30 Bobbie


Vor ihrer Arbeit für Avasarala und die UN hatte Bobbie noch nie etwas von Mao-Kwikowski Mercantile gehört, oder wenn, dann hatte sie nicht weiter darauf geachtet. Ohne es zu wissen, hatte sie ihr ganzes Leben lang Produkte getragen, gegessen oder als Sitzmöbel benutzt, die Mao-Kwik mit seinen Frachtern durch das Sonnensystem beförderte. Nachdem sie die Akten durchgearbeitet hatte, die Avasarala ihr gegeben hatte, staunte sie, wie groß und weitverzweigt der Konzern war. Hunderte von Schiffen, Dutzende Stationen, Millionen Angestellte. Jules-Pierre Mao verfügte auf allen bewohnbaren Planeten und Monden des Systems über bedeutende Vermögenswerte.

Seine achtzehn Jahre alte Tochter hatte eine eigene Rennjacht besessen. Eine Tochter, die er eigentlich nicht leiden konnte.

Es gelang Bobbie nicht, sich vorzustellen, wie reich man sein musste, um sich ein Raumschiff leisten zu können, mit dem man Wettrennen flog. Die Tatsache, dass das Mädchen weggelaufen war und sich den Rebellen der AAP angeschlossen hatte, sagte vermutlich eine ganze Menge über die Beziehung zwischen Reichtum und Zufriedenheit, aber andererseits fiel es Bobbie schwer, derart philosophisch mit dieser Frage umzugehen.

Sie war als Kind der marsianischen Mittelschicht aufgewachsen. Ihr Vater hatte zwanzig Jahre als Nichtkombattant in der marsianischen Marine gedient und nach dem Ausscheiden bei privaten Sicherheitsberatern gearbeitet. Bobbies Familie hatte immer ein schönes Zuhause besessen. Sie und ihre beiden älteren Brüder hatten die Universität besuchen können, ohne auf Studentendarlehen zurückgreifen zu müssen. Auch später hatte sie sich nie als arm betrachtet.

Das änderte sich jetzt.

Man konnte es nicht einmal mehr Reichtum nennen, wenn jemand eine eigene Rennjacht besaß. Das war nicht von dieser Welt. Es war der protzige Konsum, der zu den alten Adligen der Erde passte. Eine Pharaonenpyramide mit einem Raumantrieb. Bobbie hatte das für den lächerlichsten Exzess gehalten, den sie bislang überhaupt gesehen hatte.

Dann hatte sie nach dem kurzen Shuttleflug Jules-Pierre Maos private L5-Station betreten.

Jules parkte seine Schiffe nicht in Umlaufbahnen vor öffentlichen Stationen. Er benutzte nicht einmal eine Mao-Kwik-Station. Diese voll funktionstüchtige Raumstation, die die Erde umkreiste, war ausschließlich seinen privaten Schiffen vorbehalten, und das Ding war herausgeputzt wie das Gefieder eines Pfaus. Eine derartige Extravaganz hätte sie sich in den kühnsten Träumen nicht vorstellen können.

Außerdem dachte sie, dass Mao ein äußerst gefährlicher Mann war. Alles, was er tat, unterstrich seine Freiheit von jeglichen Beschränkungen. Er war ein Mann, für den es keine Grenzen gab. Einen ranghohen Politiker der UN zu töten war vielleicht nicht gut fürs Geschäft. Vielleicht sogar ein sehr teurer Spaß. Aber für einen Mann mit so viel Reichtum und Macht wäre es nicht besonders riskant.

Das erkannte Avasarala offensichtlich nicht.

»Ich hasse die durch Rotation erzeugte Schwerkraft«, erklärte die ältere Frau gerade, während sie eine Tasse dampfenden Tee trank. Sie befanden sich seit drei Stunden auf der Station und warteten darauf, dass die Fracht vom Shuttle auf Maos Jacht umgeladen wurde. Man hatte ihnen eine Suite mit vier großen Schlafzimmern zugewiesen, die jeweils eine eigene Dusche besaßen und sich einen großen Salon teilten. Ein riesiger Wandbildschirm tat so, als sei er ein Fenster. In der Schwärze hing die Erde als helle Sichel mit ihren Wolkenfeldern, die ganze Kontinente bedeckten. Die mit drei Mitarbeitern besetzte Küche hatte bisher nichts weiter getan, als der Stellvertretenden Untergeneralsekretärin eine Tasse Tee zu servieren. Bobbie spielte mit dem Gedanken, eine große Mahlzeit zu ordern, nur damit sie eine Weile beschäftigt waren.

