4.

 

Die Leu­te, die in dem kreis­för­mig ge­stal­te­ten Raum sa­ßen, wa­ren vor achtund­vier­zig Stun­den in Schutz­haft ge­nom­men wor­den. Das be­deu­te­te, daß sie das GWA-Zen­trum nicht eher ver­las­sen durf­ten, bis die Mög­lich­keit ei­nes un­ge­woll­ten Ver­ra­tes aus­ge­schal­tet war.

Da wir nicht wuß­ten, mit wel­chen Geg­nern wir es zu tun hat­ten, blieb uns kei­ne an­de­re Wahl, als zu die­ser un­er­freu­li­chen Maß­nah­me zu grei­fen.

Es gab je­doch nie­mand, der sich da­ge­gen auf­ge­lehnt hät­te. Die Si­tua­ti­on war zu ernst.

Na­tür­lich stand es den Frau­en und Män­nern je­der­zeit frei, mit ih­ren Dienst­stel­len und For­schungs­zen­tren per Bild­sprech in Ver­bin­dung zu tre­ten. Vor­sichts­hal­ber muß­ten wir nur ver­hin­dern, daß sie vor der Lö­sung un­se­rer Pro­ble­me das Zen­trum ver­lie­ßen. Sie hat­ten be­reits zu viel von dem ge­plan­ten Ein­satz er­fah­ren. Es wä­re mehr als ge­fähr­lich ge­we­sen, sie zu ent­las­sen.

Ich sah mich in dem großen Raum um. Au­ßer den be­kann­ten Wis­sen­schaft­lern ent­deck­te ich zahl­rei­che Ge­heim­dien­st­of­fi­zie­re aus Großasi­en, Eu­ro­pa und Afri­ka. Auch die Rus­sen wa­ren ver­tre­ten. Wir hat­ten ei­ne Welt-Ab­wehr­zen­tra­le un­ter dem Vor­sitz von Ge­ne­ral Re­ling ge­schaf­fen.

Die Män­ner, die die­sem Gre­mi­um an­ge­hör­ten, be­sa­ßen weit­rei­chends­te Voll­mach­ten. Ich wuß­te mich in ih­rer Ob­hut gut auf­ge­ho­ben, zu­mal wir nun einen Fall zu be­wäl­ti­gen hat­ten, den es seit Be­ste­hen der Mensch­heit noch nie­mals ge­ge­ben hat­te!

Un­ser Chef hat­te sich be­reit er­klärt, die an­de­ren Ab­wehr- und Ge­heim­dien­st­of­fi­zie­re in un­ser Pla­nungs­sys­tem ein­zu­wei­hen und in­fol­ge­des­sen den kom­men­den Ein­satz mit den füh­ren­den Leu­ten aus al­len Erd­tei­len ge­mein­sam be­spro­chen.

Ich wuß­te noch nichts, da man wie­der ein­mal nach dem Grund­satz han­del­te, die ak­ti­ven Agen­ten erst dann mit den Da­ten zu be­las­ten, wenn al­le Ne­ben­säch­lich­kei­ten aus­ge­schie­den wa­ren. Das war nun an­schei­nend ge­sche­hen, oder wir wä­ren nicht in die Schalt­zen­tra­le des Ro­bot­ge­hirns be­foh­len wor­den.

Dr. Tan­ta­ly Ne­on saß dicht ne­ben mir. Drü­ben, un­mit­tel­bar vor dem sicht­ba­ren Teil des po­sitro­ni­schen Ge­hirns, stand Ge­ne­ral Re­ling auf der Iden­ti­fi­zie­rungs-Platt­form.

Die End­be­rech­nun­gen des Ro­bo­ters wä­ren be­reits vor ei­ner hal­b­en Stun­de fäl­lig ge­we­sen. Im letz­ten Au­gen­blick hat­te der Chef einen drin­gen­den An­ruf aus Kon­go-Ci­ty er­hal­ten. Nach der ge­flüs­ter­ten Mel­dung ei­nes afri­ka­ni­schen Ver­bin­dungs­of­fi­ziers war der Al­te aus dem Raum ge­stürzt.

Kurz da­nach hat­te uns der Lei­ten­de In­ge­nieur der Ro­bo­ter­zen­tra­le in sehr va­ger Wei­se an­ge­deu­tet, wir hät­ten min­des­tens noch ei­ne hal­be Stun­de zu war­ten, da man dem »Ge­dächt­nis« so­eben völ­lig neue Da­ten in die Speicher­bän­ke ge­ben wer­de.

Wir hat­ten al­so ge­war­tet. Mei­ne in­ne­re Un­ru­he war stän­dig ge­stie­gen. Auch Ta­ly schi­en sich nicht be­son­ders wohl zu füh­len. Ih­re fra­gen­den Bli­cke hat­te ich nur mit ei­nem hilflo­sen Schul­ter­zu­cken be­ant­wor­ten kön­nen.

Jetzt sah sie ge­spannt nach vorn. Sie hat­te noch nie ei­nem Iden­ti­fi­zie­rungs­test durch das »Ge­dächt­nis« bei­ge­wohnt.

