2.
Als mir vor einigen Jahren ein genialer Gehirnchirurg den Schädel öffnete und in meinem Großhirn einen winzigen Nervenstrang durchtrennte, war ich durch eine Hölle gegangen. Nach meiner Genesung hatte ich erfahren, daß man mich gerade noch von der Schwelle zum Wahnsinn hatte zurückholen können.
Der erfolgreich verlaufenden Operation hatte ich meine totale Unempfindlichkeit gegen jede Art von Willensbeeinflussung zu verdanken. Man konnte mich weder mit den härtesten Drogen noch durch hypnotische oder suggestive Maßnahmen geistig ausschalten.
Es war nicht angenehm gewesen, was man uns Freiwilligen aus dem Einsatzkorps der Wissenschaftlichen-Abwehr damals zugemutet hatte. Außer mir hatte nur noch ein Mann diesen Eingriff überstanden. Von da an hatte man uns solche Aufgaben übertragen, denen die Kollegen mit einem noch normalen und unveränderten Gehirn nicht gewachsen waren. Im Zeitalter der hochentwickelten parapsychischen Wissenschaften war die gewonnene Immunität überaus wichtig.
Inzwischen hatte ich die seinerzeit erduldeten Qualen nahezu vergessen, bis sie mich gestern in den Desinfektionswagen schoben.
Die Gesichter unserer Wissenschaftler hatten hinter den dicken Kunststoffwänden geleuchtet, die außerdem unter einer ständigen harten Ultraviolett-Strahlung standen.
Meine Anweisungen hatte ich über Funksprech erhalten. Die Bakteriologen, unter ihnen vordringlich die Radio-Bakteriologen, hatten die Behauptung aufgestellt, es wäre durchaus noch nicht sicher, daß mein hundertprozentig gasdichter und druckfester Raumanzug auch für die Erreger aus einer anderen Welt undurchlässig wäre.
Man hatte mich mit Ultraviolett bald geröstet. Auch die Infrarotstrahler hatten es besonders gut mit mir gemeint. Irgendein Techniker vom Laborteam hatte mir lächelnd versichert, ein Raumanzug dieser Art hielte ohne weiteres dreihundert Grad Celsius aus, vorausgesetzt, die Klimaanlage wäre in Ordnung. Immerhin hatte man mich vorher noch gefragt, ob mein Anzuggerät auch wirklich tadellos funktionierte.
Nachdem ich das leichtsinnigerweise bejaht hatte, gaben sie mir Gelegenheit, meinen Heldenmut zu beweisen. Anfangs ließ ich die Prozedur ziemlich heroisch über mich ergehen. Schließlich hatte ich mir jedoch das Ende herbeigesehnt. Mein Körper war schweißüberströmt.
Nachdem ich mich einigermaßen erholt hatte, war ich von Heißluft umweht worden, in der ich mich ständig drehen mußte. Aber mein »Leidensweg« war immer noch nicht zu Ende.
Damit der skurrile Humor unserer Herren Wissenschaftler nicht zu kurz kam, hatte mich ein Spaßvogel über Funk angefordert, ich sollte ihm doch meine Adresse geben, falls er eventuell einmal einen Korkenzieher mit besonderen Eigenschaften brauchte!
Anschließend hatte ich ein Säurebad nehmen müssen, um die Widerstandsfähigkeit des Spezialkunststoffes meines Raumanzuges zu testen. Das Material hatte sich hervorragend bewährt und nicht die geringsten Verschleißerscheinungen gezeigt.
Die mittelalterlich anmutende Prozedur der »Desinfizierung« dauerte fünf Stunden. Als man mich schließlich mitsamt dem Wagen in ein weißgekacheltes Labor brachte, durfte ich aussteigen.
Männer in hochbakteriziden Schutzanzügen waren mir beim Ausziehen der Raumkleidung behilflich.
Im gleichen Labor waren wenig später drei Kollegen aufgetaucht, Freiwillige aus dem aktiven GWA-Korps! Sie blieben zwölf Stunden mit mir zusammen. Ich erhielt den Befehl, ihnen voll ins Gesicht zu niesen, obwohl ich keinen Schnupfen hatte. Ich mußte sie anhauchen, berühren und all das tun, was man sonst als Bazillenträger unter allen Umständen gegenüber Gesunden vermeiden soll.
