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„Hilfe!" schrie Tash.

Zak, Hoole und Deevee folgten dem Klang ihrer Stimme. Doch als sie an die Stelle kamen, sahen sie nichts als die Schatten der Felsen und Tash, die mit etwas Unsichtbarem kämpfte.

„Befreit mich!" kreischte Tash.

„Wovon?" erkundigte sich Deevee.

„Dem Scha-!" setzte sie an und wurde von der Dunkelheit verschluckt.

„Tash!" rief Zak. Er rannte los, geriet jedoch ins Straucheln. Er war mit dem Fuß an irgend etwas hängengeblieben. Er blickte nach unten und sah, daß er bei seinem Spurt in einen Schatten getreten war. Jetzt steckte sein Fuß darin fest.

Auch Hoole und Deevee waren losgestürmt, um Tash beizustehen, doch als sie sahen, was mit Zak geschah, blieben sie stehen.

„Was ist los, Zak?" fragte Hoole.

„Ich weiß es nicht", antwortete Zak. Er zog an seinem Fuß, der sich jedoch nicht rühren wollte. „Irgendwas hält mich fest." Er zog noch einmal.

Und dieses Mal reagierte etwas und zog seinerseits.

Zak wurde in den Schatten gezerrt, und im nächsten Augenblick wich die Taghelle einer Finsternis, die nicht so tiefschwarz war wie der Nachthimmel, sondern eher dem Abenddunkel kurz nach Sonnenuntergang glich. Zak konnte den Boden zu seinen Füßen erkennen, er konnte den Himmel sehen, sogar Hoole und Deevee, aber alles lag unter einem schattenhaft grauen Schleier. Sein Onkel und Deevee streckten verzweifelt die Arme aus, und sie schienen zu schreien, doch Zak konnte sie nicht verstehen. Er rief ihnen etwas zu, aber er konnte erkennen, daß sie ihn auch nicht hörten. Es schien, als habe sich zwischen ihnen ein schwerer dunkler Vorhang gesenkt.

Mammon!

Das Wort wurde ganz in seiner Nähe geflüstert, so nah, daß er eine flüchtige Berührung an einem Ohr spüren konnte. Aber als er herumfuhr, sah er nur noch mehr Schatten.

Mammon!

Eine zweite Stimme drang klagend an sein anderes Ohr.

Wieder drehte Zak sich um – und sah abermals nichts als Schatten ringsum. Ein Stück weiter, tiefer im Innern der sonderbaren Blase aus Dunkelheit, entdeckte er seine Schwester, die verkrümmt auf dem Boden lag. Zak setzte sich in Bewegung, um sie zu erreichen, doch jeder Schritt kostete ihn gewaltige Kraftanstrengungen. Es war, als würde er durch eine zähflüssige Masse waten; als würden sich zahlreiche Hände gegen ihn stemmen, die ihn davon abhalten wollten, in Tashs Nähe zu gelangen.

„Tash!" rief er.

Tash hob langsam den Kopf.

„Zak...", brachte sie mit dünner Stimme heraus.

Mammonmammonmammonmammonmammonmammon!

Zornerfüllte Stimmen wirbelten um Zak wie Windgeheul und wiederholten immer wieder nur den einen Namen.

„Hört auf!" brüllte Zak und verstopfte sich die Ohren. „Laßt uns in Ruhe!"

Mörder! jaulten die Stimmen.

„Was?" Zak war sich nicht sicher, ob er richtig gehört hatte.

Mördermördermördermördermördermörder!

„Wer seid ihr? Was wollt ihr?" rief er.

Zu seiner Überraschung antwortete ihm Tash. Es war ihr gelungen, sich aufzusetzen und ihn durch den Nebel hindurch anzublicken. „Sie sind wütend", murmelte sie. „Sie sind so wütend."

„Wer?" fragte Zak.

Etwas Hartes, Scharfes fuhr wie eine Peitsche aus der Dunkelheit auf ihn zu, zerfetzte die Vorderseite seiner Hemdbluse und verfehlte nur knapp die Haut darunter. Irgendein Ding hatte ihn aus der Finsternis heraus angegriffen. Nein, nicht aus der Finsternis heraus, vielmehr das Dunkel selbst attackierte ihn, ging ihm auf.

„Hilfe!" schrie er panisch. „Hilfe!"