Als sich die De­tek­tor­hau­be nach oben schob und Re­lings Kopf wie­der voll sicht­bar wur­de, frag­te sie ver­stört:

»Was soll das be­deu­ten? Ist das im­mer so?«

»Nur bei schwer­wie­gen­den Fäl­len«, flüs­ter­te ich zu­rück. »Das Ge­hirn hat ei­ni­ge Hem­mungs­schal­tun­gen er­hal­ten. So­bald sei­ne End­er­geb­nis­se die Si­cher­heit der Er­de be­tref­fen, wird es nur auf Re­lings Fra­gen ant­wor­ten. Sei­ne In­di­vi­du­al­schwin­gun­gen sind in den Speicher­bän­ken ent­hal­ten. Doch schwei­gen Sie nun.«

»Sie wer­den als be­rech­tig­ter Fra­ge­stel­ler ak­zep­tiert, Sir«, drang es un­mo­du­liert aus den Laut­spre­chern. »Nach Hem­mungs­schal­tung E-12 bin ich ver­pflich­tet. Sie wäh­rend der Fra­ge­stel­lung im Be­reich mei­ner Kon­troll­or­ga­ne zu hal­ten. Sie wer­den ge­be­ten, auf der ID-Platt­form zu ver­blei­ben.«

Bläs­se über­zog Ta­lys Ge­sicht. Sie sah mich ver­wirrt an. Die­se Re­ak­ti­on hat­te ich auch bei an­de­ren Leu­ten schon er­lebt. Es war für den den­ken­den Men­schen nicht ein­fach, die Mam­mut­ma­schi­ne in die­ser Form spre­chen zu hö­ren. Al­lein die Um­set­zung der elek­tro­ni­schen und po­sitro­ni­schen Re­chen­im­pul­se in ein­wand­frei ver­ständ­li­che Lau­te war ein Meis­ter­werk der Ky­ber­ne­tik. Al­ler­dings wuß­te ich, daß der Ro­bo­ter trotz sei­ner un­ge­heu­ren Leis­tungs­fä­hig­keit nicht in der La­ge war, tat­säch­lich in­di­vi­du­ell zu den­ken und zu han­deln. Was er mit Hil­fe sei­ner künst­li­chen Stimm­band-Mo­du­la­to­ren über die Laut­spre­cher be­kannt­gab, war ein Pro­dukt von Re­chen­er­geb­nis­sen, mit de­ren Grund­da­ten wir ihn vor­her ge­füt­tert hat­ten.

Den­noch war es ver­blüf­fend, das »Ge­dächt­nis« spre­chen zu hö­ren. Es er­weck­te in der Tat den Ein­druck, als könn­te es wirk­lich den­ken.

Die ro­ten Lam­pen über der ge­wölb­ten Kunst­stoff­ver­klei­dung leuch­te­ten auf.

»Emp­fangs­be­reit, Sir«, ver­kün­de­ten die Laut­spre­cher.

Ich sah zu un­se­ren hoch­s­pe­zia­li­sier­ten Tech­ni­kern an den Schalt­pul­ten hin­über, die die­se gi­gan­ti­sche Ma­schi­ne her­vor­ra­gend be­herrsch­ten.

Re­ling saß be­we­gungs­los auf dem klei­nen Hocker in­mit­ten der Iden­ti­fi­zie­rungs-Platt­form. Dicht vor ihm be­fan­den sich die me­cha­ni­schen Kon­troll­or­ga­ne des Ro­bot­ge­hirns.

»Be­trifft Fall ›Nie­mands­land‹«, sag­te der Al­te deut­lich in die Auf­nah­me­mi­kro­pho­ne.

Ich fuhr zu­sam­men. Es war ein Wort ge­fal­len, mit dem ich nur in­stink­tiv et­was an­fan­gen konn­te. Re­ling gab ei­ni­ge An­wei­sun­gen, die mir auch nicht ganz klar er­schie­nen, aber ich er­kann­te, daß man be­reits groß­ar­ti­ge Vor­ar­beit ge­leis­tet hat­te.

Der vor mir sit­zen­de Afri­ka­ner wand­te den Kopf. Sein an­ge­deu­te­tes Lä­cheln er­schi­en mir viel­sa­gend. Sei­ne Uni­form wies ihn als Ge­heim­dien­st­of­fi­zier der »Afri­ka­ni­schen Al­li­anz« aus. Was wuß­te der Mann? Sein kur­z­es Ni­cken konn­te al­les und nichts be­deu­ten. Si­cher­lich war er aber über mich in­for­miert. Mei­ne vor­schrifts­mä­ßi­ge Dienst­mas­ke kam mir in dem Au­gen­blick mehr als frag­wür­dig vor. Die Ver­ord­nung über das Tra­gen sol­cher Fo­li­en stamm­te noch aus den Zei­ten des ge­gen­sei­ti­gen Miß­trau­ens, das wir in­zwi­schen glück­li­cher­wei­se über­wun­den hat­ten.

Ich wink­te dem Afri­ka­ner zer­streut zu. Mei­ne Ge­dan­ken be­schäf­tig­ten sich mit sei­nem Lands­mann, Pro­fes­sor Ne­ge­te Ng­u­mo­lo, des­sen Re­fe­rat mir noch im­mer im Kopf her­um­ging. Die ver­än­der­te Mito­se­strah­lung des Kran­ken hat­te zu ei­ni­gen wag­hal­si­gen Theo­ri­en ge­führt, die das »Ge­dächt­nis« wohl in­zwi­schen ein­kal­ku­liert hat­te.

Das Ro­bot­ge­hirn be­gann mit sei­nem Be­richt. Schon die ers­ten Wor­te der me­cha­ni­schen Spra­ch­ele­men­te ga­ben mir einen Schock.

