ten er­lebt, de­ren Or­ga­nis­mus sich doch er­heb­lich von dem ei­nes Nor­mal­men­schen un­ter­schied.

Die elek­tri­schen Schock­strah­ler hat­ten nur den Nach­teil, rei­ne Nah­kampf­waf­fen zu sein. Für einen Schock­schuß über zwan­zig Me­ter hin­weg konn­te ich noch ga­ran­tie­ren. Was aber deut­lich dar­über hin­aus­ging, war schon mehr als il­lu­so­risch. Des­halb moch­te der Al­te auch an­ge­fragt ha­ben, wie weit Wul­fer von dem ge­stell­ten Ba­zil­len­trä­ger ent­fernt wä­re.

Das Ant­wort des Ma­jors un­ter­brach mei­ne Über­le­gun­gen.

»Ich ga­ran­tie­re für nichts, Sir. Wir ha­ben Kos­ter­na zwar um­stellt, aber nä­her als bis auf fünf­und­zwan­zig Me­ter sind wir nicht her­an­ge­kom­men. Ich lie­ge hin­ter ei­nem Be­ton­pfei­ler. Kos­ter­na schießt bei je­der Be­we­gung. Er scheint aus­rei­chend Mu­ni­ti­on zu ha­ben. Ich ha­be den Ein­druck, als hät­te er sich auf einen sol­chen Fall vor­be­rei­tet. Ge­ben Sie mir Er­laub­nis zu ei­nem ernst­haf­ten An­griff. Ich ha­be hier einen her­vor­ra­gen­den Scharf­schüt­zen. Er könn­te den Kran­ken ak­ti­ons­un­fä­hig schie­ßen. Ich ga­ran­tie­re für die Treff­si­cher­heit mei­nes Schüt­zen. Wir kom­men sonst nicht nä­her ran, Sir.«

Die Stim­me in mei­nem Helm­laut­spre­cher ver­stumm­te. Ma­jor Wul­fer hat­te in größ­ter Er­re­gung ge­spro­chen. Ver­wun­der­lich war es nicht. Im­mer­hin be­fand er sich in nächs­ter Nä­he ei­nes Man­nes, des­sen Feu­er er nicht er­wi­dern durf­te. Da­zu kam noch die Ge­fahr ei­ner In­fi­zie­rung. Das drit­te Stock­werk des Spei­chers muß­te über­all ver­seucht sein, wo sich der Ba­zil­len­trä­ger auf­ge­hal­ten hat­te.

Mehr als zwei­tau­send Mann hat­ten Wul­fers Wor­te ver­nom­men. Wir hat­ten von den Me­di­zi­nern die An­wei­sung er­hal­ten, un­ter gar kei­nen Um­stän­den die leich­ten Raum­an­zü­ge zu öff­nen. Das war wahr­schein­lich die ein­zi­ge Mög­lich­keit, ei­ne An­ste­ckung zu ver­mei­den.

In­ner­halb der La­ger­hal­le hiel­ten sich nur zwölf Mann auf. Ich ver­nahm das hel­le Peit­schen un­se­rer voll­au­to­ma­ti­schen Dienst­waf­fen. Die Män­ner des Ein­satz­kom­man­dos un­ter­nah­men al­les, um Kos­ter­na nicht den Stand­ort wech­seln zu las­sen. Na­tür­lich be­folg­ten sie trotz­dem streng den Be­fehl, den Ser­gean­ten nicht zu ver­let­zen.

Die Stim­me des Al­ten klang über die Funk­sprech­an­la­ge mei­nes Raum­an­zu­ges auf.

»Wul­fer, war­ten Sie das Ein­tref­fen von Ma­jor HC-9 ab. Wir kön­nen nicht län­ger zö­gern, oh­ne Ge­fahr zu lau­fen, daß der Kran­ke zum Selbst­mord ge­trie­ben wird. Be­rei­ten Sie für HC-9 ei­ne De­ckung vor, aus der er ei­ni­ger­ma­ßen un­ge­fähr­det feu­ern kann. Sind Sie si­cher, daß Kos­ter­na un­se­re Funk­sprech-Un­ter­hal­tung nicht ab­hö­ren kann?«

»Ab­so­lut si­cher, Sir. Er trägt Zi­vil­klei­dung. Als wir ihn in die En­ge trie­ben, ha­ben wir bei ihm kein E-Ge­rät be­merkt. Für ihn füh­ren wir kei­ne Ge­sprä­che.«

Au­gen­bli­cke spä­ter er­hielt ich den Be­fehl, den rie­si­gen Spei­cher zu be­tre­ten. Nun ge­riet ich eben­falls in den Bann­kreis der Krank­heit, die wir bis­her noch nicht be­kämp­fen konn­ten.