Da stürzte Hoole los, und noch im Laufen wechselte der Shi'ido die Gestalt. Das Fleisch kräuselte sich über den Knochen, und in der nächsten Sekunde war Hoole verschwunden, und an seiner Stelle erschien ein riesiger zottiger Bantha. Die vier Beine wirbelten über den Boden, und die scharfen Stoßzähne harkten durch die Luft.

Der Bantha krachte in die Mauer aus Dunkelheit und stürmte geradewegs auf Zak zu. Das Biest bäumte sich auf und sah sich nach einem Gegner um, auf den es losgehen konnte. Doch ringsum war nichts zu sehen als Dunkelheit und nichts zu vernehmen als die flüsternden Stimmen, die grimmiger als je ihr Klagegeheul anstimmten.

Mammon! Mörder! Mammon! Mörder! M-Ö-R-D-E-R!

Der Bantha blieb stehen. Die Vorderhufe bohrten sich donnernd in den Untergrund. Ein gewaltiges Beben durchlief den Körper, und im nächsten Augenblick nahm Hoole wieder seine normale Gestalt an. Doch er zitterte noch immer, als sei ihm eiskalt.

„Onkel Hoole!" rief Zak. „Bist du in Ordnung?"

Hoole sank, noch immer zitternd, in die Knie und schlug die Hände vors Gesicht. „Oh, nein", hörte Zak die leise Stimme seines Onkels. „Oh... nein."

Hooles Einbruch in den Ring der Schatten hatte in der Dunkelheit irgend etwas ausgelöst. Die Schatten nahmen festere Formen an. Zak vermochte vage humanoide Gestalten auszumachen. Er sah Hände und Arme von der Farbe der Schatten, Körper, die sich in der Finsternis bildeten. Sie erschienen überall um Hoole und die Arranda-Kinder und grollten wieder und wieder dieselben Worte.

Mammon!

Mörder!

„Wir müssen hier raus!" schrie Zak seiner Schwester und dem Onkel zu. Keiner der beiden antwortete ihm.

Die Wesen umzingelten sie. Zak glaubte durch den Nebelschleier dunkle Klauen zu erkennen, die nach Hooles Kehle griffen. Er erwartete, daß Hoole die Gestalt von etwas Großem und Wildem annehmen würde, das die unheimlichen Kreaturen in Stücke reißen konnte, doch sein Onkel rührte sich nicht einmal.

Dunkle Klauen legten sich dem Shi'ido um den Hals.

Da zerriß ein Energieblitz die Dunkelheit, fuhr in den Boden und verwandelte den Schattenring in einen hellen Lichtkreis. Dort, wo der Energieblitz eingeschlagen war, zuckten kleine Lichtbögen aus dem Boden und wanden sich um die Schattenwesen. Ringsum stiegen angstvolle Schreie empor, und schließlich flohen die Schatten.

Zak blinzelte in das helle Licht und sah zu, wie sie verschwanden. Die dunkle Blase zerplatzte, und die Schatten glitten kreischend in Felsspalten, bis sie nicht mehr zu sehen waren.

Jetzt tauchte Deevee neben Zak auf. „Dem Schöpfer sei Dank, es ist mir gelungen, sie zu vertreiben!" erklärte der Droide. „Seid ihr in Ordnung?"

„Was...?" versuchte Zak zu sprechen. „Wie...?"

„Die Ionenkanone." Deevee deutete auf den großen Laserturm. Die Mündung des Geschützes zeigte genau in ihre Richtung. „Die einzige große Waffe in Reichweite. Ich konnte ihre Automatik umgehen und sie, in der Hoffnung, diesen Geschöpfen damit Angst einzujagen und sie zu verscheuchen, auf euch richten."

Zak mußte Deevees Findigkeit Bewunderung zollen. Da eine Ionenwaffe nur elektronische Schaltkreise angriff, würde sie Lebewesen keinen allzu großen Schaden zufügen. Doch sie verursachte zweifellos eine Menge Licht und Lärm!

„Du hast ihnen nicht bloß Angst eingejagt", sagte Zak und dachte daran, wie sie geschrien hatten. „Ich glaube, du hast ihnen weh getan."

Inzwischen waren auch Hoole und Tash wieder auf den Beinen. Tash wirkte vollkommen von der Rolle. „Ich konnte sie in der Macht spüren", berichtete sie. „Was sie auch sein mögen, sie sind voller Haß."

„Kann man wohl sagen", entgegnete Zak und zupfte an seinem zerrissenen Hemd herum. „Das habe ich auch ohne Hilfe der Macht gemerkt. Was waren das für Gestalten?" fragte er und sah Hoole an.