»Die vor vierund­drei­ßig Mi­nu­ten an mein Ge­dächt­nis­zen­trum über­mit­tel­ten Grund­da­ten des Mi­nis­ter­prä­si­den­ten der Afri­ka­ni­schen Al­li­anz ha­ben kei­ne Än­de­rung der be­reits vor­lie­gen­den End­er­geb­nis­se über den Fall ›Nie­mands­land‹ be­wirkt«, ga­ben die Laut­spre­cher be­kannt. »Die lo­gis­ti­schen Grund­la­gen für die er­mit­tel­ten End­wer­te wur­den be­stä­tigt. Zu Ih­rer In­for­ma­ti­on bin ich ge­zwun­gen, den Film­strei­fen des Afri­ka­ni­schen Raum­jagd-Kom­man­dos vor­zu­füh­ren. Sie wer­den ge­be­ten, die er­klä­ren­den Hin­wei­se zu be­ach­ten.«

Un­se­re be­weg­li­chen Sit­ze dreh­ten sich au­to­ma­tisch um fünf­und­vier­zig Grad. Die große Bild­flä­che des Ge­hirns tauch­te in un­se­rem Blick­feld auf.

Die en­ge Kan­zel ei­nes klei­nen Raum­jä­gers wur­de sicht­bar. Es war das Spalt­stoff-Plas­ma-Mo­dell von Pro­fes­sor Dr. Dr. Ema­nu­el Scheu­ning. Das dunkle Ge­sicht des Raum­pi­lo­ten wur­de hin­ter dem Druck­helm des Raum­an­zu­ges er­kenn­bar.

»Cap­tain Ju­sef el Ha­mid, Chef der 8. Raum­jä­ger­staf­fel«, be­rich­te­te der Ro­bot. »Selbst­auf­nah­me durch au­to­ma­ti­sche Ka­me­ra. Der Jä­ger be­fand sich in die­sem Au­gen­blick auf ei­ner Fünf­stun­den-Kreis­bahn im frei­en Raum. Die Or­tung des frem­den Flug­ob­jek­tes durch Cap­tain el Ha­mid er­folg­te 12.23 Uhr, 14. No­vem­ber 2005. Cap­tain el Ha­mid be­nach­rich­tig­te über Sprech­funk die ame­ri­ka­ni­sche Raum­sta­ti­on Ter­ra II. Von dort aus wur­den kampf­kräf­ti­ge Ein­hei­ten der Ver­ein­ten-Raum­flot­te zum Or­tungs­ge­biet be­foh­len.«

Ich trau­te mei­nen Au­gen nicht mehr! Die drei­di­men­sio­na­len und far­bi­gen Auf­nah­men zeig­ten die im Son­nen­licht glit­zern­den Raum­jä­ger der afri­ka­ni­schen Staf­fel. Die ein­sit­zi­gen Ma­schi­nen ho­ben sich klar vom samtschwar­zen Hin­ter­grund des Welt­rau­mes ab.

Au­gen­bli­cke spä­ter blen­de­te das Bild um. Das »Ge­dächt­nis« er­klär­te da­zu:

»Um­schal­tung der Ka­me­ra auf Fern-Ob­jekt­tas­ter ist er­folgt. Bild­li­che Dar­stel­lung des an­ge­strahl­ten Fremd­kör­pers wur­de mög­lich in Ent­fer­nung achtund­neun­zig­tau­send Ki­lo­me­ter.«

Wir er­blick­ten das feu­er­spei­en­de Heck ei­nes Raum­schif­fes in be­kann­ter Ske­lett-Bau­wei­se. Es war ein ty­pi­scher Trans­por­ter, der in­fol­ge sei­ner kon­struk­ti­ven Merk­ma­le nie­mals in die At­mo­sphä­re der Er­de ein­tau­chen konn­te. Das tra­gen­de Git­ter­ge­rüst mit den dar­in auf­ge­häng­ten Trans­port- und Ka­bi­nen­be­häl­tern wä­re in Se­kun­den­bruch­tei­len zer­ris­sen wor­den. Die­se Schif­fe eig­ne­ten sich je­doch um so bes­ser für den Ein­satz im ab­so­lu­ten Va­ku­um des Raum­es.

»Trans­por­ter der eu­ro­päi­schen Plu­to-Klas­se«, er­läu­ter­te der Ro­bot. »Das Schiff ver­zö­ger­te sei­ne Fahrt nach den vor­han­de­nen Re­chen­er­geb­nis­sen der Ob­jekt­tas­ter mit ei­nem Brems­be­schleu­ni­gungs­wert von 1,3 Gra­vos. Das Heck mit dem Plas­ma-Trieb­werk ist ge­gen die Fahrtrich­tung ge­dreht. Cap­tain el Ha­mid ruft den Trans­por­ter über Funk an. Ent­fer­nung zu die­sem Zeit­punkt zwei­und­drei­ßig­tau­send Ki­lo­me­ter. Nach An­ga­be der Funk­sprech­mel­dung schwenkt das Schiff mit ei­ner End­fahrt von 6,856 Ki­lo­me­ter pro Se­kun­de zur ers­ten Kreis­bahn-El­lip­se ein. Der An­ruf des Cap­tains wird nicht be­ant­wor­tet.«

»Jetzt pas­sen Sie auf«, mein­te der vor mir sit­zen­de Afri­ka­ner. »Äu­ßerst selt­sam, den­ke ich. Pas­sen Sie auf!«

Ich beug­te mich er­war­tungs­voll vor. Das große Bild war der­art na­tur­ge­treu, als näh­me man un­mit­tel­bar an den Ge­scheh­nis­sen teil.

Der Trans­por­ter der Plu­to-Klas­se war nun sehr deut­lich zu er­ken­nen. Cap­tain el Ha­mid hat­te sich mit sei­nen elf Jä­gern zwi­schen den großen Raum­er und die Son­ne ge­scho­ben. Ei­ne kur­ze Mel­dung be­rich­te­te über die bal­di­ge An­kunft des mit Voll­schub vor­bei­ra­sen­den Raum­kreu­zers der US-Flot­te. Das Schiff war dem Space-De­part­ment un­ter­stellt.