»Ich kann gar nicht glauben, dass wir ein Schiff betreten, das diesem Mann gehört. Haben Sie schon jemals erlebt, dass ein so reicher Mensch ins Gefängnis gewandert wäre? Oder dass man ihn auch nur angeklagt hätte? Der Kerl könnte vermutlich hier hereinspazieren und Sie erschießen, während eine Live-Übertragung läuft, und würde ungeschoren davonkommen.«

Avasarala lachte sie aus. Bobbie unterdrückte ihre Wut. Das war nur die Angst, die sich ein Ventil suchte.

»So läuft das Spiel nicht«, erklärte Avasarala. »Hier wird niemand erschossen. Man wird an den Rand gedrängt. Das ist viel schlimmer.«

»Nein, ist es nicht. Ich habe gesehen, wie Menschen erschossen wurden. Freunde von mir wurden getötet. Wenn Sie sagen, das Spiel liefe nicht so, dann meinen Sie Menschen wie sich selbst. Das gilt nicht für mich.«

Avasaralas Miene war nicht mehr ganz so freundlich.

»Ja, das meine ich«, erklärte ihr die ältere Frau. »Auf der Ebene, auf der wir uns jetzt bewegen, gelten andere Spielregeln. Es ist wie beim Go, es geht vor allem darum, an Einfluss zu gewinnen. Das Spielbrett beherrschen, ohne es vollständig zu besetzen.«

»Auch Poker ist ein Spiel«, erwiderte Bobbie. »Aber manchmal ist der Einsatz so hoch, dass ein Spieler meint, es sei einfacher, den Gegner zu töten und mit dem Geld zu verschwinden. So etwas geschieht andauernd.«

Avasarala nickte, antwortete jedoch nicht sofort, sondern bedachte das, was Bobbie gesagt hatte. Bobbies Zorn wich schlagartig einer tiefen Zuneigung für die unwirsche und überhebliche alte Dame.

»Also gut.« Avasarala stellte die Teetasse weg und legte die Hände in den Schoß. »Ich habe verstanden, was Sie mir sagen wollen, Sergeant. Ich halte es für unwahrscheinlich, aber ich bin froh, dass Sie hier sind und es sagen konnten.«

Aber du nimmst es nicht ernst, hätte Bobbie am liebsten geschrien. Stattdessen bat sie den Diener, der in der Nähe herumlungerte, um ein Sandwich mit Pilzen und Zwiebeln. Während sie aß, nippte Avasarala am Tee, knabberte einen Keks und machte belanglose Bemerkungen über den Krieg und ihre Enkelkinder. Bobbie gab sich Mühe, besorgte Geräusche hervorzubringen, wenn es um den Krieg ging, und »oh« zu machen, wenn die Kinder zur Sprache kamen. Dabei dachte sie die ganze Zeit über den taktischen Albtraum nach, Avasarala auf einem vom Feind kontrollierten Schiff zu verteidigen.

Ihr Kampfanzug ruhte in einer großen Kiste mit der Aufschrift ABENDKLEIDUNG und wurde wohl gerade in die Jacht geladen. Bobbie wäre gern davongeschlichen, um ihn anzulegen. Sie bemerkte es nicht, dass Avasarala schon seit ein paar Minuten geschwiegen hatte.

»Bobbie«, sagte die ältere Frau schließlich und verkniff sich mit knapper Not ein Stirnrunzeln, »sind die Geschichten über meine geliebten Enkelkinder wirklich so langweilig?«

»Ja«, antwortete Bobbie. »Das sind sie.«

Bis sie die Jacht betrat, hatte Bobbie die Mao-Station für die lächerlichste Zurschaustellung übermäßigen Reichtums gehalten, die ihr je unter die Augen gekommen war.

Die Station war extravagant, aber sie diente zumindest einem Zweck. Sie war Jules Maos persönliche Garage im Orbit, wo er seine Flotte privater Raumschiffe abstellen und warten lassen konnte. Unter dem Prunk war es eine funktionierende Station mit Mechanikern und Hilfskräften, die echte Arbeit verrichteten.

Die Jacht, die Guanshiyin, war so groß wie ein billiger Personentransporter, der zweihundert Fahrgäste befördern konnte. Es gab dort jedoch nur ein Dutzend Suiten. Der Frachtraum war gerade groß genug, um genügend Vorräte für eine ausgedehnte Reise zu verstauen. Besonders schnell war das Schiff auch nicht. Es war, wenn man es vernünftig betrachtete, ein erbärmlich unzulängliches Raumschiff.