»Pas­sen Sie auf«, warn­te der Chef. »Ei­ner von Wul­fers Män­nern wird Sie nach oben brin­gen. Ver­mei­den Sie je­de Be­rüh­rung mit Ge­gen­stän­den, die von dem Kran­ken an­ge­faßt wor­den sind. Neh­men Sie mög­lichst einen Weg, den er bei sei­ner Flucht nicht be­schrit­ten hat. Und –«, Ge­ne­ral Re­ling zö­ger­te, »– schie­ßen Sie ge­nau! Un­ter kei­nen Um­stän­den den Raum­an­zug öff­nen, auch wenn Sie ge­trof­fen wer­den soll­ten. Je­der Atem­zug des Kran­ken ver­brei­tet die Seu­che. Viel Glück!«

Ich ging mit wei­ten Schrit­ten über die men­schen­lee­re Stra­ße. Wir hat­ten längst für die Si­cher­heit der Stadt­be­woh­ner ge­sorgt, ob­wohl wir nicht wis­sen konn­ten, wie vie­le Men­schen Kos­ter­na be­reits in­fi­ziert hat­te.

Ich fühl­te mich ein­sam wie in der Wüs­te. Da­bei wa­ren hin­ter mir die Pan­zer der GWA-Di­vi­si­on auf­ge­fah­ren, dröhn­ten über mir die Atom­trieb­wer­ke schnel­ler Flug­schrau­ber und dick­bau­chi­ger Trans­port­ma­schi­nen.

Es wä­re ei­ne Klei­nig­keit ge­we­sen, den ge­sam­ten Spei­cher in einen Trüm­mer­hau­fen zu ver­wan­deln. Schon ein Sol­dat die­ser Eli­te­trup­pe hät­te aus­ge­reicht, die La­ger­hal­le mit ei­nem ato­ma­ren Flam­men­wer­fer aus­zuräu­chern. Die­se Maß­nah­me war uns aber strikt un­ter­sagt.

Wir muß­ten den Mann le­bend ha­ben; einen Mann, den ich zu­tiefst be­dau­er­te. Er hat­te auf dem fer­nen Mars sei­ne Pflicht ge­tan, bis ihn ei­ne un­be­kann­te Macht über­wäl­tig­te. Wir wuß­ten, daß er nicht mehr bei kla­rem Ver­stand sein konn­te.

Nur des­halb hat­te ich mich für die­sen Ein­satz ge­mel­det. Au­ßer mir gab es nur noch einen Mann, der die de­ne­bi­schen Schock­strah­ler im Ge­fecht er­lebt hat­te. Die­ser Kol­le­ge war aber zur Zeit nicht hier. Er be­fand sich auf dem Mond, wo wich­ti­ge Vor­be­rei­tun­gen ge­trof­fen wer­den muß­ten.

Ein Sol­dat im Raum­an­zug brach­te mich vor­sich­tig nach oben. Der Spei­cher war wirk­lich groß. Man hät­te sich ver­lau­fen kön­nen.

Wäh­rend des Auf­stiegs spra­chen wir kein Wort. Mir fiel je­doch auf, mit wel­cher Ängst­lich­keit mein Be­glei­ter ver­such­te, Wän­den und ein­ge­la­ger­ten Ge­gen­stän­den aus dem We­ge zu ge­hen.

Zehn Mi­nu­ten spä­ter sah ich Ma­jor Wul­fer hin­ter ei­ner großen Kis­te her­vor­krie­chen. Sein Ge­sicht un­ter dem trans­pa­ren­ten Ku­gel­helm war schweiß­über­strömt. Er at­me­te so has­tig und un­kon­trol­liert, als lit­te er an aku­ter Luft­not. Wir ver­stän­dig­ten uns über die Funk­sprech­an­la­gen der An­zü­ge.