Wir wußten, daß die ersten Symptome im Falle einer Ansteckung nach spätestens zwölf Stunden erkennbar wurden. Als meine Kollegen nach vierzehn Stunden noch kerngesund waren, wurden wir endlich entlassen.
Inzwischen waren fast zwei Tage vergangen. Ich hatte mich wieder einigermaßen von den Strapazen erholt.
Vor zwei Stunden, um sechs Uhr früh, hatte ich den Befehl erhalten, sofort im »Zentrum« zu erscheinen. Als ich dreitausend Meter unter der Erdoberfläche von dem positronischen Kontrollroboter auf Gehirnfrequenzen und Gaumenabdruck überprüft wurde, erfüllte mich ein heftiges Unbehagen, denn auf Grund meiner noch nicht völlig abgeklungenen Erschöpfung war es ohne weiteres möglich, daß winzige Schwankungen in meinen Individualströmen auftraten. Die Maschine ließ mich jedoch passieren.
Nach der Überprüfung fuhr ich mit der Rohrbahn zum gigantischen Untergrund-Forschungszentrum hinüber. Es sollte atombombensicher sein! Ob es auch sicher gegen die unbekannten Erreger war, mußte sich erst noch herausstellen.
Ein Mann brachte mich zur bakteriologischen Abteilung, der man neuerdings weitläufige Laboratorien mit der Bezeichnung »Radiologische-Bakteriose«, Spezialgebiet »Radio-Serologie«, angegliedert hatte.
Mir lief es kalt über den Rücken, als ich diese Aufschriften las. Was man hier alles ausgebrütet hatte, war glücklicherweise noch nie angewendet worden.
Immerhin hatten unsere Fachwissenschaftler Erfahrungen gewonnen, die uns nun zugute kommen mußten. Besonders die Abteilung »Radio-Serologie« war speziell darauf eingerichtet, Veränderungen des Blutserums nach Einwirkung künstlich gezüchteter Erreger festzustellen.
Noch vor zwei Jahren hatte man mit einem Konflikt zwischen den Völkern der Erde rechnen können. Was lag näher, als für einen eventuellen Bakterienkrieg die entsprechenden Bekämpfungsabteilungen zu schaffen! Unsere Fachleute beschäftigten sich längst nicht mehr mit bekannten Krankheitserregern. Sie arbeiteten seit Jahren mit radiologisch mutierten oder modifizierten Mikrolebewesen, gegen die normale Viren harmlos und nichtig wirkten.
Der Begleitoffizier aus dem militärischen Korps der GWA deutete stumm auf die weiße Schiebetür, vor der zwei Männer in engen Kunstfaserkombinationen der Einsatztruppe standen. Die durchgeladenen Maschinenkarabiner und die leuchtenden kleinen Lampen an den Außenwülsten der Funkhelme redeten eine deutliche Sprache.
Hier unten herrschte wieder einmal Alarmstufe I, was mit einer zwangsläufigen Verschärfung der ohnehin strengen und weitreichenden Sicherheitsvorkehrungen verbunden war.
Ich zeigte meine rötlich flimmernde ID-Marke aus dem unnachahmlichen »Lunarium« -Element und nannte meine Kodenummer. Außerdem mußte ich den elektromagnetisch beschrifteten Kontrollstreifen des Eingangsroboters vorweisen.
Nachdem eine Lautsprecherstimme ihr »Ja« gesprochen hatte, durfte ich eintreten. Meine Gesichtshaut unter der reichlich groben Dienstmaske begann zu jucken, denn diese einfachen Kunststoffgebilde bestanden nicht aus lebendem Gewebe, wie man es bei unseren hochwertigen Einsatzfolien verwendete.
Im Vorraum zu einem der geheimnisumwitterten Säle der Radio-Abteilung begrüßte mich ein aktiver Kollege mit stummem Kopfnicken. Ich reagierte mit einer offenbar verfänglich wirkenden Grimasse, die bei ihm Mißtrauen auslöste. Das war nicht verwunderlich, wußte er doch nichts von dem starken Juckreiz, der mich plagte.