Hooles Gesichtszüge waren aschfahl, die Augen noch immer riesengroß. Dies war, soweit Tash und Zak sich erinnern konnten, das erste Mal, daß ihr Onkel Angst zeigte. Er versuchte offensichtlich, seine Empfindungen vor ihnen zu verbergen, doch es wollte ihm nicht gelingen. Mit heiserer Stimme sagte er: „Ich weiß es nicht. Aber ich bin sicher... es kann uns auch egal sein."

„Sie haben immer wieder den Namen Mammon geflüstert", erinnerte sich Zak. „Das war doch der Wissenschaftler, der diese Welt zerstört hat, oder?"

„So ist es", erwiderte Deevee und neigte den silbernen Kopf. „Das ist äußerst eigenartig. Ich frage mich..." Er blickte Hoole an. „... ob diese Wesen, diese Gespenster, möglicherweise in irgendeiner Verbindung zu den ursprünglichen Bewohnern dieses Planeten stehen."

„Vielleicht, aber das geht uns nichts an", erklärte Hoole. „Kommt jetzt. Wir sollten verschwinden, ehe sie wiederkommen. Unser Ziel befindet sich ganz in der Nähe."

Hoole wandte sich dem entgegengesetzten Ausgang des kleinen Tals zu. Die anderen folgten ihm langsam.

„Hast du das mitgekriegt?" flüsterte Zak seiner Schwester zu. „So habe ich Hoole noch nie erlebt."

Tash nickte. „Ich habe keinen Schimmer, was hier los ist, aber es hat bestimmt etwas mit diesen... diesen Gespenstern zu tun. Hat Deevee sie nicht eben so genannt?" Sie erschauerte. „Ich sage dir, Zak, die waren stinksauer. Und ihr Zorn war direkt gegen uns gerichtet."

„Aber warum gegen uns?" entgegnete Zak. „Wir haben ihnen nichts getan. Wir waren ja noch nie im Leben hier..."

„Ich habe eine Theorie", fiel ihm Deevee ins Wort. „Vielleicht haben diese Wesen das Unglück, das ihre Welt zerstört hat, irgendwie überlebt. Vielleicht nennen sie jeden, der von außerhalb kommt, Mammon."

„Da könntest du recht haben", stimmte ihm Zak zu und blickte zurück in das Tal. „Ich hoffe bloß, wir sehen sie nie wieder und finden es heraus."

Sie folgten Hoole einen weiteren Kilometer durch das felsige Terrain. Hoole schien nach wie vor genau zu wissen, wohin er unterwegs war. Er führte sie über gewundene Pfade zwischen Hügeln und Feldern hoch aufragender, dünner Felsnadeln hindurch, die wie steinerne Bäume himmelwärts strebten. Schließen kamen sie zu einer schmalen Passage, die zwischen zwei steilen Felsen hindurchführte. Nachdem sie die Schlucht betreten hatten, fanden sie schnell heraus, daß sie sich in einer Sackgasse befanden. Am Ende der Felsspalte sahen Zak und Tash ein großes Gebäude, das direkt aus dem Gestein zu wachsen schien.

Der Eingang zu dieser Festung war ein großes Tor aus Durastahl, das unmöglich zu öffnen schien. Doch zu ihrer Überraschung marschierte Hoole geradewegs auf die Kontrolltafel zu, tippte einen Sicherheitscode ein und sah zu, wie die Tür mit einem leisen Geräusch zur Seite glitt.

„Wie viele Informationen hast du auf Nespis VIII eigentlich gefunden?" wollte Tash wissen.

„Genug", antwortete der Shi'ido und trat in den dunklen Gang hinter der Tür.

Dort gab es verschiedene Räume, und nach allen Richtungen gingen Korridore ab, doch wieder kannte Hoole den Weg ganz genau. Er ging den anderen durch einen langen Gang voran, der ins Herz der Festung, eine große Kammer tief in ihrem Innern, führte. In diesem Raum stand ein gewaltiger Kommandosessel, daneben eine Kontrollkonsole und darüber eine Reihe von Bildschirmen.

„Ist das... ist das hier wirklich Gogs Hauptquartier?" flüsterte Tash. „Wurde das Projekt Sternenschrei hier geboren?"