Se­kun­den spä­ter lie­fen die Er­eig­nis­se so schnell ab, daß man die ein­zel­nen Sze­nen kaum ver­fol­gen konn­te.

Cap­tain el Ha­mid gab einen Be­fehl, den wir dies­mal durch die Auf­zeich­nung mit­hö­ren konn­ten.

Aus den Wer­fer­roh­ren ei­nes sei­ner Jä­ger lös­te sich ein arm­lan­ges Ra­ke­ten­ge­schoß. Der ato­ma­re Spreng­kopf ent­fal­te­te sich knapp drei­ßig Ki­lo­me­ter vor dem Trans­por­ter, der an­schei­nend noch im­mer mit sei­nem Kreis­bahn­ma­nö­ver be­schäf­tigt war.

Der wei­ße Glut­ball stach in mei­ne Au­gen. Gleich dar­auf jag­te der Plu­to-Raum­er an dem ato­ma­ren Mi­nia­turs­tern vor­bei. Es war ein Warn­schuß ge­we­sen, na­tür­lich!

Den­noch rea­gier­te die Be­sat­zung des Trans­por­ters höchst feind­se­lig. Ich sah deut­lich die lo­hen­den Feu­er­zun­gen aus den Waf­fen­öff­nun­gen des Ske­lett­schif­fes zu­cken. Zwei der afri­ka­ni­schen Raum­jä­ger ver­glüh­ten in den laut­los auf­zu­cken­den Feu­er­bäl­len spon­ta­ner Kern­re­ak­tio­nen.

Da gab Cap­tain el Ha­mid den Feu­er­be­fehl. Sei­ne laut­star­ken Kom­man­dos wa­ren nicht zu über­hö­ren.

Das »Ge­dächt­nis« ver­zich­te­te auf wei­te­re Kom­men­ta­re.

Ehe el Ha­mid die Be­fehl­ser­tei­lung vollen­det hat­te, ge­sch­ah das, was der afri­ka­ni­sche Ge­heim­dien­st­of­fi­zier wahr­schein­lich als »sehr selt­sam« be­zeich­net hat­te.

Aus dem mäch­ti­gen La­de­raum­zy­lin­der der EU­RO­PA – der Na­me war in­zwi­schen er­mit­telt – schob sich ein blit­zen­des Et­was in die Lee­re des Raum­es. Der Ob­jekt­tas­ter un­se­res Jä­gers er­faß­te es so­fort.

Ich hör­te mich auf­stöh­nen. An­de­re Leu­te in mei­ner Um­ge­bung spran­gen von den Sit­zen. Ta­ly stieß einen un­ter­drück­ten Schrei aus.

Dann war der Fremd­kör­per klar zu er­ken­nen. Ehe er mit ho­her Be­schleu­ni­gung da­von­ras­te, hat­ten wir fest­ge­stellt, daß es sich um ein dis­kus­för­mi­ges Ge­bil­de ge­rin­gen Durch­mes­sers han­del­te. Der wa­bern­de Feu­er­kranz an den Rän­dern der Schei­be ver­riet ge­nug.

Cap­tain el Ha­mid ließ dem frem­den Raum­schiff nach­schie­ßen. Die klei­nen Ra­ke­ten konn­ten das mit we­nigs­tens fünf­zig Gra­vos be­schleu­ni­gen­de Ziel aber nicht mehr er­rei­chen.

Wäh­rend ich noch ver­hal­ten stöhn­te, flamm­te das hin­te­re Drit­tel der EU­RO­PA auf. Ich be­merk­te den grel­len Licht­fin­ger, der aus den Tie­fen des Raum­es her­an­schoß.

Das »Ge­dächt­nis« er­klär­te da­zu:

»Der schwer­be­waff­ne­te Kreu­zer des Space-De­part­ment ist ein­ge­trof­fen. Das Schiff ist im Auf­trag der Ge­hei­men-Wis­sen­schaft­li­chen-Ab­wehr mit ei­nem mar­sia­ni­schen Ener­gie­strah­ler aus­ge­rüs­tet. Die Waf­fe ar­bei­te­te per­fekt. Der Kom­man­dant der STAR­DUST ver­dampft die hin­te­re Hälf­te des Trans­por­ters, des­sen Kreis­bahn­ma­nö­ver be­en­det ist. Die EU­RO­PA schießt nicht mehr. Kreu­zer­kom­man­dant J. Min­hoe er­teilt Cap­tain el Ha­mid den Be­fehl, das schwer­be­schä­dig­te Schiff di­rekt an­zu­grei­fen und ein An­le­ge­ma­nö­ver zu ver­su­chen. Das Ma­nö­ver ge­lingt. Die afri­ka­ni­schen Raum­jä­ger schie­ßen die Saug­wulst­lei­nen ab. Zwei Bei­boo­te des Kreu­zers kom­men nä­her. Kein Wi­der­stand aus der un­be­schä­digt ge­blie­be­nen Kom­man­do- und Wohn­ku­gel der EU­RO­PA. Die Män­ner der Raum­gar­de schnei­den die hin­te­re Luft­schleu­se des Trans­por­ters auf. Kein Wi­der­stand.«

Der Film war fast ab­ge­lau­fen. Man sah noch ei­ni­ge un­se­rer Leu­te mit schuß­be­rei­ten Ra­ke­ten­ka­ra­bi­nern das Kom­man­do­seg­ment be­tre­ten. Un­be­kann­te Män­ner tauch­ten auf. Sie tru­gen die Uni­form der eu­ro­päi­schen Mars-Di­vi­si­on. Still und reg­los ruh­ten sie auf ih­ren An­druck­la­gern. Die star­ren Au­gen sag­ten al­les.