»Fehlt Ihnen etwas, Sir?« erkundigte sich der Mann. »Sie sind Major HC-9, ja?«
»Wenn Sie das mittlerweile noch nicht wissen, wäre es langsam an der Zeit«, erwiderte ich ärgerlich. »Was ist hier unten eigentlich los? So oft bin ich noch nie kontrolliert worden. Hier, sehen Sie sich nochmals meinen Streifen an.«
»Entschuldigen Sie«, wehrte er leise ab. »Sir, seitdem der Chef diesen Bazillenträger ins Zentrum bringen ließ, sind die Nerven der Leute äußerst angespannt. Ich war dabei, als sie ihn nach unten schafften. Oben im HQ haben wir ihn erst einmal in einen hermetisch schließenden Raumanzug gesteckt, den wir dann von außen desinfizierten.«
»Oh!« stöhnte ich, da ich mir gut vorstellen konnte, was Hendrik Kosterna erlebt hatte. Erst mein Strahlschuß und dann noch die Entgiftung!
»Mitsamt dem Raumanzug ist er danach in einen Spezialbehälter gekommen, der bis zum Rand mit einer Säurelösung angefüllt war. Professor Thoman meinte, dieses Zeug müßte sogar die Mars-Erreger abtöten, obwohl wir noch gar nicht wissen, ob es sich um Erreger im Sinne des Wortes handelt. Die Biologen sind anderer Ansicht. Sie reden von einer eiweißfremden Lebensform, oder was weiß ich. Andere meinen, die ganze Sache …«
»Hören Sie auf«, unterbrach ich ihn beschwörend. »Vermutungen führen zu nichts. Wo ist der Chef? Ich bin von ihm persönlich angerufen worden.«
»Dort drinnen, Sir. Moment bitte. Ich muß Sie vorher anmelden. Tut mir leid. Sie müssen auch noch einen Schutzanzug anlegen.«
Wenn ein Mann die Nerven zu verlieren befürchtet, kann es geschehen, daß er seinen Gefühlen mit Flüchen und Verwünschungen Luft verschafft. Ich befand mich jetzt in dieser Stimmung.
Der Kollege grinste über meine verständliche Reaktion. Nach einem kurzen Anruf über Bildsprech öffnete er die nächste Tür.
Beim Betreten des Raumes bemerkte ich eine junge Frau. Sie mochte dreißig bis zweiunddreißig Jahre alt sein. Ihr grauweißer Schutzanzug bewies, daß auch sie die neuen Vorschriften befolgen mußte. Sie hatte nur den dünnwandigen Helm zurückgeklappt. Ihr hellblondes Haar wirkte zerzaust und war offenbar von Schweiß und Schmutz verklebt.
Mit einer hastigen Bewegung fuhr sie sich über die hohe Stirn.
»Hallo«, empfing sie mich mit einem Lächeln, das ihr etwas streng wirkendes Gesicht in seltsamer Weise verschönte. »Kommen Sie nur weiter herein, Major. Wir beißen nicht. Zigarette?«
»Danke, ich kann eine gebrauchen. Wenn ich mir die Maske verbrenne, hafte ich sogar für den Schaden. Darf ich mich setzen? Man nennt mich HC-9. Ich würde Ihnen gern mein Gesicht zeigen, aber Sie wissen ja …!«
Mein Schulterzucken beantwortete sie mit einem verständnisvollen Nicken. Ihr Lächeln vertiefte sich.
Eigenartig, wie sehr dieses herbe Gesicht dadurch gewann. Ich kam schon nach diesen wenigen Minuten unserer Bekanntschaft zu der Überzeugung, daß ich mich mit ihr gut verstehen würde. Augenblicklich schien sie jedoch im Dienst zu sein.
Sie musterte mich eingehend und offen. Schließlich sagte sie:
»Ich bin Ihr Empfangskomitee, wenn Sie so wollen. Wie ich sehe, sind Sie nicht in besonders guter Stimmung. Gefällt es Ihnen nicht bei uns?«
Meine Aufmerksamkeit erwachte schlagartig. Meine Gesprächspartnerin schien bestimmte Absichten zu haben. Ich sah sie forschend an.