Aber die Hauptaufgabe der Jacht bestand nicht darin, nützlich zu sein.

Vor allem sollte die Guanshiyin bequem sein, und zwar auf eine möglichst extravagante Art.

Der Teppich war weich und dick wie in der Lobby eines Hotels, an der Decke hingen echte Kristalllüster. Alle möglicherweise gefährlichen Ecken waren sanft abgerundet und gepolstert. Die Wände waren mit unbearbeitetem Bambus und Naturfasern verkleidet. Als Erstes dachte Bobbie, wie schwer es sein musste, das Raumschiff zu reinigen, und als Zweites fiel ihr ein, dass diese Schwierigkeit möglicherweise sogar beabsichtigt war.

Jede Suite nahm beinahe ein ganzes Deck des Schiffs ein und besaß ein eigenes Bad, ein Medienzentrum, ein Spielzimmer und einen Salon mit üppig ausgestatteter Bar. Im Salon hing ein riesiger Bildschirm, der eine Außenansicht zeigte. Ein echtes Fenster hätte die Szene nicht detailgetreuer darstellen können. In der Nähe der Bar befand sich neben dem Com ein mechanischer Kellner, der zu jeder Tages-und Nachtzeit eine von Meisterköchen zubereitete Mahlzeit servieren konnte.

In der Suite war der Teppich sogar so dick, dass Bobbie befürchtete, ihre Magnetstiefel würden nicht haften. Das spielte jedoch keine Rolle. Auf einem Schiff wie diesem gab es keine Ausfälle, und es kam ohnehin nicht infrage, während des Fluges die Maschinen abzustellen. Die Menschen, die auf der Guanshiyin flogen, hatten vermutlich im ganzen Leben noch keinen Raumanzug getragen.

Die Wasserkräne im Bad waren mit Gold überzogen.

Bobbie und Avasarala saßen mit dem Leiter des UN-Sicherheitsteams im Salon. Cotyar war ein angenehmer grauhaariger Mann kurdischer Herkunft. Bei ihrer ersten Begegnung hatte Bobbie sich Sorgen gemacht, denn er war ihr wie ein freundlicher Oberstufenlehrer und nicht wie ein Soldat vorgekommen. Doch als sie beobachtete, wie routiniert er Avasaralas Quartier in Augenschein nahm, die Planungen für ihre Bewachung vorstellte und sein Team einteilte, ließen ihre Sorgen nach.

»Nun? Wie ist Ihr Eindruck?« Avasarala lehnte sich mit geschlossenen Augen in ihrem gepolsterten Sessel zurück.

»Dieser Raum ist nicht sicher.« Bobbie fand seinen Akzent ausgesprochen exotisch. »Wir sollten hier keine heiklen Angelegenheiten besprechen. Ihr Privatzimmer wurde eigens zu diesem Zweck abgesichert.«

»Es ist eine Falle«, warf Bobbie ein.

»Sind wir mit diesem Mist immer noch nicht fertig?« Avasarala beugte sich vor und funkelte Bobbie an.

»Sie hat recht«, wandte Cotyar leise ein. Offenbar behagte es ihm nicht, dieses Thema in einem nicht abhörsicheren Raum zu besprechen. »Mittlerweile habe ich vierzehn Besatzungsmitglieder gezählt und würde annehmen, dass ich damit weniger als ein Drittel der gesamten Crew gesehen habe. Ich habe hier ein Team von sechs Leuten, die Sie schützen können …«

»Sieben«, warf Bobbie ein und hob eine Hand.

»Wie Sie meinen.« Cotyar nickte. »Sieben. Wir kontrollieren nicht die Systeme des Schiffs. Ein Mordanschlag wäre sehr einfach. Man müsste nur unser Deck sperren und die Luft abpumpen.«

Bobbie deutete auf Cotyar. »Sehen Sie?«

Avasarala wedelte mit einer Hand, als verscheuchte sie eine Fliege. »Wie steht es um die Kommunikation?«

»Verlässlich«, antwortete Cotyar. »Wir haben ein privates Netzwerk eingerichtet und einen Richtstrahl mit einem Funkkanal belegt, den Sie persönlich nutzen können. Die Bandbreite ist großzügig bemessen, aber die Verzögerung aufgrund der Lichtgeschwindigkeit wird zunehmend eine Rolle spielen, während wir uns von der Erde entfernen.«

»Gut.« Zum ersten Mal, seit sie an Bord gekommen war, lächelte Avasarala. Sie sah nicht mehr einfach nur müde aus, sondern bewegte sich nunmehr wie ein Mensch, der die Müdigkeit zum Lebensstil erhoben hatte.