Das Bild zeig­te wie­der den durch­sich­ti­gen Druck­helm des afri­ka­ni­schen Raum­pi­lo­ten. Cap­tain el Ha­mid starr­te fas­sungs­los in das Ob­jek­tiv der Auf­nah­me­ka­me­ra. Dann wies er sei­ne nä­her kom­men­den Leu­te an, un­ter kei­nen Um­stän­den die To­ten zu be­rüh­ren.

Das Funk­ge­spräch zwi­schen el Ha­mid und dem Kreu­zer­kom­man­dan­ten war auf­ge­nom­men wor­den. Ka­pi­tän J. Min­hoe kün­dig­te die An­kunft sei­nes Bord­arz­tes an.

Da­mit en­de­te der Film.

Das »Ge­dächt­nis« ließ uns kei­ne Zeit, die ei­gen­ar­ti­gen Ge­scheh­nis­se zu ver­ar­bei­ten. Ich ahn­te oh­ne­hin, was die Un­ter­su­chung der Kreu­zer-Me­di­zi­ner er­ge­ben hat­te.

Der Rie­sen­ro­bot er­klär­te mo­no­ton:

»Es wur­den drei­und­zwan­zig Be­sat­zungs­mit­glie­der auf­ge­fun­den. Ih­re Na­men sind be­kannt. Die To­des­ur­sa­che ist in al­len Fäl­len die glei­che. Es steht fest, daß die Brand­schuß­ver­let­zun­gen von an­de­ren Per­so­nen ver­ur­sacht wur­den. Die drei­und­zwan­zig To­ten wa­ren Trä­ger der Mars­seu­che. Der Pri­ma­ten-Test ist in­zwi­schen ab­ge­schlos­sen.«

Ich wand­te lang­sam den Kopf. Dr. Tan­ta­ly Ne­on war lei­chen­blaß ge­wor­den. Erst die »Stim­me« des Ro­bot­ge­hirns riß uns aus un­se­rer Er­star­rung. Es be­stä­tig­te das, was in mir als dump­fe Ah­nung schlum­mer­te.

»Die neues­ten Ge­scheh­nis­se be­stä­ti­gen mei­ne bis­he­ri­gen Be­rech­nun­gen mit hun­dert­pro­zen­ti­ger Ge­wiß­heit. Das aus dem La­de­raum der EU­RO­PA ent­wi­che­ne Raum­schiff ist in Form, Be­schleu­ni­gungs­wer­ten und An­triebser­schei­nung ab­so­lut iden­tisch mit ei­nem je­ner un­be­kann­ten Flug­kör­per, die vor zwei Jah­ren noch häu­fig in der At­mo­sphä­re der Er­de auf­tauch­ten. Es han­delt sich mit hun­dert­pro­zen­ti­ger Ge­wiß­heit um ein raum­tüch­ti­ges Fahr­zeug ve­nu­si­scher In­tel­li­gen­zen, die uns als me­ta­bo­li­sche Le­be­we­sen be­kannt ge­wor­den sind. Ich ver­wei­se auf den Fall ›CC-5‹, Ein­satz des Agen­ten HC-9. Nach dem Fall ›Eli­te­ein­heit Lu­na-Port‹ wur­de mit den ve­nu­si­schen In­tel­li­gen­zen ein still­schwei­gen­des Ab­kom­men ge­trof­fen. Wir flo­gen nie­mals den Pla­ne­ten Ve­nus an. An­de­rer­seits tauch­ten die Dis­kus­raum­schif­fe nicht mehr im Ho­heits­be­reich der Er­de auf.«

»Sie wa­ren da­mals ein­ge­setzt?« flüs­ter­te Tan­ta­ly.

Ich nick­te. Ja, an die­ses Un­ter­neh­men konn­te ich mich nur zu gut er­in­nern.

Nun hat­ten die selt­sa­men Ge­schöp­fe al­so wie­der ein­mal ih­re frag­wür­di­gen Hän­de im Spiel. Mir grau­te, wenn ich an die­se me­ta­bo­li­sche Le­bens­form dach­te. Hier hat­te die all­mäch­ti­ge Na­tur ganz an­de­re We­ge be­schrit­ten, das wuß­ten wir. Die kom­pak­ten Zell­ver­bin­dun­gen wa­ren oh­ne wei­te­res fä­hig, or­ga­ni­sche Koh­len­stoff­ver­bin­dun­gen nach­zuah­men. Ich hat­te Men­schen ge­se­hen, die kei­ne Men­schen wa­ren.

Im­mer­hin wa­ren uns die Frem­den in vie­len Din­gen un­ter­le­gen ge­we­sen. Sie konn­ten sich nun nicht mehr als Nach­ah­mun­gen be­we­gen, oh­ne so­fort ent­deckt zu wer­den. Da­für hat­te un­se­re Wis­sen­schaft ge­sorgt. Auch das »Ge­dächt­nis« war zum glei­chen Re­sul­tat ge­kom­men, was aus den nach­fol­gen­den Be­rich­ten her­vor­ging.