Bei meinem Blick sagte sie, leise auflachend:
»Okay, vergessen Sie meine Frage. Damit Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben, werde ich mich höflicherweise erst einmal vorstellen. Ich heiße Neon, Dr. Tantaly Neon. Kommen Sie jetzt aber nicht auf die Idee, mich zu fragen, ob ich bei Berührung mit elektrischem Strom zu leuchten pflege. Ich tue es garantiert nicht. Außerdem ist die Redewendung schon derart abgedroschen, daß ich keine passende Antwort mehr finde. Meine lieben Kollegen haben den Begriff ›Neon‹ schon erschöpfend ausgebeutet.«
Endlich konnte ich wieder herzhaft lachen! Sie können sich überhaupt nicht vorstellen, welche Wohltat mir diese intelligente Frau mit ihrer kurzen Erklärung erwiesen hatte. Ich fand sie sehr sympathisch.
»Fein, jetzt normalisiert sich Ihr Seelenzustand wieder«, erklärte sie gelassen. »Zu allem Überdruß hat man mir noch einen Vornamen gegeben, der in inniger Weise mit dem Metall ›Tantal‹ verwandt ist. Das ist auch Ihnen sicher aufgefallen. Mein Vater beschäftigte sich beruflich mit Metallegierungen. Wenn Sie also gütigst darauf verzichten wollten, mich Miß Edelgas oder Miß Ta-Ta zu nennen, so könnten wir uns auf die Bezeichnung Taly einigen. Okay?«
In ihren Augen schienen plötzlich tausend Teufelchen zu tanzen, so lustig funkelten sie. Ich fühlte mich schlagartig wohler. Vielleicht war das auch ihre Absicht gewesen.
»Wenn Sie wollen, ich bin einverstanden«, erklärte ich schmunzelnd. »Miß Edelgas ist übrigens gar nicht schlecht.«
»Amüsieren Sie sich nur auf meine Kosten, Major. Ich bin schon daran gewöhnt, daß sogar ältere und durchaus seriöse Wissenschaftler in dieser Lausbubenart den Mund verziehen. Darf ich Sie aber auch darüber aufklären, daß Sie seit vorgestern ebenfalls einen aparten Spitznamen führen? Jeder, der Sie in dem Desinfektionswagen erlebt hat, nennt Sie seitdem der ›Arme Mann‹; ›arm‹ natürlich großgeschrieben, da es sich hier eindeutig um einen Eigennamen handelt. Hallo, wo bleibt denn Ihr spöttischer Gesichtsausdruck?«
Ich starrte sie sprachlos an. Es war einfach nicht zu fassen.
Diesmal lachte sie auf meine Kosten. Mir blieb keine andere Wahl, wollte ich mich nicht blamieren, als mit einzufallen. Allerdings wirkte meine Heiterkeit leicht gequält.
»Fein, Armer Mann! Nachdem wir uns also gegenseitig etwas beschnuppert haben, können wir ja durch diese Tür schreiten. Ich gehöre übrigens zu dem Personenkreis, der allerlei streng geheime Dinge erforscht hat. Ich bin Bakteriologin, Spezialgebiet Radio-Serologie. Fragen Sie mich aber nicht, ob wir bereits den Erreger der Marsseuche gefunden oder gar ein Gegenmittel entdeckt hätten. Ich kann Ihnen doch gar nichts sagen, zumal man uns vorläufig nicht an den Bazillenträger heranläßt. Im Gegensatz zu den positiv Infizierten ist Kosternas Blutbild so einwandfrei, wie es nur sein kann. Wir stehen vor einem Rätsel; vor einem großen Rätsel.«
Ihre schmalen Hände zitterten, als sie nach einer Zigarette griff. Ich gab ihr wortlos Feuer und überlegte krampfhaft, was diese Wissenschaftlerin eigentlich von mir wollte. Sie redete etwas zuviel. Ich hatte den Eindruck, als wollte sie nur langsam auf den Kern der Dinge kommen. In solchen Fällen schweigt man am besten.
»Sind Sie immer so zurückhaltend?« fragte sie leicht gereizt. »Keine Fragen? Alle Leute versuchen, uns zu unbedachten Äußerungen zu verleiten, so oft erkundigen sie sich nach Dingen, die wir selbst nicht wissen. Sie stehen da, als ginge Sie das alles nichts an.«
Ich steckte mein Feuerzeug ein und stand langsam auf. Ihre Haltung wurde förmlich, als ich gelassen entgegnete:
»Genug des Versteckspiels, Doktor. Was wollen Sie von mir? Sind Sie vom Chef beauftragt, mir Informationen zu geben?«
Sie drückte die kaum angerauchte Zigarette aus. Dann erhob sie sich so schwerfällig aus dem Sessel, als lastete eine Bürde auf ihr.