„Ja", sagte Hoole nur. Er ging zum entgegengesetzten Ende des Raums, wo eine weitere Tür zu erkennen war, doch als er diesmal eine Kombination in das Sicherheitspaneel eingab, zeigte diese keinerlei Reaktion.

„Deevee!" rief der Shi'ido. „Der Raum hier ist von der Energieversorgung abgeschnitten."

„Ich kümmere mich darum, Master Hoole", erwiderte der Droide. Er näherte sich der Kontrollkonsole, musterte sie einen Augenblick lang und bewegte dann die Metallhände über eine Reihe von Schaltern. Sekunden später, als die Energiesysteme des Raums ansprangen, klang ein lautes Summen auf. Die Bildschirme wurden hell. Doch die Monitore zeigten nichts als atmosphärische Störungen.

„Na, die werden uns bestimmt schlauer machen", murrte Zak.

„Ich will sehen, ob ich sie instand setzen kann", meldete sich Deevee. Er fügte der Programmierung des Computers ein paar Befehle hinzu und hielt inne, als auf dem Bildschirm vor ihm Textzeilen erschienen. „Das ist überaus ungewöhnlich, Master Hoole, ich scheine hier auf etwas gestoßen zu sein..."

„Warte, Deevee", unterbrach Hoole den Droiden. Er studierte ein Computerterminal, das eben zum Leben erwacht war. „Ich glaube, ich habe den Sicherheitscode gefunden, mit dem man diese Tür öffnen kann."

Hoole gab eine Zahlenreihe in den Rechner ein, worauf die innere Tür sich mit einem vernehmlichen Rasseln auftat. Tash und Zak schauten auf, als die Tür den Blick auf eine großräumige Kammer mit hohen Decken freigab, deren Wände hinter elektronischem Equipment verborgen waren. Hunderte Rohrleitungen und Kabel führten zur Mitte des Raums, wo sie in einem einzigen Objekt zusammentrafen, das Hooles Gestalt überragte und aus schimmerndem schwarzem Metall bestand.

„Sieht aus wie ein Ei", meinte Tash.

„Ein elektronisches Ei", ergänzte Zak.

„Das ist eine Geburtskammer", erklärte Hoole.

„Eine Geburtskammer", wiederholte Zak. „Eine Geburtskammer für was?"

Hoole nahm das große eiförmige Behältnis in Augenschein. Das glänzende schwarze Metall vibrierte vor Kraft. „Ich weiß es nicht", antwortete er leise und berührte eine an dem Ei angebrachte Kontrolltafel.

Nichts geschah.

Hoole zog die Stirn kraus. „Er hat die Codes geändert", murmelte der Shi'ido. „Ich kann sie nicht öffnen."

Zak grinste. „Ich wette, ich kann das Ei aufschlagen."

Er griff in sein Marschgepäck und zog die Datendisk daraus hervor, die er aus der Shroud geborgen hatte.

„Was hast du vor?" wollte Tash wissen.

„Hierauf befinden sich sämtliche Daten aus dem Computer der Shroud. Ich habe mich bei jeder sich bietenden Gelegenheit damit befaßt. Ich konnte den Code noch nicht ganz knacken, aber ich bin nah dran. Na ja, vielleicht nicht nah dran, aber ich erkenne eine Liste mit Computercodes, wenn ich eine sehe. Ich wette, der Zugangscode ist irgendwo hier drauf, ich muß bloß die richtige Disk finden..."

Zak ging die Datendisks durch, fischte eine heraus und schob sie dann in einen Schacht in der Kontrollkonsole des Eis. Nichts tat sich.

Zak knurrte und probierte eine andere.

Deevee schüttelte den Kopf. „Zak, die Chancen, auf Dutzenden von Datendisks eine ganz bestimmte Information zu finden und den Zugangscode auszusieben, stehen mindestens bei hundertfünfzigtausend zu..."

„Ich hab's", sagte Zak.

Mit einem Piepsen akzeptierte der Rechner des Eis die Disk, die Zak zuletzt in den Schacht geschoben hatte. Dann hörte man ein metallisches Kreischen... und das Ei brach auf. Zak und Tash traten zurück, als die obere Hälfte der Schale aufklappte und mit einem elektronischen Zischen Licht aus der Kammer drang.

Im Innern des Eis bewegte sich etwas.

Zak, Tash und Hoole beschirmten die Augen vor dem hellen Licht, traten vor und linsten in das Innere der Geburtskammer.

Auf dem Grund des Eis lag ein Baby.