»Nach den Un­ter­la­gen mei­ner Ge­dächt­nisspei­cher ist es im letz­ten Jahr­zehnt zu ei­ner tech­nisch-wis­sen­schaft­li­chen Gleich­schal­tung zwi­schen den Pla­ne­ten Er­de und Ve­nus ge­kom­men. Der Kampf um das Er­be der aus­ge­stor­be­nen Mar­sin­tel­li­gen­zen be­stä­tigt das mit 99,8pro­zen­ti­ger Si­cher­heit. Un­ter Be­rück­sich­ti­gung al­ler be­kann­ten Da­ten kom­me ich zu dem Schluß, daß die of­fe­ne Ak­ti­vi­tät der Ve­nus­be­woh­ner vom kla­ren Er­ken­nen der Mars­wis­sen­schaft ab­hän­gig ist. So­bald es die­sen Le­be­we­sen ge­lin­gen soll­te, die wis­sen­schaft­lich-tech­ni­schen Hin­ter­las­sen­schaf­ten des Mars zu er­beu­ten und fol­ge­rich­tig aus­zu­wer­ten, ist mit ei­nem of­fe­nen Kon­flikt zwi­schen Er­de und Ve­nus zu rech­nen. Da­bei wirft sich die noch un­lös­ba­re Fra­ge auf, ob das me­ta­bo­li­sche, zell­ver­for­men­de Le­ben auf Ve­nus auch dort ent­stan­den ist. Da es der ir­di­schen Raum­fahrt ver­bo­ten wur­de, Ve­nus durch un­be­mann­te Raum­son­den zu er­for­schen, ste­hen mir zur Klä­rung die­ser Pro­ble­me nicht die ent­spre­chen­den Grund­da­ten zur Ver­fü­gung.«

Die­se Er­klä­rung war wie­der mehr als ty­pisch für das »Ge­dächt­nis«. Das Rie­sen­ro­bot­ge­hirn über­sah nichts. Es warf Pro­ble­me auf, an die un­se­re fä­higs­ten Leu­te noch nicht ge­dacht hat­ten.

Nach ei­ner kur­z­en Pau­se fuhr das »Ge­dächt­nis« fort:

»Ich ver­wei­se auf den Bom­ben­an­griff der in­zwi­schen be­sieg­ten In­tel­li­gen­zen vom vier­ten Pla­ne­ten der Son­ne De­neb. Ve­nus wur­de vor ei­nem Drei­vier­tel­jahr durch ein de­ne­bi­sches Raum­schiff an­ge­grif­fen und mit Kern­bom­ben be­legt. Die Fol­ge­run­gen sind klar: Die Über­le­ben­den ei­nes frem­den ga­lak­ti­schen Vol­kes kann­ten die auf Ve­nus hei­mi­sche Ge­fahr. Durch den Ein­satz der GWA wur­de der Schlag ge­gen Ve­nus zum größ­ten Teil ver­ei­telt. Kon­se­quenz: Nach der Durch­rech­nung von achtund­drei­ßig Mil­lio­nen Mög­lich­kei­ten klärt sich der ›Fall Nie­mands­land‹. Die Mars­seu­che ist nicht iden­tisch mit Er­re­gern, die schon im­mer auf dem Mars hei­misch wa­ren. Ich bit­te um die Be­ach­tung mei­ner Kon­troll­be­rech­nun­gen vom 3. No­vem­ber 2005. Dar­aus geht her­vor, daß das mar­sia­ni­sche Le­ben nie­mals un­ter ei­ner sol­chen Krank­heit zu lei­den hat­te. Die na­he Ver­wandt­schaft die­ses Vol­kes mit den Men­schen ist er­wie­sen. Des­glei­chen ha­ben sich un­ter Be­rück­sich­ti­gung al­ler be­kann­ten Fak­ten über die den­ken­den We­sen aus dem Sys­tem der Son­ne De­neb Tat­sa­chen er­ge­ben, die im Zu­ge mei­ner End­re­sul­ta­te wich­tig sind. Im Krieg zwi­schen De­neb und Mars vor et­wa 187.000 Jah­ren ir­di­scher Zeit­rech­nung wur­den kei­ne bak­te­rio­lo­gi­schen Waf­fen ein­ge­setzt. Es ist aus­ge­schlos­sen, daß es sich bei den Er­re­gern der Mars­seu­che um ge­fähr­li­che Über­bleib­sel aus längst ver­gan­ge­nen Zei­ten han­delt.«

Der Ro­bot zeig­te einen kur­z­en Film, in dem das Ver­hör des letz­ten De­ne­bers vor­ge­führt wur­de. Dann kam das, was ich in­zwi­schen längst ahn­te. Die Re­sul­ta­te wa­ren nie­der­schmet­ternd.

»Die In­fi­zie­rung der Ba­zil­len­trä­ger er­folg­te nicht zu­fäl­lig, son­dern ge­zielt: Das Ver­hal­ten des Pa­ters Fer­n­an­do zeugt für das plan­mä­ßi­ge Ein­grei­fen ei­ner frem­den Macht, de­ren Be­stre­ben in der Lahm­le­gung der mensch­li­chen Kampf­kraft liegt. Pa­ter Fer­n­an­do war ge­zwun­gen, sei­ne Fun­knach­richt un­ter größ­ter Le­bens­ge­fahr ab­zu­strah­len. Un­ter Ein­kal­ku­lie­rung der be­kann­ten Da­ten über die psy­chi­schen Re­ak­tio­nen der Ve­nus-In­tel­li­gen­zen wird mit 95pro­zen­ti­ger Ge­wiß­heit fest­ge­stellt, daß ei­ne un­auf­fäl­li­ge Er­obe­rung des Ro­ten Pla­ne­ten er­folgt ist. Es ist wahr­schein­lich, daß die wich­tigs­ten Kom­man­do­stel­len der ver­ein­ten Erd­trup­pen von Zell­ver­for­men über­nom­men wor­den sind. Pa­ter Fer­n­an­do ist re­la­tiv ge­sund; es ist je­doch mög­lich, daß er eben­falls in­fi­ziert wor­den ist. Ich ge­be zu be­den­ken, daß der of­fe­ne und sicht­ba­re Aus­bruch der In­fek­ti­ons­krank­heit un­ter Um­stän­den ei­ner sau­er­stoff­rei­chen At­mo­sphä­re be­darf. Es ist nicht aus­ge­schlos­sen, daß sich die Krank­heit un­ter den ver­än­der­ten Um­welt­be­din­gun­gen des Mars ver­kap­selt. Ei­ne schein­ba­re Im­mu­ni­tät könn­te die Fol­ge sein.«