»Hier ist so gut wie nichts sicher«, fuhr Cotyar fort. »Unser privates internes Netzwerk können wir abschirmen, aber wenn sie auf den Antennen, die wir benutzen, die ausgehenden und eingehenden Sendungen überwachen, können wir es nicht einmal feststellen. Wir haben keinen Zugriff auf den Betrieb des Schiffs.«

»Genau deshalb bin ich hier«, erklärte Avasarala. »Sie haben mich eingetütet und auf eine lange Reise geschickt, damit sie meine gesamte Mail lesen können.«

»Wir haben Glück, wenn das alles ist, was sie tun«, warf Bobbie ein. Das Nachdenken über Avasaralas Müdigkeit hatte sie daran erinnert, wie erschöpft sie selbst war. Ihre Gedanken drifteten eine Weile ab.

Avasarala hatte gerade eine Bemerkung gemacht, worauf Cotyar nickte und »Ja« sagte. Dann wandte sie sich an Bobbie. »Stimmen Sie dem zu?«

»Äh«, machte Bobbie. Es gelang ihr nicht, die Unterhaltung zu rekapitulieren. »Ich …«

»Sie schlafen ja fast schon im Sitzen ein. Wann haben Sie das letzte Mal eine Nacht durchgeschlafen?«

»Ungefähr zu der gleichen Zeit wie Sie«, antwortete Bobbie. Ungefähr, als meine Leute noch gelebt haben und Sie noch nicht versucht haben, einen Flächenbrand im Sonnensystem zu verhindern. Sie wartete auf einen bissigen Kommentar und eine Bemerkung, dass sie ihren Job an den Nagel hängen konnte, wenn sie nicht auf dem Damm und zu schwach dazu sei.

»Verstehe«, antwortete Avasarala. Wieder fasste Bobbie ein wenig Zuneigung zu der älteren Frau. »Mao gibt heute Abend ein großes Dinner, um uns an Bord zu begrüßen. Ich möchte, dass Sie und Cotyar daran teilnehmen. Cotyar wird für die Sicherheit sorgen, also steht er hinten im Raum und sieht möglichst gefährlich aus.«

Bobbie konnte nicht anders, sie platzte lachend heraus. Cotyar lächelte und zwinkerte ihr zu.

»Und Sie werden als meine persönliche Sekretärin anwesend sein und mit den Leuten reden. Versuchen Sie, ein Gefühl für die Crew und die Stimmung auf dem Schiff zu bekommen. In Ordnung?«

»Alles klar.«

Avasaralas Tonfall wechselte. Es war sofort deutlich, dass sie Bobbie um einen unangenehmen Gefallen bitten würde. »Mir ist aufgefallen, dass Sie der Executive Officer bei der Begrüßung an der Luftschleuse angestarrt hat.«

Bobbie nickte. Auch sie hatte es bemerkt. Manche Männer standen auf große Frauen, und Bobbie hatte das unangenehme Gefühl, er könne ein Angehöriger dieser Spezies sein. Die meisten davon hatten ungelöste Mutterprobleme, also hielt sie sich in solchen Fällen normalerweise zurück.

»Könnten Sie vielleicht beim Abendessen mit ihm ins Gespräch kommen?«, fragte Avasarala.

Bobbie lachte und rechnete damit, dass die anderen einstimmten. Doch selbst Cotyar sah sie an, als hätte Avasarala einen völlig vernünftigen Vorschlag gemacht.

»Äh, nein«, erwiderte Bobbie.

»Sagten Sie gerade Nein?«

»Und ob. Nein, zum Teufel. Nein, verdammt. Nein, und abermals nein. Njet. Nahin. Tidak.« Bobbie hielt inne, als ihr die Sprachen ausgingen. »Ehrlich gesagt bin ich sogar etwas sauer.«

»Ich bitte Sie ja nicht, mit ihm zu schlafen.«

»Das ist gut, denn ich setze Sex nicht als Waffe ein«, antwortete Bobbie. »Wenn ich Waffen brauche, setze ich Waffen ein.«

»Chrisjen!« Jules Mao fasste Avasaralas Hand und schüttelte sie.