»Okay«, sag­te er mit ei­nem An­flug von Sar­kas­mus, »da wä­ren Sie al­so. Freut mich, daß die ›Schat­ten‹ die Sa­che wie­der ein­mal er­folg­reich er­le­di­gen wol­len. Ich brin­ge Sie nach vorn hin­ter mei­ne Säu­le. Ist das Ih­re Waf­fe?«

Er blick­te neu­gie­rig auf das un­hand­li­che Ge­bil­de mit der trich­ter­för­mi­gen Mün­dung auf ei­nem kur­z­en Lauf. Wul­fer war am En­de sei­ner Ner­ven­kraft, das stand au­ßer Fra­ge.

Für die we­ni­gen Me­ter bis zu sei­ner De­ckung be­nö­tig­ten wir fünf­zehn Mi­nu­ten. Sei­ne Män­ner la­gen tat­säch­lich un­ter so star­kem Be­schuß, als feu­er­te ei­ne kom­plet­te Kom­pa­nie. Ich warf mich mit ei­nem letz­ten Sprung hin­ter den me­ter­star­ken Be­ton­pfei­ler.

»Wul­fer, wo­her hat Kos­ter­na die vie­le Mu­ni­ti­on?«

»Kei­ne Ah­nung«, er­wi­der­te der Ma­jor schul­ter­zu­ckend. »Er hat­te einen Kof­fer bei sich. Ich kom­me lang­sam zu der An­sicht, daß er nur Pa­tro­nen ent­hielt. Das ist auf al­le Fäl­le der selt­sams­te Ver­bre­cher, den ich je­mals ver­folgt ha­be, mein Wort dar­auf.«

»Das ist kein Ver­bre­cher«, be­lehr­te ich ihn. »Sie ah­nen nicht, was hier ge­spielt wird. Ach­tung: Die Wul­fer-Ab­tei­lung hört nun auf mei­ne An­wei­sun­gen! Stel­len Sie Ihr Feu­er ein!«

Das gel­len­de Peit­schen der Ab­schüs­se ver­stumm­te. Es wur­de so still in der ge­wal­ti­gen Hal­le, als hät­te es hier kei­ne Le­ben­den mehr ge­ge­ben.

Ich sah hin­über zu der wuch­ti­gen Au­to­ma­ten-Dreh­bank, die of­fen­bar zur Ver­schif­fung be­stimmt war. Sie stand dicht an der einen Au­ßen­wand der La­ger­hal­le. Zwi­schen ihr und der Be­ton­mau­er kau­er­te Ser­geant Kos­ter­na, der dort ei­ne vor­züg­li­che De­ckung ge­fun­den hat­te. Er konn­te nur von vorn und den bei­den Sei­ten an­ge­grif­fen wer­den.

Es war recht dun­kel in dem Raum. Die Leucht­röh­ren wa­ren von Kos­ter­na längst zer­schos­sen wor­den. Nur spär­li­ches Ta­ges­licht fiel durch die schma­len Fens­ter in der Mau­er.

Ich war­te­te, bis sich mei­ne Au­gen an die Däm­me­rung ge­wöhnt hat­ten.

Kos­ter­na schoß in ge­nau be­rech­ne­ten Ab­stän­den. Die Ge­räusche der ex­plo­die­ren­den Ge­schos­se be­lehr­ten mich über sei­ne Ab­sich­ten.

Ich war­te­te auf sei­nen nächs­ten Schuß. Der Ser­geant kam blitz­schnell hin­ter der De­ckung her­vor, feu­er­te und ver­schwand wie­der. Die Re­gel­mä­ßig­keit sei­ner Hand­lung war un­schwer zu er­fas­sen.

»Ach­tung, an den Ein­satz­trupp: Nach sei­nem nächs­ten Schuß er­öff­nen Sie gleich­zei­tig das Feu­er. Schie­ßen Sie auf die Ma­schi­ne, und ge­ben Sie mir da­mit Ge­le­gen­heit, mei­ne Waf­fe in An­schlag zu brin­gen. Dann bre­chen Sie ab. Al­les klar?«

Es gab kei­ne Rück­fra­gen. Zwölf Ma­schi­nen­waf­fen ver­wan­del­ten die Däm­me­rung in einen blitz­durch­zuck­ten Tag. Die Quer­schlä­ger heul­ten so zahl­reich durch die Hal­le, daß ich es kaum wa­gen konn­te, mei­ne Waf­fe nach vorn zu schie­ben. Dann hat­te ich ge­nau je­ne Aus­buch­tung im Vi­sier, hin­ter der Kos­ter­na re­gel­mä­ßig auf­tauch­te. Ich leg­te den Dau­men auf den ro­ten Feu­er­knopf ei­nes Ge­rä­tes, des­sen Kon­struk­ti­on von uns nicht ver­stan­den wur­de. Wir wuß­ten le­dig­lich, auf wel­chen Knopf wir zu drücken hat­ten.