Ich hör­te das er­reg­te Flüs­tern un­se­rer Wis­sen­schaft­ler. Es war un­ge­heu­er­lich, wel­che Pro­ble­me das »Ge­dächt­nis« auf­warf.

»Nach Aus­wer­tung al­ler Mög­lich­kei­ten ist das Ein­grei­fen der Ve­nus-In­tel­li­gen­zen mit hun­dert­pro­zen­ti­ger Si­cher­heit ge­ge­ben. Die durch Pro­fes­sor Ne­ge­te Ng­u­mo­lo fest­ge­stell­ten Ver­än­de­run­gen in der Mito­se­strah­lung des Ba­zil­len­trä­gers sind be­acht­lich. Ich ver­wei­se die Wis­sen­schaft auf mei­ne Un­ter­la­gen über die Me­ta­bo­lik der Ve­nu­sier. Es soll­te ge­klärt wer­den, ob die Krank­heit tat­säch­lich durch Er­re­ger im be­kann­ten Sin­ne her­vor­ge­ru­fen wird. Es liegt nicht in mei­ner Macht, dar­über kla­re Aus­künf­te zu ge­ben.

End­fol­ge­run­gen: Es ist un­er­läß­lich, so­fort ge­eig­ne­te GWA-Agen­ten zum Mars zu schi­cken. Ver­bin­dungs­auf­nah­me mit Pa­ter Fer­n­an­do ist wahr­schein­lich mög­lich. Ich ra­te dem Chef der GWA drin­gend, den Kom­man­die­ren­den Of­fi­zier der ir­di­schen Mar­s­stütz­punk­te wei­ter­hin oh­ne be­son­de­re In­for­ma­tio­nen zu las­sen. Der Of­fi­zier darf nicht dar­über auf­ge­klärt wer­den, was in­zwi­schen auf der Er­de ge­sche­hen ist. Start- und Lan­de­ver­bot für sämt­li­che Raum­schif­fe müs­sen zwar auf­recht­er­hal­ten wer­den, aber ei­ne dies­be­züg­li­che Nach­richt soll­te nicht zum Mars ge­funkt wer­den. Es be­steht die hun­dert­pro­zen­ti­ge Wahr­schein­lich­keit, daß un­be­kann­te Mäch­te so­fort da­von er­fah­ren.«

Re­ling wur­de in sei­nem schma­len Sitz hell an­ge­strahlt. Bei den Wor­ten des Ro­bots sah ich den Chef dünn lä­cheln. Jetzt be­griff auch ich plötz­lich, wie­so der eu­ro­päi­sche Raum­trans­por­ter in Erd­nä­he ge­kom­men war!

»Der Ab­schuß der EU­RO­PA be­weist, daß die Ve­nu­sier nicht ahn­ten, daß die ein­und­drei­ßig Ba­zil­len­trä­ger er­kannt und ge­faßt wor­den sind. Wohl ist es den me­ta­bo­li­schen In­tel­li­gen­zen be­kannt, daß die Seu­che auf der Er­de Ein­zug ge­hal­ten hat. Sie ver­such­ten heu­te er­neut, ei­ni­ge Ba­zil­len­trä­ger zu lan­den. Der Ab­schuß der EU­RO­PA dürf­te für die Frem­den Pro­ble­me auf­wer­fen. Es ist frag­lich, ob sie die Ur­sa­che rich­tig durch­schau­en. Da­ge­gen spricht mit sieb­zig­pro­zen­ti­ger Ge­wiß­heit die Tat­sa­che, daß der Warn­schuß un­se­rer afri­ka­ni­schen Raum­jä­ger von der EU­RO­PA-Be­sat­zung mit hef­ti­gem Feu­er er­wi­dert wur­de. Wir hat­ten al­len Grund, den Trans­por­ter teil­wei­se zu zer­stö­ren.

Der Ein­satz hoch­qua­li­fi­zier­ter Agen­ten soll­te so­fort er­fol­gen. Nä­he­re Hin­wei­se kann ich laut Hem­mungs­schal­tung nicht ge­ben. Ich ver­wei­se den Chef der GWA auf mei­ne Ein­satz­be­rech­nun­gen vom 12. No­vem­ber 2005.«

Der Laut­spre­cher schwieg. Ich woll­te mich ge­ra­de er­regt an den afri­ka­ni­schen Ver­bin­dungs­of­fi­zier wen­den, als das »Ge­dächt­nis« noch­mals zu ei­ner Er­klä­rung an­setz­te. Sie be­traf mich.

»Ach­tung, De­tail­be­rech­nung«, dröhn­te es durch den Raum. »Ge­ne­ral Re­ling wird drin­gend er­sucht, die zum Mar­sein­satz vor­ge­se­he­nen Per­so­nen nicht mit den üb­li­chen Mas­ken aus­zu­stat­ten. Die Bio­fo­lie wird von je­dem Nor­ma­lin­di­vi­du­um an­er­kannt wer­den, nicht aber von Le­be­we­sen, de­ren Da­sein auf me­ta­bo­li­schen Stoff­ver­bin­dun­gen auf­ge­baut ist. Even­tu­el­le Kon­trol­len könn­ten zu ei­nem ka­ta­stro­pha­len Schei­tern un­se­rer Pla­nung füh­ren. En­de!«

Un­se­re Sit­ze schwenk­ten in die al­te Stel­lung zu­rück. Das Licht flamm­te auf.