»Okay, Sie haben mich ertappt«, meinte sie leise. »HC-9, ich gehöre ebenso zur GWA wie Sie, nur bin ich keine aktive Agentin. Das wird sich aber ändern.«
»Ach! Und wie geht’s weiter?«
»Werden Sie nicht ironisch. General Reling hat mich gestern mit einigen wichtigen Daten vertraut gemacht. Sie werden zum Mars fliegen, sobald hier die letzten Vorbereitungen abgeschlossen sind. Ich werde Sie begleiten, das ist alles.«
Meine Sympathien für sie erkalteten etwas. Ich fühlte, daß meine Augen unfreundlich und abweisend funkelten. Das hätte mir noch gefehlt!
»Zur Kenntnis genommen«, entgegnete ich knapp. »Aber lassen Sie sich gesagt sein, Doktor, daß ich nicht der Mann bin, der in Begleitung einer Frau in einen solchen Einsatz geht. Dafür fehlen Ihnen nach meiner Ansicht alle Voraussetzungen. Der Mars ist für uns Niemandsland. Ich lehne grundsätzlich ab, Doktor. Wo ist mein Schutzanzug?«
Sie deutete auf einen breiten Wandschrank. Ich suchte mir die passende Größe heraus, ließ die Magnetverschlüsse einschnappen und kontrollierte die separate Sauerstoffversorgung. Normale Atmungsfilter waren streng verboten.
Sie sah reglos und schweigend zu. Als ich zur Verbindungstür schritt, vernahm ich plötzlich ihre Stimme. Sie klang eindringlich, aber emotionslos.
»HC-9, sind Sie bereits darüber informiert, daß es der irdischen Wissenschaft mit 98prozentiger Gewißheit nicht gelingen wird, ein Serum gegen die Marsseuche zu entwickeln? Darüber können Jahre und Jahrzehnte vergehen. Bis dahin dürfte die Menschheit ausgestorben sein. Ich glaube, mehr brauche ich Ihnen nicht zu sagen.«
Ich verhielt im Schritt. Mich erfüllte ein derart ungutes Gefühl, daß meine Handflächen plötzlich feucht wurden. Ich wandte den Kopf.
»Mit 98prozentiger Gewißheit? Von wem stammen diese Daten?«
»Vom positronischen Robotgehirn, dem wir alle bekannten Fakten gegeben haben. Der Fall Hendrik Kosterna wurde bereits berücksichtigt, desgleichen die Funkmeldung von Pater Fernando. Die Lebenserwartung der bereits erkrankten Personen beläuft sich auf bestenfalls sechs Monate, nicht auf einige Jahre, wie wir vor vierzehn Tagen noch annahmen. Wenn es einer unbekannten Macht gelingt, nochmals eine größere Anzahl immuner Bazillenträger auf die Erde zu bringen, werden wir die Namen nicht wissen. Dann können die Träger des Todes unerkannt von einem Ort zum anderen eilen. Die Meldung des Paters war ein schwerer Schlag für unseren Gegner, der in Zukunft solche Fehlerquellen bestimmt auszuschalten weiß. Wenn es uns nicht gelingt, schleunigst ein Gegenmittel zu finden, dann …«
Sie verstummte. Ihr Schulterzucken sagte mir genug.
