Der Platz neben mir bleibt leer und mich beschleicht die Ahnung, dass etwas nicht stimmt. Auch dass ich keine Antwort auf meine SMS an Jaden erhalte, bestärkt mein ungutes Gefühl. Als ich dann auch noch Hopes beleidigtes Gesicht entdecke, während ich zum Psychologiekurs wechsele, wird mir klar, dass dieser Tag mit Abstand der schlimmste in meinem Leben werden wird.
Hopes vorwurfsvoller Blick, als ich mich neben sie setze, ruft mein schlechtes Gewissen auf den Plan.
»Warum hast du mir nichts gesagt?«, fragt sie und ich erkenne an ihrem Ton, dass sie stocksauer ist.
»Hope, es tut mir leid. Ich wollte ja, aber es ist alles noch so frisch.« Ich weiß, das klingt nach einer lahmen Ausrede, ist es vermutlich auch.
»Wie lange sind wir befreundet, Ava?«
»Ich weiß nicht genau, vielleicht sechszehn Jahre?«
»Es sind ziemlich genau siebzehneinhalb Jahre und ich hätte von meiner besten Freundin einfach mehr erwartet. Ich bin ganz schön enttäuscht von dir. Seitdem ich mit Brooklyn zusammen bin, habe ich immer versucht, dich überall mit einzubeziehen. Nun, ich denke, das kann ich mir ja jetzt sparen, wo du mit Mr Reich und Schön zusammen bist.«
Puh, was für eine Ansage. Ja, ich weiß, mir gehört der der Kopf gewaschen, und zwar gehörig.
»Ist das etwas, was ich mit einem Burger, Pommes und Milchshake wieder gutmachen kann?«, frage ich vorsichtig, da mittlerweile Mrs Shelby, unsere Psychologiedozentin, den Raum betreten hat.
Hope schaut mir einen Moment in die Augen, dann schüttelt sie den Kopf. »Ich denke nicht, dafür bedarf es wesentlich mehr. Zum Beispiel eine Runde Margaritas, heute Abend im Firework.«
Sie lächelt und schließt mich in die Arme. »Das ist ja so irre, dass du mit Jaden zusammen bist. Du musst mir heute Abend alles erzählen.«
Das ist der Grund, warum ich Hope so liebe. Für einen guten Drink verrät sie sogar ihr Gewissen.
Jaden taucht auch den Rest des Tages nicht in der Schule auf und ich frage mich wirklich, was los ist, denn meine SMS bleibt auch unbeantwortet. Nun, er wird seine Gründe haben, wenn er sich nicht meldet. Ich kann nur hoffen, dass er nicht überstürzt nach Spanien aufgebrochen ist, oder sich sonst wo in der Welt herumtreibt.
Ich habe heute Abend Dienst im Firework. Als ich aus der Schule komme, will ich schnell nach oben unter die Dusche, doch ich sehe Jadens Wagen in der Einfahrt stehen und mir wird etwas flau im Magen. Was macht er hier, wenn er den ganzen Tag nicht am College war? Aber das ist etwas, was sich in null Komma nichts herausfinden lässt.
Im Wohnzimmer sehe ich Jaden am Fenster stehen. Als ich hereinkomme, blickt er mich an. Ich erwarte ein Lächeln oder sonst eine Reaktion, doch als diese ausbleibt, schaue ich mich im Raum um und entdecke Harry und meine Mutter. Mom sitzt in ihrem Rollstuhl am Tisch und Harry hat in dem Sessel Platz genommen. Er wirkt nervös und fahrig. Seine sonst so gebräunte Gesichtshaut ist blass, fast grau und seine Augen sind rot. Oh Gott, ich hoffe doch nicht, dass jemand gestorben ist.
»Was ist los?«, platze ich statt einer Begrüßung heraus.
Jaden löst sich endlich vom Fenster und kommt auf mich zu. Er nimmt mich in die Arme und küsst mich. Das ist mir peinlich vor unseren Eltern, doch nach einigen Augenblicken lässt er von mir ab und schiebt mich zum Esstisch. »Setz dich, Ava. Wir sind gerade erst gekommen und müssen mit dir und Ireland sprechen.«
»Mit mir und meiner Mutter?«, frage ich überrascht. »Also, ihr braucht keine Angst zu haben, dass ich schwanger bin«, plappere ich aufgeregt los.
Ein leichtes Lächeln huscht über Jadens Lippen, als er mit der Hand über sein Haar fährt.
»Nein, darum geht es nicht.«
Ein Glück, denn ich möchte hier mein Liebesleben keineswegs mit Harry und meiner Mutter diskutieren. Ich sehe die Blicke, die zwischen Jaden und seinem Vater hin und her wandern und mir kommt eine irrwitzige Idee, die sich sofort in meinem Kopf festsetzt.
»Sagt jetzt bitte nicht, dass wir verwandt sind. Ich hoffe doch wohl nicht, dass Jaden und ich eventuell Halbgeschwister sind oder so etwas in der Art, wie es immer in diesen verrückten Fernsehserien passiert.«
Ich höre, wie meine Mutter laut atmet. »Ava, wie kommst du denn auf diese Idee? Das würde ja bedeuten, dass ich deinen Vater, Gott habe ihn selig, betrogen hätte!« Sie ist völlig außer sich.
»Ihr seht mich alle so an, als hätte ich etwas ganz Schlimmes verbrochen.«
Harry greift als erster diesen Faden auf und schüttelt ernst den Kopf. »Nein, Ava, keine Angst. Du bist hier nicht diejenige, die etwas Schlimmes verbrochen hat. Ich, ich bin es, dem diese zweifelhafte Ehre zu Teil wird.«
Ich setze mich endlich auf einen der Stühle und Jaden nimmt nehmen mir Platz und fischt unter dem Tisch nach meiner Hand. »Bitte, versuche gleich nicht auszuflippen und lass uns in Ruhe darüber reden, okay?«, fragt er mich und ich nicke automatisch. Als wenn ich ständig sofort ausflippen würde.
»Ihr wollt doch wohl nicht wieder nach Spanien oder in ein anderes Land auswandern?«, kommt es mir leise über die Lippen.
»Nein, hör dir an, was Harry zu sagen hat«, bittet Jaden mich und ich gebe endlich Ruhe, nachdem meine schrecklichsten Vermutungen ausgeräumt sind. Was kann jetzt noch kommen, das so schlimm sein soll?
»Ireland, Ava«, Harry steht mitten im Raum, die Hände in den Hosentaschen vergraben und versucht uns in die Augen zu sehen, was ihm nicht so richtig gelingt. »Ich bin der Fahrer des schwarzen Ferraris gewesen, der den Unfall verursacht hat. Ich habe Irelands Leben zerstört.«