Der Chef trat lang­sam aus dem auf­glei­ten­den Git­ter der ID-Platt­form. Sei­ne Stim­me klang so tief und dun­kel wie im­mer.

»Mei­ne Her­ren, das ›Ge­dächt­nis‹ hat sich auf die al­ler­not­wen­digs­ten An­ga­ben be­schränkt. Ich stel­le Ih­nen frei, die ein­zel­nen Be­rech­nun­gen im De­tail nach­zu­prü­fen. An den An­ga­ben ist aber be­stimmt nicht zu zwei­feln. Die Wis­sen­schaft­ler der GWA wer­den ge­be­ten, ih­re aus­län­di­schen Kol­le­gen mit den Fäl­len ›CC-5 streng ge­heim‹ und ›Eli­te­ein­heit Lu­na-Port‹ ver­traut zu ma­chen. Ich hof­fe, daß sich dar­aus ei­ni­ge An­halts­punk­te er­ge­ben. Die Speicher­bän­ke des Ro­bots ste­hen zu Ih­rer Ver­fü­gung. Dies­be­züg­li­che Hem­mungs­schal­tun­gen wer­den so­fort be­sei­tigt.«

Nach die­sen Wor­ten schritt der Al­te in Be­glei­tung ei­nes Ge­heim­dien­st­of­fi­ziers auf die schma­len Pan­zer­tü­ren zu.

Au­gen­bli­cke spä­ter beug­te sich der Afri­ka­ner zu mir her­über.

»In ei­ner Stun­de sol­len Sie zur End­be­spre­chung bei Ge­ne­ral Re­ling er­schei­nen«, sag­te er lei­se. »Ich kann Ih­nen nur viel Glück wün­schen. Hal­ten Sie da oben die Au­gen auf. Was wir tun kön­nen, wird zu Ih­rer Un­ter­stüt­zung ver­an­laßt wer­den.«

»Was ha­ben Sie denn schon ge­tan?« ent­geg­ne­te ich be­drückt. »Mit den Er­kennt­nis­sen des Ro­bots ist uns nur we­nig ge­dient.«

»Sie wer­den sich noch wun­dern«, lä­chel­te der Mann. Sein Blick wirk­te un­er­gründ­lich. »Ver­ges­sen Sie nicht, daß Sie dies­mal nicht al­lein sind. Die gan­ze Er­de steht hin­ter Ih­nen. Sie wer­den nach Son­nen­un­ter­gang zum Mond star­ten.«

»Das ist mir be­reits be­kannt. Mehr aber auch nicht«, be­schwer­te ich mich.

»War­ten Sie ab. Was hal­ten Sie bei­spiels­wei­se von ei­nem Raum­flug, der Sie im Zeit­raum von knapp drei Stun­den zum Mars brin­gen wird?«

Ich trau­te mei­nen Oh­ren nicht! Un­ser schnells­tes Plas­ma-Schiff, die letz­te Kon­struk­ti­on von Pro­fes­sor Scheu­ning, be­nö­tig­te min­des­tens zwei Mo­na­te.

Was ver­an­laß­te die­sen Mann, von et­wa drei Stun­den zu spre­chen? Hat­te man in den afri­ka­ni­schen oder asia­ti­schen For­schungs­zen­tren et­wa ein Trieb­werk ent­wi­ckelt, das der­ar­ti­ge Wahn­sinns­wer­te er­laub­te? Aus­ge­schlos­sen! Das konn­te ich mir nicht vor­stel­len.

Selbst wenn wir ein Trieb­werk die­ser Art be­ses­sen hät­ten, wä­re die an­ge­ge­be­ne Zeit­span­ne il­lu­so­risch ge­we­sen. Kein mensch­li­ches Le­be­we­sen hät­te die da­für er­for­der­li­chen Be­schleu­ni­gun­gen aus­ge­hal­ten, nicht ein­mal das von der ir­di­schen Raum­fahrt ver­wen­de­te Ma­te­ri­al.

Der afri­ka­ni­sche Oberst emp­fahl sich mit flüch­ti­gem Gruß. Ich konn­te ihm nur fas­sungs­los nach­bli­cken, bis Ta­ly zö­gernd äu­ßer­te:

»Ich ver­ste­he das zwar nicht al­les, Ar­mer Mann, aber ich ha­be doch das Ge­fühl, als hät­ten wir un­se­re Leu­te grund­los ver­däch­tigt. Sie ha­ben schon al­ler­lei ge­tan, scheint mir. Ge­hen wir? Ich könn­te ei­ne klei­ne Stär­kung ge­brau­chen.«

»Wenn ich Sie we­nigs­tens nicht an mei­ner Sei­te wüß­te«, sag­te ich de­pri­miert. »Ich ah­ne jetzt schon, daß ein sol­cher Ein­satz in Be­glei­tung ei­ner Frau zur Ka­ta­stro­phe wird.«

»Mei­nen Sie? Da bin ich aber an­de­rer An­sicht. Wenn wir erst ein­mal Pa­ter Fer­n­an­do ge­fun­den und ge­spro­chen ha­ben, wird sich al­ler­lei auf­klä­ren. Nun kom­men Sie schon. Sie se­hen reich­lich ver­hun­gert aus.«