Der Herr des Mao-Kwik-Imperiums überragte Avasarala beträchtlich. Er hatte ein anziehendes Gesicht, das in Bobbie sofort den Wunsch weckte, ihn zu mögen, und den unbehandelten Haupthaarverlust, der ihr sagte, dass ihm ihre Zuneigung egal war. Die Tatsache, dass er seinen Reichtum nicht einsetzte, um ein so geringfügiges Problem wie das schütter werdende Haar zu korrigieren, unterstrich geradezu, dass er die absolute Kontrolle besaß. Er trug einen locker sitzenden Sweater und eine Baumwollhose, die ihm standen wie ein Maßanzug. Als Avasarala ihm Bobbie vorstellte, lächelte er und nickte, ohne wirklich in ihre Richtung zu blicken.

»Haben sich Ihre Mitarbeiter schon eingerichtet?« Damit gab er Bobbie zu verstehen, dass er sie als unbedeutete Untergebene einstufte. Sie knirschte mit den Zähnen, ließ sich aber äußerlich nichts anmerken.

»Ja«, antwortete Avasarala mit, wie Bobbie geschworen hätte, echter Herzlichkeit. »Die Unterkünfte sind hervorragend, und Ihre Crew ist wundervoll.«

»Ausgezeichnet.« Jules legte Avasaralas Hand auf seinen Arm und führte sie zu einem riesigen Tisch. Ringsherum hatten Männer mit weißen Jacken und schwarzen Fliegen Aufstellung genommen. Einer von ihnen schoss herbei und zog einen Stuhl heran, zu dem Jules Avasarala bugsierte. »Unser Küchenchef Marco hat uns für heute Abend etwas ganz Besonderes versprochen.«

»Wie wäre es mit aufrichtigen Antworten? Stehen die auch auf der Speisekarte?«, fragte Bobbie, als ein Keller für sie einen Stuhl zurechtrückte.

»Antworten?«

»Ihr habt gewonnen.« Bobbie ignorierte die dampfende Suppe, die ihr ein Kellner servierte. Mao salzte seine nach und begann zu essen, als führten sie ein ganz normales Tischgespräch. »Die stellvertretende Untergeneralsekretärin ist auf Ihrem Schiff. Es gibt keinen Grund mehr, uns zu verarschen. Was läuft hier?«

»Humanitäre Hilfe«, antwortete er.

»Gequirlte Scheiße«, antwortete Bobbie. Sie warf Avasarala einen Blick zu, doch die ältere Frau lächelte nur. »Sie können mir doch nicht erzählen, dass Sie genug Zeit für eine zweimonatige Reise zum Jupiter haben, nur um dort zuzusehen, wie Reis und Bohnen ausgeteilt werden. Außerdem können Sie auf diesem Schiff nicht einmal genug befördern, um auf Ganymed ein einziges Abendessen zu kochen, ganz zu schweigen davon, langfristig etwas zu bewirken.«

Mao lehnte sich zurück, die weißen Fräcke eilten durch den Raum und räumten die Suppenteller ab. Auch Bobbies Teller verschwand, obwohl sie ihn noch nicht einmal angerührt hatte.

»Roberta«, begann Mao.

»Nennen Sie mich nicht Roberta.«

»Sergeant, Sie sollten Ihre Vorgesetzten im UN-Außenministerium fragen, nicht mich.«

»Das würde ich gern tun, aber anscheinend verstößt es gegen die Regeln dieses Spiels, Fragen zu stellen.«

Sein Lächeln war warm, herablassend und falsch. »Ich habe mein Schiff zur Verfügung gestellt, um Madam Untergeneralsekretärin eine möglichst bequeme Reise zu ihrem neuen Dienstort zu ermöglichen. Und auch wenn Sie die Betreffenden noch nicht bemerkt haben, auf diesem Schiff befinden sich Mitarbeiter, deren Erfahrung für die Bürger von Ganymed nach Ihrer Ankunft sehr wertvoll sein werden.«

Bobbie war lange genug in Avasaralas Nähe, um das Spiel zu erkennen, das vor ihren Augen gespielt wurde. Mao lachte sie aus. Er band ihnen einen Bären auf und wusste, dass sie ihn durchschaut hatte. Doch solange er ruhig blieb und vernünftige Antworten gab, konnte man ihm nichts vorwerfen. Er war viel zu mächtig, um einfach so als Lügner bezeichnet zu werden.