Nach mei­nem »Stop« ver­stumm­te das Feu­er un­se­rer Män­ner. Kos­ter­na er­schi­en so plan­mä­ßig, als hät­te er nur auf den Au­gen­blick ge­war­tet. Er han­del­te – tak­tisch ge­se­hen – völ­lig un­mög­lich! Er glich ei­ner fern­ge­steu­er­ten Ma­rio­net­te.

Feu­er­hand, Arm und Ober­kör­per tauch­ten gleich­zei­tig in mei­nem Leucht­vi­sier auf. Er gab sich kei­ne son­der­li­che Mü­he, den Kör­per bes­ser ab­zu­de­cken.

Ehe er er­neut schie­ßen konn­te, gab ich den Kon­takt. Der schwe­re Schock­strah­ler in mei­nen Ar­men ent­lud sich mit ei­ner don­ner­ar­ti­gen Ge­räusch­ent­wick­lung. Der grel­le Blitz zuck­te vor, hüll­te den Fuß der Ap­pa­ra­tur ein und um­fing dann die sicht­ba­re Kör­per­par­tie des Kran­ken, der im glei­chen Se­kun­den­bruch­teil wie von un­sicht­ba­ren Ge­wal­ten hin­ter sei­ner De­ckung her­vor­ge­schleu­dert wur­de.

Als sich das Grol­len des Ener­gie­schus­ses ver­lief, lag Hen­drik Kos­ter­na in ei­gen­ar­tig ver­krümm­ter Hal­tung auf dem Bo­den. Er be­weg­te kei­nen Fin­ger mehr. Ich wuß­te, daß die to­ta­le Läh­mung sei­nes Ner­ven­sys­tems nur ei­ne hal­be Stun­de an­hal­ten konn­te. Bei die­sem Mann war es uns end­lich ge­lun­gen, sei­nem selbst­mör­de­ri­schen Drang zu­vor­zu­kom­men.

Als wir uns vor­sich­tig über ihn beug­ten, sa­hen wir in weit auf­ge­ris­se­ne Au­gen. Er konn­te je­des Wort hö­ren, wahr­schein­lich auch ver­ste­hen, nur ver­moch­te er sich nicht zu be­we­gen.

»Auf kei­nen Fall an­fas­sen«, be­schwor mich Ma­jor Wul­fer. »Wenn das Teu­fels­ding auch groß­ar­tig ge­wirkt hat, so dürf­te es wohl kaum die Er­re­ger ver­nich­tet ha­ben. Hö­ren Sie, wie ar­bei­tet die Waf­fe ei­gent­lich?«

Ich ließ die Fra­ge vor­erst un­be­ant­wor­tet, da in die­sem Mo­ment die Ärz­te un­se­res wis­sen­schaft­li­chen Teams her­bei­eil­ten. Mei­ne Ar­beit war ge­tan. Nun hat­ten die Me­di­zi­ner das Wort.

Ich dreh­te mich lang­sam nach Wul­fer um, der mit ei­ner der­ben Ver­wün­schung die Zi­ga­ret­te fal­len ließ. Mit ei­nem stahl­fes­ten Ku­gel­helm über dem Kopf konn­te man wirk­lich schlecht rau­chen.

»Wenn ich Ih­nen das sa­gen könn­te, Ma­jor, wä­re mir ent­schie­den woh­ler«, nahm ich un­ser Ge­spräch wie­der auf. »Ich …!«

Mein Satz blieb un­voll­en­det.

»Ma­jor HC-9 so­fort zur Des­in­fi­zie­rung«, dröhn­te es in mei­nem Helm­laut­spre­cher auf. »Su­chen Sie den Spe­zi­al­wa­gen auf. Schutz­an­zug nicht ab­le­gen, bis Sie be­strahlt sind.«

Ich ging mit schlep­pen­den Schrit­ten auf den Des­in­fek­ti­ons­wa­gen zu. Als ich ihn be­trat, dach­te ich über Ur­sa­chen und Wir­kung nach. Ich konn­te mir nicht hel­fen – aber Hen­drik Kos­ter­na ge­hör­te mein Mit­ge­fühl. Was moch­te man mit ihm an­ge­stellt ha­ben?