»Was hat das mit Ihnen zu tun? Mit Ihrer geplanten Reise zum Mars?«
»Viel, vielleicht alles. Sie haben eine zwölfjährige GWA-Ausbildung absolviert, aber Sie sind kein spezialisierter Bakteriologe. Sie benötigen auf alle Fälle eine Fachkraft. Wir müssen herausfinden, wo die Ursachen liegen, und das kann nur auf dem Mars geschehen. Ich habe übrigens auch meinen Doktor der Biologie.«
»Ich zweifle nicht an Ihrem Können, sonst gehörten Sie nicht zum Forschungsteam der GWA. Ich nehme Sie aber trotzdem nicht mit. Wenn unbedingt ein Fachwissenschaftler dabei sein muß, dann teilen Sie mir einen Mann zu, der sich im Falle eines Falles auch helfen kann. Gehen wir nun? Ich bin zum Chef befohlen.«
»Er wartet. HC-9, Sie werden den Befehl erhalten, mich dennoch mitzunehmen. Ich bin bereits eingeplant, wie mir gesagt wurde.«
Sie stand hochaufgerichtet vor mir. Ehe ich etwas entgegnen konnte, fuhr sie fort:
»Ich habe einen dreijährigen Sohn. Er ist an der Seuche erkrankt. Mein Mann ist bei der Deneber-Aktion auf dem Mond gefallen. Er lief in den Strahlschuß einer außerirdischen Kampfmaschine. Wenn ich mich nicht irre, hatten Sie damals das Kommando. Sie sind mir etwas schuldig, Major HC-9! Seien Sie versichert, daß ich eine ausgezeichnete Einsatzagentin sein werde. Es geht um mein Kind, es geht um die gesamte Menschheit. Entschuldigen Sie, daß ich meinen Jungen zuerst erwähnte. Sie wissen nicht, wie es ist, wenn man als Mutter und hochspezialisierte Wissenschaftlerin hilflos zusehen muß, wie der Tod unerbittlich nach dem Liebsten greift, das man noch auf der Welt hat. Ich darf Michael nicht einmal mehr sehen! Er ist im Seuchengebiet von Kalifornien eingeschlossen.«
In mir brach jeder Widerstand zusammen. Ich konnte dieser Frau plötzlich nicht mehr in die Augen sehen. Ja, bei der Deneber-Aktion hatte ich das Kommando geführt.
Leise fragte ich:
»Wie hieß Ihr Mann? Auch Neon?«
»Nein, ich habe wieder meinen Mädchennamen angenommen. Der Name meines Mannes ist nebensächlich. Er fiel für die Erde und damit für eine geeinte Menschheit. HC-9, ich werde Sie nicht eher in Ruhe lassen, bis Sie mich als Kollegin anerkannt haben. Sie werden mir keine Schwierigkeiten mehr machen, nicht wahr?«
Nein, ich fühlte, daß ich nicht weiter auf meinem Standpunkt beharren konnte. Ihre Probleme waren auch die meinen. Dennoch trieb mir der Gedanke, eine Frau zu diesem Einsatz mitzunehmen, den kalten Schweiß auf die Stirn.
»Wir werden sehen«, entgegnete ich ausweichend. »Halten Sie mich nur nicht für einen sogenannten Supermann, Doktor! Wir haben eine gute Schulung erhalten, aber zaubern können auch wir nicht. Die Erfolge der Einsatzagenten basieren in allererster Linie auf den großartigen Planungen, die von passiven GWA-Angehörigen durchgeführt werden und darüber hinaus auf der Arbeit unserer Wissenschaftler. Wenn man mich jetzt ohne entsprechende Anweisungen und Hilfsmittel auf den Roten Planeten schickte, wäre ich mehr als hilflos. Denken Sie daran. Das sind keine leeren Worte.«
»Gehen wir«, sagte sie ruhig. »Sie werden Ihre Anweisungen erhalten. Seit der ersten Meldung über das Aufflackern der Seuche arbeiten wir ohne Unterbrechung. Hier hat niemand geschlafen, verlassen Sie sich darauf. Am wenigsten aber General Reling.«
Endlich öffnete sie die weiße Tür. Den dahinterliegenden Saal hatte ich nie zuvor gesehen. Es schien sich um ein größeres Labor zu handeln.
»Schließen Sie bitte Ihren Helm«, ordnete ein passiver Kollege an. Seine dunkle Uniform schimmerte unter dem transparenten Kunststoff der Schutzkleidung.
Ich klappte die Kugel nach vorn und schaltete Klima- und Sauerstoffanlage ein. Die Anzüge waren zwar nicht druckfest, aber als hermetisch schließende Kleidungsstücke mußten sie eine Infizierung ebenfalls verhindern können. Unsere Stimmen klangen nun dumpf unter dem hauchdünnen Werkstoff der Kugelhelme hervor. Es war eine unwirkliche Situation, wenigstens für meine Begriffe.
»Sie gewöhnen sich daran«, erklärte Taly. »Wir waren schon oft gezwungen, Leben und Gesundheit durch diese Kleidung zu schützen. Vergessen Sie nicht, daß Sie sich in der Radio-Bakteriologischen-Abteilung befinden.«
»Folgen Sie mir bitte«, klang die Stimme des Kollegen auf. »Der Chef wartet.«