»Sie sind ein Lügner, und …«, setzte sie an. Dann fiel ihr etwas auf. »Sagten Sie gerade ›nach Ihrer Ankunft‹? Heißt das, Sie kommen nicht mit?«

»Ich fürchte nein.« Mao lächelte den weißen Frack an, der einen neuen Teller servierte. Es handelte sich offenbar um einen kompletten Fisch, aus dessen Kopf sogar noch die Augen starrten.

Bobbie wandte sich offenen Mundes an Avasarala, die ihrerseits Mao mit gerunzelter Stirn ansah.

»Wie ich hörte, wollten Sie die Hilfslieferungen persönlich beaufsichtigen«, sagte Avasarala.

»Das war auch meine Absicht. Leider haben mich andere Angelegenheiten dieser Möglichkeit beraubt. Gleich nach diesem ausgezeichneten Abendessen fliege ich mit dem Shuttle zur Station zurück. Dieses Schiff und seine Crew stehen Ihnen zur Verfügung, bis Ihre wichtige Arbeit auf Ganymed abgeschlossen ist.«

Avasarala starrte Mao an. Zum ersten Mal, seit Bobbie sie kannte, war die alte Dame sprachlos.

Ein weiß befrackter Kellner servierte Bobbie einen Fisch, während ihr üppiges Gefängnis mit einem gemächlichen Viertel G in Richtung Jupiter flog.

Avasarala hatte kein Wort gesagt, als sie mit dem Aufzug in ihr Quartier gefahren waren. Im Salon hielt sie gerade lange genug inne, um sich eine Flasche Schnaps aus der Bar zu schnappen, und winkte Bobbie mit einem Finger. Die Soldatin folgte ihr in das große Schlafzimmer, Cotyar gesellte sich ebenfalls zu ihnen.

Sobald die Tür geschlossen war und Cotyar mit seinem Handterminal den Raum auf Abhöreinrichtungen gescannt hatte, sagte Avasarala: »Bobbie, überlegen Sie sich, wie Sie entweder das Schiff unter Kontrolle bringen oder uns vom Schiff retten können.«

»Vergessen Sie das«, widersprach Bobbie. »Wir sollten uns das Shuttle schnappen, mit dem Mao jetzt gerade abfliegt. Es ist noch in Reichweite seiner Station, sonst könnte er es nicht nehmen.«

Zu ihrer Überraschung nickte Cotyar. »Ich stimme dem Sergeant zu. Wenn wir fliehen wollen, ist das Shuttle gegen eine feindselige Mannschaft einfacher zu übernehmen und zu kontrollieren.«

Avasarala setzte sich schwer seufzend auf die Bettkante. »Ich kann noch nicht gehen. So funktioniert es nicht.«

»Das verdammte Spiel!«, rief Bobbie.

»Genau«, fauchte Avasarala. »Ja, das verdammte Spiel. Meine Vorgesetzten haben mir befohlen, mich auf diese Reise zu begeben. Wenn ich jetzt ausbreche, bin ich draußen. Sie werden höflich sein und es eine plötzliche Erkrankung oder Erschöpfung nennen, aber sie werden mich damit wirkungsvoll davon abhalten, meine Arbeit zu erledigen. Ich werde in Sicherheit, aber machtlos sein. Solange ich vorgebe, das zu tun, was sie mir befehlen, kann ich weiterarbeiten. Ich bin immer noch die Stellvertretende Untergeneralsekretärin, ich habe Beziehungen und Einfluss. Wenn ich jetzt weglaufe, verliere ich das alles. Wenn ich es verliere, können mich die Wichser auch gleich erschießen.«

»Aber …«, wandte Bobbie ein.

»Aber«, fiel Avasarala ihr ins Wort. »Wenn ich weiterhin wirkungsvoll arbeite, werden sie nach Wegen suchen, mich zu isolieren. Unerklärliche Ausfälle der Kommunikation, etwas in dieser Art. Etwas, um mich aus dem Netzwerk auszuschließen. Wenn das geschieht, werde ich verlangen, dass der Kapitän die nächste Station ansteuert, um die Reparaturen vorzunehmen. Wenn ich richtigliege, wird er sich weigern.«

»Ah«, machte Bobbie.

»Oh«, sagte Cotyar einen Moment danach.

»Ja«, bestätigte Avasarala. »Wenn das geschieht, werde ich mich als Opfer einer Entführung betrachten, und Sie werden das Schiff übernehmen.«

Expanse 02: Calibans Krieg
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